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Ein Frühlingstag

. Wenn wir an hellen, schönen Tagen in eine fröhlich bewegte Stunde hinein von einer Enttäuschung betroffen werden, so greift uns das schlimmer an als sonst. Die helle Schönheit um uns erlischt, die fröhliche Bewegung erstarrt, und der stille Gott, der uns nahe war, weicht von uns zurück.

Ja, nur der Schatten einer fremden Enttäuschung braucht es zu sein, der uns streift und unter seinen verdunkelnden Flug nimmt, um uns plötzlich des angestiegenen Glanzes zu entleeren.

* * *

Es ist denn auch eine eigentlich gleichgültige und alltägliche Beobachtung gewesen, die mir gestern derart zum Erlebnis wurde.

Der Bodenseedampfer fuhr in einen jener Frühlingsmorgen hinein, die uns eine wunderbare Welt voll leichten Lichtes und frischer Lüfte aufschlagen. Wohl war es ein Werktag, der die frühen Fahrgäste nur in Geschäften über das Wasser trug, aber offenbar glaubte unter diesen paradiesischen Anreizungen keiner an den Zweck seines nüchternen Daseins; und auch mir stand die Phantasie jedem etwa unterwegs wartenden Abenteuer offen.

Das Schiff selber schien seinen sauberen Körper lustvoll zu spüren. Es schnitt unbeschwerten Atems und sonor vibrierenden Pulses in die grüne, gerillte Decke des Sees, hinter sich eine perlenschimmernde Schleppe aufwerfend, die sich erst weit draußen in vergißmeinnichtblauer Wasserferne verlor. So festlich gehoben nahm das Schiff seinen Weg, daß man der Maschine, die in seinem Gehäuse drunten stampfte, vergaß und es für ein aus dem leuchtenden Tor dieses Morgens gekommenes Fahrzeug hielt, das auch eine fabelhafte Freudengesellschaft aus lang verwichener Zeit tragen könnte.

Ich saß hinten auf dem oberen Deck. Meine Augen dünkten mir mit besonderem Quellwasser gewaschen, so ungetrübt schauten sie dem blanken Spiel der Dinge zu.

Es waren sonst nur drei, noch als jung zu bezeichnende Herren oben, gewiß Beamte, die dienstlich von der Amtsstadt hinüber zur Kreisstadt fuhren. Sie nannten sich nachher auch untereinander Herr Amtsanwalt, Herr Doktor und Herr Referendar; und berufliche Gespräche führend, setzten sie sich vorn an den langen Tisch in der Mitte.

Ein blondes Mädchen in bordeauxrotem Kleid und weißer Schürze kam von unten die Treppe herauf. Leicht und hell, wie eine freundliche Erscheinung war sie aus der Tiefe hervorgetaucht in den blauen Tag.

»Ah, Fräulein Lotte!«

Die Erscheinung blieb einen Augenblick über dem Treppendunkel im Licht der Morgensonne stehen, die Grüßenden im Zweifel lassend, ob sie dieses oder den flatternden Wind oder ihre unwillkürliche Huldigung genieße.

Dann nahm Fräulein Lotte die Bestellung entgegen: »Kaffee, wie ihn die Frau Mutter kocht!«

Nirgend sonst läßt sich das geheime Wesen der weiblichen Grazie so unverquickt und ungebrochen beobachten, als wenn ein schönes Mädchen mit Lust einen Tisch zubereitet. In dem lockeren Ineinanderspiel der Bewegungen, ab und zu gehend, da sich beugend, da sich hebend, da hurtig sich ausladend, da bedachtsam sich wieder einziehend, verrät nicht nur der Körper Maß und Wage seiner Reize, sondern auch die Seele regt sich durch das Geflecht der anmutigen Fertigkeiten.

So brachte sie zuerst ein weißes Tuch, das sich eigenwillig blähte und nur mit der lustigen Hilfe der drei Herren auf den Tisch schlichten ließ, dann die Tassen, dann Brote, Butter und Honig, und schließlich in zwei weißen Porzellankannen Kaffee und Milch. In der Mitte der Dinge blinkte eine Wasserflasche beinahe wie die silberigen Glaskugeln in den Ziergärten der Provinzrentner.

Jede dieser Verrichtungen wurde eine kleine, feine Sensation, und die Besteller warteten nacheinander auf die Gaben, wie auf Schaugerichte eines seltenen Mahles. Den gefälligen Eifer der Bedienerin aber nahmen sie hin wie vornehme Gunstbezeugungen.

»Mutter läßt guten Appetit wünschen!«

Indes die Herren tafelten, stand Fräulein Lotte abseits und putzte mit einem Tuch Besteckzeug klar. Die Sonne umschien die Gestalt von hinten und durchlichtete über dem dicken Zopfgebinde das luftige Wirrsal der Kraushaare; und das Silber in den eiligen Fingern funkelte, von einem Strahlenwurf getroffen, hin und wieder auf.

