Max Dreyer
Ohm Peter
Max Dreyer

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Heute, mein Fräulein, kommst du nun einmal mit aufs Wasser!«

Ellen nickte dem Ohm zu, aber in ihren Augen war die Angst.

Wohl war es ein sonniger Morgen, doch ein kräftiger Ostnordost fuhrwerkte mit Hallo um das Haus und rüttelte herrisch an seinen Fensterläden. Und die See war voll weißer Köpfe.

Dorthin sollte sie fahren – auf das weite, wilde, trostlose Wasser, vor dem sie immer Furcht gehabt hatte, seit sie es zum erstenmal gesehen, und wohl schon, ehe sie es kannte.

»Das ist nun das Pflegekind eines Fischers und ist noch nie mitgefahren!«

»Fischer – bist du denn Fischer? Du bist doch mehr!«

»Ja. Ackerbauer. Fischer und Ackerbauer, so steht es in der Steuerliste. Und das muß wahr sein. 112

Ich pflüge die Erde, ich pflüge das Meer,
Was ist auf der Welt, was gewaltiger wär'!«

Er packte sie an den Schultern, daß sie zusammenfuhr. »Komm, mach dich fertig!« Da gab es kein Erbarmen.

Als sie dem Strande zugingen, sahen sie von der Dünenhöhe aus den alten Wittmüs schon mit dem Boot beschäftigt.

»Wie heißt das Boot eigentlich?« fragte Ellen, um nur irgend etwas zu sagen, um nur aus ihrer beklemmenden schweigsamen Furchtsamkeit herauszukommen.

»Sieh – das ist das erstemal, daß du nach ihm fragst. ›Mien‹ heißt es.«

»Mien?«

»Ja, ›Mein!‹ Die dummen Menschen glauben natürlich, das wär' so viel wie ›Mine‹. Als ob jedes Fahrzeug 'n Frauenzimmernamen haben müßte! Aber ich will dir was sagen, Kleine. Wenn du dich auf der ersten Fahrt sachgemäß benimmst, soll es ›Ellen‹ heißen. Und frisch angestrichen wird es dann auch!«

Sie waren jetzt unten bei dem Alten.

»Na, Johann? Alles all right

»Jawoll, Herr Brandt.« 113

Peter zog die großen Seestiefel an, die bis an die Hüften gehen. »So, Kind, nun steig ein!«

Er half ihr über den Rand, sie setzte sich gottergeben hin, die Männer schoben das Boot über den Sand ins Wasser und durchs Wasser weiter, bis dieses tief genug war, das Fahrzeug zu tragen. Dann sprangen sie hinauf und kletterten hinein.

Noch lagen sie unter Wind, das Vorgebirge hielt hier noch die Brise von ihnen ab. Sie setzten das Raasegel.

»Sollen wir auch 'n Reff einlegen?« fragte Johann Wittmüs, auf die See hinauslugend.

»Nee, nee! Bei dem bißchen Wind!«

So wurde das Segel voll aufgezogen.

Sie gaben dem Boot ein paar Riemenstöße; jetzt faßten auch die Vorboten des Windes schon das Segel, Peter setzte sich an das Ruder, der Alte zog nach dessen Wink nun auch den Klüver auf, und das Fahrzeug kam in Schuß.

Ellen hatte, sobald die Vorbereitungen sie in Ruhe gelassen, in der Mitte am Mast ihren Platz genommen. Den einen Arm schlang sie um diesen Halt. Sie wollte und wollte sich von ihrer Verzagtheit nicht unterkriegen lassen. Sie wollte sich ihres Pflegevaters nicht unwürdig zeigen. 114

Was konnte ihr denn auch geschehen? Der Ohm war doch bei ihr. Und Vater Wittmüs war doch auch da. Wo die waren, konnte sie doch auch sein. In eine Gefahr hätte der Ohm sie gewiß nicht mitgenommen.

