Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Kapitel.

Sehr lange wohnte der Maler Fritz Fröhlich nicht oben in der Lindenwirtschaft; zwar hatte er über nichts zu klagen. Verpflegung und Bedienung waren ausgezeichnet, auch malerische Anregungen fanden sich genug; aber die Entfernung nach dem Städtchen war zu groß – Über eine halbe Stunde hatte man zu gehen –, und weil er gern in der Nähe des hübschen Mädchens sein wollte, deshalb gab er die Wohnung in der »Linde« auf, zum großen Kummer des freundlichen Wirts, und zog hinunter ins Städtchen.

Nun wohnte er in der Nähe des Häuschens, in dem Elsbeth mit der alten Mutter lebte.

Täglich lag er auf der Lauer, um zu sehen, wie sich eine Gelegenheit böte, an die Kleine heranzukommen; aber all sein Warten war umsonst, zwar sah er sie gehen und kommen, aber stets war sie so flink und geschäftig, daß sie auf niemanden achtete und hurtig weitereilte.

Seine Wirtin war überaus freundlich und gesprächig, aber auch ebenso neugierig, und sehr bald merkte er, daß sie ihn beobachtete; deshalb nahm er von nun an seinen Malkasten und ging hinaus, um zu arbeiten und aus einen rechten Augenblick der Annäherung zu harren.

Einmal, als er von solch einem Streifzug heimkam, stand er in stiller Bewunderung vor dem Häuschen seiner Angebeteten. Die letzten Strahlen der Sonne lagen auf dem Dach und vergoldeten die altersgrauen Ziegel; auch auf die Tür mit der grünen Efeuumrahmung fiel noch ein Schein des Sonnenlichts, und malerisch lag das schlichte Häuschen da.

In diesem Augenblick kam ihm eine Idee: genau so wollte er das Häuschen malen!

Ganz beglückt ging er heim. Um aber jeden Verdacht fernzuhalten, begann er nun seine Wirtin zu befragen.

»Sagen Sie, Frau Bölke, wer wohnt eigentlich da in dem letzten Häuschen der Straße?«

Ganz erstaunt sah sie ihn an. »Das wissen Sie noch nicht? Da wohnt doch die Elsbeth mit ihrer Mutter.«

Durchaus harmlos erwiderte er: »So, so, die wohnt da. Von dem jungen Mädchen habe ich schon gehört, als ich oben in der ›Linde‹ wohnte.«

»Jedenfalls nicht viel Gutes«, schalt die Alte mit giftigen Blicken.

»Ach, was Sie sagen!«

»Armes Schnorrerpack«, wütete die Alte weiter. »Nicht einen roten Heller Vermögen haben sie, leben von der Hand in den Mund. Aber dabei haben sie einen Stolz im Leibe – wenigstens die Dirn' – einen Stolz, sag' ich Ihnen, da ist rein das Ende von weg.«

Ganz erstaunt sagte er: »Wie ist das nur möglich?«

»Ja, das frag ich mich auch. Aber das hat sie von ihrem Vater. Das war 'n ganz Schlimmer. Unser Herrgott hab ihn selig. Aber der hat's hier auch bunt getrieben, das kann ich Ihnen nur sagen. Alles hat er verjubelt, der letzte Groschen mußte ins Wirtshaus. Wenn Sie mal drüben den Wirt in der ›Goldenen Kugel‹ fragen, der kann Ihnen nette Geschichten erzählen.«

»Der Vater war ja wohl Musiker, nicht wahr?«

Hohnlachend rief die Alte: »Und was für einer! Nicht mal ordentlich Stunden geben konnte er, und dabei ließ er sich eine Mark für die Stunde bezahlen. Fragen Sie mal 'rum in der Stadt, ob ein Mensch was bei ihm gelernt hat! Ganz verkommenes Genie war er – Opern wollte er machen und solche Sachen – ja, anders tat er's nicht – immer hoch hinaus – für 'ne solide Stelle in unserer Stadtkapelle war er nicht zu haben, lieber hat er Frau und Kind hungern lassen. So 'n hochnäsiger Kerl war der! Und das hat nun seine Tochter alles von ihm geerbt.«

Der Maler schwieg. Endlich fragte er zögernd: »Gehört denn den Leuten das Häuschen, in dem sie wohnen?«

»Bewahre! Nur aus Gnade und Barmherzigkeit hat man's ihnen billig vermietet.«

»So, so. Na, dann wird man wohl auch nichts dagegen haben, wenn ich das Häuschen male.«

Nun war die Alte starr. »Das elende Haus wollen Sie abmalen? So 'ne halb verfallene Baracke? Na, das begreif ich aber wirklich nicht.«

Lächelnd beruhigte der Maler sie. Aber schon am Spätnachmittag saß er vor dem Häuschen und fertigte die erste Farbenskizze an.

