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Erster Theil

Man wird es hier wahrnehmen können, wie wenig alle menschlichen Kräfte, wie wenig eine geprüfte und aufmerksam gemachte Erfahrung, ja wie kaum alle Veranstaltungen des Schicksals etwas über die verborgenen Plane gewisser Unbekannten vermögen, welche durch die undurchdringliche Hülle der Gewöhnlichkeit verstellt, über die halbe Menschheit unsichtbar wachen. Oft schon hat man auf ihre Plane und Wege gemerkt; meiner Geschichte aber scheint es Vorbehalten gewesen zu seyn, in dem Mittelpunkt ihres Sitzes sie ausfindig zu machen. Jede Handlung meines Lebens, auch die willkührlichste scheint schon vor meiner Geburt in ihren schrecklichen Archiven berechnet, gelegen zu haben; alle führen absichtlich dem gräßlichen Verbrechen entgegen, wozu man mich verleiten oder gebrauchen wollte und ihre ganze Reihe macht einen langen Beweis für die ewig entschiedene Wahrheit aus, daß nicht der Gebrauch individueller Eigenheiten, sondern nur die kluge Benutzung der allen Menschen gemeinen uns über die Gemüther eine unbeschränkte Herrschaft versichert.

Der Gang dieser Geschichte endlich ist an sich selbst zu rasch und verworren, als daß er vor seiner Mitte einiger Deutlichkeit fähig wäre. Ich habe daher gerade den Abschnitt ergriffen, der ihn zuerst etwas aufhellt. In ihm treten nicht nur alle Begebenheiten des Vorhergehenden zusammen, sondern wiederholen sich noch einmal. Uebrigens unbekümmert über das Schicksal dieser Blätter, welche mein Tod der Nachwelt erst ausliefern wird, will ich mir nur diese einzige Rache gegen meine Feinde erlauben, in meinen Leiden ihr Selbstbewußtseyn wieder aufzufrischen und es ihnen zu zeigen, wie ich gerade in der beneidetsten Periode meines Lebens, am wenigsten beneidenswerth war.

*

Der Graf von S**, ein wunderschöner und noch liebenswürdigerer junger Mann von vier und zwanzig Jahren diente bey der berüchtigten Belagerung von Gibraltar als Volontair unter Krillon, und da bekanntlich Elliot diesem zum Abzüge nöthigte, nahm der Graf seinen Abschied, mit dem Entschlusse Portugall zu bereisen, und dann über Spanien und Frankreich zu seinen deutschen vaterländischen Gütern wieder heimzukehren.

Gegen das Ende des Sommers kam er zurück. Ich war entzückt ihn wieder zu umarmen, ich fand ihn ungleich schöner und angenehmer als da er mich verließ, und oft scherzte ich mit ihm über die Galanterien, die er im Auslande wahrscheinlich erhalten hätte und ihm noch in seiner Heimath bevorstünden. Er erwiederte diesen Scherz, aber mitten unter den Auswechselungen eines leichten und freundschaftlichen Witzes sah ich zuweilen etwas in seinem Auge funkeln, das einer Trähne ähnlich war. Da ich aber nicht anders vermuthen konnte, als daß ein Mann mit solchen Vorzügen der Bildung, des Charakters und Standes süße Bande finden, damit fesseln und sich fesseln lassen mußte, so hielt ich dies für die Wirkung irgend eines zärtlichen Andenkens, welches die Zeit leicht verwischt, und ahndete nichts weniger als die ernsten Quellen aus denen es floß.

Da er den Entschluß gefaßt hatte, den Winter auf seinen Gütern zuzubringen, so suchte er mich zu bewegen, ihm Gesellschaft zu leisten. Ich gab nach und folgte ihm.

Die Jagd, die Oekonomie, das Billard füllten unsere Stunden den Tag über an; am Abend setzten wir uns nach einem leichten Mahle in einer süßen Ruhe um den traulichen Kamin herum, und unsere Herzen ergossen sich in jener heiteren Philosophie, welche die Seele nur nach der Arbeit beglückt und ein geschäftiges Leben so unendlich versüßt. Wer es weiß, was Freundschaft ist, und was verwandte Seelen beym Tausche gleichgestimmter Ideen fühlen; wer die bezaubernden Phantasien kennt, in denen man sich bey froher Laune und einem Freunde zur Seite, so leicht berauscht, – wird es glauben, daß wir uns selbst genug waren, daß wir allen Umgang vermieden und höchst selten noch ein anderer Plauderer bey uns war, als das geschwätzige Feuer im Kamin. Wenn der Graf bey recht guter Laune war, dann tauschten wir einige Begebenheiten unseres Lebens und unserer Reisen gegen einander um, und vergaßen uns oft im Hören und Erzählen so sehr, daß an keinen Aufbruch gedacht wurde, als bis alles vorräthige Holz aufgebrannt war und die Kälte uns an Deutschland und an das warme Bette erinnerte.

Gegen das Ende des Aprills sah er einige Wochen hindurch öfters nach dem Kalender und legte ihn dann kopfschüttelnd wieder hin. Ich bemerkte dies, wie alle anscheinenden Geheimnisse meiner Freunde; ich frug nicht, ganz sorgloß überließ ich der Zeit und seinem Herzen die Entwickelung dieses Räthsels.

Aber von Tage zu Tage ward er bey allen seinen Arbeiten zerstreueter; die Jagd, sonst sein Lieblingsvergnügen, beschäftigte ihn nicht mehr so ganz, wie ehedem, und bey der Abendtafel vermißte ich sehr oft die lachende Munterkeit, welche ihre Frugalität so hinreichend würzte; er ward nachdenkend, ja zuweilen ganz starr; ich theilte ängstlich seinen Schmerz, aber ich schwieg. Endlich schloß er sich einmal einen ganzen Tag hindurch ein, er kam zwar zum Abendessen, aber er war so niedergeschlagen und in sich selbst verlohren, daß er alle meine Fragen nicht mit einer Sylbe beantwortete. Wir standen bald auf. Er stellte selbst zwey Stühle um den Kamin, klingelte einem Bedienten und befahl ihm mehr Holz herbeyzubringen. Er hieß endlich seine Leute sich niederlegen, wir setzten uns an das Feuer, er legte mehr Holz hinein, rückte seinen Stuhl dem meinigen näher, indeß ich alle diese Anstalten mit einer höchst ängstlichen Verwunderung angesehen hatte, und neigte sich zu mir hin.

Ich erzähle izt zwar aus seinem Munde, aber in dem meinigen kann diese Begebenheit nichts als verliehren. Längst schon habe ich daran verzweifelt, den lieblichen Strom seiner Worte in jenen sanften Wellen darzulegen, welche nur der Nachhall der Empfindungen scheinen. Kein Mann besaß jemals die Gebehrdensprache in einer höheren Vollkommenheit, jede Miene schmiegte sich seiner Erinnerung an, und oft rief das himmlische Auge wieder langevergessene Trähnen hervor.

»Guter G**,« sagte er mir, »ich sehe Sie über mein Betragen voll ängstlichen Erstaunens, aber, mein Freund, fassen Sie sich. Ich bin im Begriff, Ihnen die schrecklichste Szene meines ganzen Lebens zu erzählen, die Ihnen vielleicht über manches in meinem bisherigen Betragen Licht geben dürfte. Sind Sie gefaßt?« –

– »Sie wissen ja, lieber S**, mich hat mein Schicksal früh an entsetzliche Auftritte gewöhnt. Wer könnte sie wohl ruhiger hören?« – Aber in demselben Augenblicke ward ich an dieser vorgeblichen Ruhe zum Lügner. Ein langer, kalter Schauer floß mir den Rücken hinab.

– »Nun denn, so hören Sie, Marquis! Erinneren Sie sich wol noch der Geschwindigkeit, mit der ich über meine Reise von Lissabon nach Madrid hinweggieng. Izt will ich Ihnen diese Lücke mit einer Begebenheit ausfüllen, welche ich Ihnen nicht einen einzigen Tag eher erzählen durfte, die ich Ihnen selbst itzt nur stückweise mittheilen darf, und die für mich noch in einem Dunkel liegt, das um so schrecklicher ist, weil ich es aufzuhellen keine Möglichkeit sehe.«

»Wie Sie wissen, nöthigten mich Familiengeschäfte in Madrid, sehr schnell Lissabon zu verlassen. Ich zählte jede Minute. Einige verdriesliche Umstände, und besonders die Betrügereien meines Fuhrmannes zwangen mich zu einem kleinen Umwege, und ich beschloß die Nacht zu fahren, um diesen Verzug wieder einzubringen. Man rieth mir schon vorher, einiger vorgefallenen Räubereyen und Mordthaten wegen, allenthalben Behutsamkeit an; ich verließ mich immer auf meine zwey Bedienten, die wie ich wohl bewafnet waren. Aber da ich hier an der Grenze sogar des Nachts fahren wollte, stellte sich mir mein Wirth und seine ganze Familie mit einer freundschaftlichen Gewalt entgegen. Man bat mich um Gotteswillen, nur den Tag zu erwarten. Man erzählte mir von feurigen Gestalten, Irrlichtern und Erscheinungen. Man wußte hundert Geschichten von nächtlichen Abendtheuern und Ermordungen. Aber, vielleicht aus einer Art von Stolz, nicht furchtsam zu scheinen, und aus dem Trotze, der mich, wie Sie wissen, niemals verläßt, bestand ich darauf, beredete meinen Fuhrmann, tröstete meine Wirthsleute und fuhr. Hier verschenkte ich auch den Ring, den Sie neulich vermißten, an das liebenswürdigste kleine Mädchen, das man nur sehen kann, und das sich liebevoll an mich hieng, um mich durchaus nicht fortzulassen. Ich versichere Sie, lieber G*, die ganze Stimmung, in welcher ich mich damals befand, ist ein klarer Beweis gegen alle Arten von Ahndung; ich war so heiter und froh, nie habe ich mich des Glücks zu leben so in seiner Fülle gefreuet, nie die Gegenstände in dem Sonnenscheine wieder gesehen als damals.«

»Wir mußten durch einen Wald, der gerade an der spanischen Grenze anfieng. Es war eine himmlisch schöne Nacht. Mein Fuhrmann lenkte maschinenmäßig seine Maulesel. Meine beyden Bedienten schliefen ganz sanft. Ich wachte zwar, aber ich träumte. Die Stille rund um mich her, der Gesang der Vögel, der Mond, welcher mich mit bangenden Schattenbildern lächelnd täuschte, das heimliche Wehen und Flüstern im Laube – alles rief Träume hervor, in denen meine Freunde und Freundinnen lieblich vor der Seele vorüberschwammen. Ich wechselte mit euch allen entzückende Schwärmereyen; ich sammelte gleichsam aus der Natur um mich her die geheimnißvollsten Laute auf, in ihnen euch jene verständlich zu machen, und nur das Stoßen des Wagens machte in diesem lüftigen Gefolge verkörperter Empfindungen zuweilen eine schmerzhafte Lücke.«

»Da mir dies zuletzt unerträglich wurde, so stieg ich aus, um eine Zeitlang hinter dem Wagen herzugehen. Bald schlug ich einen Nebenpfad ein, der sich in der Folge wieder mit dem Hauptwege zu vereinigen schien; durch nichts mehr gestört, erschöpfte meine Phantasie sich in Bildern, meine Schritte verdoppelten sich im Rausch meines Herzens, und ich mochte so etwa eine halbe Stunde gelaufen seyn, als ich von ohngefähr über eine Baumwurzel fiel. Auf einmal waren alle Bilder verschwunden, und ich selbst fand mich im Dickigt eingezwängt, wieder in einem Labyrinthe von Gebüschen, ohne Weg, selbst ohne eine sichtbare Möglichkeit desselben. Da ich indessen meiner Rechnung nach, unmöglich lange gegangen, folglich von meinem Wagen nicht sehr weit entfernt seyn konnte, so rief ich einigemale meinen Fuhrmann beym Namen, es kam mir vor, als wenn er antwortete (welches wahrscheinlich ein Echo war); ich nahm daher die ohngefähre Richtung zu diesem Laute hin und verfiel in meine alte Unbekümmerniß. Eine Zeitlang hatte ich mich durch die Gebüsche fortgewunden, als es mich doch etwas befremdete, noch nicht wieder auf der Straße zu seyn. Ich stand still und horchte – wie groß war meine Freude, wie ich ganz deutlich meine Bedienten mit dem Fuhrmann reden hörte, ich drängte mich nun noch vergnügt zwischen einem großen Busch hindurch und glaubte itzt neben dem Wagen zu stehen.«

»Mein Schrecken war unbeschreiblich, als ich mich, statt an der Straße, an einem Waldbache befand. Sein Rauschen hatte mich in meiner Betäubung getäuscht. Um wieviel höher mußte das unglaublich ängstliche Gefühl, sich verirrt zu haben, bey dem Gedanken noch steigen, in einem fremden Lande, in einem berüchtigten Walde, und wahrscheinlich in einer so großen Entfernung von ehrlichen Leuten zu seyn. Wie sehr reuete mich nun meine Eile! Ich fluchte auf meinen Fuhrmann, auf mich selbst, auf alles. Indem fuhr etwas aus einem nahen Gebüsch auf mich zu. Es war ein kleines italiänisches Windspiel. Unterdessen ich darauf zugieng, lief es den Bach entlang, und zeigte mir einen schmalen, darüber hinführenden Steg, da es sich aber darauf immer umsah, mich nicht aus den Augen zu verlieren, glitschte es ins Wasser, der Strom ward bald Herr darüber und riß es ungestüm fort, ich kehrte hierauf um, und gieng neben ihm her, bis ich es an einer seichten Stelle erhaschte, und mit ihm vollends hinübersprang. Da ich es auf die Erde setzte, lief es bellend vor mir über einen Rasen hinweg, der sich in ein umzäuntes Wäldchen zu endigen schien. Hierin bemerkte ich bald eine Oefnung, und da ich fand, daß es der Eingang in eine völlig finstere Laube war, durch welche der Ausgang hervorschimmerte, trat ich sorglos hinein. Aber kaum war ich darin einige Schritte fortgegangen, so schlang sich ein Arm um meinen Hals und zog mich nieder. Ein Mund hieng sich hierauf an meine Wange und küßte sie heftig. Die Hand, die auf der andern lag und meinen Kopf zu den Lippen hindrückte, glitschte durch meine Bewegungen etwas herab, und fiel auf das Epaulet an meiner Uniform.«

»Im Augenblick sprang das Wesen von mir mit einem Angstschrey auf, sank aber sogleich wieder zurück. Eine sonderbarere Lage kann man sich unmöglich denken, als die meinige war. Ich war nicht mit Gefahren unbekannt und hatte sie mit Ruhe gesehen, nie hatten mir alle Schrecken des Krieges einen einzigen Schauder, ein einziges Herzklopfen abgewonnen; aber hier, wo ich gar keine Gefahr sah, wo ich noch Herr meines Degens war, wo ich höchst wahrscheinlich vermuthen konnte, daß ich ein weibliches Geschöpf vor mir hatte, fieng ich an heftig zu zittern, meine Kniee wankten, und anstatt meinen Gegner zu halten, hielt ich mich an ihm. Mein Herz wollte zerspringen, ich konnte nicht mehr stehen, ich fiel unwillkührlich vor ihm auf die Kniee. Da ich ihm meine Arme um den Leib schlug, merkte ich, daß es ein Weib war. Sie zitterte, aber nicht so heftig als ich; mein Kopf sank auf eine von ihren Händen, die herunterhieng, ich fieng an zu weinen, meine Sinne erloschen, ich lag in der heftigsten Todesangst, ich glaubte zu sterben.«

»Um Gotteswillen, Sennor, wer sind Sie?« hub sie endlich auf spanisch an. – Hier kamen meine Sinne wieder, ich stand auf. Die eine Hand, welche zu ihrem Knie herabgesunken war, schlang sich wieder fester um ihren Leib. Kaum dem Augenblicke des höchsten Schreckens entronnen, fühlte ich mein Herz von einer heftigen Leidenschaft gedrückt, die Zunge stockte, der Gaum war trocken, kaum konnte ich die Worte hervorstammeln: »Ein Mann von Ehre, Sennora, und – Ihr Freund.« – Ihre Stimme bebte mir so melodisch entgegen, die Dunkelheit der Laube hatte sich zu einer mondlichten Düsterheit aufgehellt, ich sah den zarten Umriß einer himmlischen Gestalt auf eine grüne Rasenbank hingegossen; ohne ihr Gesicht zu erkennen, nahm ich tausend göttliche Züge wahr, ihr Herz klopfte unter meiner verwegenen Hand; wie konnte ich mir es erwehren, diese Zauberin halbsinnlos an meinen Busen zu drücken.«

Indem schien es zu blitzen. Eine plötzliche Helle erfüllte die Laube. Es flimmerte mir vor den Augen, dann sank vor ihnen wieder ein grauer Schleyer herab, eine eiskalte Hand gleitete mir den Rücken hinab; kaum vermochte ich den erstarrten Nacken zu drehen. – Vier scheusliche Figuren standen hinter mir, jede mit einer Fackel in der Hand. Als ich aufsprang, um nach dem Degen zu greifen, stürzte eine fünfte, die ich noch nicht bemerkt hatte, aus der Laubwand hervor, auf mich zu, faßte meine Hände von hinten, und in einem Augenblick waren sie zusammengebunden. Man stieß mich fort, man drängte mich aus der Laube in einen Gang des Gartens. Der so schnelle Uebergang von einem Taumel zum andern, das Ueberraschende und Grausende in den Umständen – alles übertäubte mich. Es war einer von den Augenblicken, in denen man vor Uebermaß der Empfindung gar nichts empfindet. Aus dem Reiche einer schönen Wirklichkeit war ich plötzlich in ein dunkeles Land vorbeyschwirrender Träume versetzt, meine Sinne schlummerten ein, mein Herz schlug immer langsamer und langsamer, und schien endlich gar stille zu stehen. Als ich endlich mein Bewußtseyn soweit wieder erhielt, um die Augen aufzuschlagen, – welch neues Entsetzen! Auf beyden Seiten schritten zweye jener Gestalten neben mir her, dicht von oben bis unten in weissen Tüchern verhüllt. Durch eine kleine Oefnung, die am Rumpf ein großer niedergeschlagener Huth ließ, blickte ein so widernatürlich verzerrtes Gesicht hervor, daß ich sie bis diese Stunde noch für Masken halte, so wenig ich auch begreifen kann, warum sie hier maskirt erschienen. Denn ein solches kreideweisses Vorgebirge von Kinn, eine so gräßlich fletschende Eröfnung des Mundes, von einer krummen bluthrothen Nase beschattet, habe ich niemals gesehen. Zitternd redete ich diese Ungeheuer spanisch an; aber man antwortete mir nicht.«

»Nach einer Weile fühlte ich Muth genug, mich nach meiner Gefährtin umzusehen, welche ich nicht weit hinter mir ängstlich schluchzen hörte. Sie war weiß gekleidet; unverschleyert war ihr todtenbleiches, von dunkelen Haaren halbbedecktes Gesicht auf den offenen verstörten Busen niedergesunken, der sich mit langen Zügen auszudehnen schien, um es ganz in sich aufzunehmen. Man führte sie, man redete ihr zu, ein Fieberschauer, der sichtbar unter ihren Gewändern hinlief, ein leises im Busentuche halbverstecktes Aechzen war die ganze Antwort. Man riß mich hierauf schneller fort, ich hörte nur in der Ferne noch ein leises Gemurmel, indem ich den Namen Franziska sehr deutlich unterschied. – Aber was fehlt Ihnen, Marquis? Sind Sie nicht wohl?« –

»Nichts, lieber S**, fahren Sie nur fort. Die Geschichte ist schauderhaft. Der Name fiel mir auf. Fahren Sie nur fort, bester Graf!«

Der Graf sah mich einen Augenblick lang mit einer bedenklichen, unbefriedigten Miene an; dann fuhr er fort:

»Der allmählich erbleichende Mond und die Dämmerung des anbrechenden Tages ließen mich wahrnehmen, daß unser Weg auf ein altes Gebäude zuführte, welches halb im Gebüsch versteckt, sich feenhaft aus dem gelbgrauen Morgendufte hervorhob. An dem Fuße eines kleinen Hügels gelehnt, welcher kahl über das Buschwerk hinausragte, halbzertrümmert, mit Spalten und zerrissenen Fenstern schien es eigentlich jener Höhe anzugehören und nur langsam von ihr in dies öde Thal herabgesunken zu seyn. Auch die Thür war zur Hälfte mit Erde bedeckt und einige verwitterte Tritte ragten aus einem schwarzen Dunkel hervor, das mir einen beklemmenden Leichenduft entgegendampfte. Ich nahm in diesem Augenblick von allen Lebendigen Abschied; ein großes, tiefes Grab streckte nach mir seine Arme aus, eine strenge Nothwendigkeit zwang mich unverschuldet hinein; ich verlohr itzt selbst das Bild des Mädchens hinter mir, nur meine Beklemmung fühlte ich, und die tiefe Erstarrung meiner Seele schloß sich allmählich zu einem wehmüthigen Entsetzen auf. Man riß endlich eine Thür auf; man stieß mich hinein; krachend schloß sie sich wieder. Darauf flog neben mir eine andere auf und zu. Ein leises Aechzen tönte dumpf in einem weiten Gewölbe. Es war Franziskas Stimme.«

»Seltsam war es, daß sie mir nicht den Degen genommen hatten. Itzt dachte ich daran. Das Mädchen war in der Nähe; vielleicht konnte sie mir die Hände loßbinden; ich war stark, meine Wächter unbewafnet. Als ich in dieser Absicht einige Schritte auf sie zugegangen war, fand ich ein eisernes Gitter zwischen uns, welches das ganze Gewölbe hindurch sich zu erstrecken schien. Ich redete sie an, ich bat sie zu versuchen, ob es möglich sey, eine Hand zwischen die Stäbe zu bringen; aber alle Oefnungen waren zu klein. Endlich entdeckte sie eine größere; gerade eine Hand konnte hindurch. Ich stellte mich seitwärts, daß sie meinen Degen herausziehen und damit die Stricke zerschneiden sollte. Da ihr aber die Scheide etwas zu fest hielt, so zog sie so heftig, daß er endlich herausfuhr und ihr die Hand an dem einen Ende des zerbrochenen Eisens verwundete.«

»Aber in diesem Momente erblickte ich unsere Wächter auch wieder in der Thüre. Sie winkten mir, ich konnte nicht anders als folgen. Franziska kam aus der anderen heraus, man nahm uns beyde in die Mitte, und es eröfnete sich vor uns ein langer Gang, der sich in eine tiefe Düsterheit des Hintergrundes verlohr.«

»Itzt hatte ich Zeit, beym Scheine der Fackeln meine Gefährtin zu sehen – ach! bester G*, kein Augenblick meines Lebens hat einen einzigen Zug dieses Bildes zerstört, das ich in seiner Fülle so ganz verschlang. Ich kannte gar kein Weib, ehe ich dieses sah. Niemals hatte vorher eine Ader in mir geschlagen, nie eine Empfindung mich beglückt, nie ein Gedanke in mir gelebt. Dies kühnste und vollendetste Werk der Natur schien in einem einzigen Athemzuge eine neue Welt in mein Herz zu legen.«

»Freylich war sie schön, aber so schuldlos ihr Blick, so himmlisch sanft ihr Mund. Ich würde die Sprache verschwören, wenn ein gewagtes Wort eine dieser Mienen zu fassen vermeynte. Es war eine Lilie, über die Nachbarschaft einer Rose erröthend, eine Unschuld über das Geständniß einer qualenvollen Liebe sanft in sich selbst verlohren, eine thränenschwere Ergebung im schwimmenden Auge, ein freundlich verhaltener Schmerz im Krampfe des zuckenden Mundes und in der schauerlich gesenkten Stirne. Ihr Blick war schwärmerisch auf einen Gegenstand einer unbekannten Ferne geheftet, und wenn er einmal wieder voll Erbarmen auf mich fiel, schien er aus einem Himmel niederzusteigen, um vor seinem Erlöschen noch einen Sünder zu trösten.

»Ich redete sie endlich französisch an, und sie antwortete mir. Der Gang wurde so enge, daß nur zweye neben einander fortkommen konnten. Unsere beyden Führer mußten mit ihren Fackeln vorangehen, und da sie über etwas heftig zu streiten anfiengen, gab sie mir über diese schreckliche Begebenheit einige noch schrecklichere Aufschlüsse; aber bald bemerkte man unser Gespräch, wir wurden auseinander gerissen, einer zog meinen halbentblößten Degen vollends hervor und besah das Portepee daran sehr aufmerksam. Diesen Umstand beschloß ich zu meiner Rettung zu nützen.«

»Ohngefähr einige hundert Schritte mochten zurückgelegt seyn, als sich das Ende des Ganges in eine geräumige Höhle erweiterte. Als wenn sie mit Krystallen ausgelegt wäre, brach sich hier der Glanz der Fackeln an den Wänden tausendfarbig umher, ein sanfter Schimmer hatte den ganzen Raum angefüllt, und gleich einer Verklärten, drängte sich Franziska mir wieder zur Seite. Aber alle diese Pracht war nur Vorbereitung zu einem noch glänzenderen Schauspiel. Die Höhle verengte sich wieder zu einem Eingange in ein anderes Gewölbe mit verdoppeltem Glanze. Zwey große starkbesetzte Kronleuchter senkten sich aus der Mitte in einen dicken magischen Dunst herab, welcher die Gegenstände nur auf einige Schritte weit erkennbar ließ. So wie wir tiefer hineingeführt wurden, bemerkte ich an den Seitenwänden eine Menge von Spiegeln angebracht, welche auf einem schwarzen Tuchgrunde hiengen. Vor uns war eine Erhöhung, mit einigen Sitzen an beyden Seiten, welche sämmtlich mit Personen angefüllt schienen. Unter den Leuchtern selbst standen endlich zwey Stühle, beynahe am Rande eines geräumigen, in der Mitte befindlichen Loches. Meine erste Bewegung war auf diese bedeutungsvolle Oefnung gerichtet; ein schneidender Zugwind stieg aus ihr herauf, und es kam mir vor, in der Tiefe ein leises Geflüster zu hören. Nur später erst sah ich die vor mir befindliche Gesellschaft an. Den obersten Sitz nahm eine ungeheuer plumpe Gestalt ein; ihr zur Rechten saßen vier Weiber, und fünf Männer zur Linken. Am nächsten war mir von jenen ein Mädchen von auffallender Schönheit, ob es gleich nur noch Ueberreste eines vormaligen Reizes zu seyn schienen, der den heftigsten Anfällen von Gram und Wuth hatte erliegen müssen. Ein verhaltenes Feuer glimmte in ihren sterbenden Augen, und ihr Busen kochte in einer Erhitzung, welche ihre Züge bald blutroth färbte, bald zur schauderhaftesten Leichenblässe verzehrte. Ein geheimes Grauen hatte die ganze Versammlung umfangen, jeder Athemzug blieb bey unserem Eintritte aus, und das Blut hörte in jeder Ader, eine schreckliche Pause hindurch, auf zu fließen.

