Egid Filek
Wienerwald
Egid Filek

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VI.

Im Frühling.

Mauer – Rodaun – Föhrenberge – Perchtoldsdorf – Liechtenstein – Brühl.

Der Frühling geht durch die Lande!

Von allen Höhen wehen seine Fahnen, aus den waldstillen Tälern von Kaltenleutgeben und Kalksburg, von den schroffen Hängen der Föhrenberge tönen seine Hörner.

Aus Wald und Busch tiriliert es, von den Wipfeln der Föhren singt es herab, der Bach, die Mauern der Ruinen raunen es: Der Frühling ist da!

Hinaus mit euch, ihr Großstadtkinder, ihr luft- und lichthungrigen Pflanzen, hinaus in die Blütenpracht, in die singende, jubelnde Frühlingsherrlichkeit!

Franz und Erich, kommt mit, und du, Heinrich, hänge deine Laute mit dem buntgestickten Band um die Schultern und auch ihr jungen Mädels müßt dabei sein, du, schwarze 98 Gertrud und die blonde Maria – was ist eine Frühlingsfahrt ohne lachende Mädchengesichter? Hinaus in froher Wandervogellust auf die blütenprangenden Wienerwaldhöhen.

Was schert uns die staubige Weisheit, gezogen aus modrigen Pandekten und Kodizes, was schert uns die Kleinigkeitskrämerei unfroher Kunstkritiker, die in grimmer Fehde gegeneinander entbrannt sind, ob jenes Portal von 1380 oder 1340 stamme . . . Natur, die ewig neue, die ewig junge, lacht ja so herzlich über diese Menschenschmerzen, daß wie ein weißer, weicher Regen die Blüten von den Obstbäumen niederfallen. –

Mauer, Endstation! Lachend tollt die junge Schar davon, schon zirpen erste Lautenakkorde.

In eine sanfte Talmulde geschmiegt, eingebettet zwischen rote und tiefbraune Äcker und das weiße Blütenmeer von tausend Obstbäumen liegt der alte Ort, eine Gründung der Babenberger. Hoch hinan, bis zur weißen Schlange der Tiergartenmauer ziehen die Villenstraßen, die nicht mehr ahnen lassen, daß alles Land zur Zeit der Erbauung des Schlosses auf dem Platz der Kirche mit dichtestem Wald bedeckt war, der gelichtet werden mußte, weshalb der Ort zuerst Schloß im Gereut hieß.

Und steigst du die Höhe hinan, die Mauer vom Kalksburger Tal trennt, so leuchtet dir alle Schönheit der gottgesegneten Heimat entgegen. Unter dem blauen Schatten 99 des fernen Kahlengebirges verdämmert nordwärts Wien. Vor uns aber prangt und lockt der Süden. Aus einem ungeheuren Mosaik, gebildet aus den gelben Tafeln der Äcker, dem leuchtenden Grün junger Wiesen, den weißen und rosenfarbigen Ballen der Obstgärten leuchten die roten Dächer unzähliger Villen. Der Turm von Rodaun hebt sich aus dem Blaugrün der stolze Kerzen tragenden Kastanien, das mächtige Pultdach des Turmes von Perchtoldsdorf und das hohe Schiff seiner Pfarrkirche sehen ernst in die Frühlingspracht und noch weiter südwärts verschwimmen Land und Orte, Brunn, Enzersdorf und Mödling zu einer farbenschimmernden meilenweiten Ferne. Zu diesem Vorland dachen in herrlichstem Schwung die Kalkhänge der Föhrenberge ab. Vorne aber steht in unendlicher Ruhe, harmonisch wie nicht bald ein anderer Berg der Wiener Runde, der Anninger. Hinter ihm verdämmern die Höhen an der Aspangbahn.

Dunkle, ernste Föhrenhänge umkleiden die steilen Flanken der Perchtoldsdorfer und Rodauner Berge. Um so wonnesamer leuchtet aber daraus das zarte Gelbgrün des jungen Laubes und die weißen, grauen Flecken zackigen Kalkgefelses künden zum erstenmal die Nähe der Alpen.

Aus den Tälern von Kalksburg und Kaltenleutgeben bringt der laue Lenzwind den Duft jener ungeheuren Wiesen, aus deren weiten Flächen jene später so walddunklen Täler kommen. Dort rückwärts liegen sonnenumflossen Breitenfurt, Hochrotherd, Sulz und Stangau.