Gerade als Elsbeth eifrigst dabei war, mit dem Bügeleisen zu hantieren, kam die Mutter ins Zimmer und rief: »Kind, da sitzt ein junger Maler und zeichnet unser Haus!«

Erstaunt sah die Kleine auf. Dann stellte sie das Plätteisen auf die Röste, um nichts zu versengen, und trat behutsam ans Fenster, aber so, daß sie von der Gardine gedeckt war.

Sprachlos sah sie hinaus. Was für ein fescher Mann da saß, wie flott der Schnurrbart in dem gebräunten Gesicht, und wie flink die Hände arbeiteten! Jetzt sah er hoch – und was für blitzende Augen er hatte! Sie trat schnell zurück, um ihr Interesse vor der Mutter zu verbergen.

Aber die merkte gar nichts davon. »Was er nur an dem Hause so schön finden mag«, sagte sie nachdenklich.

»Wer kann das wissen, Mutting, es muß ihn doch irgend etwas daran interessiert haben«, antwortete die Tochter leichthin und ließ das spiegelblanke Eisen über die weiße Plättwäsche hin und her gleiten.

Die Mutter sann noch immer. »Und was er wohl mit dem Bilde macht, so 'n Bild wird doch sicher kein Mensch kaufen.«

Lächelnd rief Elsbeth: »Nein, Muttchen, um was du dich auch nicht alles sorgst!«

Während sie noch so sprachen, kam draußen – scheinbar zufällig – des Malers Wirtin vorbei. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und lief erregt davon.

Stillvergnügt sah der Maler ihr nach – er ahnte, daß es von nun an um seine Ruhe im Hause geschehen war.

Aber auch die alte Frau Bürger hatte das mit angesehen, und seufzend klagte sie nun: »Ach du lieber Gott, wieder neuen Stoff zur Klatscherei!«

Und ob Elsbeth sie auch trösten wollte – sie ließ sich nicht davon abbringen, sie kannte ihre lieben Nächsten.

Drei Tage lang arbeitete der Maler. Nie nahm er die geringste Notiz von den Bewohnerinnen oder von dem, was um ihn her vorging.

Und jeden Tag beobachtete Elsbeth ihn hinter der Gardine, aber nur dann, wenn die Mutter es nicht merkte. Minutenlang konnte sie ihm dann zusehen, und einmal geschah es sogar – was noch nie vorgekommen war –, daß das Plätteisen kalt wurde. Es war etwas Sonderbares über sie gekommen, das sie zwang, den fremden Mann anzusehen. Er kam von draußen, aus der Welt, wohin sie sich sehnte, und er war ein Künstler. Sie dachte daran, mit welcher Andacht und Ehrfurcht ihr verstorbener Vater über Kunst und Künstler gesprochen hatte, und so sah sie in diesem jungen Manne etwas, was voll heißer Sehnsucht in ihrer Seele lebte.

Gar zu gern hätte sie etwas von seiner Arbeit gesehen; da sie aber merkte, daß er weder sie, noch die Mutter beachtete, so wagte sie nicht, ihm lästig zu fallen.

Um so mehr war sie erstaunt, als er gegen Abend des dritten Tages an die Tür ihres Zimmers klopfte.

»Entschuldigen Sie bitte, meine Damen, wenn ich störe«, begann der Maler, stellte sich vor, setzte seinen Malkasten ab. »Ich denke, es wird Sie interessieren, zu sehen, wie sich Ihr Häuschen im Bilde ausnimmt« – dabei stellte er seine Arbeit in die richtige Beleuchtung –, »nun, was sagen Sie?«

Frau Bürger lächelte und sah ratlos zur Tochter, endlich sagte sie: »Oh, sehr hübsch, ganz genau so, wie es in Wirklichkeit aussieht – nicht wahr, Kind?«

Elsbeth zitterte, aber sie nahm sich zusammen und trat heran.

