Björnstjerne Björnson
Auf Gottes Wegen
Björnstjerne Björnson

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Vorbemerkung

Björnstjerne Björnson, neben Ibsen der größte lebende Dichter Norwegens, wurde am 8. Dezember 1832 als Sohn des Pastors von Kvikne im Österdal geboren. Rauh war die Gegend; im Winter reichte der Schnee oft bis ans erste Stockwerk; rauh waren die Bewohner, und nur die Riesenkraft ihres Seelenhirten vermochte ihren widerspenstigen Sinn zu zügeln. Im Jahre 1838 wurde der Pastor in das Romsdal versetzt und die herrliche Landschaft mit dem gut bebauten Talgrund, den übereinandergetürmten Bergen, dem Gewirre von Flüssen und Wasserfällen und dem prächtigen Fjord wirkte durch den Gegensatz um so tiefer. Oft, wenn der Knabe auf seinen Schneeschuhen dahergefahren kam und die Gegend im Spiele der Sonnenstrahlen dalag, ergriff ihn dies mit solcher Macht, daß er zugleich mit aller Schönheit auch die tiefste, schmerzlichste Sehnsucht empfand. Das reichbewegte Volksleben um ihn herum, die offenen, lebhaften, hitzigen und launenhaften Romsdaler – all dies bot Gelegenheit zu sehen und zu hören und den Dichtergeist zu nähren. In der Schule zu Molde lernte er wenig, las aber um so mehr – Romane, Märchen, Volkslieder und die alten Sagen. Mit siebzehn Jahren kam er nach Christiania; sein Redetalent, sein feuriger Charakter machten ihn bald zu dem einflußreichsten Jüngling der Universität. Der Besuch des Theaters wirkte stark auf ihn ein und er begann Kritiken zu schreiben, – nicht, weil er dafür eben Beruf fühlte, »sondern weil es ihm in den Fingern kribbelte«. Er schrieb Lieder, welche die Bauern daheim sangen, er schrieb ein Schauspiel, das angenommen wurde, welches er aber zurückzog und vernichtete, und dann mit größerer Reife und Einsicht in 14 Tagen das kleine Drama: »Zwischen den Schlachten«. Damit war sein wirklicher Beruf entschieden. Mit »Synnöve Salbakken« betrat er 1857 zum erstenmal das Gebiet der Bauernnovelle. Gleich der erste Wurf ist ein Meisterstück; ohne Mühe, wie im Spiel hatte er für seinen Gegenstand die rechte Form gefunden. Er schildert den Trotz und die Weichheit, das Wilde und Rohe, das Zarte und Scheue; in der starren Felsenbrust stießen tausend heimliche Quellen des Gefühls und der Poesie und sein Dichterohr hört sie rauschen. Eine mächtige Naturempfindung, ein Familiensinn, wie er nur in engen Verhältnissen gedeiht, und die tiefste Religiosität sind die Elemente dieser Erzählungen; eine naive Sprache, die Sprache der Saga, eine Sprache, welche jeden Gedanken durch ein Bild ausdrückt und jede Idee in ein Märchen hüllt, eine Sprache voll stiller Größe und keuschen Gefühls hebt den einfachen Inhalt und überall durchblüht ihn das Lied, bald schalkhaft, bald sehnsuchtsvoll innig. Daß er selbst einem Bauerngeschlechte entsprossen, gibt ihm Verständnis für das Denken und Fühlen der Bauern und die Wirklichkeitszüge; allein daß er nicht selbst mit ihnen gearbeitet und gelitten, daß Romsdal ihm nur die Jugendzeit, Ferienzeit bedeutete, entrückt diese so runden Bauerngestalten der zähen Scholle und der kleinlichen Enge ihres Anschauungskreises. Überall hin, wo die Kultur ihrer selbst überdrüssig geworden, brachten Björnsons Bauernnovellen die frohe Kunde von reinem Menschentum und einfacher Größe, von idyllischem Glück und von Poesie, die in den Bergen wohnt. Man vergaß, daß Björnson aus dem eigenen Herzen geschöpft hatte.

Nun entstanden seine Gedichte, seine Dramen. Die Stoffe der letztern waren dem alten Sagenkreise entnommen; allein nichts mehr von der Weichlichkeit eines Öhlenschläger! Gestalten, wie die lahme Hulda im gleichnamigen Stücke, welche ihrer dämonischen Liebe alles opfert, sogar den Geliebten, und dann mit ihm den Feuertod im Balkenhause teilt; wie Helga und Frakirk in der Sigurd-Trilogie, welche kein Verbrechen scheuen, wenn es die Größe des Geschlechtes gilt und dadurch das Geschlecht selbst vernichten, und der feine, melancholische Harald, den diese entsetzliche Familienliebe tötet, und Sigurd selbst, dessen Kopf von den Wohlfahrtsplänen für sein Land glüht, und welcher aus diesen heraus die Verpflichtung ableitet, ohne Rücksicht und Menschlichkeit, durch Feuer und Blut zum Throne zu schreiten . . . . . . all dies und Szenen, wie die zwischen Harald und seinem Knaben, zwischen Sigurd und dem Finnenmädchen hatte niemand vor Björnson geschrieben. Zugleich versuchte Björnson sein organisatorisches und schauspielerisches Talent als Theaterdirektor, 1857-59 in Bergen, 1865-67 in Christiania und zwei dramatische Arbeiten dieser Zeit, »Maria Stuart in Schottland« (1864) und »Die Neuvermählten«, haben sich seit damals auf der Bühne erhalten, ohne gerade bedeutende neue Elemente zu besitzen. Überhaupt schien der Kreis Björnson'scher Gestalten und Vorstellungen erschöpft; »der Brautmarsch« wirkte matt gegen die frühern Arbeiten und die nachfolgenden grenzten an Manier. Und endlich schwieg Björnson. Seit 1867 lebte er meist im Auslande, war 1869-72 Mitredakteur der in Kopenhagen erscheinenden Zeitschrift »For Ide og Virkelighed,« kehrte 1875 nach Norwegen zurück und ließ sich in Gausdal, in der Gegend von Lillehammer, nieder.

