Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Wir hatten am folgenden Tage mit ein paar Bekannten einen Jagdausflug in die Campagna verabredet. Die Damen waren von diesen Exkursionen, die größtentheils zu Fuß zurückgelegt wurden, ausgeschlossen. Ziemlich früh am Morgen brachen wir auf und kehrten gegen Abend bestaubt und ermüdet heim. Raoul hatte mich eingeladen, bei ihm um sechs Uhr zu speisen, und wir fuhren bloß nach meinem Hotel, damit ich rasch mein Jägerkostüm gegen einen salonfähigen Anzug vertauschen. konnte. Während ich mich im Nebenzimmer säuberte, unterhielten wir uns durch die offene Thür.

»Hast Du Deine Frau heute Morgen gesehen?«

»Nein, Babette sagte, daß sie noch schliefe, und da mochte ich sie nicht stören.«

Er strich sich über den blonden Bart und schaute nachdenklich vor sich hin.

»Denkst Du wieder an die Geheimnißvolle?« fragte ich gutmüthig ironisch.

«Ich schäme mich, zu gestehen, daß es so ist … die Dame muß Verbindungen bis in mein Haus haben.«

»Vielleicht durch eure italienische Dienerschaft?«

»Als ich gestern Nacht in mein Zimmer trete, erblicke ich einen Strauß von frisch gepflückten Rosen und Orangenzweigen auf meinem Schreibtisch; er mußte eben hingelegt worden sein, denn es hingen noch feuchte Tropfen an den Blüten, ein zusammengefalteter Zettel steckte dazwischen, mit dem einzigen Wort: › Addio!‹ Ich rief gleich nach Francesco, dem Kammerdiener, und fragte, wer die Blumen gebracht hätte? Dabei faßte ich ihn scharf in's Auge, um zu beobachten, ob er Verwirrung oder Bestürzung verrathen würde. Er war aber nur einfach verwundert und betheuerte, Niemand hätte sich erlaubt, in meiner Abwesenheit mein Zimmer zu betreten, er wüßte sehr wohl, daß die Juwelen der Baronessa im Bureau aufbewahrt würden, darum hielte er die Thür stets sorgfältig verschlossen. Der Gedanke, daß eine fremde Person trotz seiner Wachsamkeit hineingeschlüpft sein könnte, schien ihn sehr zu beunruhigen. Ich befahl ihm, unter der Hand nachzuforschen, ob einer der Diener den Boten abgegeben, doch solle er vorsichtig verfahren, damit die gnädige Frau nicht unnöthig erschreckt würde. Der feine Italiener lächelte verständnißvoll, er bat um Erlaubniß, den Strauß besehen zu dürfen, und versprach, seinen ganzen Scharfsinn aufzubieten, um den mysteriösen Ueberbringer zu entdecken.«

»Addio! Das bedeutet Scheiden, die Geheimnißvolle gibt Dir den Laufpaß, wer weiß, wen ihre Sirenenstimme hinfüro berücken wird!«

»So schnell wird sie sich wohl nicht einem Andern zuwenden,« meinte er etwas empfindlich.

Er war noch nicht vollständig geheilt, wenn er auch behauptete, es zu sein.

»Alter Freund, glaubst Du Dich in allem Ernst von ihr geliebt?«

»Hast Du sie nicht singen hören?«

»Freilich, jeder Ton war gewissermaßen mit Leidenschaft und Glut gesättigt, und die süßen Melodieen gingen sämmtlich an Deine Adresse; sie hatte sogar die Aufmerksamkeit, Dir deutsche Lieder vorzusingen und die bedeutungsvollsten Textesworte mit verführerischem Ausdruck zu wiederholen – wozu aber dieses Versteckspielen mit Dir? Euer Verhältniß ist so ungeheuer platonisch geblieben, daß es selbst dem zartesten Lyriker zu viel geworden wäre – eine so ideale Liebschaft hat sich unter italienischem Himmel noch nie ereignet, Petrarca und Laura sind roh und materiell dagegen.«

»Spotte nur, die Arme mag unter den schlimmsten Widerwärtigkeiten leiden …«

»Natürlich hat sie einen Tyrannen zum Manne, verheirathet muß sie sein, ein junges Mädchen kann so nicht singen, oder … sie hat bereits vom Baume der Erkenntniß gekostet.«

Ich gab meinem Haar den letzten coup de brosse und fand mich würdig, der Baronin vor die schöne Augen zu treten. In zehn Minuten hatten wir de stattlichen Palast an der Piazza S. Apostoli erreicht

»Ich will mich rasch umkleiden,« sagte Raoul, »sei so gut, unterdessen meine Frau zu unterhalten, sie wollte mit der Marchesa Einkäufe machen, Geschenke, Andenken und dergleichen, doch muß sie schon zu Hause sein.« Sich an Francesco, den Kammerdiener und Majordomo wendend, fragte er: »Ist die Baronessa im Salon?«

»Die Frau Baronessa ist um zwölf Uhr abgereist, Eccellenza.«

»Abgereist?«

»Die Gnädige erhielt heute früh Nachricht, daß die Frau Mutter gefährlich krank sei und da hieß es, sofort einpacken und nach dem Bahnhof fahren. Nur die Kammerjungfer haben die Frau Baronessa mitgenommen. Das Nähere steht in dem Briefe, den die Gnädige für den Herrn Baron, zurückgelassen.«

Wir sahen uns sprachlos an, mir dämmerte die Ahnung von dem wahren Zusammenhange der Dinge auf.

»Ich kann es nicht glauben,« rief Eckartsberg, »gestern noch hatte sie Briefe von ihren Eltern, sie gab sie mir zu lesen, es stand kein Wort von Krankheit darin.«

»Vor Allem mußt Du hören, was sie schreibt.«

Er nickte kurz und schritt mir hastig voran. Sein Zimmer war von Orangenduft derartig erfüllt, daß ich ein Fenster öffnete – ich mochte den Geruch nicht leiden. Der mit einem großen Siegel geschlossene Brief steckte zwischen den Blumenzweigen des auf dem Schreibtische stehenden Straußes. Mich frappirte der eigenthümlich gewählte Platz – warum hatte sie ihn nicht einfach auf die Briefmappe gelegt?

Raoul bemerkte es nicht, er riß die Enveloppe auf und überflog die mit kräftigen, festen Schriftzügen bedeckten Blätter. Sein Gesicht verfinsterte sich, während er las.

»Scheidung!« rief er, zornig lachend, »Scheidung nach viermonatlicher Ehe! Sie verläßt mich, weil sie behauptet, sich in mir getäuscht zu haben, ich liebte sie nicht … Da, lies selber! Sie hat ein bischen Verheirathetsein spielen wollen, und weil sie sich nicht so gut dabei amüsirt hat, wie sie gedacht, will sie nicht mehr mitspielen. Die gerechte Strafe, daß ich mich durch das hübsche Gesicht eines kindischen Mädchens verlocken ließ, daß ich den Schritt nicht reiflich genug überlegt. Ich muß wirklich die Rücksicht anerkennen, die mich nicht vor meinen Domestiken blamirt – sie hat der Sache wenigstens ein Mäntelchen umgehangen!« Er wanderte mit starken Schritten auf und nieder, die Lippen aufeinander gepreßt, halblaute Worte murmelnd.

Ich nahm den zerknitterten Brief und überlas ihn.

»Nun?« fragte er, vor mir stehen bleibend, als ich ihn sorgfältig glatt strich und faltete.

Mich hatten die einfachen, rührenden Worte bewegt, sie machte ihm keine Vorwürfe, sie beklagte sich nicht. »Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen,« schrieb sie nach einer kurzen Einleitung, »daß unsere Charaktere nicht zu einander passen. Vielleicht lag es an mir, daß ich eine Verständigung nicht herbeizuführen wußte, doch schien es mir, als wenn Du sie nicht suchtest. Ein rein äußerliches Zusammenleben, das nichts wie eine gemeinsame Haushaltung bedeutet, gilt mir für eine Entweihung der Ehe; wo die seelische Gemeinschaft fehlt, bindet kein festes Band die Gatten, es genügt der leiseste Anstoß, sie zu trennen. Wäre ich so oberflächlich, wie Du es glaubst, so würde ich mich in dieses Scheinverhältniß schicken und mich an Zerstreuungen schadlos halten, ich sehne mich aber nach Liebe, nach warmer, zärtlicher Liebe, und ich kann es nicht ertragen, sie da zu entbehren, wo ich sie zu fordern ein Recht habe …« Weiter schrieb sie, sie würde vorläufig nicht zu ihren Eltern zurückkehren, um nicht zu vorzeitigen Gerüchten Anlaß zu geben; eine Schwester ihres Vaters, die sie hoch verehre, befinde sich augenblicklich in der Schweiz, zu ihr reise sie, um unter ihrem Schutze den Sommer in Zurückgezogenheit zu verbringen. Sobald sie die nöthige Ruhe gewonnen, würde sie ihre Eltern auf ihren Entschluß vorbereiten, alle weiteren Schritte überließe sie Raoul …

