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Zwölftes Kapitel.
Gegenseitiges Verrechnen.

Wir sprachen darüber, Brzetislav, Baron R. und ich, und wir schüttelten alle drei sehr weise die Köpfe.

»Ich kenne Belgien,« sagte ich, »und ich behaupte, es ist unmöglich, absolut unmöglich.«

»Ich kenne Belgien nicht,« nahm Brzetislav das Wort, »und ich sage doch ebenfalls: es ist unmöglich.«

»Nach einem solchen Leben voll Freiheit kann sie sich gar nicht in eine kühle, ordentliche, belgische Häuslichkeit schicken,« setzte Baron R. bestätigend hinzu.

»Sie kann sich in gar keine schicken!« rief Brzetislav leise, aber ungeduldig. »Sie kann's nicht, sag' ich. Keine Künstlerin kann's leicht, die kann's gar nicht!«

»Und das schauerliche Drama ›die Schwiegermutter‹, welches hier noch dazu mit zwei Rollen gespielt werden würde!« sagte ich mit einem aufrichtigen Schauder.

»Ja, die Generalin und die Douairière zusammen, wie soll das gehen?« bestätigte Baron R.

»Was wollten Sie in Ihrer Ehe und in Ihrem Hause mit der Mutter Charlottens anfangen?« fragte ich Norbert, als ich das nächste Mal mit ihm über seine Liebesangelegenheit sprach, das will sagen: überhaupt mit ihm sprach, denn von etwas Anderem redete er natürlich niemals.

Norbert antwortete sehr bestimmt: »Nichts will ich mit ihr anfangen; von ihr muß Charlotte sich unbedingt trennen.«

»Aber bedenken Sie denn, was Sie da verlangen? Und Sie haben ja im Ganzen noch gar kein Recht, etwas zu verlangen.«

»Ich werde erst verlangen, wenn ich das Recht dazu haben werde.«

»Und werden Sie es je bekommen, dieses Recht?«

»Ja, denn Charlotte liebt mich.«

Das war seine feste, unerschütterliche Ueberzeugung. Die Männer glauben sich leicht geliebt, und zwar bis zu dem Grade, wo die Liebende um des Geliebten willen nicht nur die Welt, sondern ihr eigenes Wesen aufgibt. Nun ist aber eine solche Liebesdemuth bei Frauen eben so selten, wie bei Männern; es gibt in der Sagenwelt des Mittelalters nur eine Griseldis Fiktive Figur, die zum ersten Mal in Boccacios ›Decamerone‹ auftaucht. Sie ist die Tochter eines armen Bauern, die von einem Fürsten geheiratet wird. Dieser Fürst stellt Griseldis verschiedene Prüfungen, um herauszufinden, ob seine Frau ihm völlig ergeben ist. Griseldis erträgt alle diese Prüfungen und Torturen geduldig., in der modernen Poesie nur ein Käthchen von Heilbronn »Das Käthchen von Heilbronn oder Die Feuerprobe« (1807/08 entstanden, 1810 uraufgeführt), ›großes historisches Ritterschauspiel‹ von Heinrich von Kleist (1777-1811).. Wenn die Frauen sich im Allgemeinen bieg- und fügsamer zeigen als die Männer, so ist es, weil sie aus nachgiebigerem Stoff gemacht sind, minder bestimmte Eigenschaften, weniger Kraft zur innern Selbstgestaltung haben. Wo bei einer Frau das Naturell nur einigermaßen individualisirt ist, da täuscht der Mann sich in hundert Fällen gewiß achtundneunzig Mal, wenn er glaubt, die Liebe zu ihm sei eine Gluth, in welcher es sich unfehlbar schmelzen und mit moralischen Zusätzen vermischen lasse. Es wird schmelzen, das weibliche Element wird leicht glühend und flüssig, aber wenn es wieder erkaltet ist, so wird der Mann zur tiefen Demüthigung seiner Herreneitelkeit entdecken, daß es ganz und gar dasselbe geblieben ist. Nur die höchsten und stärksten Frauennaturen unterwerfen sich und geben den Umformungswünschen des Mannes nach, aber sie thun es nur, weil sie es wollen.