Endlich kniete das junge Mädchen vor jenem Ungeheuer nieder. Der Zorn schien ihr nun auf einmal tausend Arme, tausend Stimmen gegeben zu haben, und in unerhörter Raserey schrie die innere Zerrüttung laut aus ihr. Sie klagte das Mädchen und mich an, sie nannte mich den Liebhaber desselben, sie drang auf unserer beyder Ermordung. Indessen hieng Franziska nur noch an ihrem Sitze; das Leben hatte sie eine Zeitlang verlassen, um nun auf einmal mit verdoppelter Wärme wiederzukehren; todtenbleich aber gefaßt stand sie auf, sie ergab sich ruhig in ihr Schicksal, mich nur vertheidigte sie; sie schwur, niemals habe sie mich vor dieser Stunde gesehen. Ihr Muth, ihre mehr als irrdische, mehr als menschliche Ruhe, die Fassung ihrer schon entkörperten Seele hätte einen Sterbenden wieder zu begeistern vermocht, in mir hatten sie eine Flamme entzündet, welche in Verwünschungen ausbrach; ich berief mich auf mein Portepee, sagte Stand und Namen, schwur ihnen, mein Tod würde gewiß nicht ungerächt, ihre Verbindung dann gewiß nicht unentdeckt bleiben. Mein wiederkommender Trotz, die Wärme meiner Beredsamkeit, und ach! – was mich um die Ruhe meines ganzen Lebens gebracht hat – daß ich das Mädchen vergaß und nur für mich und mein Leben sprach, schien auf die Versammlung Eindruck zu machen. Aber wie ich nun ausgeredet hatte, und die alte Todtenstille erwartungsvoll wieder kam, warf ich einen Blick auf meine Nachbarin hin. Auch sie blickte mich an. O Gott! es war gut, daß ich in diesem Momente nicht starb. Auch in einem anderen Leben hätte dies Auge mich wieder erwartet, durch die Ewigkeit hätte es mich nicht verlassen. Es war der Blick einer Engelsgröße, mit stiller, beklommener Verachtung meiner Feigheit vermischt. Alle zärtliche Wehmuth floß in das kalte Starren einer Gipsbüste zusammen. Ein erlöschender Funke schien noch zuletzt auf seiner Oberfläche zu schwanken, alle die Gefühle zurückzufodern, um welche ich sie vorher so unwerth betrog. Dies machte mich rasend; aber anstatt mich in das Loch neben mir zu stürzen, das mir seine freundschaftlichen Arme so gütig eröfnete, tobte ich, gleich einem Kinde, sträubte mich in unzersprengbaren Banden, und sank dann ohnmächtig und weinend auf meinen Sessel zurück.«

»Man berathschlagte sich hierauf über uns in einer mir unbekannten Sprache. Unsere Anklägerin schrie oft heulend dazwischen, und nur mit Mühe ward sie beruhigt. Nach einem tiefen, darauf folgenden Schweigen trat sie endlich auf mich zu; kaum sich einer Ohnmacht erwehrend, frug sie mich mit zitternder Stimme, ob ich lieber sterben oder schwören wollte, niemals von dem etwas zu sagen, was mir Franziska entdeckt haben könnte, und in einem vollen Jahre überhaupt nicht davon zu sprechen. Man brachte eine Bibel, und ich Elender! schwur. Man warnte mich, ein Versprechen zu halten, dessen Verletzung ich sonst, auch im Innersten der Erde versteckt, würde mit dem Leben bezahlen müssen.«

»Kaum hatte ich mich athemloß und ohne alles Bewußtseyn wieder niedergesetzt, als sich einer von den hinter uns stehenden Wächtern entfernte. Die Thür schloß sich mit einem entsetzlichen Krachen, die Lichter erlöschten. die Versammlung verschwand, ich befand mich in der schrecklichen Todtenstille der Gräber. Nur mir zur Linken seufzte Franziska. Kurz darauf ward sie von ihrem Stuhle gerissen, und in das Loch neben mir hinabgestürzt. Ich hörte sie wie von Stufe zu Stufe fallen. Ein entsetzliches Geschrey tönte herauf. Das dumpfe Gebrüll eines quaalenvollen Todes, durch ein gräßliches Wimmern der Verzuckung und das Aneinanderschlagen klingender Eisen gebrochen. In diesem Augenblick verlohr ich die Sinne.« –

Aber das war auch das letzte, was ich aus dem Munde des Grafen hörte. Ohne Bewußtseyn stürzte ich vom Stuhl ins Kamin. Der Graf rief um Hülfe; kaum ward ich gerettet.

Als ich wieder zu mir selbst kam, lag ich halbausgezogen auf meinem Bette. Meine Bedienten standen um mich her. Der Graf saß in einer dumpfen Betäubung neben mir und stüzte sich den Kopf mit der Hand. Nachdem ich wieder den ersten Laut von mir gegeben hatte, sprang er auf und knieete vor meinem Bette nieder.

»Welch schreckliches Geheimniß!« rief er aus. Dann richtete er die Augen wieder starr zu mir empor, und schrie: »Um Gotteswillen, wer sind Sie?« – Die Reihe war nunmehr an mir, gefaßt zu seyn. Ich nahm ihn freundlich bey der Hand, aber er riß sich loß und stürzte zum Zimmer hinaus. Seine Bedienten gingen ihm nach, ich hörte ihn ein Pferd aus dem Stalle ziehen, und zum Schloßthor hinausjagen.

Eben wollte der Morgen anbrechen, und da ich ganz von Erschöpfung wie aufgelößt war, wünschte ich noch etwas zu schlafen. Ich schickte die Bedienten hinaus, ich schloß die Augen, aber wie hätte ich schlummern können. Ach! Franziska, ich hörte dein klägliches Wimmern, dein Angstgeschrey hielt mich noch in quaalvoller Betäubung; tausend verworrene Gestalten dämmerten in meiner Seele allgemach auf, drängten einander fort, und immer blieb sie mir übrig in ihrer rührenden Verklärung. Auf einmal fuhr ich wieder zusammen, ich sah sie an meiner Seite in ihr Grab sinken; »ja,« rief ich aus, »Franziska du bist es,« träumend streckte ich die Arme nach ihr aus. – – –

Eine eiskalte Hand berührte die meinige. Entsetzt zog ich mich krampfhaft zurück. Ich hatte die Lichter hinaustragen lassen und doch war es blendend hell um mich her. Ein leises Wallen verkündigte mir die Annäherung eines Wesens höherer Art. Es war Amanuel.

»Was willst du von mir,« rief ich ihm entgegen. »Auch hieher verfolgst du mich?«

»Zwey Jahre sinds,« sprach er mit huldvollem Ernst, »seit Du mich nicht gesehen hast. Aber ich habe dich nicht eine Stunde verlassen. Hüte dich, Karlos, daß ich dir nicht noch einmal erscheinen muß. Allenthalben bist du von Lauschern umringt. Ich warne dich, Karlos!«

Hier verschwand er. Der Schimmer erlosch; kein leises Wehen und Wallen mehr. Alles war wieder im Gleichgewicht. Athemlos sank ich auf mein Kissen zurück.

Der Graf blieb zwey Tage aus; niemand hatte ihn gesehen. Am dritten kam er, und ganz verstört. Ich gieng eben im Garten umher, um meine erstorbenen Lebensgeister wieder im Dufte junger Blumen aufzufrischen, und als ich aus einem Seitenweg in die Hauptallee einbog, stand er vor mir, sank mir sprachlos an die Brust, riß sich dann wieder los und führte mich zu einer nahen Rasenbank hin. Hier stürzte er zu meinen Füßen, zog ein versiegeltes Packet aus dem Busen und legte es mir in die Hand. Nachdem er mich tausendmal umarmt und mein Gesicht ganz mit Trähnen benetzt hatte, wand er sich aus meinen Armen los und gieng die Allee hinab.

Zitternd besah ich die Aufschrift dieses geheimnißvollen Packetes. Es war an mich gerichtet, doppelt versiegelt und mit einem Bindfaden mehrmals umwunden. Die Knoten waren so fest, daß es unmöglich war sie aufzuknüpfen, ich grif daher nach der Scheere in meinem Etuis, ich hatte die Kapsel, aber die Scheere war heraus; ich mußte sie irgendwo haben liegen lassen. Es war weder möglich, die Fäden zu entwirren, noch den Brief, ohne ihn ganz zu zerreißen, zwischen ihnen hervorzuziehen.

Nachdem ich mich eine Weile gemartert hatte, entschloß ich mich zu dem klügsten Mittel, damit ins Schloß zurückzugehen. Indem kam einer meiner Bedienten, um mich zu rufen. Es waren Fremde aus der Nachbarschaft gekommen, welche den Grafen besuchen wollten; der Graf aber war nirgends zu finden und ich mußte mich entschließen sie anzunehmen. Es wurde gesprochen, gespeißt; immer nur sah ich meinen Brief. Man setzte sich zum Spiel; jede Karte hatte Aehnlichkeit mit ihm. Man fieng endlich gar an zu tanzen; unaufhörlich wollte ich hinaus, aber eben so unaufhörlich hatte man lange Fragen für mich, und noch längere Antworten. Wie sie nun endlich giengen, und ich ihnen tausendmal eine gute Nacht hinterhergerufen hatte, wie ich nun voll Aengstlichkeit auf mein Zimmer eilte, in die Tasche griff – wer beschreibt meinen Schreck, als ich sie leer fand; der Brief war heraus und, trotz allen Nachsuchungen im ganzen Hause nirgends zu finden.

Ganz überfüllt mit den Gedanken, welche die ganze Reihe dieser Begebenheiten zu einem traurigen Bande machten, eine ängstliche Zukunft mit einer schon halbverschmerzten Vergangenheit zu verknüpfen, legte ich mich nieder. Aber der Schmerz, eine geträumte Ruhe scheitern und mich wieder in den verabscheueten Banden eines Geistes zu sehen, von dem ich schon mehrmals gemißhandelt war; die Abendtheuer des Grafen, ihr bedeutender, wahrscheinlicher Zusammenhang mit den Begebenheiten meines Lebens, die Gleichheit des Ortes, die Aehnlichkeit der Personen, Amanuels Worte – alles strömte zu einem grausenden Gemälde zusammen, das mich auch nicht eine augenblickliche Ruhe vergönnte. Ganz ausser mich von bangen Ahndungen und einer erschöpften Betäubung gesetzt, ward mir das Bette zu enge, ich sprang auf, gieng an das Fenster und stieß es auf. Es war eine schöne Maynacht, eine tiefe, athemlose Stille in jeder Bewegung der Natur. Die Aufsicht gieng gerade auf die Rasenbank zu, auf welcher ich den verlohrenen Brief des Grafen empfangen hatte. In dem Augenblicke bemerkte ich etwas auf derselben Stelle sitzend. Der Mond schien hell und voll. Ich konnte mich nicht betrügen. Es war in ein weisses Gewand vermummt; für den Grafen war es zu klein, für den Gärtner zu groß. Vielleicht lag in ihm der Aufschluß des Räthsels.

Ich warf meinen Ueberrock um, schloß leise die Gartenthür auf und zu, nahm einen kleinen Umweg durch das Gebüsch, das mit der Rasenbank zusammenhing und gieng herzhaft darauf zu. Auf der Mitte des Weges bemerkte ich, daß ich meinen Degen vergessen hatte, und völlig unbewafnet war, etwas sehr niederschlagendes für meinen Muth. Hierzu kam noch, daß die Umstände mich noch weit ängstlicher machten. Alles war dem Abendtheuer des Grafen so ähnlich. Alle Nebenumstände waren gleichsam nur wiederholt. Vor einem Jahre ward eine eben so bedenkliche Szene von demselben Monde beleuchtet. Das junge Laub beugte sich eben so halbdurchsichtig in das Dunkel herab und schien von geheimen Schrecken zu beben; ein zarter Luftstrom schauerte bey mir balsamisch vorbey, alles athmete einen Geist gespannter Erwartung, und die Schatten glichen schwärmenden Elfen, welche, um den Erfolg zu erwarten, auf Blumen verweilten. Mein Muth war nicht nur weg, ich fieng sogar an zu zittern. Oft wollte ich umkehren; aber ich ward Herr über mich. Wenigstens von fern und versteckt, nahm ich mir vor, die Gestalt zu belauschen.

Als ich mich durch das Strauchwerk bis auf einige Schritte von der Rasenbank hindurch gewunden hatte, wie erstaunte ich, statt einer drey weisse ganz verhüllte Personen zu sehen; von Zeit zu Zeit vermehrte sich diese Gesellschaft, ich hatte schon bis achte gezählt, als eine mir bekannte Gestalt in gewöhnlicher Kleidung unter sie trat. Es war der Graf. Hier fiengen meine Haare an sich zu sträuben, voll der erschrecklichsten Angst schien ich ganz Auge zu werden, um die Szene zu fassen. Kein Laut ließ sich hören. Man riß seinen Degen aus der Scheide und gab ihm den Griff in die Hand. Hierauf sah ich ganz deutlich, wie eine von den Gestalten einen langen, weissen Finger hervorstralte, ihn berührte – und der Graf fiel todt zur Erde.

Ich stieß einen lauten Schrey aus, die Gestalten zerflossen, ich stand allein. War es ein Traum? – die ganze Schöpfung um mich her schien in einer so tiefen Erstarrung zu liegen, daß nichts da war, mich aus der meinen zu reissen. Kein Lüftchen regte sich mehr; kein Blatt zitterte. Der Mond selbst hatte nicht eine vorüberziehende Wolke. Ein fernes Geprassel ließ sich hören; ich drängte mich auf die Rasenbank zu, der Graf lag noch immer zu ihren Füssen. Er war nicht blutig, er war nur kalt und starr. Ach! wie unaussprechlich theuer war er mir damals; ich zog ihn zu mir herauf, nahm ihn in meine Arme, keine Liebkosung wurde gespart, ihn wieder zum Leben zu bringen, keine Zärtlichkeit, ihn wieder zu erwärmen; der ganze Athem meines Lebens war auf meinen Lippen zusammengeflossen, um sich unter meinen Küssen ihm mitzutheilen. Sein Gesicht war entsetzlich verzerrt. Diese schönen holden Mienen, welche ehedem jugendliche Anmuth und freundliche Milde belebte, hatte eine kalte Erstarrung in schreckliche Falten gedrückt, Schrecken hatte den Mund niedergebogen, und ein tiefer Schauer zuckte in den Augenliedern und im Krampfe der Stirne. Die rechte Hand hatte das Degengefäß so fest gefaßt, daß es unmöglich war, es ihm heraus zu winden.

Bald fieng er an sich zu regen. Er schlug die dunkelen Augen schreckhaft auf; starr sah er mich an, als ob er mich nicht mehr kannte, dann schloß er sie wieder und stieß einen Schrey aus. Er schien sich nur mit Mühe zu sammeln. Aber, wer beschreibt den hierauf folgenden Uebergang und den Wechsel der Leidenschaften auf seinem Gesichte? – die Todtenblässe entflammte sich plötzlich, der Mund fieng schauderhaft zu beben an, die Augenbraunen traten zusammen und in der rothen Gluth der Wangen funkelten ein paar wüthig blitzende Augen. Ich hatte meinen Muth wieder erhalten, ich lehnte mich zärtlich an seinen Busen, ich ergriff mit der Linken die Hand, worin er den Degen hielt; mit der Rechten drückte ich ihn an mich. Er wollte sich von mir gewaltsam loß machen; aber die Kräfte versagten ihm, er sank in meine Arme zurück. Die Stirn heiterte sich zu der zärtlichsten Wehmuth auf, das dumpfe Feuer seiner Augen erlosch traurig in einer Trähnenfluth, er fieng laut an zu schluchzen.

»Bester, liebster Graf,« fieng ich an, »erholen Sie sich.« –

Er rückte etwas von mir weg, er riß sich aus meinen Armen. – »Um Gotteswillen, Karlos, gehen Sie fort, gehen Sie gleich fort. Hüten Sie sich doch! Sehen Sie denn kein Blut an mir?« –

– »Was sehen Sie für Gespenster, Graf! Ermannen Sie sich. Ich bin ja Ihr Freund. Karlos ist ja bey Ihnen.« –

Er ließ den Kopf auf die Brust sinken. Die linke Hand machte eine krampfhafte Bewegung, als wollte er von der Stirn eine Fliege verscheuchen: »Ja wohl, Karlos, sagen Sie: Er war mein Freund. Er hat es zu seyn aufgehört. »Itzt hasse ich ihn.«

Hier fuhr er wütend in die Höhe, doch sank er bald matt wieder hin: »Gehen Sie, lieber Marquis,« rief er dann, »hören Sie wohl, eilen Sie. Es ist nicht sicher hier. Hüten Sie sich vor meiner Hand, vor meiner rechten besonders. Rufen Sie meine Bedienten zusammen! Wehren Sie sich!« – dies letztere sprach er mit einer außerordentlichen Heftigkeit aus.

»Ja wohl, lieber Graf, will ich Ihre Bedienten zusammenrufen, aber nicht meinetwegen, sondern um Ihretwillen.« –

Ich wollte aufstehen, aber er ergriff mich beym Rockschoß und zog mich wieder zurück.

»Hören Sie, Marquis, ich will Ihnen ein entsetzliches Geheimniß vertrauen, ach, ein Geheimniß, das mich noch um meine Sinne bringt.«

»Wo könnten Sie es besser niederlegen, Graf, als hier in diesem zärtlichen Busen, der ganz Ihnen gehört. Erholen Sie sich nur. Alles, alles wird sich ja aufklären.« –

»Aber, werden Sie es erwarten.« Seyn Sie mir nur nicht böse, lieber Karlos. Ich kann nicht anders. Ich soll ja, ich muß.« – Hier sträubten sich seine Haare sichtbar in die Höhe, eine gräßliche Wuth trat in seine Mienen, er nahm mich heftig beym Arm: »hören Sie denn, hören Sie!« – Er nahte sich mir, und schrie mir ins Ohr: »Ich soll Sie ermorden.« –

»Graf – – – «

»Ja bey dem allmächtigen Gott, und itzt, itzt gleich.« – Er stürzte auf mich rasend zu.

Aber halbsinnlos bog ich mich zur Seite, der Degen fuhr in die Rasenbank, wir rangen, der Graf fiel zu meinen Füßen. Er ließ den Degen los, umfaßte mich mit beyden Armen. – »Ach, Karlos,« rief er aus, »kannst du es glauben, du mein einziger Freund. Sieh! ich habe keine Sinne mehr. Ein Gespenst ist allenthalben um mir. Warum willst du nicht mit mir sterben?« –

Er sah mich mit seinen großen Augen wehmüthig an. Ich war so erstarrt, daß ich nicht reden konnte.

»Und du antwortest mir nicht? Reich mir deine Brust her. Ein einziger Stoß vermählt uns auf ewig zusammen. Sey barmherzig Karlos!«

Ich neigte mich zu ihm herab, und legte mein Gesicht an seine Stirn.

»Du warst ja sonst nicht gegen mich grausam. Es ist ja noch meine einzige Freude auf Erden. Du sagst, Karlos, ich soll mich ermannen; ermanne Du dich nur; denn beym ewigen Himmel (hier sprang er auf,) wir müssen beyde in diesem Augenblick sterben.«

Er suchte seinen Degen, ich hatte ihn hinter die Rasenbank fallen lassen.

»So? das thust du mir, Marquis? Mir, dem du dein Herz tausendmal zugeschworen hast? Auch meinen Degen hast du mir genommen. »Nichts hast du mir mehr gelassen.« Er warf sich an meine Brust. »Gieb mir ihn wieder, Karlos!«

– »Danken Sie mir, Graf, daß er nicht mehr da ist. Ihre Sinne sind verwirrt. Sie hätten es nachher bereuen können.«

»Meine Sinne verwirrt, sagen Sie! Gott vergebe Ihnen diese Lüge. – Nein ich weiß wohl, was ich thue, wo ich bin, und was ich vorhabe. Freilich drückt uns ein schrecklich Geheimnis aus einander. Aber – bist du nicht Karlos?« –

»Ihr Karlos, Graf, Ihr bester Freund!« –

»Nun siehst du wohl, daß ich nicht schwärme? – du bist mein Freund, der mir es tausendmal versichert hat, mit mir auch sterben zu wollen, der es auch gern itzt noch wollte, wenn es mich ruhiger machte? – Nicht wahr?«

»Ach, gern, gern lieber Graf, – wenn es Sie ruhiger machte.«

»Nun denn, hören Sie, Marquis. Man hat mir einen schrecklichen, schrecklichen Eid abgenommen; man hat mich zwey Tage eingesperrt, man hat mich gezwungen, ich habe geschworen; o! ich habe wohl meine Sinnen noch – und – nachdem ich geschworen hatte, kam ein weisser Geist den ich schon einmal sah, und – – «

Während dem hatte er seinen Degen hinter der Rasenbank wahrgenommen, leise vorgeholt, und stieß nach mir. Aber ein Wesen drängte sich zwischen uns, und der Graf sank zur Erde nieder.

Er war nicht mehr da, als ich mich wieder besann. Es war heller Morgen. Die Sonne war eben aufgegangen und leuchtete mir gerade ins Gesicht. Alle Bäume um mich her waren von Gesang belebt, die Bilder der vergangenen Nacht dämmerten nur noch schattenmäßig vor mir vorüber, sie alle waren vergüldet und schreckten nicht mehr. Die erkrankten Gefühle schmolzen in einen entzückenden Strom heiterer Ideen zusammen, und kaum vermißte ich meinen Freund. Langsam und ungern wand ich mich aus meiner Erschlaffung los, und die Sinne ließen sich aus einer so süßen Mattigkeit nur schwer wieder erwecken.

Im ganzen Schlosse schlummerte noch alles, wie ich zurückkam. Ich gieng sogleich auf das Schlafzimmer des Grafen zu; aber es war so leer als vorher. Ich weckte seine Bediente, keiner hatte ihn gesehen. Der Tag vergieng mir in höchster Unruhe; er kam nicht. Es verflossen mehrere Wochen, und er hatte sich noch nicht wieder sehen lassen. Endlich nach zwey Monaten, an einem schönen Morgen eröfnete sich in ungewohnter Frühe die Thür meines Zimmers und der Graf trat herein. Er sah sehr munter aus, und sein Gesicht hatte die frische Farbe einer frölichen Jugend, sein Auge den alten Glanz wieder gewonnen; eine sanfte Freundlichkeit spielte um seinen schönen Mund, er sah mich heiter an, und brach in ein Lächeln aus. »Habe ich Sie überrascht, lieber G*? Nun, ich habe Sie auch lange genug nicht gesehen?« Er umarmte mich hierauf mit seiner gewöhnlichen Wärme, warf sich in einen Stuhl, foderte ein Frühstück, und aß mit einer außerordentlichen Ruhe. Ich sah diesem allen in dem Zustande einer wahren Versteinerung zu, brach kurz ab, und floh in den Garten hinab, um meinen Gedanken Luft zu machen. Der Graf folgte mir bald; wir durchstrichen alle Gänge, sprachen nur von gleichgültigen Dingen, er erzählte mir von künftigen Anstalten, welche er vor hätte, von den Kosten, welche er anwenden wollte; die Rasenbank schien er gar nicht mehr zu kennen, keine Spur eines wiederauflebenden Gedankens.

Der Sommer vergieng uns unter den gewöhnlichen Beschäftigungen und Ergözlichkeiten; mein Freund war ganz wieder so munter, als vordem; ich stimmte mit Vergnügen in seine Scherze. Wir schwärmten lustig in der Nachbarschaft umher, hatten oft Gäste, jagten, tanzten, spielten, und der Plan unserer Zeiteintheilung war zu einer solchen Festigkeit gelangt, daß der herannahende Winter in unseren Lustbarkeiten nur eine geringe Veränderung machen zu können schien.

So wie der Herbst allmählich die Blätter färbte, fanden wir an unserem Kamin einen alten Freund wieder, welcher die Bande unserer Vertraulichkeit enger zusammenzog. Wir verplauderten hier schon wieder halbe Abende allein; ein gleicher Hang schien uns hieher aus dem Rausche der Gesellschaft abzurufen; dieselbe Neugierde zu den Begebenheiten des andern, dieselbe Aufmerksamkeit und Theilnahme, dieselbe Bereitwilligkeit im Erzählen. Es schienen, im Laufe des Lebens unbedeutende Stunden zu seyn, aber es waren die glücklichsten, deren ich mit vollbefriedigter Ruhe genoß. Das herbstliche Rauschen in den Bäumen, das Klirren der Fenster und Knarren der Thüren, schien uns mit heimlichen Schauern uns selbst näher zu bringen.

An einem heiteren, kalten Herbsttage hatten wir es uns auf der Jagd recht sauer und froh werden lassen. Die Abendmahlzeit war bald verzehrt. Wir flohen vergnügt zum Feuer. »Nun Marquis,« sagte der Graf, »Sie fühlen es wohl selbst, daß ich noch gar nicht weiß, wer Sie sind. Nur stückweis kenne ich Sie. Kommen Sie her und erzählen Sie mir einmal etwas Ganzes.«

Ich bin damit sehr wohl zufrieden, liebster S**, wenn Sie es seyn wollen. Lassen Sie aber nur mehr Holz herbey bringen, denn es könnte so lang als langweilig werden.

»Nur ein Stück davon, Marquis, nur ein Stück davon für heute. Aber vom Anfange an. Hören Sie?«

Er foderte mehr Holz und ich fieng an zu erzählen:

»Sie wissen, lieber S**, meine Abstammung von einem alten spanischen Geschlechte, das unter den ersten Christen seine Ahnen, und schon in den frühsten Zeiten der Monarchie seine Helden zählt. Mein Vater war ein Edelmann vom ersten Range und meine Mutter aus einer hohen Familie von großen Reichthümern. Alkantara ist mein Geburtsort.« –

»Alkantara?,« rief der Graf erstaunt aus, »Alkantara? – doch, fahren Sie nur fort.« Er verfiel hierauf in ein tiefes Nachsinnen, aus dem er nur sehr spät in dem Maaße erwachte, an meiner Erzählung einigen Antheil nehmen zu können.

»Die Eigenschaften meiner Mutter besonders hatten sowohl auf meine äußere Bildung, als auf die Art, mir angenehme Talente zu erwerben, auf Erziehung und den Zusammenhang aller meiner Hofnungen mit der Gegenwart einen auffallenden Einfluß. Man sagte mir früh, ihre Schönheit, eine Auszeichnung der ganzen Familie, sey auch ein unausbleibliches Erbtheil derselben. Volle Wangen, ein bedeutender Mund, funkelnde Augen und ein paar regelmäßige Augenbraunen machten auch wirklich meine erste Ausstattung aus. Eine Lebhaftigkeit meiner Handlungen, eine sanfte Schmeicheley der Sprache, eine unveränderlich immer gleiche Stimmung und ein kleiner Trotz, den ich nicht übel anzuwenden verstand, kamen noch dazu, mir Aufmerksamkeit, Nachsicht und Gunst zu verschaffen.«

»Man suchte mir deshalb lange den Genuß dieser holden Jahre zu erhalten. Aber dies war der Weg, ihn um so früher ganz einzubüßen. Die Einsamkeit, welche ich verspielen sollte, benutzten die Schwärmereyen meiner jugendlichen Gefühle zum Tummelplatz, ich faßte in ihr meine Wahrnehmungen fester und wärmer auf, bauete aus ihnen üppigere Träume und mein ganzer Geist schien in den leisen Nebel allmählich zu zerrinnen, der alle nachfolgenden Empfindungen mit sanften Trähnen bethauet. Ach, ich dachte es damals nicht, welche Leiden mir die Stunden vorbereiteten, und wie das Mark meiner Jugendkräfte von den Augenblicken aufgezehrt wurde, in denen die Seele auf heiteren Bildern aus der Gegenwart in die fernste Zukunft hinüberschwamm.«

»Wie ich nun als Jüngling unter die Menschen trat, hatte ich eine Empfindsamkeit und Wärme erhalten, welche besonders unter den Weibern ihres Eindruckes gewiß ist. Man zog mich an sich. Man fand hundert Mängel an mir zu bessern, hundert Liebenswürdigkeiten zu entwickeln. Der Vorwand meiner Bildung war der Vorwand meiner Verführung.«

»Sehr bald erhielt ich eine Empfänglichkeit für die Liebkosungen des anderen Geschlechtes; aber lediglich durch Laune, mehr noch durch Mode geleitet, opferte ich meistentheils nur der Bewundertsten. Ich bildete mich nach gerade in allen Künsten der Galanterie vollkommen aus und hatte bald weniger darüber zu klagen, ohne Gegengunst zu lieben, als durch Ergebungen ohne irgend eine vorausgegangene Auffoderung unabläßig gequält werden. Aber es kam die Stunde, welche einen Jahre langen Muthwillen bestrafte.«

»Elmire, Gräfin von S***, hatte mit einer Verwandtin ihre ersten fünfzehn Jahre auf einem alten Schlosse verlebt, das zu entfernt oder zu versteckt gewesen war, um eines Menschen Aufmerksamkeit und Galanterie, an sich zu locken. Itzt kam sie nach Alkantara, mit allen Reizen der Neuheit ausgerüstet, aber auch mit natürlichen Gaben, welche sie bald über den Glanz, und selbst über die Eifersucht ihrer Mitschwestern erhoben. Mit einer gefälligen Schönheit, einem leichten Witz und einer Munterkeit, welche den ersten Anblick bezauberten, verbarg sie ein glühendes Herz, eine Ewigkeit in der Liebe foderndes Herz, unter einer immer lachenden Hülle. Die Natur schien sie in der besten Laune gebildet zu haben, denn jeder Ausdruck ihrer Empfindungen, die kleinste Bewegung trug das Gepräge des holdesten Frohsinns, eines nie zu ermüdenden Scherzes, und einer schuldlosen Schmeicheley. Sie nahm meine Bewerbungen mit jener lustigen, gefallenden Offenheit an, welche alle Schritte verdoppelt; aber immer auf demselben Standpunkte zurückhält.«

»An einem Abend fand ich sie allein, bey ihrer Laute. Sie saß auf einem Sopha, das Instrument war auf ihren Schooß gesunken, die eine Hand stüzte und bedeckte den Kopf und die andere lag mit einem Schnupftuche neben ihr. Da ich ihr unbemerkt ins Zimmer getreten war, und sie mir halb den Rücken zukehrte, so hörte ich sie leise schluchsen und sah einige Trähnen auf das vor ihr liegende Notenbuch fallen. Ich näherte mich ihr, sie hörte mich nicht. Ich kniete zu ihren Füßen nieder, ergriff die herabhängende Hand, küßte sie, aber sie schien zu einer Bildsäule erstarrt. Endlich schreckte sie auf, und wie sie mich an ihrer Seite erblickte, wollte sie aufspringen, um in ihr Kabinet zu entfliehen. Aber ich hielt sie, wiewohl noch immer schweigend, auf ihrem Platze fest.«

»Ach, Karlos,« rief sie endlich aus, »was haben Sie gesehen? – Aber die Arie war auch so rührend, so unbeschreiblich rührend. Haben Sie sie niemals gehört? Wenn Sie wollen, will ich sie Ihnen vorspielen!«

»Sie suchte hierauf in ihrem Notenbuche umher; aber ich sah es, die rührende Arie war nirgends zu finden. Sie suchte sich wenigstens wieder in eine lustige Laune zu stimmen; aber diese war so wenig hervorzubringen, als jene.«

»Ich ergriff hierauf noch einmal ihre Hand; theuerste Gräfin, setzte ich hinzu, man findet nicht immer, was man gern haben mögte. Ich selbst bin itzt in diesem Fall. Ich war so schwermüthig, so traurig, ich glaubte sie heiter und offen zu finden, aber ich finde nur Trähnen und Verschlossenheit.«

»Verschlossenheit? Karlos! wenn hatte ich denn die?« –

Wenn auch niemals vorher, doch itzt gewiß. Elmire, ich bin nur noch an Jahren jung, in der Liebe habe ich es schon lange zu seyn aufgehört. Und wenn es nicht hinreicht, Sie anzubeten, um zu ihrem Vertrauen berechtigt zu seyn, ist dann Freundschaft genug? Sie schweigen? Sie weinen? O reden Sie doch mit mir. Ich bin ja so ganz Ihr Eigenthum. Jede Empfindung ist die Ihrige, jeder Gedanke gehört Ihnen nur an.

