Alexander Dumas
Ange Pitou. Band 2
Alexander Dumas

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Frau von Staël.

Als Gilbert im Fiaker seinen Platz neben Billot und Pitou gegenüber wieder eingenommen hatte, war er bleich, und ein Schweißtropfen perlte an der Wurzel von jedem seiner Haare.

Doch es lag nicht im Charakter dieses Mannes, unter der Macht irgend einer Gemütsbewegung gebeugt zu bleiben. Er warf sich in die Ecke des Wagens zurück, drückte seine beiden Hände an seine Stirne, als hätte er die Gedanken darin zusammenpressen wollen, ließ, nachdem er einen Augenblick unbeweglich gewesen, die Hände wieder fallen und zeigte, statt eines verstörten Gesichtes, eine vollkommen ruhige Physiognomie.

Sie sagten also, sprach er dann, Sie sagten, mein lieber Herr Billot, der König habe dem Herrn Baron von Necker seinen Abschied gegeben?

Ja, Herr Doktor.

Und die Unruhen in Paris rühren von dieser Ungnade her?

Sie fügten bei, Herr von Necker habe sogleich Paris verlassen?

Er erhielt sein Entlassungsdekret, als er eben zu Mittag speiste; eine Stunde nachher war er unterwegs nach Brüssel.

Wo er sein soll . . . Hörten Sie nicht sagen, er habe unterwegs angehalten?

Doch, in Saint-Ouen, um von seiner Tochter, Frau von Staël, Abschied zu nehmen.

Ist Frau von Staël mit ihm abgereist?

Wie ich sagen hörte, ist er mit seiner Frau allein abgereist.

Kutscher, rief Gilbert, halten Sie bei dem ersten besten Schneider an.

Wollen Sie die Kleider wechseln? fragte Billot.

Jawohl. Dieser Rock hat sich ein wenig zu stark an den Mauern der Bastille abgerieben, und in solchem Anzug macht man keinen Besuch bei der Tochter eines in Ungnade gefallenen Ministers. Suchen Sie in Ihren Taschen und sehen Sie, ob Sie nicht ein paar Louis d'or darin finden.

Ho! ho! sagte der Pächter, es scheint, Sie haben Ihre Börse in der Bastille gelassen.

So verlangt es die Vorschrift des Gefängnisses, erwiderte Gilbert lächelnd; jeder Gegenstand von Wert wird in der Kanzlei niedergelegt.

Und bleibt dort, sprach der Pächter.

Und er öffnete seine große Hand, die etwa zwanzig Louis d'or enthielt, und setzte hinzu: Nehmen Sie, Doktor.

Gilbert nahm zehn Louis d'or. Einige Minuten nachher hielt der Fiaker vor dem Laden eines Trödlers an. Das war damals noch der Gebrauch. Gilbert vertauschte seinen alten gegen einen neuen schwarzen Rock, wie ihn die Herren vom dritten Stand in der Nationalversammlung trugen,

Ein Friseur in seiner Bude, ein Savoyard auf seinem Stühlchen vollendeten die Toilette des Doktors.

Der Kutscher führte Gilbert über die äußeren Boulevards nach Saint-Ouen, und er stieg vor dem Hause des Herrn von Necker in dem Augenblick ab, als es sieben Uhr auf der Dagoberts-Kathedrale schlug.

Um dieses Haus, wo es kurz zuvor noch von eifrigen Besuchen wimmelte, herrschte eine tiefe Stille, die nur die Ankunft des Fiakers von Gilbert unterbrach; und dennoch war es nicht jene Melancholie der verlassenen Schlösser, jene grämliche Traurigkeit der von der Ungnade getroffenen Häuser.

Die geschlossenen Gitter, die verödeten Blumenbeete verkündigten wohl den Abgang der Gebieter; doch keine Spur von Schmerz oder allzu großer Eile.

Überdies hatte ein ganzer Teil des Schlosses, der östliche Flügel, die Sommerläden offen behalten, und als Gilbert sich nach dieser Seite wandte, kam ein Lakai in der Livree des Herrn von Necker dem Besuch entgegen.

Durch das Gitter entspann sich nun folgendes Gespräch:

Mein Freund, befindet sich Herr von Necker nicht mehr im Schlosse?

Nein, der Herr Baron ist mit der Frau Baronin vergangenen Sonnabend nach Brüssel abgereist.

Aber Frau von Staël?

Madame ist hier geblieben. Doch ich weiß nicht, ob Madame empfangen kann; es ist die Zeit ihrer Promenade.

Ich bitte, erkundigen Sie sich, wo sie ist, und melden Sie ihr den Doktor Gilbert.

Ich will mich erkundigen, ob Madame in ihren Zimmern ist. Ohne Zweifel wird sie den Herrn empfangen. Geht sie aber spazieren, so habe ich den Befehl, sie nicht in ihrer Promenade zu stören.

Der Lakai öffnete das Gitter; Gilbert trat ein.

Während der Lakai das Gitter wieder schloß, warf er einen forschenden Blick auf den Wagen, der den Doktor gebracht hatte, und auf die seltsamen Gestalten seiner zwei Reisegefährten.

Dann entfernte er sich, den Kopf schüttelnd wie ein Mensch, bei dem der Verstand nicht ausreicht; der aber jeden andern Verstand herauszufordern scheint, da klar zu sehen, wo der seinige in der Finsternis geblieben ist.

Gilbert blieb zurück und wartete allein.

Nach fünf Minuten kam der Lakai zurück.

Die Frau Baronin geht spazieren, sagte er.