Carlotta, die nie einen Willen, sondern immer nur Launen, höchstens Eigensinn gehabt hatte, Carlotta mußte für das läuternde Feuer der Liebe ein für alle Mal spröde unempfänglich sein, ja, ich traute ihr sogar keine Gluth der Einbildungskraft zu, sie war eben nur einer sinnlichen Entzündung fähig. In die hatte Dujardin sie allerdings versetzt, und je länger der Sturm seiner Leidenschaft auf Carlotta eindrang, je heftiger ward in ihr die Flamme angefacht, welche ihre Ruhe, ihre Künstlerschaft, ja, sie selbst zu verzehren drohte. Carlotta fühlte auch ihre Gefahr, darum wehrte sie sich mit solcher Wildheit gegen Norberts Verfolgung, welche wirklich der eines Verhängnisses glich, darum beschwor sie mich mit angstvollem Weinen, ihn von ihr abzubringen.

»Und wenn ich's thäte,« sagte ich eines Tages gegen Weihnachten zu ihr, »wenn ich's thäte, würden Sie mich verwünschen und mir die heftigsten Vorwürfe machen.«

»Möglich«, antwortete sie bitter. »Sie können Recht haben, ich bin's vielleicht schon so gewöhnt, von ihm verfolgt zu werden, daß es mir fehlen würde, wenn ich die Qual los wäre.«

»Sie würden sogar danach schreien, sie wieder zu fühlen,« entgegnete ich.

»Ja,« sagte sie düster vor sich hin, »eigentlich lieb' ich ihn.«

»Das sagt er,« sprach ich, »und ich glaub's auch, so viel Sie's können, nämlich.«

»Ich möcht's mehr können!« sagte sie aufrichtig. »So, daß ich es wüßte, ich könnte Alles thun, was er verlangt.«

»Auch Ihre Mutter aufgeben?« fragte ich.

»Mama? – Nein, nie!« rief sie aufbrausend, »das zu verlangen, wär' eine Infamie.«

»Das nun wol nicht, höchstens eine Härte, und vielleicht sogar eine nothwendige. Ihre Frau Mutter würde immer Ihr bisheriges Leben repräsentiren, und das müßte in einem neuen wo möglich ganz vergessen werden.«

»Ich will Nichts vergessen, ich habe mich vor Nichts in meiner Vergangenheit zu schämen, und ich vergesse überhaupt nicht.«

»Da ist also auch Herr Dujardin sicher, nie vergessen zu werden.«

»O, wenn ich das könnte!« brach sie plötzlich in wildem Schmerz aus. »Wenn ich in mir verwischen könnte, daß ich ihn je gesehen, wie man mit einem Schwamme auslöscht, was mit Kreide geschrieben ist!«

»Die Zeit dient bisweilen so als Schwamm,« sagte ich, in Carlotta's Vorstellungsweise eingehend, welche leicht bildlich war, wenn sie sich unbefangen sich selbst überließ.

»Die Zeit!« wiederholte sie. »Wenn die Zeit das gethan haben wird, da werd' ich selber wie ein altes verwischtes Bild sein. Nein, sollte es mir was helfen, ihn zu vergessen, so müßte es jetzt geschehen, augenblicklich, damit ich wieder frei würde, so lange ich noch jung bin, so lange ich noch mit Lust und Glanz Künstlerin sein kann. Und er läßt mich nicht!«

Sie kreuzte die Arme über der Brust und ließ den Kopf sinken. Bei gesteigertem Affekt wurde sie in Geberden und Stellungen unwillkürlich theatralisch.

Ich ließ Carlotta stehen, so lange sie wollte – was sollte ich ihr sagen? Rathen? Rathen ist in solchen Fällen kein Helfen, nur ein Nochmehrverwirren.

Sie erhob den Kopf wieder, die Arme ließ sie gekreuzt, drückte mit ihnen gleichsam ihr Herz nieder, indem sie weich und wehmüthig sagte: »Und doch – wenn er mich nicht geliebt hätte, ich hätte das Beste in meinem Leben nicht kennen gelernt. Denn, nicht wahr, Geliebtwerden ist doch das Höchste auf Erden?«

»Wiederlieben ist noch besser und höher,« antwortete ich.

»Ich will ihn ja wieder lieben!« rief sie, »wie heiß, wie treu, wie ausschließlich! Nur soll er mich auf meinem Wege lassen und mit mir gehen!«

»Dasselbe fordert er,« bemerkte ich.

