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Zweites Kapitel
Der Tod Ludwigs XIII.

Am Tage nach Richelieus Tod teilte der König in einem Handschreiben seinen »Lieben und Getreuen«, den Parlamenten, Statthaltern und Gesandten mit, dass, »nachdem es Gott gefallen, unseren sehr lieben Vetter, den Kardinal Herzog von Richelieu aus dieser Welt abzuberufen …«, er, da Ratschläge und Dienste des Verstorbenen sich stets dem Reiche förderlich erwiesen, entschlossen sei, nichts in seinem Rate zu ändern, nur »unseren sehr lieben Vetter, den Kardinal Mazarin, dessen Fähigkeit und Affektion wir in verschiedenen Verwendungen erkannt, ins Ministerium zu berufen«, wonach alle sich zu richten hätten. »Si n'y faites faute. Car tel est notre plaisir. Gegeben zu Paris, den 5. Dezember 1642. Louis. De Loménie.«

»Sono divenuto stupido per la veemenza del dolore«, »Ich bin wie verblödet vom Schmerz«, schreibt Mazarin an seinen Bruder Michele, der damals Provinzial der Dominikaner in Rom war, »und ich habe nur einen Wunsch, nur einen Ehrgeiz, mein Leben irgendwo in Ruhe zu beschliessen.« Man mag sich das grimmige Lachen des selbst von Ehrgeiz verzehrten Mönches über die Bescheidenheit seines Bruders vorstellen. Giulio war damals vierzig Jahre alt. Auch in anderen Briefen aus diesen Tagen, an den Prinzen Thomas, an den Kardinal Antonio Barberini, spricht er, trostlos über solchen Verlust, vom Fortgehen, von der Heimkehr, deutet an, dass er den König bitten werde, ihm in Rom dienen zu dürfen; er habe schon darum gebeten, der König wolle ihn zwar durchaus hier, aber seine Unfähigkeit werde den König bald überzeugen und ihm die Erlaubnis verschaffen.

Diese Maske anzunehmen, hielt er in so kritischer Zeit für das Beste. Er bückte sich wie immer bescheiden, elastisch, – war Richelieu ein starres drohendes Schwert, so ist Mazarin ein Schilfrohr. Sein grosser Gönner war tot. Dem Rat des Sterbenden folgend hatte der König ihn ins Ministerium berufen. Aber Ludwig XIII. war selbst krank und elend; Richelieu hatte ihn zu überleben gerechnet. Andere Mächte, die noch niemand kannte, mussten bald in den Staat eingreifen, am Hof entscheiden: wer sich in sein Nichts zurückzog, hatte alle Möglichkeiten.

Von seinen neuen Kollegen zählte nur einer als Persönlichkeit, der jüngste Staatssekretär Léon Le Bouthillier, Graf von Chavigny, und der war sein Freund, wie man in solchen Regionen Freund ist. Er hatte Mazarin seinerzeit bewirtet und gefördert; eine der ersten Eintragungen in Mazarins kleinen Merkbüchern aus dem Jahre 1642 lautet: »Tiere und kleine Bronzestatuetten von San Quirino und Giovanni di Bologna für Herrn von Chavigny kaufen!« Nach diesen kleinen Geschenken hatte er ihm in den letzten Tagen einen grossen Dienst erwiesen: der König hatte Chavigny entlassen wollen, und Mazarin hatte den König versöhnt. Pierre Séguier, der Kanzler, war zum Werkzeug geboren: ohne alle Herkunft, ein tüchtiger Jurist, tüchtig auch im Stehlen, ein Streber durch und durch, der, vor Geringeren prunkend, alles tat, was man an höherer Stelle befahl, alles einsteckte, alles sich gefallen liess, wenn jemand mit Macht und Mut gegen ihn auftrat. Claude Le Bouthillier, der Finanzminister, war Chavignys Vater, und der kleine des Noyers, der Staatssekretär für den Krieg, der »Vorzimmer-Jesuit«, wie er genannt wurde, betete zwar mit dem König und gedachte sich hinaufzubeten, aber seine »Bedientenseele« machte ihn ungefährlich. Die beiden anderen Staatssekretäre, Phélipeaus de La Vrillière und Du Plessis-Guénégaud, waren ganz und gar Beamte. Ein erster Minister war nicht ernannt worden.