Und er verbeugte sich, um Gilbert den Abschied zu geben.

Der Doktor aber hielt sich nicht für geschlagen und erwiderte:

Mein Freund, ich bitte, wollen Sie Ihr Verbot ein wenig übertreten, mich der Frau Baronin melden und ihr sagen, ich sei der Freund des Herrn Marquis von Lafayette.

Ein in die Hand des Lakais gedrückter Louisd'or besiegte die Bedenklichkeiten, die der vom Doktor ausgesprochene Name schon halb gehoben hatte.

Treten Sie ein, mein Herr, sagte der Lakai.

Gilbert folgte ihm. Doch statt ihn in das Haus eintreten zu lassen, führte er den Doktor in den Park.

Hier ist die Lieblingsseite der Frau Baronin, sagte der Lakai, Gilbert den Eingang zu einer Art von Labyrinth bezeichnend. Wollen Sie einen Augenblick hier warten.

Zehn Minuten nachher vernahm man ein Geräusch im Blätterwerk, und eine große Frau von dreiundzwanzig bis vierundzwanzig Jahren, von mehr edlen, als anmutigen Formen, erschien vor den Augen von Gilbert.

Sie schien erstaunt, als sie einen noch so jungen Mann gewahrte, wo sie ohne Zweifel einen Menschen von schon ziemlich reifem Alter erwartet hatte.

Gilbert war in seinem Äußeren in der That merkwürdig genug, um bei einer Beobachterin von der Schärfe der Frau von Staël schon beim ersten Anblick Eindruck zu machen.

Wenige Männer besaßen ein aus so reinen Linien gebildetes Gesicht, und diese Linien hatten durch die Übung eines gewaltigen Willens den Charakter außerordentlicher Unbeugsamkeit angenommen. Seine schönen schwarzen, immer so seelenvollen Augen hatten durch Arbeit und Leiden eine milde Festigkeit angenommen, und dadurch jene Unruhe verloren, die einer von den Reizen der Jugend ist.

Eine tiefe und zugleich anmutige Falte höhlte am Winkel seiner Lippen jene geheimnisvolle Vertiefung aus, in welche die Physiognomiker den Sitz der Bedachtsamkeit legen. Es schien, als ob bloß die Zeit und ein frühzeitiges Alter Gilbert diese Eigenschaft gegeben hätten, die er von Natur aus nicht besaß.

Seine breite, wohlgerundete Stirne mit einer leichten Flucht, die seine schönen schwarzen Haare dämmten, verriet zugleich den streng wissenschaftlichen Geist und die Macht der Phantasie. Bei Gilbert, wie bei seinem Lehrer Rousseau, warf das Vorstehen der Augenbrauen einen dichten Schatten auf die Augen, und aus diesem Schatten sprang der leuchtende Punkt hervor, der das geistige Leben offenbarte.

Trotz seines bescheidenen Anzugs erschien also Gilbert vor den Augen der zukünftigen Verfasserin von Corinna unter einem merkwürdig schönen und ausgezeichneten Anblick, dessen Gesamtwesen sich noch durch seine langen, weißen Hände und durch seine schmalen, an ein feines, muskulöses Bein sich wohl anschließenden Füße vervollständigte.

Frau von Staël verlor einige Augenblicke damit, daß sie Gilbert prüfend betrachtete.

Diese Zeit verwendete Gilbert seinerseits zu einem steifen Gruß, der einigermaßen an die bescheidene Höflichkeit der Quäker in Amerika erinnerte, die der Frau, statt des lächelnden Respektes, nur die brüderliche Höflichkeit zugestehen.

Dann analysierte er mit einem raschen Blick die ganze Person der schon berühmten jungen Frau, deren verständigen und ausdrucksvollen Zügen es durchaus an Reiz gebrach; denn es war eher der Kopf eines unbedeutenden und trivialen jungen Mannes, als ein Frauenkopf auf einem Leibe voll wollüstiger Üppigkeit.

Sie hielt den Zweig eines Granatbaumes in der Hand, und aß in der Zerstreuung von dessen Blüten.

Mein Herr, Sie sind der Doktor Gilbert? fragte die Baronin.

Ja, Madame, der bin ich.

Noch so jung, haben Sie sich bereits einen sehr großen Ruf erworben; oder sollte vielleicht dieser Ruf Ihrem Vater, oder irgend einem älteren Verwandten von Ihnen gelten?

Madame, außer mir kenne ich keinen Gilbert, und wenn wirklich, wie Sie sagen, ein wenig Ruf mit meinem Namen verknüpft ist, so habe ich alles Recht, ihn in Anspruch zu nehmen.

Mein Herr, Sie haben sich des Namens des Marquis von Lafayette bedient, um zu mir zu gelangen, und der Marquis hat uns in der That von Ihrer unerschöpflichen Wissenschaft gesprochen.

Gilbert verbeugte sich.

Eine Wissenschaft, die um so merkwürdiger, um so interessanter, fuhr die Baronin fort, als Sie, wie es scheint, kein gewöhnlicher Chemiker, kein Praktiker, wie die andern, sind und alle Geheimnisse der Wissenschaft des Lebens ergründet haben.

Ich sehe wohl, Madame, erwiderte Gilbert lächelnd, der Herr Marquis von Lafayette wird Ihnen gesagt haben, ich sei ein wenig Zauberer; und wenn er Ihnen das gesagt hat, so weiß ich, daß er Geist genug hat, um Ihnen, sobald dies seine Absicht war, auch den Beweis hierfür nicht schuldig zu bleiben.