»Nun, Fräulein, was sagen Sie? Gefällt es Ihnen nicht?«

Mit leicht zitternder Stimme sagte sie: »Oh, doch, es gefällt mir sogar ganz ausgezeichnet, und ich finde, daß auch der Abendsonnenschein sehr gelungen ist.«

Er lächelte und dankte für die Anerkennung.

Während er das Bild wieder in den Malkasten legte, entstand eine kleine Pause.

Ratlos sahen Mutter und Tochter sich an; beide fühlten, daß noch etwas gesagt werden mußte, aber keine von beiden fand das richtige Wort.

Endlich begann die alte Frau: »Wie Sie nur darauf gekommen sind, gerade unser altes Haus zu malen? – Wir haben uns schon sehr darüber gewundert!«

Er zeigte ein frohes Gesicht. »Aber weil es mich angeregt hat. Und das unterliegt doch keinem Zweifel: von allen Häusern hier ist Ihres am malerischsten.«

Lächelnd sah die alte Frau ihn an. Dann sagte sie: »Wenn es nicht unbescheiden ist, möchte ich wohl fragen, was Sie nun mit dem Bilde machen werden.«

Amüsiert antwortete er: »Zunächst werde ich es ausstellen in irgendeinem unserer Kunstsalons, – hoffentlich finde ich bald einen Käufer dafür.«

Mutterchen wunderte sich immer mehr. »So berühmt machen Sie unser Häuschen!« sagte sie gutmütig.

»Oh, Sie überschätzen mich«, warf er bescheiden ein.

Da fragte Elsbeth, die ihn bisher nicht aus dem Auge gelassen hatte: »Wie werden Sie es denn nennen?«

Und wieder sah er sie mit frohen Augen an. »›Hier wohnt das Glück‹, so werde ich es nennen. Gefällt Ihnen der Titel?«

Verlegen wandte die Mutter sich ab.

Elsbeth aber erwiderte mit leiser Wehmut: »Oh, der Titel ist gut, und wenn ein Fremder Ihr Bild sieht, so wird er diesen Titel auch gewiß passend finden.«

Fragend sah er sie an. »Sie aber finden, daß er nicht so recht paßt?«

Sie errötete. »Ich weiß nicht recht, was ich Ihnen darauf antworten soll.«

Sofort erkannte er seine Taktlosigkeit, bat vielmals um Entschuldigung, nahm seine Sachen und empfahl sich.

Als er fort war, sahen Mutter und Tochter sich an.

»Was sagst du zu alledem, Kind?«

»Ja, Muttchen, was soll ich dazu sagen! Mich hat es ja ebenso überrascht.«

»Weshalb hat er das Haus gemalt? Weshalb hat er uns das Bild gezeigt? Er hat doch etwas damit bezweckt!«

»Schon möglich, obgleich ich mir nicht erklären kann, was.«

Prüfend sah die Mutter ihre Tochter an.

Elsbeth fühlte den Blick, aber sie nahm sich zusammen, ließ das Plätteisen hurtig hin und her gleiten und sagte: »Muttchen, du machst dir schon wieder unnötige Sorgen! Vielleicht ist alles bloß ein reiner Zufall.«

Aber die alte Frau schüttelte den Kopf. »Er hat dabei einen Zweck gehabt. – Uebrigens ein netter Mensch, nicht wahr?«

»O ja«, sagte Elsbeth nur und plättete überaus eifrig weiter.

Da fragte die alte Frau nicht weiter, aber sie fühlte, daß die Tochter ihr etwas verbarg. Mit stiller Bekümmernis tat auch sie dann ihre Arbeit weiter.

Am Abend dieses Tages, als Muttchen sich bereits niedergelegt hatte, huschte Elsbeth hinaus ins Gärtchen, dort setzte sie sich, legte die Hände in den Schoß und träumte selig vor sich hin.

Vollmond. Der Himmel besät mit Millionen Sternen. Und nicht ein Windhauch regte sich.

Da faltete sie andachtsvoll die Hände und sah auf zum Himmel.