Nun wurde das Boot unruhig. Und es gab einen Stoß, daß sie zuckend atmete mit aufgerissenem Munde. Und wieder und wieder schlugen die brandenden Wellen hart und dröhnend wie schwere Klötze gegen die krachende Bootswand.

Schaum spritzte ihr ins Gesicht – das schreckte sie auf und tat ihr doch wohl dabei.

Doch aus dem Schaum wurde mehr, jetzt waren es Wassertropfen – eine Hand voll Wasser – da – ein Eimer voll – eine ganze Welle – die ganze See brauste über sie her – sie mußte ertrinken – laut, gellend schrie sie auf – sie klammerte sich an den Mast – ihre Augen suchten durch das Wasser nach dem Ohm. Der saß fest und ruhig, wo er immer gesessen hatte – und jetzt machte er eine Bewegung und warf ihr etwas zu und nickte bezeichnend – es war sein Oelzeug – und ehe sie alles recht begriff, steckte Vater Wittmüs sie in den wasserdichten Rock mit einem zärtlichen »So, mien lütt Diern!« und nahm sie auf 115 einen Platz, wo sie vor den hereinschlagenden Wogenkämmen besser geschützt war.

Sie sehnte sich nach dem Ohm, nach einem Wort von ihm, nach seiner Hand, sie suchte nach seinen Augen, aber die gehörten dem Boot und seinem Weg, die kümmerten sich nicht um sie und ihre Not.

Da fühlte sie sich verlassen und elend und so krank, zum Sterben krank.

Ihr war es, als sollte sie den Geist aufgeben, als wollte all ihr Leben aus ihr heraus – und frierend, zitternd und stöhnend sank sie vornüber.

»Spie di man düchdig ut, mien lütt Diern,« sagte ermunternd der Alte. Er hielt ihr den Kopf, und sie wußte nicht mehr, was mit ihr geschah.

Und dann warf sie wieder aus all ihrer Drangsal auf den Ohm Peter ihre Blicke, und da sah sie etwas in seinen Augen, was sie lange nicht vergessen konnte, etwas, was sie in die elendeste Verlassenheit hinausstieß.

Wie hatten ihre ertrinkenden Blicke zu ihm gefleht – und er gab ihr etwas zurück, was schlimmer war als Kälte und Fremdheit: ein Funkeln fröhlicher Grausamkeit züngelte nach ihr hin.

Davon stand ihr Herz still – das war das 116 Entsetzen eines Feindseligen – und das kam von ihm – das war bei ihm – sie wollte nicht mehr leben – nichts mehr sehen – nur sterben – nichts wissen – nichts fühlen – nur sterben –

Sie rollte sich zusammen und begrub sich in ihre Not.

Was die verzerrten Blicke Ellens gesehen und ergriffen hatten, es war davon etwas, wie sehr es auch in ihrer kindlichen Verzweiflung verwilderte, immerhin am Werke gewesen. Peter hatte, wie er so herrisch am Steuer saß und das geängstigte Boot hindurchzwang durch die böswillige See, immer weiter und ferner sich in seine selbstherrliche Einsamkeit hineingefunden.

Was ging ihn dieser kleine Haufen Elend im Grunde an!

Seekrank ist die kleine Person – nun ja! Davon wird weiter kein Wesens gemacht. Das ist doch mehr zum Lachen als zum Weinen.

Und Angst hat sie, klappernde Angst. Das ist allerdings mehr zum Weinen als zum Lachen.

Ja, ein Mädel – –!

Da sind Jim und Jum andre Kerle! Als die das erstemal mit ihm gefahren sind – gespuckt haben sie auch wie die Fontänen. Aber 117 zwischendurch haben sie sich ausgelacht, sich die Zungen ausgestreckt und sich die Borsten gezaust.

Und er mußte sich ein Mädel aufhalsen lassen!

