Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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Elftes Kapitel.

Die Geschichte kommt dem Schlusse noch näher.

Nachdem Western sich entfernt hatte, theilte Jones seinem Oheime und der Mad. Miller mit, daß er seine Freiheit durch zwei Lords erhalten, die in Verbindung mit zwei Aerzten und einem Freunde Nightingales sich zu dem 120 Richter begeben hätten, der ihn auf den Eid der Aerzte, daß der Verwundete außer aller Gefahr sei, entlassen habe.

Nur einen der Lords habe er früher einmal gesehen, der andere aber habe ihn sehr überrascht als er ihn um Verzeihung gebeten wegen einer Beleidigung, deren er sich gegen ihn schuldig gemacht, aber blos, weil er ihn durchaus nicht gekannt habe.

Die Sache, welche Jones erst später erfuhr, hing so zusammen: der Lieutenant, den Lord Fellamor auf den Rath der Lady Bellaston aufgefordert hatte, Jones als Vagabonden für den Seedienst zu pressen, sprach sich, als er dem Lord den Vorfall berichtete, welchen wir schon abgehandelt haben, sehr günstig über das Benehmen des Herrn Jones in jeder Hinsicht aus und versicherte, der Lord müsse sich in der Person geirrt haben, denn Jones sei ein gebildeter anständiger Mann, und der Lord, ein Mann von Ehre, der sich um keinen Preis einer Handlung schuldig wissen wollte, welche die Welt verurtheilen würde, wurde sehr besorgt darüber, daß er den Rath der Lady befolgt hatte.

Ein Paar Tage später speisete Lord Fellamor zufällig mit dem irischen Peer, der bei dem Gespräche über das Duell der Gesellschaft den Charakter Fitzpatricks schilderte, ihm aber nicht ganz Gerechtigkeit widerfahren ließ namentlich in dem, was die Frau betraf. Er sagte, sie sei die unschuldigste und gekränkteste Frau auf Erden und er habe blos aus Mitleiden sich ihrer Sache angenommen. Dann setzte er hinzu, er habe die Absicht, den nächsten Morgen in die Wohnung Fitzpatricks zu gehen, um denselben wo möglich zu einer Trennung von seiner Frau zu vermögen, die, wie der Peer sagte, für ihr Leben fürchte, wenn sie jemals wieder zu ihrem Manne zurückkehren müßte. Lord Fellamor willigte ein mitzugehen, um sich noch genauere 121 Auskunft über Jones und das Duell zu verschaffen, denn die Rolle, die er selbst dabei gespielt hatte, war ihm durchaus nicht gleichgültig. Sobald Lord Fellamor seine Bereitwilligkeit andeutete, zur Befreiung der Dame mitzuwirken, griff sie der andere schnell auf, weil derselbe glaubte, Fitzpatrick würde so eher zum Nachgeben gezwungen werden. Vielleicht hatte er dabei nicht Unrecht, denn sobald der arme Irländer erkannte, daß die edeln Peers sich der Sache seiner Frau annahmen, gab er nach und die Artikel der Scheidungsurkunde wurden entworfen und von beiden Theilen unterzeichnet.

Fitzpatrick war durch Mad. Waters von der Unschuld seiner Frau bei dem, was in Upton geschah, so vollkommen überzeugt worden, oder die Sache war ihm aus andern Gründen so gleichgültig, daß er sehr vortheilhaft von Jones gegen Lord Fellamor sprach, alle Schuld auf sich nahm und sagte, der Andere habe sich benommen wie es einem Manne von Ehre gezieme. Als der Lord weiter über Jones fragte, erzählte ihm Fitzpatrick, derselbe sei der Neffe eines sehr angesehenen und reichen Mannes, was ihm selbst Mad. Waters erzählt hatte.

Lord Fellamor war hierdurch zu der Ansicht gekommen, daß er alles thun müsse, was in seiner Macht stehe, um dem jungen Herrn, den er so schwer beleidiget, Genugthuung zu geben und er nahm sich deshalb vor (zumal er jetzt jeden Gedanken aufgegeben hatte, Sophiens Hand zu erhalten), ihm die Freiheit zu verschaffen. Er vermochte den irischen Peer, ihm in das Gefängniß Jones' zu begleiten, gegen den er sich benahm, wie bereits erzählt worden ist.

