Paul Grabein
In Jena ein Student
Paul Grabein

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Aus Scherz wird Ernst

Vorüber war der Kommers, verhallt der letzte Sang, die Reihen an den langen Tafeln – schon meldete sich der junge Tag im Osten – waren gelichtet.

Wer weiß, wie es kam; aber plötzlich war in einer lustigen Ecke der seßhaften Schar, die in der frohen Begeisterung noch immer des Festfeierns kein Ende finden konnte, die Parole ausgegeben worden: Jetzt hinaus auf die Berge – zu einem Frühbummel!

Jubelnd wurde allseitig der Vorschlag aufgenommen. Eine versöhnliche, brüderliche Stimmung hatte ja heute über dem ganzen Kommers gelagert, so machte sich denn jetzt auch eine bunt zusammengesetzte Schar von Angehörigen verschiedener Korporationen und von nicht farbentragenden Studenten auf, um gemeinschaftlich zu diesem Frühbummel auszurücken, unter ihnen auch Helmut mit einigen Freunden. Die frohe Begeisterung, die ihn mit ergriffen hatte, ließ auch ihn heute noch nicht an den Nachhauseweg denken.

Und so ging's denn hinaus durch die Stadt, deren enge, traute Gassen im Morgenlicht noch verschlafen dalagen, die nun aber bald wachgerufen wurden von dem hellschmetternden Sang der frohen Burschen, die sie durchzogen. »Wenn wir durch die Straßen ziehen« hallte es aus Dutzenden von sangesfrohen Kehlen, die braven Bürger vorzeitig aus dem Schlafe weckend. Hier und da öffnete sich klirrend manch Fensterchen, und ein verschlafenes Gesicht erschien. Aber ernstlich böse konnte diesmal niemand den lustigen Störenfrieden sein, die an einem solch großen Tag von ihren alten Herrenrechten wieder einmal Gebrauch machten.

Über die Saalebrücke ging es hinauf zur Wilhelmshöhe und weiter zum Fuchsturm. Gerade wie die lustige Schar droben am Fuß des alten Wartturms stand, dem trutzigen Zeugen grauer Zeiten, da zerrissen die weißen Nebel, die weithin im Saaletale brauten; der blitzende Strom tauchte wie ein silbern sich dahinschlängelndes Band auf, und durch den rosig durchleuchteten weißen Flor drang plötzlich sieghaft das Sonnenlicht, mit seinem flutenden Gold die Berge übermalend. Jauchzende Zurufe begrüßten das Morgenlicht, und mit doppeltelastischer Jugendkraft stürmte die junge Schar weiter dahin auf freier Bergeshöhe ihrem Ziele zu, dem lieblich im Tale gebetteten Dörfchen Ziegenhain unter dem Schutz des uralten Bonifaciuskirchleins.

Bald hatte sich beim Wirt in Ziegenhain ein fröhliches Treiben entwickelt. Frau Wirtin und ihr Töchterlein waren als fleißige Frühaufsteher schon längst aus den Federn und mußten nun den durstigen Musensöhnen zunächst einmal einen starken Morgenkaffee brauen, die Lebensgeister von neuem aufzufrischen.

Eine muntere Stimmung herrschte in der bunt zusammengewürfelten Schar, in welcher Mützen der verschiedensten Farben zu sehen waren, darunter aber auch viele nicht farbentragende Studenten, die heute alle in froher Eintracht miteinander verkehrten. Ein Halbdutzend von ihnen hatte sich zu einem lustigen Orchester zusammengetan, das sich mit Gießkanne, Blechpfanne, Kessel, Trichter und ähnlichen Tonwerkzeugen aus der Küche der Frau Wirtin bewaffnet hatte und nun ein wundervolles symphonisches Konzert zum besten gab. Es wurde ein Potpourri aus Studentenweisen von dieser originellen Musikbande schmetternd und rasselnd vorgetragen, zu dem die übrigen mit lauter Stimme jubelnd den Text sangen.

Mitten in dieser Stimmung tauchte plötzlich – man wußte nicht recht, von wem aufgebracht – ein Vorschlag auf: zu Ehren dieses denkwürdigen Tages müßte eine »Schillerlinde« gepflanzt werden. Kaum war der Gedanke ausgesprochen, so ging es auch flugs zur Ausführung. Ein derber Weidenast von der nahegelegenen Hecke wurde abgeschnitten, weihevoll zur Schillerlinde proklamiert, ein danebenstehendes, schon etwas lose gewordenes Stück Hofgatter wurde gleichfalls mitgeschleppt, und so ging es in Reihen unter Vorantritt der Musik und der »Hofchargen« zum Dorfteich, wo an einem geeigneten Ort die »Linde« feierlichst in den Erdboden gebohrt und das Stück Zaun gegen sie gelehnt wurde, versehen mit einem großen Zettel, auf dem weithin die Worte sichtbar waren: »Die Anlagen werden dem Schutze des Publikums empfohlen.«

Einer der Festgenossen hielt sodann eine zündende Ansprache, worin er auf die kulturelle Bedeutung dieser Tat hinwies und die Hoffnung aussprach, daß damit eine neue Ära geistigen Lebens für das Dörfchen Ziegenhain heraufziehen werde. Dann wurde ein kräftiger dreimaliger Tusch geblasen und mit dem Gesang des schönen Liedes: »Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?« kehrte man der »Schillerlinde« wieder den Rücken, um sich zu fröhlichem Tun ins Wirtshaus zurückzubegeben. In der allgemeinen Festfreude wurde es nicht weiter bemerkt, daß gleich hinter dem Rücken der letzten Abziehenden die »Schillerlinde« unter der Wucht des an sie gelehnten Schutzgitters trübselig zusammenbrach, so ein allzu frühes, unrühmliches Ende findend.

