Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wie böser Wein Hochzeit macht

Ich mußte eine Kuh zu Markte führen, dann lange warten, bis ich sie abgeben konnte. Hungrig und durstig ging ich mit meinem Meister einen Schoppen zu trinken, und fand am gleichen Orte Anneli mit seiner Meisterfrau, die Garn und Anken zu Markte getragen hatten.

Mein Meister meinte, ich solle auch einmal einem Meitschi eine Halbe zahlen und eine mit ihm ha, es tüe mr's wohl; und die Meisterin sagte: Anneli hätte es auch verdient; sie hätte gar manchmal das Werkzeug noch putzen müssen, das ich zurückgebracht. Das war mir angeholfen; Anneli wehrte sich, wurde ausgelacht, und mußte endlich, da ich anfing böse zu werden, nachgeben. Der Meister rief mir noch nach, als wir in den Tanzsaal gingen: ich brauche nicht zu pressieren, er wolle diesmal schon futtern. Ich hatte noch nie getanzt, und stolperte ungeschickt genug im Saale herum, so daß es mir bald erleidete, und ich mit Anneli zu Tische ging. Wir saßen in einer dunkeln Ecke und plauderten traulich miteinander, nachdem die ersten Vorwürfe, daß ich auf den Meister und nicht auf ihns gehört, vorbei waren. Eine Halbe zog die zweite nach, und wir redeten schon von Heimgehen, als ein übermütiger Bursche Anneli zum Tanz einlud. Anneli schlug es ab; er fing an zu zerren an Arm und Fürtuch; da trieb mir der ungewohnte Wein das Blut in Kopf; ich stieß ihn weg und sagte: ich wolle selbsten tanzen. Tanzete ich vorher tölpisch, schoß an alle Ecken an, an alle tanzenden Paare, so geschah es nun noch mehr. Anneli schämte sich, wollte aufhören, bat mich heimzukommen; es gebe sonst noch Streit, und wie sie das sagte, wurde ihr der Fuß vorgehalten, daß wir beide beinahe umfielen. Jetzt schlug bei mir das Feuer zum Dach aus; vom Wein halb, vom Tanz halb, also ganz berauscht, ließ ich das Mädchen fahren, ergriff den Fußsteller bei der Brust, warf ihn, wie wenn er aus einer Kanone abgeschossen worden wäre, durch einen Ring von Leuten durch an die Wand. Das war das Zeichen zu einer furchtbaren Prügelei. Die Stuhlbeine krachten; Gläser, Flaschen flogen, die Mädchen sprangen auf die Tische, die Lichter wurden bald ausgelöscht, bald angezündet. Auf mich hatten sich alle Bekannten jenes an der Wand Klebenden geworfen; aber wie ein wütend Tier schlug ich rings um mich, fühlte am Kopf zersplitternde Flaschen nicht, zerschlagene Stuhlbeine nicht, fühlte Anneli nicht, das mich am Rocke hielt und aus dem Getümmel reißen wollte, trieb vor mir her und warf unter mich, was mir widerstand, kämpfte, ohne zu wissen, wo ich war, mich zur Türe hinaus im Gang herum; da gelang es endlich Anneli, die mich nicht lassen wollte, mich festzuhalten und in einen Winkel zu ziehen. Nun rang ich mit ihm, und war auf dem Punkte, meine erregte Wut gegen ihns zu kehren, als ein Lichtschein auf sein Gesicht fiel, das weinend und ängstlich zu mir aufsah. Der Anblick lähmte mich; es gelang ihm, mich aus dem Hause herauszubringen, aber nicht ohne alle zehn Schritte erneuerten Kampf; denn ich wollte immer wieder umkehren und meine Wunden rächen; denn damals lief man noch nicht wegen jeder Laus, die einem auf dem Kopfe totgeschlagen wurde, zum Richter. Das Blut lief mir stromweis herunter, kühlte aber meine Hitze nicht. Anneli wusch mich, so gut sie konnte, verband mich, wollte mich besänftigen, aber alles umsonst. Ich zankte, fluchte fort und fort, warf ihr immer vor, daß sie mich verleitet, unehrlich aus dem Streite zu gehen, gehindert, diesem oder jenem erhaltene Schläge wieder zu geben. Beim Scheidewege gegen unsere Häuser wollte es mich heimsenden, damit unsere gegenseitigen Meisterleute nichts merkten, wie es sagte, vorzüglich aber weil ein geheimes Gefühl ihm vor meinem Zustand bange machte. Neuer Zorn von meiner Seite, endlich Nachgeben Annelis; und – am Morgen weinte Anneli, und unzufrieden, betrübt schlich ich nach Hause.

