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XXII.
Unverhofftes Wiederfinden.

Der Pfarrer ließ den guten Willen seiner Pfarreingesessenen nicht ermatten, und so konnte er schon nach Verlauf von drei Monaten von der Kanzel herab die frohe Mittheilung machen, daß drei Nonnen aus dem Orden der »Schulschwestern« demnächst herüberkommen, Schule halten und die Kranken besuchen würden. Ihr Haus war gemäß den Regeln der evangelischen Armuth in Bereitschaft gesetzt. Delphine hatte alles unter ihren Augen einrichten lassen: die Schulzimmer mit den langen Bänken und den Landkarten und Heiligenbildern an den Wänden, die kleine Küche, das bescheidene Refectorium, die einfachen und reinlichen Zellen, der Betsaal, alles war fertig; die Speisekammer war für lange Zeit mit Vorrath versehen, die Bibliothek leidlich mit Büchern ausgestattet; Papier, Bücher, Nadeln und Garn befanden sich in den Klassenpulten. Mit großem Vergnügen hatte die Gräfin alle diese Vorkehrungen getroffen; sie glaubte dadurch eine längst fällige Schuld an Gott abzutragen, und es gewährte ihr eine wahre Genugthuung, für Ihn, für die Armen und für die Ihm geweihten Seelen zu wirken.

Die Schwestern wurden bei ihrer Ankunft mit Begeisterung empfangen. Gleich am folgenden Morgen führte der Pfarrer sie zur Frau Gräfin. Delphine stand gerade am Fenster, als sie hereinkamen. Ein eigenthümliches Gefühl, traurig und süß zugleich, ergriff sie beim Anblicke dieser drei Frauen, welche ruhig und würdevoll in ihrem schwarzen Mantel den mit weißem Sand bestreuten und mit Herbstblumen geschmückten Hof durchschritten. Sie traten ein. Nachdem der Pfarrer sie vorgestellt hatte, richtete die Gräfin mit jener Anmuth der großen Welt, deren Geheimniß sie kannte, einige freundliche Worte an sie und hieß sie, sich setzen.

Die drei Nonnen folgten der Einladung und schlugen dann die Capuze zurück, welche ihren Wuchs und ihre Züge verhüllte. Sie erschienen nun in dem hübschen Kostüm der Landmädchen von Poitou, dem die Ordensregel Ernst und Strenge verliehen hat: das faltige Kleid aus grauer Wolle; das Halstuch aus weißer Leinwand, welches unter dem Schürzenlatz sich verliert; die weite weiße Haube, die das Gesicht anmuthig umhüllt; der Rosenkranz am Gürtel, und ein großes Crucifix auf der Brust, wo es dem Herzen am nächsten ist und das Auge beständig darauf ruht.

Delphine betrachtete die Nonnen mit einer gewissen Neugierde; alles an denselben heischte ihre Aufmerksamkeit: die Kleidung, die fromme Sammlung, die einfachen und heitern Manieren der Schwestern. Die Oberin war alt; ihre bleiche und gefurchte Stirn trug die Maale langjähriger Arbeiten und großer Abtödtung. Die Zweite, welche neben der Oberin saß, zählte kaum zwanzig Jahre; sie zeigte ganz den Typus und die Schönheit der bretonischen Mädchen; das Auge ruhte gern auf diesem hübschen, sanften, unschuldigen und geistvollen Gesichtchen. Die Dritte saß etwas im Schatten und so, daß ihr Antlitz nicht recht erkennbar war; die eine Hand derselben hielt den Rosenkranz, und diese Hand zitterte. Delphine betrachtete aufmerksam das edele Profil, die niedergeschlagenen schwarzen Augenwimpern und den schlanken Wuchs. Plötzlich begann auch sie zu zittern; es war ihr nicht möglich, zu sprechen; stumm betrachtete sie die Nonne, welche die Augen nicht aufschlug.

Verdutzt durch das Schweigen der Gräfin, richtete der Pfarrer, um die peinliche Stille zu brechen, die Frage an die Oberin, wie ihre beiden Gefährtinnen hießen.

»Dies ist meine Schwester Maria Anna und jene meine Schwester Maria Charlotte. Ich empfehle sie der Güte der Frau Gräfin,« lautete die Antwort.

»Ich bitte um Entschuldigung, ehrwürdige Schwester, daß ich Sie nicht so empfangen kann, wie ich es wünschte,« stammelte Delphine. »Ich fühle mich verwirrt, werde Ihnen aber bald Ihren Besuch erwidern – wir sind ja Nachbaren. Würden Sie mir wohl erlauben, Ihre Gefährtin dort auf einige Augenblicke bei mir zu behalten? Sie ist mir nicht unbekannt, denk' ich+...«

»Schwester Maria Charlotte? O gewiß, gnädige Frau! sie darf, sie wird bleiben.«

Die Oberin lächelte. Maria Charlotte war noch mehr erbleicht. Der Pfarrer begriff von allem nichts, als daß die Gräfin allein zu sein wünsche, und daß vornehme Damen häufig ihre Eigenheiten haben. Er empfahl sich mit den beiden andern Nonnen.

Sobald diese fort waren, stand Maria Charlotte auf, machte hastig einige Schritte vorwärts und warf sich Delphinen zu Füßen. »Sie haben mich wieder erkannt, Mutter!« sagte sie mit erstickter Stimme.

Delphine antwortete nicht; die Stimme versagte ihren Dienst, desto reichlicher flossen die Thränen. Die Gräfin umarmte ihre Tochter, preßte sie an ihre Brust, sah ihr tief in die Augen und schien sich in diesen Anblick versenken zu wollen.

Charlotte war etwas ruhiger; ein unaussprechliches Glück verklärte ihre Züge. »Ich wußte, daß ich Sie hier finden würde,« sagte sie endlich. »Man nannte Ihren Namen, als man mir diese Stelle anbot, und Ihr lieber Name drang mir tief in das Herz. Ich habe meiner Oberin alles erzählt, und sie freut sich mit mir über mein Glück.«

»In zwanzig Jahren habe ich dich nicht mehr gesehen!« rief Delphine und preßte sie nochmals an ihre Brust.

»Und doch, Mutter, haben Sie mich wieder erkannt! Sie haben mich also nicht vergessen?«

»Wie heiß habe ich zu Gott gefleht, daß ich dich hienieden noch ein Mal wiedersehen möchte!«

»Und glauben Sie, ich hätte nicht täglich für Sie gebetet? Mutter, wenn ich Ihnen den Ort, wohin ich mich zurückgezogen, nicht entdeckte, als bis ich Kunde von dieser Ihrer Stiftung erhielt, so glaubte ich, ein Versprechen erfüllen zu müssen, das ich meinem sterbenden Vater gegeben hatte. Die Vorsehung wird uns inskünftig nicht mehr trennen, da sie selbst uns zusammengeführt hat.«

»Danken wir Gott, beten wir zusammen, mein Kind!« sagte Delphine, die Hände faltend. »Bis jetzt habe ich nur den Gott der Strenge und der Gerechtigkeit gekannt; heute bete ich Seine Vatergüte an …Bete mit mir und für mich, Charlotte! Ich glaube an Gott und hoffe auf Ihn; während der Tage, die mir noch beschieden sind auf Erden, wirst du mich die Kunst lehren, Ihn zu lieben.«

 


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