Indessen wurde Richelieu mit Gepränge zu Grabe getragen. Viele Tage war der Katafalk ausgestellt. Dreitausend Kerzen brannten in der ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Kirche bei der Leichenfeier in Notre Dame.

Gleichzeitig aber brach auch der nicht mehr gehemmte Hass all derer, die sich knirschend gebeugt oder vor ihm gewichen waren, in Jubel und in Drohungen gegen die »Kreaturen« aus, wie gegen die Verwandten des Toten, die in grossen Stellungen standen und seine Reichtümer erbten. Seinem galligen brutalen Vetter, dem Marschall de la Meilleraye, der Grossmeister der Artillerie und Gouverneur der Bretagne war, rief der Bischof von Vannes in der Ständeversammlung den höhnischen Refrain eines Strassenliedes zu, das auf den Kardinal gesungen ward: »Jetzt ist er hin und beigepackt!«, so dass der Marschall in Wut die Versammlung verliess. Wenige verstanden das Werk des Toten, alle fühlten sich vom Druck und der Furcht erlöst, die auf ihnen gelastet hatte. Die Gefängnisse öffneten sich, die Verbannten kehrten zurück, alte und doch neue Gesichter waren bei Hofe zu sehen.

»Man muss den Sturm austoben lassen,« schrieb Mazarin an den Marschall von Brezé, Richelieus Schwager. Nur der verhasste Blutrichter Richelieus, Isaac von Laffemas, ein Mann, der bei gutem Wetter zu sagen pflegte: »Heut' wäre es schön, jemanden hängen zu lassen,« ward aus dem Amt gejagt; alle anderen hielt der König. Grössere Sorgen, wichtigere Dinge verlangten Erledigung. Alle wussten, dass ein unsicherer Übergangszustand angebrochen war, der König fühlte, dass auch er nicht mehr lange leben konnte, und der ältere seiner beiden spät geborenen Söhne war vier Jahre alt. Es handelte sich um die Regentschaft. Am 1. Dezember, drei Tage vor seinem Tode hatte Richelieu den König bewogen, seinen Bruder Gaston von Orléans, der sich töricht wie immer in die Verschwörung des Cinq-Mars eingelassen hatte, von der Regentschaft auszuschliessen. Hätte Richelieu gelebt, so wäre dies vielleicht durchgeführt worden: nun ging es nicht. Ein »Fils de France« bedeutete dem Volke zu viel; der Wert des Blutes war so gross, dass er jede Schmach rein färbte. Der König kannte und hasste seinen Bruder. Seiner Frau war er ungeneigt und misstraute ihr tief. Auch sie war nicht ohne Wissen von der Verschwörung gewesen. So entschied er sich denn zuletzt, einen Regentschaftsrat einzusetzen: die Königin sollte dem Titel nach Regentin sein, der Herzog von Orléans Generalstatthalter des Reiches; aber in allen wichtigen Fragen sollte der »Conseil souverain de la Régence« mit Stimmenmehrheit entscheiden, indem sie nur Sitz und Stimme hatten wie die anderen Mitglieder: der Prinz von Condé und die Minister Mazarin, Séguier, Le Bouthillier und Chavigny. Wenn es sich um Krieg und Frieden, um die Verfügung über königliche Gelder, um die Besetzung wichtiger Ämter handelte, dann war die Königin gebunden, die Entscheidung des Regentschaftsrates einzuholen. Und an all diesen Bestimmungen sollte während der ganzen Dauer der Regentschaft nichts geändert werden dürfen: »So ist mein sehr ausdrücklicher Wille«, fügte der König eigenhändig dem Akt hinzu. Die Deklaration war am 20. April 1643 erlassen, am folgenden Tage wurde sie dem Pariser Parlament zur Registrierung vorgelegt und einstimmig gutgeheissen. Aber viel ward darüber gesprochen.