»Nun, so kommt es also nur darauf an, wer von uns mächtiger ist.«

»Mir scheint es auch so, nur sind Sie eben bis jetzt mächtiger gewesen?«

»Er ist es doch gewesen, der gefolgt ist, also gewissermaßen nachgegeben hat.«

»Gewissermaßen ja, aber nur unter Protest.«

»Sein Protestiren wird nicht anerkannt.«

»Wenn er aber weiter protestirt?«

»Das soll er nicht.«

»Wollen Sie es ihm abgewöhnen?«

»Ja.«

»Glauben Sie, es zu können?«

»Ja.«

»Nun, er glaubt abermals dasselbe von Ihnen.«

»Lassen Sie ihn glauben was er will,« rief das wunderliche Geschöpf, mit einem Sprunge plötzlich mitten d'rinnen im kecksten Uebermuthe. »Wenn ich ihn nur dahin bringe, wo ich ihn haben will.«

»Daß er nachgibt? –«

»Nachgeben muß. Bis jetzt hab' ich nur immer Widerstand geleistet, seine Vorurtheile anzugreifen hab' ich noch nicht versucht.«

»Ich dächte doch, neulich beim Konzert –«

»Das war nur mittelbar,« warf sie geringschätzend hin.

»Wohl, versuchen Sie es unmittelbar.«

»Soll geschehen, wird geschehen und wird glücken,« rief sie halb singend, indem sie vom Flügel aufsprang; denn sie hatte bei uns in allen Sprachen herummusizirt. »Mama soll ihn heute noch einladen, und dann soll er sehen, ob er sich mir nicht wird unterwerfen müssen. Ich will, ich will, ich will es!«

»Gut, wenn Sie es wollen, wollen, wollen, so wird's ja wol gehen, gehen, gehen,« schloß ich etwas ironisch und zugleich nicht wenig gelangweilt. Das unaufhörliche Hin- und Herreden über eine Sache, die mich im Grunde doch gar Nichts anging, fing an, mich ernstlich zu ermüden. Ja, wäre Carlotta meine Schwester gewesen – meine Tochter konnte sie nicht sein, dazu war sie nicht mehr jung genug, aber meine Schwester, oder Freundin, oder auch ein sehr liebenswürdiges und mir dadurch sympathisches Wesen, so hätte ich es ihr allenfalls verziehen, daß sie so mit meiner Zeit wirthschaftete. Aber sie war mir ja doch immer weiter noch Nichts, als eine Fremde, die sich ohne Weiteres zu einer Zimmerplage gemacht hatte.

Brzetislav nahm, vielleicht weil er immer nur Dujardin sah und hörte, viel lebhafter Theil an der Sache. Er kam zwei Tage, nachdem Carlotta mir ihre definitiven Absichten auf den Belgier erklärt, in einer Aufregung zu mir, deren ich ihn gar nicht für fähig gehalten hätte. Norbert hatte den Abend vorher ein Billet von Carlotta erhalten, worin sie ihn zum Thee einlud. »Und er ist hingegangen,« schloß Brzetislav verdrießlich.

»Sehr natürlich,« sagte ich lachend.

Brzetislav fand das nicht natürlich. Nachdem Carlotta dem Belgier so lange entschieden ausgewichen –

»Soll er ihr doch nicht etwa seinerseits ausweichen, nun sie ihm endlich entgegenkommt?«

»Aber was will sie nur von ihm?«

Ich gab Brzetislav mein letztes Gespräch mit Carlotta im Auszug. Brzetislav sah sehr bestürzt aus. »Sie ist im Stande, ihn einzufangen,« sagte er.

»Ich glaube es nicht,« antwortete ich. »In der Zusammensetzung eines Belgiers gibt es ein gutes Theil Hartnäckigkeit, und Dujardin scheint mir diese Eigenschaft in einem noch größeren Maße zu besitzen, als seine Landsleute im Allgemeinen.«

»In keinem Falle können wir etwas thun,« sprach Brzetislav seufzend. »Was ich vermocht habe, guten Rath geben, das hab' ich redlich gethan, jetzt ist's an Dujardin, sich selber zu helfen. Wenn er nur nicht heute schon wieder hinauf wollte!«

Der Belgier kam eine Stunde später, und zwar von Carlotta. Sein Gesicht war heller, als ich es noch je gesehen, er hatte neue Hoffnung gefaßt. Carlotta hatte ihn zu sich gerufen, um ihn sich zu unterwerfen, er war dem Rufe gefolgt, um Gelegenheit zu haben, die Bekehrung Carlotta's endlich zu vollbringen. Daß sie ihm gelingen würde, daran zweifelte er eben so wenig, wie Carlotta an ihrem Siege über ihn gezweifelt hatte.

