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Unangenehm.

Bei Sennor Rodriguez war heute zur Feier des Geburtstages seiner Gattin große Tertulia, fast ein kleiner Ball, denn er hatte ein französisches Militärmusikkorps engagiert, und die Damen erschienen alle in elegantester Toilette.

Die Einladungen waren auf acht Uhr gestellt worden, und von der Zeit an trafen die Gäste ein, unter ihnen auch mehrere französische und belgische Offiziere, denn wenn sich auch die vornehmen Mexikaner nicht besonders zu den Fremden hingezogen fühlten, so ließ es sich doch auch nicht gut umgehen. Ein Ball ohne Uniformen war in Mexiko schon nicht mehr denkbar. Die Damen würden wenigstens vollständig dagegen rebelliert haben. Außerdem zeigten sich ja aber auch die fremden Offiziere als gewandte und angenehme Gesellschafter, und Rodriguez selber hatte einige von ihnen ganz gern und sah sie häufiger in seinem Hause.

Übrigens bot der heutige Tag auch noch – selber außer dem Geburtstag – eine andere Veranlassung zu einer kleinen Festlichkeit, denn eine Nichte von Sennor Rodriguez, die einzige Tochter seiner Schwester, deren Eltern in Mazatlan lebten, war vor einiger Zeit hier für kurze Zeit bei ihnen gewesen, dann zu einem längeren Besuch zu Verwandten nach Cuernavaca gegangen, und jetzt zurückgekehrt, um wenigstens mehrere Monate bei ihnen zu bleiben. Natürlich suchten ihr Rodriguez', die selber keine erwachsene Tochter hatten, den Aufenthalt in der Hauptstadt so angenehm als möglich zu machen.

Ricarda San Blas war ein wunderhübsches Mädchen und der Typus einer mexikanischen Kreolin – schlank und üppig gebaut, wenn auch nicht sehr groß, mit rabenschwarzem, gelocktem Haar, mit dunklen, feurigen Augen, einem etwas, wenn auch nur leise, von der Sonne gebräunten Teint, sowie außerordentlich zierlichen Händen und Füßen. Damit verband sie, dem südlichen Klima getreu, eine starke Lebendigkeit der Bewegungen, ohne aber dabei unruhig und rastlos zu sein, und wenn sie lächelte, was sie oft und gern tat, zeigten ihre nur leise geröteten Wangen ein Paar ganz allerliebste Grübchen, in denen der Schelm deutlich genug saß.

Ricarda war auch bald der Liebling des ganzen Hauses geworden, und die jungen französischen Offiziere umflatterten sie wie die Motten das Licht, ohne daß sich aber auch nur ein einziger hätte rühmen dürfen, vor einem anderen begünstigt zu werden. So war es gewesen, als sie, von Vera-Cruz kommend, eine Woche in Mexiko zugebracht, so jetzt, als sie wieder von ihrem Besuch in Cuernavaca zurückkehrte, und sie schien aufs neue die Seele der Gesellschaft zu sein, ohne jedoch die geringste Koketterie zu zeigen. Jede Bewegung war bei ihr natürlich, ja fast noch kindlich, und doch blitzte manchmal aus den gutmütigen Augen ein Etwas heraus, das ein vielleicht noch ungewecktes Gefühl verkündete – war es Leidenschaft, war es Trotz, wer konnte es sagen?

Die Säle hatten sich schon gefüllt, buntes Leben wogte durcheinander, und bunter wohl in keinem Teile der Welt, als damals gerade, zurzeit der Okkupation und des Kaiserreichs in Mexiko und in dem Hause des gastlichen Rodriguez. Alle Nationen schienen vertreten, und es wimmelte von reichgestickten Uniformen und Ordenskreuzen, aber auch leider von ebenso vielen entsetzlichen schwarzen Fracks und den modernsten Damentoiletten, die hier gerade so rasch ins Leben traten, als flüchtige Dampfboote die neuesten Journale von Paris herüberschaffen konnten.

Ob die Mexikanerinnen dabei zu ihrem vollen Recht kamen, weiß ich nicht, denn der Chignon war damals gerade erfunden, die ekelhafteste und widernatürlichste Mode, die nur je ein verrückter Schneider oder Friseur in seinem »Bureau« ausgeheckt, und sonst gar allerliebste Köpfe zeigten sich schon verunstaltet durch den hinten angebrachten Wulst von fremden Haaren – aber alle trugen ihn doch nicht. Ricarda zum Beispiel hatte ihren natürlichen vollen Lockenkopf, und wie reizend stach sie dadurch gerade gegen die übrigen ab, unter denen sich besonders ein paar amerikanische »Ladies« in ihrem vollsten und widernatürlichsten Glanz zeigten.

Es mochte lange neun Uhr vorüber sein – oben in den Sälen hatte schon der Tanz begonnen, und die Menge, die bis dahin das Tor belagert gehalten, um die ankommenden Gäste zu betrachten, fast alle die Straße geräumt. Nur eine einzelne schlanke Frauengestalt lehnte, in ihren Rebozo eingehüllt, daß kaum die blitzenden Augen sichtbar blieben, noch an dem Torpfeiler.

Der Mayor Domo war anfangs einmal hinangetreten und fragte sie, was sie da zu tun habe; ohne eine weitere Antwort hielt sie ihm aber die in Mexiko wohlbekannten Papierstreifen, die kleinen Lose, die zu einem Medio und Real überall an den Straßenecken verkauft werden, entgegen, und brummend und schimpfend zog er sich zurück, daß das »Gesindel« sich sogar bis an die Schwelle seines Hauses wage. Verbieten konnte er es aber nicht, denn der Handel mit diesen Losen war auf der Straße freigegeben, und so lange die Händler nicht den inneren Raum betraten, mußte er sie gewähren lassen.