Als Allworthy wieder in seiner Wohnung erschien, nahm er Jones mit in sein Zimmer und theilte ihm Alles mit, sowohl das, was er von Mad. Waters gehört, als was er durch Dowling erfahren hatte.

122 Jones äußerte großes Erstaunen und nicht weniger Betrübniß, erlaubte sich aber keine Bemerkung darüber. In diesem Augenblicke ließ Blifil fragen, ob sein Oheim Zeit habe, da er mit ihm zu sprechen wünsche. Allworthy fuhr auf, erblaßte und trug in gereizterem Tone als jemals dem Diener auf, er möge Blifil sagen, daß er ihn nicht kenne. »Ueberlegen Sie, was Sie thun,« fiel Jones mit zitternder Stimme ein.

»Ich habe bereits alles überlegt,« entgegnete Allworthy, »und Du sollst dem Bösewichte die Antwort überbringen. Niemand ist besser geeignet, ihm seinen Urtheilsspruch zu melden, als der, welchen er zu verderben suchte.«

»Verzeihen Sie mir, lieber Oheim,« antwortete Jones, »wenn Sie die Sache nochmals überlegen, werden Sie eine andere Ansicht erlangen. Was vielleicht nur Gerechtigkeit wäre, wenn ein Anderer es ausspricht, würde aus meinem Munde wie Kränkung, wie Hohn klingen und – er ist doch mein Bruder, Ihr Neffe. Es würde dies weit weniger zu entschuldigen sein als alles, was er gegen mich unternommen hat. Reichthum kann Menschen von nicht gerade schlechtem Charakter zu Ungerechtigkeiten verleiten, Kränkungen und Beleidigungen aber gehen nur aus schlechtem Herzen hervor und lassen sich durchaus nicht entschuldigen. Ich beschwöre Sie, unternehmen Sie bei Ihrem jetzigen Zorne nichts gegen ihn. Bedenken Sie, daß ich selbst ungehört verurtheilt wurde.«

Allworthy schwieg einen Augenblick, dann umarmte er Jones und sagte mit Thränen in den Augen: »ach, mein Sohn, wie lange bin ich blind gegen Dein edles Herz gewesen!«

Mad. Miller trat jetzt nach leisem Klopfen, das man nicht gehört hatte, ein und als sie Jones in den Armen seines Oheims sah, sank die gute Frau vor Freuden auf 123 ihre Knie und sprach inbrünstig gegen Gott ihren Dank aus für das, was geschehen. Dann eilte sie zu Jones, umarmte ihn ebenfalls und sagte: »mein bester Freund, ich wünsche Ihnen tausendmal Glück zu diesem Freudentage.« Allworthy erhielt dann gleichen Glückwunsch und er antwortete: »ich bin wirklich über alle Beschreibung glücklich.« Endlich forderte Mad. Miller die beiden Männer auf, zum Essen herunter zu kommen, wo, wie sie sagte, eine Anzahl glücklicher Menschen versammelt wären, nämlich Nightingale mit seiner jungen Frau und seine Cousine mit ihrem Bräutigam.

Allworthy lehnte es ab mit der Gesellschaft zu speisen, indem er für sich und seinen Neffen etwas auf sein Zimmer bestellt habe, damit sie über Privatangelegenheiten sprechen könnten, doch mußte er der guten Frau versprechen, mit Jones zum Abendessen zu kommen.

Mad. Miller fragte darauf, was mit Blifil geschehen solle. »Ich werde nicht ruhig, so lange ein solcher Bösewicht in meinem Hause ist.«

Allworthy antwortete, daß es ihm eben so ergehe und Mad. Miller sprach darauf: »wenn dem so ist, so überlassen Sie die Sache mir, ich will ihm gleich zeigen, wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Es sind ein Paar Männer mit tüchtigen Fäusten unten.«

»Es wird nicht nöthig sein, Gewalt zu brauchen,« antwortete Allworthy, » wenn Sie ihm ein Paar Worte von mir sagen wollen, wird er sich gewiß selbst entfernen.«

