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Wien


Wiener Freyung

Ihr nächtigen Häuser der Freyung,
Weltwiesen am stillen See,
Versteinter Waldwinkel der Stadt,
Tief verpuppt in Schlaf!

Lang lebe, verzauberter Kirchturm!
Ich gehe die Zeit,
Und komm ich wieder zur Erde,
Will ich bei dir sein als Haus!

 

Stadtpark

Liebst auch du den Strand,
Wo meine Seele
Mit roten Drachenadlern
Um die Wette flog?

Schöner Sand ist dort zum Bauen,
Auf dem Wasser Hals der Schwäne,
Enten rufen ihre Jungen,
Und eh dich ein Weh bezwungen,
Eine gute Stimme spricht:

»Horch, noch geht um dich kein Wind.
Schlafe tief,
Der Weg ist blind!«

 

Der Wunde

Ihr Götter von Rechts und Links,
Wenn schon der Tag
Langen Ganges nicht vorübergeht,
Verschont meine schmerzzerjohlte Brust,
Wenn sie nachtbefangen und ungewappnet ist.
Der Mond lärmt am blutigen Himmel,
Mich hetzen die Geister
Tags ausgespiener Menschen,
Gleichend gefleckten Bullenbeißern,
Den Kröten unter den Hunden.
Ich, weilend im trauernden Forst,
Kann nicht entrinnen,
Unfähig des Bergs,
Des Erklimmens rettender Gipfel,
Wo reiner die Luft ist,
Und kein Gerede von Menschen,
Den Kröten unter den Dingen!

 

Heimat

Sag mir deine Heimat?
Aber ich meide das Unrathaus,
Ungern gedenk ich
Aller Foltern der Schule
Und jener schrillen Stimme des Tadels,
Die schrie,
Ob mir ein Nagel, ob mir ein Teller entfiel.
Übel sind die Knödel geraten,
Bleiern plagen sie meinen Magen,
Zu viel Wasser war in der Suppe.

 

Sterben

Gold – dieser Kies ist auseinandergeweht,
Ruhm – welkes Blatt,
Das im Herbstwind sich bläht,
Liebe verleuchtet im Wetterlichtschein ...
O, welches Glück – nimmer zu sein!

Ich hab über mich das Kreuz gemacht.
Ich bin ein alter Friedhof
Mit Sorgensteinen grau und gram.
Mich waschen fort die Wasser meiner Augen.

Ich habe keinen Wunsch.
Tief ist der Wald,
Tief ist der Fluß,
Tiefer das Grab.

 

Untergang

O Abend im Grau,
Nacht tränenverwacht!

Die Bäume sind grün,
Ich bin es nicht mehr.

Der Morgen ging hin,
Das Dunkel ist schwer.

 

Morgen

Ich hab keine Freunde.
Allein wohn ich im Strom.
Lämmer weiden auf dem Friedhof.
Dort schlaf ich morgen schon.

 

Ottakring

Groß war der Himmel und ich war klein
Und kein Gott.
Da fuhren die Messer des Zweifels in mich.

Keusch litt ich als Knabe.
Ich hab nie »Fut« an die Planken geschrieben.

Ich liebte die Erde, ich liebte die Welt.
Aber das Weib
Ist mir ins Gesicht gefahren
Mörderisch.

Ich bin gegangen an das Ufer des Meeres,
Brüderchen,
Mich im Salz zu ertränken.
Aber das Salzmeer hatte nicht Wasser genug,
Seicht und untief schlug es nur Schaum
Um meinen Schmerz.

Ich habe gelogen,
Ich habe betrogen –
Ich habe gemordet!

Meine graue Nebelseele gleitet,
Reitet auf dem weißen Tränenrosse
Durch des Waldes grüne Wellen
In des Todes roten Morgen.