Es ging schon stark auf zehn Uhr, und in der letzten halben Stunde trafen nur einzelne Gäste, und selbst diese in langen Zwischenräumen, ein. Er konnte nicht mehr kommen, und ihr ganzes geduldiges Harren war vergebens gewesen – und doch – hatte sie es nicht Geronimo versprochen? War es nicht für die Kaiserin, die sich so mild und freundlich der Armen annahm und von der unteren Volksklasse in Mexiko wirklich vergöttert wurde, wählend die vornehmen Damen dagegen behaupteten, daß sie stolz und hochmütig wäre? – Sie hatten vielleicht beide recht, und in ihren Kreisen mochte sich Charlotte als Kaiserin fühlen und benehmen, aber den Armen blieb sie trotzdem eine Mutter, und wo sie helfen konnte, wo sie von Leid und Jammer hörte, den sie zu lindern vermochte, tat sie es gewiß.

Jetzt kam noch ein einzelner Herr die Straße herab – er trug einen nicht sehr langen dunklen Mantel, den er nach Art der Serapen über die Schulter geschlagen hatte. Vor dem Haus brannten zwei helle Laternen, dort hielt er, warf den Mantel zurück und sah nach seiner Uhr. – Die an dem Haus lehnende Frauengestalt schien er gar nicht bemerkt zu haben.

»Caramba,« murmelte er dabei – »es ist ja schon recht spät geworden!« und die Uhr wieder einsteckend, wollte er eben das Haus betreten, als Mercedes ihren Arm nach ihm ausstreckte, ohne jedoch den Rebozo zu lüften. Sie hatte ihn erkannt, er aber brauchte nicht zu wissen, wer ihm den Brief zu so sonderbarer Zeit und an diesem Platz gegeben.

»Sennor!«

Mauricio warf den Kopf herum und bemerkte jetzt erst das Mädchen, das ihm in derselben Hand, in der es noch die Lotterielose hielt, den Brief entgegenreichen wollte.

» No muchacha,« sagte er aber kopfschüttelnd, denn er bemerkte nur die in Streifen geschnittenen Lose – »ich spiele nicht in der Lotterie,« und damit wollte er vorüber und hatte die Schwelle schon betreten.

»Ein Brief – Don Mauricio,« rief da Mercedes, in der Angst, daß er ihr entgehen könne.

» Santisima,« sagte Mauricio, indem er stehen blieb und sich bei Nennung seines Namens umdrehte – »kennst du mich? Wer bist du?«

» Que importe,« sagte Mercedes, scheu zurückweichend, aber ihre ausgestreckten Finger hielten ihm jetzt den Brief deutlich vor, so daß er ihn sehen mußte.«

»Für mich?« sagte er erstaunt, indem er aber doch das Papier nahm – »und von wem?«

»Er ist wichtig – lest ihn,« sagte aber das junge Mädchen, und jetzt, da sie ihre Pflicht erfüllt, wich sie auch scheu in den Schatten der Straße zurück und war im nächsten Augenblick in deren Dunkel verschwunden.

Mauricio hielt für einen Moment das Papier unschlüssig in der Hand. Von wem konnte es sein? Doch hier war kein Platz, um es zu lesen – oben fand sich vielleicht bessere Gelegenheit, und er durfte jetzt auch nicht länger säumen. So das Papier in der Brusttasche bergend, trat er in das Haus, stäubte sich dort die Stiefeln ein wenig mit dem Tuch ab und stieg dann die Treppe zu den erleuchteten Räumen hinan.

Wie er nun den Saal betrat, traf er auf Silvestre, der mit fieberhaft glühenden Wangen auf ihn zukam und seinen Arm ergriff. Es war augenscheinlich, er hatte getrunken und befand sich schon in einer fast übermütigen Weinlaune. Mauricio nahm seinen Arm, und ihn ein klein wenig beiseite führend, flüsterte er ihm ins Ohr:

»Aber amigo – du hast der Flasche zu früh zugesprochen – nimm dich zusammen, du machst sonst dumme Streiche. Was sollen die Fremden von uns denken?«

»Die Fremden, Mauricio?« sagte Silvestre, und sein Auge blitzte dabei von einem unheimlichen Feuer – »die Fremden? » caracho hombre – die Fremden?« und er knirschte dabei die Zähne zusammen und ballte fast krampfhaft beide Fäuste.

»Silvestre! Silvestre!« bat Mauricio – »was hast du nur? Komm, geh nach Hause und leg dich zu Bett; du bist hier in der Gesellschaft nichts mehr nütz und kannst nur selber in Verlegenheit geraten, wie solche unserem Wirt bereiten.«

»Glaubst du, daß ich trunken bin?« sagte Silvestre finster, »ein einziges Glas Wein hab' ich genommen, mehr nicht.«

»Aber du kochst und glühst, und deine Augen sind rot unterlaufen. Geh fort, Silvestre, was du auch hast, du passest nicht in die Gesellschaft fröhlicher Menschen.«

»Du hast recht, Mauricio,« sagte der junge Mann – »ja, ich will fortgehen, aber beim Teufel, sie sollen mich wieder zurückwünschen, denn daß ich ihnen da draußen die Hölle warm mache, darauf dürfen sie sich verlassen.«

»Was hast du vor?« flüsterte der Freund, aufmerksam werdend.

»Komm mit!« sagte Silvestre leise – »sollen wir dulden, daß dies übermütige Franzosenvolk hier den Herrn in unserem eigenen Lande spielt – Krieg bis ans Messer von morgen an – komm mit.«

»Und wohin gehst du?«

»Zu den Liberalen.«

»Bist du wahnsinnig?« rief Mauricio bestürzt aus – »zu dem Indianer?«

»Hol ihn der Böse! Was kümmert der mich, auf eigene Hand führe ich meinen Krieg, und daß ich in wenigen Wochen ein paar hundert wilde Burschen um mich habe, darauf kannst du dich verlassen.«

»Bah, Unsinn,« sagte der Freund »und was richtest du damit aus? – Gar nichts, als daß du vielleicht ein paar arme Teufel totschlägst.«

»Jeder zählt,« lachte Silvestre still und unheimlich vor sich hin.