»Was sagst Du dazu, sie reist allein mit Babette, die kaum ein Jahr älter ist wie sie!«

»Ich sage, daß Du Dich über eine Sache nicht wundern kannst, die Du allein veranlaßt hast!«

»Ich?«

»Sei so gut, den Brief noch einmal zu lesen und wiederhole mir dann, daß Vincente kindisch und kaltherzig ist.«

»Soll ich etwa ihr tiefes Gemüth bewundern, weil sie mir so rasch entschlossen den Rücken dreht? Selbst wenn ich gestern wirklich zu rauh gegen sie gewesen, hätte sie keinen Grund zum Bruche gehabt. Bei einer so reizbaren Empfindlichkeit ist ein Zusammenleben allerdings unmöglich, bei jedem Tadel, jeder Verstimmung würde sie gleich mit Scheidung drohen. Ich büße für meine eigene Thorheit, ich hätte bedenken müssen, daß ich zu alt, zu ernst und zu ruhig für ein so junges Wesen bin.«

»Was, Du willigst ein? Du machst nicht einmal den Versuch, sie zu halten?«

»Soll ich sie bitten, zu mir zurückzukehren, damit die Komödie sich nach ein paar Monaten wiederholt?« versetzte er stolz. »Ich kann Dich versichern, daß ich sie nicht so leicht aufgegeben hätte, wie sie mich, selbst wenn ich unglücklich an ihrer Seite gewesen wäre. Das Wort Pflicht scheint sie nur so lange zu kennen, wie es ihr bequem ist. Was sie schreibt, sind in ihrem Munde Phrasen, eine Frau von Herz und Charakter verläßt ihren Mann nicht ohne zwingende Nothwendigkeit.«

Ich fürchtete ernstlich, daß diese beiden mir so lieben Menschen auseinander gehen würden, bloß weil sie sich nicht erklären, sich nicht verständigen wollten.

Vor Allem war es nöthig, Raoul's vorgefaßte Meinung von Vincentens Charakter zu widerlegen, und das konnte ich am besten, indem ich ihm den Inhalt jener eigenthümlichen Unterredung mit ihr mittheilte. Ich hatte zwar Schweigen gelobt, doch stand zu Wichtiges auf dem Spiel, um mich nicht meines Wortes für entbunden zu erachten. Ihn bittend, mich aufmerksam anzuhören, erzählte ich ausführlich und genau, was zwischen seiner jungen Frau und mir verhandelt worden; ich war gutmüthig genug, zu bekennen, wie mir das Geheimnißvolle der Abrede etwas den Kopf verdrehte und ich mir geschmeichelt hatte, einen plötzlichen, bezaubernden Eindruck gemacht zu haben, die Baronin hätte mich jedoch bald aus dieser Illusion gerissen und mir keinen Zweifel über meine Ungefährlichkeit gelassen. Als ich die verfänglichen Fragen erwähnte, die sie in Betreff seiner früheren Beziehungen zu dem schönen Geschlechte gestellt, unterbrach er mich:

»Die gewöhnliche vorwitzige Neugier der Frauen! Sie durchwühlen die Vergangenheit des Mannes entweder zu eigener Qual oder um sich Waffen gegen ihn zu schmieden!«

Nach und nach erwachte sein Interesse, es überraschte ihn, von Vincy so richtig und scharfsinnig beurtheilt worden zu sein, ihre originellen Aussprüche und Ansichten zeigten sie ihm von einer neuen Seite; sie reflektirte also, sie legte sich das Leben zurecht, sie wußte, was sie von ihm zu fordern hatte. Er mußte zugeben, daß sie wenigstens geistige Selbstständigkeit besaß, auch die Andeutungen, die sie über ihr Verhältniß zu ihrer Mutter gemacht, frappirten ihn.

»Es wäre nicht das erste Mal,« bemerkte er nachdenklich, »daß man der Tochter Unrecht thut, indem man in ihr die verjüngte Mutter zu sehen glaubt. Unwillkürlich übertrug ich Frau Altringer's Aeußerlichkeit und Herzenskälte auf Vincy.«

Die Entdeckung, von seiner reizenden, jungen Frau leidenschaftlich geliebt zu sein, schien nicht ohne Wirkung zu bleiben.

»Arme, kleine Vincy,« sagte er melancholisch, »ich beklage sie aufrichtig, aber ich fürchte, unsere beiderseitige Stellung wird nicht wieder in's rechte Geleise kommen.«

»Wie?« rief ich aufspringend, »ich denke, Du wirst mir sagen, daß Du noch heute Abend ihr nachreisen und sie zurückholen willst!«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht doch, es ist besser für uns, getrennt zu bleiben, ich will sie nicht belügen, und sie würde sich nicht täuschen lassen. Was sie verlangt, bin ich nicht im Stande ihr zu geben, – eine leidenschaftliche Neigung nämlich. Ich schätze und verehre sie, ich verstehe sie richtiger als früher, doch verwirrt sie mir nicht Herz und Phantasie, und ich begreife, daß die Frau einmal in ihrem Leben diese berückende Herrschaft über den Mann ausgeübt haben will … Solche Dinge lassen sich schwer in präzise Worte fassen, – es fehlt zwischen uns der elektrische Choc, der Funke, der aus der Seele des Einen in die des Andern überspringt, dort die gleichen Flammen entzündend. So etwas wird nicht durch Aussprechen und Verständigung herbeigeführt, das sind geheimnißvolle Vorgänge, und das Geheimniß hat unserer klar und absichtlich geplanten Verbindung gemangelt. Als ich Vincy zum ersten Mal sah, hatte man mir vorher auseinander gesetzt, daß sie eine durchaus passende Partie für mich wäre, nichts war dem Zufall anheimgegeben, im hellsten Tageslicht entwickelte sich unsere Liebesgeschichte, – wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann. Wie soll ich mich nun, nach viermonatlicher Ehe, in die Rolle eines glühenden Liebhabers hineinleben, der in Furcht und Ungewißheit schwebt, ob seine Gefühle erwiedert werden? Ich wünsche und gönne ihr die Poesie eines Liebesfrühlings, ihre Jugend hat ein Recht darauf, – nur ich kann ihn ihr nicht spenden. Es ist meine Pflicht, ihr die Freiheit zurückzugeben, vielleicht findet sie bald das Glück, das sie sucht.«

»Aber vorläufig machst Du sie unglücklich! Ihr Herz wird über der Trennung brechen; ich möchte einen Eid darauf ablegen, daß sie sich im Coupé die Augen ausweint und ihren coup de tête bitter bereut. Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf, kann man von Dir sagen; Du bist zwar ein prächtiger Mensch, daß Dir jedoch zum zweiten Mal ein solcher Schatz von Liebe zufällt, ist kaum zu begreifen. Und damit nicht genug, mußt Du auch noch eine Sängerin bezaubern, die sich um Deinetwillen in der Mitternachtsstunde am offenen Fenster der Gefahr aussetzt, ihre göttliche Stimme durch Erkältung zu verlieren … Wo sitzt denn Deine Unwiderstehlichkeit?«

»In Deiner Einbildung,« lächelte er matt; »doch, schweige von der Sängerin, diese Erinnerung soll abgethan sein.«

Abgethan! und sein Auge leuchtete plötzlich auf, und ich sah es ihm an, daß in seiner Seele all' die wunderbaren Melodieen erklangen, denen er unersättlich gelauscht!

Wir sprachen hin und her, er beharrte bei seiner Meinung, daß ihm Ehre und Pflicht geböten, Vincentens Willen in keiner Weise zu beeinflussen.

»Es ist kein bloßer Einfall, der sie bestimmt hat, mich zu verlassen,« erwiederte er, »Du selbst sagtest mir, daß sie das Eintreten dieser Möglichkeit reiflich überlegt hat.«

Mit Mühe erlangte ich von ihm das Versprechen, die Einleitung der Scheidung noch hinauszuschieben, jedenfalls mußte er warten, bis Vincente ihre Eltern benachrichtigt hatte, und es war noch sehr die Frage, ob diese nicht ihre ganze Autorität aufwenden würden, um ihre Tochter von dem extremen Entschluß zurückzubringen.

»Es soll sie Niemand zwingen,« entgegnete Raoul heftig, »ich werde der Erste sein, der ihren Willen respektirt.«

Wir hatten uns zu Tische gesetzt, denn nach der Jagdpartie forderte der Magen gebieterisch sein Recht, trotz Gemüthsbewegungen. Ich kann nicht verhehlen, daß ich tüchtig aß, Raoul berührte jedoch die Speisen kaum.