In der That, mein Herr, er hat uns von wunderbaren Kuren gesprochen, die Sie, sei es auf dem Schlachtfelde, sei es in den amerikanischen Hospitälern an verzweifelten Subjekten machten; Sie versenkten dieselben, wie uns der General gesagt hat, in einen scheinbaren Tod, der dem wirklichen so ähnlich war, daß dieser selbst sich darin täuschte.

Dieser scheinbare Tod, Madame, ist das Resultat einer beinahe unbekannten, heute nur den Händen von einigen Eingeweihten anvertrauten Wissenschaft, die am Ende allgemein werden wird.

Mesmerismus, nicht wahr? fragte Frau von Staël lächelnd.

Mesmerismus, ja, so ist es.

Sollten Sie Lektionen bei dem Meister selbst genommen haben ?

Ach! Madame, Mesmer selbst war nur der Schüler. Der Mesmerismus oder vielmehr der Magnetismus war eine schon den Ägyptern und Griechen bekannte Wissenschaft. Sie verlor sich im Ozean des Mittelalters. Shakespeare errät sie im Macbeth. Urbain Grandier findet sie wieder auf und stirbt dafür, daß er sie aufgefunden hat. Doch der Großmeister, mein Meister, ist der Graf von Cagliostro.

Dieser Charlatan? rief Frau von Staël.

Madame! Madame! hüten Sie sich davor, mit den Zeitgenossen zu urteilen, statt mit der Nachwelt. Diesem Charlatan verdanke ich mein Wissen, und die Welt wird ihm vielleicht die Freiheit zu verdanken haben.

Es mag sein, versetzte lächelnd Frau von Staël. Ich spreche, ohne die Sache zu kennen, und Sie sprechen mit Kenntnis davon. Es ist wahrscheinlich, daß Sie recht haben und daß ich unrecht habe . . . Doch kommen wir auf Sie zurück. Warum haben Sie sich solange von Frankreich entfernt gehalten? Warum sind Sie nicht zurückgekehrt, um Ihren Platz unter den Lavoisier, den Cabanis, den Condorcet, den Bailly und den Louis einzunehmen?

Bei diesem letzten Namen errötete Gilbert unmerklich.

Madame, ich habe zu viel zu studieren gehabt, um mich sogleich unter die Meister einzureihen.

Nun sind Sie endlich hier, doch in einem für uns schlimmen Augenblick. Mein Vater, der sich, ich bin es fest überzeugt, glücklich geschätzt hätte, Ihnen nützlich sein zu können, ist in Ungnade gefallen und vor drei Tagen abgereist.

Gilbert lächelte. Frau Baronin, sprach er, leicht sich verbeugend, vor sechs Tagen bin ich auf Befehl des Herrn Barons von Necker in die Bastille gesteckt worden.

Frau von Staël errötete ebenfalls.

Wahrhaftig, mein Herr, Sie sagen mir da etwas, was mich ungemein in Erstaunen setzt. Sie in der Bastille? Was hatten Sie denn gethan?

Diejenigen, welche mich haben einsperren lassen, könnten es mir allein sagen.

Aber Sie sind wieder herausgekommen?

Ja, Madame, weil es keine Bastille mehr giebt.

Wie, keine Bastille mehr? rief Frau von Staël mit scheinbarem Erstaunen.

Haben Sie die Kanonen nicht gehört?

Ja, doch Kanonen, das sind nur Kanonen.

O! erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen: es ist unmöglich, daß Frau von Staël, die Tochter des Herrn von Necker, zu dieser Stunde nicht weiß, daß die Bastille vom Volke genommen worden ist.

Ich versichere Ihnen, mein Herr, erwiderte verlegen die Baronin, allen Ereignissen seit dem Abgange meines Vaters fremd, beschäftige ich mich nur damit, daß ich über seine Abwesenheit weine.

Madame! Madame! versetzte Gilbert, den Kopf schüttelnd, die Staatskuriere sind zu sehr an den Weg gewöhnt, der nach dem Schlosse Saint-Ouen führt, als daß nicht wenigstens einer in den vier Stunden, seitdem die Bastille kapituliert hat, gekommen sein sollte.

Die Baronin sah, daß es ihr unmöglich war, zu antworten, ohne entschieden zu lügen. Die Lüge widerstrebte ihr, und sie veränderte das Gespräch.

Und welchem Umstande verdanke ich die Ehre Ihres Besuches? fragte sie.

Ich wünschte die Ehre zu haben, Herrn von Necker zu sprechen, Madame.

Aber Sie wissen, daß er nicht mehr in Frankreich ist?

Madame, es schien mir so außerordentlich, daß Herr von Necker sich entfernt haben, so unpolitisch, daß er die Ereignisse nicht überwacht haben sollte, daß ich, ich gestehe es, darauf zählte, Sie würden mir den Ort angeben, wo ich ihn finden könnte.

Sie werden ihn in Brüssel finden, mein Herr.

Gilbert heftete seinen forschenden Blick auf die Baronin.

Ich danke, Madame, sagte er, sich verbeugend, ich werde also nach Brüssel abreisen, da ich ihm Dinge von der höchsten Wichtigkeit mitzuteilen habe.

Frau von Staël machte eine Bewegung des Zögerns, dann erwiderte sie: Zum Glück kenne ich Sie, mein Herr, und ich weiß, daß Sie ein ernster Mann sind; denn diese so wichtigen Dinge könnten wohl an ihrem Werte verlieren, wenn sie durch einen andern Mund gingen . . . Was kann es aber nach der Ungnade, nach dem Vorgefallenen, noch wichtiges für meinen Vater geben?

