Karl Adolph
Von früher und heute
Karl Adolph

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Heimkehr

Viele Millionen Gedanken, die von sechs Jahren, verdichtet in einem: Daheimsein! hatten sich nun erfüllt, und er stand tränenden Blickes in demselben Raum, dem ihn vor schier unfaßlich langer Zeit der befehlende Waffenruf entrissen. So herrlich hatte er sich unablässig die Erfüllung dieses tiefsten Herzenswunsches ausgemalt, daß er nun halb befremdet den ärmlichen Raum und die seine Hände in den ihren haltende Frau in geflicktem Kleide und niedergetretenen Schuhen betrachten mußte.

War das die Frau, die er einst verlassen hatte? Damals hatte sie volle, gesunde Wangen, fröhliche, lachende Augen, reiches braunes Haar. Und jetzt . . . dieses alte, vergrämte, grauhaarige, unordentlich gekleidete Weib war seine Gattin? Dieses mit nur notdürftigem Hausrat versehene, verlumpte, geschwärzte Zimmer war seine einst so lichte, heitere, mit Vorhängen, Teppichen, Bildern und guten Möbeln ausgestattete Wohnung? Und die Küche – dieses verräucherte Loch mit abgefallenem Mörtel, zerbrochenem wenigen Geschirr und wackeligem Mobilar, war das der einstige Stolz der peinlich sauberen Hausfrau?

120 Aber war es wie immer. Er streckte seinen müden, kranken, schmerzenden Körper in seinem Heim aus, in seinem eigenen Bette. Sein Tisch bot ihm eine wenn noch so magere Speise. Und statt Feindschaft und Teilnahmslosigkeit neigt sich Liebe über ihn und segnet seine Heimkehr.

»Wo san die Kinder?« war seine erste Frage gewesen. Seine Kinder, deren er im Gemetzel der blutigsten Schlachten unablässig mit sehnendem Herzen gedacht.

Zehn Jahre war die Loiserl alt gewesen und zwölf Jahre der Otto. Wie groß mußten die schon sein.

Er merkte ein jähes Zusammenfahren der Frau. War vielleicht eines gestorben? Oder gar beide? In die jahrelange Einsamkeit seiner russischen Gefangenschaft hatte sich keine Nachricht verirrt. Was konnte sich da alles ereignet haben.

»Die Kinder? . . . Sie werd'n bald hamkumma. Wann? . . . kann i net bestimmt sag'n. Aber sie wohnen no' alle zwa z' Haus.«

»Was haßt das: sie wohnen no' z' Haus?« war die von Staunen und Bangen erfüllte Frage. »Das versteh' i net. Die Kinder? Ja wia red'st denn du daher? Du g'fallst mir, das haßt, du g'fallst mir gar net. Was is denn das mit die Kinder?«

Befehl und Angst klang aus diesen Worten.

Dann saßen Mann und Frau sich am Tische gegenüber, und wie ein schreckhafter Traum zog ihre Erzählung an ihm vorbei. Den Kopf in beide Hände gestützt, lauschte er, lauschte, ohne eine Bewegung zu machen. Nur immer tiefer 121 nach vorne sank sein Gesicht, so daß die ihn bange mit den Blicken verfolgende Frau keine Bewegung seiner Züge bemerken konnte.

Die Erzählung war eintönig wie das Grau der unendlichen Tage, die sie schilderte. Eintönig wie das allmählich einbrechende und vordringende Elend. Von den Tagen und Nächten der Gattin in der Munitionsfabrik unseligen Andenkens. Von dem tage- und nächtelangen Anstellen der Kinder vor Lebensmittelgeschäften und Holz- und Kohlenladen. Von geschlossenen Schulen, aufsichtslosem Herumvagieren auf der Gasse. Von Verwahrlosung und Entsittlichung sprach der graue Fluß der Erzählung, von Entbehrung, Teuerung, Wucher, Verpfänden, Verkaufen und trotzdem Hungern.

Die Loiserl? Nun, die hatte sich einem wüsten Burschen an den Hals geworfen, der sie nicht nur zu ernähren, sondern auch zu putzen vermöge. Das Kriminal sei ihm nicht fremd, aber seine zweifelhaften Verdienste lohnen sich wenigstens.

Und der Otto? . . . Ja, du lieber Himmel, auch der verstehe das Verdienen mit Kartenspiel, Schleichhandel und allen möglichen Manövern . . .

Lachende Stimmen ertönten vom Gange. Die Tür ward aufgerissen, und ins Zimmer traten zwei elegant gekleidete Burschen und ein geputztes hübsches Mädchen.

Alle drei sahen einen Augenblick betroffen den Fremden an, der ihnen ein blutleeres Gesicht und zwei vom Gram verstörte Augen entgegenwies. 122

 


 


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