»Wo mag sie jetzt weilen?« fragte er, den Kopf auf den Arm stützend. »Hätte sie eine ältere Vertrauensperson mit sich, würde ich mich nicht beunruhigen, Babette ist ein unzureichender oder vielmehr gar kein Schutz. Selbst wenn ich ihr folgen wollte, wüßte ich nicht, wie und wo sie finden; sie ist über Florenz gereist, mehr hat sie Francesco nicht gesagt, der natürlich meint, daß ich genau unterrichtet bin. Ich hoffe, daß sie mich sofort wissen lassen wird, wenn sie bei ihrer Tante angekommen ist. Ehe ich nicht einen Brief von ihr erhalten, sind mir die Hände gebunden, ich kann unmöglich polizeiliche Hülfe requiriren, um meine Frau aufzufinden.«

»Könntest Du nicht an die Tante telegraphiren?« fragte ich, dessen Appetit durch die Sorge um die entflohene kleine Baronin nicht gelitten hatte.

»Ich habe ihre Adresse nicht und höre überhaupt zum ersten Mal, daß sie in der Schweiz ist. Durch Vincy's Eltern könnte ich Genaueres erfahren, mich an sie wenden, hieße jedoch ihrem Wunsch zuwiderhandeln, da sie mich gebeten hat, die ersten Eröffnungen ihr zu überlassen … Wenn ihr nur unterwegs nichts zustößt!«

»Sei nicht übertrieben ängstlich,« erwiederte ich, eine Foglietta echten Est-Est entkorkend – man beschuldige mich nicht der Gefühllosigkeit, die unmotivirte Zuversicht, daß sich der Konflikt freundlich lösen würde, hatte mich überkommen – »Deine Frau ist energisch und praktisch, dieß ist nicht ihre erste Reise …«

»Die erste, die sie allein macht,« warf er ein.

»… Jungfer Babette scheint mir ziemlich schlau, sie fahren erster Klasse, halten sich unterwegs gar nicht oder nur in den anständigsten Hotels auf, – was sollte ihnen da passiren? Blutjunge englische und amerikanische Mißes kommen jetzt allein über's Meer, wir sind in dieser Beziehung erstaunlich fortgeschritten, nächstens wird man Säuglinge allein zu ihren Ammen reisen lassen.«

Meine harmlosen Scherze entlockten ihm ein Lächeln, ohne seine Befürchtungen zu zerstreuen. Vor der Welt und vor seinem Gewissen der natürliche Beschützer des jungen Wesens, fühlte er sich jetzt machtlos, seine Pflicht als solcher zu erfüllen; alle Fatalitäten und Fährlichkeiten, denen einzelne Damen, namentlich wenn sie auffallend hübsch sind, seitens unverschämter, roher Männer ausgesetzt sind, drängten sich seiner Phantasie auf. Seine Stimmung wurde immer düsterer, er gewahrte, vielleicht zu seinem eigenen Erstaunen, wie fest ihn die vier Monate an Vincente geknüpft hatten; dadurch, daß er für sie sorgte, ihr die Stellung nach außen gab, war sie ihm an's Herz gewachsen.

»Am Ende hat sie nicht genug Geld mitgenommen!« rief er aufspringend.

Er eilte in ihr Zimmer, ich folgte ihm. Der mit verblichener Pracht geschmückte Raum trug Spuren ihrer Gegenwart, es duftete nach ihrem Lieblingsparfüm, ein rosa Schärpenband hing über einer Stuhllehne, ein Fächer war auf dem Toilettentisch vergessen worden. Bücher lagen herum, ich griff nach einem Band Eichendorff'scher Gedichte, in dem die Seite eingekniffen war, auf der »Schöne Fremde« stand; neben den Zeilen:

»Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem großem Glück,«

war mit derben, wie zornig aussehenden Strichen gekritzelt: »Die Ferne hat gelogen!« In einem andern Buch, das ich aufschlug, Lettres de Mlle. Lespinasse, waren die Worte unterstrichen: » Il y a une passion, qui ferme l'âme à toutes les misères du monde, – j'en fais la triste expérience …« Dort war die tiefe Fensternische, in der sie mich gefangen gehalten, der niedrige Fauteuil, auf dem sie gesessen! Ich sah sie leibhaftig vor mir, in dem tiefrothen Morgenkleid und dem goldenen Netze, das immer herunterzugleiten drohte und das sie mit einer hastigen Bewegung wieder heraufzog; mit den mikroskopischen Füßchen, die doch so kräftig aufstampfen konnten, und den kleinen Händen, die mein Gelenk wie in einen Schraubstock gepreßt. »In der Pension war ich die beste Turnerin,« hatte sie triumphirend gesagt, als ich mir die rothe Stelle rieb.

»Es ist richtig, wie ich fürchtete,« rief Eckartsberg erregt, den Schreibtisch schließend, den er durchsucht, »sie hat sich nicht genügend mit Geld versehen, sie kann kaum tausend Franken bei sich haben.«

»Damit kommt sie bis nach der Schweiz,« bemerkte ich ruhig.

»Auf Reisen muß man stets mehr bei sich führen als man braucht, um auf unvorhergesehene Fälle vorbereitet zu sein. Wenn Vincy zum Beispiel erkrankte und etwa eine Woche im Hotel bleiben müßte, würde sie entschieden in Verlegenheit gerathen.«

»Sie wird sich schon zu helfen wissen, es gibt Telegraphen und Posten.«

»Freilich, doch denkt sie vielleicht in ihrer Angst nicht daran.«

»Sie ist so gewandt und rasch entschlossen.« Ich sprach sehr weise und irrte mich gründlich. Der Baronin Eckartsberg wurde es nicht schwer, mit Sicherheit aufzutreten, sie hatte ihren Gatten zur Seite und Jeder respektirte ihre Stellung, – anders gestaltete sich die Lage der jungen, alleinreisenden Dame, ihr wurde mit ungläubigem Lächeln begegnet und man forderte von ihr sozusagen erst Beweise für ihre Respektabilität. Nun macht den Menschen nichts so unsicher wie das Bewußtsein, Anderen verdächtig zu erscheinen; um dieses drückende Gefühl abzuschütteln, nimmt man entweder eine zu freie Haltung an, oder weicht scheu jeder Berührung mit Fremden aus. In beiden Fällen macht man einen schlechten Eindruck. –

Ich schlug Raoul vor, in diesem, der Baronin Zimmer den Kaffee zu trinken, und der Eifer, mit dem er die Klingel zog und dem Kammerdiener und Majordomo, Francesco, seine Befehle gab, ließen mich erkennen, wie gern er in dem Gemache weilte.

Als Francesco den Mokka, dessen Bereitung er in eigener Person überwachte, in die kleinen Tassen gegossen, näherte er sich seinem Gebieter und sagte leise:

»Eccellenza haben befohlen, Nachforschungen wegen des Blumenstraußes anzustellen, der auf des gnädigen Herrn Schreibtisch gelegt worden.«

»Haben Sie etwas erfahren?« fragte Eckartsberg, aufmerksam werdend.

Der Italiener zuckte die Achseln. »Nichts und doch etwas,« lächelte er schlau. »Eine fremde Person hat das Zimmer nicht betreten, darauf wage ich meine Seligkeit und die meiner Kinder. Pippo, der Diener, der die Frau Baronessa auf ihren Ausfahrten und Ausgängen zu begleiten pflegte und den ich am meisten in Verdacht hatte, weil er ein leichtsinniger, gedankenloser Mensch ist, gestand mir auf mein Befragen, daß er um die Blumen wisse. Gestern, gegen Abend, sei die Baronesse mit Mademoiselle Babette nach dem Palazzo Rospigliosi gefahren, er sei bedeutet worden, im Hofe zu warten, was er auch gethan. Doch hätte er bemerkt, wie die Gnädige erst mit dem Gärtner verhandelt und dann selber von den Orangenbäumen blühende Zweige und von den Rosensträuchen Rosen abgeschnitten habe, die in ein Körbchen gelegt worden wären. Darnach müßte die Baronessa dem Kustoden des Kasinos ein sehr nobles Trinkgeld gegeben haben, denn er hätte eine außerordentlich tiefe Verbeugung gemacht und vergnügt geschmunzelt. Mithin,« schloß der würdige Francesco, »ist es die Frau Baronessa selber gewesen, die dem gnädigen Herrn diese Ueberraschung bereitet hat.«

Raoul meinte, daß es wohl so sein könnte und winkte dem Kammerdiener, abzutreten.

»Die Sache wird immer komplizirter,« sagte ich, die Asche von meiner Cigarre abstreifend.