Es giebt die Zukunft, Madame, und ich soll vielleicht nicht ganz ohne Einfluß auf die Zukunft sein. Doch dies alles ist unnütz. Wissen Sie, was zwanzig Stunden in Revolutionszeiten sind, und wie viele Dinge in zwanzig Stunden vorfallen können? Oh! welche Unklugheit hat Herr von Necker begangen, daß er zwanzig Stunden zwischen sich und die Ereignisse, zwischen seine Hand und das Ziel gelegt hat.

Wahrhaftig, mein Herr, Sie erschrecken mich, sagte Frau von Staël, und ich fange in der That an zu glauben, daß mein Vater eine Unklugheit begangen hat.

Was wollen Sie, Madame? nicht wahr, die Dinge sind nun einmal so? Ich habe mich nur noch der Störung wegen, die ich Ihnen verursacht, auf das demütigste zu entschuldigen. Leben Sie wohl, Madame.

Doch die Baronin hielt ihn zurück und sprach: Ich sage Ihnen, mein Herr, daß Sie mich erschrecken, Sie sind mir über dies alles, was mich so sehr beunruhigt, eine Erklärung schuldig.

Ah! Madame, ich habe in diesem Augenblick so viele persönliche Interessen zu überwachen, daß es mir durchaus unmöglich ist, an die der andren zu denken; es handelt sich um mein Leben und um meine Ehre, wie es sich um das Leben und die Ehre des Herrn von Necker handeln würde, wenn er sogleich hätte die Worte hören können, die ich ihm nun erst in zwanzig Stunden sagen werde.

Mein Herr, erlauben Sie mir, mich eines Umstandes zu erinnern, den ich zu lange vergessen habe: daß nämlich solche Fragen nicht unter dem freiem Himmel, in einem Parke, im Bereiche der Ohren aller verhandelt werden sollen.

Madame, ich nehme mir die Freiheit, Ihnen zu erwidern, daß ich mich bei Ihnen befinde, und daß es folglich bei Ihnen stand, den Ort unseres Zusammenseins zu bestimmen. Was wünschen Sie? Ich bin zu Ihren Befehlen.

Sie sollen mir den Gefallen thun, dieses Gespräch in meinem Kabinett zu beendigen.

Ah! ah! sagte Gilbert zu sich selbst, wenn ich sie nicht in Verlegenheit zu bringen befürchtete, würde ich sie fragen, ob ihr Kabinett in Brüssel sei.

Doch er fragte nichts und beschränkte sich darauf, daß er der Baronin folgte, die nun sehr rasch auf das Schloß zuging.

Vor der Fassade fand man denselben Lakai, der Gilbert empfangen hatte. Frau von Staël machte ihm ein Zeichen, öffnete selbst die Thüren und führte Gilbert in ihr Kabinett, ein reizendes Gemach, doch mehr männlichen als weiblichen Geschmack verratend, dessen zweite Thüre und zwei Fenster auf eine nicht nur für fremde Personen, sondern auch für fremde Ohren unzugängliches Gärtchen gingen.

Hier angelangt, schloß Frau von Staël die Thüre wieder, wandte sich gegen Gilbert um und sagte: Mein Herr, im Namen der Menschlichkeit fordere ich Sie auf mir zu sagen, worin das Geheimnis besteht, das Sie nach Saint-Ouen geführt hat, und dessen Mitteilung meinem Vater ersprießlich sein kann.

Madame, erwiderte Gilbert, wenn Ihr Herr Vater mich hier hören könnte, wenn er wissen könnte, daß ich der Mann bin, der dem König die geheime Denkschrift, betitelt: Ideen über die Lage Europas und den Fortschritt der Freiheit, überschickt hat, – ich bin fest überzeugt, der Herr Baron von Necker würde auf der Stelle erscheinen und zu mir sagen: Doktor Gilbert, was wollen Sie von mir? sprechen Sie, ich höre Sie.

Gilbert hatte diese Worte noch nicht vollendet, als eine in einer Füllung, unter einem Gemälde von Banloo verdeckt, verborgene Thüre geräuschlos sich öffnete, und der Baron von Necker lächelnd auf der Schwelle einer kleinen Wendeltreppe erschien, von deren Höhe herab man das Licht einer Lampe fallen sah.

Nachdem die Baronin von Staël Herrn Gilbert gegrüßt und ihren Vater auf die Stirne geküßt hatte, schlug sie den Weg ein, auf dem er gekommen war, stieg die Treppe hinauf, schloß die Füllung und verschwand.

Necker war auf Gilbert zugegangen, reichte ihm die Hand und sprach: Hier bin ich, Herr Gilbert; was wollen Sie von mir? Ich höre Sie.

Beide nahmen Stühle.

Herr Baron, sagte Gilbert, Sie haben ein Geheimnis vernommen, das Ihnen alle meine Ideen offenbart. Ich bin es, der vor vier Jahren dem Könige eine Denkschrift über die allgemeine Lage Europas hat zukommen lassen; ich bin es, der ihm seit dieser Zeit aus den Vereinigten Staaten die verschiedenen Denkschriften über alle Fragen innerer Vereinbarung und Verwaltung, die sich in Frankreich erhoben, überschickt hat.

Denkschriften, fügte Necker bei, von denen Seine Majestät mit mir nie ohne eine tiefe Bewunderung und einen ebenso tiefen Schrecken sprach.

Ja, sagte Gilbert, weil sie die Wahrheit enthielten; weil die Wahrheit damals furchtbar zu hören war. Nachdem aber heute die Wahrheit zur Thatsache geworden, ist sie noch viel furchtbarer zu sehen, nicht so?

