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Sechstes Kapitel.
Die Sonne des Ebeling'schen Hauses.

Es dürfte jedoch jetzt wohl an der Zeit sein, zu einem Mitgliede der Familie des Banquiers Ebeling zurückzukehren, dem wir bisher nur eine vorübergehende Aufmerksamkeit geschenkt haben und welches doch vor Allen unsere vollste Beachtung und genaueste Erörterung verdient. Wir meinen damit Betty, die Cousine Fritz Ebeling's, die einzige Tochter des Oberforstmeisters von Hayden, die an jenem ersten Abend, wo unsere Erzählung begann, so freundlich auf ihres Cousins Wünsche einging und, in dem Glauben, daß Niemand, am wenigsten der arme Student selber, erfahren würde, von Wem ihre Gabe kam, diesem Letzteren den duftigen Veilchenstrauß sandte, ohne zu ahnen, daß sie damit einen bedeutenden Beitrag lieferte, das Gefühl der Verlassenheit in dem einsam lebenden Jüngling zu mindern und ihm seinen von Niemand sonst beachteten Geburtstag in einer unsäglich glücklichen Stimmung feierlich begehen zu lassen.

Wie wir sahen, war sie Paul van der Bosch schon lange nicht mehr unbekannt. Er hatte sie in den ersten Jahren seines Aufenthalts in der Residenz gar häufig drüben am Fenster wahrgenommen, er hatte sich ihrer schönen Erscheinung, ihres lieblichen Gesichts erfreut und ihren zufällig bisweilen auf ihn fallenden Blick stets als einen Gruß aus der Ferne betrachtet, einer Ferne, die allerdings weit von seinem jetzigen Standpunct abzuliegen schien, aber doch einer Ferne, die, wenn nicht der Maaßstock des Mathematikers, doch die Phantasie eines seine Zukunft sich golden gestaltenden Jünglings ermessen kann.

Doch bevor wir zu der näheren Bekanntschaft dieser beiden Personen gelangen, die ebenfalls der dienstwillige Fritz durch seine aller Welt offenbare Verehrung für den Studenten vermittelte, dürfte es gerathen sein, noch einige Worte über die schon oberflächlich gezeichnete Persönlichkeit Betty's, ihre Erziehung und ihren inneren Werth hinzuzufügen.

Betty war als das einzige Kind adliger Eltern und, trotz der äußerlich günstigen Stellung ihres Vaters, nicht gerade in einem besonderen Ueberfluß und am wenigsten in jener berauschenden Atmosphäre aufgewachsen, die großer Reichthum, vornehme Geburt und einflußreiche Aemter rings um sich her zu verbreiten pflegen. Ihr Vater bezog als hochstehender Beamter zwar einen reichlichen Gehalt, besaß aber sonst kein Vermögen, eben so wenig wie ihre Mutter, und mußte sich in seinen Ausgaben weislich beschränken, da seine amtliche Stellung ihn veranlaßte, ein größeres Haus zu machen, als seinen Finanzen ersprießlich war, was leider so vielen Beamten manches Kümmerniß und manche Sorge verursacht. Dennoch war Herr von Hayden niemals in bedrängter Lage gewesen, seine Einnahmen hatten noch immer seinen Ausgaben entsprochen, allein er hatte doch nie etwas Erkleckliches zurücklegen und dadurch einen fühlbaren Impuls zu einem seinen Wünschen gemäßen höheren Aufschwung gewinnen können.

In ihrer frühesten Jugend fast nur mit der Familie ihres Onkels, des Banquiers, verkehrend, hatte Betty, in verhältnißmäßig ähnlicher Weise wie Fritz, eine vortreffliche Erziehung genossen, denn in dieser Beziehung hatte sich der Oberforstmeister niemals die geringste Einschränkung erlaubt. Von Kindheit an lernbegierig, wie ihr nur ein Jahr jüngerer Cousin, war sie mit einer großen Fassungskraft begabt, und ihr regsamer Geist erfaßte vor Allem schnell und fest, was dem menschlichen Auge schön und rein und dem menschlichen Herzen gut und edel erscheint. So hatte sie einen besonders scharfen Blick und ein feines Gefühl für die Erzeugnisse der schönen Künste und Wissenschaften, und wäre sie ein Knabe gewesen, so würde sie ohne Zweifel die dornenreiche und doch belohnende Bahn eines Künstlers beschritten haben.

Von Gemüth war sie sanft, nachgiebig und immer eingehend auf die Vorstellungen älterer und klügerer Leute, aber was sie einmal mit ihrer Seele erfaßt hatte, das hielt sie unablässig fest an dieselbe gedrückt, mit unerschütterlicher Ergebenheit und ewig liebender Treue. Ihren Geist nach allen Richtungen zu nähren und ihre Kenntnisse zu bereichern, hatte sie stets für eine Aufgabe ihres Lebens gehalten, denn wenn sie auch ein Weib war, so wollte sie sich nicht begnügen, nur so wenig zu wissen und zu kennen, wie viele Weiber, und so war und blieb sie weit entfernt von jener bestechlich schimmernden Oberflächlichkeit, die wie ein täuschender Firniß die Bildung unserer weiblichen Jugend überzieht, aber den andringenden Einflüssen der Welt niemals Stand hält und bei einem moralischen Regenguß, wie er so oft und unverhofft über das Weib herabströmt, ihren ganzen Glanz und Flitter einbüßt.