»Komplizirt? Es ist zum Verrücktwerden, Vincy muß von der geheimnißvollen Sängerin gehört haben, durch welchen Zufall ist mir allerdings räthselhaft. Das Unwahrscheinliche ist fast immer das Wahre, sie ist mit im Komplot gewesen und hat die Fäden der Intrigue in der Hand gehalten. Von dem Abend an, da ich mich zum ersten Mal in den Vicolo delle Grazie verirrte, hat sich ihr Wesen verändert. Erinnere Dich, mit welch' eigenthümlicher Betonung sie von den Orangenzweigen sprach, deren Duft mich betäuben würde … Ihr seltsamer Eifer, mich mit der Contessa zusammenzubringen …«

»Aber diese war nicht die Sängerin,« bemerkte ich, »wir überzeugten uns gestern Abend davon.«

»Vincy konnte ebenso, wie ich, auf falscher Fährte sein.«

»Ich kann es nicht glauben, daß Deine Frau um die Sirene gewußt hat. Am Tage ließ sie sich bekanntlich nicht hören, und wie sollte die Baronin Eckartsberg nach Mitternacht in einen abgelegenen, unheimlichen Vicolo gerathen sein! Es ist undenkbar, der seltsamste Zufall hätte es nicht veranlassen können. Frauen haben einen unendlich feinen Instinkt für in der Luft schwebende Rivalitäten, sie witterte die süße Gefahr, die Dich bedrohte, daher die Anspielungen, die in's Blaue gemacht wurden und dennoch trafen … Es bleibt noch eine andere Erklärung,« setzte ich nach einer Pause hinzu, als Raoul, in Nachdenken versunken, schweigend auf und nieder schritt.

»Welche?«

»Daß Vincente die Sängerin gewesen.«

»Du fängst an, zu phantasiren,« sagte er fast mitleidig, »Du hast dem Est-Est zu hastig zugesprochen.«

»Bitte, mein Kopf war nie klarer, ich bin sogar stolz auf diese Kombination. Du ahnst ja nicht, was Deine Gattin weiß, kann, fühlt, denkt! Sie ist Dir noch eine terra incognita

»Vincy so singen und es mir monatelang verheimlichen!« rief er. »Es wäre ein Verbrechen, das sie an mir verübt! Nein, mein Freund, ich bekenne reuig, daß ich über ihr eigentliches Wesen im Irrthum befangen war, daß ich sie weit unter ihrem Werthe taxirt – doch, daß sie nebenbei auch noch die vollendetste Sängerin sein soll, die je meine Seele ergriffen, nein, das kann ich nicht glauben! Sie wäre kein Weib, hätte sie mir ihre entzückendste Eigenschaft, ihren vom Himmel stammenden Gesang verborgen!«

Es war nur eine Idee, die mir durch den Kopf geschossen, bei näherer Ueberlegung schien sie mir selber sehr gewagt. –

Wir verlebten einen stillen und, aufrichtig gestanden, recht trübseligen Abend. Raoul mochte weder in Gesellschaft noch in's Theater gehen, um den erstaunten Fragen nach seiner Gattin auszuweichen. Sollte das Märchen, daß sie zu ihrer schwer erkrankten Mutter gereist, aufrecht erhalten werden, so durfte er nicht gleich am ersten Abend auswärts Zerstreuung suchen. Wir sprachen, wir lasen, wir rauchten, wir tranken Kaffee, darnach griechische Liqueure und hierauf Thee; wir schwiegen und spielten schließlich schließlich Schach, um die langsam dahinschleichenden Stunden todtzuschlagen. Wir langweilten uns entsetzlich, obgleich wir im Grunde keine langweiligen Gesellen waren. Von Zeit zu Zeit blickte ich nach der Portière, mir war, als müßten sich die Falten theilen und das reizende Köpfchen mit den großen, dunklen Augen hervorschauen. Die am Plafond schwebenden, pausköpfigen Amoretten sah ich deutlich gähnen, sie warfen Raoul und mir verächtliche Blicke zu und zischelten: »Was wollen die beiden steifen Burschen in ihren abscheulichen, modernen Salonanzügen hier? Sie sind die reinen Tintenwischer! Wo ist sie, die junge Frau mit dem goldbraunen Haar, die allein würdig war, unserer Zeit anzugehören? Unserer Zeit, die nur den Kultus der Schönheit und des Genies kannte, und über die die blonde Tugend dieser Tage vor Entsetzen die wasserblauen Augen verdreht!« Auf Ehre, wie ich mir eine frische Cigarre anzündete und die Flamme der Kerze dabei aufflackerte, gewahrte ich, wie der eine ungezogene Putto, dem noch dazu ein Bein fehlte, mich angrinste und mir eine lange Nase machte, – eine schnöde Beleidigung, die mir seit meinen ersten Schuljahren nicht mehr widerfahren. –

Raoul begleitete mich nach meinem Hotel, weil er noch etwas Luft schöpfen wollte, wie er sagte. Ich that, als ob ich an diesen Vorwand glaubte; wie wir jedoch auf die Piazza traten, fragte ich unbefangen:

»Wollen wir nicht lieber gleich nach dem Vicolo delle Grazie abbiegen? Ich bin ebenfalls neugierig, zu wissen, ob sie wirklich nicht mehr singen wird. Vielleicht war das Addio nicht ernst gemeint.«

Mein Freund behauptete zwar, er ginge bloß mir zu Gefallen mit, er, für sein Theil, wolle die Sirene, die ihn am Narrenseil geführt, weder hören noch sehen, – nichtsdestoweniger verfiel er in Geschwindschritt, sobald wir in der Nähe des spaccio di vino ankamen, der am Eingang der Gasse lag und aus dem uns von Weitem die Rufe der Morraspieler entgegenschallten. Bald standen wir vor dem düstern Gebäude, – nirgends ein Lichtschimmer. Das Fenster, das sonst matt erleuchtet und halb geöffnet gewesen, dunkel und geschlossen. Kein Laut unterbrach die tiefe Stille, ein finsteres, schweigendes Räthsel stand vor uns. Die einzige Gaslaterne, die das Municipio dem Vicolo gegönnt hatte, warf ihren Schein kaum bis an das grimmige Eisenthor. Eine Katze – es konnte auch ein Kater sein – huschte vorbei, eine dünne, klagende Glocke klang von einem fernen Kloster herüber, ein Wasserstrahl floß leise murmelnd in ein verwittertes, geborstenes Steinbecken.

»Eine ausgezeichnete Gegend, um geplündert oder erdolcht zu werden,« sagte ich, um mich schauend, so weit es die egyptische Finsterniß gestattete; »ein wahres Glück, daß die Polizei jetzt kräftiger gehandhabt wird, unter dem heiligen governo papale hätte ich mich nächtlings nicht herwagen mögen, wenigstens nicht ohne einen niedlichen sechsläufigen Revolver.«

»Also doch Addio!« murmelte Raoul, sich zum Gehen wendend.

»Kein Gesang, kein Blumengruß! Dein römisches Abenteuer ist à la lettre zu Ende. Es war hohe Zeit, denn Du hattest gerade noch genug Verstand behalten, um zu bemerken, daß Du nahe daran warst, ihn zu verlieren,« lachte ich.

Er zwang sich zu einem Lächeln, und nach schweigender Uebereinkunft wurde des Vicolo und der Sängerin nicht mehr zwischen uns erwähnt. –

Acht bis zehn Tage waren vergangen. Eckartsberg hatte noch immer keine Nachricht von seiner Frau; ein Brief ihrer Mutter war eingelaufen, aus dem hervorging, daß diese ihre Tochter in Rom vermuthete und keine Ahnung von ihrer Abreise hatte. Raoul fing an, ernstlich besorgt zu werden; was seine Lage am unbehaglichsten machte, war, daß er absolut nicht wußte, wie sich Gewißheit über den Aufenthalt Vincentens zu verschaffen, da er ihre Adresse nicht hatte.

Sie mußte längst in der Schweiz eingetroffen sein – warum zeigte sie ihm nicht ihre Ankunft an? Sie mußte sich doch denken, daß er ihretwegen unruhig war. Dieses Warten auf einen Brief, eine Depesche fesselte ihn an Rom, das er sonst gern verlassen hätte; er vermied den Verkehr mit Menschen, weil er stets Fragen nach seiner Frau zu hören bekam, die er mit nichtssagenden Redensarten beantworten mußte. Unterdessen ordnete er seine Angelegenheiten, machte die nothwendigsten Abschiedsbesuche, um jeden Augenblick zur Abreise fertig zu sein. Ich hatte ihm zugeredet, mit mir nach Neapel zu gehen, er bedurfte der Zerstreuung, die fortwährende Spannung und Unruhe griffen ihn an, er sah übel aus und ich wünschte lebhaft eine Luftveränderung für ihn. Er war indessen nicht zu bewegen, mich zu begleiten; so gab auch ich meinen Plan auf und wir kamen überein, gemeinschaftlich die Heimreise anzutreten. Vier Tage wollten wir noch warten, kam binnen dieser Zeit keine Nachricht von Vincente, so wollte Eckartsberg direkt zu ihren Eltern reisen, um sich da wenigstens Aufklärung zu holen.

