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Zweites Kapitel.

Die Liebenden.

Ich wünsche mir blos solche Leser, die sich mir mit Herz und Seele hingeben; – fangen sie an zu kritisiren, so sind wir geschiedene Leute; ihre Einbildungskraft muß sich meiner Führung gänzlich unterwerfen; und sollten sie endlich nicht selbst froh seyn dieser trübseligen Alletagswelt los zu werden, und sich von einem Autor kopfüber forttragen zu lassen, der ihnen etwas Neues verspricht?

Von der Höhe bei Brügge blickten ein Sterblicher und seine Verlobte auf den Schauplatz vor ihnen nieder. Langsam sahen sie die Sonne unter purpurnen Wolkenmassen versinken, und der Liebende wandte sich zur Geliebten und seufzte tief. Denn ihre Wange voll gedrängter Rosen war zärter als die Blüthe, die den Farben der Gesundheit angehört, und als er die Sonne vor der Welt hinabtauchen sah, kam der Gedanke über ihn, daß die neben ihm Stehende seine Sonne sey und der Glanz, den sie über sein Leben warf, in Kurzem hinübergehen dürfte in den Schoos der ewigen Nacht. Aber gegen die Wolken erhob sich einer von den vielfachen Thürmen, welche ein bezeichnendes Merkmal der Stadt Brügge sind, und an dieser in den Himmel vorschwebenden Spindel hing das Auge von Gertrud Vane. In den verschiedenen Gegenständen, welche die Blicke der Beiden fesselten, drückten sich wie in einem Sinnbild der verschiedene Gang ihrer Gedanken und die verschiedenen Elemente ihres Wesens aus: er dachte 25 an Schmerzen, sie an Trost; sein Herz verkündete den Weggang von der Erde, das ihrige das Aufsteigen zum Himmel. Der tiefere Theil der Landschaft war in Schatten gehüllt; aber eben wo sich das Ufer zu einer scheinbaren Bucht einründete, fiel das Scheidelächeln der Sonne auf das Wasser und in kaum bemerkbaren Wellen schlug es gegen das grüne Kraut auf, welches das Gestad überkleidete. Zwei der zahlreichen Windmühlen, die einen so malerischen Zug jener Gegend bilden, standen am aufsteigenden Rand des Gewässers in geringer Entfernung von einander; ihre Flügel, in der Stille des Abends vollkommen bewegungslos, bildeten eine Zugabe zu dem ringsumher athmenden ländlichen Frieden. Für mich wenigstens liegt in den unbewegten Flügeln eines solchen Geschöpfs der menschlichen Geschäftigkeit ein besonders bezeichnender Ausdruck der Ruhe; ihr Stillstand scheint ein Bild der Stille unsres eignen Herzens: – kurz und ungewiß, der natürlichen Bestimmung entgegen; und doppelt eindringlich wird dieser Gedanke durch das Gefühl, das uns erinnert, wie unzuverläßig solche Rast ist, – wie abhängig vom leisesten Hauch, der sich in jedem Augenblick und von jeder Seite des Himmels her erheben kann! – Jene sahen keine lebende Gestalten vor sich, ausgenommen ein paar Landleute, die noch am Ufer weilten.

Trevylyan schmiegte sich fester an seine Gertrud, denn er liebte sie auf unendlich zarte Weise; die wachsame Sorge um sie machte seinem kräftigen Körper die erste Abendkühle noch früher bemerklich, als ihr selbst.

»Geliebte! laß mich Deinen Mantel fester um Dich hängen!«

Gertrud lächelte ihren Dank.

»Mir ist wohler, als seit Wochen,« sprach sie; »und kommen wir erst auf den Rhein, so wirst Du mich so gesund werden sehen, daß Deine ganze Theilnahme für mich aufhören dürfte.«

»Wollte der Himmel, meine Theilnahme für Dich würde auf eine solche Probe gestellt!« erwiederte Trevylyan; und langsam 26 kehrten sie nach dem Gasthof zurück, wo Gertrudens Vater ihrer bereits wartete.