»Ich will Alles sehen, lesen, kennen lernen, was edle Menschen sehen, lesen und kennen lernen können,« sagte sie oft zu ihrer Tante, »und wenn ich auch nicht Alles in mich aufnehmen kann, so suche ich mir doch das Beste davon heraus, um es im stillen Kämmerchen meines Gedächtnisses wie einen kleinen Schatz für die Zukunft aufzuspeichern.«

Ihren Eltern gegenüber zeigte sie von Kindheit an eine unbedingte Fügung in den Willen derselben, wie es in vielen Familien adliger Abstammung durch das Herkommen gebräuchlich ist. Diese Fügung und dieser kindliche Gehorsam erstreckte sich aber in der Regel nur auf die äußeren Dinge des Lebens, sie that stets, was sie in Folge eines Auftrags, eines Befehls oder nur Wunsches der Ihrigen thun sollte, allein in ihrem Innern fragte sie sich doch oft, ob dieser Befehl oder Wunsch nicht besser unterblieben wäre, ob sie das ihr Aufgetragene nicht lieber anders gemacht, wenn sie es nach ihrer eigenen Einsicht erfaßt hätte, und da sie einen klaren, stets richtig urtheilenden Geist besaß, so setzte die Ueberzeugung sich in ihr fest, daß selbst die besten Eltern nicht immer das Beste für ihre Kinder thäten, und daß diese, wenn sie erwachsen und mit gesundem Verstande ausgerüstet seien, auch einen eigenen Maaßstab des Schicklichen und Erforderlichen in ihrer Brust und ihrem Kopfe tragen dürften, mit dem sie die sie umgebende Welt und deren Verhältnisse zu messen berechtigt seien.

So bewahrte sie denn das für Recht Erkannte mit jener schon erwähnten liebenden Treue in ihrem Busen auf, an ihren innersten Ueberzeugungen konnte keine fremde Hand rütteln, ihr stilles geheimstes Besitzthum der Erkenntniß und Wahrheit durfte Niemand antasten.

Von einem solchen inneren Genius geleitet und behütet, wuchs sie zu einer bei Frauen seltenen Selbstständigkeit heran, schon mit ihrem siebzehnten Jahre war ihr Character und ihr Wesen entschieden ausgebildet und nur wenige einzelne Züge erlagen noch einer feineren Umgestaltung, die namentlich der mütterlich zarten Hand ihrer Tante, der Frau Ebeling, auszuführen vorbehalten blieb. Denn diese auf einem eben so hohen sittlichen wie gemüthlichen Standpunct stehende Frau war ihr von jeher ein Muster und Vorbild ächt weiblicher Tugend gewesen, sie liebte sie wie eine zweite Mutter, zu ihr flüchtete sie sich mit ihren kleinen Sorgen, an sie schmiegte sie sich mit der ganzen Innigkeit ihrer hochaufstrebenden Seele.

Dieser Seele aber war ein ganz eigenes Organ, ein hörbarer Ausdruck von der Natur verliehen. Wenn schon ihre ganze Erscheinung eine überaus wohlthuende, durch Schönheit und Anmuth ergreifende war, durch jenes Organ wurde dieselbe erst recht und vollkommen zu einer wirkenden, siegreichen und wahrhaft fesselnden. Dieses Organ ihrer Seele war eigentlich nur ein körperliches, in dem sich jedoch der geistige Inhalt einer Seele auszusprechen pflegt, mit einem Wort, es war ihre wunderbar klangreiche, weiche und jede Vibrirung ihres Innern wiedergebende Stimme. In dieser unbeschreiblichen Stimme lag eine verführerische, einschmeichelnde Gewalt, wie in der alle Welt beherrschenden und besiegenden Musik. Wenn sie damit nur wenige Worte sprach, und sie sprach fast nie in langen Sätzen und künstlichen Perioden, so drangen diese Worte stets nicht nur in das Ohr, sondern auch in das Herz ihres Zuhörers. Schon mit dem Klange dieser fast rührend weichen Stimme überzeugte, gewann, eroberte sie, und gerade die Einfachheit ihres Ausdrucks, die Ungesuchtheit ihrer Worte übten die große Uebergewalt aus, die sie in vielen Dingen über alle ihr Nahenden, sie Umgebenden besaß, weshalb sie auch von Allen, wie wir besonders an Fritz gesehen haben, fast abgöttisch geliebt und verehrt wurde.

Wie wir wissen, wurde die Bekanntschaft zwischen Betty von Hayden und Paul van der Bosch durch Fritz dadurch eingeleitet, daß dieser Jenem verrathen, daß seine Cousine es sei, die ihm das Blumenbouquet als Fastnachtsgeschenk gesandt habe und daß sie damit die Absicht verbunden, ihm eine kleine Freude zu bereiten. Vor diesem Tage hatte Paul oft am Fenster gestanden und auf das Erscheinen des schönen und ihm noch fremden jungen Mädchens gehofft, und wenn er dasselbe einmal flüchtig gesehen, war ihm immer stundenlang wohl zu Muthe gewesen, denn das Gesicht dieses wie der junge Lenz vor ihm auftauchenden Wesens übte einen eigenthümlichen Reiz auf ihn aus, indem es ihn nicht sowohl durch seine Schönheit erfreute, als es die öde, stille Wohnung, die er selbst inne hatte, doch noch mit einigem Glanz erhellte und auf diese Weise wohnlicher machte.