Drei von diesen vier Tagen waren vorüber, wir sollten morgen Abend mit dem Nachtzuge abfahren. Der Hausstand war aufgelöst, die Dienerschaft bis auf den würdigen Francesco entlassen, Koffer und Kisten gepackt und dem Spediteur übergeben; Raoul hatte nur noch mit der Padrona abzurechnen, die von den abwesenden Besitzern mit der Verwaltung des Palastes an der Piazza S. Apostoli betraut war. Signora Falconi war eine korpulente Dame, deren Gesicht Spuren großer Schönheit zeigte; auf der Straße und zur Messe erschienen sie und ihre niedliche Tochter in Toiletten von Sammet und Seide, nach neuestem pariser Geschmack gepufft und gerafft; die Alte befand sich sogar im Besitz eines echten türkischen Shawls, der allein genügte, sie in eine vornehme Dame zu verwandeln. Innerhalb der Mauern des Palastes trugen sie sich jedoch äußerst salopp kostümirt, ein schlumpiger, dunkler Rock und ein Nachtjäckchen bildeten ihren Hausanzug, und es genirte sie keineswegs, sich vor uns in demselben zu zeigen. Ob die Signora und das junge Mädchen lesen und schreiben konnten, blieb ein unerfindliches Geheimniß; wir hatten gegründeten Anlaß, daran zu zweifeln, obgleich sie mit vieler Geschicklichkeit vermieden, sich in dieser Beziehung eine Blöße zu geben. Bald war es ihre Kurzsichtigkeit, bald die fremde Handschrift oder die deutschen Lettern, wenn sie eine Adresse oder Rechnung nicht lesen konnten eine Entschuldigung hatten sie stets bei der Hand.

Raoul hatte die sehr hohe Miethe der Signora eingehändigt und sie darüber mit einem mystischen Schnörkel quittirt; sie mußte noch etwas auf dem Herzen haben, denn sie ging nicht.

» Scusi Eccellenza,« fing sie an, »dero Noblesse ist außerordentlich, und ich bin nicht mit allen fremden Herrschaften so gut fertig geworden, doch bleibt noch ein kleiner Konto zu berichtigen. Die gnädige Baronessa hat wahrscheinlich vergessen, daß das Zimmer im dritten Kortile Cortile‹ bedeutet eigentlich ›Hof‹. nicht in der Miethe mit inbegriffen war. Aber ich sagte ausdrücklich – Eccellenza brauchen die Frau Gemahlin nur zu fragen – daß das Zimmer besonders bezahlt werden müßte. Nicht, weil es so kostbar ist,« fuhr sie mit anschwellender Geläufigkeit fort, »nein, ich belüge die Herrschaften nicht, es ist sogar recht vernachlässigt, wie der ganze Theil des Palastes, der niemals vermiethet werden konnte, weil die forestieri nicht lieben, nach einem engen, finstern Vicolo hinaus zu wohnen – aus Rücksicht für die Gesundheit, Eccellenza, denn die Räume sind groß und hoch, und mit ein paar hundert Franken ließe sich ein prächtiges appartemento herstellen – kostbar also ist das Zimmer nicht, und ich würde es wahrhaftig nicht in Anschlag gebracht haben, hätte ich nicht die Verbindung wieder einrichten lassen müssen, die seit vielen Jahren unbenutzt war. Die Herren stellen sich nicht vor, wie großartig dieser Palazzo ursprünglich gewesen ist, mehrere Höfe und Nebengebäude gehörten dazu; jetzt ist Alles verbaut, zu kleinen Wohnungen umgeschaffen, die langen Korridore, die nach dem ältesten Theile führen, sind vermauert oder durch eiserne Thüren abgesperrt, und so mußte ich, damit die gnädige Baronessa nicht den Umweg über die Straße zu machen brauchte, eine Wand und eine Thür herausnehmen lassen. Dann mußten Korridor und Treppen gereinigt werden, das hat Geld gekostet, denn die Leute thun bekanntlich nichts umsonst und die Handwerker am wenigsten.«

»Ich verstehe Sie nicht, Signora, von welchem Zimmer sprechen Sie?« fragte Eckartsberg, die redselige Dame verwundert anblickend.

»Von dem, in das die Baronessa ihr Piano aufstellen ließ, um ungestört musiziren zu können. Liebe Signora Falconi, sagte sie zu mir, mein Mann hat sehr empfindliche Nerven und der Arzt hat ihm streng verboten, Musik zu hören; da er aber ausnehmend gut und rücksichtsvoll gegen mich ist, würde er lieber seine Gesundheit gefährden, als mir eine Freude versagen. Er darf deßhalb gar nicht erfahren, daß ich spiele und singe, sonst würde er gleich darauf bestehen, das Piano in den Salon zu transportiren. Haben Sie nicht ein Zimmer, das so weit abliegt, daß mein Mann unmöglich gestört werden kann? Ich dachte nach und erwiederte dann, ich glaubte ihr dienen zu können, wenn es ihr nicht zu unbequem wäre, treppauf und treppab und durch finstere Korridore zu gehen; der Theil des Palastes, von dem ich spräche, sei von dem Hauptgebäude durch ein Straßenviertel getrennt, fremde Leute wüßten gar nicht, daß da noch eine Kommunikation bestände. ›Das ist gerade, was ich brauche,‹ rief die Gnädige, vor Vergnügen in die Hände klatschend, ›lassen Sie Alles sofort in Stand setzen, Sie können dafür verlangen, was Sie wollen!‹ So drückte sich die Baronessa aus, und nach zwei Tagen konnte das Instrument aufgestellt werden. O, wie sie sang! Ich und meine Tochter, wir schlichen uns manchmal in's Nebenzimmer, um ihr zuzuhören, und wir mußten oft Beide weinen, weil die Stimme so süß und rührend klang, sie ging Einem bis in's Herz. Ja, ja, eine solche Stimme könnte das Glück eines armen Mädchens wie meiner Clelia machen, eine vornehme Dame hat sie gar nicht nöthig.«

Wir waren Beide aufgesprungen und die korpulente Signora an den Armen schüttelnd, riefen wir, wie aus einem Munde:

»Nach dem Vicolo delle Grazie liegt das Zimmer hinaus!«

» Si, si,« antwortete die erschrockene Dame; »kennen die Herren die häßliche Gasse? Sie ist sehr schmutzig, und das Municipio sollte sich schämen, mitten in der Stadt so schlecht für die Reinlichkeit zu sorgen. Nun, die Baronessa sah nicht zum Fenster hinaus, sie öffnete es nur der frischen Luft wegen; am Tage kam sie fast nie hin, erst am späten Abend ging sie hinüber, die Kammerjungfer trug die Lampe voran und die junge Dame huschte wie ein Fledermäuschen durch die langen Gänge. Sie fürchtete sich nicht ein bischen, das Düstere und Einsame gefiel ihr sogar, ich hatte nichts im Zimmer ändern dürfen, die alten, schwarzen Familienbilder mußten hängen bleiben, obgleich sie in der Nacht recht grauslich aus den Rahmen blickten.«

Raoul drückte der geschwätzigen Signora das Doppelte der verlangten Summe in die Hand und schob sie zur Thür hinaus.

»Vincente!« rief er, sich vor die Stirn schlagend, »sag' mir, Lewin, ob ich träume oder verrückt bin?«

»Du thust weder das Eine, noch bist Du das Andere, und im Uebrigen hast Du sehr wenig Wein bei Tische getrunken.«

»Vincente, die geheimnißvolle Sängerin mit der wunderbaren Stimme! Ich kann es noch nicht fassen! Warum aber hat sie sich mir so ganz anders gezeigt als sie ist?«

Er lief im Zimmer herum und ich rieb mir vor innerem Wohlbehagen die Hände; er war in gutem Zuge, wenn er jetzt noch ein paar Tage zappelte, wurde er so wahnsinnig verliebt in seine Frau, daß Romeo im Vergleich zu ihm ein mattherziger Bursche war.

»Doch, was bezweckte sie mit diesem grausamen Spiel?« fragte er, stehen bleibend. »Hat sie mich etwa bloß demüthigen wollen? Die Frauen sind unergründlich, vielleicht ist es eine fein ausgeklügelte Rache, daß sich mir die köstliche Perle in ihrem vollen Glanze erst enthüllt, da ich sie verlieren soll!«

»Strafe hast Du verdient,« entgegnete ich ungerührt, »in Zukunft wirst Du nichts verwerfen, was Du nicht geprüft hast. Du hast sie an ihrer empfindlichsten Stelle gekränkt, in dem, was ihr die edelste Seite ihres Wesens ist, es wird Dir nicht leicht werden, dieses Verkennen gut zu machen.«

»Und nicht zu ahnen, wo sie ist, nicht zu ihr eilen zu können!« rief er leidenschaftlich.

Ja, das war das Schlimmste, mich beunruhigte dieses unerklärliche Schweigen mehr, wie ich es mir merken ließ. Da öffnete sich die Thür und Francesco trat mit einem Brief in der Hand herein. Auf ihn zustürzen und ihm denselben entreißen, war das Werk eines Augenblicks.

»Nicht von ihr,« sagte Eckartsberg, ihn auf den Tisch werfend.