»Glauben Sie denn, Don Karlos,« fieng sie hierauf endlich etwas beleidigt an, »daß ich Ihnen Geheimnisse zu entdecken habe? Nein, in Wahrheit, ich muß gestehen, ich bin nicht im geringsten darauf vorbereitet.«

Elmire, Sie verstehen mich unrecht. –

»Ja, um recht aufrichtig zu seyn, ich befinde mich in einer Stimmung, die sich nicht einmal mit den Ihrigen gut vertragen möchte.«

Meine gnädigste Gräfin, ich habe Sie nicht beleidigen wollen.

»Ich glaube das wohl. Sie hatten nur nicht Geschicklichkeit genug, Ihre Neugierde bequemer einzukleiden.«

Gewiß, Madonna, ich fühle es, ich bin zu neugierig gewesen. Verzeihen Sie mir. Lassen Sie uns von etwas anderem reden. Von welchem Meister ist diese Laute?

Sie sah mich hierauf mit starren Augen an; sie fieng wieder an heftig zu weinen. Ein langes, langes Ach! schwellte den schönen Busen empor.

– Ich bin Ihnen izt lästig, meine schöne Gräfin. Ich bitte Sie noch einmal meiner unerträglichen Zudringlichkeit wegen um Verzeihung. Leben Sie wohl, Madonna. –

»O bleiben Sie doch, Karlos.«

– Ihre Trähnen fließen häufiger, seitdem ich bey Ihnen bin. Kann ich nicht der Gegenstand Ihres Mitleides seyn, so will ich doch wenigstens nicht der Ihres Unwillens werden. –

»Hiermit schlüpfte ich zur Thüre hinaus. Ich war herzlich erbittert auf sie, aber dies war nichts als Liebe. Ich ward darüber so krank, daß ich zwey Tage lang das Zimmer zu hüten genöthigt wurde; am dritten Abend erhielt ich ein Billet folgendes Inhalts:

»Wir haben unsere Rollen gewechselt, Karlos. Ich bin im Begriff ein Gegenstand Ihres Mitleides zu »werden. Sie lieben alle Weiber, ach! – und ich nur einen einzigen Mann. Morgen früh bin ich im Kapuzinerkloster St. Jago und – beichte

»St. Jago ist vier starke Meilen von Alkantara. Es war nothwendig, daß ich an demselben Abend noch wegritt; und trotz der entsetzlichen stürmischen Nacht, trotz dem Zureden meines Bedienten, setzte ich mich mit ihm zu Pferde und jagte zum Thore hinaus. Alfonso hatte mir richtig prophezeiet. Der Regen, welcher, mit Blitz und Donner vermischt, in ganzen Wolken herabströmte, durchnäßte mich bis auf die Haut, der Wind warf uns bald von den Pferden herab, kein Weg war zu erkennen, unsere armen Thiere, die an der Hitze ihrer Reiter nicht den mindesten Theil nahmen, versanken mit jedem Schritte beynahe tiefer im Morast; wir wußten am Ende weder die Lage des Klosters noch die Gegend der Stadt mehr, und nur mit der höchsten Lebensgefahr, unter einer beständigen Angst zu ertrinken, oder stecken zu bleiben, erreichten wir einen vor uns liegenden Wald. – Hier erwartete uns ein neues Schrecken. Nur durch die Gefährlichkeiten meiner Reise belustigt, hatte ich noch so viel gute Laune übrig behalten, daß ich zu singen anfieng. Es war ein bekanntes Volkslied und Alfonso stimmte wohlgemuth ein. Aber auf einmal schien der Busch von lauter Kehlen lebendig zu werden, welche dasselbe Lied sangen. Ich glaubte, das Echo wiederhole nur. Aber zu meinem Entsetzen hörte ich tausendstimmig die zweyte Strofe wenn wir die erste angefangen hatten. »Was ist das, Alfonso?« rief ich dem Bedienten zu. »Ach, gnädigster Herr,« antwortete mir der arme Schelm zitternd, »ich glaube gewiß, daß es lauter Teufel sind, die uns den Hals brechen wollen.«

»Indem sah ich, daß wir eine gebahnte Straße unter uns hatten. Die Angst hatte sich aller meiner Sinne bemeistert. Ich stieß dem Pferde die Sporn so stark in die Seite, daß es in vollem Jagen davon rannte, ohne daß der arme Alfonso, der sich im Gesträuch verwickelt hatte, und immer hinter mir herschrie, mir nachkommen konnte. In einer Minute war ich soweit von ihm entfernt, daß ich nichts mehr hörte, und da ich das Pferd immer zurückhalten wollte, um ihm Zeit zum Nachfolgen zu lassen, so war es von der Straße in ein dickes Gebüsch abgewichen. Der Himmel hatte sich zwar aufgeklärt, meine Lage war darum aber nicht weniger trostlos. Ich rief ihn mehrmals beym Namen; da mir aber niemand antwortete, so stieg ich ganz gefaßt ab, nahm das Pferd beym Zügel, und suchte eine lichte Stelle im Walde, von wo aus ich entweder wieder einen Weg entdecken, oder bis zum Anbruch des Tages zubringen könnte. Zuweilen nahm ich in der Ferne einige Lichter wahr, welche aber sogleich wieder verschwanden, sobald ich ihnen zurief; nur ein einziges behielt unverrückt, Stelle und Glanz, und da ich daselbst ohnfehlbar Menschen erwartete, so ging ich, schon halb wieder getröstet, darauf zu.«

»So wie ich näher kam, ward es immer kleiner und kleiner, und nachdem ich mich bis auf einige hundert Schritte davon, durch Meer und Sumpf, immer mein Pferd am Zügel, hindurchgearbeitet hatte, war es gleichsam zu einem glühenden Punkte zusammengeschmolzen.«

»Eine kleine, schmale Hütte entdeckte sich endlich. In einen großen Busch gleichsam hineingesunken, war das kleine Fenster, in dem das Licht brannte, von Blättern ganz überzogen, und nur einzelne Stralen schmiegten sich in einer zauberischen Wirkung durch die grüne Nacht hindurch. Der Himmel war völlig erheitert, der Sturm hatte ausgeathmet, und nur ein sanftes Lüftchen schüttelte die Tropfen vom Laube, welche im schaurigen Dunkel gleich Sternen herabfielen. Ich näherte mich der Thüre; vorher hatte ich in der Entfernung reden gehört, izt auf einmal war's stille. Ich klopfte an; kein Laut zur Antwort. Ich stieß mit dem Fuße stärker an die bretterne Wand. »Laß nur alles liegen, Maria, und mache auf,« rief man endlich darin. Die Thür öfnete sich. Ein kleines Mädchen hielt sie noch in der Hand. Aus der Mitte des Zimmers flammte mir ein Feuer entgegen. Ein weibliches Geschöpf kehrte mir den Rücken zu, und beschäftigte sich, die Kohlen auf einen Topf zusammenzuschüren. Ein kleiner schlanker Bube, der ihr zur Linken saß, lehnte sich hierauf, so wie er mich sah an ihren Busen; »ach Mutter!« schrie er, »sieh einmal.«

»Kommst du endlich, Jakob« rief das Weib, ohne sich stören zu lassen, und den Blick zu wenden, »hast du auch den Vater mitgebracht. Sieh nur, du böser Mensch, ich habe deinetwegen alles Holz verbrennen müssen, das du so mühsam heute zusammengesucht hast. Aber ich stehe dir auch dafür, Jakob, daß die Suppe dir schmecken soll.«

Hierauf nahm sie den Deckel vom Topfe und sah in der Freude ihres Herzens hinein.

»Liebe Frau,« fieng ich endlich an. –

»Es hat entsetzlich geblitzt und gestürmt. Der Waldgeist ist auch eben wieder vorübergezogen. Du armer Tropf bist wohl sehr naß geworden. Komm doch her, du böser Schelm.«

Sie sah sich hierauf um; als sie mich aber mit dem Pferde in der Hand, das zur Thüre halb hineingetreten war, erblickte, fiel ihr der Deckel, den sie noch immer aufgehoben hielt, aus der Hand, der Topf stürzte um, die schönste aller Suppen strömte sprühend ins Feuer; sie schrie und wollte retten, schob aber das Holz so sehr in der Angst zusammen, daß die Nässe sich auch der übrigen Gluth noch bemächtigte, und die ganze Flamme erlosch. Nur das kleine Lämpchen im Fenster warf noch eine bleiche Erhellung durch das Halbdunkel der Hütte. »Nun ja,« fieng sie wieder lachend an, »was nur Jakob sagen wird, wenn er seine gepriesene Suppe zwischen den Kohlen findet.« Sie stand nun auf und kam auf mich zu.

Entschuldige sie mich, meine gute Frau, daß ich sie gestört habe, der Sturm, der verlohrene Weg – –

»Nur immer herein, mein Herr,« rief sie mir freundlich entgegen; »aber das Pferd muß draußen bleiben.«

Stillschweigend trat ich hierauf zurück, band das Pferd an einen nahestehenden Baum, und gieng wieder in die Hütte. »Nun, Sie werden wohl ziemlich naß seyn; hungrig wohl gar dazu. Ich werde wohl wieder ein Feuer anmachen müssen. Wenn ich nur gleich noch trocknes Holz hätte!«

Noch immer hatte ich ihr Gesicht nicht gesehen; aber ihre liebenswürdige Unbefangenheit entzückte mich. Ich bin schuld, sagte ich ihr, daß der Topf umfiel und ich werde zur Strafe das Holz suchen. – »Thun Sie das,« antwortete sie, »ich werde indeß das Feuer wieder anzünden.«

»Sie drehete sich hierauf ganz munter um, und ich gieng zur Thüre hinaus. Aber um die Hütte war nicht der kleinste Span anzutreffen, und ich sah mich genöthigt, tiefer ins Buschwerk zu kriechen. Indeß hörte ich mein Pferd wiehern, welches immer geschah, wenn es einmal hinten ausschlug und ihm jemand zu nahe kam. Ein lautes Gelächter von mehreren Stimmen erfolgte darauf, und ich schloß daraus, daß Jakob nach Hause gekommen seyn möchte und sich und seine Frau an den Sprüngen meines Pferdes belustigte.«

Nach einiger Zeit hatte ich endlich mit großer Mühe ein Bündelchen Holz zusammengelesen. Ich schritt damit eilig auf die Hütte zu, trat in die Thür; aber die lustige Szene hatte sich merklich geändert. Da war weder Feuer, noch Topf zu sehen. Jakob, ein schlanker schöner Mann, hatte sich auf die Erde niedergesetzt, und seine Frau auf den Schooß genommen. Die Lampe, womit sie wahrscheinlich hatte das Feuer anzünden wollen, stand daneben, und warf ihr den vollen Schein in ihr schönes Gesicht. Sie hatte sich mit höchster Inbrunst an ihren Mann geschmiegt, und ihre sanften Blicke ruheten in seinen Augen aus. Jakob schien nicht Fassung genug für sein Glück zu haben, und war ganz in sich selbst versunken, um es verstehen zu lernen. Dann richtete er wieder die Augen auf sein himmlisches Weib, das ihre Wange sanft an die seinige lehnte, ihm dann die Stirne küßte, und ihn in ihren Busen hineindrücken wollte. Eine einzige Miene entzückter Schwärmerey hatte sich über beyde Gesichter verbreitet. Der zarte Knabe hatte den kleinen Arm um den Hals der Mutter geschlungen, das etwas größere Mädchen drängte sich liebkosend zwischen ihr und dem Vater ein. Welche stumme, und welche redende Szene! Nur leise Seufzer wurden gewechselt, jedes Wort ward aufgeküßt, ehe es sich halb von den Lippen zu trennen vermochte. Nie hatte ich eine solche Liebe gesehen, nie diesen vollen Erguß.«

»O Gott!« fieng endlich Jakob an. Aber er ward von dem Knaben unterbrochen, der in diesem Augenblick mich wiedersah, und »der Fremde!« ausrief. Er richtete hierauf seine schöne Last sanft in die Höhe, stand auf, kam mir entgegen und streckte die Hand aus: »Willkommen, mein lieber Herr, herzlich willkommen!« setzte er hinzu. Sie finden hier keine Bequemlichkeit, aber Sie sind gern, sehr gern gesehen.

Das reizende Weib hatte sich indeß wieder mit dem Feuer beschäftigt, sie trat mir hierauf näher und ergriff mit einer Hand, der man eine höhere Bestimmung wohl anfühlte, die meinige zum Willkommen. Ein klares Auge blickte mich hierbey an, dem man seine Glückseeligkeit in dieser niedrigen Bestimmung ansah. Auch die Kinder kamen dem fremden Mann ungescheuet näher, ergriffen die Feder an seinem Huthe, und spielten mit ihr.

Man nahm meine Entschuldigungen kaum an, eine schlichte Bank im Hintergrunde der Hütte ward unser Versammlungsort, ich vergaß Elmiren und meine Reise; eine andere Suppe war bald gekocht, ein anderes Feuer trocknete und erwärmte uns bald hinreichend; einige Früchte, etwas Honig und Brod machten unsere Mahlzeit sehr vollständig und wir vertieften uns bald in ein ernstes Gespräch. Beyde zeigten eine Kultur, die über ihre jetzige Verfassung war, ja, ich leugne es nicht, die meine Philosophie weit überragte. Und doch schienen ihrer Bedürfnisse so wenige, ihre Glückseeligkeit so vollkommen, ihre Tugend so vollendet zu seyn, daß ich mich mit jedem Augenblick mehr verachtete, je höher sie in meinen Begriffen hinaufstiegen.«

»Endlich ergriff ich die Hand der Frau: Entschuldigen Sie meine Unbescheidenheit, fieng ich an, aber bestes Weib, wie kamen Sie in diese Hütte, warum entflohen Sie einem Stande, der Sie ehren, einer Welt, die Sie anbeten würde.«

»Anbeten?« erwiederte sie lächelnd, »wer bürgt Ihnen dafür, Sennor, daß mich eben eine solche Anbetung nicht aus der Welt hieher verjagte?«

»Unsere Geschichte ist sehr lang,« fiel Jakob ein, »und ach! sehr traurig. Sie fühlen es, Sennor, daß dies unser letzter Zufluchtsort war; wir hatten der Welt einen Theil unseres Lebens geopfert, aber den schönsten haben wir noch für unsere Glückseeligkeit gerettet.«

*

In diesem Augenblick ward ich in meiner Erzählung auf eine sehr seltsame Art gestört. Das Feuer im Kamin glimmte immer düsterer und düsterer, und erlosch endlich gar; in kurzer Zeit saßen wir dick im Rauche eingehüllt, und auch die Lichter droheten auszugehen. »Der Rauchfang wird brennen,« rief der Graf erschrocken aus. Er klingelte dem Bedienten, es mußte jemand am Schornstein hinansteigen, aber man bemerkte weder Feuer noch Funken. Unterdessen hatte man die ganze Nacht mit vergeblichen Nachsuchungen im Hause hingebracht, der Graf war müde geworden, noch immer wollte der Dampf sich nicht aus dem Zimmer verziehen, und es war Zeit, sich zur Ruhe zu legen.

Viele folgende Abende hindurch schien uns immer etwas recht absichtlich in den Weg gelegt, um unsere geliebten Konversationen zu trennen. Bald kam Gesellschaft, und ließ es sich bey uns eine ganze Woche lang gefallen; bald ward das Zimmer von Arbeitsleuten bestürmt, welche der Graf, noch mitten im Winter zu einigen neuen Einrichtungen im Inneren des Schlosses gebrauchen wollte, bald waren Rechnungen abzulegen oder anzunehmen; endlich ward er sogar durch die Verwirrung eines Prozesses in das benachbarte Städtchen abgerufen, und eine Zeitlang darin festgehalten. Wie er in den Wagen stieg, ergriff er noch meine Hand und sagte mir ins Ohr: »denken Sie doch zuweilen an den Kamin.« Da ich aber nun die Geschäfte seiner Wirthschaft ganz allein zu tragen hatte, so konnte ich diesen nur des Abends sehr wenige, und natürlich nur sehr unterbrochene Stunden stehlen, um dieser Auffoderung des Grafen, meine Geschichte aufzuschreiben, – wofür ich seine Worte damals hielt – ein Genüge zu leisten. Er hatte zwar etwas anders gemeint; als er aber nach vielen Wochen erst wieder zurück kam, hatte er Gelegenheit zu gewissen Aufschlüssen gefunden, welche, mit meiner Geschichte verbunden, ihn zu dem heroischen Entschlusse aufgelegt machten, den man die ganze Zukunft unserer Begebenheiten bald wenden sehen wird.

Ich erneuere daher nur, soviel mir die damals nothwendig ungleich stärkeren und aufgeregteren Eindrücke geblieben sind, in diesen Blättern zusammenhängend den Verfolg meiner Geschichte, welche schon hier allenthalben Spuren jener Veranstaltungen trägt, mich allmählich einem entsetzlichen Zwecke näher zu leiten. Als ich sie für den Grafen aufsetzte, lag mir das Gewebe zwar viel dunkler noch vor, da die Zeit nachher alles ihr mögliche that, mich hierin zu befriedigen; aber sehr, sehr oft wurde ich schon bey jener Arbeit von bangen Ahndungen überfallen, deren ich mich kaum durch den Gedanken erwehren konnte, daß jede ernsthafte Rücksicht auf sie meine Schritte nur schwankender und gefährlicher machen würde.

*

»Darf ich diesem Herrn etwas von unserer Geschichte mittheilen,« sagte Jakob zu seinem Weibe. Sie nickte ihm stillschweigend ihre Bewilligung zu, beschäftigte sich dann mit ihren Kindern, verlohr sich zuweilen aus der Hütte und schien überhaupt an der Erzählung nur in der Ferne einigen Antheil zu nehmen.

»Wir sind beyde von Adel und aus bekannten Familien,« fuhr Jakob fort; »aber erlauben Sie mir, Sennor, unsere Namen zu verschweigen. Meine Jugendjahre hatten wenig Bedeutung; ich war wie alle aufwachsende Edelleute von gutem Ansehen, und da mir, als dem jüngsten Sohn, wenig mehr gehörte, als was mir das Vermächtniß einer alten Verwandtin hinterlassen hatte, so ward die übrige Familie, als dies in kurzer Zeit durchgebracht war, bald meiner satt, und bekam Lust, mich dem geistlichen Stande zu weihen. Meine Neigung stimmte hiermit aber nicht überein. An Geräusch und an das Gewicht einer guten Geburt von früh an gewöhnt, zog ich Kriegsdienste allen Arten von Beschäftigung vor, weil ich jene Liebe zum Prunke zu befriedigen, und diesen Vorzug der Familie geltend zu machen, hier mit der Zeit am sichersten hoffen durfte. Das Glück kam mir zu Hülfe. Eine Gährung in Neuspanien foderte unserem Monarchen einige Hülfstruppen ab; man beorderte ein Regiment in Madrid zu marschiren; durch eine Vermittelung eines Verwandten erhielt ich eine Kompagnie darunter, und wir waren schon bis Kadix gekommen. Aber die Avisschiffe, welche zu Karthagena die Ankunft der Gallionen hatten vorbereiten sollen, waren sowohl durch widrige Winde, als durch die Schelmereyen der Proviantmeister noch im Hafen zurückgehalten. Wir hatten also kaum Hofnung, eher als in einigen Monaten zu reisen, und diese Monate wurden mir zu den merkwürdigsten meines Lebens.«

»In der Stadt war für mich weder Unterhaltung, noch selbst einmal Beschäftigung genug. Da sie fast nichts als Kaufleute und nur wenig höheren Adel enthält, so war ich allein auf den Umgang mit den Offiziers meines Regiments beschränkt, und auch in dem Übeln Rufe und der Art von Geringschätzung, in welcher damals das Militär stand, lag nichts weniger als Hofnung für uns, in einer angesehenen Familie Zutritt zu erhalten. Spazierengehen war daher meine einzige Beschäftigung; der Hafen fast der einzige Ort, an dem ich mich blicken ließ. Nachher fand ich auf dem Fort St. Sebastian an der südöstlichen Seite der Stadt einen noch reizenderen Spaziergang. Hier setzte ich mich oft in der Gegend des Leuchtthurmes ans Meer, sah über dasselbe, als den großen Schlund, der noch meine Hofnungen soweit entfernte, wehmüthig hinweg; träumte mir Reichthum und Glück, und nur selten wurde ich durch Andächtige unterbrochen, welche zu einer nahegelegenen Kapelle des heil. Sebastians oder noch häufiger zu der von U.L.Fr., die für Fremde bestimmt ist, wallfahrteten. Verzeihen Sie mir meine Umständlichkeit, Sennor, aber Sie werden von allen diesen kleinen Nebensachen manche nicht unbedeutende Folge nachher abhängig sehen.«

»Kurz darauf ereignete sich in unserem Hafen jener berüchtigte Vorfall, daß ein Schiff von St. Malo Silber mit sich ausführen wollte, ohne die bestimmte Mauth zu entrichten. Man setzte es sich daher in den Kopf, es wegzunehmen und zu konfiszieren. Zwey Gallionen wurden bewafnet, und fiengen an, es zu kanoniren. Der Kapitän des Maloanischen Schiffes aber, zur Vertheidigung fest entschlossen, weigerte sich, die Flagge zu streichen, und da es widriger Winde wegen, unmöglich war, aus dem Hafen auszulaufen, so wagte er die eine Gallione selbst anzugreifen, um sich ihrer wo möglich zu bemächtigen. Aber er verlohr Segel und Wasser, und nachdem er beyde Gallionen ganz unbrauchbar gemacht hatte, zündete er die Pulverkammer an, und sprengte sich mit seiner ganzen Mannschaft in die Luft.«

»Ohngefähr zehn bis zwölf Leute wurden gerettet. Auf einem Balken erreichten sie halbtodt das Ufer; aber anstatt ihnen zu helfen und sie wieder zu sich selbst zu bringen, fielen die am Ufer stehenden Zollbedienten über sie her, um ihnen auch noch die Kleider vom Leibe zu reissen. Da ich mich in der Nähe befand, eilte ich hinzu, befriedigte eine Anzahl von Räubern, welche sich über einen jungen wohlgekleideten Mann hermachen wollten, und nahm ihn ohnmächtig mit mir in ein nahegelegenes Wirthshaus, wo ich ihn dem Wirthe auf das angelegentlichste empfahl. Was aus den übrigen wurde, weiß ich nicht.«

»Als ich ihn am anderen Morgen besuchen wollte, war er verschwunden. Indeß ohne mich darüber nur einmal zu wundern, und der Undankbarkeit der Menschen schon lange gewohnt, bezahlte ich ohne Bedenken seine ziemlich hoch angelaufenen Zehrungskosten, und suchte ganz ruhig meine alten Beschäftigungen wieder. Mehrere Tage vergiengen, an keinem versäumte ich dem alten Spaziergang einen Besuch abzustatten. Die Menge der Fremden, welche der damals drohende Krieg und das Auslaufen der Gallionen in Kadix zusammengezogen hatte, bevölkerten die Gegend um meinen Lieblingsplatz so zahlreich, daß ich mich ganze Tage hindurch mit der Beobachtung der Vorübergehenden angenehm zu unterhalten im Stande war. Bald aber fiel mir unter diesem großen Haufen ein Mann durch Gestalt und Anstand besonders auf. In einen großen Mantel gehüllt, der ihn bis zum Hute bedeckte, gieng er immer sehr schnell, verrichtete eben so geschwind seine Andacht und eilte dann wieder davon. Aber nie unterließ er der kurzen Zeit, welche er zu diesem Geschäfte bestimmt zu haben schien, einige Sekunden zu stehlen, um an der Thür vor der Kapelle stehen zu bleiben, und seine Augen starr auf eine daselbst eingemauerte Inschrift zu heften, dann senkte er den Kopf nachdenkend, wickelte sich fester in seinen Mantel, und gieng schneller davon. Seine häufigen Besuche in der Kirche, sein jedesmaliges Erstarren an dieser Stelle, seine Unempfindlichkeit gegen das Gedränge und gegen die Stöße der Heraus- und Hineingehenden, wurden nachgerade allen anderen Andächtigen auffallend; eine Menge Volkes lief endlich hier aus der Stadt zusammen, gafte mit großen Augen die geheimnißvolle Inschrift an, und der Fremde fand gemeiniglich hier schon ein so großes Gedränge, daß er kaum die Thüre zu erreichen vermochte; es empfieng ihn immer ein solches Gezischel und Fingerweisen, man rief ihm so laut Schatzgräber und Zauberer zu, daß ich besorgt wurde, er würde nicht wiederkommen.«

»Aber er schien dies alles nicht zu achten. Wenn er zur Inschrift reichen konnte, unterließ er es niemals, einen Augenblick lang darauf zu verweilen. Ward ihm das Geplauder des Pöbels zu laut, so eröfnete er seinen Mantel etwas, und mit einem tiefen Ernst durchlief sein dunkeles Auge die ganze Versammlung. Ein unwillkührliches Grauen schien dann sich aller zu bemächtigen. Keiner wagte, so lange er da stand, einen einzigen Laut, einen einzigen Blick, und nur, wenn er sich schon eine Zeitlang wieder entfernt hatte, schienen die Zuschauer wieder Athem zu schöpfen.«

»Ich stand mehrentheils mitten unter dem Volke. Schon lange hatte ich an der Enträthselung dieser Inschrift verzweifelt; ihre halbverwischten, zusammengezogenen Charaktere boten jedem Scharfsinne trotz, nur der Fremde war noch der Gegenstand meiner Neugierde. Zweymal, als er die Versammlung um sich her überlief, ruhete sein Auge trüb und erschütternd auf mir, ich verlor in einem langsamen Schauer dann einen Augenblick lang das Bewußtseyn, und kam nur zu mir selbst wieder zurück, um mich über meine Erstarrung zu wundern. Nie hatte ich eine so grauenvolle Ehrfurcht empfunden.«

»Endlich traf sich es einmal, daß wir gegen Abend ganz allein uns auf dem Platze vor der Kapelle befanden. So wie er mich neben der Thüre fand, an die ich mich nachläßig angelehnt hatte, sah er mich voll Erstaunens an, ich richtete unwillkührlich mit ihm die Augen auf jene Steinplatte. Nachdem er sich hierauf noch einmal umgesehen hatte, um sich zu überzeugen, daß uns niemand hören konnte, näherte er sich mir höflich und redete mich an:«

»Sennor,« sprach er in einem etwas fremden Dialekte, »Ihr Ansehen verräth einen Mann von Ehre und Muth; darf ich ihm trauen?«

Gewiß, mein Herr, dürfen Sie das.