Seitdem sie ihm aber durch jene Blumen näher getreten war, wagte er es nicht mehr, sich an das Fenster zu stellen und hinüberzuschauen, er glaubte damit über die Gränze des Schicklichen hinauszugehen und eine große Aufdringlichkeit zu verrathen, und das litt eben sein Zartgefühl nicht. Wenn er ihr aber nun doch einmal zufällig Angesicht in Angesicht gegenübertrat, was immer noch bisweilen geschah, dann grüßte er, erst zaghaft und kaum wahrnehmbar, allmälig kühner, immer aber ehrerbietig hinüber. Auch vom jenseitigen Fenster her war dieser leise Gruß anfangs mit lächelnder Verwunderung, dann mit Freundlichkeit und zuletzt mit einer naiven Vertraulichkeit erwidert worden, was Paul jedesmal mit einer sanften Freude erfüllt hatte.

Zu dieser mit stummen Grüßen beginnenden und allmälig erst heranwachsenden Bekanntschaft hatte Fritz ohne Zweifel das Meiste beigetragen, denn alle Tage, je weiter seine eigene Bekanntschaft mit dem Studenten vorschritt, verkündete er im Hause des Onkels seine Triumphe und berichtete Alles fast wortgetreu wieder, was ihm in der kleinen Dachstube drüben begegnet war und was Paul van der Bosch gesprochen und erzählt hatte. Mit dieser Berichterstattung that der junge Mensch sowohl seinem eigenen Herzen Genüge, als er glaubte, auch Betty, seine Busenfreundin, mit der er in so vielen Dingen übereinstimmte, müsse an dem neuen Freunde einen gleichen Antheil wie er selbst nehmen.

Und allerdings hatte er sich bezüglich des letzteren Punctes nicht in dem lieben Mädchen geirrt. Betty sowohl wie ihre Mutter, ja selbst der ernstere, und in solchen Dingen weniger zugängliche Vater, hatten, durch Fritz Ebeling's Mittheilungen und lebhafte Herzensergießung angeregt, sehr bald einen gewissen Antheil an den Schicksalen des Verwaisten verrathen und alle hatten den guten Jungen wohlmeinend ermuntert, die Bekanntschaft mit diesem gelehrten jungen Mann eifrigst fortzusetzen.

So war also Paul der persönlichen Bekanntschaft mit jenen vornehmen Leuten wider sein Wissen schon viel näher gerückt, und diese fanden es bald nicht mehr wunderbar, daß Fritz den neuen Umgang mit so großer Wärme pflegte, da ihnen nun auch aus Frau Ebeling's Munde zu Ohren kam, ein wie seltener und bescheidener junger Mann der Student der Baukunst sei.

Ist aber bei Frauen das Interesse für einen Fremden einmal erst geweckt und kein sichtbarer Grund vorhanden, dasselbe mit Vorsicht wachsen zu lassen, so nimmt es, wie durch eine geheimnißvolle innere Naturkraft erstarkend, rasch in hohem Maaße zu. Was nun Betty in diesem Puncte betrifft, so war sie sehr bald über die Art und Weise einig, wie sie sich selbst dem jungen Manne gegenüber zu verhalten habe, nachdem er erst festen Fuß im Hause ihres Onkels gefaßt und dort wie im Sturmschritt alle Gemüther vollständig gewonnen hatte. Gerade die Stellung, die Paul im Hause ihres Onkels einnahm, gab auch ihrer bald entstehenden persönlichen Bekanntschaft mit ihm eine eigenthümliche Richtung und einen festeren Grund. Nach Allem, was in diesem Falle bisher geschehen, war ja diese Bekanntschaft mit ihm keine der alltäglichen Art, eben so wenig wie der Gegenstand derselben ein gewöhnlicher Mensch war, und als sie erst einige Male mit ihm zusammengetroffen, gestand sie sich ein, daß ihr die laute Verehrung ihres Cousins für den neuen Freund erklärlich sei, da ihr ein junger Mann mit Eigenschaften, wie Jener sie besaß, noch nie in den Weg getreten war.

 

Indessen nahm das Verhältniß zwischen Paul und der Familie von Hayden doch bei Weitem nicht den raschen Fortgang und Aufschwung, wie in der des Banquiers, und das war sehr natürlich. So nahe beide Familien mit einander verwandt und so befreundet und vertraut sie waren, so fand doch einiger Unterschied zwischen ihnen statt. In des Banquiers Hause herrschte das bürgerliche Element und die bürgerliche Anschauungsweise aller bestehenden Verhältnisse vor, trotzdem Frau Ebeling aus demselben adligen Blute entsprossen war wie ihre Schwester. Ihr Umgang, ihr Verkehr mit Geld- und Finanzmännern, mit Künstlern und Gelehrten, wie Herr Ebeling ihn nun einmal zu seiner Existenz bedurfte, hatten seinem Hause ein ganz besonderes Gepräge freisinniger Duldung ausgedrückt, die liberale politische Gesinnung, die ihn beseelte – heutzutage leider ein Hebel oder ein Stein des Anstoßes in der geselligen Welt – hatte seinen Neigungen eine ganz eigene Richtung gegeben, und da er durch kein Bedenken irgend einer Art, am wenigsten durch Geldverhältnisse in seinen Liebhabereien beschränkt wurde, so durfte er seiner Neigung volle Rechnung tragen und den frischen Luftzug liberaler Denkungsart belebend und stärkend in sein Haus einströmen lassen.