»Laß sehen … aus Firenze – hast Du dort einen Korrespondenten? Und noch dazu einen weiblichen, denn das ist eine Frauenhand und zwar eine, deren Hauptbeschäftigung nicht das Schreiben ist … Vielleicht doch Nachricht von Vincente.«

Er riß das Couvert ab und einen Blick auf die Unterschrift werfend, sagte er erregt: »Von Babette!« Hastig überflog er den Inhalt. »Meine arme, kleine Vincy!« flüsterte er, die Augen mit der Hand bedeckend und den Brief der Kammerjungfer fallen lassend. Dann zog er so heftig die Klingel, daß Francesco Hals über Kopf hereinstürzte.

»Wann geht der Nachtzug nach Florenz?«

»In zwei Stunden, Eccellenza.«

»Schließen Sie die Koffer, einen will ich mitnehmen, die anderen können Sie mir nachschicken.«

»So wollen der Herr Baron heute abreisen?« fragte der Diener. »Vor Tische befahlen Sie mir, die Vorbereitungen für morgen zu treffen.«

»Der Brief, den Sie mir eben gebracht, zwingt mich zu höchster Eile, mein guter Francesco. Gehen Sie und sorgen Sie für das Nöthigste.«

Unterdessen las ich die Epistel von Jungfer Babette, die folgendermaßen lautete:

 

»Hochverehrtester, gnädigster Herr Baron!

Verzeihen Euer Gnaden, daß ich mir die Freiheit nehme, zu schreiben, aber ich halte es für meine Pflicht, trotzdem die gnädige Frau mir verboten hat, es zu thun. Die Verantwortung ist jedoch groß für mich, wenn ich es unterlasse, in Anbetracht unserer Lage, und ich fürchte, daß die Frau Mutter der Frau Baronin, der ich so viel verdanke, es mir nie verzeihen würde, wenn ich in diesem Stück meiner Herrin gehorchte. Wir sind seit zehn Tagen in Florenz, weil die gnädige Frau krank geworden ist. Die Frau Baronin wollte nicht in einem ersten Hotel absteigen, um nicht etwa mit Bekannten zusammenzutreffen, und so wählte sie ein italienisches, das zwar im Reisebuch empfohlen ist, aber, mit Respekt zu sagen, nicht besser wie eine Räuberhöhle aussieht. Der Wirth, die Kellner, alle Leute im Hause haben citronengelbe Gesichter und so pechschwarze Augen, daß es zum Fürchten ist. Dabei ist es greulich schmutzig und ein ewiges Lärmen und Zanken auf den Treppen. Meine arme Herrin mußte sich gleich legen, da sie sich recht krank fühlte, und am zweiten Tage sagte ich dem Wirth, den besten und berühmtesten Arzt rufen zu lassen. Der Wirth schwor, es gäbe in ganz Italien keinen berühmteren wie den Doktor Mattei, und wir mußten ihm glauben, weil wir keinen andern kannten. Doktor Mattei kam und erklärte, die gnädige Frau habe sich das römische Fieber mitgebracht, wie lange es dauern würde, könnte er nicht vorhersagen, an Weiterreisen sei natürlich nicht zu denken. Darauf fragte ich, ob er uns nicht ein besseres Hotel oder ein Chambregarni empfehlen könnte, hier mißfalle sich die gnädige Frau im höchsten Grade und es sei kein Aufenthalt für eine Kranke. Der Herr Doktor wurde förmlich wüthend und behauptete, wir könnten nicht besser aufgehoben sein, das Hotel wäre vortrefflich, der Wirth ein ehrlicher Mann, außerdem würde er nicht erlauben, daß die Kranke sich der Luft aussetze, was bei einem Logiswechsel unvermeidlich wäre. Wahrscheinlich steckt er mit dem Wirth, der uns die unverschämtesten Rechnungen macht, unter einer Decke, und geholfen haben seine Pulver und Pillen bis jetzt auch nicht. Die gnädige Frau ist durch das Fieber sehr nervenschwach geworden, sie weint den ganzen Tag und jedes Geräusch im Hause jagt ihr Angst ein. Ich muß immer die Thür verschlossen halten, und wenn der Arzt kommt, den sie nicht leiden mag, darf ich mich nicht aus dem Zimmer rühren. Von Tag zu Tag hofft sie, weiter reisen zu können, doch die Fieberanfälle kehren immer wieder, und der Doktor Mattei scheint mir – verzeihen der Herr Baron – ein rechter Esel zu sein. Ich habe die gnädige Frau himmelhoch gebeten, doch ihren Eltern oder dem Herrn Baron zu schreiben, aber sie wurde böse und verbot mir den Mund; nur an die Frau Tante in der Schweiz hat sie telegraphirt, daß sie sich einige Zeit in Florenz aufhalten würde, weil ihr die Stadt gut gefiele. Nicht ein Wörtchen hat sie von ihrer Krankheit verlauten lassen. Heute nun war die gnädige Frau so angegriffen und traurig, sie sah so blaß und leidend aus, daß mir Angst wurde und ich mir vornahm, zum ersten Mal gegen ihren Willen zu handeln. So habe ich mich denn, während meine arme, gnädige Frau schläft, hingesetzt, um dem Herrn Baron zu schreiben und zu bitten, daß Sie kommen, uns aus dieser Räuberhöhle zu befreien, da sich der Wirth und der saubere Doktor verschworen haben, uns nicht eher herauszulassen, als es ihnen paßt.

Albergo di Pistoja, Via de' Pazzi.

Dero unterthänigste Dienerin

Babette Zopfinger.«

 

So üble Erfahrungen hatte also die junge Frau bei ihrem ersten selbstständigen Schritt in's Leben gemacht! Wie einsam und verlassen mochte sie sich in dem fremden Hotel fühlen, nur von citronengelben Gesichtern mit pechschwarzen Augen umgeben! Für die nächste Zeit würde sie, sowie Jungfer Babette, jedenfalls die Blonden vorziehen.

Es mochte schon sein, daß es das römische Fieber war; auf der Rückfahrt vom Kolosseum hatte sie sich erkältet und den Krankheitsstoff mit auf die Reise genommen.

»Du willst noch heute Nacht nach Florenz?« fragte ich Eckartsberg, als Francesco sich entfernt hatte.

»Du frägst!« antwortete er heftig. »Ich vergehe vor Ungeduld, dort zu sein … Meine arme Vincy, krank und traurig, in den Händen von Schuften, die sie ausplündern! Ich verspüre große Lust, dem Wirth und dem Doktor die Hälse umzudrehen.«

»Da werde ich Dich lieber begleiten. Ihr äußerlich ruhigen Menschen seid der wahnsinnigsten Dinge fähig, wenn ihr einmal in Zorn gerathet. Du wärest im Stande, einen Riesenskandal zu verüben.«

»Das nicht, aber ich will es nicht verreden, daß ich die beiden Ehrenmänner nicht mit der Reitpeitsche traktire. Zehn Tage ist sie bereits in der Räuberhöhle! Es gibt nichts Widerwärtigeres, als im Hotel, selbst in dem besten, krank zu liegen, da alle Einrichtungen nur für Gesunde berechnet sind, geschweige in einer Spelunke!«

Der Rest von Groll, den Vincentens unüberlegte That in ihm zurückgelassen, löste sich in innigstes Mitgefühl auf, und trotz der unruhigen Sorge, die er um sie trug, war er glücklich bei dem Gedanken, sie bald wieder zu sehen. Von dem Nimbus der wunderbaren Stimme umgeben, war sie ihm ein ganz neues Wesen, zu dem sich sein Verhältniß erst bilden sollte.

Seine Ruhelosigkeit erhielt auch mich während der nächtlichen Fahrt munter, obgleich ich mich sonst eines gesunden Schlafes im Eisenbahnwagen erfreue. Der spät aufgehende Mond enthüllte uns die malerischen Schönheiten des Weges zwischen Rom und Florenz. Das hoch thronende Perugia schimmerte weiß von den Felsen herab, der trasimenische See glich in seiner Unbeweglichkeit einem riesigen Silberspiegel, – es war wohl eine Nacht, um an Liebe zu denken und von Liebe zu sprechen … Wie sanft sie geworden sein mochte, die trotzige Vincy, die mich durchaus hatte einsperren wollen! Die kleine Zauberin, die uns genarrt und die mit ihren süßen Tönen zwei so verständige Köpfe, wie der Raoul's und der meine waren, verwirrt hatte! –

Um acht Uhr Morgens waren wir in Florenz angelangt. Wir fuhren nach dem Hotel d'Italie, um die Koffer abzugeben und Zimmer zu bestellen; für die Frau Baronessa und deren Jungfer, die mit dem nächsten Zuge ankommen würden, forderten wir die bequemsten und schönsten, mit dem Blick auf den Arno. Dann ging es sofort nach der Via de' Pazzi. Gott, welch' enge, schmutzige, von Trödel- und Gemüsekram vollgestopfte Gasse! Sie erinnerte täuschend an den Vicolo delle Grazie, mit dem Unterschied, daß sich hier eine schreiende, lachende, zankende Menge herumstieß und drängte, während dort außer ein paar Katzen kein lebendes Wesen zu erblicken gewesen war. Unser Fiaker mußte mit größter Vorsicht sich hindurchwinden, um nicht ein paar Kinder oder Weiber, einen Makkaronikessel, eine Frittarapfanne oder einen Salatkorb umzureißen, was uns natürlich in endlose Verhandlungen verwickelt hätte. Und nun das Albergo! Ein schmales, hohes Haus, das sich in einen finstern Hof erstreckte, der Eingang so eng, daß Menschen von einigem Umfange darin stecken bleiben mußten; eine richtige Mausefalle, und es saß ja auch ein kleines, niedliches Mäuschen darinnen, das der Hauskater nicht freigeben wollte.