»Aber was ist nur vorgefallen? Verdient denn Inez, daß du dich ihrethalben so verzweifelt anstellst.«

»Inez,« sagte Silvestre verächtlich, »was kümmert sie mich – sie ist lang vergessen, aber jede Blume, die in unserem schönen Lande blüht, wollen sie brechen, und ihr Übermut kennt keine Grenzen mehr.«

»Ist etwas Neues vorgefallen?« lächelte Mauricio, der sich wohl denken konnte, was den Freund so aufregt.

Silvestre wandte den Kopf zurück nach dem Saal, wo sich jetzt die Paare zu neuem Tanz wieder anstellten. »Siehst du dort jenes reizende Wesen in dem hellblauen Seidenkleid mit den funkelnden Augen und dem Lockenkopf? Ricarda San Blas. Sie ist die Perle des Abends, und schau, wie das französische Gesindel sie umschwärmt, und wie lieb und freundlich sie mit ihnen plaudert. Verdammte Kokette,« knirschte er zwischen den Zähnen durch, »ist es denn nicht zum Rasendwerden, wenn wir sehen müssen, wie diese französischen Schufte draußen im Feld unsere jungen Leute erschlagen und mit ihren Kanonen zusammenschießen, während sie hier in der Stadt die Köpfe der Mädchen verdrehen und dabei noch mit Stolz und Verachtung auf uns herabsehen?«

»Aber die jungen Damen unterstützen sie dabei.«

»Leichtsinniges, charakterloses Volk! – Aber wir wollen den jungen Herren etwas anderes zu tun geben. Komm mit, Mauricio – laß sich die Alten unter das Joch beugen, wir Jungen wollen diesen Fremden zeigen, daß wir noch Mark und Sehnen haben, um ihnen die Spitze zu bieten.«

Mauricio schüttelte mit dem Kopf. »Du gehst da auf ein ganz wahnsinniges Unternehmen aus,« sagte er, »und stürzest dich nur in Gefahr, ohne Aussicht auf den geringsten Gewinn oder Erfolg – das ist töricht.«

»Und du hier legst die Hände in den Schoß?«

» Quien sabe,« sagte mit einem eigentümlichen Lächeln und Achselzucken Mauricio – »aber du mußt mich jetzt entschuldigen: ich bin überdies zu spät gekommen und schäme mich fast, mich der Sennora vorzustellen. – Gehst du nach Hause?«

»Ich habe dir gesagt, wohin ich gehe, Mauricio. Hast du den Mut, mir zu folgen?«

»Den Mut vielleicht,« lachte Lucido, »aber keine besondere Neigung. Sei nicht töricht, und überleg dir die Sache erst; hast du aber Lust zu einem abenteuerlichen Leben, wobei du deinem Verlangen ebenfalls Genüge tun kannst, dann komme morgen früh zu mir, und ich mache dir vielleicht einen Vorschlag, der dir behagt. Ich habe ein Spiel entdeckt, bei dem man immer gewinnen muß.«

»Du gehst wohl mit deinem Italiener in Kompanie?« fragte Silvestre verächtlich – »ich will nichts damit zu tun haben.«

»Komm nur zu mir,« lachte Mauricio – »ich garantiere dir, daß es dir gefällt.«

Er reichte Silvestre die Hand, aber dieser nahm sie nicht – sah auch wohl kaum die Bewegung, denn in seine düsteren Gedanken vertieft, drehte er sich um und schritt, selbst ohne Gutenacht-Gruß, nach der Garderobe hinüber, wo er Hut und Mantel nahm und dann das Haus verließ. Mauricio, leichtsinnig in den Tag hineinlebend, mit keiner Sorge als solche, die ihn selbst betraf, mit keinem Gedanken, der nicht ihm allein und seinem Vergnügen gegolten hätte, hatte den Freund schon lange vergessen, denn die munteren Klänge der Musik tönten zu ihm herüber: die bunten Paare vor ihm schlangen sich durcheinander, und er fand es nicht einmal so leicht, in den fast überfüllten Saal einzudringen, um sich nur erst einmal dem Sennor und der Frau vom Hause vorzustellen. Dann trat er in eins der Nebenzimmer, wo er auch bald verschiedene Bekannte traf.

Das Gespräch hier drehte sich aber fast einzig und allein um die wunderliebliche Fremde, die Nichte vom Haus, die alle bezaubert zu haben schien. Wirklich einstimmig erklärten alle wenigstens, sie hätten noch nie ein lieblicheres, verführerischeres Wesen, gleichviel von welchem Lande sie auch stamme, gesehen, so daß Mauricio zuletzt selber neugierig wurde, sie in der Nähe zu betrachten.

An einem der Whisttische saß sein Vater, robberte aber mit einem der anderen Herren aus und stand jetzt auf, um am Büfett ein Glas zu trinken, als er den Sohn bemerkte:

»Ah, Mauricio, wo bist du so lange geblieben? – Ich glaubte schon gar nicht mehr, daß du noch kämest.«

»Ich konnte nicht eher, Vater –«

»Um so viel lieber ist es mir, daß du jetzt da bist – höre, Mauricio,« fuhr er fort, indem er seinen Arm ergriff und ihn etwas beiseite führte – »hast du schon Ricarda, Rodriguez' Nichte, gesprochen?«

»Noch nicht, Vater, aber die ganze Gesellschaft scheint sich nur von ihr zu unterhalten; es muß ein kleines Wunder sein, diese Schöne.«

»Wenn ich in deinen Jahren wäre,« sagte der Vater, »so wüßte ich, was ich täte. Der alte San Blas ist enorm reich und einer der angesehensten Leute in Mazatlan, und die Tochter wirklich entzückend. Sei gescheit, mein Junge – meinen Segen hast du, und die Mutter würde glücklich darüber sein.«

» Veremos, Papa,« sagte Mauricio, aber ziemlich ruhig – »vielleicht blendet sie nur ohne innere Wärme: jedenfalls werde ich mir aber das kleine Wunder ein wenig betrachten und mich so liebenswürdig als möglich dabei zeigen.«

»Wenn du Vernunft annimmst, so tust du das – es wird überhaupt Zeit, daß du dein wildes Leben aufgibst: du könntest dir jetzt die Hörner ein wenig abgelaufen haben.«

»Ich bin noch eben dabei, Vater,« lachte Mauricio, »aber, wie gesagt, ich habe den besten Willen, wenigstens einmal zu sehen und zu prüfen. Es ist doch die junge Dame in himmelblauer Seide?«

»Suche die auf, die dir am besten gefällt, und du triffst die rechte,« sagte Sennor Lucido, der selber ganz bezaubert von dem Mädchen schien, und Mauricio, still vor sich hinlächelnd, schritt nach dem Saal hinüber. In dem Moment aber fiel ihm der Brief ein, den er unten am Haus in so geheimnisvoller Weise erhalten hatte. Von wem konnte er sein? Und was konnte darin stehen?