Am selben 21. April empfing Mazarin ein höchstes Zeichen königlicher Zufriedenheit. Der Dauphin war noch immer nicht getauft, und der König bestimmte ihn, in Vertretung des Papstes, zum Paten des Kindes. In der Kapelle des alten Schlosses von Saint-Germain wurde der Taufakt vom Grossalmosenier des Königs, dem Bischof von Meaux, vollzogen, und der Kardinal hielt zusammen mit der Prinzessin von Condé, der Frau des ersten Prinzen vom Geblüt, das Knäblein über das Becken, das den Namen »Louis Dieudonné« erhielt.

»Nun, wie heisst du?« fragte der Vater das Kind, als es von der Taufe zurückkommend zu ihm gebracht wurde; der Kleine antwortete: »Ludwig XIV.« »Noch nicht, noch nicht!« sagte der König böse.

»Sie kommen nachsehen, ob ich bald sterben werde!« sagte er hassvoll, als der Herzog von Beaufort und andere der aus dem Exil Heimgekehrten ihn besuchen kamen. »Aber, wenn ich davonkomme, sollen sie mir's teuer büssen.« Da die Königin ihm immer wieder mit Tränen versicherte, dass sie nie etwas gegen ihn unternommen, sagte er kalt: »In meinem Zustand bin ich verpflichtet ihr zu verzeihen, aber nicht, ihr zu glauben.« Er hatte zwei Seiten, eine fromme und tapfere für das Schicksal, eine grämliche und böse für die Menschenwelt. So erwartete er auch den Tod. Er liess die Fenster gegen St. Denis zu öffnen und sagte: »Dort werde ich lange liegen! – Die Wege sind schlecht: ich werde tüchtig gerüttelt werden bei der Fahrt.« Am letzten Tage fragte er den Leibarzt Seguin, wie lange er noch zu leben hätte. »Sire, höchstens noch zwei oder drei Stunden!« antwortete dieser. »Nun gut, mein Gott,« sagte der König, die Hände faltend, »ich bin einverstanden, und von ganzem Herzen!«

Er starb, zweiundvierzig Jahre alt, am 14. Mai 1643. Nur die wenigen Herren, die den Ehrendienst hatten, blieben zu Saint-Germain bei dem Toten. Alle anderen folgten der Königin nach Paris.

Am 19. wurde der Leichnam nach Saint-Denis gebracht; erst spät nachher, am 22. Juni, ward er mit den merkwürdigen feierlichen Gebräuchen in der Kapelle von Saint-Denis zu Grabe gebracht, die in gleicher Weise durch die Jahrhunderte beim Tode jedes Königs von Frankreich beobachtet wurden – bis zum 23. September des Jahres 1824, da Ludwig XVIII. bestattet wurde.

Nachdem der Bischof von Sarlat, Jean von Lingendes, der gleich seinem Bruder für einen der besten Kanzelredner Frankreichs galt und auch an Richelieus Grab gesprochen hatte, die Leichenrede, die anderthalb Stunden dauerte, vollendet und der Erzbischof von Lyon, der andere Kardinal Richelieu, der Grossalmosenier von Frankreich war, die Messe gelesen hatte, und das De Profundis ertönte, wurde der Sarg, der in einer »Chapelle ardente« stand, aufgehoben und von Edelleuten der Schottengarde hinab ins Grabgewölbe getragen, während die vier ältesten Präsidenten des Parlaments die Zipfel des goldenen Bahrtuchs hielten. Der Grossalmosenier sprach die letzten Gebete, segnete den Sarg und warf eine Schaufel voll Erde darauf.

Dann ward tiefes Schweigen in der Kirche, bis eine Stimme aus der Tiefe des Gewölbes rief: »Wappenkönige tut, was eures Amtes ist!«

Darauf traten alle Herolde und Wappenkönige an die Grube und legten ihre Mäntel und Wappenröcke auf den Sarg.