Mit einmal gedachte sie der Worte, die einst der Vater ihr gesagt hatte: »Jeder echte Künstler ist von etwas Ueberirdischem, Heiligem umgeben; das kommt daher, weil Gott sich in jedem echten Künstler offenbart.« – Ueber diese Worte sann sie nach, lange, lange.

Plötzlich aber erglühte ihr Gesicht, und sie dachte: Wie gute Augen er hatte, dieser junge Maler, und wie lustig und schelmisch er lachen konnte!

Und auf einmal wurde ihr froh ums Herz, daß sie vor Wonne hätte aufjubeln können, und sie freute sich, daß sie auf der Welt war und daß sie all die stille, heimliche Herrlichkeit dieser wunderbaren Frühlingsnacht erleben konnte.

Plötzlich zuckte sie zusammen. Sie hörte Schritte.

Vor Angst und Erregung saß sie still in ihrer Ecke, drückte sich tief hinein und wagte kaum zu atmen, um ihre Anwesenheit nicht zu verraten.

Die ziemlich hohe Hecke und ein Fliederbusch schützten sie vollständig, so daß sie nicht zu sehen war, während sie, ohne auch nur den Kopf heben zu brauchen, alles übersehen konnte, was auf der Straße vorging.

Sie saß atemlos da und lauschte.

Was sie geahnt, gefühlt hatte, traf ein – er war es!

Ein Schauder der Freude durchrieselte sie, als sie ihn da draußen vor dem Gitter stehen sah.

Keine zehn Schritte entfernt von ihr stand er und sah unausgesetzt das Häuschen an.

Sie bebte, das Herz pochte, und sie dachte: Wenn er jetzt durch die Pforte tritt, ist es aus!

Aber er trat nicht durch die Pforte, er ging ein paarmal draußen auf und ab, dann kehrte er um und schritt die Straße wieder hinauf.

Kaum war er fort, so huschte sie ins Haus, lief in ihre Schlafkammer, riegelte sich ein und weinte heimliche Freudentränen.

Fritz Fröhlich aber lief ärgerlich umher. Er war wütend, daß er sich heute so tölpelhaft benommen hatte. Einen so schönen Anknüpfungspunkt hatte er gefunden, und nun mußte er diese törichte Frage tun, wütend war er, nun konnte er von neuem nach einer passenden Gelegenheit suchen, und wer weiß, wann er wieder etwas so Passendes finden würde.

Wütend hatte er das Bild in seine Wohnung getragen und war dann fortgelaufen, um seinen Aerger in der freien Luft zu vergessen.

Ja, sie war schön, diese blonde Kleine – so vollendet schön, wie sein entzücktes Künstlerauge noch nie etwas ähnlich Vollendetes gesehen hatte.

Und er dachte daran, wie sie heute verlegen geworden war und wie entzückend sie in all ihrer Hilflosigkeit ausgesehen hatte. Nie, nie war ihm ein Mädchen begegnet, das dieser Kleinen an Liebreiz und Anmut gleichkam.

Stumm stand er und sah hinüber nach dem Fenster, so laut pochte sein Herz, so schnell gingen seine Pulse. Er liebte, liebte sie! – Jetzt fühlte er es klar, ja, er liebte sie, und er mußte sie auch erobern!

Als er endlich heimkam, sah er etwas erstaunt, daß in seinem Zimmer noch Licht brannte.

Aha, dachte er, Frau Bölke glaubt, ich sitze in der Kneipe, und nun spioniert sie!

Aber nicht nur die Wirtin allein war im Zimmer, zwei Nachbarinnen waren noch bei ihr, und sie alle bestaunten das neue Bild.

Erstaunt blieb der Maler noch einen Augenblick draußen stehen und hörte, wie sich die Frauen darüber unterhielten, daß er gerade dieses Häuschen gemalt hatte.

Man konnte sich nicht genug darüber wundern, nur Frau Bölke tat das nicht, sie sagte sehr resolut: »Wahrscheinlich hat er sich in das Lärvchen vergafft.«

Am anderen Tage kündigte der Maler seine Wohnung, zahlte die Miete und zog sofort aus. – –

Der Kirchweihsonntag war da. Ein Tag voll Sonnenschein und Lerchenjubel, voll Frühlingsduft und Frühlingsfreude.