Ganz anders verhielt sich das in der Familie des Oberforstmeisters von Hayden. Dieser war ein zwar durch und durch rechtschaffener, edelherziger Mann, ein pflichttreuer Beamter und ein sehr ehrenwerther Familienvater, allein seine aristokratische Gesinnung, sein mehr dem Hofton sich zuneigendes Wesen, das nur durch die Beschränktheit seiner Mittel eine gewisse Begränzung erfuhr, hoben seine Neigungen und Liebhabereien weit über die Sphäre hinaus, in der sich eben sein viel reicherer Schwager bewegte. Man verkehrte bei ihm auch mit Künstlern, Gelehrten und sonst gebildeten Männern von einer gewissen Lebensstellung, aber diese nahmen bei ihm keinen so hervorragenden Platz wie bei dem Banquier ein. Weit lieber hätte er mit dem höchsten Beamtenstande, den Ministern und Generälen des Königs verkehrt, wenn eben nur seine Mittel die kostbare Pflege dieser hohen Personen geduldet hätten. Da sie es nicht duldeten, ganz und gar nicht, so nahm er jene im Range der Gesellschaft niedriger stehenden nur mit sanft übertünchter Herablassung bei sich auf, man sah ihm immer einen Zwang und Selbstüberwindung an, und dieser Zwang eben war es, welcher, wie eine zu kalte Temperatur, die Geselligkeit in seinem Hause bei Weitem nicht so angenehm erscheinen ließ, wie bei seinem Schwager, wo Jeder nach seinem Naturell sich gehen lassen konnte. Daher kam es denn auch, daß er gegen Paul van der Bosch, den armen Studenten, eine gewisse Zurückhaltung hervortreten ließ, die sich in Herrn von Hayden's Person am deutlichsten, bei seiner Frau schon in geringerem Grade, am wenigsten von Allen aber bei Betty ausprägte, die überhaupt von dem aristokratischen Gebahren ihrer Eltern nichts hatte und kannte, da sie allein der reinen und unverfälschten Natur unschuldsvolle Tochter war.

Wie jedoch bei den beiden Damen schon lange eine gewisse Neugierde sich kundthat, Paul van der Bosch, über den von allen Seiten so viel Rühmliches verlautete, persönlich kennen zu lernen, so konnte Fritz zuletzt kaum noch den ihn verzehrenden Drang bezähmen, seinen Freund denselben vorzustellen, um zu erfahren, welchen Eindruck er auf die Verwandten machen und wie diese ihm selbst gefallen würden. Jedoch wurde dieses Zusammentreffen durch verschiedene Zwischenfälle noch einige Zeit hinausgeschoben und fand erst drei bis vier Wochen nach Paul's erstem Besuch bei dem Banquier statt. Beide Parteien waren allerdings vorbereitet, daß sie sich in dieser Zeit einmal bei Frau Ebeling sehen würden, aber für den Sonntagabend, wo es endlich geschehen sollte, waren Frau von Hayden und ihre Tochter nur allein davon unterrichtet, während Paul durch ihren unerwarteten Eintritt höchlichst überrascht wurde.

Frau Ebeling stellte den jungen Mann zuerst ihrer Schwester und dann deren Tochter mit einigen freundlichen Worten vor. Fritz stand etwas abseits von der Gruppe und sah diesem lange ersehnten Vorgang mit strahlendem Gesicht zu, wobei er die Miene bald des Einen, bald der Andern durchforschte, ob er nicht irgend ein Zeichen ihrer Empfindungen erhaschen könne.

Jedoch täuschte er sich, wenn er geglaubt, die innere Stimmung der drei ihm so nahe stehenden Personen auf der Stelle errathen zu können. Seiner Tante Antlitz verrieth allerdings einige Verwunderung, als sie einen so vortheilhaft sich darstellenden Mann wahrnahm, als sie aber erst einige begrüßende Worte an ihn gerichtet, beruhigte sie sich bald wieder und nahm ihren gewöhnlichen Platz auf dem Sopha neben ihrer Schwester ein. Betty dagegen verharrte in ihrer gewohnten ruhigen Freundlichkeit, sprach einige Worte und nahm dann den ihr von Fritz dargebotenen Stuhl an dem Tisch davor ein. Paul selbst bezwang den in ihm wogenden Freudensturm männlich, höchstens nahm sein Gesicht eine etwas tiefere Blässe und sein Auge einen lebhafter funkelnden Glanz an.

Als nun endlich Alle um den großen runden Tisch saßen, dessen Umkreis zwei hohe Lampen hell erleuchteten, begann die Unterhaltung, der Frau von Hayden die erste Richtung gab. Wie es gewöhnlich bei solchen Familienversammlungen zu geschehen pflegt, wenn wenige Fremde und keine das Gespräch leitenden älteren Männer zugegen sind, drehte es sich anfangs um alltägliche Ereignisse, Stadtneuigkeiten und dergleichen, woran Paul keinen Theil nehmen konnte, da die besprochenen Personen und Verhältnisse ihm gänzlich unbekannt waren.