Die Neugierde plagte ihn – hatte die Trägerin nicht gesagt: lest ihn – er ist wichtig, und wo waren denn seine Gedanken gewesen, daß er es bis jetzt versäumt? Er schritt in eins der hellerleuchteten Seitengemächer, nahm den auf grobes Papier geschriebenen Brief heraus, öffnete ihn und las:

»Sei um zehn Uhr morgen früh spätestens an den Penuelos – ein reicher Fang wartet uns. – Dein Italiener fährt mit der Diligence und schafft, wie ich aus sicherer Quelle weiß, tausend Unzen nach Cuernavaca. Die Escolta auf der Guarda ist schon benachrichtigt, aber ich habe Sorge getragen, daß sie uns nicht belästigt. – Du mußt kommen – die Freunde sind alle auf einer anderen Expedition, und ich kann nur vier Mann hier auftreiben. Das ist zu wenig. An Rodolfo habe ich ebenfalls einen Boten gesandt. Komm! Frische Pferde sind eingestellt; gewisse Rache und Gold erwartet uns.

Dein G.«

»Caramba,« murmelte der junge Mann leise vor sich hin, indem er nach seiner Uhr sah – es war gerade elf Uhr – »da hätt' ich ja verwünscht wenig Zeit, und eigentlich paßt es mir heute nicht – aber Solfinto« – und bei dem Namen zogen sich seine Brauen finster zusammen, und seine Zähne rieben sich übereinander. – »Caracho, so günstig findet sich die Gelegenheit nicht wieder – elf Uhr? Ach was – zwei volle Stunden bleiben mir noch immer –« und den Brief in die Brusttasche zurückschiebend, trat er hinein in den großen Saal.

Er brauchte dort nicht lange nach der Heldin des Abends zu suchen, denn gerade während einer Pause sah er, daß sie von einer Menge junger Herren, meistens Offizieren, umflattert wurde, und hörte eben, als er vorüberschritt, wie sich ein paar allerliebste kleine Französinnen sehr entschieden über das »kokette Frauenzimmer« aussprachen, das sich in wahrhaft unschicklicher Weise von den Herren den Hof machen ließ, und sie nur immer durch ihr lautes, unpassendes Lachen anzulocken suche.

Arme Geschöpfe! Es half ihnen nichts; Ricarda war einmal heute die Königin des Abends und blieb es, und wahrlich ohne eigene Schuld, soweit es nämlich ihr Benehmen betraf. Wieder und wieder zog sie sich zurück, um den ihr selber lästig werdenden Auszeichnungen zu entgehen – doch umsonst, und mit ihrem überhaupt heiteren Gemüt setzte sie sich auch endlich darüber hinweg, und fügte sich eben in das Unvermeidliche.

Mauricio näherte sich ihr, und wie er selber die Schönheit weniger als die liebliche Anmut des jungen Mädchens bewunderte, kamen ihm doch auch wieder die Züge so bekannt vor, als ob er ihr schon irgendwo einmal begegnet sein müßte. Aber er konnte und konnte sich nicht besinnen, wo, und doch war das wahrlich kein Gesicht, das man so leicht wieder hätte vergessen können. Diese Augen und den eigentümlich lieblichen Zug um den Mund mußte er schon einmal gesehen haben, doch wo in aller Welt konnte das nur gewesen sein?

Jetzt begegneten sich ihre Augen, aber Ricardas Blick glitt ruhig an dem seinigen vorüber – sie kannte ihn nicht – erinnerte sich nicht auf seine Züge oder würde doch sonst jedenfalls länger bei ihnen verweilt haben. Er mußte sich also irren, und sonderbar nur, daß dies ganz außergewöhnliche Wesen solch unklare Erinnerungen in ihm wachrief.

Die Musik rief wieder zum Tanze, und er suchte sich jetzt dem schönen Mädchen zu nahen, aber dazu hätte er freilich früher kommen müssen, denn sie war – wie sie ihm freundlich, aber bestimmt versicherte – auf alle Tänze versagt, und Mauricio, eigentlich auch mit anderen Dingen im Kopf, als ein schönes Mädchen heute zu umschwärmen, zog sich aus dem Tanzsalon in das Spielzimmer zurück. Er war noch unschlüssig, ob er nicht lieber gleich dem Brief Folge leisten solle, aber das Spiel lockte ihn doch auch wieder. Dem konnte er nicht so leicht widerstehen, und er schlenderte eine Weile zwischen den verschiedenen Tischen umher, wo übrigens noch keine Hazardspiele vorgenommen waren. Das geschah bei solchen Gesellschaften erst dann, wenn sich die Damen anfingen zurückzuziehen, und jetzt waren sie noch alle voll Leben und Bewegung.

Mauricio ließ es aber keine Ruhe; der alte Spielteufel erwachte in ihm, ein paar Freunde hatte er bald gefunden, die sich beteiligten, und einen der kleinen Tische in Beschlag nehmend, ließ er sich daran nieder, zog seine Handschuhe ab, die er neben sich auf den Tisch legte, und eröffnete eine kleine Bank. Wenn er sich pünktlich um ein Uhr zurückzog, konnte er den ihm von Geronimo bestimmten Sammelplatz noch immer zeitig genug erreichen.