»Ob ich es will!« fiel Mad. Miller ein, »in meinem Leben habe ich nichts lieber gethan.«

Hier schlug sich Jones in das Mittel und sagte, er habe sich die Sache anders überlegt und würde selbst zu Blifil gehen, wenn es Allworthy erlaube. »Ich kenne Ihren Plan,« sagte er, »erlauben Sie mir, ihm denselben mit 124 meinen eigenen Worten zu melden. Bedenken Sie die schrecklichen Folgen, wenn Sie ihn zur Verzweiflung treiben. In seiner jetzigen Lage kann er unmöglich sterben.«

Diese Andeutung machte auf Mad. Miller durchaus keinen Eindruck; sie verließ vielmehr das Zimmer mit den Worten: »Sie sind zu gut, Herr Jones, viel zu gut für diese Welt.«

Um so größer war der Eindruck auf Allworthy. »Mein guter Sohn,« sagte er, »ich wundere mich eben so sehr über Dein gutes Herz als über Deinen Verstand. Der Himmel verhüte, daß es jenem Menschen an Mitteln und an Zeit zur Reue fehle. Gehe zu ihm und thue, was Du willst; schmeichle ihm aber nicht mit der Hoffnung auf meine Verzeihung, denn Bosheit werde ich nicht weiter verzeihen, als es die Religion verlangt.«

Jones ging in das Zimmer Blifils, den er in einem Zustande fand, welcher sein Mitleiden erregte, ob er gleich in vielen Andern ein weniger liebenswürdiges Gefühl geweckt haben würde. Er hatte sich auf sein Bett geworfen, wo er sich seiner Verzweiflung überließ und in Thränen schwamm, nicht in Thränen, welche die Reue giebt, und welche die Schuld von Gemüthern abwaschen, die zu derselben verleitet worden sind gegen ihre eigentliche Neigung, aus menschlicher Schwäche, er vergoß vielmehr solche Thränen, wie sie der Dieb auf dem Karren vergießt und welche die Wirkung jener Trauer sind, die selbst die rohesten Naturen ihrer selbst wegen fühlen.

Es würde unangenehm und langweilig sein, diesen Auftritt vollständig auszumalen und wir sagen deshalb blos, daß das Benehmen des Herrn Jones übermäßig freundlich war. Er vernachlässigte nichts, um den sinkenden Muth Blifils wieder aufzurichten, bevor er ihm den Entschluß seines Oheims mittheilte, daß er das Haus noch diesen 125 Abend verlassen müsse. Er erbot sich, ihm das Geld zu geben, das er brauche, sicherte ihm vollkommene Verzeihung für alles das zu, was er gegen ihn unternommen hatte, versprach ihm, sich stets als Bruder gegen ihn zu zeigen und nichts unversucht zu lassen, um eine Aussöhnung mit dem Oheim herbei zu führen.

Anfangs schwieg Blifil hartnäckig und ungewiß, ob er noch immer alles läugnen sollte; da er aber einsehen mußte, daß die Zeugnisse zu laut gegen ihn sprachen, so gestand er endlich. Er bat seinen Bruder in der ungestümsten Weise um Verzeihung, warf sich vor ihm nieder und küßte ihm die Füße, kurz er war jetzt eben so kriechend, wie er vorher boshaft gewesen war.

Jones konnte seinen Abscheu und seine Verachtung nicht ganz unterdrücken, so daß sie sich in seinem Gesichte erkenntlich aussprachen. Er hob seinen Bruder auf sobald er es vermochte, rieth ihm, seinen Schmerz zu tragen wie ein Mann und wiederholte ihm seine Versprechung, daß er alles thun würde, denselben zu lindern, worauf Blifil seine Unwürdigkeit betheuerte und seinen Dank aussprach. Als er endlich erklärt hatte, er würde sogleich eine andere Wohnung suchen, kehrte Jones zu seinem Oheime zurück.

