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1932

*

An Arnold Zweig

Hochroterd, 8. Mai 1932

Lieber Meister Arnold

Woher schreibe ich Ihnen? Von einem Bauernhäuschen auf einem Hügelabhang, fünfundvierzig Autominuten weit von der Berggasse, das sich meine Tochter und ihre amerikanische Freundin (die das Auto besitzt) als Weekendvilla erworben und eingerichtet haben. Wir erwarteten, der Heimweg von Palästina würde Sie über Wien führen, und dann hätten Sie es anschauen müssen.

Sie haben mich reich beschenkt, mit Ihrem Bild, das mir freilich nicht viel mehr als die Stirne bietet, mit der Photographie Ihres Autorkäfigs, den ich nicht zu sehen bekommen werde, mit der Nachricht, daß Ihre Augen brav geworden sind, und mit einigen Tröpfchen aus dem Kessel, in dem jetzt soviel neue, schöne Geschichten brodeln, die ich trotz meiner bald begrenzten Lebensdauer alle noch lesen möchte.

Sie hatten recht, es war grade mein Geburtstag, und ich erwehre mich jetzt mühselig der daraus entstandenen Verpflichtungen. Aber um zu Ihnen zurückzukehren, wie merkwürdig muß dieses tragischtolle Land, das Sie besucht haben, Ihnen geworden sein. Denken Sie, kein anderer Fortschritt verknüpft sich mit diesem Streifen unserer Muttererde, keine Entdeckung oder Erfindung – die Phönizier sollen das Glas und das Alphabet (beides zweifelhaft!) gefunden haben, die Insel Kreta hat die minoische Kunst geschaffen, an Pergamon erinnert das Pergament, an Magnesia der Magnet, und so weiter ins Unendliche, aber Palästina hat nichts gebildet als Religionen, heiligen Wahnwitz, vermessene Versuche, die äußere Scheinwelt durch die innere Wunschwelt zu bewältigen. Und wir stammen von dort (obwohl sich einer von uns auch einen Deutschen glaubt, der andere nicht), unsere Vorfahren haben dort vielleicht durch ein halbes Jahrtausend, vielleicht ein ganzes, gelebt (aber auch dies nur vielleicht), und es ist nicht zu sagen, was wir vom Leben in diesem Land als Erbschaft in Blut und Nerven (wie man fehlerhaft sagt) mitgenommen haben. Oh, das Leben könnte sehr interessant sein, wenn man nur mehr davon wüßte und verstünde. Aber sicher ist man nur seiner augenblicklichen Empfindungen! Darunter also meiner herzlichen Gefühle für Sie und Ihr Werk!

Mit Gruß an Ihre liebe Frau

Ihr Freud

*

An Stefan Zweig

Wien, Hohe Warte, Khevenhüllerstraße 6, 2. Juni 1932

Lieber Herr Doktor

Wenn ich eine Arbeit der Öffentlichkeit übergeben habe, bin ich eine lange Zeit nachher nicht gewillt, mich mit ihrem Zufall (zu) beschäftigen. Ich müßte es bedauern, wenn es Ihnen ähnlich ergeht, denn ich beabsichtige Ihre Aufmerksamkeit auf jenes Ihrer Bücher zurückzuwenden, von dem Sie ein Dritteil mir und meinem Werk gewidmet haben.