Trevylyan war von wilder, entschlossener, thatkräftiger Natur. Mit sechszehn Jahren in die Welt geworfen, hatte er seine Jugend abwechselnd unter Vergnügungen, Reisen und einsamen Studien zugebracht. In dem Alter, worin der Mann für phantastische Einfälle vielleicht am wenigsten, für wahre Leidenschaft am meisten empfänglich ist, überwältigte ihn die Liebe zu dem holdesten Wesen, das je in die Entzückung eines Dichters herabgedämmert hat. Ich sage Dies ohne Uebertreibung, denn Gertrud Vane hatte in der That die Schönheit, aber auch die Vergänglichkeit eines Traums. Höchst seltsamer Weise begegnete es Trevylyan (der freilich auch ein seltsamer Mensch war), daß er, dessen Neigungen von Natur sehr schwer zu erregen schienen, beim ersten Blick eine Person lieben mußte, deren bereits zweifellose Krankheit jedes andere Herz abgeschreckt haben dürfte, seine Schätze einer Barke anzuvertrauen, die sich zur Lebensreise so gänzlich ungeeignet auswies. Schwindsucht, aber Schwindsucht in ihrer schönsten Gestalt hatte Gertruden ihren Stempel aufgedrückt, als Trevylyan sie zum erstenmal sah und beim ersten Sehen liebte. Er kannte die Gefahr des Uebels; er täuschte sich, einzelne Momente abgerechnet, nicht; er kämpfte gegen die aufkeimende Leidenschaft, vermochte sie aber bei aller Stärke seiner Natur nicht zu bewältigen. Er liebte, gestand seine Liebe, und Gertrud erwiederte sie.

In einer solchen Liebe liegt etwas unendlich Schönes – die reine Poesie des Herzens. Das Verlangen durch die Furcht geheiligt, und fast ohne die Möglichkeit auf dem gewöhnlichen Weg der Sinne seinen Zündstoff zu verzehren, bricht sich seinen Erguß in jenem unbestimmten Schmachten – jenem erhabenen Streben nach dem Hellen – Fernen – Unerreichten. Es ist »die Sehnsucht des Staubs nach den Sternen« – es ist die Liebe der Seele!

Die Aerzte hatten Gertrud gerathen, den Einfluß eines südlicheren Klimas zu versuchen; aber Gertrud war die Tochter einer 27 deutschen Mutter und ihre junge Phantasie hatte sich mit all den dichterischen Sagen und lockenden Träumen genährt, die den Ufern des Rheins angehören. Ihr Gemüth, mehr romantisch als klassisch, sehnte sich nach den rebenbekränzten Hügeln und geisterrüchigen Wäldern, die einen so fruchtbaren Zauber über Alles ausüben, die selbst nur wenige Züge aus der Literatur des Nordens gethan haben. Ihr mit Nachdruck ausgesprochener Wunsch, ihre erklärte Ueberzeugung, daß wenn irgend ein Ortwechsel den Fortschritt ihrer Krankheit noch aufhalten könne, es die Gestade des Stromes seyen, nach deren Anblick sie so lang geschmachtet, hatten bei den Aerzten und dem Vater den Ausschlag gegeben, und beide Theile zur Einwilligung in die Pilgerschaft am Rhein bewogen, auf welcher Gertrud, ihr Vater und ihr Geliebter jetzt begriffen waren.

An der grünen Uferkrümmung, welche die Liebenden von der Höhe von Brügge aus sahen, trafen auch unsere Elfenwanderer zusammen. Pipali, Schnipp, Tripp und der Großschatzmeister (dies war die ganze Gesellschaft, die von der Königin zum Reisegefolg ausgelesen worden) lehnten sich behaglich an den Rand des Wassers, spielten Domino mit Augentrost und den schwarzen Flecken des Klees, und warteten auf Ihro Majestät, die, eine neugierige kleine Fee, sich auf Rekognoscirung in der Stadt befand.

»Gott behüte!« rief der Großschatzmeister, »was für ein toller Einfall! Ueber diese unermeßliche Wasserwüste zu setzen! – und gab es je so erbärmliches Gras, wie dies da? – man sieht, daß es hier sehr übel um die Elfen stehen muß!«

»Sie sind immer unzufrieden, Mylord,« entgegnete Pipali. »Aber freilich scheinen Sie auch ein Bischen zu alt zum Reisen; – Sie müßten denn etwa in Ihrer Nußschale und mit Vieren fahren.«

Dem Großschatzmeister behagte diese Antwort nicht; er brummte ein ärgerliches »Pah!« und nahm eine Prise Geisblattstaub als Tröstung gegen die Nothwendigkeit, sich so viel Frivolität gefallen lassen zu müssen.