 

Chaos

Weh, Gebirge stürzt zu Felsbrei,
Verbirgt im Grab zutiefst die Kreatur.
Letzter Schrei und Schutt und Asche.
Überrascht nur gibt der überrasche
Mensch den nackten Leichnam der Natur.
Entrinner bewohnen den bitteren Fluß,
Da das Festland verwich und immer mehr
Blutwelle wild schwillt
Zum rotwimmernden Meer.
Schweige, Wort – du, Sang, verhalle!
Der Tod verspielte die Geige,
Gedärme sind seine Uhrkette.
Schwach leuchten die Kerzen aus Staub,
Verloren läuten die Glocken aus Horn.
Mißgeboren müssen die Kinder verdorrn;
Ihr Gerippe spielt mit den Würmern,
Denen zur Speise
Früh sich rüsten die jungweißen Greise.
Ich neid ihnen die glückliche Reise!
Ich höre Dächer klagend fragen:
Weh, sind wir, den Schnee zu tragen?
Sind Bäume blind, die sich belauben?
Winter will die Früchte rauben.
Des Schnitters Sense weiß nicht Reu,
Maigras erkennt er: nasses Heu.
Irdisch verliert der Weltbesternte
Sterbend seine Sternenernte.
Kalt wird es den Todesgöttern.
Kraus seh ich den Erdkreisel
Sich im Kreise drehn,
Wie ihn rings verschlagne Winde wehn;
Keiner peitscht ihm neues Leben,
Grau spinnt ihm das Alter Weben.

Einsam wander ich den Felsenweg;
Glück bejaht mich wohlvereint:
Abends verläßt mich Frau, Freund und Feind.
Der ich vor Aberjahren Gott verlor,
Reißt mich die Helle himmelwärts empor?
Dämmert mir die gute Nacht
Oder bin ich aufgewacht?

 

Wien

Wien weint hin im Ruin.

Wien, du alte, kalte Hure,
Ich kauerte an deines Grabes Mauer,
Da du noch locktest,
Ein mürbes Goderl dieser Welt,
Und hurtig hurtest mit Hurradämonen,
Kriegsüber siegerischen Drohnen;
Nun hungernd unkst du
Unter deiner Laster Last:
Du hast ein Reich verpraßt,
Das nie den Armen nährte,
Der nie sich gegen der Gewalt Galgen empörte!
Still stiehlt er Holz vom Friedhof,
Zu heizen mit Trauerkreuzen.
Wien – nieder brennt dein Feuer.
Dein Tag verkohlt.
Edler ist das ärmste Tier:
Menschen zur Asche sinkt von Höhen
Weiland der Wald.
Aufqualme roter Feuertag der Städtezerstörer!

Ich rufe Weh! über die Stadt,
Ich rufe Weh! über das Wesen,
Das um Asche und Papier
Den Wald vergessen hat!

Ich sehe letztes Laub vom kahlen Berg absinken,
Ich seh den letzten Baum des Wiener Walds
Fallen,
Sein blutend Holz in Glut ertrinken –
Es wärmt euch nicht:
Des Hauses Wände fallen
In den Vorüberstrom!

Ewig deine Wogen, o Donau,
Ewig der Schimmer der Alpen,
Sie überwintern gut
Jenseits eures Abends und Morgens;
Der Mensch fällt in dein Wasser, Notstrom,
Der Stein erschlägt ihn des Bergs
Für den ermordeten Wald!

Die Städte muß man zerstören,
Ihre Häuser sind Sorgen aus Papier,
Menschenfleisch fressen ihre Bewohner,
Selbstsucht aus ihren Rachen riecht
Wie ein verwesendes Tier.
Nirgends ist der Sterne Berghimmel so ferne der Erde wie hier.
Im Sumpf des Wuchers: Handels
Ahnt ihr nicht das Heilige –
Land!
Was weint ihr hin im Ruin? Brecht auf! Wollt ihr
In den faden Eheebenen der graden Straßen
Zugrundestehn?!

Ich bitte euch, zerstöret die Stadt,
Ich bitte euch, zerstöret die Städte:
Ich bitte euch, zerstört die Maschinen.
Aufreißet alle Wahnschienen!
Entheiligt ist euer Ort,
Euer Wissen ist nördliche Wüste,
Darin die Sonne verdorrt.

Ich beschwör euch, zerstampfet die Stadt,
Zertrümmert die Städte,
Ich beschwör euch, zerstört die Maschine:
Ich beschwör euch, zerstöret den Staat!

 

Der Pfeil

O Kindes Sehnsucht! Erste Fahrt im Kahn!
Und ersten Bogens selbstgeschnitzter Bolzen!
Im Traum noch streichel ich am Stadtparkteich den trauerstolzen –
Der Wildnis wunderschwarzen Schwan.

Lichtes Laub. Was singt des Waldes Vogel?
Frühlingsausflug. Hermannskogel,
Kahlenberg und Zahnradbahn!
Ach, auf Zebrapferd und Ringelspiel,
Schönbrunn, Prater allzuviel Schnee fiel.

 


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