Das ist unbestreitbar, mein Herr, erwiderte Necker.

Diese Denkschriften, fragte Gilbert, hat sie Ihnen der König mitgeteilt?

Nicht alle, mein Herr, nur zwei: eine über die Finanzen. Abgesehen von einigen Verschiedenheiten, sprachen Sie darin meine eigne Ansicht aus, und ich fühlte mich dadurch sehr geehrt.

Das ist nicht alles, es war eine dabei, in der ich ihm alle die materiellen Ereignisse, die in Erfüllung gegangen sind, vorausgesagt.

Ich bitte, welche, mein Herr?

Unter anderen waren es zwei besonders: das eine, daß er sich genötigt sehen würde, in Rücksicht der von ihm eingegangenen Verbindlichkeiten Sie zu entlassen.

Sie haben ihm meine Entlassung vorhergesagt?

Vollkommen.

Das ist das erste Ereignis; welches war das zweite?

Die Einnahme der Bastille.

Sie haben die Einnahme der Bastille vorhergesagt?

Herr Baron, die Bastille war mehr als das Gefängnis des Königtums, sie war das Symbol der Tyrannei. Die Freiheit hat damit angefangen, das Symbol zu vernichten, die Revolution wird das übrige thun.

Haben Sie das Gewicht der eben gesprochenen Worte auch berechnet, mein Herr?

Allerdings.

Fürchten Sie sich nicht, eine solche Theorie ganz laut auszusprechen?

Fürchten, wovor?

Daß Ihnen Unglück widerfahre.

Herr von Necker, erwiderte Gilbert lächelnd, wenn man aus der Bastille kommt, hat man vor nichts Furcht.

Sie kommen aus der Bastille? Und warum waren Sie in der Bastille?

Das frage ich Sie.

Und warum mich?

Weil Sie mich haben hineinbringen lassen.

Ich habe Sie in die Bastille bringen lassen?

Vor sechs Tagen; das Datum ist, wie Sie sehen, nicht sehr alt, und Sie müßten sich erinnern.

Das ist unmöglich.

Erkennen Sie Ihre Unterschrift? sprach Gilbert.

Und er zeigte dem Exminister das Gefangenenregister der Bastille und den geheimen Verhaftsbefehl, der sich demselben beigefügt fand.

Ja, allerdings, sagte Necker, hier ist der Verhaftsbefehl. Sie wissen, daß ich so wenig als möglich unterzeichnete, und dieses Wenige belief sich dennoch auf viertausend Unterschriften jährlich. Überdies habe ich im Augenblick meiner Abreise bemerkt, daß man mich einige Verhaftsbefehle, bei denen der Platz für den Namen noch weiß war, hatte unterzeichnen lassen. Der Ihrige, mein Herr, wird zu meinem großen Bedauern einer von diesen gewesen sein.

Damit sagen Sie mir, mein Herr, daß ich in keiner Weise meine Einkerkerung Ihnen zuzuschreiben habe?

Nein, gewiß nicht.

Aber, Herr Baron, versetzte Gilbert lächelnd. Sie begreifen meine Neugierde; ich muß wissen, wem ich für meine Gefangenschaft zu Dank verpflichtet bin. Haben Sie also die Güte, es mir zu sagen.

Oh! nichts kann leichter sein. Ich habe aus Vorsicht meine Briefe nie im Ministerium gelassen, sondern sie jeden Abend hieher gebracht. Die von diesem Monat sind in der Schublade B. dieses Schrankes. Suchen wir in dem Bunde den Buchstaben G.

Necker öffnete die Schublade und durchblätterte einen ungeheuren Bund, der fünf- bis sechshundert Briefe enthalten konnte.

Ich behalte nur die Briefe, die ihrer Natur nach meine Verantwortlichkeit zu sichern imstande sind. Eine Verhaftung, die ich vornehmen lasse, ist ein Feind, den ich mir mache. Ich muß also den Streich pariert haben. Das Gegenteil würde mich sehr in Erstaunen setzen. Sehen wir G . . . G . . . das ist es. Ja, Gilbert. Das kommt Ihnen vom Hause der Königin zu, mein lieber Herr.

Ah! ah! vom Hause der Königin!

Ja, Begehren eines Verhaftsbefehls gegen einen Namens Gilbert. Kein Gewerbe. Schwarze Haare, schwarze Augen. Folgt das Signalement. Begiebt sich von Havre nach Paris, das ist das Ganze. Dieser Gilbert waren also Sie?

Das war ich. Können Sie mir den Brief also anvertrauen?

Nein, doch ich kann Ihnen sagen, von wem er unterzeichnet ist, von Gräfin von Charny.

Gräfin von Charny? wiederholte Gilbert; ich kenne sie nicht, ich habe ihr nichts gethan.

Und er erhob sachte den Kopf, als wollte er in seinen Erinnerungen suchen.

Dabei findet sich eine kleine Randbemerkung, die nicht unterzeichnet ist, aber von einer mir bekannten Handschrift. Sehen Sie.

Gilbert neigte sich und las am Rande des Briefes: Ohne Verzug zu thun, was die Gräfin von Charny verlangt.

Das ist seltsam, sagte Gilbert, die Königin, das begreife ich noch, es war von ihr und den Polignac in meiner Denkschrift die Rede. Doch diese Frau von Charny . . .

Sie kennen Sie nicht?