Inzwischen war in Dänemark eine Bewegung entstanden, welche sich rasch nach Norwegen fortpflanzte: die neue Zeit und die neuen Ideen waren daselbst eingebrochen. Strauß und Renan, Darwin und Spencer, Taine und die französischen Realisten hielten ihren Einzug und die Thore der großen Welt schlugen sich weit auseinander vor Björnson. Der neue Gedankeninhalt forderte dichterische Gestaltung; weg mit dem Altertum, weg mit den Bauerngeschichten, weg mit dem Sagastil! Moderne Stoffe, moderne Formen! »Ein Fallissement« und »Der Redacteur« (1875), »Der König« (1877), »Leonarda« und »Das neue System« (1879), »Ein Handschuh« und »Über Vermögen (1883), sowie »Geographie und Liebe« (1885); von Erzählungen: »Maguhild« (1877), »Kapitän Mansana« (1879), »Staub« (1882) und »Man flaggt in Stadt und Hafen« (1884) – welche Fülle, welch ein zweiter Frühling! Und ob nun Björnson die innere Fäulnis des Großhandels und Zeitungswesens beleuchtet; ob er zeigt, wie verschieden der Maßstab ist, mit welchem man die Moral der Frau (s. »Leonarda«) und des Mannes (»Handschuh«) mißt; ob er sich auf das politisch-philosophische Gebiet wagt oder nur einfach dem Drange darzustellen folgt – stets sind seine Arbeiten durchdrungen von der Forderung nach Wahrheit. Wahrheit im Denken, Wahrheit im Fühlen, Wahrheit im Handeln, männliche Wahrheit, sittliche Wahrheit – denn die erforschte Wahrheit bleibt ja doch immer nur relativ. Und durch diese Forderung ist Björnson seinem Volke nicht bloß ein Dichter, sondern auch ein Erzieher geworden. Sein Ideal ist, die »Masse« der Nation »zu Individuen zu erziehen«, die Ergebnisse von dem, was uns heute als wahr und recht erscheint, zum »Volkswillen« umzusetzen, jene Zukunft ins Leben zu führen, von der wir alle träumen und an welcher wir andern verzweifeln. Doch er verzweifelt nicht; die engen Verhältnisse schrecken ihn nicht; die Dummheit, welche ihn außer Landes getrieben, verbittert ihn nicht. »Jene große Aufgabe kann nur ein kleines Volk lösen, welches abseits von dem Weltgetriebe in Ruhe seine Fähigkeiten entwickelt,« – so sagt er, und hofft und arbeitet.

Also sehen wir Björnsons Dichterwirksamkeit in zwei Epochen zerfallen: die erste, in welcher er glaubt und schwärmt, in Norwegen die ganze Welt sieht und in naiver Schaffensfreude vollkommene Werte hervorbringt; und eine zweite, wo er zweifelt, lernt, prüft, alles Menschliche erkennen will, in alle Fernen greift und die ganze Welt Norwegen zu Füßen legt. In dieser Zeit der drängenden Fragen und Probleme, da kämpft oft der Dichter mit dem Denker; bald schlägt die Phantasie der Vernunft ein Schnippchen und »die Fülle der Gesichte« stört das Problem; die Antwort spottet des Fragers; bald wieder durchbricht der innere Drang des Denkers Charaktere und Situationen und Björnson sagt, wie in der herrlichen Schlußscene des »Königs«, was ihm so warm am Herzen liegt. Die Zwiespältigkeit der Gesichtspunkte zerstört – wer vermöchte es zu leugnen? – die künstlerische Einheit der Form. – Allein wer wollte deshalb auf das herrliche Schauspiel dieses ringenden Dichtergeistes verzichten; wer opferte nicht gern etwas vom Künstler, um den Menschen um so uneingeschränkter lieben zu dürfen? Allerdings hat die agitatorische Wirksamkeit, die er in den letzten Jahren zu Gunsten einer norwegischen Republik entfaltete, ihm vielfache Anfeindungen zugezogen. So steht er auch augenblicklich bei den norwegischen Sonderbestrebungen, Schweden gegenüber, wieder in erster Reihe.

Der vorliegende Roman »Auf Gottes Wegen« giebt in modernem Gewande eine fesselnde, vielfach erschütternde Darstellung des Konfliktes zwischen dem Kirchenglauben und der ewig giltigen Moral. Björnson zeigt sich auch hier wieder als der vollendete Forscher des Seelenlebens, als Anatom der Seele, möchte man sagen, der mit dichterischer Kraft und packender Wahrheit das Innere der handelnden Personen vor uns aufrollt. Die Darstellung und die Schlichtheit der Sprache verraten in jeder Zeile den Meister, der alle Einzelheiten seinem Zwecke unterordnet und auch in den knapp eingeflochtenen Schilderungen diesen niemals aus den Augen verliert.



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