Ein verschlafener, struppiger Kellner, der sich nur ausnahmsweise waschen mochte, fragte, ob wir Zimmer wünschten?

Wir wünschten bloß, zu der deutschen Dame geführt zu werden, die seit zehn Tagen hier logirte. Da der Jüngling die in unserem feinsten Italienisch vorgebrachten Worte nicht gleich verstand, war es mit Raoul's 'Geduld vorbei.

»Zum Teufel mit Ihnen, Sie tauber Halunke! Zeigen Sie uns augenblicklich die Zimmer der Dame!« schrie er ihn auf deutsch an, ihn derb schüttelnd.

»Die Herren wollen zur Baronin?« sprach der Kellner in unverfälschtem schweizer Dialekt und lächelte uns blöde an. »Hätten Sie es gleich auf Dütsch gesagt, das Italienische verstehe ich noch nicht recht.«

»Vorwärts!« befahl mein Freund, »schweigen Sie und zeigen Sie uns den Weg.«

Der Stolz des freien Schweizers schien sich gegen diese herrische Art empören zu wollen, doch ein Blick auf unsere hohen, kräftigen Gestalten besänftigte sein republikanisches Selbstgefühl. Mit dem andern Arm in den Rock fahrend, den er, um die Fremden zu empfangen, halb angezogen hatte, schritt er uns voran, über eine steile, halsbrechende Treppe, durch einen langen, finstern Gang.

«Hier ist es!« sagte er, auf eine Thür deutend.

»Melden Sie uns an,« bedeuteten wir ihn.

»Ist nicht nöthig, klopfen Sie nur, dann wird die Kammerjungfer schon öffnen.«

Er drehte sich um und ließ uns stehen, ohne sich weiter um uns zu bekümmern, im Fortgehen griff er nach den vor den Thüren liegenden Stiefeln, das Putzen derselben gehörte wahrscheinlich zu seinen Obliegenheiten.

Raoul zögerte, er fürchtete, daß die Ueberraschung Vincente zu heftig alteriren könnte, es blieb ihm jedoch nichts übrig, als den Rath des dickköpfigen Kellners zu befolgen und leise anzupochen.

» Chi è?« fragte drinnen eine weibliche Stimme.

» Amici, Freunde!« antwortete Eckartsberg.

Der Riegel wurde zurückgeschoben und die Thür ein wenig geöffnet – das niedliche Stumpfnäschen der Zofe streckte sich vor. »Der Herr Baron!« rief sie halblaut; welches Glück, daß Sie da sind, ich wußte mir schon keinen Rath mehr.« Sie trat zurück, um uns herein zu lassen. »Die gnädige Frau ist schon aufgestanden, es ist heute nicht der Fiebertag und sie fühlt sich daher wohler, aber der Herr Baron werden sie dennoch sehr verändert finden.«

Sie knixte, warf mir einen wohlwollenden Blick zu, der ungefähr sagen wollte: »Ueber Dich bin ich beruhigt, Du betest meine Herrin im Stillen an,« und schlüpfte in Nebenzimmer, dessen Thür sie nicht ganz schloß.

Die junge Frau lag in einem weißen Morgenkleide, mit aufgelöstem Haar auf einer Chaiselongue, – wie bleich und leidend sie aussah, die arme Kleine!

Eine feine Diplomatin war Babette nun eben nicht und auf das Vorbereiten verstand sie sich gar nicht.

»Es ist Besuch da, gnädige Frau,« stotterte sie mit verlegener Miene.

»Besuch?« Sie richtete den Kopf ein wenig auf. »Wer könnte da sein?« fragte sie, und die liebe, süße Stimme zitterte.

»Ich glaube,« – das »Ich glaube« war köstlich, – »der gnädige Herr!«

Raoul war nicht länger zu halten. »Vincy!« rief er, und der Ton mußte wohl einen eigenen Klang haben, denn über das reizende Gesicht der jungen Frau ergoß sich glühende Röthe und ihre Augen leuchteten.

»Raoul … verzeih' – verzeih' mir!«

Da lag sie auch schon an seiner Brust, das goldbraune Haar überflutete seine Arme, er drückte die zarte Gestalt leidenschaftlich an sich, – und ich zog leise die Thür zu …

Es gilt im Allgemeinen nicht für anständig, sich mit Kammerzofen zu unterhalten, ich verstieß jedoch dießmal mit Bewußtsein gegen die Gesetze des Anstandes, indem ich mich in ein Gespräch mit Mademoiselle Babette einließ, die sich heimlich die Thränen abwischte. Ich sagte ihr, daß sie im Laufe des Vormittags diese Spelunke verlassen sollte, sobald sich der Doktor S., bei dem wir soeben vorgefahren waren, über den Zustand der Baronin geäußert haben würde.

»Mir fällt ein Stein vom Herzen, daß dieser Signore Mattei die gnädige Frau nicht mehr behandeln wird!« rief sie. »Sie können sich nicht vorstellen, Herr von Lewin, wie unheimlich er aussieht, genau so, als ob er seine Patienten unter Umständen vergiften könnte! Ich habe in Romanen dergleichen gelesen.«

Dann erzählte sie von den mancherlei Unannehmlichkeiten der Reise. Die Baronin und sie hatten zuerst allein im Coupé gesessen, doch bereits auf der nächsten Station war ein Fremder, ein Russe, eingestiegen, der die junge Frau vorher durch das Fenster angestarrt hatte. Er knüpfte alsbald eine Unterhaltung an und ließ sich weder durch die einsylbigen Antworten noch das gänzliche Verstummen abschrecken, sie weiter zu führen. Ohne gerade zudringlich oder unfein zu werden, drückte er seine Bewunderung ziemlich unverhüllt aus, so daß die Baronin immer verlegener und ängstlicher wurde. Auf dem Bahnhof in Florenz hatten sie fast ihr Gepäck im Stich gelassen, bloß um sich dem Diensteifer des Fremden schleuniger zu entziehen, der durchaus erfahren wollte, in welchem Hotel sie absteigen würden. Am folgenden Tage fühlte sich die Baronin zu unwohl, um die Weiterreise fortsetzen zu können; da sie glaubte, daß ihr in der frischen Luft besser werden würde, fuhr sie mit Babette nach den Cascinen, und der Erste, dem sie dort begegneten, war der Fremde, der sich beeilte, seine schöne Reisegefährtin zu begrüßen und der seinen Wagen immer dicht hinter dem ihrigen fahren ließ. Diese Verfolgung erregte die junge Frau, die an derartige, unverblümte Huldigungen nicht gewöhnt war, bis zu Thränen, sie wagte nicht die Augen aufzuschlagen, weil sie überall dreist auf sich gerichtete Blicke gewahrte. Durch allerlei schlaue Manöver gelang es ihr, für dießmal den Nachstellungen des Russen zu entgehen, aber sie getraute sich nicht mehr das Hotel zu verlassen, aus Furcht, dem Verfolger in die Arme zu laufen. Er mußte ihren Aufenthalt richtig ausgekundschaftet haben, denn Babette hatte ihn einige Tage später, als die Baronin schon krank war, vorübergehen und starr nach den Fenstern hinaufblicken sehen. Sie hielt so vorsichtig die Thür verschlossen, weil sie fürchtete, er könnte durch Bestechung des Wirthes oder der Kellner unvermuthet in ihr Zimmer dringen … Ich rieb mir die Hände – er sollte nur kommen, der Herr Russe, er sollte sich nur erdreisten, das Auge zu Vincente zu erheben! Als Schütze nahm ich es mit Jedem auf! – Mein tête-à-tête mit der hübschen Zofe hätte noch sehr lange gedauert, denn Raoul, der mich dringend zu warten gebeten, schien meine Existenz vollständig vergessen zu haben und die Erklärungen, Auseinandersetzungen, Bekenntnisse im Nebenzimmer wollten kein Ende nehmen, wenn nicht der Doktor S., der ausgezeichnetste Arzt der Stadt, angelangt wäre. Eckartsberg begrüßte ihn und führte ihn zu seiner Frau; bald darauf kam er zu mir zurück, um mir mitzutheilen, daß er sich zu den Glücklichsten der Sterblichen zähle, Vincy habe ihm verziehen oder er ihr – was dasselbe war – er würde mir später das Nähere erzählen, augenblicklich möchte ich ihm den Gefallen thun, einen geschlossenen Wagen holen zu lassen, der Arzt hätte gemeint, daß die kurze Fahrt nach dem Hotel d'Italie der Kranken, die er bald herzustellen hoffte, nicht schaden würde.