Im Tanzsaal war es indessen so heiß geworden, daß Sennora Rodriguez Order gab, den Tanz selber für kurze Zeit zu unterbrechen und indessen ein wenig den Raum zu lüften, indem man bei geöffneten Türen und Fenstern auf etwa eine Viertelstunde den vollen Zug hindurchließ. Die sehr leicht gekleideten und erhitzten Tänzer mußten ihn indes natürlich räumen und sich in die anderen Zimmer zerstreuen, und Ricarda, ihres Onkels Arm nehmend, um nicht von einem der anderen Herren dazu aufgefordert zu werden, schritt mit ihm in die Spielzimmer hinüber, wo sich die Herren an ihren Tischchen durch den neuen und plötzlichen Zuwachs der Gesellschaft nicht stören ließen.

»Sieh nur, Onkel, wie ernsthaft diese würdigen Sennores da ihr Spiel treiben,« lächelte das junge Mädchen, als sie eine Weile zwischen den verschiedenen Tischen gestanden hatten, »und wie bedächtig sie die bunten Kartenblätter auf den Tisch legen, als ob Leben und Sterben davon abhinge. Es ist doch ein wunderliches Ding um das Kartenspiel, und ich habe nie begreifen können, wie sich ihm vernünftige Menschen mit solcher Leidenschaft hingeben mögen. Spielst du auch Karten?«

»Zuweilen, Ricarda, aber nie Hazard.«

»Was ist das, Onkel?«

»Hazardspiele sind solche, wo gar nichts auf Geschicklichkeit oder Berechnung, sondern alles nur auf gutes Glück ankommt, und man daher, wenn hoch gesetzt wird, in wenigen Stunden, ja Minuten fast, ein Vermögen gewinnen oder verlieren kann.«

»Und nennt Ihr das ein Spiel? Ist das nicht furchtbarer Ernst?«

»Manchmal allerdings, mein Herz –«

»Aber wenn jemand nun einem anderen in ein paar Minuten, wie du sagst, sein ganzes Vermögen abnimmt, behält er es denn auch?« fragte das junge Mädchen.

»Gewiß – setze ich nicht mein Vermögen gegen das seine? Wer das nicht wagen will, der darf nicht spielen.«

»Und spielen die alten Herren hier auch in derselben Art?« fragte Ricarda und sah sich jetzt fast schüchtern in dem Kreis um.

»Nein, mein liebes Kind,« lachte der Onkel – »das sind mehr unschuldige Spiele, wo man wohl eine oder ein paar Unzen den Abend verlieren kann, aber mehr doch nicht.«

»Aber auch gewinnen, nicht wahr?«

»Ei gewiß,« lachte Sennor Rodriguez, »sonst wäre es ja kein Spiel!«

»Und das andere Spiel, wie du es nennst, treiben sie hier nicht?«

»Nein, Herz, jetzt noch nicht – vielleicht später – aber doch – an dem einen Tisch da drüben, glaube ich, daß Hazard gespielt wird. Die Ballgesellschaft hat sich wenigstens dort herumgedrängt.«

»Um ganze Vermögen?« fragte Ricarda ängstlich.

»Nein, hier wohl nicht,« lächelte Sennor Rodriguez, »aber doch um größere Summen als an den anderen Tischen.«

»Wenn ich es nur einmal sehen könnte!«

»Du würdest es doch nicht verstehen, aber wir wollen versuchen, ob wir zu dem Tisch dort gelangen können. Er steht freilich ziemlich gedrängt von Menschen.«

Der alte Herr führte seine Nichte dorthin, um vielleicht noch irgendwo einen freien Platz zu finden; sowie aber die jungen Herren bemerkten, daß sich Ricarda dem Tisch zu nahen wünsche, gaben sie augenblicklich Raum, und die junge Dame konnte somit an der Seite ihres Onkels dicht hinter den Bankhaltenden treten, und dadurch den ganzen Tisch und das Spiel vollkommen übersehen.

»Und warum setzen sie so viel Geld auf die einzelnen Karten, Onkel?« flüsterte sie jetzt Rodriguez zu, denn es wurde ihr fast wie unheimlich in der Nähe dieser schweigsamen und doch so aufmerksamen Spieler.

»Sie versuchen, ob ihre Karte gewinnt,« sagte der Onkel leise zurück. »Siehst du, die Karten, die dieser Herr, der jetzt Bankhalter ist, in der Hand hält, werden einzeln oben abgenommen und eine auf die linke, eine auf die rechte Seite gelegt. Fällt die Karte nun, die jene mit Geld besetzt haben, links von dem Spieler, so –« er hielt erschreckt inne, denn Ricarda an seiner Seite knickte in die Knie, ja wäre fast zu Boden gesunken, und als er rasch ihren Arm fest in dem seinigen hielt und sein Auge ihr zuwandte, sah er, daß sie totenbleich geworden war.

Ein junger belgischer Offizier, der neben ihr stand, und eigentlich den ganzen Abend neben ihr gestanden hatte, sprang rasch nach einem Glas Wasser, und die Nichtspieler gerieten in Bewegung. Die Spieler selber aber nahmen keine Notiz davon, denn die Karten waren gerade hoch besetzt, und in diesem Moment durfte das Spiel natürlich nicht unterbrochen werden.

Ricarda aber war kein Charakter, der so rasch einer augenblicklichen Schwäche unterlegen wäre.

»Was ist dir, Herz?« fragte sie der alte Herr besorgt, indem er mit ihr einen Schritt von dem Spieltisch zurücktrat – »fühlst du dich unwohl?«

»Nein, Onkel,« sagte sie lächelnd, aber sie sah noch immer sehr blaß dabei aus, »ich weiß nur nicht, was es plötzlich war – vielleicht die veränderte Luft. Ich glaube, es ist schon vollständig vorüber.«

»Du hast alle Farbe verloren.«

»Das tu' ich rasch,« lächelte das junge Mädchen, »aber das hat nichts zu sagen, denn sie kommt ebenso schnell wieder.«

»Sennorita,« sagte in diesem Augenblick der junge Offizier, der mit dem Glas Wasser kam und glücklich war, ihr einen Dienst erweisen zu können. Sie nahm es leise dankend, trank etwas davon und gab es zurück. Der junge Mann aber, der sich genau gemerkt, wo sie die Lippen angesetzt hatte, ging mit dem Glas zur Seite, und es an derselben Stelle an den Mund setzend, sog er es aus, als ob es der prachtvollste Tokayer gewesen wäre.

