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35

Nuber war am nächsten Morgen kaum auf die Straße getreten, als er verdutzt stehenblieb. Hatte er recht gehört oder narrte ihn ein Spuk? Doch da war es schon wieder. Ein Zeitungsjunge trompete es mit heller, lustiger Stimme:

»Die Isheim-Aktien gehen sprunghaft in die Höhe! Heute früh nur 16 Prozent, schon um zehn Uhr 58 Prozent!«

Nuber drehte sich kurz auf den Absatz um. In langen Sätzen hetzte er die Treppe zu seiner Wohnung wieder hinauf und riß seine Isheim-Aktien aus der Schublade.

»Die Dinger machen mich noch verrückt«, brummte er grimmig. »Jetzt verkaufe ich die Biester! Ganz gleich um welchen Preis!«

Einige Minuten darauf hielt sein Wagen schon vor dem Gebäude der Börse. Hier herrschte eine ungeheure Aufregung. Alles lief, hastete, jagte hin und her. Zahlen schwirrten, Bleistifte zuckten. Überall flackernde Augen, bebende Hände.

»Da! Da kommt er!« schrie ein Herr im Zylinder. Alle Umstehenden blickten wie auf Befehl in der bezeichneten Richtung.

Ein eleganter Wagen war vorgefahren. Ihm entstieg ein Herr im kostbaren Nerzpelz. Nuber stockte der Herzschlag. Es war der Fabrikant Isheim. Seelenruhig schritt er die Treppe hinauf.

Mit einem Satz befand sich Nuber an seiner Seite.

»Sie entschuldigen schon die Störung«, begann er hastig. »Sie sehen mich einigermaßen erstaunt. Sie haben wohl von der Gefängnisdirektion Urlaub bekommen?«

»Das nicht!« antwortete der Fabrikant, und seine Augen funkelten vor Vergnügen. »Aber man hat mich freigelassen ...«

»Freigelassen? Gegen Sicherheit?«

»Nein, endgültig freigelassen. Wegen erwiesener Unschuld.«

»Erlauben Sie mal! Und die Sächelchen, die ich bei Ihnen gefunden habe? Die sollen wohl jetzt die Heinzelmännchen zusammengeschleppt haben?«

Isheim lächelte.

»Nein, die habe ich selbst dort versteckt. Sie hatten teilweise mit Ihren Vermutungen recht. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, bitte! Ich muß schnell noch einen größeren Posten von meinen Papieren kaufen.«

»Wozu sich da erst hineinbemühen?« sagte Nuber, krampfhaft bemüht, seine alte Gelassenheit wiederzufinden. »Ich verkaufe Ihnen davon, soviel Sie wollen! Bitte, bedienen Sie sich!« Mit einem eleganten Schwung riß er seine Aktien aus der Brusttasche heraus und hielt sie dem Fabrikanten hin.

Isheim wurde mit einem Schlage ernst.

»Stecken Sie die Dinger nur wieder ein, Herr Inspektor«, sagte er ruhig. »Verdient haben Sie es ja nicht an mir, aber ich bin Ihnen nicht böse, denn Sie taten ja schließlich nur Ihre Pflicht. Darum passen Sie genau auf! Ich bin unschuldig. Das hat Muratow einwandfrei bewiesen. Daher steigen jetzt meine Papiere. Sie halten da ein Vermögen in den Händen! Verkaufen Sie die Papiere nicht heute! Erst morgen! Morgen werden sie annähernd 130 notieren. So, und nun leben Sie wohl!«

Nuber blickte dem Fabrikanten entgeistert nach. Er besann sich erst, als er merkte, daß seine Umgebung sich für seine Papiere zu interessieren begann. Hastig verwahrte er sie wieder in der Brusttasche und fuhr im Wagen zu Muratow.

Schon auf der Treppe scholl ihm Ninas fröhliches Lachen entgegen.

»Zum Donnerwetter«, platzte Nuber herein, »Muratow, Sie sind ein ganz rücksichtsloser Mensch! Ich pack' Ihnen da gestern mein ganzes Inneres aus, und Sie behalten Ihr Geheimnis für sich! Finden Sie das schön, Fräulein Nina?«

»Bitte, setzen Sie sich mal vor allem!« rief das Mädchen heiter. »Nehmen Sie an unserem bescheidenen Mahl teil! Es gibt Kakao mit Bruchzwieback. Das ist Muratows Leibgericht.«

Muratow erhob sich lächelnd und streckte seinem Kollegen die Hand entgegen.

»Wissen Sie, Nuber«, sagte er listig, »das war gestern eine kleine Rache meinerseits. Wie kommen ausgerechnet Sie dazu, mir Vorwürfe zu machen? Haben Sie Ihre Geheimnisse nicht monatelang, manche sogar jahrelang in Ihrem Busen verborgen gehalten? Und ich darf nicht einmal einen Tag lang ein kleines Geheimnis für mich behalten?«

»Na ja!« sagte Nuber besänftigt und nahm einen herzhaften Schluck Kakao. Nina mußte laut auflachen, als sie sein, ob des sonderbaren Geschmacks dieses Kakaos, verblüfftes Gesicht sah.