28 In diesem Augenblick, ehe der Mond noch seine Mittelhöhe erreicht hatte, langte Silpelit bei ihren Unterthanen an.

»Eben kehr' ich von einer Scene zurück,« hob sie mit dem Ausdruck der Wehmuth auf den Zügen an, »die in mir jene Anmuthung zu den menschlichen Wesen beinah' von Neuem hervorgerufen hat, von welcher unser Geschlecht in den letzten Jahren fast ganz abgekommen ist.«

»Ich durcheilte die Stadt, ohne sonderlichen Stoff zu einem Abenteuer zu bemerken. Einen Moment hielt ich auf dem Pfühl eines fetten Bürgers still, und ließ ihn von Liebe träumen. Entsetzt wachte er auf und rannte hinunter, ob nicht etwa seine Käse Schaden genommen hätten. Mit leichter Schwinge streifte ich über die Augen eines Politikers, und straks träumte er von Theater und Musik. Einen Leichenbesorger traf ich im ersten Schlummer und ließ ihn in den Wirbeln eines Walzers zurück. Denn was wäre der Schlaf, bildete er keinen Gegensatz gegen das Leben? Sofort kam ich in ein einsames Gemach, worin ein Mädchen in der zartesten Jugend betend neben ihrem Bett kniete, und ich sah, daß der Geist des Todes über sie hingegangen, und der Mehlthau auf die Blätter der Rose gefallen war. Das Zimmerchen still und ruhig! – der Engel der Reinheit hielt darin Wache. Des Mädchens Herz war voll Liebe und doch voll heiliger Gedanken, und ich ließ sie von dem ihr versagten langen Leben träumen, von einem glücklichen Haus, von den Küssen ihres jungen Geliebten, von ewiger Treue und nie schwindender Zärtlichkeit. Möge sie mindestens im Traum genießen was das Schicksal der Wirklichkeit versagt hat! Aus dem Zimmer tretend fand ich ihren Freund im Mantel neben der Thür ausgestreckt; denn er liest mit zuckender, verzweifelter Voraussicht das Loos, das ihrer wartet, und so sehr liebt er selbst die Luft, die sie athmet, den Boden, den sie tritt, daß wenn er sie nicht mehr sieht, er still und unbemerkt zu dem ihrer heiligenden Gegenwart nächsten Ort schleicht, damit so lang sie noch auf Erden weilt, keine Stunde, keine Minute einem andern Gedanken zugewiesen 29 sey, als ihr. In der Verminderung des Zwischenraums, der ihn für jetzt nur augenblicklich von ihr trennt, liegt für ihn ein Gefühl der Sicherheit, ein furchtbarer Trost. Solche Liebe erschien mir nicht wie die Liebe der gemeinen Welt; ich hielt meine Schwingen an, und betrachtete sie wie Etwas, für dessen Schönheit und düstere Wahrheit Jahrhunderte vielleicht kein Gegenbild aufweisen können. Aber den Schlummer wehrte ich von den Augen des Liebenden ab, denn wohl wußte ich, daß der Schlaf für ihn ein Tyrann ist, der während er sein Leben fristet, die kurze Zeit des liebenden Bewußtseins beschränkt; und ein trüber, ängstlicher Gedanke an die Geliebte ist süßer für den Armen, als der lachendste Elfentraum. So hielt ich ihn denn wach und blieb bei ihm durch die lange Nacht und fühlte, daß, so lang die Kinder der Erde die wahre Liebe unter sich gegenwärtig erhalten, sie immer noch etwas haben, was sie den Geistern edlerer Abkunft verbündet.«

Und ach! liegt denn in unsern Dichtungen von der unsichtbaren Welt nicht doch eine Wahrheit? Gibt es nicht wirklich holde Bewohner der Forsten und Ströme? Blicken Mond und Sterne nicht auf zarte, beschwingte Gestalten herab, die sich in ihrem Licht baden? Sind Elfen und unsichtbare Begleiter blos die Kinder unserer Träume, nicht ihre Schöpfer? Ist Alles, was aus dem goldenen Buch des Schlafs zu uns spricht, nur eitel Trug? Gehört die Welt blos rauhen, angsterfüllten Arbeitern, die in der Verfolgung nicht zarter Schatten hin und wieder wandeln? Sind die Gespenster der Leidenschaft die einzigen Geister im Weltall? Nein! indem meine Erinnerung zu ihren verborgensten Schätzen hinabsteigt, wurde das Bild Einer, die nicht mehr ist, – die »nicht der Erde irdisch Kind« war, – Einer, in welcher die Liebe als Inbild göttlicher Gedanken erschien, – Einer, deren Gestalt und Geberde, deren Herz und Sinn, hätte auch früher nie ein Dichter davon geträumt, die Vorstellung von Geistern erzeugt haben müßte, die den Sterblichen gleichen aber nicht zu ihnen gehören . . . . nein, Gertrude, indem ich Deiner gedenke, 30 klammert sich der Glaube an hellere Gestalten und schönere Naturen, als die, wovon die Welt weiß, an mein Herz, und fort und fort will ich denken, Elfen hätten über Deinen Schlaf gewacht und Geister seyen Deiner Träume Diener gewesen.

 


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