Fritz hörte diese Unterhaltung, die ihn schon an sich langweilen mochte, eine Weile geduldig mit an, als sie sich aber länger ausspann, rückte er endlich auf seinem Stuhle unruhig hin und her, denn er konnte kaum die Zeit erwarten, daß sein Freund in's Gespräch gezogen wurde, daß derselben sprechen würde und man ihn sprechen hörte, ihn, der seiner Meinung nach besser und fließender als Alle sprach. Allein in Gegenwart der Tante zügelte der wohlerzogene junge Mann noch seine Ungeduld, nur heftete er seinen forschenden Blick immer fester auf Betty, die geräuschlos eine Handarbeit hervorgezogen und daran zu sticken begonnen hatte. Betty hielt bei dieser Arbeit ihren Kopf etwas gesenkt und bemerkte nicht, daß mehr als zwei Augen verwunderungsvoll auf sie gerichtet waren. Endlich aber, als gerade eine kurze Gesprächspause eintrat, erhob sie den Kopf schnell und wollte eben zu ihres Cousins größter Beruhigung eine Frage an Paul van der Bosch richten, als ihre Mutter unerwartet das Gespräch wieder begann, diesmal sich aber an Paul wandte und zu ihm sagte:

»Ich habe gehört, daß Sie in Hamburg geboren und erzogen worden sind. Das erfüllt mich mit einigem Interesse. Auch ich habe viele Bekannte dort und möchte wohl von ihnen hören.« Und nun nannte sie eine Reihe von Patriciernamen her, nach deren Aufzählung sie Paul fragte, ob irgend eine dieser Familien ihm bekannt sei.

»Nein, meine gnädige Frau,« erwiderte Paul mit seiner klangvollen und doch so melancholisch tönenden Stimme, »alle die eben genannten Personen kannte ich während meines Aufenthalts in Hamburg nicht und konnte ich nicht kennen, da meine Verhältnisse nicht danach angethan waren, mit ihnen in Berührung zu kommen.«

Und nun entwickelte er mit seiner gewöhnlichen Offenheit und ohne alle Scheu die Stellung, die er als armer Schüler in seiner Vaterstadt vor einigen Jahren eingenommen hatte.

Schon als er zu sprechen anfing, horchte Betty hoch auf, als er aber seiner zurückgezogenen Lage gedachte, that es ihr leid, daß ihre Mutter ihre vornehmen Bekanntschaften aufgezählt, und als nun diese bald darauf ihr Gespräch mit Paul abbrach und mit einer häuslichen Frage sich an ihre Schwester wandte, rückte sie dem Studenten um einen Stuhl näher und leitete ein längeres Gespräch durch irgend eine Frage nach der von ihm gepflegten Kunst mit ihr ein.

Auf diesem geweihten Felde war Paul mit allen Autoritäten und Honoratioren bekannt, und augenblicklich beantwortete er die Frage auf eine Weise, und so genau und verständlich, daß viele andere Fragen und Antworten sich daran knüpfen mußten, die sowohl von des jungen Mannes Seite eine bedeutende Kenntniß wie von der Seite der wißbegierigen Dame eine großes Interesse an der Sache selbst verriethen.

Bald nach diesem Gespräch erschien der Banquier Ebeling mit seinem Schwager, dem Oberforstmeister. Letzterer war ein großer, starkgebauter Mann mit gebräuntem Teint und schwarz und grau gesprenkelten Haaren. Sein bärtiges Gesicht war männlich schön und ernst und zeigte fest ausgeprägte Züge, die einzige Aehnlichkeit aber, die es mit dem seiner ungleich schöneren Tochter aufwies, bestand in der Bildung der Stirn und dem edlen Schwunge der etwas starken Augenbrauen, denen das Alter noch keine Spur seiner Einwirkung ausgedrückt hatte.

Herr Ebeling nahm den sogleich aufstehenden Paul van der Bosch an die Hand und stellte ihn seinem Schwager als den neu erworbenen Freund seines Sohnes und seines Hauses vor, eine so tactvolle und wohlthuende Bezeichnung, daß sie dem Studenten das Blut vor stiller Freude in's Gesicht trieb und auch offenbar einen guten Eindruck auf Herrn von Hayden machte. Die drei Männer nahmen nun in einer anderen Ecke des großen Zimmers um einen kleinen Tisch ihre Plätze ein und bald waren sie in ein ernstes Gespräch über Forstcultur und Wildstand verwickelt, ein Thema, welchem Paul große Aufmerksamkeit schenkte, da auch er sich hinreichend für Beides interessirte.

Bald darauf ging man zu Tisch und Paul erhielt seinen Stuhl zwischen Frau von Hayden und ihrer Tochter, während Fritz ihm gegenübersaß. Die Unterhaltung bei'm Essen beherrschte eigentlich Herr von Hayden, aber auch Paul wurde bisweilen Seitens seiner Nachbarinnen zu einer Aeußerung veranlaßt, auf welche Betty noch nach der Tafel wiederholt zurückkam, nachdem sie sich auf einige weitere Fragen besonnen zu haben schien.

Als man sich endlich gegen elf Uhr trennte, wurden nur die gewöhnlichen Abschiedsformeln ausgetauscht und einige Minuten darauf lagen Alle in ihren Betten, obwohl vielleicht Einige in ihnen nicht auf der Stelle einschliefen, sondern noch längere Zeit die an diesem Abend gehörten und gesprochenen Worte sich im treuen Gedächtniß wiederholten.

Erst am Abend des nächsten Tages nach acht Uhr fand Fritz sich auf ein halbes Stündchen bei Paul ein. Offenbar hatte ihm eine Frage den ganzen Tag über im Sinn gelegen, denn sie war die erste, die er kurz nach seinem Eintritt in's Zimmer aussprach.

»Nun,« sagte er, »wie hat es Ihnen gestern Abend bei uns gefallen? Meiner Meinung nach war es recht hübsch, obwohl es noch viel hübscher hätte sein können, wenn meine Tante nicht ewig von ihren vornehmen Bekanntschaften sprechen und mein Onkel nicht ewig von seinen Jagden erzählen wollte. Doch das ist ja alles nur Nebensache.«

»Was ist Ihnen denn die Hauptsache?« fragte Paul lächelnd.