Unter anderm theilte Allworthy jetzt Jones die Entdeckung mit, die er in Bezug auf die 500 Pf. St. gemacht hatte. »Ich habe,« sagte er, »bereits mit einem Advokaten darüber gesprochen, der mir zu meiner großen Verwunderung sagt, für eine solche Art von Betrug gebe es keine Strafe. Wenn ich den schwarzen Undank dieses Menschen gegen Dich bedenke, muß ich einen Straßenräuber in Vergleich mit ihm für unschuldig halten.«

»Guter Gott,« entgegnete Jones, »ist es möglich? Diese Nachricht verletzt mich sehr. Ich glaubte, es gäbe keine ehrlichere Seele in der Welt. Die Versuchung war zu groß 126 für ihn, als daß er hätte widerstehen können, denn unbedeutendere Dinge sind mir getreulich durch ihn zugekommen. Sie müssen mir erlauben, lieber Oheim, das, was er that, mehr Schwachheit als Undank zu nennen, denn ich bin überzeugt, daß der arme Mensch mich liebt und er hat für mich Manches gethan, was ich niemals vergessen werde; ja, ich glaube, er hat auch diese That bereut, denn noch vor wenigen Tagen, als meine Lage höchst verzweifelt war, besuchte er mich im Gefängnisse und bot mir Geld an, wenn ich dessen bedürfe. Bedenken Sie, wie groß die Versuchung für einen Mann, der in so bitterer Noth war, gewesen sein muß, eine Summe zu besitzen, die ihn und seine Familie in Zukunft vor der Möglichkeit bewahrte, wieder in solche Noth zu gerathen.«

»Kind,« entgegnete Allworthy, »Du gehst in Deiner Bereitwilligkeit zu verzeihen, zu weit. Solche mißverstandene Nachsicht ist nicht blos Schwäche, sondern grenzt an Ungerechtigkeit und ist sehr verderblich, da sie das Laster begünstiget. Die Unehrlichkeit des Menschen hätte ich auch verzeihen können, nie aber kann ich seine Undankbarkeit vergeben. Wenn wir Versuchungen zugestehen, um Unehrlichkeit zu entschuldigen, sind wir so nachsichtig und barmherzig als wir sein müssen und so weit bin ich gegangen, denn ich habe oft das Schicksal eines Straßenräubers bemitleidet, wenn ich in der großen Jury saß, auch mich mehr als einmal an den Richter gewendet, wenn sich mildernde Umstände geltend machen ließen; aber wenn Unehrlichkeit in Verbindung mit einem größern Verbrechen vorkommt, wie Grausamkeit, Mord, Undank u. dergl., dann wird Mitleid und Verzeihung Sünde. Ich bin überzeugt, jener Mensch ist ein Bösewicht und er soll bestraft werden, wenigstens in so weit, als ich ihn strafen kann.«

Allworthy sprach dies in so strengem Ernste, daß es 127 Jones nicht gerathen hielt, darauf zu antworten, übrigens kam auch die von Western festgesetzte Stunde so nahe heran, daß er nur noch Zeit hatte, sich anzukleiden. Er beendigte hier also das Gespräch und Jones begab sich in ein anderes Zimmer, wo ihn Partridge mit seinen Kleidungsstücken erwartete.

Partridge hatte seinen Herrn seit der glücklichen Entdeckung kaum gesehen. Der arme Teufel konnte seine Freude weder bergen noch aussprechen, benahm sich wie toll und machte alles verkehrt während er Jones ankleidete.

Sein Gedächtniß aber hatte ihn nicht verlassen. Er erinnerte sich an viele Anzeichen und Andeutungen von diesem glücklichen Ereignisse, von denen er manche zu ihrer Zeit schon bemerkt hatte, während ihm weit mehrere erst jetzt deutlich wurden; auch vergaß er den Traum nicht, den er in der Nacht vor seinem Zusammentreffen mit Jones gehabt hatte und er schloß endlich mit den Worten: »ich sagte Ihnen immer, es zeige mir etwas an, daß es Ihnen früher oder später möglich sein würde, mein Glück zu machen.« Jones versicherte darauf, seine Ahnung solle, was ihn selbst angehe, gewiß sich bestätigen, und dies trug nicht wenig zur Erhöhung der Freude bei, die der arme Partridge über die glückliche Wendung der Angelegenheiten seines Herrn fühlte.


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