Gerade als der fidele Zug, an dessen Spitze Helmut Berendt Arm in Arm mit einem Freunde marschierte, wieder in den Wirtshof einrückte, bogen drei Couleurstudenten um die Ecke gleichfalls in die Wirtschaft ein, an der Mütze sofort als Alanen erkenntlich und, wie Berendt nun sah, zwei davon ihm wohl bekannt: Heinz Rickmann und Dobler. Als diese den Zug in seiner Feststimmung vorüberdefilieren sahen, verzog Dobler das Gesicht zu einer spöttischen Grimasse, und in herausfordernder Haltung schleuderte er dem Führer des Zuges, Helmut Berendt, die Worte ins Gesicht: »Aha, der große Bierredner wirkt weiter!«

»Ausgezeichnet! Verlangt der junge Mann von mir auch noch eine Erklärung!«

Die Bemerkung war so laut und herausfordernd gefallen, daß die ganze fröhliche Schar plötzlich verstummte und der kleine Zug unwillkürlich vor den dreien stehen blieb. Sofort ließ Berendt den Arm seines Freundes fahren. Er war sich keinen Augenblick darüber im Zweifel, daß lediglich ihm diese Herausforderung gelten sollte, und das brennende Gefühl nach Genugtuung, das ihn schon am Abend beim Kommers überkommen hatte, lohte nun hell in ihm auf. Er trat schnell einen Schritt vor, dicht zu Dobler hin, und fragte mit ruhiger Stimme, aus der aber doch seine innere Erregung zitterte: »Was wollen Sie damit sagen? Ich hörte schon gestern abend einmal eine derartige wegwerfende Bemerkung von Ihnen und ersuche Sie nun, mir eine Erklärung für Ihr beleidigendes Benehmen zu geben, zu dem ich Ihnen meinerseits nicht die geringste Veranlassung gegeben habe.«

Dobler stützte sich breitspurig auf die Krücke seines Spazierstocks und maß Berendt mit einem hochmütigen Blick von oben bis unten.

»Ausgezeichnet!« brachte er dann schnarrend hervor. »Verlangt der junge Mann von mir auch noch eine Erklärung!« Dann richtete er sich plötzlich auf und, wegwerfend Berendt den Rücken zukehrend, sprach er halb über die Schulter weg: »Ich habe nicht die mindeste Veranlassung, Ihnen einen Kommentar zu meinen Worten zu geben. Ich dächte, ich wäre deutlich genug gewesen.«

Damit wollte er sich abwenden. Berendt aber vertrat ihm hastig den Weg. Die verächtliche Behandlung dieses Menschen vor all den vielen Zeugen brachte sein Blut in die heftigste Wallung. Noch nie war er von irgend jemand derartig behandelt worden und das ohne jeden Grund. Er bebte vor Empörung am ganzen Leib, und am liebsten hätte er sich auf den Gegner stürzen mögen, ihm mit einer verdienten Züchtigung den Schimpf zurückzugeben, den dieser ihm zufügte. Aber er meisterte sich noch einmal, hatte er sich doch fest vorgenommen und in den drei Semestern es auch durch die Tat bewiesen, daß er sich niemals seinerseits zu einer Ausschreitung hinreißen lassen würde. Es sollte auch diesem nicht gelingen, ihn von seinen Vorsätzen abzubringen. Aber unmöglich konnte er den Schimpf, der ihm angetan worden war, ruhig auf sich sitzen lassen, und so stieß er denn erregt seinerseits die Worte hervor: »Wenn Sie mir jede Erklärung verweigern, so muß ich Ihnen hiermit erklären, daß es ein Beweis rohester Gesinnung ist, jemanden grundlos zu beschimpfen. Ich glaube, in den Augen aller der Herren hier richtet sich Ihr Benehmen von selbst.«

Mit einem flammenden Blick warf Berendt dem Gegner die Worte ins Gesicht und wandte sich dann um, zu seinen Freunden zurückzutreten. Aber da vertrat ihm Dobler den Weg.

»Unverschämtheit!« kam es zischend von seinen Lippen. »Ihre Karte!«

Einen Augenblick durchschoß es Berendt in jähem Schrecken. In der natürlichen Erregung dieser Szene hatte er bisher noch nicht daran gedacht, welche Folgen diese für ihn mit sich bringen könnte. Nun aber stand es mit einem Male klar vor seinen Augen: er mußte sich schlagen! Ein Duell war unvermeidlich, wenigstens nach studentischen Begriffen und nach der Auffassung all derer, die hier Zeugen dieses Auftrittes waren.

Wie eine Vision kam es in diesem Augenblick über ihn; es war ihm, als sähe er Vater und Mutter daheim vor ihm stehen und beschwörend und warnend die Hände erheben: Denke an dein Versprechen! Hüte dich vor jeder Ausschreitung! Einen Augenblick begann es in seinem Kopf herumzuwirbeln, ein schreckhaftes Jagen widerstrebender Gedanken. Gern hätte er der inneren Stimme gehorcht, den Eltern den Kummer erspart, sich ihren Wünschen ungehorsam zu zeigen. Aber da fiel sein Blick auf den hochmütig vor ihm stehenden Gegner; er fühlte, wie ihn alle die vielen Augen erwartend ansahen, und er wußte nur zu genau: wenn er jetzt nein sagte, so galt er für einen Feigling, der sich nur von dem blutigen Waffengang fürchtete, so war er ein Geächteter, der seine studentische Ehre verloren hatte!

Mechanisch griff er da nach seiner Brust, holte die Brieftasche heraus und überreichte dem Gegner seine Karte, wortlos, dem übermächtigen inneren Drange gehorchend. Was auch kommen sollte, er fühlte in diesem Augenblick, er konnte nicht anders.

 


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