»Ach, ich habe nur an Betty gedacht, die solche oberflächliche und abgedroschene Gespräche nicht leiden kann; das heißt, ich weiß das nur von früher, diesmal hat sie sich nicht darüber beklagt. Nun aber sagen Sie mir: wie hat sie Ihnen gefallen? Ist sie nicht sehr schön?«

Paul's Miene veränderte sich nicht, aber sein Auge funkelte lebhaft, als er erwiderte:

»O, darauf können Sie wohl keine Antwort von mir erwarten, denn das versteht sich ja ganz von selbst.«

»Nicht wahr? Ja, gewiß. O, sagen Sie mir, wenn Sie sie mit einer olympischen Göttin vergleichen sollten, welcher würde sie da wohl am ähnlichsten sehen?«

Jetzt lächelte Paul. »Man sieht,« sagte er nach einer Weile, während Fritz ihn mit einiger Unruhe betrachtete, »daß Sie mit Ihrer ganzen Seele bei'm Homer sind, der uns ja mit allen olympischen Gottheiten bezüglich ihrer mehr oder minder schönen Eigenschaften bekannt macht. Aber ich muß Ihnen offen gestehen, daß ich die Vergleiche lebender und moderner Menschen mit den antiken Gottheiten eben nicht liebe.«

»Warum nicht?«

»Nun, einmal stellt sich jeder Mensch eine einzelne Gottheit ganz anders vor, als ein Anderer, wenn sich auch mit der Zeit durch die Darstellung der Bildhauer und Maler gewisse Typen für sie gebildet und festgesetzt haben.

Außerdem aber haben, für mich wenigstens, alle Göttinnen, da wir doch einmal von diesen besonders sprechen, nach Homers Schilderungen oder nach meiner Idee – ich weiß das so genau nicht – irgend einen Mangel oder ein Gebrechen, und – und –«

»O!« rief Fritz mit weit aufgerissenen Augen, »ich verstehe Sie schon. Sie meinen, Betty hätte keinen dieser Mängel, wie?«

Paul erröthete leicht. »Davon kann ich ja noch gar nicht sprechen,« sagte er etwas leiser, »ich habe sie ja erst einmal in meinem Leben in der Nähe gesehen.«

»Das ist wahr, aber Sie haben sie sich doch recht genau betrachtet, wie ich wahrgenommen habe.«

Paul schwieg einige Secunden. »Ja,« sagte er endlich, »das habe ich, und warum sollte ich nicht? Ich pflege mir immer ein schönes Gesicht, wenn ich es einmal treffe, zu zergliedern und mir meine eigene Meinung darüber abzulegen.«

»Nun, diese Meinung eben wollte ich hören,« rief Fritz. »O bitte, lassen Sie mich noch einmal auf die olympischen Göttinnen zurückkommen – ja, ja, der Homer liegt mir dabei im Kopf, aber eben so Betty – sie bieten uns doch immer einen gewissen Maaßstab bei Beurtheilung menschlicher Schönheit – und nun sagen Sie mir, welcher Göttin würde nach Ihrem Geschmack Betty am ähnlichsten sehen? Lassen Sie uns meinetwegen bei der schaumgeborenen Venus anfangen.«

»Ach, die Venus!« seufzte Paul laut auf. »Die hat mir von allen olympischen Göttinnen stets am wenigsten gefallen. Ihr schmachtender Blick, die sich schnäbelnden Tauben neben ihr, ihr Nichtsthun, da sie sich nur mit ihrer Toilette beschäftigt, ihre Intriguen, ihre Betrügereien, alles Das hat mich stets angewidert und hoffentlich hat Ihre Cousine gar nichts von ihr.«

»Nun, dann wollen wir zur Juno übergehen!« rief Fritz, der sich jetzt höchlichst amüsirte.

»Die Juno! Das ließe sich schon eher überlegen,« sagte Paul nachdenklich. »Ja, von der Juno wird Ihre Cousine einst die herrliche Gestalt, die majestätische Haltung und Würde haben, aber das wird hoffentlich auch Alles sein.«

»Nun denn, was meinen Sie zur Diana?«

»Diana ist mir stets zu kalt, zu berechnend, mit einem Wort, zu wenig weiblich gewesen.«

»Und wie steht es mit der Minerva?«

»Mit der möchte ich unter keinen Umständen ein siebzehnjähriges Mädchen vergleichen. Eine zu jugendliche Minerva ist mir eben so zuwider wie eine zu alte Venus.«

Fritz lachte herzlich. »Aber eine Muse – was meinen Sie dazu?«

Paul überlegte. »Um sie mit einer Muse zu vergleichen, müßte ich sie erst näher kennen, denn die Eigenschaften der Musen enthüllen sich nicht auf den ersten Blick.«

»Ah, dann lassen Sie mich nach einer der Grazien fragen.«

Paul nickte leise mit dem Kopfe. »Das wäre schon leichter möglich,« erwiderte er. »Die Grazien haben sicher bei der Taufe Ihrer Cousine als Pathen zu Gevatter gestanden und ihr manche schöne Gabe als Mitgift für das Leben zuertheilt. Das ist gewiß.«

»Nun, dann hat sie doch etwas Himmlisches!« rief Fritz entzückt.