»Wollen wir zurück in den Tanzsaal, Ricarda?« fragte der Onkel – »die kühle Luft dort wird dir gut tun.«

»Ja,« sagte Ricarda nach kurzem Überlegen – »für einen Moment, wenn du mir versprichst, mich wieder hierher zurückzuführen. Das Spiel interessiert mich so – ich habe etwas Ähnliches noch nie gesehen. Wie heißt es?«

»Monte! Wird es bei euch im Hause nicht gespielt?«

»Nie – Vater würde es nicht leiden – nur was sie Whist nennen.«

Sie waren unterdessen in den Saal zurückgeschritten, durch den jetzt die Abendluft kalt und frisch hindurchstrich; und Ricarda hatte sich in der Tat rasch und vollkommen wieder erholt, aber lange durften sie sich auch hier in dem Zug nicht aufhalten, und das junge Mädchen drängte jetzt selber merkwürdigerweise in das Spielzimmer zurück.

»Onkel,« flüsterte sie dabei, indem sie, schelmisch lächelnd, zu ihm aufsah – »bist du mir böse, wenn ich eine recht tolle Bitte an dich richte?«

»Eine tolle Bitte, Herz?« lachte dieser. »Du machst ja eine schöne Vorrede und weißt doch, daß ich dir nichts abschlagen kann.«

»Gewiß nicht?«

»Du wirst schon nichts bitten, was ich dir nicht gewähren könnte.«

»Ich weiß doch nicht,« sagte Ricarda kopfschüttelnd – »denke einmal an etwas recht Tolles – Unmögliches!«

»Aber Herz, das ist mir eben nicht möglich. Was hast du dir denn in deinem kleinen Köpfchen ausgeheckt?«

»Ich möchte einmal spielen

»Bist du närrisch, Kind? Monte

»Ja, Onkel.«

»Aber Ricarda, wie kommst du darauf?«

»Ich habe es dir vorhergesagt, daß es eine tolle Bitte wäre, aber du wolltest es mir nicht glauben.«

»Und zwischen all den Herren – was werden sie von dir denken!«

»Dürfen Damen nicht spielen?«

»Sie dürfen schon, Herz, und tun es auch nur zu häufig – aber dann doch mehr untereinander, und du hier ganz allein!«

»Und bist du nicht bei mir, Onkelchen?«

Sennor Rodriguez war es nicht ganz recht; die Kleine spielte aber schon so den Herrn im Hause, und dabei in so liebenswürdiger und unwiderstehlicher Weise, daß sich ein Abschlagen irgendeiner Sache, – die sie verlangte – und wie bescheiden hatte sie sich darin immer gezeigt – gar nicht denken ließ. – »Wenn du denn absolut willst,« lächelte er, »aber lange doch gewiß nicht?«

»Nur einen einzigen Satz.«

»Gut, dann komm – aber die Herren werden Augen machen. Hast du Geld bei dir?«

»Nicht einen claco, Onkel,« sagte das junge Mädchen so treuherzig, daß der alte Herr laut auflachte, aber dabei griff er in die Tasche und sagte, indem er eine halbe Unze herausnahm:

»Damen dürfen natürlich nur Gold setzen; aber,« fügte er warnend hinzu, »glaube ja nicht, daß die Herren im Spiel so galant sind wie beim Tanz. Du wirst deine halbe Unze jedenfalls verlieren.«

»Und doch nicht ärmer sein als vorher, Onkelchen,« lachte Ricarda – aber das Lachen klang nicht mehr so ungezwungen wie früher. Wieder wollte der Onkel sie direkt an den Tisch führen, aber sie zog ihn jetzt selber hinüber zur anderen Seite, so daß sie rechts vom Bankhaltenden ihre Karte besetzen konnte, und rasch gaben ihr die Herren dort aufs neue Raum, erstaunten aber allerdings nicht wenig, als sie die halbe Unze, die sie noch immer zwischen den Fingern hielt, vor sich auf den Tisch legte.

»Caramba Sennorita!« rief Mauricio erstaunt aus, als er die Dame in dem hellblauen Seidenkleide neben sich sah, »wollen Sie Ihr Glück versuchen, dann bin ich freilich verloren, denn Schönheit gewinnt immer.«

»Ich weiß das doch nicht,« lächelte Ricarda, und jetzt hatte fast jeder Blutstropfen ihre Wangen verlassen, was man aber natürlich dem etwas ungewöhnlichen Entschluß zuschrieb – »manchmal verliert sie auch – sucht es über dann stets wieder zu gewinnen.«

»Das Herz, nicht wahr?« lachte Mauricio – »aber auf welche Karte wollen Sie setzen?«

»Ich kenne die Karten nicht,« sagte das junge Mädchen, aber so leise, daß man kaum die Worte verstand – »auf die bunte da – auf den Reiter.«

»Die halbe Unze?«

»Ja – aber nicht gegen anderes Gold.«

»Nicht gegen anderes Gold?« rief Mauricio erstaunt.

»Aber das ist Spielregel, liebes Kind,« sagte Rodriguez, der neben ihr stand.

»Und kann ich nicht gegen etwas anderes setzen?«

»Aber gegen was, Herz?«

Ricarda schwieg einen Moment, – sie wollte reden, aber es war, als ob ihr die Worte in der Kehle stecken blieben. Sie mußte sich ordentlich gewaltsam sammeln – das dauerte jedoch nicht lange, und mit fester, deutlicher Stimme, während ihr Blick an dem Antlitz Mauricios hing, sagte sie:

»Gegen den Ring mit dem Smaragd da, den der Sennor an seinem kleinen Finger trägt.«

Als ob alles Blut aus seinen Adern gewichen wäre, saß Mauricio in dem Augenblick, und seine Blicke hingen an den Zügen der Jungfrau.