Die Stimme ruft: »Herr von Bouillon, bringet die Fahne der hundert Schweizer der Garde, die Euch anvertraut ist!«

»Herr von Bazoche, Leutnant der Garden des Königs, bringet die Fahne des Herrn Grafen von Charost, Eures Hauptmannes und der hundert Schützen der Garde, deren Fahne ihm anvertraut ist!«

So wird der Reihe nach jeder der Gardekapitäne aufgerufen – jeder diesmal durch seinen Leutnant vertreten, der, ehrfurchtvoll sich beugend, seine Fahne auf den Sarg legt.

Die Stimme aus dem Gewölbe ruft die vier Stallmeister auf und gebietet dem ersten die Sporen des Königs zu bringen, dem zweiten die Handschuhe, dem dritten den Wappenschild, dem vierten den Wappenrock, dann dem Ersten Stallmeister den Helm und weiter. Dann tönt es wieder:

»Herr Grossstallmeister, bringet den königlichen Degen!« Der Erste Stallmeister, Herzog von Saint-Simon, tut dies an dessen Stelle, hält aber den Gurt fest, um ihn zu rechter Zeit und Stunde wieder aufzuheben.

»Herr Herzog von Chevreuse, Erster und Grosskammerherr, bringet das Banner von Frankreich!« Er tut es, behält aber die Stange in der Hand.

»Herr Grossmeister von Frankreich, Haupt und Führer des Leichenzuges, tut, was Eures Amtes ist!«

Darauf werfen alle Haushofmeister ihre Stäbe in das Grab, während der Herzog de la Tremouille, der den Prinzen von Condé als Grossmeister vertritt, den seinen senkt, ohne ihn aber völlig loszulassen. Nun tönt es weiter:

»Herr Herzog von Luynes, bringet den Gerichtstab!«

»Herr Herzog von Ventadour, bringet das königliche Zepter!«

»Herr Herzog von Uzès, bringet die Königskrone!«

Ehrfürchtig, die Insignien küssend, legen sie sie ins Grab. Nur das Banner von Frankreich wird nicht hineingelegt, sondern beugt sich nur, den toten König zum letztenmal grüssend. Dann begeben sich alle auf ihre Plätze zurück und der Grossmeister sagt, nicht laut: »Der König ist tot!« Ein Herold tritt bis in die Mitte des Chores vor und ruft dreimal: »Der König ist tot! der König ist tot! der König ist tot! Betet alle für seine Seele!«

Alle neigen die Stirnen und beten; es weinen die, denen so zumute ist. Dann bricht auf einmal ein Jubelruf aus: »Es lebe der König! Es lebe der König! Es lebe der König Ludwig, der Vierzehnte seines Namens, von Gottes Gnaden allerchristlichster König von Frankreich und Navarra, unser allerhöchster Gebieter und Herr, dem Gott ein langes und glückliches Leben gebe! Es lebe der König Ludwig!« Trommeln wirbeln, Trompeten tönen, Fanfaren brausen durch den Raum.

Das Banner Frankreichs wird hochgehoben und der Grossstallmeister ergreift den Degen wieder. Und alle reissen die Trauerzeichen ab. –

Dann zogen die Prinzen und Herren sich zum Trauermahl zurück; der Vertreter des Grossmeisters hielt noch eine Ansprache an die Beamten des königlichen Hauses, an deren Schluss er seinen Stab zerbrach.

Es war Sitte, dass die Prinzen im Leichenzuge Kerzen am Altare opferten, an denen Goldstücke hingen. Diese Kerzen fielen nachher den Almosenieren zu; aber die Mönche von Saint-Denis bemächtigten sich ihrer, und eine wilde Prügelei zwischen den Geistlichen entstand, bei der der Erzbischof in grosse Gefahr geriet und beinahe verbrannt wäre.

So schloss auch die Leichenfeier Ludwigs XIII. mit einer Grimasse.


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