Das muß ein Name sein, den man nur dazu hergegeben hat. Übrigens darf man sich nicht darüber wundern, daß mir die Notabilitäten von Versailles unbekannt sind. Seit fünfzehn Jahren bin ich von Frankreich abwesend; ich habe es nur zweimal wiedergesehen, und das zweite Mal vor bald vier Jahren verlassen. Wer ist die Gräfin von Charny, wenn ich fragen darf ?

Die Freundin, die Vertraute der Königin, die sehr angebetete Frau des Grafen von Charny, eine Schönheit und eine Tugend zugleich, kurz ein Wunder.

Nun, ich kenne dieses Wunder nicht.

Wenn dem so ist, mein lieber Doktor, so bleiben Sie dabei stehen, daß Sie das Spielzeug einer politischen Intrigue sind. Sie haben vom Grafen Cagliostro gesprochen?

Ja, er ist mein Freund gewesen, mehr als mein Freund, mein Lehrer, mehr als mein Lehrer, mein Retter.

Wohl! Österreich oder der heilige Stuhl werden Ihre Einkerkerung verlangt haben. Sie haben Broschüren geschrieben?

Ach! ja.

Alle diese kleinen Rachgieren wenden sich der Königin zu, wie die Kompaßnadel dem Nordpol, wie das Eisen dem Magnet. Man hat gegen Sie komplottiert; man hat Sie von Leuten bespähen lassen. Die Königin hat Frau von Charny beauftragt, den Brief zu unterzeichnen, um den Verdacht zu entfernen, und damit ist das Geheimnis aufgeklärt.

Gilbert dachte einen Augenblick nach.

Dieser Augenblick des Nachdenkens rief das bei Billot in Pisseleux gestohlene Kistchen in sein Gedächtnis zurück, mit dem weder die Königin, noch Österreich, noch der heilige Stuhl etwas zu thun hätten, und diese Erinnerung brachte ihn wieder auf den rechten Weg.

Nein, sagte er, das ist es nicht, das kann es nicht sein; doch gleichviel, gehen wir zu etwas anderm, zu Ihnen über.

Zu mir? was haben Sie mir von mir zu sagen?

Was Sie so gut wissen, als irgend jemand: daß Sie binnen drei Tagen wieder in ihre Funktionen eingesetzt sind, und daß Sie dann Frankreich so despotisch regieren werden, als Sir wollen.

Sie glauben? versetzte Necker lächelnd.

Und Sie auch, da Sie nicht in Brüssel sind.

Nun wohl! das Resultat? denn zum Resultat müssen wir kommen.

Vernehmen Sie es. Sie sind bei den Franzosen beliebt. Sir werden von ihnen angebetet sein. Die Königin war es schon lange müde, Sie geliebt zu sehen, der König wird es müde werden, Sie angebetet zu sehen; beide werden Popularität auf Ihre Kosten treiben, und Sie werden es nicht leiden. Dann werden Sie beim Volke unbeliebt. Das Volk, mein lieber Herr Necker, ist ein hungriger Löwe, der nur die fütternde Hand liebt, welche Hand dies auch sein mag. Hernach fallen Sie wieder in Vergessenheit zurück.

Ich, in die Vergessenheit? Und was würde mich vergessen machen?

Die Ereignisse.

Bei meinem Ehrenwort, Sie sprechen als Prophet.

Ich habe das Unglück, es ein wenig zu sein.

Lassen Sie hören, was wird geschehen?

Oh! was geschehen wird, ist nicht schwer vorherzusagen, denn was geschehen wird, steckt im Keime in der Nationalversammlung. Eine Partei wird sich erhellen, die in diesem Augenblick schläft, oder vielmehr, die wacht, aber sich verbirgt. Diese Partei hat zum Haupte ein Prinzip, zur Waffe eine Idee.

Ich begreife. Sie sprechen von der orleanistischen Partei?

Nein. Von dieser hätte ich gesagt, sie habe zum Haupte einen Mann, zur Waffe die Volksbeliebtheit. Ich spreche von einer Partei, deren Name nicht einmal genannt worden ist: von der republikanischen Partei.

Von der republikanischen Partei? Ah! was denken Sie?

Sie glauben nicht daran?

Chimäre.

Ja, Chimäre mit dem feurigen Rachen, der euch alle verschlingen wird.

Wohl! ich werde Republikaner, ich bin es schon.

Republikaner von Genf, ganz richtig.

Mir scheint, ein Republikaner ist ein Republikaner.

Das ist der Irrtum, Herr Baron; unsre Republikaner werden durchaus nicht den Republikanern andrer Länder gleichen; unsere Republikaner werden zuerst die Vorrechte, dann den Adel, dann das Königtum verschlingen. Ihr andern werdet mit unsern Republikanern abgehen, aber sie werden ohne euch ankommen, denn Ihr werdet nicht dahin gehen wollen, wohin sie gehen. Nein, Herr Baron von Necker, Sie täuschen sich. Sie sind kein Republikaner.

Oh! wenn Sie es so verstehen, nein; ich liebe den König.

Und ich auch, und alle Welt liebt ihn in diesem Augenblick, wie wir. Wenn ich das, was ich sage, einem minder erhabenen Geiste sagte, als Ihnen, so würde man mich auszischen und ausschelten; doch dürfen Sie sicher daran glauben, Herr von Necker!

Das würde ich in der That auch thun, wenn die Sache irgend eine Wahrscheinlichkeit hätte; aber . . .

Kennen Sie die geheimen Gesellschaften?

Ich habe viel davon sprechen hören.

Glauben Sie daran?

Ich glaube an ihre Existenz, aber nicht an ihre Allgemeinheit.