Kalksburg schmückt eine gar schöne Kirche. Zwar sehen noch keine Jahrhunderte auf sie herab, denn erst 1788 kaufte der Hofjuwelier von Mack die Herrschaft Kalksburg 100 und begann sofort mit dem Bau der Kirche. Der kunstfrohe Mann verstand es, hiezu die besten Kräfte heranzuziehen, und so wirkt besonders das Innere mit den schönen Fresken von Hubert Maurer reich und dennoch harmonisch als ein Beispiel, wie auch die Empirezeit geschlossenem Kunstschaffen hold war.

Lustig klingt die Laute hinaus und die jugendfrohen Stimmen vermischen sich mit der wonnigen Frühlingsluft und jener stillseligen Liebesmusik, die die Hänge des Wienerwaldes umschmeichelt.

Zwischen den Häusern von Rodaun verklingt der Sang, verschwinden die Gestalten der frohen, jungen Menschen.

Uns aber sieht aus der Blütenpracht das ernste Antlitz der Vorzeit entgegen.

Rodaun! In fernen Zeiten erklingt schon sein Name; aber aus jenen Tagen gibt kein Stein mehr Kunde. Das Schloß, dessen mariatheresiagelbe Fassade über prächtige Blumenbeete ostwärts blickt, wurde erst 1776 in den jetzigen Bauzustand gebracht und auch die Kirche ist nur dreißig Jahre älter, wenn ihrem Neubau auch ein gotisches Gotteshaus weichen mußte. Eine schöne Stiegenanlage führt zu ihr empor. Die ganze Raumseligkeit des späten Barock schwingt hier mit. Graue Sandsteinheilige umstehen die Treppe und die Blütenkerzen der Kastanien leuchten in das grüne Dunkel des Laubgewölbes.

Hinter der Kirche klafft zwischen Kalkwänden das Kaltenleutgebener Tal und daraus entsteigen mit steilen Böschungen die Föhrenberge. Kuppe hinter Kuppe wölben sie sich, immer höher; auf der zweiten blinkt ein Schutzhaus nordwärts, auf der höchsten Höhe ragt zwischen Föhren der eiserne 101 Bau der Warte. Ganz in das Waldschweigen der Nordhänge geschmiegt, liegt die Ruine der Burg Kammerstein, welche dem frühen Mittelalter entstammt. In der Mitte des 15. Jahrhundertes gebrochen, leuchtete ihr Brand bis Wien, wo man glaubte, das Schloß in Perchtoldsdorf stände in Flammen. Langsam wird das Gemäuer der ehemals bedeutenden Burg und der Kalkfels, der da und dort dem Wald entwächst, eins in Form und Farbe.

Gehst du den Kamm der Berge weiter, so bleibt bald die ernste Föhre zurück und das warme Grün der Buchen umschmeichelt dich. Im welligen Verlauf folgt die Straße dem Kamm. Nur wo der Wald der Axt zum Opfer fiel, glänzt ein Stück Ferne herein. Dann schweigt wieder der Wald um uns.

»Zum Höllenstein« ruft eine Tafel. Ein steiler Fußpfad führt im felsigen Wald zu einem gemauerten Aussichtsturm. Die ungeheure Bergweite erschließt sich dort oben: Der ganze Wienerwald und ein großer Teil der Voralpen. Den südlichen Wäldern des Höllensteins aber entragt ein seltsamer Bau, das ist die obere Ruine Johannstein. Den sentimentalen Gefühlen des beginnenden 19. Jahrhunderts verdankt sie ihre Entstehung. Nicht der Blick in fernabliegende Zeiten läßt uns daher auf diesem herrlichen Platz verweilen. Es ist die Fernsicht, die hier so gerne und so wohlig rasten läßt, wenn die klare Bläue des Frühlingstages um uns ist, der Vogelsang von den Zweigen klingt, Blumen dem frischgrünen Boden entsprießen. In der 102 Ferne aber ragt in voller Winterpracht der Riese Schneeberg empor, es ist wie ein empfindsames Kapitel aus einem Reisebuch der Biedermeierzeit.

Ein seltsam verkarsteter jäher Hang schießt zur unteren Ruine Johannstein hinab. Dieses Gemäuer ist echt und alt. Vor seiner Erbauung dürfte schon eine ältere Feste hier gestanden haben, denn die Urkunde sagt, daß Herzog Albrecht V. im Jahre 1429 seinem Getreuen Johann Jöchlinger gestattet hätte, auf dem Burgstall, genannt der Schnepfenstein, eine Feste zu bauen, »das er nu nennet Johanstain«. Seit 1809 sind die mächtigen Reste der Burg im Besitz des kunstsinnigsten österreichischen Adelsgeschlechtes, der Liechtensteiner.