Jetzt kannte er sie – das war das Mädchen aus der Diligencia, die er aber damals nur mit dem Rebozo über Kopf und Haar geschlagen, und im einfach dunklen Kleid gesehen, und jetzt natürlich in voller, strahlender Toilette nicht wiedererkannt hatte, und der Ring – die am Tisch Sitzenden fingen an sich im Kreis mit ihm zu drehen, die Karten tanzten vor ihm herum, und in bunten Regenbogenstreifen flimmerte es ihm vor den Augen.

Ricarda hatte keinen Blick von ihm verwandt – und ein leises, trotziges Lächeln fast zuckte um ihre Lippen. Nicht allein der Ring verriet ihn, die Schußnarbe an der rechten Seite des Kinnes, wo ihn die französische Revolverkugel gestreift, zeigte sich klar und deutlich, und glühte jetzt sogar, während das Gesicht erbleichte, wie in Purpurröte?«

»Nun, Sennor? Was sagen Sie?« wiederholte sie auch die Frage, während die Mitspielenden erstaunt den sonst so heiteren und kaltblütigen Gefährten betrachteten. Rodriguez sah besonders fragend seine Nichte an, denn irgendein Geheimnis mußte hier zugrunde liegen. Mauricio aber, sich gewaltsam fassend, denn er fühlte, daß seine Sicherheit, vielleicht sein Leben an seiner Ruhe hing, strich sich mit der rechten Hand – in der Linken umspannte er krampfhaft die Karten – über das Gesicht und sagte, freilich nur mit einem gezwungenen Lächeln:

»Wie sonderbar sich das trifft, Sennorita, daß Sie gerade den Ring verlangen. Im Spiel habe ich ihn gewonnen, im Spiel hoffe ich ihn jetzt wieder an Sie zu verlieren, denn in schönere Hände könnte ich ihn doch nicht legen.«

» Vamonos! – vamonos!« drängten aber jetzt die Mitspieler, die alle, und zwar ziemlich hoch, mit auf die Karte gesetzt hatten, auf welcher der Ring stand – Mauricio sah es gar nicht – nur mechanisch zog er die Blätter ab, herüber und hinüber » Monte« ist ein Spiel mit spanischen Karten, ähnlich wie »Landsknecht«, nur daß zum Setzen oder Pointieren vier statt zwei Karten ausgelegt werden. – das flimmerte und flammte vor feinen Augen, und als der Reiter kam, rief er mit einem aus tiefer Brust kommenden Seufzer aus:

»Sie haben gewonnen, hier ist der Ring –«

»Halt, Caramba!« rief aber ein ältlicher Herr, der, ohne Galanterie, dagegen gesetzt hatte. »Der Reiter liegt links – ich habe gewonnen und bitte mir meine Unze aus, denn rechts liegt das Aß.«

»Ist das gewonnen oder verloren?« fragte Ricarda mit einem Blick zu ihrem Nachbar.

»Sie haben leider verloren, Sennorita,« sagte dieser.

Ricarda schob das Geldstück hinüber, und ihres -Onkels Arm ergreifend, zog sie ihn in scheuer, drängender Hast aus dem Zimmer hinaus.

Mauricio folgte ihr mit den Blicken, aber andere drängten jetzt zum Tisch und versperrten ihm die Aussicht, und die eigentlichen Spieler, die den kleinen Zwischenfall kaum beachtet hatten, preßten den Bankier auch, jetzt das Spiel weiter zu verfolgen. Was kümmerte sie die junge Dame, und wenn sie noch hübscher gewesen wäre! Hier auf dem Tische klimperte das Gold, und das übertäubte jedes andere Gefühl in ihren Herzen.

»Aber nun sage mir um Gottes willen, Kind,« fragte Sennor Rodriguez, wie sie nur das Spielzimmer hinter sich hatten, »was war das? Was hat das für eine Bewandtnis mit dem Ring? Lucido wurde totenbleich, als du ihn als Einsatz verlangtest.«

» Das ist der Bube, Onkel!« rief aber jetzt Ricarda, wenn auch mit unterdrückter Stimme, »der uns damals in der Diligencia beraubte und mir den Ring abforderte; derselbe auch, der die beiden französischen Offiziere meuchlings aus dem Hinterhalt, wie ein feiger Mörder, erschossen hat.«

»Ricarda!« rief Rodriguez entsetzt – »Kind! Du irrst dich – es ist Mauricio Lucido – des reichen Lucido Sohn, und Erbe von wenigstens einer halben Million.«

»Und wenn er der Erbe Mexikos wäre,« rief Ricarda in kaum zurückgehaltener Aufregung – »das ist der Bube! Trägt er nicht an seinem Kinn deutlich genug und brennendrot die Narbe, wohin ihn der schon zum Tode verwundete französische Offizier mit seiner Revolverkugel traf? Und hast du nicht gesehen, wie bleich, wie totenbleich er wurde, als ich den Ring verlangte und er mich erkannte?«

»Das stimmt alles,« nickte Rodriguez, »und ähnliche Sachen sind allerdings vorgefallen – aber was können wir tun?«

»Was wir tun können?« rief Ricarda heftig, indem sie seinen Arm losriß – »ihn verhaften – augenblicklich, wie er da noch sitzt, und ich trete als Zeugin, als Anklägerin gegen ihn auf.«

»Aber bester Schatz,« rief Rodriguez erschreckt, »der alte Lucido ist mein intimer Freund, und den rührte vor Schreck und Kummer der Schlag.«

»Onkel,« sagte Ricarda bitter – »und wenn es armer Leute Kind, wenn es ein Indianer wäre, würdest du auch die Rücksicht auf ihn nehmen, und wenn seine Mutter wimmernd dir zu Füßen läge? Ist es denn wahr, was die Fremden über unser Land sagen: daß die Reichen ungestraft alles tun dürfen, während sie den unglücklichen Armen zum Sklaven halten?«

»Mein lieber kleiner Schatz,« lächelte Rodriguez, sehr gern erbötig, das Gespräch nach einer anderen Richtung hin zu wechseln – »ich habe gar nicht geglaubt, daß in deinem kleinen Köpfchen auch Politik und Sorgen für das Gemeinwesen Platz hätten. Komm, laß uns zur Gesellschaft zurückgehen, und wenn du deiner Sache vollkommen sicher bist, so wollen wir morgen mit Freund Lucido bereden, was sich in der Sache tun läßt.«

»Und da drinnen sitzt der Bube mit meinem Ring am Finger,« sagte Ricarda, die Perlenzähne fest und heftig zusammengebissen.