Schon am frühen Morgen war Elsbeth unterwegs, lief mit ihrem Körbchen umher bei der Kundschaft und lieferte die Plättwäsche ab.

Sie war so froh, daß sie die neidischen Blicke der anderen Mädchen und Frauen gar nicht sah, es war so rein und so hell in ihrer Seele, daß für Neid und Bosheit kein Platz da war.

Als sie über den Marktplatz ging, begegnete ihr der Maler; höflich grüßend zog er den Hut, und mit tiefem Erröten dankte sie. Dann lief sie hurtig weiter.

Als sie zu Hause ankam, war Muttchen schon in heller Sorge. Der Gärtnerbursche hatte einen Strauß abgegeben, den ein fremder Herr bestellt habe. Bekümmert erzählte sie das.

Elsbeth ging freudig an den Tisch und sagte: »Das kann doch nur der Herr Maler gewesen sein!«

Jammernd warf die Mutter ein: »Aber was die Leute dazu sagen! Hättest nur mal sehen sollen, wie der Gärtnerbursche verstohlen lächelte.«

»Mütterchen, laß ihn lächeln, und laß die ganze Stadt lächeln, mir ist's gleich. Ich bin heute so froh, daß mich nichts aus der Laune bringen kann.«

Seufzend mußte sich die alte Frau zufriedengeben.

Als alle Arbeit getan war, legte sie ihren Sonntagsstaat an, als einzigen Schmuck steckte sie zwei der roten Rosenknospen an die Brust.

Und als Mütterchen ihr Kind so in jugendlich prangender Schönheit vor sich stehen sah, küßte sie es auf die Stirn und sagte: »Gebe der Himmel, daß du glücklich wirst!«

Innig und voll heißer Liebe umarmte die Kleine ihr Muttchen.

Bald nach Tisch kam der Förster.

Frau Bürger hieß ihn herzlich willkommen, dankte für den Grabschmuck und lud ihn dann zu einer Tasse Kaffee ein.

Als Elsbeth ihn sah, wurde sie ein wenig verlegen. Beinahe schon hatte sie vergessen, daß sie ihm diesen Nachmittag zugesagt hatte. Leicht errötend begrüßte sie ihn.

Dieses Erröten aber legte er zu seinen Gunsten aus. Glückselig sah er sie an und schüttelte ihr kräftig die Hand.

»Geh, koch uns einen guten Kaffee, der Herr Förster ist unser Gast!«

»Ach, da muß ich mir aber Mühe geben«, lachte Elsbeth, froh, der Verlegenheit zu entkommen.

Mit Bewunderung sah er ihr nach. Dann sah er die alte Frau an und sagte: »Frau Bürger, Sie sind zu beneiden.«

»Warum, Herr Förster?«

»Weil Sie die schönste Tochter haben, die ich je gesehen habe.«

Die alte Frau machte ein bekümmertes Gesicht. »Ach, Herr Förster, das ist gar kein so großes Glück. Armen Mädchen bringt ihre Schönheit nur zu leicht alle möglichen Gefahren.«

Mit gutmütigem Lächeln meinte der Förster: »Nun, bei Fräulein Elsbeth ist das doch ausgeschlossen; wer so willensstark ist!«

Seufzend sagte die Alte: »So ein junges Herz ist etwas Eignes – bei aller Willenskraft schlummert auch genug Leidenschaft darin, und wird die erst mal geweckt, dann schwindet auch die stärkste Energie.«

Da wurde der Förster aufmerksam, sah die alte Frau an, wagte aber nicht, weiter zu fragen.

Und sofort merkte auch sie, daß sie mehr gesagt hatte, als sie wollte, deshalb lenkte sie wieder ein: »Das beste ist eben, wenn ein junges Mädchen bald einen braven Mann findet, der ihr ein solides Heim gründet.«

Diese Wendung beruhigte ihn, so daß er lächelnd zustimmte: »Nun ja, das ist wohl richtig, Frau Bürger, nur fürchte ich, daß auch noch ein ›aber‹ dabei ist.«

»Wieso ein ›aber‹?«

»So ein junges Mädchen glaubt doch, durch ihre Schönheit gewisse Ansprüche machen zu können, und wer weiß, ob ein einfacher Mann mit bescheidenem Einkommen derartiges erfüllen kann.«

»Oh, Herr Förster, wenn man sich wirklich gut ist, dann geht alles, – dann kann der Mann sich die Frau so erziehen, wie er sie haben will«, beruhigte sie ihn.