Was thut man nicht aus Freundschaft? Wie ein Kommissionär trabte ich selber nach dem nächsten Fiakerplatz, um den bequemsten, besten Wagen auszusuchen. Dafür drückte mir die Baronin beim Einsteigen die Hand und dankte mir herzlich, daß ich Raoul in den letzten Tagen treu zur Seite gestanden.

Im Uebrigen kümmerte sich das Ehepaar mit dem, allen Glücklichen eigenen Egoismus absolut nicht um mich. Ich blieb zurück, um mit dem Wirth der Räuber-, vielmehr Schmutzhöhle abzurechnen, welches Geschäft erst dann einen gedeihlichen Fortgang nahm, als ich mit einigen kräftigen, deutschen Flüchen dazwischen gefahren war; ich sorgte dafür, daß Mademoiselle Babette mit Schachteln und Koffern ihrer Herrin nachexpedirt wurde. Dann gönnte ich mir ein gutes Frühstück, das ich wohl verdient hatte, durchwanderte die Uffizien, blickte in einige Kirchen hinein, flanirte am Lungarno Arnopromenade., und als ich um sechs Uhr in's Hotel zurückkehrte, hatte Raoul meine Abwesenheit noch nicht einmal bemerkt. Er dinirte natürlich mit seiner Frau, und erst als diese sich auf sein Zureden nach Tisch etwas ausruhte, kam er zu mir, um in meinem Zimmer eine Cigarre zu rauchen. Während wir uns behaglich in den Schaukelstühlen wiegten, die wir auf den Balkon hinausgeschoben, löste er mir das Räthsel der geheimnißvollen Sängerin aus dem Vicolo delle Grazie. Es war kein vorgefaßter Plan gewesen, der Vincente zu dieser Mystifikation bewogen; sich in ihrem gerechten Stolz verletzt fühlend, hatte sie sich das Wort gegeben, ihr herrliches Talent ihrem Manne so lange zu verbergen, bis der Zufall die Entdeckung herbeiführen würde. Das entlegene Zimmer in dem alten, wüsten Palazzo, das Geheimniß sagten ihrem etwas phantastischen Sinne zu. Als Raoul sich zum ersten Mal in den Vicolo verirrte und ihrem Gesange so enthusiastisch applaudirte, hatten ihre jungen, scharfen Augen ihn, der im Lichtkreis der Gaslaterne stand, sofort erkannt, und da erst kam ihr der Gedanke, mit ihrem Gatten einen kleinen Roman zu spielen. Er sollte sich in die Unbekannte, Unsichtbare verlieben, und sie hoffte seine Leidenschaft derartig zu steigern, daß er Alles daran setzen würde, den Schleier zu lüften, der sie umhüllte. Daß er Festigkeit genug besaß, die Grenze musikalischer Schwärmerei nicht zu überschreiten, freute und ärgerte sie zugleich; freute sie, weil sie daraus die Tüchtigkeit seines Charakters ermaß, – ärgerte sie, weil es ihr nicht gelang, ihn ganz und gar zu berücken. Je weiter sie dieses Versteckspielen trieb, um so schwieriger wurde es, eine Lösung zu finden; sie wollte errathen sein, und es galt ihr als Beweis der geringen Sympathie, die er für sie fühlte, daß seine Vermuthungen sich nicht im Entferntesten auf sie richteten. Die Dazwischenkunft der Contessa steigerte die Verwicklung; mit echt weiblicher Selbstquälerei that sie, was sie konnte, um Raoul in dem Gedanken zu bestärken, daß diese die Sängerin sei; sie wollte erproben, ob ihm das schöne Weib nicht noch gefährlicher werden würde als die schöne Stimme. Der jungen Frau wuchs die Verwirrung schließlich über den Kopf, sie wußte nicht ein noch aus, die Verstimmung zwischen ihr und ihrem Gatten wurde täglich größer, sie wurden sich immer fremder, und sie hatte nicht den Muth, ihm das zu gestehen, was er einen schlechten Scherz genannt haben würde. Leidenschaftlich, wie sie war, entriß sie sich gewaltsam ihrer unerträglichen Lage durch die Abreise. In vollem Ernst dachte sie an Scheidung, der Brief, den sie an Raoul zurückgelassen, war unter bitteren Thränen geschrieben; aber – ich hatte richtig prophezeit – schon im Eisenbahnwagen erwachte die Reue, je weiter sie sich von ihrem Gatten entfernte, um so mehr sehnte sie sich nach ihm zurück. Das trotzige Köpfchen tyrannisirte jedoch das liebende Herz, sie mußte die Festigkeit ihres Charakters beweisen, indem sie die Konsequenzen des übereilten Schrittes auf sich nahm. In ihrem Kummer tröstete sie die leise Hoffnung, daß er vielleicht versuchen würde sie zu halten, daß er sie nicht zu leichten Kaufes aufgeben würde, – that er es dennoch so mußte sie der Sache ihren Lauf lassen. –

Eigentlich hatten ich und Babette das alleinige Verdienst an der nun erfolgten Versöhnung, ich hatte rechtzeitig gesprochen, sie rechtzeitig geschrieben, wir durften Beide Anspruch auf eine Belohnung erheben; sie erhielt die ihrige bald, ich sah sie ein paar Tage später in einem schwarzseidenen Kostüm, dessen Eleganz ich kurz vorher an der Baronin bewundert. Meine Belohnung war negativer Art – ich wurde überflüssig. Aus Höflichkeit hatte mich Raoul aufgefordert, den Abend im Salon seiner Frau zu verbringen; Beide benahmen sich auch so liebenswürdig gegen mich, wie man es von gut erzogenen Menschen erwarten konnte, doch hatten sie nur Augen und Ohren für einander und ich bemerkte, daß sie sich zeitweise einen förmlichen Ruck geben mußten, um sich meine Gegenwart in's Gedächtniß zu rufen. Vincente funkelte von Geist und Schalkhaftigkeit.

»Morgen ist mein Fiebertag,« sagte sie, »ich muß also heute doppelt gesund sein!«

Dann setzte sie sich an den Flügel und sang Ich hatte dieser Stimme Unrecht gethan, sie bedurfte nicht des Geheimnisses und der Nacht, um zu wirken, im tageshell erleuchteten Salon klang sie ebenso wundervoll und hinreißend. Raoul stand neben ihr und seine Blicke hingen an dem schönen, ausdrucksvollen Gesicht, das sich ihm lächelnd zuwandte. Ich flüsterte ihm zu, er solle sie nicht zu viel singen lassen, wenn auch heute wohler, sei sie doch immer noch Patientin und müsse geschont werden. Er hörte meine Worte gar nicht, er hatte überhaupt vergessen, daß ich im Zimmer war. Als sie intonirte:

»Es rauschen die Wipfel und schauern,
Als machten zu dieser Stund'.
Um die halbversunkenen Mauern
Die alten Götter die Rund' …«

schlich ich mich auf den Zehen der Thür zu, und als es hieß:

»Es redet trunken die Ferne
Wie von künftigem großem Glück«

schlüpfte ich ohne Abschied hinaus. –

*

Vor Kurzem habe ich Eckartsberg und seine junge Frau wiedergesehen. Die zwei Jahre, die Vincente älter geworden, haben dem reizenden Gesicht nichts von seiner rosigen Frische geraubt; die Locken kräuseln sich noch ebenso eigensinnig um die weiße Stirn, und wenn ihr Etwas nicht behagt, kann sie die Lippen noch ebenso trotzig aufwerfen. Sie ist eine der gefeiertsten Damen, nicht bloß ihrer Schönheit und Anmuth, sondern namentlich ihres wunderbaren Gesanges wegen. Ich darf nicht verschweigen, daß Raoul unter dem allerniedlichsten Pantoffel zu stehen scheint, Vincy wickelt ihn um ihren kleinen Finger, sehr diskret und graziös natürlich. Er ist eifersüchtig wie ein Türke, und ich dürfte jetzt nicht riskiren, ihm in so begeistertem Ton von seiner Frau zu sprechen wie damals in Rom; eine geheime Unterredung vollends wäre eine Tollkühnheit, der eine Kugel oder ein Degenstoß auf dem Fuße folgen würde. Nach vielen Bitten meinerseits erlaubte er ihr zu singen, und als ich ihm Vorwürfe machte, daß er so egoistisch sei, sich an diesem herrlichen Talent allein erfreuen zu wollen, antwortete er:

»Es ist nur Vorsicht, mein Freund! Jeder, der sie hört, muß den Kopf verlieren, – ich habe es an mir erfahren.«

 


 << zurück