»Werde ich in dem Fall eine Fehlbitte thun,« fuhr er fort, »wenn ich Sie ersuche, heut Mitternacht nach zwölf Uhr sich hieher zu bemühen?« –

Wenn ich weiß, mein Herr –

»Sie sollen dann alles erfahren,« fiel er mir schnell ein, »worauf Sie itzt begierig seyn könnten. Es ist nur darum, um mir eine ungestörtere Unterhaltung mit Ihnen zu verschaffen. Der Mond scheint hell. Und, Sennor, ich bin ein ehrlicher Mann.« –

»Er schlug den Mantel etwas aus einander und seine großen Augen sagten das nemliche.«

»Verlassen Sie sich auf mich,« antwortete ich ihm, »ich werde kommen; ich bin nichts weniger als furchtsam und im Fall eines Angriffs würde ich Sie kaum einmal fürchten.«

»Er verneigte sich hierauf etwas, hüllte sich ein und gieng.«

Punkt zwölf Uhr war ich auf dem Platz. Es war eine etwas windige Nacht. Der Mond verbarg sich bald hinter Wolken, die eilig vorüberflohen, bald schien er schauerlich hell auf die benachbarten Gegenstände. Der Sturm klapperte mit den Fensterscheiben der Kirche, die Fahnen klirrten, das Meer brach sich in seltsamen Tönen an den Mauern. Ich gieng immer auf und ab, wohlbewafnet und in einen großen Mantel gehüllt. Zuerst war Neugierde die Hauptempfindung, und meine Phantasie durchlief eine Menge von Wahrscheinlichkeiten, um die Fragen zu lösen, womit ich mich nun schon mehrere Wochen hindurch gequält hatte. Wie der Fremde aber länger ausblieb als er versprochen hatte, wie es schon Eins schlug, und er noch immer nicht da war, fieng ich an ängstlich zu werden, jedes Knarren der halbverwitterten Kreuze auf den Gräbern schreckte mich, jedes Flattern lebendiger Blätter hob mir die Haare empor. Als ich endlich eben ungeduldig wieder fortgehen wollte, kam er die Stiegen herauf. »Verzeihen Sie mir,« rief er mir entgegen, »daß ich Sie habe warten lassen.« Hierauf nahm er meine Hand, und führte mich an die Thüre der Kapelle. »Die Zeit ist kurz,« fieng er dann wieder an, »ich habe Ihnen nur wenig zu sagen. Vor einigen Jahren machte ich in Deutschland mit einem auffallend sonderbaren Manne Bekanntschaft, der bald nachher aus dem Wirthshause, in welchem er mit mir zugleich wohnte, auf eine unbegreifliche Weise, und ohne daß man davon den mindesten Grund hätte einsehen können, verschwand. Er hatte in der Eile eine Brieftasche vergessen, die man mir brachte. Hierin befand sich unter einer Menge von theils unverständlichen theils unbedeutend scheinenden Briefen und Nachrichten, welche ich kürzlich erst habe verstehen lernen, ein Schlüssel zu einem mir unbekannten Alphabete, zu welchen ebenfalls die Charaktere dieser Inschrift gehören. Man hat sie vielleicht bis hieher für die Ueberbleibsel einer alten Grabschrift gehalten, und deswegen hier eingemauert, aber ihre Worte lauten nach Vergleichung meines Schlüssels eigentlich so:

»Fremdling und Eingeweihter. Die Freunde sind nahe. Ein Wald und eine Höhle bey Alkantara. Der erste des Monats.«

*

Ich fuhr bey dieser Stelle in Jakobs Erzählung etwas unruhig auf. Dieser ließ sich aber dadurch nicht weiter stören, sondern fuhr, mit einem Lächeln, das er sich zu verbergen bemühete, fort:

»Als dies der Fremde gesagt hatte, maß er mich mit einem großen Blick. »Was sagen Sie dazu, Sennor?« setzte er hinzu.

»Ich weiß es nicht, mein Herr,« antwortete ich ihm, »die Inschrift ist mir itzt eben so dunkel, als hätte ich gar nichts von Ihrer Erläuterung gehört. Was können wir hierbey thun?«

»Er drehete sich unwillig herum.« Wie?« rief er aus, »Sie fragen noch? Wie sehr hat mich doch Ihr Ansehen betrogen. Ich rathe Ihnen, sich geschwind davon zu machen, wenn Sie meinen Degen nicht fühlen wollen.«

»Den fürchte ich wahrhaftig nicht,« brach ich lachend aus. »Aber seyn Sie nicht ohne Ursache hitzig. Sie können unmöglich auf die Enthüllung dieses Geheimnisses so begierig als ich seyn, und jener Ausbruch war nur Frage um Rath, aber gewiß keine kalte Bedenklichkeit.«

»Dies schien ihn etwas zu besänftigen. »Ja, freylich was sollen wir thun,« brach er mit einem tiefen Seufzer aus. »Wir sind erst in der Mitte des Monats, wir werden den ersten Tag des anderen ganz ruhig erwarten müssen. Können Sie aber dann mit mir reisen?«

»Ich antwortete ihm, daß ich Urlaub zu dieser Reise zu erhalten hofte, wenn die Gallionen nicht zu früh zum Auslaufen fertigwürden, da ich zu dem Regimente gehörte, das hier im Hafen nach Mexiko eingeschift werden sollte.«

»Mein Gott!« rief er ganz treuherzig aus, »hätte ich doch das mit einem Gedanken errathen können; Sie hätten von mir nimmermehr eine Sylbe erfahren. Doch Sie werden wenigstens verschwiegen seyn, wenn Sie nicht mit mir können. Ich bin Ihnen im Grunde wahrhaftig herzlich gewogen, ohne daß ich begreife warum; ich biete Ihnen meine Freundschaft an. Schlagen Sie sie nicht aus, denn sie kann Ihnen einmal nützlich seyn.«

»Ich nehme Sie mit Dank an, Sennor.«

»Bemühen Sie sich nicht um Urlaub; das könnte Aufsehen machen. Ich will allein reisen. Komme ich glücklich zurück und Sie sind noch da, so schwöre ich Ihnen, daß Sie alles erfahren. Sind Sie nicht mehr da, so wird Ihnen das Geheimniß aufgehoben.«

»Er umarmte mich hierauf, ohne daß er mir Zeit ließ ein Wort erwiedern zu können, gieng leise wieder vom Platze herab, und ich folgte ihm bald, nachdem ich noch eine Zeitlang beym Mondenschein die Inschrift betrachtete und eine Zusammensetzung der Charaktere versucht hatte.«

Einige Tage darauf erhielten wir Befehle zum Einpacken; die Gallionen waren gerüstet, und wir schickten uns ein. Die ganze langweilige Ueberfahrt hindurch beschäftigte ich mich damit, aus meinen Erfahrungen Resultate zu ziehen; eine für mich so angenehme Untersuchung, daß es mir leid that, als man die Küste von Amerika sah, und wir uns ausschiffen mußten. Der Aufruhr ward bald gestillt, und ich erhielt ein Jahr darauf Urlaub, meine Familie besuchen zu dürfen. Vier Tage war ich in Kadix angekommen und hatte mich in meiner alten Wohnung, um von meiner Ermüdung auszuruhen, verborgen gehalten, als ich ein Briefchen von folgendem Inhalte aber ohne alle Unterschrift erhielt:

»Sehen Sie, ich bin ein Mann von Wort. Ein Jahr lang habe ich auf Ihre Zurückkunft gewartet. Wie sehr freue ich mich darüber. Welche Entdeckungen habe ich Ihnen mitzutheilen. Um neun Uhr besuche ich Sie.«

*

Hier wurde Jakob in seiner Erzählung von seinen beyden Kindern unterbrochen, welche: »der Vater kommt!« riefen. Er konnte mir nichts weiter hinzusetzen, als: »das ist der Mann, Don Karlos!« Ich sah ihn erstaunt an, und wollte eben in die Worte ausbrechen: »Wie? Sie kennen mich?« als der Erwartete hereintrat.

Es war eine lange Figur, der ein schon hohes Alter indessen den vortreflichsten, regelmäßigen Bau nicht zu nehmen vermocht hatte. Aber im Gesichte war ein großes, funkelndes Auge, die einzige Schönheit, welche er aus der Fluth der Leidenschaften noch hatte retten können. Alle Begierden waren sichtbar darin auf einander gefolgt, und jede war, wie sie sich genähert hatte, in einer allgemeinen Kälte miterstarrt, welche auf irgend einen entsetzlichen Auftritt hinzeigte, in dem sie die Gesichtsmuskeln ergriffen haben mußte. Allenthalben sah man noch die Trümmer dieser Leidenschaften, und wenn eine von ihnen wieder hervorkam, so schienen auch alle anderen noch einmal aufzuleben; eine Erinnerung vormals gehabter Ideen stieß die andere an, und alle Neigungen liefen wechselsweis über die ganze Gesichtsfläche hinweg. Ich hatte Zeit, dies alles genau zu beobachten; denn nachdem er mich mit einem Blicke gefaßt hatte, stellte er sich, mit dem Gesichte nach mir zu, eine Zeitlang an das Feuer hin, um sich die Hände zu wärmen. Ohne einen Laut hervorzubringen, senkte er einen schwermüthigen Blick auf die Flamme hinab, dann bald auf die Kinder, die neben ihm spielten, dann bald auf das Weib, auf Jakob, und mich. Er schien etwas in der Hütte zu vermissen, oder sich mit etwas Fremden nicht sogleich bekannt machen zu können.

Endlich setzte er sich zu uns. »Sie kommen von Saragossa, Sennor,« redete er mich an. Jakob bejahete es für mich. »Die Nacht war sehr stürmisch,« setzte er hinzu; »danken Sie es Ihrem Glücke, daß es Sie hieher geführt hat. Diese Hütte ist im ganzen Walde die einzige, und Sie hätten eine sehr böse Nacht haben können, wenn sie dieselbe verfehlt hätten.«

»Der Waldgeist hat diese Nacht auch wieder getobt, lieber Vater,« fiel ihm das junge Weib ein.

»Der Waldgeist?« antwortete er lächelnd; »Almerie, wer weiß, was du gehört hast.«

Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten; durch Jakobs Erzählung aufs äusserste beunruhigt und gespannt durch eine so ungelegene Unterbrechung derselben, rückte ich auf der Bank näher zu ihm hin, und ergriff seine Hand: »Sennor,« fieng ich an, als er voll Erstaunen auf mich herabsah, »verwundern Sie sich nicht über mich. Ich kenne Sie. Jakob hat mir von Ihnen erzählt. Erlauben Sie mir, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten.«

»Sie wissen nicht, was Sie von mir verlangen,« erwiederte er. »Auch ich kenne Sie, Don Karlos, Sie sind aus dem Hause G*. Ich habe Sie unlängst gesehen. Sie gefielen mir. Gern will ich alles für Sie thun, was Sie nur immer verlangen können. Sprechen Sie, was fodern Sie.«

»Ihr Freund hier war bey seiner Zurückkunft aus Amerika, als Sie den Gang seiner Erzählung aufhielten. Sie wollten ihn besuchen, um ihm ein Geheimniß, das jenen sonderbaren Stein betraf, zu entdecken. Was hatten Sie indeß in Erfahrung gebracht?«

Hier erhob er sich von seinem Platze. »Was?« rief er etwas erzürnt aus, »das hat Jakob gethan?« Hierauf stellte er sich einige Sekundenlang ans Feuer, starrte in die Flamme, drehete sich hierauf um, und sagte; indem er eine Uhr hervorzog: »Es ist sechs Uhr, Don Karlos, gehen Sie itzt zu Elmiren. Man erwartet Sie rechter Hand in der kleinen Kapelle. Kommen Sie morgen über sechs Wochen wieder hieher; aber allein.«

Indem ich halberstarrt noch Worte suchte, um ihm meine Verwunderung zu bezeigen, war er verschwenden. »Mein Gott!« brach ich aus, »wie wunderbar? bin ich denn bey mir selbst, oder ist es ein Traum?«

»Folgen Sie ihm,« sagte Jakob, und stand auf. –

– Aber ein Wort noch. – –

»Nicht ein einziges mehr, lieber Karlos, ihr Pferd wird gefressen haben. Reiten Sie itzt; Sie werden doch wiederkommen?«

»Gewiß Jakob.« – Ich umarmte ihn, seine Augen waren trübe und voll Trähnen, mein Pferd stand an der Thüre; er wieß mich auf einen schmalen Weg, und als die Sonne über die entfernten Gebirge herauf traf, befand ich mich im Freyen.

Warum weinte Jakob wol, sagte ich zu mir selbst. Und das schöne, liebe Weib trocknete auch die Augen, als der Alte kam. War es Mitleid? Oder war es Erinnerung? Und wenn es Mitleid war, sollte ich mich wohl in gefährlichen Händen befinden? Aber diese Reinheit und Offenheit ihrer Seelen, dieses schuldlose Glück von dem sie sich kaum losmachen konnten, um mir nur verständlich zu werden; dieser stille Schooß der Häuslichkeit kann keine Laster in seiner Mitte dulden und verbergen. Und warum plünderten sie mich itzt nicht, wenn es Räuber waren? Werde ich dann reicher zurückkehren?

Unzähligeinal hatte ich vorher in diesem Walde gejagt, niemals hatte ich aber diese Hütte gesehen, oder war auf etwas Verdächtiges gestoßen. Man trug sich zwar mit seltsamen Sagen von einem verfallenen Schlosse in der Mitte des Waldes, wohin mich mein Weg niemals geführt hatte; nie hatte sich aber etwas ereignet was die Aufmerksamkeit der benachbarten Gegend bestimmt auf diesen Fleck gezogen hätte. »Aber ist es keine Räubergesellschaft,« dachte ich wieder, »wie alle Umstände zu glauben verbieten. Was für eine Art von Zweck ist dann für eine solche Verbindung wohl denkbar?« Meine Einbildungskraft irrte in dem Reiche von Möglichkeiten rastlos umher, ohne daß mein Verstand es wagte, sich für eine derselben entscheidend zu erklären.

Indem stutzte mein Pferd, es lag etwas auf dem Rasen nahe bey mir. Wie ich abstieg, so regte es sich. »Ach thue mir nichts, lieber Geist,« rief es mir entgegen. Es war Alfonso. Starr vor Frost und Angst, und am ganzen Leibe zitternd wollte er sich bey meiner Annäherung hinter einem Busch verkriechen, und war eben damit beschäftigt, ängstlich seine Füße an sich zu ziehen, um sich durch nichts zu verrathen.

»Um Gotteswillen, Alfonso, wie kommst du denn hieher, und wo hast du denn dein Pferd gelassen,« rief ich ihm lachend entgegen.

»Jesus, Maria, sind Sie es, gnädiger Herr! Ach seyst du doch tausendmal gepriesen du lieber Gott! Aber leben Sie denn noch? Der verwünschte Wald! Wie sind Sie denn wieder herausgekommen?« Er rafte sich auf, und kroch aus dem Busche hervor.

»Aber wo ist denn dein Pferd?«

Ja, das weiß ich nicht, gnädiger Herr. Es ward nicht lange nachher, als Sie davon gejagt waren, und mich armen Schelm im Stich gelassen hatten, über ein Irrlicht scheu, das an mir heraufsprang, warf mich ab, und lief davon. Ich bin nun die ganze Nacht im Busche herumgekrochen, ohne Weg noch Steg finden zu können. – Haben Sie die Barmherzigkeit, mir aufzuhelfen, Don Karlos, ich habe mir den Fuß verrenkt.

Ich mußte ihn in die Höhe heben. Der Fuß schien wirklich beschädigt, und er konnte nicht auftreten. Ich ließ ihn auf mein Pferd sich setzen und gieng neben ihm her. Bald erblickten wir ein mir ganz unbekanntes Dorf. Wir eilten darauf zu. Es war Tag als wir ankamen. Wir waren von St. Jago noch zwey Meilen entfernt. Ich ließ einen Wundarzt holen, befahl ihn Alfonson zur Pflege, ließ mir den Weg zeigen und Punkt zehn Uhr war ich am Kloster.

Unwillkührlich gieng ich auf die Kirche zu. Die Messe war eben geendet, als ich mich ihr näherte; eine Menge Volks strömte heraus, bald aber wurden die Menschen immer seltener und einzelner, und wie ich in die Thüre trat, war um mich her alles verlassen und still. Mein leiser Tritt hallte verlohren die Gewölbe entlang, und ein kühler Schauer regte sich schauerlich einsam zwischen weiten Mauern. Rechts bemerkte ich ein kleines Kapellchen. Ein weibliches Wesen lag knieend darin. Es war Elmire.

Sie betete hörbar, aber nur abgebrochen. Ein leises Schluchzen verrieth mir, daß sie weinte. Ihr Gesicht war in einem Tuche gehüllt, das sie zuweilen nur wegnahm, um ihre Trähnen freyer fließen zu lassen. Wenn sie es eine Zeitlang entfernt hielt, welche Veränderung nahm ich dann darauf wahr; alle jene Züge, welche, sonst von dem Geiste der Munterkeit belebt, alle Herzen so gewiß bezauberten, waren in einem Kampfe mit einer zarten Weiblichkeit erkaltet, welche auf etwas zu warten schien, um sich ganz dahin zu geben. Die Augen hatten das Bild des Gekreuzigten, das vor ihr stand, verlassen, und schweiften ohne Ruhe in der Kirche am Altare umher, an dem noch einige beteten, oder herumgiengen.

Ich knieete an der Thür der Kapelle nieder. Ich hätte sie nicht stören können, und hätte es selbst ihr Leben gegolten. Jeden Augenblick, den ich ihr itzt raubte, würde ich von dem Altare zu nehmen geglaubt haben, auf dem mein Bild stand. Ich war itzt in Verklärung von ihrer Seele und ihre Anbetung nahm durch die Eifersucht zu, mit der sie die Blicke ihres Engels bewachte. Selbst zu ihren Füßen ihr ganz hingegeben, in ihrem Arme zum Gotte neugebohren, würde ich doch diesen Theil des Glückes, in dem ich mich selbst vergötterte, eingebüßt haben. Ach, ich liebte sie damals noch nicht mit der hinreissenden Inbrunst, die ihre eigenen Vortheile willig dem Genüsse ihres Gegenstandes hingiebt.

Endlich bewegte sie sich; die Kapelle gieng auf; Elmire trat heraus. Ich wich hinter der Thüre zurück, indem sie aber diese zuschließen wollte, besann sie sich, und holte noch ein Gebetbuch, das sie vergessen hatte, von ihrem Sitze. Da sie es hierauf aus einander schlug und ängstlich noch etwas darin suchte, bemerkte sie mich nicht. Endlich fiel, ohne daß sie es sah, ein kleiner Zettel heraus und auf die Erde. Ich gieng ihr schweigend und leise nach; er war beschrieben, aber ohne ihn zu lesen, rief ich ihr nach: »Elmire, Sie haben hier ein Pappier verlohren.«

Hierauf drehete sie sich um. Ihre Knie fiengen an zu wanken; als ich aber, um sie zu halten, auf sie zustürzte, vergaß sie selbst die anwandelnde Ohnmacht des Erstaunens und Schreckens, um mir das Pappier aus der Hand zu reissen, und sorgfältig zu verbergen. Sie achtete auf meine Verwunderung nicht, sondern sah mir starr in die Augen: »haben Sie diesen Zettel gelesen, Don Karlos?« frug sie.

Nein, Elmire.

»Gewiß nicht?«

Gewiß nicht.

»Nun ich hätte es auch nicht gewünscht. – Es war ein Brief von meiner Tante,« setzte sie gefaßter hinzu, »Sie sind doch wohl, Don Karlos? Das Wetter war in dieser Nacht sehr schlimm; Sie sind etwas blässer als sonst; Sie haben doch kein Unglück gehabt?«

Ich suchte in ihren Augen, ob sie etwas von meinen Begebenheiten wüßte. Der Zettel war mir, durch ihre Gewandtheit, meinen Fragen auszubeugen, nun erst verdächtig geworden. (Sie werden nachher sehen, lieber Graf, was dies kleine Stück Pappier für seltsame Schicksale hatte, und daß es mir, wiewohl viel später, den ganzen Zusammenhang aller Begebenheiten aufschloß.) Aber Elmirens Unbefangenheit überzeugte mich, daß es nichts als Zärtlichkeit und Besorglichkeit war, was sie zu dieser Frage vermogte.

Kleinigkeiten, gnädigste Gräfin – antwortete ich ihr.

»Kleinigkeiten? Ihre Miene und beklemmte Stimme sagt das Gegentheil. Doch itzt verlassen Sie mich, Don Karlos. Dort stehen noch Leute, die uns beobachten könnten. Gehen Sie hinter den Garten des Klosters; in einer Viertelstunde soll meine Kammerfrau Sie zu mir auf mein Zimmer führen.«

Sie verlohr sich hierauf in den Kreuzgang. Ich gieng zur Hauptthüre hinaus, suchte den Garten; in kurzer Zeit war ihr Mädchen da, und darauf in noch kürzerer war ich in Elmirens Zimmer und zu ihren Füßen.

»Allerliebst,« rief sie aus, »immer besser, Sie sind sehr eilig, Don Karlos.« – Die Kammerfrau gieng eben zur Thür hinaus. – »Aber, wie unvorsichtig! Wenn werden Sie doch klüger werden? Stehen Sie auf. Ich kann es in einem Kloster nicht dulden, daß man vor mir auf den Knien liegt.«

Warum wollen Sie es aber nicht dulden, warum es nicht Ihrem Beichtvater erlauben, daß er das süße Bekenntniß Ihrer Sünden auf den Knieen empfängt? –

»Sie träumen wohl, Karlos,« erwiederte sie lächelnd, »was schwatzen Sie da von Beichtvater und Sünden? Sie haben sich doch etwa nicht eingebildet, daß ich Ihnen etwas zu beichten hätte?«

Welcher Mißverstand, Elmire! Ja, ich gestehe Ihnen, daß ich mir es einbildete. Also spielen wollten Sie mit mir? Was heißt denn sonst diese Einladung, dieser geheimnißvolle Besuch?

»Nun, Marquis, nicht gleich so auffahrend. Erwarten Sie die Zeit doch. Es ist Ihre Pflicht, bedrängte Damen in Schutz zu nehmen, und Sie wissen nicht, wozu ich diesen brauchen will?«

»So? nun so sagen Sie mir dann, Madonna, worin ich Ihnen nutzbar seyn kann.« Hier stand ich ganz kalt auf, und setzte mich nachläßig auf das Sopha neben ihr hin.

»Ach Gott!« sagte sie, »was gäbe ich darum, wenn ich diesen Trotzkopf zu beugen im Stande wär. Aber ich verzweifele daran. Hören Sie dann, Don Karlos, mein Geheimniß. Aber sagen Sie mir vorher, ob Ihr Herz noch frey ist?« –

Ob mein Herz noch frey ist? frug ich ganz wieder erweicht, wer dürfte das weniger fragen, als Elmire? haben Sie es nie in meinen Augen, aus meinen Worten gelesen, daß es sklavisch gebunden an Ihnen hängt. Seyn Sie nicht grausam gegen mich. Geben Sie mir für ein verlohrenes Gut ein anderes zurück.

»Nein, nein, Sie verstehen mich wieder nicht. Ich verlange ja keine Liebe für mich; nur ein wenig Mitleid, nur ein wenig Sympathie. Ich möchte Sie so gern recht lebhaft in mein Intresse ziehen. Denn Sie sind ein offener, edler junger Mann, Mann, der für mich Freundschaft genug fühlte, mir seinen Beystand nie zu versagen.«

Auf den können Sie rechnen. Aber Sie sprechen so räthselhaft. Deutlicher, Gräfin, deutlicher!

»Nun so erfahren Sie denn das große Geheimniß, Karlos: Ich liebe.« Hier schlug sie die Augen komisch sittsam nieder und hielt das Tuch vor, als wenn sie erröthen müßte.

Und wen?

»Ach! einen jungen Mann.« –

Das glaube ich wohl, Elmire, brach ich in einem unwillkürlichen Lachen aus; bey Gott, Sie sind sehr unglücklich.

»Und er ist auch schön.« –

Das ist noch viel trauriger. –

»Scherzen Sie itzt nicht mit mir, Marquis, denn er liebt mich nicht wieder.«

Das ist freylich das allertraurigste. Aber hoffen Sie nur, Elmire; was ich über ihn vermag, das werde ich Ihnen nicht versagen. Nun fehlt der Name noch. Wer ist es? – Ich ergriff ihre Hand und küßte sie. Ich erwartete freudig, meinen Namen zu hören, und hatte mich schon in Bereitschaft gesetzt, das süße, so mühsam erzwungene Bekenntniß ihrer Liebe von ihren Lippen nun desto bequemer aufhaschen zu können. Wie erstaunte ich, als sie sich an mich schmiegte, und mit einem beklommenen Ernste mir zuflüsterte:

»Es ist Don Antonio, ihr Freund, Karlos. Ach! Wenn Sie etwas über ihn vermögen, so verwenden Sie sich für mich. Aber schonen Sie meiner Ehre.«

Eine Veränderung gieng itzt in meiner Brust vor, welche ich nicht verstand, und ich fühlte mich von Empfindungen überwältigt, die mir ganz fremd waren. Es war, als wenn ich aus einem Traume erwachte, und mich bey meinem Wiederbesinnen mit festen Banden umschlungen erblickte. Ich hatte vorher Elmiren geliebt, aber es war eine ruhige Zärtlichkeit, die mit Trotz und Laune in einem unabläßigen Kampfe nur sich noch durch Eitelkeit nährte. So hatte ich noch alle Weiber geliebt. Man war mir zu viel und zu eilig entgegengekommen, mein Herz hatte immer einen zu geringen Widerstand angetroffen, um je aller seiner Empfindungen zum Erguß seiner Leidenschaft zu bedürfen. Jetzt traf ich nicht nur auf eine weit stärkere und gefaßtere Gegenwehr, sondern auch auf eine nie gekannte Gleichgültigkeit, und Geringschätzung gegen meine Bewerbungen. Mein Herz, jeder Art von Zärtlichkeit im Voraus halbverschlossen, ohne flammende Begierde nach einem entgegenkommenden Besitze, war schwach gegen diese Verachtung, und zerschmolz in der Furcht, einen erwarteten, schon vorgenossenen wieder aufgeben zu müssen.

Ich sank im Uebermaaß der Empfindung an ihrem Sessel nieder; »ach!« rief ich, von einem unbekannten Schmerze zerstört, Elmire, das ist zu viel!

Sie ruhete einen Augenblick lang, mit einem vollen Blicke auf mir. Dann wandte sie wieder das Auge.

»Lieber Marquis, seyn Sie mein Freund, ich schätze Sie, ich verspreche feyerlich, Ihnen recht gut zu seyn. Was könnten Sie doch weiter verlangen?«

– Den Tod, Elmire. Haben Sie die Barmherzigkeit mit mir. Ich kann nicht leben und Sie in den Armen eines anderen sehen. Aber machen Sie nur mit mir, was Sie wollen.« Ich ward ohnmächtig und legte den Kopf bewußtlos auf ihren Schooß.