Mit dankbarem Lächeln reichte er ihr die Hand.

Als man beim Kaffee saß, wollte das Gespräch nicht recht in Gang kommen. Am meisten zerstreut war Elsbeth. Immerfort dachte sie daran, was wohl der Maler denken mußte, wenn er sie mit dem Förster sah.

Draußen auf den Straßen war es nun lebendig. Das ganze Städtchen schien unterwegs zu sein, alles pilgerte nach dem Festplatz.

Gleich darauf brachen sie auf.

Mütterchen blieb daheim. Als sie sich von dem Grünrock verabschiedete, schüttelte sie ihm herzlich die Hand.

Ebenso herzlich dankte er und nickte ihr verständnisinnig zu.

»Bitte, lassen Sie uns am Bach entlanggehen«, bat Elsbeth, die es vermeiden wollte, die Stadt zu passieren.

»Wie Sie wünschen.« Er war glückselig, sie endlich für sich allein zu haben.

Langsam gingen sie nebeneinander her, über ihnen blühten die Weiden, unter ihnen rann der murmelnde Bach. Sie waren allein.

Zärtlich faßte er nach ihrer Hand. »Fräulein Elsbeth, was fehlt Ihnen? Sie sind heute anders als sonst.«

Und da tat er ihr leid – sie wußte, wie gut er es mit ihr meinte – und zwang sich zur Heiterkeit.

»Ich war ein bißchen nachdenklich«, erwiderte sie, ihm zulächelnd, »entschuldigen Sie, wenn ich unaufmerksam war.«

Innig drückte er ihre Hand. »Ach, ich bin so glücklich, Fräulein Elsbeth, ich kann es Ihnen gar nicht sagen.«

Still lächelnd sah sie vor sich nieder.

Und begeistert sprach er weiter: »Der schöne Frühlingstag hat mich ganz außer Rand und Band gebracht.«

Ein wenig erstaunt sah sie ihn an – nie hatte sie ihn so kennengelernt.

Er merkte ihr Erstaunen. Heiter rief er: »Ich sehe, Sie wundern sich, aber wenn auch, ich muß heute so fröhlich sein!«

Mit gutmütigem Lächeln sagte sie: »Aber freuen Sie sich doch, daß es so ist; es gibt doch nichts Schöneres als Frohsinn; ich wünschte, ich hätte ihn auch.«

»Ja, haben Sie ihn denn nicht? Ich dächte, Sie wären sonst immer froh gewesen.«

»Immer kann man nicht lustig sein, es kommen doch auch Stunden des Nachdenkens.«

Nun wurde er ganz ausgelassen. »Sie denken nach? Ah! Gewiß denken Sie an den jungen Maler.«

Da zuckte sie zusammen, entzog ihm die Hand, sah ihn mit erschreckten Augen an und fragte: »Wie kommen Sie denn darauf?«

»Nun, davon spricht doch die ganze Stadt«, erwiderte er heiter. »Dem armen Kerl haben Sie doch ganz sicher das Herz gebrochen.«

Sie antwortete nichts, sie sah vor sich hin, und ehe sie es verhindern konnte, kamen ihr die Tränen.

Als er das sah, schwand seine Ausgelassenheit sofort, flehend bat er: »Aber Fräulein Elsbeth, was sind das nun für Sachen! Sie dürfen so was doch nicht für bare Münze nehmen! Sie haben doch sonst stets einen Spaß verstanden! Na, bitte, nun hören Sie auf zu weinen! Bitte! Ich kann so etwas nicht mit ansehen.«

Ganz leise sagte sie: »Der junge Mann hat unser Häuschen gemalt. Das ist alles. Dafür kann ich doch nicht!«

»Aber nein, nein. Das sagt ja auch kein Mensch! Es war doch nur ein schlechter Scherz von mir.«

»Und was die Leute sagen, dafür kann ich doch erst recht nicht!«

»Gewiß nicht. Na, Fräulein Elsbeth, nun seien Sie mal wieder gut und tragen Sie mir den Scherz nicht nach, bitte, nein?« Zärtlich streichelte er ihre Hand.