Und so kämpften sie mit einander, Wille gegen Wille, Auge in Auge. Er, der Anwalt des kirchlichen Familienlebens, sie, die Repräsentantin der Weltlichkeit. Wem sollte der entscheidende letzte Triumph bleiben? Keinem, wenn nicht an Einem von Beiden ein innerliches Wunder geschah. Sie wollten zu Verschiedenes, kämpften unter zu gleichen Vortheilen. War Dujardin stärker, so stand er dafür auch völlig allein, während Carlotta nicht nur den leidenschaftlichen Beistand ihrer Mutter, sondern auch die Parteinahme der Gesellschaft für sich hatte. Der hohe Adel – in Prag sagt man so – der hohe Adel hatte Carlotta entschieden angenommen, er hielt und stützte sie, selbst gegen die Kritik, welche seit dem Konzert nicht länger gut auf die Sängerin zu reden war, obgleich sie ihre Bedenken, eben der Macht wegen, die Carlotta unter ihre Beschirmung genommen, nur mit halber Stimme zu äußern wagte. Carlotta, eitel als Frau und Künstlerin, gerieth in einen wahren Taumel von Anmaßung und verlor gänzlich den Begriff ihrer wahren Stellung. Weil sie in die Gesellschaft gezogen wurde, glaubte sie von der Gesellschaft zu sein. Sie wurde befohlen und hielt sich für eingeladen, sie wurde beschützt und wähnte sich gehuldigt, sie ließ sich bezahlen und beschenken und meinte sich ihren Gönnern ebenbürtig.

Von dieser ihrer geträumten Höhe blickte sie auf Alles herab, was nicht gleich ihr in den Kreisen des hohen Adels verkehrte, und betrachtete besonders Norbert ganz wie ihren Vasallen.

Wenn er es war, so war er ein sehr widerspenstiger. Kein Genter konnte sich je trotziger gegen Karl V. aufgelehnt haben 1539 verließ Karl V. Spanien, um gegen Unruhen in seiner Geburtsstadt Gent vorzugehen. Dort hatten sich die unteren Volksschichten gegen die herrschenden Patrizier aufgelehnt. Dabei spielten auch religiöse Motive eine Rolle. Die Bürger träumten von einer protestantischen Stadt unter französischem Schutz und wollten keine weiteren Kriegslasten mehr tragen. Der Genter Aufstand wurde mit militärischer Gewalt unterdrückt., und das will etwas sagen. Alles, wodurch Carlotta die Herrschaft über ihn zu gewinnen hoffte, blieb ohne Einfluß auf ihn. Was sie ihre Erfolge nannte, das nannte er Demüthigungen, wo sie Triumphe zu feiern meinte, da sah er Beleidigungen. Er, welcher ihr die schönsten Diamanten geben konnte, sobald sie seine Frau war, er mußte es mit ansehen, daß sie unbedeutende Schmucksachen als Geschenke annahm, und dafür wie für Huldbeweise dankte. Sie, welche an seinem Arme selbst als Beschützerin der Kunst hätte hintreten können, zog es vor, sich als Künstlerin patronisiren zu lassen. Das machte ihn innerlich fast rasend. Und zuletzt verlangte sie gar noch, er solle sie begleiten, wenn sie befohlen wurde, drängte ihn, die Gnade des Eintrittes anzunehmen, welche sie ihm durch ihre Fürbitte in jene Cirkel zu verschaffen hoffte, wo sie Königin zu sein glaubte, weil sie eine neue Unterhaltung war. Er, der reiche unabhängige Belgier, welcher an seinem Hofe so gut erscheinen konnte, wie die Stolzesten der spanisch stolzen belgischen Großen, er sollte sich in Prag als Carlotta's Mantillenträger dulden lassen? Dujardin hatte das ächte Selbstbewußtsein des alten ehrenwerthen Bürgers; ohne im Mindesten der Aristokratie feindlich zu sein, schätzte er seinen neuen Adel so gering, daß er sich nie anders schrieb, als ganz einfach Norbert Dujardin, weswegen ich anfangs auch geglaubt hatte, Carlotta könne vielleicht aus mißverstandenem Adelstolze zögern, ihn zu heirathen. Und er sollte sich jetzt zu der Rolle des Eindringlings erniedrigen und sollte es sich auch noch für eine Ehre schätzen, sie spielen zu dürfen? Carlotta mußte wirklich den Kopf verloren haben, sonst hätte sie nicht so unsinnig und unklug sein können, einem Manne wie Dujardin dergleichen zuzumuthen.


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