Alles, was in den letzten Tagen wieder fremd in sein Behagen getönt hatte, alles, was das Kind ihm an Zumutungen auflud, an Peinlichem, an Beengendem und an familiärem Dunst, die ganze Unleidlichkeit des sauersüßen Geschmackes, der ihm öfters davon auf die Zunge kam, all das drängte sich grausam zusammen in der Rauheit dieser Stunde.

Und dann – so etwas Krankes, Wimmerndes und Hilfloses, er hatte nun einmal ganz und gar keine Wärme dafür. Er war zum Pfleger nicht angetan. Einen gewissen Abscheu konnte ihm so was Leidendes einflößen. Und er begriff die Tiere so gut, bei denen alle, die in Krankheit fallen, als etwas Unleidliches und Ungehöriges kurzerhand totgebissen, totgestoßen oder sonst aus der klaren Welt geschafft werden.

Bis zur rohesten Härte gedieh in solcher Stunde Peters verknorrte Art, Ellen hatte in dem Blick, der sie entsetzte, nicht die Unwahrheit gesehen. Nur daß es die Wahrheit kurzer Zeiten war, etwas, was jäh und grell hervorschoß, um wieder in die gütigen Gründe seines zerklüfteten Wesens zurückzutauchen. 118

Ellen aber wollte immer noch sterben, als die Männer längst die Heringsnetze ausgesetzt hatten, als das Boot gewendet war und wieder ruhigeres Wasser gewann.

Nun fühlte sie auch die Hand des Ohms, nach der sie sich vorhin so inbrünstig gesehnt hatte, und diese Hand war sorgsam und lind. Sie streichelte ihr Haar, dabei sprach er ihr zu, kräftig war noch sein Ton, aber er hatte doch nichts Rauhes mehr.

»Na, Kleine – jetzt wird's besser. Jetzt kommen wir wieder an Land.«

Er war aufgestanden und mit Vater Wittmüs beschäftigt, das große Segel herunterzunehmen. Dann stieg er über Bord ins Wasser, ließ sich von dem Alten das Kind zureichen und trug es in seinen Armen auf den Strand.

Hier setzte er sie in den Sonnenschein aufs Dünengras. »Das war nichts fürs Ellenkind – für das Elfenkind. Nun ruh dich hier aus. Wir kommen dann auch.«

Er nickte ihr zu, mit so gutem Auge, daß sie ihm ganz benommen, ratlos, verworren und wie verschlafen nachsah, als er sich dem Boot wieder zuwandte.

Was hatte sie nur vorhin in diesen selben 119 Augen gesehen? Sie schauerte zusammen, wenn sie daran dachte. Aber es behielt doch nur leise Macht in ihr, nicht mehr als ein böser Traum.

Und als er ihr aus dem Boote, wo er mit dem Alten alles in Ordnung brachte, ein paarmal mit der Hand zuwinkte, winkte sie ihm froh zurück.

Dann stieg im gleichen Maße, wie sich ihr körperliches Befinden hob, der Aerger in ihr auf, daß sie sich so wenig tapfer gezeigt hatte.

Es war ja wohl ganz erklärlich, daß sie dem Ohm so zuwider gewesen war! Und sie empfand jene Blicke schon nicht mehr als so unfaßbar schlimm. Aber ihr Aerger wuchs bis zur Scham. Und sie gewann schwer ihren Gleichmut wieder.

Als sie mit den Männern durch die Dünen heimwärts schritt, brachte sie es über sich, mit mattem Lächeln zu sagen: »›Ellen‹ wird das Boot nun wohl nicht heißen.«

»Nein. ›Mien‹ – dabei muß es nun bleiben.«

Die Worte waren fest und kurz. Und in dem »Mien« war ein bündiger Gegensatz zu allem andern in der Welt. Aber dabei legte er den Arm um ihren Hals. Und damit war die Not dieses Tages doch im Schwinden. 120

 


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