Sie lächelte schon wieder ein wenig. Sie kannte ihn ja zu gut und wußte, daß er es nicht böse gemeint hatte.

»Ich habe Ihnen doch nicht wehtun wollen!«

»Nein, das weiß ich.«

»Dazu habe ich Sie doch viel, viel zu lieb, Fräulein Elsbeth.«

Langsam entzog sie ihm ihre Hand wieder.

Er aber faßte und hielt sie schnell wieder. Und nun sprach er dringlicher: »Ja, Fräulein Elsbeth, ich muß es Ihnen sagen, jetzt, jetzt gleich! Ich habe Sie lieb! Sehr, sehr lieb!«

Sie schwieg und sah traumverloren ins Weite. Ringsum war der blühende Wald, und hunderttausend lustige Sänger jubilierten in den Bäumen – da war es ihr, als hörte sie fern, ganz fern ihren Namen rufen, kosend und zart, und es war ihr, als erlebte sie Wonnen dabei, herrliche, nie gekannte Wonnen.

»Elsbeth, liebste Elsbeth!« bat er weiter und zog sie an sich.

Da aber erwachte sie aus ihrem Traum. Behutsam entwand sie sich seinem Arm.

»Sie müssen nicht so sprechen. Daß wir gute Freunde sind, weiß ich ja schon«, sagte sie leise.

»Ja, ja, aber ich möchte Ihnen mehr sein, Elsbeth. Fühlen Sie denn das nicht?«

Sie schwieg und ging langsam weiter.

»Werden Sie meine Frau, Elsbeth. Ich bitte Sie darum.« Wieder hielt er sie fest.

Bebend, stumm sah er sie an.

»Ich biete Ihnen alles, was ich habe. Ich will alles tun, Ihnen das Glück zu schaffen, das Sie sich wünschen. Ich bitte, vertrauen Sie mir. Ich will Ihnen ein Heim schaffen, daß Sie sich wohlfühlen sollen.«

»Bitte, nicht weiter!« flehte sie. »Ich bitte Sie darum.«

Da ließ er ihre Hand los und sah ihr ernst ins Gesicht.

»So sagen Sie mir doch wenigstens ein Wort, ein einziges Wort.«

»Ich kann nicht, ich kann nicht!« Zitternd stand sie da.

»Sie können nicht, Fräulein Elsbeth?« Auch er bebte am ganzen Körper. »Ja, warum denn nicht?«

»Ich könnte es nicht ertragen, hier auf die Dauer zu leben.« Wie gepreßt kam es heraus.

»Aber dann lasse ich mich versetzen, wenn es sonst nichts ist«, rief er freudig.

»Noch einmal bitte ich Sie, drängen Sie mich heute nicht mehr, ich bitte Sie darum!« Flehend blickte sie ihn an.

Da ließ er den Kopf sinken und sprach nicht mehr davon.

Schweigend gingen sie weiter.

In der nächsten Minute kamen sie an der Lindenwirtschaft vorüber. Dort saß der Maler. Als er das Paar sah, machte er ein erstauntes Gesicht. Dennoch grüßte er ehrerbietig.

Unter tiefem Erröten dankte Elsbeth.

Der Förster aber sah sich den jungen Mann, den er jetzt zum erstenmal näher zu Gesicht bekam, genau an.

Einen Augenblick lang nur trafen sich die Blicke der beiden Männer, aber es genügte, um jedem zu künden, wie der eine zum andern stand.

Dann ging das Paar langsam weiter.

Früher als beabsichtigt brachte der Förster seine Dame heim, und nur mit aller Gewalt beherrschte er sich, seine Verstimmung nicht zu zeigen. – – –

Der Maler wohnte nun in der »Goldenen Kugel«; er hatte dort ein freieres Leben, und nebenbei erstrebte er noch etwas.

Der Wirt des Gasthauses, als redselig bekannt, sollte ihm nähere Aufklärungen geben.

Schon nach wenigen Tagen machte er sich an den Gastwirt heran. Es war vor Mitternacht, die Gäste waren fort, da ließ Fritz Fröhlich noch eine Flasche kommen und lud den Wirt dazu ein.