»Erholen Sie sich, lieber Karlos. Ihr Herz ist groß. Sollte Ihnen Freundschaft weniger als Liebe seyn? Und wir wollen so eng, so unzertrennlich zusammen gehören. Keine Gefühle meines Herzens sollen Ihnen verborgen bleiben; wir wollen der Welt ein Beyspiel vorhalten, wie uneigennützig zwey Herzen an einander hängen können.«

»Nein, ich verwerfe Sie, ich verabscheue Sie, ich will die armseeligen Ueberbleibsel nicht, die mir ein anderer barmherzig läßt.« Hier stand ich auf. – »Nur noch ein einziges Wort, Elmire. War der Zettel, den Sie heute verlohren, von Antonio?«

»Nein, Karlos. – Ich schwöre es Ihnen, er war es nicht. – Aber seyn Sie ein Mann. Ist Ihnen ein Geschenk, das man Ihnen aus voller Ueberzeugung und freywillig darbietet, weniger werth, als eine unwillkürliche Neigung. Ich fühle mich leidenschaftlich zu Antonio fortgerissen, und mit Ihnen durch jene sanften Ketten verbunden, welche aus der zärtlichsten Achtung entstehen. Kommen Sie her, und seyn Sie mein Freund.« –

»Ja, mein Schicksal ist entschieden. Aller Hofnungen beraubt, ist ein Leben schrecklicher als der Tod. Leben Sie ewig wohl und glücklich. Ich bin nicht großmüthig genug, um einen anderen zur Annahme eines Herzens zu bewegen, von dem ich selbst eine ganze Ewigkeit voll Freuden hofte. Leben Sie wohl, Elmire.« Ich küßte ihr die Hand, ohne ihr ins Gesicht sehen zu können. Ihr Herz pochte hörbar. Die Hand zitterte heftig, ich legte sie sanft auf ihren Schooß und gieng zur Thüre.

»Wie sehr habe ich mich in Ihnen betrogen, Don Karlos; doch wenn Sie durchaus fortgehen wollen, so kommen Sie noch einmal her.« Ich gieng zu ihr. »Knieen Sie nieder.« Ich lag zu ihren Füßen. Sie schlug eine Hand um meinen Nacken; feuerroth bog sie das Gesicht zu mir herab. Ihre Augen schwammen in einem flüßigen Feuer.« Höre denn noch ein Wort, Karlos. Vergieb mir. Der Antonio ist kein anderer als Du. Meine Sinne verschwanden und ich fühlte nichts mehr, als einen stürmenden Busen an den meinigen krampfhaft angepreßt, zwey heisse Lippen an den meinigen hängen, und meine Wangen von glühenden Trähnen befeuchtet.

*

Wie ich zu mir selbst wieder kam, war ihr großes Auge voll einer Liebe auf mich geheftet, in der ich mich wie in einer nie gekannten Fremde verlohr. Wie schön vergiltst Du Zauberin, rief ich aus, deine Quaalen.

»Laß uns aufheben gegeneinander, Karlos. Ich habe Dir soviel, als Du mir, zu vergeben.«

Ich nichts, – in einem vorigen Leben konnte vielleicht Elmire mich kränken, aber in diesem – sieh mich nicht so mißtrauisch an. Lebe ich nicht seit einer Stunde erst? Alles hat sich ja verändert. Selbst mein Gott ist nicht mehr.

»Vergiß es nur niemals, was Du da sagst, Karlos. Ich habe Dir mein Herz für einigen Kummer, aber ich hoffe doch, nicht zu theuer, verkauft. Bete mich immer an; es wird nur Wiedervergeltung seyn.«

Nimm mein ganzes Selbst nur hin, Elmire. Jedes Gefühl ist mit Deinem Bilde geprägt, und darum fodere es mir als Dein Eigenthum ab. Aber verzeihe meinem Mißtrauen. Darfst Du mir es sagen, was der Zettel enthielt, den Du vorher so sorgfältig verbargst.

»Ich darf es wohl Karlos, aber es würde Dich ängstigen, ohne Dir helfen zu können. Erlaß ihn mir.«

Wie Du es willst, Elmire; Deine Wünsche sind Gesetz; aber ich gestehe Dir, ich wünschte ihn zu sehen.

»Wie Du es willst, Karlos; aber beunruhige Dich nicht; ich glaube mehr meinen Augen und Dir, als diesem elenden Blatte.« – Sie suchte es hierauf und zog es hervor. Es war entweder mit einer rothen Farbe oder mit Blute geschrieben. Folgendes stand darauf:

»Gräfin Elmire wird vor dem jungen Marquis, Karlos von G* gewarnt, der sie zu betrügen gedenkt.«

Es war mit drey Kreuzen unterzeichnet.

Wo fandst Du das? frug ich erschrocken.

»In meinem Gebetbuche.«

Kennst Du die Hand?

»Nein ich kenne sie nicht; aber ich vermuthe sie. Laß Dir ein Geheimniß anvertrauen, Karlos. Schon seit langen Zeiten sind in ganz Spanien unbekannte Hände verstreuet, welche alle Angelegenheiten beherrschen. Niemand kennt sie. Sie dringen durch verschlossene Thüren und in die verborgensten Zimmer. Du wirst die Geschichte des Grafen von O* gehört haben, der ein Mädchen wider den Willen seiner Eltern und dieser Unbekannten entführte. Nach der Brautnacht fand man beyde leblos im Bette. Don Pedro D* entzweyete sich mit seinem Vater; er verschwand, nachdem er diesen auf ihr Geheiß umgebracht hatte. Nur mit Blut schreiben sie und drey Kreuze sind ihre Bezeichnung.«

Ich hörte diese Nachricht mit einem Erstaunen an, welches Elmiren selbst auffiel. »Was starrst Du denn hierüber, Karlos?« –

Sage mir erst Elmire, woher weißt Du das alles?

»Ich selbst habe schon ihren Einfluß erlebt; mir ist es verboten, von der Geschichte zu reden; aber verlaß dich darauf, daß meine Nachricht gewiß ist.« (Ich werde diese Geschichte, welche ich durch einen Zufall erfuhr, unten erzählen. Sie ist schauderhaft.) »Aber warum stauntest Du so?«

Ich erzählte ihr hierauf das Abendtheuer der letzten Nacht. Die Reihe war nun an ihr in eine sinnende Verwunderung zu verfallen. Wie? rief sie endlich aus, sollte beydes in einem Zusammenhang stehen. Nichts ist wahrscheinlicher. Man wird uns trennen wollen. Man hat es nicht vorhersehen können, daß unsere Zusammenkunft auf die Art sich endigen würde. Man hat mehr auf meine Furcht als auf meine Liebe gerechnet. Schlag ein Karlos. Niemals wollen wir uns scheiden; auch im Tode nicht! – hörst Du wohl?«

Ach, Elmire, niemals ist ein Gelübde mit vollerem Herzen gethan. Hier hast Du meine Hand. Einer kann ohne den andern nicht leben und sterben. Sie umarmte mich hierauf mit einer schwärmerischen, entzückenden Inbrunst. Die ganze Welt schwand an beyden Seiten hin. Ich hätte in diesem feyerlichen Augenblick selbst ihr den Tod geschworen, wenn sie es verlangt hätte.

»Ich will Dir einen Vorschlag thun, Karlos,« fieng sie hierauf leiser an, laß uns diese beiden Hände auf ewig verbünden. Ich habe Juwelen und Schmuck; ich folge dir dann, wohin du nur willst. Kein Land ist mir zu fern, keine Hütte zu klein. Diese verzärtelten Finger sollen sich an Arbeit gewöhnen. Ich will kein Bedürfniß mehr kennen, als für dich zu sorgen, dich zu kleiden, dir alle Stunden zu versüßen. Soll es nicht so seyn, lieber Karlos?«

Ich hielt dies himmlische Mädchen in meinen Arm krampfhaft verschlossen. Ihr Auge schwur es mir, was ihr Mund mich versicherte. Ach! ich verdiene dich nicht, Elmire, stammelte ich endlich.

»Warum wolltest du mich nicht verdienen? Liebe um Liebe. Komm nur itzt. Ich habe alles vorhergesehen. Ich habe alle Fälle berechnet. Ein Priester ist bestellt. In einer halben Stunde sind wir auf ewig verbunden. Oder willst du nicht?«

Elmire. –

»Nun, so komm! Sie führte mich hierauf eine verborgene Stiege hinab. Ein langer Gang gieng vor einigen Thüren vorbey. An der einen klopfte sie, und rief: »ich warte auf Sie, heiliger Vater.« Die Thüre eröfnete sich hierauf, ein Mönch trat heraus, und gieng neben uns stillschweigend her. Wir standen bald am Altar, er legte unsere Hände zusammen, und segnete uns ein.

Hierbey muß ich noch eines Umstandes gedenken, der mich während der Trauung äußerst bestürzt machte. Zweymal schallte ein durchdringendes Pfeifen die Kirche entlang, wie der verstärkte Laut einer Fledermaus. Jedesmal erblaßte Elmire: und als es zum dritten wieder ertönte, viel lauter und kreischender als die vorhergehenden Male, ward sie ohnmächtig, aber sie erholte sich bald wieder, fiel mir um den Hals, und sagte: »Lassen Sie mich itzt allein, Karlos. Gegen Abend kommen Sie auf mein Zimmer.«

Es war schon Mittag vorüber. Die Sonne brannte sehr heiß und ich suchte die Schatten des Gartens. Die erfrischende Kühlung und einige Früchte, welche sich mir gleichsam aufdrangen, gaben meinen Kräften ein verjüngtes Leben, eine neue Regsamkeit zurück. Ich fand mich selbst im grünen Dunkel wieder, und die vorhergehende Beklemmung erweiterte sich im Freyen der Aussicht. Der klare Bach schien mir ein Sinnbild der Zukunft; ich sah nur Rosen über ihn blühen, und die Steine nicht, zwischen denen er sich mühsam hindurchzwang.

So kam der Abend heran, und ich fand Elmiren auf ihrem Sopha. Die Bangigkeit hatte sich verlohren und ihre Wangen stralten im frischen Schmelze der Gesundheit und junger Begierden. Sie schloß mich zärtlich in ihre bräutlichen Arme und zog mich neben sich nieder. Die Stunden verflossen uns in einem himmlischen Rausch. Wir zählten jede Minute, damit sie uns nicht zu geschwind verrinnen möchte, und doch zerschmolzen sie unfühlbar in einander. Der Abend kam, und wie man die Lichter angezündet hatte, fiengen wir an ernsthafter, auf die nothwendigen Anstalten der bevorstehenden Nacht zu denken. Elmire hatte hunderterley Vorschläge, einer jagte den andern und über keinen konnten wir einig werden. Ich war zu allem willig, was sie für gut fand; ich saß ihr gegenüber, vertieft in mein Glück und ihren Reiz, in die Anmuth ihrer Jugend und Munterkeit, in den frischen Schmelz ihrer Gesundheit. Sie schien mir blühender als jemals. Die Augen schwammen in einem verklärten Feuer, und der Mund schloß sich, gleich einer wollüstigen Rose, auf.

Indem ich mich so ganz in ihrem Anschauen verlohr, bemerkte ich, daß sie etwas blässer wurde, die Augen schienen mir matter, der Mund verblüheter. Ich starrte erstaunt auf sie hin, doch schrieb ich es dem matten Scheine der Lichter und meiner Verblendung zu. Aber bald sah ich sie immer mehr und mehr erbleichen, die Augen erlöschten, die Oberlippe zuckte in einer krampfhaften Wallung, das ganze Gesicht ward länger und schmaler, und sie fieng an zu stammeln. »Um Gotteswillen, Elmire, wie ist dir?« – »Recht wohl, mein Geliebter,« antwortete sie mühsam. Aber in dem Moment brachen sich zugleich ihre Augen, sie knirschte mit den Zähnen, sie beugte sich mit verzerrtem Munde und gräßlich starrenden Blicken zu mir hin, das eiskalte Gesicht einer Leiche fiel auf das meinige, ihre Hände ergriffen krampfhaft meine Arme mit einer zerfleischenden Heftigkeit. Entsetzt sprang ich auf. Kaum konnte ich von ihren langen Fingern mich loswinden. Ich ergrif sie und legte sie auf dem Sopha entlängst; mit den Zähnen klappernd verschied sie mir unter den Händen. Ich hatte alle Kraft zu rufen verlohren, und ich würde selbst zu ihren Füßen erkaltet seyn, wenn ihre Kammerfrau nicht von ohngefähr ins Zimmer getreten wäre.

Kaum sah diese mich bey ihrer Gebieterin verzweifelnd und halbohnmächtig liegen, diese starr und leblos ausgestreckt, als sie auf uns zustürzte. Welch neuer entsetzlicher Auftritt! In einem solchen Augenblick fällt die Scheidewand des Ranges und der Geburt. Nur eine Mutter schien sie verlohren zu haben und nun gänzlich verwaist sich zu fühlen. Sie fiel kraftlos neben ihr hin, küßte den entfärbten Mund, und ruhte auf dem Leichengesicht mit dem ihren. Dann riß sie die kalte Hand wieder an ihre Lippen; ohne Worte oder Fragen zu haben, welche eine Möglichkeit bezweifelten, schien ihre Seele unter dem Anblicke der Wirklichkeit zu erliegen, und nur gebrochene Laute drängten sich aus den krampfhaft verschlossenen Lippen hervor.

Nur erst spät kam sie zu einiger Besinnung zurück. Sie lief nach Hülfe. Man kam, ihre Bemühungen zu unterstützen; man rieb, man erwärmte den Leichnam, aber alle Hülfsmittel der Kunst brachten ihn gleichsam nur dem Grabe noch näher. Bald ward die Luft mit dem Leichendufte der Verwesung verpestet, man mußte eilen, sie fortzubringen und hielt ihr in einem halben Tage die Exequien.

Wer begreift und hat meinen Zustand erlebt? Aus dem Augenblicke des höchsten vollkommensten Genusses in die verzweiflungsvolle Leere einer angehenden Vernichtung herabgezogen, war es noch ein Glück für mich, den Verstand soweit verlohren zu haben, daß ich das Gefühl eines Traumes von dem Drucke der Wahrheit nicht zu sondern vermochte. Ich stand auf einem einzigen Punkte des Weltalls ganz allein, nichts war mehr neben mir, nichts was mich selbst an die Schrecken der Vergangenheit hätte erinnern können. Das Fieber meiner Seele schien aber auch diesen einzelnen Punkt unaufhörlich zu erschüttern, und ohne den Werth des Daseyns schätzen zu können, quälten mich die schwankenden Ahndungen sich nähernder Vernichtung.

Alfonso war für mich in diesem Zeitpunkte sehr viel werth. Meine Gefahr hatte seine Genesung beschleunigt. Er war allenthalben bey mir. Seine warme und wahrhaft zärtliche Anhänglichkeit für mich, schärfte alle seine Sinne, um meine Bedürfnisse wahrzunehmen, und erhob seine Seelenkräfte hoch genug über die Fessel seiner Vorurtheile und seines Standes, sie mit Delikatesse befriedigen zu können. Es war ein anhaltender Kampf zwischen Diensteifer und Erziehung, nur selten machte die letztere den ersteren blind, und öfter gewann jener an Stärke durch die Anstrengung, von dieser sich loszumachen.

Das erste, was er für mich that, war, daß er mich von allen Gegenständen loßmachte, welche bey meinem Erwachen an meinen Verlust mich hätten erinnern können. Da ich alles mit mir vornehmen ließ, ohne ein Wort von allem zu wissen, packte er mich in einen Wagen, und fuhr mit mir auf ein benachbartes Gut meines Vaters. Er benachrichtigte diesen selbst von meinem Unglück, und meine ganze Familie kam zu mir heraus, mich aufzumuntern und zu zerstreuen. Eine Lustbarkeit folgte der anderen, alle meine Lieblingsbeschäftigungen wurden der Erstarrung meiner Seele entgegengestellt, und das schöne Geschlecht unter meinen Bekannten vergaß seine Zurückhaltung, um mir durch süße Liebkosungen zu zeigen, daß ich doch noch nicht alles verlohren hatte. Unvermerkt machte der Kummer dem Gefolge der Grazien Platz, die Sinne schlossen sich solange übersehenen Schönheiten um so wärmer und vollkommener auf, und ich fieng an, Elmiren weniger zu vermissen, weil ich mich daran gewöhnte, sie allenthalben wiederzufinden. Eine unaufhörliche Zerstreuung zog einen Gedanken nach dem andern von diesem Gegenstande weg, in den Bildern erweiterten die lichteren Stellen sich täglich fühlbarer und verwandelten die Schatten.

Um mich ganz wieder zu heilen, ließ man mich periodisch allein. Die durch Gesellschaft beschäftigte Einbildungskraft überließ den kalten Schlüssen der Vernunft dann die Sprache. Ich fühlte meinen Verlust wohl, aber ich sann bald darauf, ihn wieder zu ersetzen.

Hierüber war die schöne Jahrszeit völlig verstrichen. Ich kannte mich am Ende derselben kaum selbst mehr, so unendlich fand ich meine Stimmung verändert. Der holde, beglückende Leichtsinn war völlig verschwunden, und in dem, meine ganze Seele erfüllenden Ernste, hatte kaum die Erinnerung davon sich erhalten. Die Objekte fanden sich in einem anständigeren Gewande wieder, eine vollkommenere Ausbildung des Verstandes fieng mich zu beschäftigen an, und was mein Geist an Ideen vermag, habe ich der hierauf folgenden Periode meines Lebens zu danken.

Aber unter allen diesen Umständen kam mir das Abendtheuer im Walde nie aus dem Sinne. Ich war etwas bedächtlicher, und zum Theil selbst etwas furchtsamer geworden. Ohne jemanden zu haben, dem ich mich hätte anvertrauen können, schwankte ich von einem Schlusse zum andern, und kam darüber nie von der Stelle. Don Antonio, der Freund meiner Jugend, hatte zwar genug Zärtlichkeit für mich, aber zu wenig Ernst. Ich bedurfte einer älteren Erfahrung und Klugheit.

Dieser Mangel erhielt durch einen Zufall bald eine Befriedigung. Ein junger Edelmann aus dem oberen Theile von Spanien, Pedro G*, kaufte sich in meiner Nachbarschaft an. Noch so wenig als ich von der blühenden, jugendlichen Wärme verlassen, hatte ihn das Unglück früher als mich heimgesucht. Er hatte, wie das Gerücht sagte, eine angebetete Gemahlin, die er im Ehebruche antraf, aus einer unüberlegten Hitze mit ihrem Verführer erstochen, und büßte nun, durch Billigkeit und einen hohen Rang den Gesetzen entzogen, in einer strengen Einsamkeit und klösterlichen Verschlossenheit dies Verbrechen.

Die Gärten seines Gutes stießen dicht an die meinigen. Da für uns beyde Spazierengehen ein vorzügliches Bedürfniß und eine Hauptzerstreuung war, so hatte ich bald Gelegenheit, ihn ziemlich in der Nähe zu sehen. Er besserte unaufhörlich an den Anlagen seines neuen Aufenthalts und der Geist des Bauens und der Gärtnerey schien ihn nicht selten seines Elendes vergessen zu machen.

Seine Bildung war eine der intressantesten, die ich jemals gesehen habe. Niemals bemerkte ich soviel Güte, in einem solchen leidenden Auge, nie eine solche Erhebung über die Unfälle des Lebens in einem so frischen Eindrucke eines überwältigenden Kummers. Der Schmerz hatte nur seine Empfindung noch reiner geläutert, und himmlischer und unverbittert strömte der Erguß seiner Güte über alles her, was ihn umgab. Die ganze Nachbarschaft war bald von seiner Großmuth und Menschenfreundlichkeit voll, und ich konnte mir es nicht erwehren, an allen seinen Arbeiten unwillkührlich den höchsten Antheil zu nehmen.

Ein kleiner Fluß trennte unsere Gärten von einander. Meine Seite war dick mit Buschwerk versetzt, und in einem geheimen Winkel hatte ich eine Laube anlegen lassen, in der ich mich oft mit einem Buch in der Hand hinsetzte, ruhig dem Leben und Weben in der Natur um mich zusah, und mich mit meinen Träumen auf dem vorüberwandelnden Flusse wiegte. Aus ihr konnte ich durch die lichteren Stellen des benachbarten Gebüsches alle seine Beschäftigungen beobachten. Ich sah bald, daß er eine Gattung von Grabmahl in der Nähe des Baches aufrichten ließ, und sobald es zu Stande war, verbrachte er hier den größten Theil seiner Stunden. Seine Stellung auf dem Gesimse blieb stundenlang unverändert dieselbe. Sein Blick starrte auf die drüberstehende Urne hin; groß und über alle Menschlichkeit weit erhaben, suchte er dann am Himmel etwas auf, und wenn er es gefunden zu haben schien, senkte er sich befriedigt wieder zur Erde herab. Ich verfolgte jede seiner Bewegung, und bald war die Theilnahme an ihnen meine einzige Beschäftigung des Tages.

Endlich kam er dem Platze, auf dem ich saß, einmal näher. Als er mich sah, stutzte er ein wenig, indessen grüßte er mich freundlich. Leidende erkennen einander. Aber bey diesem Gruße verblieb es für heute; er verlohr sich wieder im Gebüsch, und nur nach einigen Tagen verweilte er lange genug mir gegenüber, um mir eine Anrede zu erlauben.

Ich habe so oft das Glück, rief ich ihm endlich einmal zu, Sie zu sehen, Sennor, daß ich den Wunsch nicht unterdrücken kann, näher mit Ihnen bekannt zu werden.

Er verbeugte sich höflich und lächelnd. »Sie kommen mir auf halbem Wege entgegen, Don Karlos,« antwortete er; »aber auch dieser Güte würden Sie nicht bedurft haben, wenn ich nicht Ihre Geschichte zu gut kennte. So befürchte ich Ihre Leiden mit den meinigen zu vermehren.«

Lassen Sie uns daran itzt nicht denken. Die Zukunft und Freundschaft wird unsere Bürde uns beyden erleichtern. Lassen Sie uns auch alles von ihnen erwarten.

»Ich kenne und schätze Sie, Don Karlos. Wenn Ihnen daran genügt, so wird mich Ihre Freundschaft unendlich beglücken.«

Er sprang hierauf an einer seichten Stelle des Stromes zu mir herüber. Wir setzten mehrere Tage lang diesen unterbrochenen Umgang fort. Er war äusserst höflich, aber nur mit Mühe gewann er einige Wärme zu mir. Allmählich nur verlängerten die Stunden unseres Umganges sich in der Zeit, und verkürzten sich im Genusse; Doch fanden wir uns am Ende unzertrennlich an einander gekettet; er war etwas weich und schwach, aber dies hatte mein Starrsinn sehr nöthig; wir vergaßen unsere eigenen Ideen über die des andern, und die Freundschaft fieng an mir ein hinreichender Ersatz für die Liebe zu seyn.

Noch niemals war eine Klage über unseren Mund gekommen und im Anfange unserer Vertraulichkeit vermieden wir geflissentlich alles, was ein Bild der Vergangenheit hätte wieder erwecken können. Nachher unterhielten wir uns mit einzelnen gleichgültigeren Auftritten unseres Lebens, und nur mühsam kamen wir auf den ernsteren und drückenderen Theil derselben.

An einem der schönen Morgen, wo eine ruhig zugebrachte Nacht uns nur für Freuden eröfnet und den ganzen Druck der Vergangenheit mildert, fieng er an von den Begebenheiten seines vorigen Lebens, als wie von einem Traume zu sprechen. Er gieng mit Leichtigkeit über die wichtigsten hin, und berührte sie nur sanft im Zusammenhang. Seine Geschichte war rührend, aber gewöhnlich. Er hatte sich mit einer Donna Franziska L** verheyrathet, diese war im Taumel der großen Welt ihm untreu geworden und mit einem anderen entflohen. Niemand wußte, wo sie hingekommen war, und das Gerücht von ihrer Ermordung war daher falsch. Noch immer betete er sie an, und er würde ihr alles vergeben haben, wenn sie itzt in seine Arme reuig zurückgekehrt wäre.

Ich erzählte ihm hierauf die meinige mit allen ihren kleinen Umständen aufrichtig. Er erstaunte darüber.

»Haben Sie über den Punkt des Geheimnisses selbst Vermuthungen, Don Karlos?« frug er mich endlich.

Wie ich Ihnen gesagt habe, Sennor; was ich aus allem habe zusammensetzen können, was mir Elmire mitgetheilt hat und was die Ereignisse angeben, so ist irgend eine große Verbindung durch ganz Spanien, welche selbst über die Handlungen des Privatstandes wacht.

»Und haben Sie niemals etwas über ihren Zweck ausmachen können.«

Wie hätte ich das Sennor, nicht das allermindeste, nicht einmal errathen konnte ich etwas.

Besinnen Sie sich einmal recht auf alle Umstände in der Hütte. War keine Spur des Eigennutzes unter irgend einer Handlung versteckt? keine Miene erzwungen, die Unbefangenheit, von der Sie mir erzählt haben, dem Zusammenhange nicht fremd?

»Nein gewiß nicht. Ich überraschte sie ja. Das Weib schien nichts zu fürchten zu haben, und eine solche Liebe, als Jakob zu seiner Frau hatte, kann sich unmöglich erkünsteln. Auch die Kinder nahmen einen Antheil daran, an den sie seit langer Zeit gewöhnt zu seyn schienen.«

»Und weinte die Frau wirklich, als Sie sich entfernten?«

Mir kam es so vor. Daß sich Jakobs Züge aber bey meinem Abschied veränderten, davon bin ich gewiß. Das war zu merklich.

»Nun ich begreife es nicht. Aber mir scheinen sie beyde bloße Werkzeuge des Alten, unter dessen Oberfehl sie offenbar stehen. Vielleicht wurden sie im Anfange eben so gefesselt, als man Sie zu fesseln vorhatte.«

Aber was können sie für Ursachen haben, das alles so geduldig zu tragen. Bey ihrer drückenden Armuth, in einem so schrecklichen Zustande der Sklaverey, was können sie noch zu verlieren befürchten, wenn sie ihm itzt noch entfliehen. Beyde sind gewiß dieser Lage sehr fremd, und mit so vieler Ruhe und Ergebung findet man in eine solche sich nur freywillig.

»Das alles begreife ich sehr wohl. Das alles macht mich auf die Geheimnisse der Höhle nur noch neugieriger. Sind beyde in sie eingeweihet, floß ihre Glückseeligkeit aus dieser Quelle, welcher Gewinn für das ganze Leben, aus ihnen nur einen Tropfen zu schöpfen?«

Aber eine solche unbeschränkte Wirksamkeit, welche unter allen Ereignissen sich gleich aufrecht erhielte, traue ich keinem Grundsätze zu.

»Es braucht auch nicht gerade ein Grundsatz zu seyn, den man unter ihnen lehrt, Don Karlos, und der den Eigenthümer in jedem Sturme des Lebens ruhig macht. Das Gefühl in einer Verbindung zu stehen, welche fest zusammengekettet, ein Glied aus ihrer Mitte niemals sinken läßt, ist gewiß in einem jeden Leiden eine große Beruhigung. Je mehr wir Gegenden sehen, auf die wir uns immer noch retten können, desto weniger bewegen uns alle Gefahren und Beschwerlichkeiten der Schifffarth. Jeder Verlust zeigt auf einen neuen Ersatz, und jeder Unfall bringt auch ein Hülfsmittel mit.«

Gewiß, das alles ist wahr, Sennor.

»Diese Verbindung, welche wir ahnden, hat überdem noch eine andere schätzbare Seite.«

Und die ist?

»Andere Vereinigungen, sie mögen einen Zweck haben, welchen sie wollen, führen, wenn dieser nur einige Größe besitzt, immer vom Genusse der Häuslichkeit ab; die Bande, welche ehedem den Hausvater mit einem treuen Weibe und seiner ganzen Familie verknüpften, müssen sich vorher gänzlich auflösen, um ihn zu dem engen Vereine einer weitumfassenden Absicht tauglich zu machen. Die Mittel des Ehrgeizes und hoher Entwürfe kann man nur jenseits dem ängstlichen Kreise des Hauswesens finden, und man wird dem Zwecke auch nur jenseits desselben zuerst eigentlich zugethan.«

Sehr richtig.