»Lassen Sie ihr vor der Hand das Irdische. Auch die Mutter Erde verleiht dem Weibe, der menschlichen Blume, wie der Mann ihre Frucht ist, manche köstliche Gabe, und ein vollkommenes irdisches Weib ist mir hundertmal lieber als die vollkommenste olympische Göttin.«

»Da mögen Sie wohl Recht haben. Aber daß Sie die Grazien bei Betty vertreten finden, ist mir lieb – wissen Sie, was sie mir im elterlichen Hause ist?«

»Wer?«

»Nun, die Betty.«

»Was ist sie Ihnen denn?«

»Sie kommt mir immer wie die Sonne vor, die, wenn sie bei uns im Hause aufgeht, jedesmal alle Schatten verscheucht und jeden Winkel erleuchtet.«

»Ja, da haben Sie Recht,« rief Paul lebhaft aus. »Das mag gewiß so sein, ich begreife es. Eine leuchtende, wärmende, belebende und darum allgeliebte Sonne mag Ihre Cousine in Ihrem Hause sein, eben so wie Ihre Mutter der sanfte, stille, beschwichtigende Mond darin ist –«

»Meine Mutter der stille Mond? O das ist herrlich! Und was bin ich? da wir doch einmal auf diese Vergleiche gerathen sind.«

»Sie?« sagte Paul nach einigem Nachsinnen, »Sie sind ein kleiner aufsteigender Stern, der – der von der Sonne und dem Monde zu verschiedenen Zeiten ein sehr verschiedenes Licht erhält.«

»Das ist wahr, wahrhaftig! Und was sind Sie? In unserm Hause, meine ich.«

»Ich, in Ihrem Hause? Ach, Du lieber Gott! Ich bin nur ein halb sichtbarer, noch nicht benannter Trabant Ihrer großen Lichter, der bald dem einen, bald dem andern folgt und dabei, recht – recht dankbar ist, daß ihm diese Bahn von der Vorsehung gestattet und zugewiesen ist.«

»Nein, Sie irren sich!« rief Fritz in jugendlicher Begeisterung laut aus. »Nein, Sie sind etwas ganz Anderes, viel Besseres. Sie sind –«

»Nun, was denn?« fragte Paul mit einiger Spannung.«

»Sie sind ein prächtiger, seltener, räthselhafter Komet, der plötzlich an unserm Horizont erschienen ist und der Glück und Segen bringen wird, wenn mich nicht Alles täuscht.«

Paul versank eine Weile in ein fast trauriges Nachdenken. »Ein Komet?« sagte er dann still vor sich hin. »Und räthselhaft? Wie so räthselhaft?«

»Nun, weil man nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht und welches Glück und welchen Segen er in seinem Gefolge haben wird.«

Paul stand auf und ging unruhig im Zimmer hin und her. Die persönliche, sich jeden Tag neu offenbarende Zuneigung des Knaben ergriff ihn immer mehr, aber die Begeisterung für ihn, die nur eine Ueberschätzung seines Werthes sein oder daraus entspringen konnte, erschreckte ihn fast.

»Denken Sie noch nicht an Glück und Segen,« sagte er sanft, »und begnügen Sie sich zunächst mit einer stillen Befriedigung. Es ist auch schon ein Glück, innerlich recht befriedigt zu sein, nicht wahr?«

»Nun ja, so meine ich es auch eigentlich,« schloß Fritz, »und nun sind wir in unserer heutigen Unterhaltung doch zu einigen Resultaten gekommen!« –

Unmittelbar von Paul begab sich Fritz, vielleicht von einem ihm nicht ganz klaren Impulse getrieben, in die Wohnung seines Onkels. Dieser war mit seiner Frau in eine Abendgesellschaft gefahren und Betty befand sich zu Hause allein. Sie schrieb an ihrem kleinen Schreibtisch, als Fritz in ihr Zimmer trat, sobald sie aber den Cousin erkannte, schob sie den bereits fast fertigen Brief in ihre Mappe, schlug diese zu und sah den jungen Mann mit ihren sprechenden hellbraunen Augen groß und forschend an, indem sie ihm heiter einen ›Guten Abend‹ zunickte.

»Nun, Fritz,« redete sie ihn mit ihrer gewöhnlichen freundlichen Stimme an, »was führt Dich noch so spät zu mir? Willst Du etwa wieder Deiner alten Liebhaberei nachhängen?«

»Ah, Du meinst meine Beobachtung an jenem Fenster dort? Nein, Gott sei Dank, die Zeit der Heimlichkeit ist vorüber und ich kann nun offen vor aller Welt meinem Herzen Genüge thun. Heute vielmehr führt mich etwas Anderes zu Dir, obwohl es, wie Du vielleicht ganz richtig vermuthest, Bezug auf den Bewohner jenes Hauses da drüben hat.«

Bei diesen Worten sah er lächelnd in das liebliche Gesicht seiner Cousine, die von ihrem Stuhle aufgestanden und Fritz gegenüber getreten war, der nun mitten im Zimmer stand.

»So,« sagte sie ruhig, »nun, dann bin ich neugierig, zu erfahren, was Du von mir willst.«

»Ja, siehst Du,« fuhr Fritz mit einiger Befangenheit fort, »ich habe Dich ja seit gestern Abend noch nicht gesehen und wir haben uns also auch nicht darüber aussprechen können –«

»Worüber hätten wir uns denn auszusprechen?« fragte Betty, heimlich lächelnd.

»Ach, was Du heute für Umschweife machst! Du verstehst mich doch recht gut. Also gerade heraus gesprochen: sage mir, wie hat Dir Paul van der Bosch, den ich jetzt mit Stolz meinen Freund nenne, gestern Abend gefallen?«

Betty wandte sich von dem sie scharf betrachtenden Cousin ab und lehnte ihren Rücken mit etwas vorgebeugtem Kopfe gegen den weißen Porzellanofen, wo sie schweigend und nachdenkend stehen blieb, ohne Fritz anzusehen.