Es folgten trübe Tage, denn ich schämte mich hinzugehen, Anneli zu sehen; zudem wurde ich nicht auf die zarteste Weise von meinen Hausgenossen geneckt. Natürlich hatte mein Meister erzählt, wo er mich gelassen; natürlich wurde mir aufgepaßt, ob ich heimkomme; natürlich war ich nun wegen meinem, wie sie meinten, ersten Kiltgang der Gegenstand handgreiflicher Neckereien tagelang. In unserem Hause waren solche Gespräche an der Tagesordnung. Bis dahin mußten sonst die Töchter herhalten oder die Magd, und der Bauer selbst sprach je wüster je lieber, ungescheut vor allen seinen Kindern. Er erzählte Geschichten aus seiner Jugendzeit, von seinen Kiltgängen, daß einem die Haare zu Berge stunden. Auch seine Frau kannte keine Geheimnisse in derlei Dingen, kramte alles aus, was sie gehört, gesehen, erfahren hatte. Sie erzählte manchmal sogar, was ihr von ihrem Hansli ertraumt sei, und was eigentlich den Traum verursacht, daß man blinzen mußte.

An Anneli durfte und mochte ich fast nicht denken, und wurde doch alle Augenblicke daran erinnert, bald durch mein Gewissen, bald durch andere Leute. Ich ging mehrere Tage nicht hin, und zweimal kehrte ich auf halbem Wege um. Ich wußte nicht, was ihm sagen, durfte nicht denken, was es mir sagen werde. Endlich siegte doch mein Sehnen nach ihm. Ich ging, kündete mich auf die gewohnte Art; Anneli zögerte nicht, fing aber gleich an zu weinen und sagte: «Gäll, du verachtisch mi, drum bisch so lang nüt cho, du hesch recht, i bi es schlechts Meitli worde; es gscheht mr recht, warum ha-n-i di lah mit cho, wo d' voll Wy u voll Zorn gsi bisch?» Das gute Mädchen warf keine Schuld auf mich, klagte nur sich an, während doch ich allein Vorwürfe verdiente. Dieses rührte mich unendlich; es ist aber auch so etwas Seltenes, jemand zu hören, der den Splitter im eigenen Auge findet, und nicht den Balken im Auge der andern, daß es um so tiefern Eindruck macht.

Ich weinte mit Anneli, tröstete es und versprach Treue im Leben und Tod, und dieses Aussprechen dessen, was eigentlich schon lange unter uns bestund, dieses Aussprechen, daß wir uns für immer angehören wollten, gab uns Trost. Doch jammerte Anneli noch lange, es habe seiner Mutter auf dem Todbette versprochen, brav zu sein, und habe es nun vergessen; das bringe keinen Segen, und es möge nun kommen wie es wolle, so komme es nicht gut. Eine trübe Ahnung wollte es nicht verlassen; und wenn es schon meiner Treuherzigkeit sich freute, so überschattete doch die Wolke eines geheimen Schmerzes bald wieder sein liebes Gesicht. Anneli hatte in einer andern Sache auch recht gehabt. Nun fing man an uns aufzulauern; wir wurden geneckt; ich hatte Prügelten, Anneli zerbrochene Fenster, zerschlagene Türen; bald hie, bald da schlich sich eine giftige Schlange zu und suchte Zwietracht auszustreuen zwischen uns. Mir sprach man bald vom Knecht, bald vom Meister, welche Anneli lieber sähen als notwendig wäre; ihm sprach man von des Meisters Töchtern, die mir allenthalben z'weg stünden, und von noch allerlei anderem.