»Wie ganz anders ist aber hier die Beschaffenheit dieser Verbindung. Alle Erscheinungen deuten auf einen tiefliegenden, mächtig und weitgreifenden Plan dieser Menschen hin. Aber Jakob, der sicherlich einen großen Antheil an allen Absichten und Handlungen der Gesellschaft nimmt, ist doch um nichts weniger seiner häuslichen Lage, seiner Gattin und seinen Kindern entfremdet. Selbst die Gastfreiheit, die sanfteren Regungen des Mitleides kennt er noch.«

Aber haben Sie die schrecklichen Geschichten vergessen, Sennor, die ich Ihnen aus dem Munde Elmirens erzählte?

»Man muß hier nicht voreilig seyn, mein Freund. Nehmen sie von dem Umfange der Lage immer etwas hinweg. Schreiben Sie etwas auf die Rechnung des Zufalles, der das Gerücht, wenn es einmal erst voreingenommen ist, immer begünstigt, er mag eine Wendung nehmen, welche er will. Und dann, Don Karlos, nirgends ist man so ungerecht, als wo man zu beschränkt ist, keine Absichten begreifen zu können. Wer kann sich aber zutrauen, diese sogleich zu übersehen? Nehmen Sie immer einmal an, daß sie groß und edel sind, daß sie in der Vervollkommnung der ganzen Menschheit bestehen, was ist dann ein einzelnes Leben gegen diesen Zweck. Auf einem Brette, das nur einen einzigen im Sturme mit Sicherheit trägt, ist der Kampf beyder, sich des anderen zu entledigen, immer verzeihlich.«

Aber finden Sie es nicht äusserst stolz und gewagt, lieber Pedro, hierüber willkührlich entscheiden zu wollen? Wer bürgt mir dafür, ob alle meine besten Plane eines Menschen Leben, das ich ihnen aufopfern, oder sie aufgeben muß, wirklich werth sind? Wer steht endlich für den Ausgang derselben, und ist es nicht eine sinnlose Weisheit, einem einzigen Traume hundert Existenzen hingeben zu wollen? –

»Die Vorsehung ist nicht so bedenklich, als Sie, Don Karlos. In der Schöpfung drängt und preßt sich alles. Aus jedem Tode entwickelt sich ein neues Daseyn. Einem einzigen großen Plane der Menschenbildung hingegeben, kümmert sie sich nicht um die neben ihr vorgehenden Veränderungen. Alles weiß sie zu ihrer Absicht zu stimmen, und den erlöschenden letzten Punkt des Lebens entfaltet sie zu neuen Entwürfen und Aussichten.«

Ja, wenn wir das alles auch so vollkommen verstünden, Sennor, so würde ich mit Ihnen ganz übereinstimmen.

»Und wenn wir es auch nicht immer verstehen, sollen wir es darum nicht verstehen lernen, sollen wir die Kräfte in einem Traume der Menschenliebe verschweigen, um ja nicht die Gegenstände neben uns aus einem ähnlichen Traume erwachen zu lassen. Wer kann es beweisen, daß der Genuß des Moments auch der Zweck vom Daseyn dieses Augenblicks ist? Wenn eine ganze Ewigkeit von Zeiten noch ein Jenseits bildet, wenn der letzte Punkt des Jenseits den höchsten und vollkommensten Genuß in sich begreift, wenn sich keine andere Absicht unserer Leiden auffinden läßt, als unsere Empfänglichkeit diesem erhabensten Glücke unvermerkt, zuzubilden; sind wir nicht Thoren, wenn wir uns thierisch an bloße körperliche Bedürfnisse knüpfen, und uns von jenem Punkte um so länger entfernt halten.«

Noch begreif ich Sie nicht ganz. Aber fahren Sie nur fort.

»Lassen Sie denn einmal eine ganze, weitumfassende Verbindung von Männern entstehen, die an diesem Gedanken fest hangend, im Gesicht einer lange geprüften Ueberlegenheit über alle anderen Glieder des Volkes ihm auch fest und standhaft nachzugehen beschließen; welche das Gewebe der Natur und der Menschenbildung dem Schöpfer abzulauren versuchen, und den entdeckten Fäden derselben nun folgen; die, gleichsam Unterbeamte der Vorsehung, die Handlungen derselben nicht vervollkommnen, nur beschleunigen wollen, – werden diese Männer der kleinen Bekümmernisse dieses Lebens achten, um nicht das große Ziel zu verfehlen?«

Freylich dieser Gesichtspunkt – –

»Ist wohl nicht der, den Sie vorher gehabt haben, Don Karlos? Ein anderer liegt uns nicht weniger nahe. Jedes Leben hat seinen natürlichen Druck. Ist es dann nicht selbst Wohlthat für den einzelnen Menschen, allen Kummer auf den Anfang derselben zu häufen, um das Ende ganz davon befreyen zu können? Wenn die Abendsonne uns mit einem reinen, ungetrübten Genusse begeistert, haben wir den Sturm der Nacht und des Morgens, die Hitze des Mittags lange vergessen. Die Schrecken vergangener Gefahren gesellen sich höher entzückend den Spielen der darauf folgenden Glückseeligkeit zu; alles lächelt in einem einförmigen, sanften Schmelze, und zum vollen Bewußtseyn seiner Gefühle gehört eine vorhergegangene Spannung.«

Ich vergesse mich in diesem schönen Traume, Sennor.

»Halten Sie es nicht ganz für einen Traum. Meine Sätze sind aus der Erfahrung gegriffen. Sie kennen die Gesellschaft nicht, die sich Ihnen anbot. Erinneren Sie sich an Jakob und seine Glückseeligkeit.« –

Hier endigte sich unser Gespräch. Wir verfielen auf andere Gegenstände. Ich nahm aber an keinem mehr Theil; genug Ideen empfangen, um Jahre lang darüber brüten zu können, quälte ich mich, sie diesen Tag noch ganz zu verarbeiten. Aber es blieb mir doch alles sehr dunkel. Nur der Wunsch ward immer lebendiger, die Spuren, die ich hatte, fest zu verfolgen.

Als ich am anderen Tage wieder mit meinem Nachbaren zusammentraf, nahm er den gestern verlohrenen Faden des Gesprächs wieder auf.

»Wie wäre es, Don Karlos,« sagte er, »wenn wir unsere gestrigen Wahrscheinlichkeiten zu vergewissern versuchten.« Dies hieß, meine Wünsche errathen zu haben. Herzlich stimmte ich ihm bey, und wir dachten täglich auf Mittel, als unsere Berathschlagungen durch ein neues Ereigniß auf einmal wieder unterbrochen wurden.

*

Mein Freund Pedro hatte mich einstens eingeladen, bey ihm zu Abend zu speisen. Er war nicht wohl, und um dem Luftzuge auszuweichen, hatten wir in einem Gartensaale unseren Platz genommen, von da aus wir die Reize eines schönen Abends und den Duft junger Orangenbäume schwelgerisch genossen. Nach der Tafel fieng ich an, ihm vorzulesen, er fand einen solchen Geschmack an dem Schriftsteller, und ich freuete mich hierüber so herzlich, daß auf eine Zeitlang alle Gegenstände und Ideen für uns nicht da waren. Er hatte der Thüre den Rücken zugekehrt, die Aerme zusammengeschlagen, und ruhete mit dem schwermüthigsten Blick auf meinem Gesicht. Ich las, von der Geschichte selbst hingerissen, fort, ohne nur ein Auge von dem Buche verwenden zu können.

Auf einmal höre ich einen durchdringenden Schrey. Erschrocken hebe ich die Augen auf. Pedro sinkt ohnmächtig vom Stuhle. Kaum kann ich noch hinzuspringen um ihn aufrecht zu halten. Neben ihm ruht ein bleiches abgezehrtes Gesicht auf einer herunterhängenden Hand. Ich fühlte es im Innersten meiner Seele; es war Franziska's Gesicht.

Nachdem sie noch eine Zeitlang geknieet hatte, und Pedro die Augen wieder aufschlug, erhob sie sich und küßte seinen entfärbten Mund. »Beruhigen Sie sich, mein theurer Gemahl,« rief sie mit einer krampfhaften Fassung aus, »beruhigen Sie sich, um einem Weibe zu vergeben, das von Ihnen Abschied zu nehmen, zum letztenmal kommt.«

Noch konnte er nicht wieder reden. Er reichte ihr aber die Hand.

»Nein, mein Gemahl, ich danke Ihnen,« sagte sie hierauf, als sie seine Hand geküßt hatte. »Aber ich will Sie nicht noch einmal täuschen. Ein reuiges, gefoltertes Weib, das seinem Verführer noch vor dem Augenblicke entrann, wo es auf Ewigkeit verlohren gewesen wäre, bittet Sie um Ihren Seegen.« Sie warf sich wieder zu seinen Füßen.

»Nein, Franziska,« versetzte er, »ich nehme dies reuige Weib, das mit ganzer Seele heimkehrt, wieder an meinen Busen zurück. Ach vergeben habe ich dir alles schon lange. Franziska wird es gern wollen, daß ich auch alles vergesse.«

»Sie irren sich, Pedro, wenn Sie mich für fähig halten, Ihre Güte zu mißbrauchen. Nein, nehmen Sie Ihr Herz wieder zurück.«

»Warum sollte ich das, Franziska?«

»Nimmermehr, können Sie eine Verbrecherin lieben. Nimmermehr kann ich in Ihren Armen Ihnen wieder Glückseeligkeit geben. Nein Pedro, ich will Sie nicht um Ihre ganze Zukunft betrügen. Geben Sie mir Ihren Seegen, mein Gemahl.«

Mein armer Freund war ausser sich. Diese niederschlagende Kälte seines Weibes, diese erschütternde Worte in einem Konversationstone gesprochen, brachten einen Kampf in seinem Herzen zwischen seiner Zärtlichkeit und seinem Stolze hervor, den ich seiner Erschöpfung für tödtlich hielt. Ich glaubte, ihm zu Hülfe kommen zu müssen.

Sie sehen Madonna, redete ich sie an, die Ermattung Ihres Gemahls. Wenn Sie hergekommen sind, ihn durch Grausamkeit vollends zu tödten, so wird Ihr Geschäft sehr bald zu Ende seyn. Aber entschuldigen Sie mich, Madonna, wenn ich für ein Leben Sorge trage, das ich zu schätzen gelernt habe. – Hierauf wollte ich ihre Hand ergreifen, um sie hinauszuführen. Aber sie hatte sein Knie so fest umfaßt, daß es unmöglich war, sie in die Höhe zu heben.

»Laß mich nicht ohne Vergebung von dir, theurester Pedro,« rief sie laut aus. »Dieser Mensch will uns trennen. Gieb mir deinen Seegen, und dann will ich gern von dir scheiden.«

Noch immer tönen diese schrecklichen Worte in meiner Erinnerung wieder: »Gieb mir deinen Seegen, Pedro.« Sie wurden mit zitternder Stimme mehr geschrien als gesprochen; es war der letzte Ton einer Sterbenden, die den Himmel um eine gute Aufnahme anflehet. Eine starre Verzweifelung hatte ihre Haare in die Höhe gekehrt; sie hiengen ihr halb ins das Gesicht herab, halb hatten sie sich im Nacken mit ihrer Kleidung schrecklich verwirrt. Eine Kälte, wie kein Gypsbild sie ausdrückt, hielt jede Miene in einer unzerbrechlichen Fessel, eine Gleichgültigkeit der Züge, wie sie der Tod kaum giebt, widersprach schrecklich ihren Worten, und mit der entsetzlichsten Unbefangenheit blickte sie in die trähnenden Augen ihres Gemahls. Dieser arme Mann schwankte, von Muth und Kraft verlassen, auf seinem Stuhle hin und her, blickte mich ungewiß und fragend an, und dann auf sein Weib wieder hin, das ihn mit beyden Händen unbeweglich auf seinem Platze erhielt.

»Willst du mich nicht seegnen, mir nicht vergeben, mein theuerster Gemahl,« fieng sie wieder an, »o so vergönne mir nur eine einzige Bitte.«

»Ich kann dich nicht seegnen, Franziska,« antwortete er zitternd; »nur einer Verbrecherin, die man annimmt und wieder zurückstößt, giebt man seinen Seegen zum Fluch mit. Komm in diese zärtlichen Arme, mein noch immer theueres, mein ewig angebetetes Weib. Ich war selbst vielleicht schuld an deinem Fehltritt, laß mich diese Schuld an deinem Busen abbüßen.«

»Nein, Pedro, willst Du mir in Deinen Armen eine Hölle geben? Nein, so grausam ist mein Gemahl nicht.«

»Ich will deine Angst nur mildern Franziska. Ich will diese Verzweifelung wieder in Liebe verwandeln. Begehe nicht noch ein größeres Verbrechen, um ein kleines wieder gut zu machen. Ich war unglücklich, aber niemals hatte mich die Hofnung daß ich es zu seyn aufhören könnte, verlassen, willst du auch diese, willst du mir alles nehmen?«

»Beruhige dich, Pedro; aber ich muß sie dir stehlen, um dir dafür eine ruhigere Zukunft wieder zu schenken. Die Brust deines Weibes hat keinen Trost, keine Freude mehr für dich. Wie könnten dich ununterbrochene, ewige Quaalen beglücken! Wenn du barmherzig gegen mich wärest, so würde ich gegen Dich wüten, und die Entzückungen deiner Liebe würde ich mit dem Jammer der Verzweiflung belohnen. – Nein, seegne mich, Pedro, oder gewähre mir eine einzige Bitte?«

»Und welche, Franziska?«

Sie stand auf und gieng zur Gartenthüre hinaus. Ich war so erstaunt und gespannt, daß ich kaum diesen kleinen Zeitpunkt benutzen konnte, meinem Freunde etwas tröstendes zu sagen. Bald darauf kam sie wieder zurück, auf ihrem Arme trug sie einen kleinen Knaben, der sich zärtlich an ihren Busen geschmiegt hielt, und ihr freundlich liebkoste. Er mochte einige Jahre alt seyn. Ihr Gesicht ruhete schmerzhaft auf ihn, und es schien ein großer Vorsatz in ihrem Auge zu lauren.

»Komm, Pedro,« sprach sie, indem sie wieder niederkniete, »du sollst deinen Vater sehen. Das ist er. Geh, küsse ihn!«

»Ist er das Mutter,« stammelte das Kind. »Er spricht ja nicht mit mir.« –

»Was soll das? Franziska,« fiel ihm mein Freund ein.

»Erlaube mir nur zwey Worte noch, mein Gemahl; dann will ich gehen und dich seegnen.« Es kochte aufrührerisch in ihrer Brust. Ihr abgestorbenes Gesicht färbte sich plötzlich, und blieb die ganze Zeit über Flammenroth. Das, was sie ihm sagen wollte, schien vorher erst ihr ganzes Mark durchwühlen zu müssen, ehe es sich in Worte zu bilden vermochte. Sie zitterte in einem Fieberschauer, und wir Beyde sahen ihren Worten, gleich einem kommenden Weltgerichte, angstvoll entgegen.

»Du weißt es, Pedro,« fuhr sie fort, »daß ich eine Frucht deiner Liebe unter dem Herzen mit wegnahm, als ich von dir gieng. Es würde dich bekümmern, sie in meinen verruchten Händen zu wissen. Ich will sie dir itzt wiedergeben.«

»Ach, Franziska, daß ich einen immer lauten Zeugen deiner Grausamkeit hätte.« –

Unterbrich mich itzt nicht, mein Gemahl. Es ist der letzte Wille, es sind die letzten Seufzer einer Sterbenden, die ich itzt dir vertraue. Erinnerst du dich wohl noch der Tage meines Brautstandes, Pedro, als ich dir da wollüstig in die Arme sank, ein reines, ein schuldloses Weib?

Franziska – –

»Als ich dir so alles hingab, was ich hatte, und es mir nur schmerzte, nicht mehr geben zu können, als ich in deinem Auge verklärt mich sah, und deine zuckenden Lippen in mich Fieberschauer ergossen – als jede Nerve krampfhaft erstarrte, um zu neuen Entzückungen wieder aufzuwachen, als der lechzende, athemlose Mund nur Töne stammeln konnte, und die Gluth der Gefühle kaum im Thaue wollüstiger Trähnen erlosch. – Erinnerst du dich daran noch, Pedro? – Meine Phantasie hat alle anderen Freuden der Vergangenheit mir bübisch gestohlen, um aus diesem eine verzehrende Gluth zusammenzuscharren und darauf mein Bewußtseyn langsam zu rösten. Dasselbe Feuer strömt aufgelößt in mir, aber ohne Gegenstand mehr, derselbe Hunger, ohne Nahrung. – Siehst du, Pedro, damals empfieng ich dies Pfand, als eine Versicherung von dir, daß es so ewig währen solle; die Zeit ist vorbey, hier hast du es wieder.«

»O Gott,« rief mein Freund aus, »daß ich nicht vorher gestorben bin, um dies noch erleben zu müssen!« – Ich war unbeweglich vor Furcht und Erwartung geworden.

»Aber du sagtest vorhin, du wolltest keinen Zeugen meiner Grausamkeit. Auch das ist meine Meynung; ich will keinen meiner Schande. – Ich habe auf Mittel gedacht,« fuhr sie sinnend fort, indem sie mit der linken Hand die Stirne berührte, und mit der rechten in den Busen fuhr, »uns beyden zu helfen. Zwar ist es ein schreckliches Mittel, aber es ist für uns beyde gut.« Indem zog sie einen Dolch hervor und höhlte gegen den Knaben aus. Aber ich war durch jene Worte aufmerksam gemacht, stand hinter ihr, ergriff die gefährliche Hand, und halte, ehe die Linke ihr zu Hülfe kommen konnte, den Dolch in der meinigen. »O Gott, nun bin ich verlohren,« schrie sie hierauf und stürzte zum Zimmer hinaus. Niemand von uns konnte sie halten; als ich ihr nachgieng, war sie verschwunden und kam nicht wieder zum Vorschein. Ich vermuthete, sie habe sich in den benachbarten Teich gestürzt.

Ich fand, als ich zurückkam, meinen Freund mit seinem kleinen Knaben beschäftigt. Eine wahrhaft große, rührende Szene! Schon lange schienen sie sich gekannt zu haben und nun allein des Wiedersehens Fest zu begehen. Der Knabe vermißte lange auf dem Schooße seines neuen Vaters, nichts von einer Mutter, und nur nach einer geraumen Weile suchte er ängstlich nach ihr. Ich redete ihm zu, und der trostlose Vater gewann in seinem Anblicke neue Hofnungen und Erwartungen wieder. »Ihr mütterliches Herz hieng an diesem Knaben,« sagte er, »gewiß wird sie noch kommen, ihn mit mir theilen zu wollen.«

Meine Hauptsorge ward es nun, ihn zu zerstreuen. Mit denselben Ideen und Vorstellungen, welche er zuerst in mir, vielleicht so unwillkührlich, aufgeregt hatte, fieng ich nunmehr ihn zu beschäftigen an. Der Kreis unserer Erfahrungen und Kenntnisse ward uns sehr bald zu enge; Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten wurden aus dem Reiche der Träume abgefordert, und wir ließen eine seltsame Schöpfung nach der anderen aus ihnen hervorgehen. Man kam von Bedenklichkeit auf Entschluß, von Entschluß auf Gefahr. Und endlich fanden wir uns wieder auf dem Punkte zusammen, sie kühnlich bestehen zu wollen.

Wir machten alle Anstalten, um dies mit einiger Sicherheit thun zu können. Zum wenigsten unser Tod konnte nicht ohne sehr fürchterliche Folgen für unsere Mörder abgehen. Und wenn es das Leben nicht galt, was konnten wir bey ihnen besorgen. Eines Morgens früh ritten wir beyde weg, um Mittagszeit waren wir an der Hütte. Aber sie war leer. Keine Spur eines menschlichen Fußes im ganzen Bezirke. Was konnte das bedeuten? Pedro, der sein tolles Unternehmen, den ganzen Weg über schon mehrmals bereuet hatte, fand hierin einen triftigen Vorwand es ganz aufzugeben, und da ich durchaus darauf bestand, setzte er sich wieder zu Pferde und ritt mit einem sichtbar leichteren Herzen davon.

Die Nacht kam heran; es machte sich ein schrecklicher Wind auf, die Bäume schwirrten um mich her, und die alte morsche Hütte, in deren Winkel ich mich vor den hereinströmenden Regengüssen nothdürftig barg, schien ihrer gänzlichen Auflösung bey jedem neuen Windstoße zitternd entgegen zu sehen. Bald war es, als wenn es heller um mich her würde, bald ward das düstere Flimmern und Scheinen im kleinen Fenster von einer tiefen Dunkelheit aufgelößt. Meine Furcht sah alles gedoppelt, und meine Phantasie wurde in diesen Augenblicken der Angst von allen Mährchen und abentheuerlichen Geschichten bedrängt, welche ich von diesem Walde nur jemals hatte erzählen gehört. Dies wurde noch durch die Unruhe meines Pferdes vermehrt, das ich innerhalb der Hütte angebunden hatte. Es war eine der schrecklichsten Nächte, die ich jemals erlebt habe.

Nach gerade fieng es an, um die Hütte herum wie lebendig zu werden. Mein gespanntes Ohr schied aus dem allgemeinen Sausen des Sturmes und dem Krachen der Bäume, ein leises einzelnes Flüstern und leise Töne heraus, die Menschenstimmen angehören konnten. Immer ward es lauter und angelegentlicher, und endlich unterschied ich sehr deutlich ein Wort. Statt mich in meiner grauenhaften Einsamkeit über Gesellschaft zu freuen, fieng ich nur mehr zu zittern an.

Indeß kam es mir immer näher und näher, ein blasser Schimmer fiel durch das kleine verwachsene Fenster herein. Es war an der Thüre; sie eröfnete sich; mit Schrecken sah ich den Alten hereintreten. Er hatte eine Fackel in der Hand, aber sonst war er noch derselbe, sein Gesicht das nemliche, immer die schaudervolle, bedeutende Kälte.

»Endlich!« rief er tiefathmend aus, als wenn ihm ein Geschäft gelungen wäre. Doch bald besann er sich; »Sind Sie es, Don Karlos?« setzte er gefaßter hinzu. »Ich hörte etwas stampfen und wiehern.« – Mein Pferd hatte nicht gewiehert. – »Sie haben es wol vergessen, oder sind Sie itzt gekommen, um ihr Wort einzulösen?«

»Ja, darum bin ich gekommen, Sennor,« antwortete ich ihm, indem ich aufstand. »Gewartet werden Sie wohl nicht haben; denn Ihre Geschäfte« –

»O, es ist nun einmal mein Geschäfte, warten zu müssen. Aber seyn Sie ruhig deswegen. Nichts kann ich leichter vergeben. – Wollen Sie aber itzt mit mir gehen?« –

Ich bejahete es; das Pferd wurde fester gebunden; er steckte noch eine Fackel an, die er neben der brennenden in seiner Hand trug, und gab sie mir in die meinigen. Die Thür wurde hierauf sorgfältig verschlossen, und wir fiengen an, uns durch das Buschwerk zu drängen. Da kein Weg sichtbar war, und wir lauter verwirrtes Gestrüpp zu überwinden hatten, so wurde das zu einer äusserst ermüdenden Arbeit. Ich rannte an alle Aeste, verlohr meinen Huth, und erreichte einen nahegelegenen freyeren Platz nicht eher, als bis meine Kleidung halb an den Sträuchern hieng. Dem Alten schien dies aber ein gewohnter Steig, er benutzte alle Vortheile, und kam wohlbehalten und ganz unversehrt mir nach.

Auf diesem freyen Platze ruheten wir einen Augenblick aus. Es war mir, als wäre ich mehrere Meilen gegangen. Die schlaflose und schreckenvolle Nacht, die Bangigkeit der Erwartung, die Erhitzung des Marsches, hatten mich völlig erschöpft. Ich athmete kaum noch. Lächelnd sah mein Lehrer mich an, und schüttelte bedeutend aber nicht unzufrieden den Kopf.

»Lassen Sie uns hier nicht lange verweilen, Don Karlos,« fieng er hierauf an. Dies war das Zeichen zum Aufbruche. Wir fiengen an weiter zu gehen; der große Raum des freyen Platzes verengerte sich allmählich und wir fanden uns endlich in einem kleinen Felsengange zusammengedrängt, der zwischen wildem Gestrüpp schroff und ungebahnt in die Tiefe hinabstieg.

Ich konnte mich hier nicht eines leisen Schauers erwehren. Der Weg schien in einen fremden Abgrund zu führen. Alles trug das Gepräge der wüsten Zerstörung und doch sah man allem die Größe an, mit der diese Zerstörung vollbracht seyn mußte. Die entsetzliche Hand der Natur schien hier eine Zeitlang gewühlt zu haben. Ungeheuere Felsstücke setzten sich, schon halbverwittert, einem stürmenden Wasserfalle entgegen, der die fessellose Wuth unter dem trüben Dunkel unabsehbarer Abgründe verbarg. Alles trug die Zeichen des Alters. Ein graues Moos flimmerte schwermüthig an den Gebirgen und das leichte Gesträuch bog sich flüsternd in dem zweifelhaften Fackelschein nieder. Sein Strahl, der an den Stämmen sich bleich bis in das entfernteste Dunkel der Büsche verlohr, das fliehende Licht, und die wankenden Schatten erhoben die Seele wechselsweis zu den erhabensten Gefühlen und wiegten sie dann wieder in stille Betrachtung. Der Wechsel der Helle, welche zwischen dem Laube spielte, mit dem tiefen grünlichen Dunkel, alles schien mir das Symbol meines Lebens und mich auf eine glücklichere Zukunft hinzuführen. Ich fühlte mich wie noch einmal erschaffen, und schwärmerisch kühn ließ ich die trübe Hülle der Vergangenheit sinken.

»Wohin führen Sie mich, Sennor?« rief ich endlich unwillkührlich aus.

»Wohin, ein Mann von Muth und Gefühl sich nie zu gehen scheuen kann. – «

»Und scheue ich mich dann? – Gewiß, mein Herr, ich kenne die Furcht nicht. Ich erliege nur unter niemals vorhergeahndeten Betrachtungen, und meine Seele schwankt nur zweifelhaft zwischen dem Kummer der Erfahrung und den Freuden der Hofnung. Machen Sie mich mit mir selbst einiger, Sennor.« –

»Kann ich das? Ihr Gefühl muß Ihnen sagen, was Sie mit Gewißheit erwarten dürfen. Sie kennen Jakobs Geschichte zum Theil. Eine Versammlung von Männern erwartet Sie. Sie wünschen vielleicht Theil an großen Zwecken zu nehmen, die sie verfolgen. Werden Sie sich zu freywilligen Banden entschließen können?«

Ja, ich werde es können, aber was für ein Ersatz dafür? –

»Den, unfreywillige abzulegen.«

Und keinen weiter?

»Karlos, es ist noch zu früh, dies zu fragen. Einmal werden Sie sich glücklich fühlen. Aber wie können Sie den Lohn noch vor der Handlung erwarten. Von Vorurtheil reingewaschen, verschmolzen in ein Band von Menschen hoher Tugend und eines weltenbeherrschenden Geistes, werden Sie die kleinen Kümmernisse des Daseyns gern vergessen, und die Last eines Lebens im schönen Lichte der Wahrheit leicht ertragen. Aber sind Sie ganz frey von Meinungen und Glauben, fühlen Sie sich itzt schon würdig einer solchen Verbindung?«

Nein, Sennor, und das macht mich eben besorgt. Können Sie mir gar nichts sagen, was mich ruhiger machte?

»Habe ich dies nicht schon gethan?«

Kein Mittel, um dann nicht gerade mich in meiner Blöße zu zeigen, wenn ich es in meiner Kraft wollte?