Sind Sie Mitglied von einer?

Nein.

Wohl, Herr Minister, ich bin es, und nicht bloß von einer, sondern von allen. Herr Minister, geben Sie wohl acht, das ist ein ungeheures Netz, das alle Throne umschlingt. Es ist ein unsichtbarer Dolch, der alle Monarchien bedroht. Wir sind ungefähr drei Millionen Brüder, in allen Ländern verbreitet, in allen Klassen der Gesellschaft zerstreut. Wir haben Freunde im Volke, im Bürgerstand, im Adel, bei den Prinzen, unter den regierenden Fürsten sogar. Nehmen Sie sich in acht, Herr von Necker, der Prinz, vor dem Sie sich vielleicht als Gegner der geheimen Gesellschaften zu erkennen geben, ist möglicherweise ein Affiliierter derselben – nehmen Sie sich in acht! Der Bediente, der sich vor Ihnen verbeugt, ist vielleicht ein Affiliierter. Ihr Leben gehört ihnen. Ihr Vermögen gehört ihnen, sogar Ihre Ehre gehört ihnen. Dies alles gehört einer unsichtbaren Macht, gegen die Sie nicht zu kämpfen imstande sind, denn Sie kennen sie nicht, während dieselbe Sie zu verderben vermag, weil Sie ihr bekannt sind. Wohl denn! diese drei Millionen Menschen, sehen Sie, die bereits die amerikanische Republik gemacht haben, versuchen es nunmehr, auch eine französische, und später eine europäische Republik zu machen.

Aber Ihre Republik der Vereinigten Staaten erschreckt mich nicht zu sehr, und gern nehme ich dieses Programm an.

Ja, doch zwischen Amerika und uns ist eine Kluft. Amerika, ein neues Land, ohne Vorurteile, ohne Privilegien, ohne Königtum, ein nährender Boden, fruchtbare Ländereien, jungfräuliche Wälder, Amerika liegt zwischen dem Meere und dem Urwald, wovon jenes einen Ausweg für seinen Handel, dieser eine Hilfsquelle für seine Bevölkerung bietet, während Frankreich! . . . sehen Sie doch, was man in Frankreich zu zerstören hat, ehe Frankreich Amerika gleicht.

Oh! wohin wollen Sie denn kommen?

Ich will dahin kommen, wohin wir unglücklicherweise gehen. Doch ich will danach trachten, daß wir ohne gewaltsame Erschütterung dahin kommen, indem ich den König an die Spitze der Bewegung stelle, als einen Schild.

Einen Schild? versetzte Necker lächelnd. Sie kennen den König nicht, wenn Sie ihn eine solche Rolle wollen spielen lassen.

Doch, ich kenne ihn. Ei! mein Gott, ich weiß es wohl, er ist ein Mann, wie ich tausend an der Spitze kleiner Bezirke von Amerika gesehen habe, ein braver Mann, ohne Majestät, ohne Widerstand, ohne urheberische Kraft – doch was wollen Sie? Und wäre es nur durch den geheiligten Titel, den er führt, so ist er doch immerhin ein Wall gegen die Menschen, von denen ich soeben sprach; und so schwach auch ein Wall sein mag, man hat ihn doch lieber als nichts.

Ich erinnere mich, in unsern Kriegen mit den wilden Stämmen im Norden Amerikas ganze Nächte hinter ein paar Schilfrohren zugebracht zu haben; der Feind war auf der andern Seite des Flusses und schoß nach uns. Ein Rohr ist wenig, nicht wahr? und dennoch gestehe ich Ihnen, Herr Baron, daß mein Herz behaglicher hinter diesen großen, grünen Rohren schlug, die eine Kugel wie Fäden durchschneiden konnte, als wenn ich auf freiem Felde gewesen wäre. Nun wohl, der König ist mein Rohr. Er erlaubt mir den Feind zu sehen, und verhindert den Feind, daß er mich sieht. Darum bin ich Republikaner in New-York oder Philadelphia, Royalist in Frankreich. Dort hieß unser Diktator Washington. Hier weiß Gott, wie er heißen wird: Dolch oder Schafott.

Sie sehen die Dinge blutfarbig an, Doktor.

Herr Baron, wenn Sie heute auf der Grève gewesen wären, so würden Sie die Dinge ebenso ansehen, wie ich.

Ja, das ist wahr; es soll dort, wie ich höre, eine Metzelei stattgefunden haben.

Es ist eine schöne Sache um das Volk . . . wenn es schön ist! . . . . O menschliche Stürme! rief Gilbert aus, wie weit, wie weit laßt ihr die Stürme des Himmels hinter euch zurück!

Necker wurde nachdenkend.

Wie schade, daß ich Sie nicht bei mir habe, Doktor, sagte er. Sie wären für mich, wenn es Not thäte, ein strenger Ratgeber.

Bei Ihnen, Herr Baron, wäre ich Ihnen nicht so dienlich, und besonders Frankreich nicht so nützlich, wie da, wohin ich zu gehen Lust habe.

Und wohin wollen Sie gehen?

Hören Sie, mein Herr; es ist beim Throne selbst ein großer Feind des Throns, beim König selbst ein großer Feind des Königs: das ist die Königin. Die arme Frau vergißt, daß sie die Tochter von Maria Theresia ist, oder sie erinnert sich dessen nur aus dem Gesichtspunkte des Stolzes: sie glaubt den König zu retten, und sie schadet mehr, als der König: sie richtet das Königtum zu Grunde. Wohl denn! wir, die wir den König lieben, wir, die wir Frankreich lieben, wir müssen miteinander übereinkommen, um diese Macht zu neutralisieren, um diesen Einfluß zu vernichten.