»Nun?« fuhr dieser dringender fort, »ich möchte wohl eine Antwort von Dir haben, wie Du sie mir sonst nie verweigert hast.«

»O, ich verweigere sie Dir auch heute nicht, Fritz, aber Du mußt doch einsehen, daß ich Deine so direct gestellte Frage nicht auf der Stelle beantworten kann.«

»Warum denn nicht?«

»Was Du eifrig bist, in Allem, was Deinen Freund betrifft!« sagte Betty, still vor sich hin lächelnd. »Aber wie kann ich denn über diesen Mann ein Urtheil abgeben, da ich ihn erst einmal ordentlich gesehen und nur oberflächlich mit ihm gesprochen habe?«

»Wie, das sagst Du mir, Betty? Du, die Du sonst so schnell und richtig Dein Urtheil über Menschen abgabst, mit denen Du nur einmal zusammengekommen? O, ich verstehe Dich. Du verschweigst mir absichtlich, welchen Eindruck Paul auf Dich gemacht hat. Sieh, da ist er doch scharfsichtiger in Bezug auf Deine Person und aufrichtiger gegen mich gewesen, denn er hat mir so eben in wunderbar treffender Weise seine Meinung über Dich gesagt.«

Jetzt erhob Betty sanft erröthend den Kopf, aber der Ausdruck ihres Gesichts veränderte sich nicht und ihr Athem blieb so ruhig, wie er immer war.

»Aha! Du möchtest wissen, was er von Dir gesagt,« fuhr Fritz mit siegreicher Miene fort, »aber da Du gegen mich so schweigsam bist, werde ich es auch gegen Dich sein, und kein einziges von den vielen schönen Worten, die mein Freund gesprochen, soll über meine Lippen kommen, ehe Du mich nicht darum gebeten und mir Dein eigenes Urtheil über ihn gesagt hast.«

»Du irrst Dich,« versetzte Betty nach einigem Nachdenken, »wenn Du glaubst, daß diese Worte mich bestimmen könnten, Dir zu sagen, was Du gern hören möchtest, und noch mehr irrst Du, wenn Du denkst, ich wolle auf diese Weise erfahren, was über mich gesprochen ist. Nein, Fritz, das will ich gar nicht wissen, denn wenn es etwas mir Unangenehmes wäre, würdest Du mich heute nicht besucht und die Rede darauf gebracht haben. Eben so wenig aber fühle ich mich veranlaßt, Dir meine Meinung über einen Mann zu sagen, der mir sehr achtbar scheint und gewiß auch Deine Liebe verdient.«

Fritz lachte laut. »Du gutes Kind,« rief er vergnügt, »Du sagst mir ja eben doch, was ich hören will, nicht gerade direct, aber indirect, so recht nach Frauenzimmerart –«

»Fritz,« unterbrach ihn Betty mit ernsterem Gesichtsausdruck, »ich habe Dir gar nichts gesagt, was Du nicht schon längst wüßtest, also lege mir jetzt kein oberflächliches Urtheil unter. Noch einmal sage ich Dir, und es ist das mein letztes Wort über diesen Gegenstand – für jetzt – ich kann Deinen heutigen Wunsch nicht erfüllen – warum nicht, das mußt Du mir überlassen und es würde von Dir nicht edel sein, wenn Du mich deshalb noch lebhafter bedrängen wolltest.«

Fritz trat seiner Cousine näher und ergriff ihre schöne weiße Hand, die sie ihm willig überließ. »Gott behüte mich, daß ich das wollte, Betty,« sagte er schmeichelnd. »Wir sind ja immer Freunde gewesen und wollen uns eines anderen Freundes wegen nicht überwerfen. Nicht wahr? Nun denn, behalten wir Jedes unser Wissen und Meinen für uns, denn mir ist zwar kein Schweigen auferlegt, aber Dein Verhalten giebt mir die Richtschnur für das meinige an. Und das ist auch ganz gut so.« –

Bei diesen Worten trat er näher an sie heran, sah ihr tief in's Auge, das ihm offen und herzlich entgegen blickte und fragte: »Bist Du mir böse, Sonne meines Hauses?«

»Wie Du so fragen kannst, Fritz! Warum sollte ich Dir böse sein? Aber weshalb nennst Du mich mit einem Mal ›Sonne Deines Hauses‹?«

Fritz legte den Zeigefinger auf den Mund und zog sich schon nach der Thür zurück. »Still!« rief er, »das ist mein Geheimniß! Man lernt von Euch Mädchen unglaublich schnell, und das ist wieder ein Gewinnst, zu dem ich mir gratuliren kann. Gute Nacht, Betty. Nun schreibe an dem Briefe weiter, den Du vorher so rasch verbargst. Ich weiß schon, er ist an Deine Freundin Emilie gerichtet und die – die wird wohl mehr –«

Jetzt legte Betty den Finger auf den Mund, wie es vorher ihr Cousin gethan. »Still!« rief auch sie, »Wenn Du doch etwas von mir lernen willst, so lerne es vollkommen, denn Du weißt, alles halbe Wissen und Können ist vom Uebel und erzeugt in der Welt stets die meisten Irrthümer. Gute Nacht, Fritz, und – und – ich danke Dir noch für Deinen späten Besuch!«


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