Die Augenweide ließ auch mir keine Ruhe; ich mußte das Mädchen zu mir rufen und ließ mir eine kleine Flasche Veltliner geben. Die stellte ich mit dem Glas neben meinen Stuhl auf den Boden und fing an, mich langsam mit dem kostbaren Wein zu tränken.

Es ging mir nicht leicht, das frische Gottesgeschöpf den anderen zu überlassen, aber ich war klug genug, meine zufällige Gegenwart in keinem Wettbewerb mit älteren Bekanntschaften zu versuchen. So sah ich denn wieder ergeben und beschaulich zu, wie die drei sich vergnüglich um den Preis bemühten.

Allgemach bemerkte ich, daß sich unter der Decke der Unterhaltung das Zutrauen des Mädchens dem Referendar hinneigte, der sich als der weltläufigste darstellte, aber darum den gemütlichen breiten Strich seiner schwäbisch-alemannischen Herkunft nicht abgestreift hatte. Seine Rede bebte von einem zärtlichen Ernst, und ihr gepflegter Inhalt bekundete ein schon leis müdes Wissen um den brüchigen Wert der Darbietungen des Lebens. Ich fühlte aus der Entfernung, wie sich die wohlbemessenen Fäden seiner zwanglosen Galanterie in die Einbildung der Umworbenen legten. Das helle, duftige Gesicht sog tiefes Rot an, die unter dem blonden Haar seltsam schönen, braunen Augen leuchteten der aufgenommenen Bilder voll und standen unverwandt offen in den See hinaus; und, ich konnte mich nicht täuschen, durch ihren schlanken, jungfräulich reifen Leib rieselte der Strom des Eros.

Der Wein wärmte mich und gab mir eine merkwürdig bewegte Fähigkeit, staunend als neues Wunder das alte Geschehnis mit anzusehen, wie sich ein Mädchen der Liebe aufschließt. Ich sah, wie der Vorgang ein großes, elementares, unwiderrufliches Ereignis im Kreis der Weltsymbole ist; auf der offenen, klaren Bühne dieses absichtlos bereiteten Naturtheaters erfüllte sich vor mir ein Schicksal; ich sah, wie sich eine Blume der Sonne zukehrte und verarmen müßte, wenn das Licht sich ihr wieder entzöge.

Der Bevorzugte unterschätzte auch den Wert der Gabe nicht, die ihm diese halbe Stunde in die Hand gelegt hatte. Er entfaltete sorgfältig seine frauendienstlichen Fähigkeiten, und die dienende Schiffskellnerin gewann in deren Spiegelungen den hohen Glanz der Auserwählten. Es war, als hätte sich der Frühlingsmorgen auch zu einer kosmischen Huldigung um das schöne, holdemporgewachsene Mädchen so feiertäglich ausgehellt.

Die Schiffsglocke zeigte die Nähe der Landung an. Der Referendar ging als Letzter der drei aufbrechenden Herren, und ehe er in der Treppe verschwand, küßte er in dekorativer Zeremonie die Hand der verwirrt Zurückbleibenden.

* * *

Ich trug das kleine Schauspiel dann drüben in der Stadt den Tag hin in mir herum. Es war mir nicht wohl dabei. Vielleicht hatte das Mädchen selber es mir angetan; denn eigentlich bedrängte mich die Vorstellung ihres Bildes als eine dumpf eingesperrte Wollust, und die Abneigung, die gegen den erfolgreichen Bewerber in mir auftrieb, schien mir zunächst kein einwandfreies Gewächs zu sein. Dann aber erfaßte mich doch immer näher die Angst, es sei da die tragische Stunde einer schönen Seele gekommen.

* * *

Der Abenddampfer lief zur Heimfahrt wieder in See, unter dem berauschenden Nachspiel eines ungewöhnlich reichen Sonnenunterganges. Das Wasser schwankte in geschmolzenen Farben, und der Horizont quoll breit hin und hoch hinauf von rotem Licht, zwischen den tieferen Wolkenbänken grüne Himmelslücken lassend.

Es war, ich hatte mich schon vorher über den Dienstkurs unterrichtet, das gleiche Schiff wie in der Frühe. Doch das Oberdeck war belebter als am Morgen, und die Menschengestalten standen feierlich in dem Zauber umher.

Ich stellte alsbald fest, daß von den drei Herren nur der Referendar mit zurückfuhr; aber diesmal als Begleiter einer jungen Dame.

