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40.

Basel, Samstag, 5. Juni 1880.

Ihr Brief vom 29. Mai hat mich sehr gefreut, indem daraus erhellt, dass Sie guter Dinge sind. Und der Bibbiena mitsamt seiner unsinnigen Brücke ist doch ein beneidenswerter Phantast gewesen, und ich wollte, ich hätte eine gute und vollständige Ausgabe des Tollsten, was er erfunden hat. Und dass Sie mit dem Louvre Freundschaft geschlossen haben, ist auch erfreulich. Die Wohnung direkt unter dem Zinkdach wird Ihnen vielleicht in diesem sogenannten Sommer keine Molesten machen, heut ist nur 11° R+ und scheusslicher Sturmregen gewesen und das Jahr lässt sich wahrhaftig an wie das vorige, obgleich es doch diesmal kein Schützenfest zu verregnen gibt.

G. hat mir, Ihrer Anweisung gemäss, den Brief mitgeteilt mit der Beschreibung der Faustaufführung. Jene Daram haben wir letzten September in der Grossen Oper als Elvira in der Muette gesehen; es ist eine ganz mittlere Stimme und sieht gewiss nur noch von weitem gut aus. Wozu soll man aber Stimmen ersten Ranges à prix fous bezahlen, wenn die Oper dennoch zum Brechen voll wird? Es könnte mit der Zeit ein wahres brevet de médiocrité werden, Hauptsänger der grand opéra zu sein. Die Dekoration des grossen Ballettes im vierten Akt dagegen ist gewiss so vorzüglich und poetisch richtig gewesen als möglich. Sonst gibt man überall auf grossen Theatern (z. B. in Wien) jenen banalen Schwindel aus Tausendundeine Nacht, von welchem Sie berichten, ohne alles Elegische und Mysteriöse, mit der grellsten durchgängigen Verschwendung von Tageshelle.

Neues ist sonst hier nicht passiert, dass ich wüsste. Wenn Sie mich fragen, was mich gegenwärtig in den Zeitungen am meisten interessiert, so sind es die dreimaligen Beratungen und Schlussdekrete des Genfer Grossen Rates über Trennung von Kirche und Staat. Das Referendum kann wohl den Beschluss verwerfen, aber nicht für lange; die Sache wird wieder und wieder kommen und sich siegreich durchsetzen. Was das bedeutet, sieht man aus dem sofortigen Geheul des Radikalismus. Ich sehe bei allen Händeln dieser Welt sehr viel weniger mehr auf das Objekt selbst, als auf das eine: wem machts Vergnügen? und wem Verdruss?

So weit kommt man, wenn man alt wird.


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