Unterdessen kränkelte Anneli, wurde blässer, wechselte öfters die Farbe, und klagte mir endlich, es glaube sich in andern Umständen. Daran hatte ich nicht gedacht. Ich war anfangs ganz verdutzt, und gab dem armen geängstigten Mädchen Grund zu glauben, ich suche Ausflüchte und möchte es vielleicht im Stiche lassen. Das war aber gar nicht so; sobald ich von meiner Überraschung zu mir selbst kam, entstund eine unbändige Freude in mir. Mir leuchtete plötzlich ein, ich müsse nun Anneli heiraten, Anneli alsobald meine Frau werden; dann brauchten wir uns nicht mehr über einander zu schämen, uns verstohlen zu besuchen, uns necken zu lassen. Anneli war mein und ich sein; wir waren nicht mehr Waisen, sondern Mann und Frau. Das kam mir ganz prächtig vor. Freilich ging es anders, als ich gedacht, aber was machte das? Konnte ich doch gut verdienen, hatte stehenden Lohn; Anneli war geschickt, reinlich, haushälterisch, fromm; da machte mir unser Fortkommen mit keinem Gedanken bange. Anneli war sorgenvoller für die Zukunft, jedoch beruhigt über meine Denkungsart, und konnte sich mit mir herzlich freuen über unsere Vereinigung: «Meiß, es isch mer ke Mönsch so lieb gsi uf der Welt wie du, nit emal mi Muetter, u du bisch mr geng im Sinn gsi, we di scho nume en Augeblick u du zwölf Jahr lang nüt gseh ha; u-n-i ha nit dörfe dra däiche, daß du einisch mi Ma werdisch. Ach, es ist doch e schöni Sach, we me neuerem aghört! I wett gern diene, dArbeit macht mr nüt; aber niemerem sy, niemer ha, der ein lieb het, dem me ufrichtig chlage cha, das isch e herti Sach. Witziger wär's, mr chönnte no zehe Jahr warte; aber mr müesse üsi Süng büeße u jetz desto böser ha; wenn is der lieb Gott gsung lat, su macht das nüt. Es ist besser hie büeße weder im Himmel obe.» – Wir hatten so viel zu reden, daß eine Nacht in der Woche nicht mehr genügte. Vor allem aus überschlugen wir unser mutmaßliches Vermögen, und Anneli drang in mich, unverzüglich mit meinem Meister zu rechnen, damit wir wüßten, woran wir wären; dann wollten wir uns alsobald verkünden lassen. Allein mein Meister hatte allerlei Ausflüchte, bald nicht Zeit, bald die Papiere nicht bei der Hand, so daß ich ihm endlich erklären mußte: nächsten Sonntag werde ich mich mit Anneli verkünden lassen, und da müsse dann doch gerechnet sein; ich wolle wissen, woran ich wäre. Da gab es große Augen: «Du wirsch doch nit e Narr sy, Meiß», meinte der Bauer.

Er wollte mir die Sache auf alle Weise ausschwatzen, Anneli verdächtigen, andeuten, ich müßte für einen andern ausfressen, ich sollte es zum Eid kommen lassen, oder wenn eines sein müsse, nur das Kind nehmen; Anneli sei ume-n-e so-n-e Spinnele, es Wespi, aus dem gebe es nie eine gute Frau. Seine Frau, seine Töchtern wußten nun auf einmal Sachen von meinem Meitschi, daß ich, wenn ich nur den geringsten Anlaß zum Verdacht je hätte haben können, unfehlbar aufgewiesen und von seiner Schlechtigkeit überzeugt worden wäre; nun aber war ihre Mühe umsonst. Eines Freitag abends, bei einbrechender Dunkelheit, bestellten wir uns hinter des Pfarrers Scheune, gingen beide dann mit klopfendem Herzen an die Türe zum Pfarrhause zu klopfen. Anneli stund hinter mir, so daß des Pfarrers Magd, so sehr sie mit dem Licht herumfuhr, denn dPfarrersmägde sind gar gwundrig, sie nicht sehen konnte. Die Antwort kam, der Pfarrer studiere jetzt, man dürfe uns ihm nicht anmelden; wenn unsere Sache aber pressiere, so könne es die Frau vielleicht auch machen. Wir liefen nicht gerne mehrere Male herum, hatten auch nicht wohl Zeit dazu, und ließen uns daher zu der Frau führen. Da erhielt nun die Magd endlich Gelegenheit, uns beide ordentlich zu sehen und, während die Frau Pfarrerin uns fragte, in alles einzureden, uns zu necken, zu tun, als ob sie in diese Stube und zu diesem Geschäft gehöre; so daß meinem Mädchen ganz bang und angst wurde, und es froh war, als die etwas unbehülfliche Frau Pfarrerin endlich zu Ende kam, und die Magd (sie hieß auch Anni und war wüst) uns hinauszündete.

Wir hatten beide eine kindische Freude, zu denken, was die Leute sagen würden, wenn sie des Sonntags uns von der Kanzel herab trohlen hörten? Wir bildeten uns ein, das werde gar großes Aufsehen machen, und der ganzen Welt zu reden geben. Es ist merkwürdig, welche Wichtigkeit auch der unbedeutendste Mensch zu haben glaubt, wie jener neu angestellte Stallknecht, der glaubte, jeder Engländer werde in England von ihm reden, und jeden zurückkehrenden Kutscher frug, was die Herrschaft über ihn gesagt habe.


 << zurück weiter >>