Es schien mir anfangs wie eine zufällige Pflicht der Höflichkeit, die ihn an deren Seite führte; und die junge Dame war augenscheinlich ein Mädchen aus seinen Gesellschaftskreisen, das in natürlicher Würde die Gegenwart des angenehmen Ritters in Anspruch nahm.

Die beiden schauten von Bord in das flammende Gewölk. Auf dem Deck ging Fräulein Lotte, von dem Referendar unbeachtet, ab und zu und nahm Bestellungen an.

Es war wohl meine auf diesen Mittelpunkt gesammelte Sympathie, die mir die Gestalt als besonders liebevoll von dem wirkenden Schimmer des abendlichen Lichtes umhüllt zeigte. Ich erbat von ihr wieder einen Veltliner und bemerkte unter der beherrschten Ruhe ihrer anmutigen Hantierungen einen heimlichen Brand laufen.

Der Referendar und die junge Dame blieben abgekehrt, auch als das Schauwerk draußen sich gestillt hatte. Er schob inzwischen zwei Klappstühle bei und legte damit unauffällig diese Haltung fest. Das Gespräch mußte sich in fesselnde Fragen verstrickt haben, und auch die Teilnehmerin, eine brünette, fein bewußte Schönheit, fand sichtlichen Genuß daran, wie es sich enger schürzte und mit Einfällen füllte, die nicht nur dem konventionellen Unterhaltungsstoff entstammten.

Das Abendrot zerrann langsam in der Dämmerung. Das Leben auf dem Deck schrumpfte unter dem Schwund des Lichtes gleichsam mit ein und wurde von der Kühle der nahenden Frühlingsnacht überzogen.

Mich erfaßte ein ungemeiner Jammer. Wie in der Frühe die Stunde einer erwachenden Mädchenliebe zur unverbrauchten Morgenstunde der Schöpfung geweitet schien, so erfror jetzt der Tag um ein frierendes Leben. Ich sah das nur wieder dienende Frauenwesen die Gläser und Geschirre von der Tafel räumen, und da nahm ich alle meine Gefühle zusammen zu guten Wünschen, die ich um sie hintrug gleich Flügeln, die grausam preisgegebene Seele zu decken.

Das Schiff landete schon im Dunkel. Auch der Referendar ging hinter der jungen Dame hinunter zum Ausstieg. Fräulein Lotte beschäftigte sich abgewendet; er sah nach ihr zurück und zögerte ein paar Schritte, als wolle er einen Gruß anbringen, dann aber folgte er rasch der Vorausgegangenen.

Ich sollte noch um drei Haltestellen weiterfahren, aber ein Entschluß, der nach Luft verlangte, war in meinem gestörten Weltgefühl gereift. Ich stieg auch aus.

An der Zurückbleibenden vorbeigehend, sah ich, wie sie in ihr weißes Taschentuch biß. Wie von ungefähr beugte ich mich auf die freie Hand, die auf dem Geländer lag, und küßte die zitternde Hand. In der Eile gelangte ich noch außer Schiff, ehe die Brücke weggezogen wurde.

* * *

Damit wäre mein Bericht eigentlich stimmungsvoll beschlossen. Aber ich hatte noch anderes zu verrichten.

Draußen wurde die junge Dame von Angehörigen empfangen. Der Referendar verabschiedete sich als Vertrauter und stieg die steilen Hügelgassen hinauf. Ich stieg ihm nach. Drunten verschwanden die zweifarbigen Signallichter des Schiffes hinter der nächsten Landzunge. Meines Mannes Weg ging, als wäre sein Lauf so bestellt, oben zum Städtchen hinaus ins freie Feld gegen ein paar abseits liegende Landhäuser.

Bei einem alten, dicken Birnbaum trat ich ihn an: »Kerl, stell dich!«

Er trug einen Stock gleich mir und schien mir um einiges stärker als ich. Aber in mir schwoll der Ingrimm eines Auftrags, den ich im Namen meines Geschlechtes vollzog, und ich wurde schnell der Herr. Als ihm sein Stecken aus der getroffenen Hand fuhr, warf auch ich den meinen weg und trieb ihn zur Faust. Er unterlag, und schließlich gelang es mir unschwer, den schlaff Gewordenen nebenan in den Graben zu setzen, satt bis an seine goldene Uhrkette mitten in das trübe Wasser, das sich in dem Graben staute.

Ohne weitere Worte hin und her hatte sich der Handel abgewickelt. Aus dem stummen Verlauf wußte ich, daß mein Gegenüber den fundamentalen Sinn der Exekution verstand, wie mich selber aus dem Hintergrund eine fremde Kraft zu stärken schien.

Dann machte ich mich auf den vierstündigen Heimweg, der mich durch eine frische, ausgestirnte Nacht über die Uferhügel den dunkel liegenden See entlang leitete.


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