Am Fuß des Burgfelsens träumt ein stiller Teich. Westwärts aber führen vielfache Wege in die Blütenpracht der Gehöftgruppe Neuweg (dort mußt du in stiller Einsamkeit die Süße eines Frühlingsabends schlürfen) oder am stolzen, hochragenden Schloß Wildegg vorbei, durch die alten Orte Sparbach und Sittendorf in die bevölkerte Brühl.

Ein zeitloser Abstecher war dies! Und wieder rauschen um uns die Föhrenwipfel der Perchtoldsdorfer Hänge. Zu Füßen liegt die Heide, die zwischen Perchtoldsdorf und Brunn sich dehnt. Zaghaft fängt sie erst an, sich mit den Farben des Lenzes zu schmücken. Hie und da ein Weingarten, dann graue Felsplatten und unfruchtbare Flächen; manchmal tiefe Steinbrüche mit seltsamen Höhlen in den Wänden, eine weite braune Heidefläche, in die scharf und wuchtig die Mauern und Türme von Perchtoldsdorf einschneiden. 104

Perchtoldsdorf, du liebes, trautes, du österreichischester aller Wienerwaldorte! Das panzerklirrende Mittelalter, die grausame Ungarn und Türkennot, Feuer, Mord und Pestilenz, die zarte Kultur um 1750, das Wüten der Franzosen, die stille Verträumtheit der Biedermeiertage und als Grundbaß die Weinseligkeit in alten Renaissancehöfen, in gotischen Erkern und Winkeln, dies zusammen gibt jenes unsagbar-zaubervolle Etwas, jenes poetischeste Gebilde auf Gottes weiter Erde: die österreichische kleine Stadt.

Wer sich von den Schauern gewaltiger historischer Ereignisse umwehen lassen will, gehe nach Perchtoldsdorf. Der Platz vor dem Turm und der Pfarrkirche wird ihm grause Kunde geben, daß 1683 viele Hunderte wackerer Verteidiger, welche Durst und die Hitze des Brandes zur Kapitulation zwangen, von den Türken hingemordet wurden, nachdem sie in blindem Vertrauen auf zugesagten Schutz die Waffen ausgeliefert hatten. Müssen wir den gleich leichtgläubigen Vorfahren nicht verständnisvoll die Knochenhand drücken? Drei Jahrhunderte vorher geht ein Engel durch die Gassen von Perchtoldsdorf, die Herzogin Beatrix. Ein Vorbild stillen, wohltätigen Wirkens, 105 leuchtet die Gestalt dieser edlen Frau aus den waffenklirrenden Tagen.

Wer Kunst genießen will, versenke sich in die Schönheiten der Pfarrkirche, er lese den Ernst gotischen Schaffens von ihrer Westfront, er entziffere die krause Formensprache zahlreicher gotischer Skulpturen an der Außenseite, er betrachte den Karner, der auch wie die Pfarrkirche in zwei Bauzeiten entstanden ist, er sehe aus den spärlichen Resten in der Burg, daß Teile davon noch dem späten 13. Jahrhundert angehören, er hebe den Blick zum hohen Turm, dem machtvollen Bekenntnis heimischen Bürgertums, der gerade noch vor dem Türkenjahr 1529 fertig wurde, liebevoll durchstreife er die vielen Höfe aus den Tagen der Gotik, der scheu aufkeimenden Renaissance und lasse sich von dem Geschnörkel des Rokoko so manche Reifrockanekdote ins Ohr flüstern. Der große Gluck weilte hier, Grillparzer und Schubert und in unseren Tagen Hugo Wolf und Hyrtl, der Wohltäter, der in seinem Turmstübchen, seinem Laboratorium, auch starb.

Alle erfreuten sich des schönen Ortes, der lieblichen Landschaft und des duftenden Weines und ein ganz vergilbtes Protokoll aus dem frühen 15. Jahrhundert verrät, daß schon damals der Perchtoldsdorfer Wein oft allzu unliebsame Wirkungen hatte.