Ein Freund von mir war dieser Tage in Venedig, hat dort in einem Buchladen die italienische Übersetzung der ›Heilung durch den Geist‹ gesehen und sie mir zum Geschenk gemacht. Das war ein Anlaß, Teile Ihres Aufsatzes wieder zu lesen. Dabei entdeckte ich auf Seite 272 einen Irrtum der Darstellung, der nicht gleichgültig genannt werden kann, eigentlich auch mein Verdienst, wenn Sie diese Rücksicht gelten lassen wollen, recht verkleinert. Es heißt daselbst, Breuers Kranke habe in der Hypnose das Geständnis gemacht, daß sie am Krankenbett des Vaters gewisse »sentimenti illeciti« (also sexueller Natur) empfunden und unterdrückt hatte. In Wahrheit hat sie nichts Ähnliches gesagt und erkennen lassen, daß sie ihren Zustand von Aufregung, insbesondere ihre zärtliche Besorgnis vor dem Kranken verbergen wollte. Wäre es so gewesen, wie in Ihrem Text behauptet wird, so wäre auch alles anders gekommen. Ich wäre nicht durch die Entdeckung der sexuellen Ätiologie überrascht worden, Breuer hätte es schwer gehabt, ihr zu widersprechen, und ich hätte wahrscheinlich nie die Hypnose aufgegeben, mit der man so aufrichtige Bekenntnisse erreichen kann. Was bei Breuers Patientin wirklich vorfiel, war ich imstande, später lange nach unserem Bruch zu erraten, als mir plötzlich eine Mitteilung von Breuer einfiel, die er mir einmal vor der Zeit unserer gemeinsamen Arbeit in anderem Zusammenhang gemacht und nie mehr wiederholt hatte. Am Abend des Tages nachdem alle ihre Symptome bewältigt waren, wurde er wieder zu ihr gerufen, fand sie verworren, sich in Unterleibskrämpfen windend. Auf die Frage, was mit ihr sei, gab sie zur Antwort: Jetzt kommt das Kind, das ich von Dr. B. habe. In diesem Moment hatte er den Schlüssel in der Hand, der den Weg zu den Müttern geöffnet hätte, aber er ließ ihn fallen. Er hatte bei all seinen großen Geistesgaben nichts Faustisches an sich. In konventionellem Entsetzen ergriff er die Flucht, und überließ die Kranke einem Kollegen. Sie kämpfte noch monatelang in einem Sanatorium um ihre Herstellung.

Dieser meiner Rekonstruktion fühlte ich mich so sicher, daß ich sie irgendwo veröffentlichte. Breuers jüngste Tochter (kurz nach Abschluß jener Behandlung geboren, auch das nicht ohne Belang für tiefere Zusammenhänge!) las meine Darstellung und befragte ihren Vater (es war kurz vor seinem Tod). Er bestätigte mich, und sie ließ es mich nachher wissen.

In herzlicher Ergebenheit
Ihr Freud

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An Hermann Graf Keyserling

Wien XVIII, Khevenhüllerstraße 6, 10. August 1932

Sehr geehrter Graf

Gewiß, ich habe Ihre ›Südamerikanischen Meditationen‹ erhalten, auch gelesen. Sie kamen unpersönlich, als Rezensionsexemplar, glaube ich, oder mit einer Aufforderung, sich darüber für die Öffentlichkeit zu äußern – ich weiß nicht mehr – gewiß nicht als Gabe des Autors, sonst hätte ich nicht unterlassen, Ihnen zu danken.

Alles was Sie schreiben, erregt mein lebhaftes Interesse, aber in der Regel verstehe ich es nicht oder kann ihm nicht weit folgen. Diesmal war ich überrascht durch die Wirkung, die der Einblick in eine von elementaren, triebhaften Impulsen beherrschte Gesellschaft auf Sie ausgeübt hatte, denn wir sind an dieses Bild gewöhnt, wir glauben es auch hinter den Verkleidungen und Verbrämungen Europas zu erkennen und sind durch das Studium an unseren Patienten und an uns selbst mit ihm vertraut geworden. Ich nahm an, Sie wären aus fernen philosophischen Welten herabgestiegen, in denen man diese gemeinen aber fundamentalen Dinge nicht zur Kenntnis nimmt, und erkannte wohl, daß Sie in Ihrer großen Empfänglichkeit für etwas Neues zugänglich geworden sind.

Ihr in Hochachtung ergebener
Freud


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