Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Buch der Beichte

Buch der Beichte

Im hehren Argonautenkreise
War jeder brav nach seiner eignen Weise.
Goethe, Faust II.

Erstes Kapitel

Die Satzung der Beichte

Auf der obersten Stufe des Peristyls haben die Priester sich aufgestellt, vor jeder Säule und in jedem Zwischenraume je einer. Nur die letzte Ecksäule nach links bleibt unbesetzt. So stehen zehn Priester in einer Reihe da.

Der Neuling und sein herkulischer Freund, der als wachehabender Priester vor den Stufen stehen bleibt, vollenden die heilige Zwölfzahl der Priesterschaft.

Wie der Jüngling nun diese Zehn so aufgereiht vor sich sieht, von dem vollen Sonnenlichte bestrahlt, drängt sich ihm der Gedanke auf, daß er noch nie eine solche Versammlung von Spitzbubengesichtern und Galgenvogelmasken gesehen habe. Die Worte des Alten, daß man, wenn man in diesen Tempel eintrete, sowenig wie beim Eintreten in diese Welt wisse, in welche Gesellschaft man geriete, erhalten eine unheimliche Bedeutung.

Es wäre schwierig zu sagen, welchem von den Zehn man den Preis für äußerlich zutage tretende Schurkenhaftigkeit zuerteilen solle. Hätte er sich aber entscheiden müssen, würde er wohl den Oberpriester, einen bartlosen Fünfziger von mittlerer Größe, solchermaßen ausgezeichnet haben.

Dieser steht gerade in der Mitte, im dunkeln Rahmen der offenen Tür zur Zelle. Drinnen flackert bisweilen das Altarfeuer auf, und in seinem Scheine schimmern die steifen Gliedmaßen der Göttin hervor, in altem schwarz und blank gewordenen Holz gebildet.

Der Oberpriester – primus inter pares – bricht zuerst das feierliche Schweigen.

»Bevor du, o unbekannter Jüngling, über diese Schwelle trittst, den bindenden Eid ablegst und mit dem Gewande dieser hochheiligen Priesterschaft bekleidet wirst, gebieten unsere Satzungen, daß wir dich kennen lernen, und du uns. Nicht begehren wir deinen Namen und Herkunft zu wissen. Denn welchen Namen auch einer draußen in der Welt getragen hat, ob durch eigene Tugenden von Fama ausposaunt oder klanglos, ob von seinen Vorfahren in die Annalen Roms eingeschrieben oder ahnenlos, ob patrizisch oder plebejisch, ob römisch, griechisch oder barbarisch – jener Name wird beim Eintreten in diese geweihte Schar abgestreift und zurückgelassen. Nicht darf er in diesem geheiligten Bezirk ertönen. Dafür aber bekommt der nunmehr Namenlose einen neuen, heiligen, ihm angemessenen Namen. Diesen dir zu erteilen, damit ich dich rite zum Eintreten auffordern kann, ist unsere Obliegenheit. Erzähle uns also, welche Tat dich in den Hain und nach dem Tempel der taurischen Diana geführt hat. Aber hüte dich wohl, o Jüngling, daß du uns nur die reine Wahrheit sagst. Wähne nicht töricht, du könntest uns hinters Licht führen mittelst falscher Reden, wie sie draußen in der Welt solche führen. Wisse, daß in diesem Heiligtums die Wahrheit lebt; nur sie kann hier gedeihen. Keine Tat ist so schwarz, sie darf sich hier bekennen. Nur die Lüge und die Schamhaftigkeit sind der herben Göttin verhaßt. Und sieh –«

Der Oberpriester wendet sich und zeigt hinein auf das im Flatterlicht aus dem Dunkel hervorschimmernde Standbild, und die Priester verneigen sich murmelnd –

»Sieh, die Göttin lauscht drinnen in ihrer Zelle. Kein Wort wird ihr verloren gehen, und unnachsichtig straft sie den Frevler, der es wagen würde, durch die geringste Beschönigung seiner Taten ihr keusches Ohr zu beleidigen.

Sprich, Jüngling, du bist gewarnt!«

Solchermaßen angeredet räuspert sich der Jüngling mit sichtlicher Befangenheit:

»Ehrwürdige Väter –«

Es fällt ihm schwer diese zwei Worte hervorzubringen. Sie wollen ihm durchaus in der Kehle stecken bleiben, obwohl er durch Niederschlagen der Augen sich dem unmittelbaren Anblicke dieser Väter entzieht.

»Auch unaufgefordert –« fahrt er dann nach der schwierigen captatio benevolentiae schon zungenfertiger fort – »hätte ich Euch berichtet, was mich hierher geführt. Damit Ihr seht, daß Ihr keinen Unwürdigen in Euren Kreis aufnehmet, daß nichts, was Schande mit sich führt, kein Verbrechen mich dazu trieb, in diesem weitberühmten Heiligtume das Asylrecht zu suchen. Ja nicht einmal einen Fehltritt wird man das wohl billig nennen können, sondern lediglich die Unvorsichtigkeit der unerfahrenen, gutgläubigen Jugend, in welcher Ihr wohl gar das Zeichen einer edlen Gesinnung erkennen werdet.«

Höchst zufrieden mit dieser rhetorischen Leistung als Einleitung hemmt der Jüngling seinen nunmehr glatt dahinrieselnden Redefluß, um den Zuhörern Zeit für ein aufmunterndes Beifallsmurmeln zu gönnen.

Ein solches erfolgt denn auch, jedoch von verdächtigem Klang.

Verstohlen blickt er auf. Es will ihn bedünken, als ob eine leise Welle fast höhnischer Heiterkeit die Reihe der ehrwürdigen Väter durchflute.

»Du hast, o Jüngling,« nimmt der Oberpriester das Wort, »in der Tat unsere Erwartung, Neues und Unvermutetes zu hören, durch eine wohlgesetzte Einleitung aufs Höchste gespannt. – Also erzähle!«


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