»Um Ihnen eine Maske zu geben, mit der Sie uns zu betrügen im Stande wären? Nein, Don Karlos, es ist uns um Wahrheit zu thun.«

Aber es ist schrecklich, sich ohne alle Vorbereitung unter Männer zu stellen, die man zu fürchten gelernt hat. Die Furcht läßt die Seele sich nur halb entfalten, und selbst diese Entfaltung, wie ängstlich und wie eng! –

»Auch in dieser wird man Ihren Geist erkennen, fürchten Sie nur nichts, Karlos. Man wird eher Gefahr laufen, Ihnen zu viel als zu wenig zu trauen. Und dann, was besorgen Sie? Fühlen Sie sich verkannt, fühlen Sie Ihre Hofnungen getäuscht und unwahr; wer wird Ihnen ein Band aufzwingen können, das, um mit ihm wieder zu fesseln, des Willens freyste Ungebundenheit fodert?«

Aber wie wollen Sie das vereinigen, Sennor?

»Sehr leicht. Der Zusammenhang des ganzen Körpers beschränkt die Theile nicht in den Bewegungen, deren sie fähig seyn können. Das Glied leidet nichts an der Willkühr, wenn ihn diese fortziehet. Die schöne Blumenkette eines freyen aber nur geläuterten Wollens hält eine Verbindung, welche, von einem Geiste der höchsten Bildung belebt, freywillig zusammenfloß. Je mehr Sie ihm nachgehen, Don Karlos, je zarter und durchdringender Ihr Blick in die Natur der Welten sich schärft, je weiter Ihre Empfänglichkeit wird, und je tiefer Sie es fühlen, daß im todten Raume des heimlich eingeschlossenen Lebens alle die edelsten Federn unseres schönen inneren Wesens unbiegsam werden, oder auf alle Ewigkeiten erlahmen, desto stärker werden Sie von einem Vereinigungspunkte angezogen sich fühlen, in dem alle Kräfte, wie aus dem Grabe erwachen.«

Welche Aussichten, welche Hofnungen, Sennor!

»Aussichten? Hofnungen?« – fuhr er mit einem sanften aber bitteren Lächeln fort, – »welche hätten Sie denn! Sprechen Sie nicht davon. Kaum einer armseeligen Küste kummervoll und zitternd entronnen, wollen Sie schon die Gestade des jenseitigen Landes sehen. Das sind nur Wolken, Don Karlos, was Sie für Ufer ansehen, Hüllen heranziehender Stürme, ein schreckenschwangeres Chaos. Der stille Schooß der Morgenröthe wird klarer und lieblicher von bösen Nächten eröfnet.«

Kann ich aber gar nichts ahnden, gar nichts hoffen? –

»Wie könnten Sie den Genuß eines Trunkes begreifen, wenn Sie nie durstig gewesen sind? Es ist eine unbegreifliche Höhe, die man niemals gesehen hat. – Ungekannt trägt die Natur im geheimen Busen ihres Inneren den schönsten Zauber ihrer Schöpfungen; in einer verschlossenen Höhle liegt des künstlichen Gewebes, in den sie alle ihre Kinder verwickelt, erhabener, entzückender Mittelpunkt.«

*

Wenn ich es Ihnen doch deutlich machen könnte, liebster Graf, wie dieser entsetzliche Mensch mir alle meine Begriffe zu verwirren anfieng. Er warf sorglos Gefühle und Hofnungen in meine Seele, von denen ich gar nichts begriff; ein gewisser Trübsinn, eine Verfinsterung aller Bilder nahm mir unvermerkt das Bewußtseyn meiner Ideen, und ich fand mich am Ende selbst von jenen Aussichten losgeknüpft, welche mich eigentlich hiehergezogen hatten. Es war in seinen Worten weniger als in seiner Miene. Er schien jene sorgfältig niederzudrücken, während diese zu einer schauderhaften Erhabenheit sich fessellos entfaltete. Ohne auf eine Erschütterung zu achten, die er selbst zu hindern sich befliß, konnten seine Worte sich nicht von einer Bedeutung losmachen, die mich um so gewisser ängstigte, je natürlicher sie ihnen angeboren schien. Der Ernst seines Gesichts versank, langsam aufgelößt, in jene rührende Selbstbeschauung, aus der die Seele, wenn sie über einen großen Gegenstand brütet, nur zu seltenen Stralen sich loswickelt. Alles trat zusammen, die Eindrücke der Umstände meiner Seele unvergänglich zu machen, und, indem ich dies für Sie, bester Graf aufzeichne, treten die Ideen aus meinem Gedächtnisse mit verdoppelter Wirkung hervor.

*

Der Felsengang war indeß immer weiter und weiter gegangen. Die Gebirge zur Rechten und Linken sanken wieder und verliefen sich langsam in ein breites, bewachsenes Thal. Der Morgen füllte die sparsamen Lücken zwischen den Gebüschen mit einer lieblichen, rosenfarbenen Dämmerung aus. Alles gewann eine romantische Haltung, und so wie unsere Fackeln unnützer und blässer wurden, fanden wir uns und die ganze Gegend in einem zarten Dufte schwimmend, aus dem nur ein einförmiger grün-röthlicher Hintergrund hervorsah. Alle Gegenstände waren vergrößert und alles schien sich aufgelößt zu haben, um mehr von dem anbrechenden Tage in sein Wesen aufnehmen und verschmelzen zu können. Welche Stimmung bemächtigte sich meiner Gefühle! Ein lieblicher Traum war niedergestiegen, und alle Gedanken schwammen in einer zweifelhaften Berauschung. Oft hatte ich auf der Jagd diesen Wald besucht; niemals hatte ich diese Stelle gesehen. Sie war nicht in der Natur, sie schien nur das Eigenthum meiner gereizten Einbildungskraft.

Wir traten endlich in das Wäldchen. Die Orangen waren voll Blühten, und die Vögel schienen uns erwartet zu haben, um uns vollstimmig zu bewillkommnen. Ein Geist der Ruhe, ein anmuthiges Leben neigte die Aeste der Bäume fröhlich zu einander. Es war das erste Erwachen, das sich von einer trüben Nacht noch nicht ganz losmachen kann. Das Gebüsch war hier wieder sehr dick, aber die Anlage trug noch Spuren einer veralteten und verfallenen Kultur. Hin und wieder schien ein regelmäßiger Schlangenweg aus dem verwachsenen Grase hervor, Trümmer von Lauben ragten aus dem Dickigt, die gerade und geordnete Richtung mancher Baumgruppe, ein einzelnes Denkmal, wildgewordene ausländische Blumen, und fremde Sträucher verriethen die abgeschiedene Hand eines Gärtners. Endlich blickte ein Gebäude hervor, ein langer Gang führte darauf zu; schon der Verwesung nahe, lehnte es seine wankenden Reste an einem hinter ihm stehenden Hügel an, der darüber romantisch hervorragte. Mehrere Fenster waren verfallen, aber was noch von ihnen erhalten war, sah ich zu meinem Erstaunen, mit eisernen Stäben ganz neu vergittert. Ein unwillkührlicher Schauer überlief mich, indem ich dies bemerkte. Ich blickte auf meinen Gefährten, er gieng, tief in sich selbst versunken, neben mir her, er hatte es vergessen, daß ich bey ihm war; seine Seele hatte sich auf seinem Gesichte einer großen Erwartung aufgeschlossen, und arbeitete einem geahndeten Schauer schon im Voraus entgegen.

Wir traten zur Thüre. Der Alte vorauf. Mehrere Stufen giengen hinab. »Fallen Sie nicht, Don Karlos,« sagte er und leuchtete mir mit der Fackel. Dies: Fallen Sie nicht, aber hätte mich beynahe eben die Stiegen hinabstürzen gemacht; ich hielt mich nur mit Mühe an einer eisernen Stange, welche mir zur Seite an der Mauer befestigt war, und es war die höchste Zeit, als wir herabkamen, wenn ich nicht ohnmächtig hätte niedersinken wollen. Hier aber konnte ich mich nicht länger halten. »Lassen Sie mich einen Augenblick ausruhen, Sennor,« rief ich dem Führer zu und setzte mich auf die unterste Stufe. »Ich bin völlig erschöpft.«

Der Alte drehete verwundert sich um, und beleuchtete mich mit seiner Fackel. Die meinige hatte ich am Eingange von mir geworfen. »Schon so früh, Don Karlos,« rief er aus. »Heilige Jungfrau, Sie sind so blaß. Ermannen Sie sich.«

Er that alles, was er konnte, mich zu beruhigen; aber das tiefe Gefühl, daß noch unendlich größere Schrecken meiner warten müßten, weil er sonst den tiefen Eindruck der Gegenwart nicht aufopfern würde, ohne seinem Zwecke nachtheilig zu werden, verschloß jeder Art von Tröstung mein Herz; eben, daß ich es nicht begreifen konnte, was für Gegenstände sich mir aufdringen würden, die gänzliche Wehrlosigkeit meiner Lage, die sichtbare Gepreßtheit meines Führers verdunkelten mir allgemach die Sinne.

Ein langer Gang führte uns tiefer in das Gebäude; niederwärts gehende Stufen, hinaufsteigende Treppen, enge Wege, geräumige Höhlen wechselten mannichfaltig. Endlich fanden wir uns in einem regelmäßig gemaurten, sehr weiten Zimmer. »Hier verweilen Sie, Don Karlos,« sagte mein Führer, und schlug seine Fackel aus. Er war wie auf einmal verschwunden; nicht der leiseste Laut verrieth es mir, wohin er gekommen sey, nicht die geheimste Bewegung der Luft, welchen Weg er genommen habe. Wohin ich meine Arme streckte, war nur eine leere Oede und ich fand mich in einem weiten Grabe, dessen Wände ich nicht einmal erreichen konnte. Ohne Hülfsmittel, um nur einen Fußbreit vor mir den Boden zu prüfen, fürchtete ich bey jedem Schritte zu fallen; ich stand anfänglich unbeweglich, aber ich war zu matt und entkräftet, lange in dieser unbequemen Stellung zu bleiben; ich entschloß mich daher, mich platt auf die Erde niederzusetzen, und den kommenden Dingen hier ruhig entgegenzusehen.

Es war auch in der That nöthig, daß ich diese Stellung gewählt hatte. Eine Viertelstunde nach der andern verstrich, und noch immer blieb ich allein. Mein Vorsatz, mich zu beruhigen, war nur auf die erste von ihnen berechnet gewesen, und hielt gegen die andern nicht aus. Mit jedem Pulsschlage, der die Zeit von meiner Ankunft entfernte, fand ich mich ängstlicher gemacht, und meine zunehmende Wärme gieng endlich in einen heftigen Fieberschauer über, der meine Angst auf das höchste trieb. Allmählich ward, wahrscheinlich von dem anbrechenden Tage, welcher durch eine schmale, entfernte Oefnung hereinfiel, der Raum um mich sichtbarer und deutlicher, und ich konnte mich schon selbst wiedererkennen, als sich eine Thüre vor mir eröfnete, zwey vermummte Gestalten mit Fackeln auf mich zutraten, mir winkten, die Hand boten, und aufhalfen. Erstaunen Sie, lieber Graf, meine ganze Angst war in diesem Augenblicke verschwunden, und es kam mir vor, unter Brüdern zu seyn. Ich gieng den offnen Armen einer liebenswürdigen Familie entgegen, welche mir wohlwollte, welche mich willkommen hieß, und welche mir für die ganze Zukunft in ihrem stillen Schooße eine vollkommene, überschwengliche Glückseligkeit anbot.

Eine zahlreiche Versammlung weiß verhüllter Menschen, in einem von zwey Kronleuchtern hell und prachtvoll erleuchteten, mit Spiegelwänden versehenen Saale bot sich meinem erstaunten Auge dar. Sie saßen auf niedrigen Sesseln, die in der Mitte an einem erhöheten Platze zusammenliefen, und auf diesem befand sich, wie es schien, der Erste in der Gesellschaft. Eine Tafel stand vor ihm, mit Büchern, einem Kreuze, einem Dolche, einem Becher und einigen mir unbekannten Instrumenten belegt. Für mich ein leerer Sessel unter den Kronleuchtern. Eine große feyerliche Ruhe hielt einen stummen Augenblicke lang die ganze Versammlung gefesselt, und nur nachdem meine beyden Führer sich wieder niedergelassen hatten, stand der Mann gerade vor mir von seinem erhabenen Sitze auf.

Er trat zum Tische, noch immer verhüllt. Itzt aber schlug er das Gewand von seinem Gesichte zurück. Ein großes, ein unaussprechlich bezauberndes Antlitz, voll einer himmlichen Güte mit den Resten der bittersten Erfahrungen vermischt. Ein reiner, über das Erdenleben heiter hinwegsehender Blick und eine Stirn, welche der Kummer vergebens bedrohete. Der stille Plan eines neuen Weltbaues schien in jenem zu ruhen, diese ein vollendetes Gemälde der höchsten Menschlichkeit. Ich hätte vor seiner Größe niederknieen und ihn anbeten mögen.

»Du bist hieher gekommen, Karlos, um uns kennen zu lernen,« fieng er hierauf mit sanfter Stimme an.

Ich bejahete es stillschweigend.

»So enthüllt euch meine Brüder.« – Die ganze Versammlung entblößte hierauf ihr Haupt. Welche unbeschreiblich erhabene Szene! Eine Gesellschaft von Gesichtern voll apostolischer Menschlichkeit. Der Alte und mein guter Jakob unter ihnen. Mir gleich einer Reihe wiedergefundener Freunde. Aber ein schwermüthiger Ernst hatte Besitz von ihnen genommen. Ihr Auge hieng wehmüthig auf des Greises Gesicht, der mich angeredet hatte.

»Was willst du von uns, Karlos?« fieng er wieder an.

Du sagtest es vorhin, ehrwürdiger Vater: diese Versammlung kennen lernen.

»Und dann zu ihr treten?«

Ich habe Pflichten als Mensch, die mir angebohren sind, wenn du ihrer schonen willst, so bin ich dein eigen.

»Und welches sind diese Pflichten?«

Die Menschen zu lieben, jedem wohl zu thun, der mir begegnet, jedem zu vergeben, der mich haßt, jeden zu lieben, der mir wohl will.

»Jeden, Karlos? – bedenke dich wohl!«

Jeden, mein Vater.

»Ist das eine Pflicht, von der keine Umstände dich abbringen werden, gegen welche die Ueberzeugung deiner Vernunft, die Ueberredung deines Herzens nichts vermögen?« –

Gegen welche beyder Bemühung fruchtlos seyn wird.

»So taugst du nicht in unseren Bund! – Führt ihn hinweg, meine Brüder.«

Stoß mich nicht zu rasch von dir, mein Vater, verurtheile mich nicht ungeprüft. Sage mir erst, was du verlangst, und was der Bund deiner Brüder fodert; ich schwöre es dir, dann aufrichtig zu seyn, und wenn ich es kann, dir ganz zu gehören.

»Wir verlangen nichts von dir, Karlos, als eben das, was du nicht thun zu können, dich erklärst. Um uns anzugehören, mußt du alle die Bande lösen, welche Menschen den Menschen weihen. Unser Eigenthum ist nur allein in der Welt. Erwürge deinen Vater, stoß deiner zärtlichen Schwester den Dolch in die Brust, mit offnen Armen werden wir dich erwarten. Wenn die Menschheit dich ausstößt, wenn dich Gesetze verfolgen, ein Abscheu des Staates, dann sey uns willkommen. Aber die Trähne der Menschlichkeit verwirft unser Bund.« –

Sehr schrecklich! –

»Und warum denn schrecklich? Bieten wir keinen Ersatz. Was du da ausgabest, findest du hier wieder, mit einem Wucher von Millionen. Ein einziges ausgestreuetes Korn trägt siebenfältige Frucht. Oder ist es dir nichts, die ganze, große Welt dein zu nennen? Ist es ein elender, betrogener Kauf, eine Schwester für tausend Brüder zu geben? Lohnt es keinen Blutstropfen aus seiner eigenen Brust, um Millionen zu retten?«

Ich verstehe deine Worte, heiliger Vater, aber fassen kann ich sie nicht.

»Elender! so bleib dann ein Eigenthum des Staubes, deines Vaters; dein Auge sey blind für das Licht, und dein Herz zerschmelze im Jammer des Lebens.«

Warum verwirfst du mich dann? Ich stoße ja das nicht von mir, was du mir sagst, nur lehre es mich erst begreifen. Wie kann ich, überrascht, Wahrheiten entsagen, die den Gang meiner Tage bis hieher lenkten, um mich andern ganz hinzugeben, deren Erfolg ich nicht weiß. Führe mich in das Heiligthum der Grundsätze deiner Gesellschaft und dann prüfe mich, ob ich gelehrig genug bin, dein Schüler zu seyn.

»Du hast uns aufgesucht, Don Karlos, Du warst es, der uns auffoderte, dir uns in der unverhülltesten Nacktheit zu zeigen. Hast du aber die Folgen reiflich erwogen, wenn du uns bloß gesehen hast, und nun nicht zu uns gehören willst? Manches Licht ist so stark, daß es tödtet. Fühlst du es nicht, daß ein Wort hinreichend sey, der Reihe natürlicher Dinge dich auf ewig zu entziehen, oder doch wenigstens die Menschen dich vergessen zu machen, zu deren Nutzen du dein Daseyn bestimmt zu haben vermeinst?« Dies letztere sprach der Greis mit einiger Aufwallung, welche sein Gesicht etwas höher färbte.

Ich fühle es wohl, heiliger Vater, antwortete ich ihm dreist und gefaßt. Ich habe selbst darauf gerechnet. Als das Glück sich von mir losmachte und ich mich selbst jenseits aller Hofnungen sah, legte ich auch meine Ansprüche auf ein Leben nieder, das mein Eigenthum zu seyn aufgehört hatte. Mir ist das gleichgültig, worauf ich nicht eine volle Gewalt ausüben kann. Willig gebe ich es dem hin, der es mir rechtmäßig abfodert. Aber unrechtmäßig? – ich habe Freunde, mein Vater. –

Die ganze Versammlung erblaßte bey diesen Worten. Man sah einander bestürzt an. »Wie Bösewicht,« brach endlich mein Führer aus, »du hast uns verrathen?« –

Ich habe euch nicht verrathen, weil ihr euch mir nicht anvertrauetet. Von allen Umständen außer Fassung gesetzt, tauschte ich nur meine Vorstellungen von euerer Verbindung gegen die eines Freundes um, den mich das Ohngefähr finden ließ, und der viel günstiger noch als ich von euch dachte. Warum könnte ich auch nicht Vermuthungen laut werden lassen! – Und war das Bestreben ein Verbrechen, die Dunkelheiten zu lösen, die ihr mir aufzwanget. Und wie? hab ich mich in euere Versammlung mit Gewalt gemischt, seyd ihr es nicht gewesen, welche mich durch euren Einfluß auf Umstände hineinzogen? – Als ich Abschied nahm von den Menschen, die um mich waren, um mich Erwartungen zu überlassen, konnte ich da meinen Ahndungen wehren, es sey möglich, sie niemals wieder zu sehen? Meine Familie muß mich vermissen. Ihr kennt meinen Vater. Wiegt eure Gefahr mit dem Werthe meines Todes gegen einander. Man versprach mir Freiheit in und außer eurer Verbindung, wehe euch, wenn ihr dies erste Gelübde nicht haltet!

Schon als ich darauf hindeutete, wem ich mein Geheimniß anvertrauet hatte, faßte man sich wieder; von Minute zu Minute ward man ruhiger, und mit empörender Gelassenheit sah man den Ausbrüchen der wehmüthigsten Bekümmernisse, dem Verdrusse über mich selbst zu, so grobe Schlingen nicht früher zu meiner Sicherheit auseinander gewickelt zu haben. Mein Leben war in Sicherheit; dies fühlte ich wohl, aber es schmerzte mich, Drohungen zu finden, wo man mich Liebe hatte erwarten lassen. Nur mit Mühe verbarg ich eine Abneigung, die zu natürlich war, um nicht eine Gelegenheit zum Ausbruch zu wünschen.

»Fürchte nichts, Karlos,« fieng man endlich wieder an. »Wie könnte man dich zwingen wollen, da man dich wahrhaft liebt? In der kommenden Stunde bist du wieder frey. Aber höre uns diese noch.« –

Ich bin nicht ungelehrig, mein Vater. –

»Du kennst unser Vaterland. Auch du mußt dich in der ganzen Nation gekränkt fühlen. Alle Stände sind verwirrt, oder alle sind vielmehr in einem einzigen, in dem der Despoten erloschen. Das Volk ist ein armseeliger Sklav. Die Noth führte diese Gesellschaft zusammen; der Druck verengerte ihre Bande. Nothwendigkeit machte sie verschlossen und einsam; ein Jahrhundert sie weise. Erfahrung leitete sie immer mehr zu gemäßigteren Schritten, der Bund wählte aus den besten Köpfen des Volks, und diese, ganz seinen Geheimnissen vertrauet, ganz ihm zu eigen geworden, fühlten sich glücklich.«

Und war der Zweck des Bundes immer ganz allgemein?

»So allgemein als die Welt. Alle Länder von Werth sind unser durch die unsrigen. Hier nur ist der geheime Mittelpunkt aller versammelten Kräfte.«

War die Herrschaft der Welt das Ziel?

»Glückseeligkeit der Welt in allgemeiner Beherrschung.«

Und die Mittel?

»Auf dieser Tafel siehst du ihre Symbole. Der Glaube, der Dolch oder der Giftbecher.« –

Ich fuhr heftig zusammen.

»Was erschrickt unser neuer Bruder?«

Erschrack ich? – Ach, mich wehete nur die Erinnerung an. Ein grauenvolles, ahndendes Dunkel liegt vor mir; ich hatte ein Weib, ein zärtliches Weib. Ihr schreibt mit Blut. Ein Kreuz ist Euer Zeichen. O verflucht, ewig verflucht sey Euer Bund; Ihr habt mir es gestohlen.

»Karlos, du rasest.« – –

O du irrst dich; meine Wuth ist kalt und gefaßt. Habt Ihr den Muth, es zu sagen, ob ihr Elmiren ermordetet?

»Ich schwöre es Dir Karlos, beym ewigen Gotte, bey den Schauern dieser geheimnißvollen Höhle, bey diesem Kreuze und Dolch; wir haben sie nicht ermordet.«

So verzeih mir, heiliger Vater. Meine Verzweifelung komme über den Bösewicht.

»Du wirst ihn durch uns auffinden können.«

Versprecht ihr mir das?

»Wir versprechen es dir.«

Nun so nehmt mich denn hin. Ganz euer will ich seyn; selbst mir nicht mehr gehören. Sprecht, was ich thun soll?

»Nichts mehr, als an nichts zu zweifeln, unseren Schlüssen zu trauen, unseren Anordnungen zu gehorchen, deine Rolle zu spielen. Dolch und Gift sind der Menschheit Labetrunk. Aus dem Aschenkruge des einen keimen tausend neue Leben hervor; wenn das Glück der Menschheit es fodert, falle dieser Einzige, und wäre es selbst der Monarch!«

*

Merken Sie mit Aufmerksamkeit darauf, lieber Graf, wie fein man mich bisher geführt hatte, in ihre Hände mich ganz und ungeschwächt auszuliefern. Alle meine Leidenschaften waren mit unbetrüglicher Kunst ausfindig gemacht und in Aufruhr gesetzt; es war nun nichts mehr übrig, um mich an den Gedanken meiner Rolle früh zu gewöhnen. Es war lediglich Verschlagenheit, daß man den letzten Gedanken leicht hinwarf, um mich desto sicherer von ihm abzuleiten, weil man mich hinreichend gespannt annehmen konnte, hinter demselben etwas ganz anders mit Wahrscheinlichkeit zu vermuthen. Aber es war noch zu früh. Meine Einbildungskraft hatte sich noch nicht geschwind genug aus dem kleinen Kreise angebohrener und national eingesogener Ideen losmachen können, um den Umfang ihrer Unternehmungen ganz zu fassen, oder nur darüber einen Ueberblick zu gewinnen. Es machte mich daher stutzig, eine Person in dieser Verbindung zu finden, an die ich noch niemals mit Selbstbewußtseyn zu denken gewagt hatte. Dies einzige Wort stieß alle ihre Bemühungen um, begegnete in der weitesten Ferne ihren heimlichsten Planen, warf einen Theil ihrer kunstreich nur für mich berechneten Verwickelungen auch für sie unter einander; und ungeachtet ich mich für schlau genug hielt, den Eindruck verhüllen zu wollen, wurden sie es nachher doch bald genug gewahr, wodurch sie sich eigentlich geschadet hatten. Beyde Theile wollten einander betrügen, und beyde wurden betrogen; ich durch sie, sie von den Umständen.

*

Nachdem ich meine Aufwallung unterdrückt hatte, rief ich schaudernd aus:

Schrecklich! sehr schrecklich! das Leben eines Königs, sagst du?

»Ja, das Leben von tausend Königen. Die Freiheit ist für die Menschen ein unveräußerliches Familiengut. Wer es stiehlt, ist ein Verbrecher. Wer es gegen einen Schein von träger Glückseeligkeit eintauscht, ist ein Betrüger. Wer Verbrechen zu strafen sich stark genug fühlt, ist sein natürlicher Richter. Unsere Vorfahren gaben uns Monarchen, wir fodern unsere Rechte zurück, und setzen ihnen einen noch höheren Gerichtshof.«

Aber, richtet ihr gerechter, als Monarchen?

»Unsere Verbindung hat mehrere Glieder, und alle sind frey. Laune ist nie der Geist unserer Sprüche.«

Der Monarch entstand, wie du mir sagst, aus unserer Ahnen freywilliger Unterwerfung. Sie übertrugen ihre angebohrene Rechte zur Ausübung für sie und auch zu seinem Gebrauche. Wer aber gab euch die Vollmacht, ihn an diese Rechte wieder zu mahnen? Wer bürgt euch für die Wahrheit eurer Gefühle, für die Billigkeit eurer Urtheile? Auf die Regierung erbittert, vermischtet ihr eure Empfindungen mit der eines allgemeinen Druckes, und selbst keinem Gesetze als den Eingebungen eines gereizten Willens gehorchend, stoßt ihr die Menschheit, welche sich nicht selbst zu beherrschen vermag, in die quaalvolle Angst, eine unbekannte, ihnen ganz fremde Willkühr gebrauchen zu müssen.

»Ach, Karlos, wie wenig kennst du uns doch! Freywillig zogen wir uns aus dem Schooße des Glückes zurück, dem die Menschen sich weihen. Einer Menschheit zu nützen, welche uns nicht verkannte, welche unsere Freundschaft selbst laut und öffentlich pries, gaben wir den schönsten Wunsch erhabener Herzen, Unsterblichkeit auf, aus einer heimlichen Stille sie in der Ferne zu leiten. Eine Reihe von Jahren ohne eine andere, als diese einzige Beschäftigung, tausend begangene Fehler, die wir nur mit Mühe verbesserten, die Einheit unseres Zweckes, die Wärme und Menge der Mitwirkenden, alles hat unser Auge geschärft, und ohne Anspruch auf die Freuden der Welt sieht es da helle wo sich eure Blicke trüben.«

»Glaube mir Karlos,« fuhr er fort, in dem er mich bey der Hand nahm, und mich mit einem himmlischen Feuer ins Auge blickte; auch Du wirst dich einmal mit vollem Vertrauen zu unserem Glauben bekennen. Ach der heilige Busen der Einsamkeit birgt himmlische Erhebungen; aus dem tiefsten Dunkel der Nacht und des Verborgenseyns gehen die erhabensten Entwürfe hervor; über den Erdball, sich nur allein es bewußt, seine Arme allmählig hinwegzustrecken; ganz, ganz unabhängig, nie berührt mehr von einem Gefühle der Bedürfnisse, von einem Streich der Umstände, von einem Hauche des Zufalles, welch eine endlose Glückseeligkeit!«

Ueberrascht, überwunden sank ich dem Greise in die Arme. »Tretet näher, meine Brüder,« fuhr er fort, »und nehmt ihm den Eid der Liebe von seinen Lippen.«

In diesem Augenblick umschlangen mich aller Arme, vom Munde hinweggeküßt entrann mir am Altare das schauderhafte Gelübde; die Hand auf das Kreuz gelegt, von einem Trank aus dem Becher berauscht, sank ich zu des Altars Fuße hin, man entblößte mir den Arm, man stieß den Dolch hinein, und das quillende Blut gieng in einer Schaale unter alle meine Brüder umher.