»Also, was ist denn nun eigentlich los?« fuhr Nuber fort. »Ist Isheim tatsächlich unschuldig?«

»Jawohl!« sagte Muratow gewichtig. »Ich habe es bewiesen. Na, wissen Sie, bis ich darauf kam, das dauerte eine Weile! Die Sachen, die Sie bei Isheim gefunden haben, sind ihm nämlich alle ohne sein Wissen von den Verbrechern zugesteckt worden!«

»Das glauben Sie wohl selbst nicht!«

»Doch! Doch! Es ist schon so, wie ich sage. Die Unbarmherzigen hielten ihn nämlich für einen ihrer Hehler.«

»Ich auch!« warf Nuber trocken dazwischen.

»Er war es aber nicht! Er hatte nur zufälligerweise einen Hut von der Art gekauft, wie sie die Hehler der Unbarmherzigen als Erkennungszeichen für ihre Leute trugen. Später kannten sie Isheim dann schon, und die Geschichte klappte auch ohne Hut. Denken Sie an die Perlenkette der Gräfin Janitschek!«

»Das wäre eine Möglichkeit!« sagte Nuber nachdenklich. »Aber wie haben Sie denn das bewiesen?«

»Auf dem allereinfachsten Wege: Ich ließ einen unserer Geheimagenten den Hut einige Tage tragen. Der Mann brachte jedesmal eine hübsche Beute nach Hause.«

»Nun sagen Sie mir aber, bitte, warum Isheim die seltsamen Funde nicht gleich auf der Polizei ablieferte?«

»Das hätten Sie und ich jedenfalls so gemacht. Ein Laie aber hat vor der Polizei einen heillosen Respekt. Isheim glaubte anfangs, daß es sich um einen dummen Scherz handle, nachher, als er merkte, daß ihm gestohlene Sachen zugesteckt wurden, bekam er es prompt mit der Angst vor der Polizei zu tun. Er dachte, man würde ihn dafür einsperren, daß er die Sachen nicht gleich gebracht hatte.«

»Danke!« sagte Nuber und erhob sich. »Sehn Sie, Muratow, auch der geschickteste Detektiv macht mal einen Fehler! Übrigens, Fräulein Nina, gestatten Sie, daß ich Ihnen Ihr rechtmäßiges Eigentum überreiche. Hier, diese Aktien können Sie morgen für weit mehr als 100 000 Mark verkaufen. Ich freue mich, daß ich einen Teil der Schuld meines Vorgängers abtragen kann. Der größere Teil – die moralische Schuld – bleibt ja doch bestehen.«

Ehe Nina ein Wort des Dankes aussprechen konnte, war er zur Tür hinaus.

Muratow ging nachdenklich, mit langen Schritten im Zimmer herum.

»Nun?« fragte Nina ungeduldig. »Was ist in Sie gefahren?«

»Sie sind jetzt reich!« antwortete er ernst. »Hier trennen sich unsere Wege.«

»Warum denn?« fragte sie mit einem unschuldsvollen Augenaufschlag.

»Warum? Warum? Nun weil ... Es ist die alte Geschichte: Er, arm wie eine Kirchenmaus, sie, reich wie ... na, eben reich! Das paßt nicht zueinander.«

»Sie haben recht«, nickte Nina. »Natürlich ist es eine alte Geschichte. Wir wollen aber mal versuchen, etwas Neues hineinzubringen! Einverstanden?«

»Ich verstehe nicht«, sagte Muratow bedrückt.

»Passen Sie auf! Die Geldfrage bleibt ganz aus dem Spiel. Verstanden?! Ich würde Sie gern heiraten, müßte da aber einige Bedingungen stellen. Hoffentlich können Sie mir meine Wünsche erfüllen!«

»Und die wären?«

»Erstens mal: Könnten Sie sich entschließen, Ihrer Frau zuliebe nie mehr muffigen Kakao zu trinken?«

»Aber er schmeckt doch gut und ist viel billiger ...«

»Antworten Sie mir! Könnten Sie darauf verzichten?«

»Ich glaube – ja!«

»Und auf den Bruchzwieback ebenfalls?«

»Auch das, wenn es sein muß.«

»Es muß sein!« erklärte das Mädchen mitleidslos. »Und nun noch eins – in unserer Wohnung wird es keine Spinngewebe geben!«

Muratow begann plötzlich zu lachen.

»Ich habe in meinem Leben schon mehrere Wohnungen ohne Spinngewebe gesehen. Ich glaube, es läßt sich auch darin ganz nett wohnen.«

»Na also!« rief Nina freudestrahlend. »Dann sind wir uns ja einig. Halt, noch eins! Verstehen Sie es, einen anständigen Heiratsantrag zu machen?«

»Ich habe es noch nie getan, aber ich glaube, die Fähigkeit dazu ist mir angeboren.«

»Großartig! Und da schweigen Sie immer noch? Beeilen Sie sich gefälligst, mein Herr! Oder soll etwa ich ...« Aus der Stimme des Mädchens klang Entrüstung.

Muratow trat rasch auf sie zu und umfaßte ihre Schultern.

»Nina, du ...«

»Das nennt man – abgekürztes Verfahren!« entschied Nina nach einer kleinen Pause. »Vielleicht ist es auch das beste!«

*


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