Nun, so thun Sie, was ich Ihnen gesagt habe; bleiben Sie bei mir, helfen Sie mir.

Wenn ich bei Ihnen bleibe, werden wir nur ein einziges Thätigkeitsmittel haben: Sie werden ich sein, ich werde Sie sein. Wir werden uns trennen, mein Herr, und dann haben wir ein doppeltes Gewicht.

Und wohin werden wir es mit dem allen bringen?

Dahin, daß wir die Katastrophe vielleicht verzögern, aber sicherlich nicht verhindern, obschon ich Ihnen für einen mächtigen Unterstützer bürge, für den Marquis von Lafayette.

Lafayette ist ein Republikaner.

Wie ein Lafayette ein Republikaner sein kann. Müssen wir durchaus unter dem Niveau der Gleichheit passieren, so lassen Sie uns, glauben Sie mir, das der vornehmen Herren wählen. Ich liebe die Gleichheit, welche erhebt, und nicht die, welche erniedrigt.

Und Sie stehen uns für Lafayette?

Solange man nur Ehre, Mut, Aufopferung von ihm verlangen wird, ja.

Nun, so reden Sie also, was wünschen Sie?

Einen Einführungsbrief zu Seiner Majestät dem König Ludwig XVI.

Ein Mann von Ihrem Verdienst bedarf keines Einführungsbriefes; er stellt sich selbst vor.

Nein, es sagt mir zu, Ihr Geschöpf zu sein; es entspricht meinen Plänen, von Ihnen vorgestellt zu werden.

Und wonach trachten Sie?

Einer der Quartal-Aerzte des Königs zu werden.

Oh! nichts kann leichter sein. Doch die Königin?

Bin ich einmal beim König, so ist das meine Sache.

Doch wenn Sie die Königin verfolgt?

Dann werde ich machen, daß der König einen Willen hat.

Der König einen Willen? Sie werden mehr als ein Mensch sein, wenn Sie das vermögen.

Derjenige, welcher den Leib lenkt, müßte ein großer Tölpel sein, wenn es ihm eines Tages nicht gelänge, auch den Geist zu lenken.

Glauben Sie aber nicht, daß es, um Arzt des Königs zu werden, eine schlechte Empfehlung ist, in der Bastille eingesperrt gewesen zu sein.

Bin ich nicht Ihrer Ansicht nach wegen des Verbrechens der Philosophie verfolgt worden?

Das befürchte ich.

Dann stellt der König seine Ehre wieder her, der König macht sich beim Volke beliebt, indem er zum Arzte einen Zögling von Rousseau, einen Parteigänger der neuen Lehren, einen Gefangenen nimmt, der gerade aus der Bastille kommt. Gleich das erste Mal, sobald Sie den König sehen werden, machen Sie dies bei ihm geltend.

Sie haben immer recht; doch kann ich auf Sie zählen, wenn Sie einmal beim König sind?

Ganz und gar, solange Sie in der politischen Linie bleiben, die wir annehmen werden.

Was versprechen Sie mir?

Sie genau von der Stunde zu unterrichten, wann Sie sich zurückzuziehen haben.

Necker schaute einen Augenblick Gilbert an; dann sprach er mit verdüstertem Tone: In der That, das ist der größte Dienst, den ein ergebener Freund einem Minister leisten kann, denn es ist der letzte.

Und er setzte sich an den Tisch, um an den König zu schreiben.

Mittlerweile las Gilbert den Brief noch einmal und sagte zu sich selbst: Gräfin von Charny, wer kann das sein?

Hier, mein Herr, sprach Necker nach ein paar Minuten, indem er Gilbert den Brief reichte, den er geschrieben hatte.

Gilbert nahm den Brief und las.

Er enthielt was folgt:

Sire,

Eure Majestät ist eines sichern Mannes benötigt, mit dem sie von ihren Angelegenheiten sprechen kann. Mein letztes Geschenk, mein letzter Dienst, indem ich den König verlasse, ist das Geschenk, das ich ihm mit dem Doktor Gilbert mache. Ich sage Eurer Majestät genug, wenn ich ihr bemerke, daß der Doktor Gilbert nicht nur einer der ausgezeichnetsten Aerzte ist, die in der Welt existieren, sondern auch der Verfasser der Denkschriften über Administration und Politik, die einen so lebhaften Eindruck auf den König hervorgebracht haben.

Zu den Füßen Eurer Majestät

Baron von Necker.

Necker datierte seinen Brief nicht, und übergab ihn dem Doktor nur einfach gesiegelt.

Und nun, fügte er bei, nun bin ich in Brüssel nicht wahr?

Ja, gewiß, und mehr als je. Morgen früh werden Sie indessen Nachricht von mir erhalten.

Der Baron klopfte auf eine gewisse Weise an die Füllung, Frau von Staël erschien wieder, nur hielt sie diesmal außer ihrem Granatzweige die Broschüre des Doktors Gilbert in der Hand. Sie zeigte ihm den Titel davon mit einer Art von schmeichelhafter Koketterie.

Gilbert nahm Abschied von Herrn von Necker und küßte der Baronin, die ihn bis zum Ausgang des Kabinetts begleitete, die Hand.

Und er kehrte zu dem Fiaker zurück, wo Billot und Pitou auf dem Vordersitze schliefen, wo der Kutscher auf seinem Bocke schlief, und wo die Pferde auf ihnen wankenden Beinen gleichfalls schliefen.

 


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