Eine zusammenhängende Ortschaftenreihe führt südwärts bis Mödling. Brunn mit seiner sehenswerten Kirche, deren frühgotische Formen zweimal verändert wurden, besonders lieblich die zartgliedrige Vorhalle aus den letzen Tagen der Gotik, Enzersdorf, das alte Engelschalchsdorf mit dem reizenden Maria Theresia-Schlössel, dem schönsten Abbild 106 einer lebensfrohen Zeit, echtestes, österreichisches Rokoko. Glanzvoll die Innenausstattung, besonders jene Räume, deren Wände mit Marmor, geschnitztem Holz, Schildpatt, Elfenbein oder Seidentapeten bedeckt sind. Den Stolz des großen Saales bildet ein prächtiges mythologisches Fresko, bezeichnet »Johann Georg Schmidt 1730«.

Von der Höhe des »Geißenhügels« winken die weißen Häuser von Gießhübel; dahinter ragen eigenwillig geformte blaue Waldkuppen.

Die Perchtoldsdorfer Heide aber begrenzt südwärts hoher Wald und ihm entragt, auf steilem Fels fußend, der stolze Bau der Feste Liechtenstein.

Der Stammsitz der Liechtensteiner. Welch romantische Fernen erschließt dieses Wort! Aventiurenfahrten, Minnegesang und schmachtender Ritterdienst um schöne Frauen, die sich in verschwiegener Stunde erst dem Ritter neigen, von dessen Lippen so manches Liebeslied in die Lande klang. Zog von hier einst Ulrich von Liechtenstein als Frau Venus über steirische Berge ins ferne Welschland? Es klingt wie Zimbeln und weicher höfischer Sang um die Zinnen der Burg; ist es ein Tagelied von der ungetreuen Frau oder ein Leich in frühlingsduftiger Flur?

Zweimal zerstört, oft den Besitzer wechselnd, kam die Burg erst 1808 wieder in den Besitz der Liechtensteine. So verfallen war die Feste, daß der fürstliche Herr ihr gegenüber den schönen, klassizistisch-vornehmen Bau des neuen Schlosses mit der wertvollen Giebelskulptur errichten mußte. Erst 1873 wurde die Ruine durch die Architekten Kayser und Mohlentheim zur jetzigen Form ausgebaut. Zwei Zeitalter sehen sich so gegenseitig in die Augen: die herbe, 108 wuchtige Größe des romanischen, kubischen Baues, dessen Kapelle zu den ältesten romanischen Resten in Niederösterreich gehört, und die von den Grazien geschmückte Säulenfassade des antikisierenden Neuschlosses. Von der Ruine standen nur die Hauptmauern und die Kapelle. Der Ausbau im romanischen Geist ist nicht überall gleichmäßig geglückt; am wenigsten in der spielerisch wirkenden Ostseite. Aber das Innere durchzieht doch ein Hauch des 12. Jahrhunderts. Und wer oben im Turmwächterzimmer sitzt und in die weite Bergesrunde hinausträumt, wird sich leicht als Burgwächter fühlen und zum Horn an seiner Seite greifen wollen, denn über den grünen Plan am Fuß des Felsens reiten Gewappnete, Fähnlein flattern, Harnische glänzen und trotziger Zuruf heischt Einlaß. –

Gegen Mödling zu dehnen sich die weiten herrlichen Anlagen »Liechtensteins.« Ein Segen ohnegleichen sind sie für die Gegend und ihr Schöpfer hat sich damit ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Zwar hat die Anlagen einer der letzten Herren auf Liechtenstein, der Regierungsrat an der Hofkammer Freiherr von Penkler, im Jahre 1779 begonnen, aber ihre 109 jetzige Größe und Schönheit verdanken sie dem kunstverständigen Walten des Fürsten Johann von Liechtenstein.

Er ließ auch das Amphitheater errichten, eines jener Zugeständnisse an die Zeit, wo das klassische Altertum alles Kunstschaffen beherrschte. Die Menschen von damals sahen das Gebäude mit römischen Helden und Senatoren bevölkert; uns dünkt es Theater, wenn auch ein poetisches. Und die Gestalt Urgroßvaters in braunem Frack und Vatermördern grüßt uns wesensgleicher in der Ruine des Amphitheaters als das harte Profil Coriolans.

Smaragdgrüne Wiesen durchbrechen die weiten Föhrenwälder. Dann erschließt sich auch der Blick auf die geruhigen, in schönster Harmonie auf und ab wogenden Linien der Anningergipfel.

Aber plötzlich stürzen jähe Felshänge in die dämmerige Tiefe der Brühl. Dort unten pocht und hämmert die neue Zeit.

Der heitere, österreichische Frühlingshimmel jedoch überspannt beides: die Romantik der Föhrenwälder und der stolzen Burg, aber auch die hart schaffende Gegenwart im Tal. 111

 


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