Schon nach der ersten Viertelstunde waren sie in lebhafter Unterhaltung, und vorsichtig tat der Maler eine Frage nach dem toten Musiker.

Der Wirt nickte sinnend, strich über den Bart und sagte: »Oh, ja, ich habe ihn gekannt, den alten Bürger, und ich glaub', daß ich wohl auch der einzige im Ort war, zu dem er Vertrauen hatte.«

»Nach allem, was ich gehört habe, muß er ein unglücklicher Mensch gewesen sein«, bemerkte der Maler.

Wieder nickte der Wirt. – »Ja, das ist wahr. Mir hat er oft sein Herz ausgeschüttet. Und wenn sein Kummer gar zu groß war, hat er zum Glas gegriffen, um sich Vergessenheit zu trinken.«

»Und das war gewiß sein Unglück, das hat ihn widerstandslos gemacht.«

Mit wehmütigem Lächeln verneinte der Wirt: »Das war sein Unglück nicht allein, nein, lieber Herr, das weiß ich besser! Sein Unglück war ganz was anderes. – Er hat zwar nie darüber ein Wort gesagt, aber ich hab' es gefühlt – sein größtes Unglück waren Frau und Kind!«

Erstaunt sah der Maler auf.

»Doch, lieber Herr, doch, doch! Das war eine Fessel für ihn, das hat ihn hier festgehalten! Deswegen hat er sich hier abplagen müssen mit Stundengeben und so weiter – Geld verdienen mußte er, um seine Familie zu ernähren – dabei blieb ihm dann nicht viel Zeit, sich seiner Kunst zu widmen. Denn wenn er sich müde und kaputt gemacht hatte, dann konnte er sich nicht sammeln, um abends noch für sich zu arbeiten, da war alle Stimmung dahin. Und da kam er dann zu mir, weil er einem sein Leid klagen mußte, – und so hat er denn nach und nach angefangen zu trinken, um seinen Kummer wenigstens für ein paar Stunden zu vergessen. Sehen Sie, so ist es gewesen, das können Sie mir aufs Wort glauben.«

Nachdenklich fragte der Maler: »Und viel Freunde hat er hier wohl auch nicht gehabt, wie?«

»Nicht einen, lieber Herr! Das war ja auch sein Unglück. Hätte er es verstanden, sich hier ein wenig beliebt zu machen, dann hätte man ihm wohl auch einen städtischen Posten gegeben, als Organist oder als Gesanglehrer oder so – aber für so was war er nicht zu haben – immer frei heraus mit der Wahrheit; nie hat er einem zu Munde geredet – na, und damit schafft man sich eben hier keine Freunde! Da bekamen denn andere die Posten, die es besser verstanden, sich hier lieb Kind zu machen.«

Ein Schweigen trat ein, nachdenklich sahen beide vor sich hin.

Dann sagte der Maler: »Dennoch dauert mich die Frau und das junge Mädchen am meisten.«

»Beneidenswert ist ihr Leben hier ja nicht, da haben Sie ganz recht, besonders die Tochter hat nicht viel Freunde.«

»Das hab' ich mir bis jetzt auch noch nicht erklären können! Das Mädel tut doch keinem Menschen was zuleide!«

Lächelnd erwidert der Alte: »Sie hat was von ihrem Vater – so was Unnahbares – viele sagen, es sei Stolz.«

»Das glaube ich nicht!«

»Ich ja auch nicht, lieber Herr, ich kenne sie ja recht gut – stolz ist sie nicht, aber anders als die hiesigen Mädels ist sie, das können Sie mir gern glauben.«

»Hat sie denn gar keine Bekanntschaft?«

»Ich glaube kaum. Man sagt wohl, daß der junge Förster Gestner sich um sie bemühe; aber ich glaube kaum, daß der Glück hat bei ihr.«

Der Maler war äußerst gespannt. »Warum denn nicht?« fragte er.

»Weil die Kleine, wie ich sie zu kennen glaube, kaum hier heiraten wird.«

»Na, muß denn gleich geheiratet sein?«

Da lächelte der Wirt. »Ich glaube, da verkennen Sie die Elsbeth aber doch, lieber Herr.«

»So, so!« sagte der Maler nur.

Bald darauf gingen Gast und Wirt zur Ruhe. –


 << zurück weiter >>