» Den muß er wieder herausgeben, das ist keine Frage,« sagte Sennor Rodriguez bestimmt – »mach dir deshalb keine Sorge; das werde ich schon vermitteln.«

»Wirklich?« nickte Ricarda leise vor sich hin, und eine merkwürdige Veränderung war mit dem bisher so heiteren, harmlosen jungen Wesen vorgegangen, aber sie äußerte gegen ihren Onkel kein Wort mehr. Sie kannte jetzt die Ansichten des alten Herrn, und so lieb sie ihn hatte, war sie doch fest entschlossen, diesmal ihren eigenen Weg zu gehen.

Wie sie nur den Saal betrat, sprangen drei junge Leute zugleich auf sie zu, um sie um den nächsten Tanz zu bitten: der junge Belgier, Hauptmann van Leuwen, und zwei französische Offiziere. Lächelnd blieb sie stehen und sah einen der Herren nach dem anderen forschend an; dann legte sie ihren Arm in den van Leuwens, während sie sich gegen die übrigen leicht und schelmisch verbeugte, und – war ganz wieder das fröhliche, ausgelassene Kind von vorhin.

»Ach, Sennorita,« sagte da der Belgier, ein bildhübscher junger Bursch mit einem gar so guten Gesicht und klaren, treuherzigen Augen, »ich kann Ihnen nicht sagen, wie glücklich Sie mich durch den mir eben bewiesenen Vorzug gemacht haben.«

»Wirklich?«

»Bis jetzt,« fuhr der junge Mann fort, »habe ich in Mexiko eine trostlose Zeit verlebt, aber seit den letzten acht Tagen – seit Sie wieder zurückgekehrt sind, ist es mir fast, als ob das alte Tenochtitlan noch einmal so freundlich und sonnig aussähe. Bis jetzt hatte ich das Heimweh, und das ist jetzt vollständig und auf einmal kuriert.«

»Und gehören auch Sie zu den gewöhnlichen Herren mit faden Redensarten?« sagte Ricarda fast traurig, »dann habe ich mich auch in Ihnen getäuscht.«

»Seh' ich so aus, Sennorita?« sagte van Leuwen treuherzig. »Sehen Sie mich an und sagen Sie mir dann selber, ob Sie mich einer faden Schmeichelei für fähig halten. Ich wollte, Sie stellten mich einmal auf die Probe, ob ich auch so handle, wie ich es ausspreche.«

»Ich nehme Sie beim Wort,« rief Ricarda rasch – »aber erst nach dem Tanz –«

»Sie werden mich dadurch recht glücklich machen.«

Der Tanz unterbrach für den Moment die Unterhaltung, aber der junge Hauptmann konnte die Zeit nicht erwarten, wo Ricarda zu ihm sprechen würde, und kaum zeigte sich der erste günstige Moment, so flüsterte er leise:

»Und was verlangen Sie von mir, Sennorita?«

Ricarda sah einen Moment vor sich nieder. »Daß Sie –« sagte sie endlich, »sich heute abend gar nicht mehr um mich bekümmern.«

»Sennorita!« rief von Leuwen bestürzt aus.

»Kommen Sie – lassen Sie uns einen kurzen Spaziergang durch die nächsten Zimmer machen – mir wird so ängstlich hier zumute, und – ich habe Ihnen etwas zu sagen,« – und flüsternd fuhr sie fort, als sie kaum aus dem Gedränge der Menschen waren: »Meine Forderung halte ich aufrecht, aber Sie sollen auch erfahren, weshalb. Kennen Sie den Herrn, mit dem ich um den Ring spielte?«

»Ja – es ist der junge Lucido –«

»Wollen Sie ihn, wenn er das Haus verläßt, auf meine Anklage hin verhaften?«

»Sennorita!« sagte van Leuwen, der seinen Ohren kaum traute.

»Die Fremden sollen nicht sagen können,« fuhr das junge Mädchen mit blitzenden Augen fort, »daß der Sohn eines reichen Mannes ein Schurke sein darf, ohne in Mexiko bestraft zu werden. Er gehörte zu den Straßenräubern, die uns auf dem Weg nach Cuernavaca überfielen und die beiden französischen Offiziere töteten. Er trägt nicht allein den Ring, den er mich zwang, ihm zu überlassen – und ich hoffte damals, daß er ihn verraten würde, sondern auch die Narbe der Kugel, die der zum Tod getroffene Offizier auf ihn abschoß.«

»Sie sind Ihrer Sache gewiß?«

»Ich kann es bei der Hostie beschwören. Sahen Sie nicht, wie er erbleichte?«

»Und Sie wollen gegen ihn zeugen?«

»Bei der heiligen Jungfrau, das will ich –« sagte Ricarda, und ihr Auge blitzte.

»Gut, dann ist aber auch keine Zeit mehr zu verlieren, denn weiß er, daß er entlarvt ist, so hält er sich auch nicht lange mehr hier auf. Und wann sehe ich Sie wieder, Sennorita?«

»Morgen früh – bringen Sie mir Nachricht, und als Zeichen, daß Sie meinen Auftrag erfüllt, den kleinen Ring mit dem Smaragd, den der Bube nicht länger tragen darf. Lassen Sie uns jetzt in den Tanzsaal zurückgehen – ich habe Ihr Wort.«

»Sie dürfen auf mich bauen, und morgen früh bringe ich Ihnen, zum Zeichen, daß ich Ihren Befehl erfüllt, den Ring.«

Dem jungen Offizier brannte jetzt selber der Boden unter den Füßen, aus Furcht, daß ihm seine Beute entgehen könne. Kaum hatte er aber Ricarda zu einem Sitz zurückgeleitet, so war sie schon wieder engagiert, und er selber jetzt frei, den erhaltenen Auftrag auszuführen.


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