Zuletzt umarmte und küßte mich der Greis noch einmal. »Gehe itzt mein Sohn,« sprach er zu mir, »und nimm die Belohnung in Empfang, die du verdienst.«

*

Mein theurer Graf, erlauben Sie mir, einen Augenblick wieder stille zu stehen. Wenn ich fiel, so ist mein Fall doch zu entschuldigen. Meine Sinne waren trunken gemacht, und die Leidenschaften, wenn sie sich auflösen, gehen immer in eine Müdigkeit und in ein Schwanken der Empfindungen über, welche keiner Art von Wiedererinnerung Raum giebt. Jene Erschütterung, durch die Vorstellung eines ungeheuer schändlichen Zieles konnte nur augenblicklich gewesen seyn, und manche Verbrechen werden unmerklicher, je größer sie werden.

Itzt fühlte ich mich nicht nur wieder einem neuen Leben voll Wirksamkeit zugeführt, sondern alle Bilder wurden auch mit den Farben des Genusses bezeichnet, welchen ich allein noch hatte erkennen lernen. Erinneren Sie sich an meine Erziehung. Früh den Weibern hingegeben, hatte ich doch in ihren Armen nur erst sehr spät lieben gelernt.

*

Man führte mich nun wieder hinaus und die Versammlung trennte sich. Jakob stieg mit mir in die Höhe und zeigte mir eine Thüre zum Garten. Es war noch nicht spät am Tage und die balsamische Feuchtigkeit der Nacht, kämpfte noch mit des Morgens steigender Schwüle. Ein Meer von Düften wallte sichtbar in zarten Nebelwolken von einem Strauche zum andern; ein allgemeines Leben und Weben beschäftigte die anderen Sinne, und es schien mir, als habe ich diese Welt noch niemals gesehen. Allein im Garten umherirrend, von holden Ahndungen gedrückt, ließ ich meine Vorstellungen in einem neuen Reiche unbehindert schwärmen, und bekümmerte mich wenig um das, was nun aus mir werden könnte. Welche glückliche Stimmung für die Liebe!

Der Garten war zwar etwas verwildert, aber er hatte selbst dadurch gewonnen, daß er seine Kunst von der Natur hatte wieder verdrängen lassen. Durch seine Tiefe gegen die verdorrenden Sonnenstrahlen geschützt, hatten sich seine Limonienwälder zu einem dichten Gesträuche verwirren können; unerschöpflich drängten sich kleine Bäche durch das immer neue Grün seines Bodens, und schwankende Trümmer zerstreueter Anlagen kämpften nur noch halbsichtbar der umstrickenden Ueppigkeit von Rankengewächsen entgegen. Ein ewig heiterer, ein ewig kühler Himmel schien über die Schwelgereyen dieses romantischen Thales hingeheftet zu seyn. Nur ein warmes Wehen entzückender Gerüche schwankte zwischen den Bäumen hin und her, um die Last der Früchte, welche sich malerisch aus dem Laube hervorstahlen, mit der Farbe der schönsten Gesundheit zu zeichnen. Alles ladete zum vollsten Genuß ein, alles schien dem stillen Schooße eines Paradieses anzugehören, in dem selbst ein Gott sich hätte vergessen können.

Wie wäre es möglich, den regen Tanz jener zauberischen Bilder mir itzt wieder hervorzurufen, welche aus allen Zeitaltern meines ganzen vergangenen Lebens gleichsam auferstanden! Ich schwamm in einer beklemmenden Träumerey, und dann war mir doch wieder so wohl. Die ganze Vergangenheit hatte sich in eine rosenrothe Wolke eingehüllt, aus welcher die Gegenwart, wie die ersten Strahlen der Morgensonne, sich allmählich entwickelte. Ich hatte mich auf ein verstecktes Plätzchen hingeworfen, und ein kleines Sumsen in den Lüften um mich her, das Säuseln eines nahen Wassers, eine einzige Nachtigall über mir, das muntere der Blätter im Sonnenschein, hatten sich aller meiner Vorsätze weit sicherer bemächtigt, als die Beredsamkeit eines ehrwürdigen Greises. Wie wunderbar sind meine Schicksale nicht, bester S., wie täuschend widersprechen sie sich nicht in den Gefühlen, welche sie aufregten, und aus welchen immer wieder neue Begebenheiten hervorgiengen. Diese himmlische Stimmung, welche so rein und lauter nur Unschuld und schuldlose Ruhe athmete, ward die Grundlage zu einem wollüstigen Rausche, dessen Nachgeschmack itzt immer noch meine ganze Seele umnebelt.

Ich hatte noch nicht lange unter meinem Baume geträumt und dem sanften Wiegen seiner Aeste zugesehen, als ich einige Töne von Musik in der Ferne bemerkte. Man kam immer näher und näher und endlich stand man still, als ich eben im Stande war, das Ganze zu fassen. Diese Entfernung schien zur Verstärkung abgemessen. Es waren leise Seufzer, in Flötentönen melodisch ausgehaucht, ein schwelgerisches Aechzen einer von Lust beklommenen Brust von Klagen einer gestörten Liebe zu einem Ganzen abgerundet, das mir alles Blut in den Adern auflößte. Meine Brust dehnte sich gewaltsam und schmerzhaft aus, um nur alles begreifen zu können, alle Sinnlichkeit war verschwunden, ich war mir es selbst nicht mehr bewußt, daß ich hörte, ich fühlte nur noch.

Indem ich rechts in den Gang zurück sah, aus welchem ich hergekommen war, erblickte ich eine weisse Gestalt von einer auffallenden Schlankheit und Anmuth im Gange sich mir nähern. Der Fluß der Töne, trug sie gleichsam heran und hatte sich ihres Busentuches bemeistert, das sich nach ihnen melodisch hob. Ihr Gesicht war mit einem zarten Flore verhüllt, und sie blieb wiederholt stehen, um sich schüchtern umzublicken. Welche Feinheit in jeder Geberde, der Gang zwar etwas schwankend und scheu, aber die ganze Haltung wie einer schönen Statüe entlehnt, künstlich und doch nicht geziert. Wie kalt sah ich sie aber herankommen, und nur das Auge eines Künstlers ruhete trunken auf den hervorscheinenden Wellenlinien und weichen Formen des jungfräulichen Leibes.

Sie trat auf mich zu. Sie schlug den Schleyer zurück. Noch erschrecke ich über mich selbst, wenn ich an diesen Augenblick denke. Bester Graf, ich habe in meinem Leben nicht mehr als zwey Augen gesehen, nicht mehr als einen einzigen Mund. Welche Reihe von Schönheiten hatte ich nicht schon gekannt. Ich war wollüstig gebohren. Aus jeder hatte ich mir den Reiz gewählt, der diesem Hange am zärtlichsten, am üppigsten schmeichelte. Es hatte sich allmählich ein Ideal in meiner Seele erzeugt, mir unerreichbar scheinend.

Hier war mehr als Ideal, hier war die höchste weibliche Natur, in unerschöpflicher Fülle ihrer Bestimmung hingegeben. Im Auge schwamm eine Gluth, von einem feuchten Thaue der Wollust wenig gelöscht; aus der Stirne klarem Schmelze, aus der Wangen ahndenden Röthe, aus dem verhaltenen zauberischen Zucken des Mundes quoll ein lechzendes Feuer sichtbarlich hervor, das niemals zu befriedigen, mehr versprach als es jemals empfangen konnte. Auch mich steckte es an, und lange geschlummerte, oft verträumte aber niemals erstorbene Empfindungen und Wünsche flossen in leisen Schauern durch alle Glieder, in den Adern bebte ein tiefdringender Krampf, und die Arme streckten sich einem unbekannten Wesen entgegen. Das Weib kam mir näher, stillschweigend nahm sie an meiner Seite Platz, sie wickelte sich aus dem langen Tuche, das sie bis zu den Füßen verborgen hatte, hervor, immer schöner und schöner werdend, immer brennender erröthend, immer lechzender und beklemmter nach Genuß dürstend. Ein Reichthum seidenhaft glänzender Haare machte sich in vollen Locken von dem Schleyer los und ergoß sich scheu und schnell, einen völlig entblößten Busen verräthrisch zu decken; aber das heisse Verlangen im Herzen kämpfte sie tiefathmend hinweg, und hob ihn nur reiner glänzend und einladender hervor. Noch immer wand sich das reizende Geschöpf, um sich ihrer Hüllen zu entledigen. Der Fuß ward sichtbarer, ein weisses Knie, rosenfarben getuscht, entfaltete sich aus der Wolke des Gewandes, schöner, runder und reiner, als je ein Maler gesehen, und die vollste Phantasie sich erfunden. Endlich streckte sie die Arme aus; ich fühlte mich heiß umfangen, meine Augen erblindeten der rasenden Gluth der ihrigen gegenüber, eine zitternde, feuchte, balsamische Lippe brannte auf meinem verlangenden Munde, man riß mir das Gewand auf, meine Brust versank in einen warmen, nackten Busen, alles Gefühl, jeder Blutstropfe strömte aus dem inneren Körper dem äußeren zu; taumelnd sank hierauf mein Gesicht auf das Knie; aber man riß mich wieder zum Busen herauf, die Gewänder wichen und verschoben, die Hände verirreten sich – ich fiel.

Ich Unglücklicher! Unter den Entzückungen dieser Umarmung, im rasenden Taumel aller Befriedigungen, welche, tief in dem Wesen der Menschheit verwachsen, Glied an Glied heften, um das bis zum Wahnsinn verrückte Geschöpf in einem Meere ohne Ufer untergehen zu lassen, unter tiefen Zuckungen aller Adern dem Schwärmen aller Bilder, den Krämpfen aller Ideen, wurden mir Bande umgeknüpft, deren mich viele Jahre niemals ganz haben entledigen können; und das feine Gewebe des kunstreichsten, lange Zeit vorgeübten Verstandes ging von diesem Zusammenströmen, diesem Aneinanderdrange der geheimsten Fibern meines Körperbaues aus. Nachher bedurfte man nur einer kaum merkbaren Erinnerung daran, um mich ganz ausser mich selbst zu setzen, und die edelsten Entschlüsse meines gewiß unverdorbenen Herzens daurten niemals gegen die Hofnung aus, an dem Busen dieser Zauberin noch einmal mein ganzes Ich zu verseufzen. Unendlich künstlich hatte man Ursachen mit Wirkungen berechnet und die Gegenwirkung war daher eben so gewiß. Mit einer jungfräulichen Fülle, die meine Sinne bezauberte, mit einer unschuldigen Ergebung, die mich reizte, besaß sie die Kunst, mich mit beyden zu befriedigen. Natürliche Anlage hatte sich in der Uebung gebildet. Beobachtung und ein volles Bewußtseyn die letztere unter den erstem versteckt. Aber von einem fremden Genusse überrascht, fieng sie an in meinen Armen von einer wahrhaften Leidenschaft für mich zu erglühen. Mit dem Augenblicke, daß sie sich von einem kalten Willen losmachte, um ihn mit einem schöneren Instinkte zu vertauschen, war der Verlust aller meiner Kräfte für mich entschieden, und ich hörte auf, mir anzugehören. Je inniger und wahrer sie sich mir anschmiegte, desto mehr gewann sie an Umfang, mein ganzes Wesen in sich wollüstig zu versenken.

Welcher Taumel der Inbrunst, welche losen Spiele, welche geübten und doch nachläßig zum Genuß dargebotenen Reize! Alles schien sich an ihr zu verdoppeln, jede heisse, glühende Schönheit quoll meinem dürstenden Munde, meiner verwegenen Hand gespannter entgegen. Die Sinne zerrannen, einer nach dem andern, ich schloß die Augen als unbrauchbar zu, alles schmolz in das einzige Gefühl, immer heisser und heisser drängend zusammen, und das mystische beklommene Aechzen wehete nur meine Wangen noch an. Aus einer Erschütterung zu einer anderen aufgeschreckt, krümmten die Nerven sich in immer höher gespannten, und doch mehr ersterbenden Schwingungen durch alle Glieder hin; ein langer, brennender, lechzender, verschlingender Kuß preßte die Seufzer zurück, alles Licht erlosch vollends in den hervorströmenden Trähnen, ein tiefer Schauder drückte Leib an Leib, und die nakten Busen, in einander versunken, warfen sich die Herzen wechselsweise zu.

Nur spät kamen wir wieder zu uns. Ich zuerst unter beyden. Sie lag noch in süsser Ohnmacht, sich bewußtlos, unbedeckt; und die verwirrten Gewänder hatten noch keinen der Reize wieder verhüllt, die ich eben genossen hatte. Mein glühendes Gesicht sank auf die nakten Glieder, nach dem ersten Genuße noch jungfräulich zitternd, ein zartes Rosenschmelz flog sie wiederholt unter den wollüstigen Krämpfen ihrer geschwollenen Fibern an; das Steigen und Fallen der ganz entschleierten Brust theilte ihnen auch eine emporstrebende Wallung mit, und sie schienen entblößten Umrissen sich entgegenzuheben, um sie voll in sich selbst zu verschlingen. Wie himmlisch bezaubernd waren nicht die Farben der Unschuld und Liebe an diesen Theilen gemischt. Beyde kämpften mit gleichen Ansprüchen auf ihren Besitz gegen einander, und beyde lagen wiederholt unter. Ein neuer Geist hatte von marmornen Gliedern Besitz genommen, und stritte noch mit der angebohrenen Todtenstille der Masse.

Endlich kam sie wieder zu sich selbst, eine neue Schöpfung in ihren Augen, höchste Liebe mit wollüstiger Dankbarkeit vermischt. Der Nachgenuß eines süßerschütternden Traumes, ein stilles Nachsehnen nach seinem Verlust theilte ihren zärtlichen Blicken eine Schwärmerey mit, die mich von neuem ausser mich setzte. Mit einer wechselnden Schamröthe überflogen, welche sich hätte in sich selbst verbergen mögen, und in einer ängstlichen Besorgniß befangen, mir soviel gegeben, von mir soviel empfangen zu haben, schien sie doch über etwas nachzusinnen, was sie zur Vollendung meiner Glückseeligkeit noch vergessen haben möchte. Ich nahm sie in meinen Arm, ich drückte sie noch einmal an meine erhitzte Brust, aber unter den heiteren Ergüssen zweyer sich erkennender Geister, unter rasenden Angriffen und verwegenen Liebkosungen, ließ sie doch eine Jungfräulichkeit wieder über sich Herr werden, die mir einen Reiz nach dem andern sittsam entzog. Ehe ich mir es versah, hatte die Zauberin sich wieder in das anlockende Gleichgewicht gesetzt, in dem sie sich nur hatte überraschen lassen, ohne für die Zukunft die kleinste Hofnung zu geben. Ihre Gleichgültigkeit lockte darum, um ihrer Natur nach versagen zu können.

Sie eröfnete unter meinen Küssen den schönen widerstrebenden Mund. Es war der erste Laut. Ein bebender Ton, aus der innersten Brust tief hervorgeholt. »Ach, Karlos, sprach sie, was habe ich dir gegeben! Wirst du, süßer Bube, auch dankbar seyn?«

Nein, du Abgott meiner Seele, ich kann dir nicht wiedervergelten wollen, was du für mich thatst. Was ich hatte, hast du mir gestohlen, ich habe nichts mehr, um es freywillig dir anzubieten.

»Karlos, Liebe ist mehr als Ersatz, ich bin dir noch schuldig. Aber liebst du mich wirklich, schöner Bösewicht?« –

Ehedem hatte ich dich geliebt, als du zu mir kamst, so reizend, so jungfräulich voll, als du dich zu mir setztest, so viele Huld für mich im Auge, soviel Entzücken für mich an deiner Brust, aber itzt – itzt – nach dem überschwenglichen Genuß aller deiner Schönheiten habe ich dich zu lieben aufgehört, – ich bete dich an, mein holdes Geschöpf.

»Ja Rosalia ist dein glückliches, glückliches Geschöpf. Aber wer bürgt mir für deine Treue?«

Dein Reiz, Rosalie und deine Güte.

»Wie viel Mädchen, waren nicht schon so reizend für dich, Karlos, und war wol eine unter denen, die du liebtest, minder gütig, als ich? Aber ich fühlte wohl, was dich am sichersten zu fesseln vermöchte, als ich dich zum erstenmale unter uns sah. Wie unendlich liebte ich dich nicht schon beym ersten Blicke, wie bezaubernd standst du unter den Schrecken des Todes, ein über alles erhabener Gott, der nichts fürchtet, als den Richter in seinem eigenen Herzen! Wie zitterte deine Rosalie für dich, als du deinen Beytritt verweigertest, wie bis zur Ohnmacht entzückt hörte sie deine Beystimmung! Lieber Bube, wirst du immer treu halten den Schwur, den du freywillig unter uns ablegtest, eine Bekräftigung deines inneren Adels?«

Gewiß Rosalie.

»Schwöre es mir auch, Karlos.«

Ich schwöre es dir bey deiner Liebe, bey deinen glühenden Reizen, bey deiner Güte; ich lege die Hand auf deinen Busen, als auf meinen heiligsten Altar, und verpfände mich zur schrecklichsten Bestrafung, wenn ich diesen Eid breche. Bist du zufrieden?

»Noch nicht ganz Karlos. Du schwurst in jener feyerlichen Versammlung deiner Brüder und itzt im Schooße der Liebe, diesem Bunde treu zu verbleiben, nie ihn zu verlassen, nie in ihm zu schwanken. Mir schwöre, daß du für ihn mit Aufopferung aller deiner Kräfte und Empfindungen für ihn wirken willst?« –

Kann ich für die Zukunft stehen, Rosalie, und ist es denn nicht genug, auch dann noch wenigstens ein leidendes Glied seyn zu wollen? Soll ich im Schooße der Liebe, den Gefühlen der Menschlichkeit schon wieder entsagen, zu denen du mich eben erwärmtest!

»Das sollst du nicht, Karlos. Nur daß du den Ersatz von allem in mir finden sollst, das verlange ich von dir. Darum gab ich dir alles, um es zu wissen, ob du ihn auch finden konntest. Tausend Weiber werden dich lieben, aber nicht eine so heiß, nicht eine mit diesem vollen Verlangen, dir alles – alles zu seyn, nicht eine mit dieser Langmuth, mit dieser Sorgfalt für dein Glück, mit diesem frommen nachgiebigen Mitgenusse deines Genusses. Ach, Karlos, sey wenigstens dankbar, wenn du nicht lieben willst. Opfere mir auf, was du hast.« –

Gern, was ich habe, Rosalie; aber was habe ich für deine Sättigung, Mädchen?

»Itzt nichts, mein Geliebter, aber bald vielleicht sehr, sehr viel. Ich ahnde Dunkel in die Zukunft. Hast du kein Mädchen mehr, dem du wärmer anhängest als mir?«

Mit vollem Herzen sage ich dir: Keine.

»Auch kein Weib?«

Keines.

»Liebtest du auch niemals so warm?«

Ja, Rosalie, ich liebte so warm, wenn es nicht noch wärmer war. Es war Elmire, Gräfin von – –

»Ich kenne sie,« rief Rosalie erzürnt aus.

Wie, du kennst sie?

Sie erblaßte bey diesen Worten sichtbar, und ward immer beängstigter, jemehr sie ihre Verlegenheit zu verbergen suchte. »Ja, ich kenne sie,« setzte sie endlich nach einer kleinen Weile gefaßter hinzu. »Ich glaube, ich habe sie einmal in Madrid gesehen.«

Elmire war nie in Madrid.

»Oder in Alkantara – wer kann das behalten?« Sie war endlich wieder im Besitz ihres bezaubernden Lächelns. »Und glaubst du denn nicht,« setzte sie hinzu, als sie sich wahrscheinlich erinnerte, daß sie mir eher eingefallen war, als ich ihr den ganzen Namen gesagt hatte, »daß wir deine Begebenheiten genauer wissen, als du selbst vielleicht? – Eine solche Eroberung, wie mein Karlos, lohnt sich der Mühe wohl, von früher Jugend studirt und geleitet zu werden.« Hierbey schlug sie den schönen Arm um meinen Hals, zog mich fester an sich, und preßte mir einen erstickenden Kuß auf die Lippen. Die Wirkung desselben war die erwartete. Alle Einwürfe und Bedenklichkeiten in dem letzteren Theil ihrer Rede, welche sie wahrscheinlich um mich zu schrecken hinwarf, verschwanden, wie gänzlich aufgesogen.

»Versprichst du mir es also, Karlos, alles für mich hinzugeben, selbst deine Elmire, wenn sie noch lebte?«

Alles, ausser Elmire.

»Und verlassen würdest du mich dann, Verräther, wenn sie aus dem Reiche der Todten wiederkehrte?«

Nein ich würde euch beide in meinem Herzen tragen, diesem Herzen gleich theuer, in einem unveränderlichen Gleichgewichte heisser und redlicher Liebe. –

»Redlicher,« rief sie aus, indem sie mich mit Erstaunen ansah. »Aber Karlos kann es nicht wollen,« fuhr sie nach einer kleinen Besinnung tändelnd fort, »daß ein Mädchen sich mit seinem halben Herzen begnüge. Wähle itzt, mich oder Elmiren.« Sie streckte ihre Hand aus.

Elmire ist todt, ich wähle dich.

»Nun, ich danke dir; ein Fest bekröne itzt unsere Liebe.«

Sie klatschte in die Hände. Es wanden sich aus dem Gebüsch zwölf weisse weibliche Gestalten hervor, und fiengen einen mystischen Tanz an. Ein Gewühl reizender Stellungen drückte ihre Begierden aus, und regte von neuem die meinigen auf. Die entzückendsten Reize der einzelnen machten ein Ganzes zusammen, in dem ich unwillig mein Bewußtseyn zerrinnen fühlte. Die weissesten Busen und Hälse, leichtfertig aus hochgeschürzten Gewändern hervorschlüpfende Kniee und Beine, das wollüstige Spiel der Arme und Finger, der lechzende Ausdruck schmachtender Gesichter, Druck und Gegendruck, Verschlingen der Leiber, sichtbare Bewegungen und Aufwallungen verborgener Glieder – alles zauberte den erloschenen Genuß von neuem hervor; Busen an Busen gepreßt blickten wir nur halbverstohlen mit thränenschwerem Auge dem Schauspiele zu, und unser Athem stockte zwischen den Windungen dieser Tänze hindurch.

Wie kann ich Ihnen die Wollüste dieses Tages beschreiben, lieber S., man erschöpfte mich und gab mir neue Kräfte. Die verbuhltesten Kämpfe endigten mit einer matten Erstarrung, und durch neue ward ich wieder emporgerissen. Die schönsten Früchte kühlten die lahme Zunge, die reinsten und feurigsten Weine erfrischten den stockenden Herzschlag. Alles war feenhaft um mich her, wir wurden wie aus den Zweigen bedient; wir waren allein, und doch war es, als wenn uns die Gegenwart anderer dazu aufmunterte, den Tag zu verschweigen. Die warme Luft um uns her, das heimliche Gebüsch im schönen Garten, der blaue Schmelz des Himmels, das fröhliche Flattern und Sumsen zwischen dem Laube, ein leises, verstohlenes Flötengetön in der Ferne, verstärkte die Sinne, welche dies Weib an meiner Seite einem neuen Genusse aufgeschlossen hatte. Wir schwankten im Garten herum, gleichsam nur ein einziges Wesen, und in jedem heiligen Dunkel sanken wir unter seelenvollen Küssen halbohnmächtig aufs Gras.

Der Abend kam, die helle Bläue des Aethers erlosch allgemach in ein dunkleres Kolorit; schon blinkte ein lüsterner Stern hinter den Blättern hervor, die in kühleren Lüften schauerten. Die Umrisse der Gegenstände verlohren von ihrer Schärfe, und lößten sich in ihre eigenen Schatten auf; immer matter tönte der Abendgesang der Vögel, und die Nachtigall suchte eine verstohlenere, düstere Einsamkeit, um ungestörter zu klagen. Ich war im tausendfachen Genusse ermattet, aber Rosalie war noch immer dieselbe. Ihr Auge funkelte selbst reiner, und der Abend schien sie von ihren Wünschen und Begierden ganz zu entbinden. Eine heilige Gluth überzog ihr schönes Gesicht und das wollüstige Mienenspiel, das Winken und Einladen machte unter meinen Küssen einem tiefen Ernste Platz, so wie die Schatten der Nacht disterer und beklemmender heraufzogen, und die Sterne heller und herrlicher blinkten.Sie wand sich langsam aus meinen Armen los, und lehnte sich mit fast zugedrückten Augen an die Wand der Rasenbank an, auf der wir Platz genommen hatten. Hierauf schlug sie die Augen wieder zum Himmel auf, eines feyerlichen Blickes. Mit Erstaunen sah ich ihr nach. Was ist dir, meine Geliebte? flüsterte ich ihr liebkosend zu, indem ich ihre Hand ergriff, aber sie zog sie mir wieder zurück; sie griff in den Busen, sie riß einen verborgenen Dolch hervor und streckte ihn zum Himmel aus. Man denke sich mein Erschrecken, meine Erstarrung. Im Schooße der Wollust mußte ich befürchten, plötzlich unterzugehen.

»Mächte des Himmels,« rief sie in höchster Begeisterung aus, »Euch bringe ich dies Opfer.« Es war nicht mehr das liebedürstende Mädchen; es war eine ganz andere Rosalie. Ich kannte sie nicht. Sie schien sich itzt zwischen die Gottheit und Menschheit zu drängen, um diese jener zu opfern. Ein Richter über das Weltall, hatte sie den schrecklichen Dolch erhoben, es mit einem einzigen Stoße zu vertilgen. Welche Größe im Blick, welche unfaßbare Erhabenheit im stillen Ernst der nachsinnenden Stirne, des gefaßten Mundes! – »Steh auf Karlos und knie vor mir!«

Ich that es.

»Höre meinen Schwur!«

Ich höre, Rosalie.

»Schwöre mir nach.«

Hier ist meine Hand.

»Daß nie ein Wesen zwischen uns sich drängen solle, das unsere Bande zerreisse kein Geschöpf, kein Gedanke; daß wir ewig aneinander hangen, unablößlich, aber daß wir dem Bunde treu bleiben, der uns zu lieben erlaubte; daß keiner von uns wage, von ihm das andere zu entfernen.«

Ich schwöre.

»Daß jeder den Untreuen verfolgen wolle, mit namenlosen Martern, ewig dürstend, selbst noch mit Rache an den übergebliebenen halbverweßten Gebeinen, daß er nicht raste, bis alles vertilgt sey, was sein Andenken erneuert, jede Spur seiner Liebe, selbst jeder Nachlaß seines Hauses.«

Ich schwöre.

»Und wenn er ihn nicht trift, den Verlohrenen, so möge das Mark in seinen Adern zerrinnen, ein Gift ihn tausendfach foltern, ein nie zu befriedigender Durst seine Zunge erstarren, ein unauslöschlicher Hunger seine Glieder verdorren. Selbst im Schooße der Wollust möge Höllenquaal ihn beschleichen, im schönsten Genuß liege Jammer für ihn, ein schreckliches Bild für die Menschheit. Beschwöre es Karlos!«

Ich beschwöre es.

»So weih ich dich denn hier zu meinem Gemahl. Der Himmel seegnet uns ein. Unsichtbare Mächte rauschen über mir. Ich sinke dir an deine Brust, von ihnen geheiligt, dein frommes, dein treues Weib.«

Sie sank von der Rasenbank herab, in meine Arme, an meinen Mund. Alle Begierden schwiegen in diesem göttlichen Augenblick; eine Todtenstille des Raumes feyerte ihr mit heiligem Schweigen und kein lispelndes Blatt störte uns in diesem großen Genuß. Ueber alles erhaben, drückte ich mein himmlisches Weib sprachlos an das Herz und ihr großes Auge, stillflammend und heiter, sprach des Mundes Verlobung noch deutlicher nach.

Noch immer hielt sie den Dolch in der Hand. Sie entblößte mir den Arm, und stach hinein. Das Blut quoll in Tropfen heraus, und sie sog es mit ihrem Munde auf. Auch sie entblößte den ihrigen und durchstieß ihn. Sie hielt mir die blutende Oefnung hin. »So vermischen sich unsere Seelen,« rief sie mir zu. Aber sie ward blaß und ohnmächtig durch den Blutverlust, sie sank kalt in meine Arme; ich riß ihr einen Tuch los, und verband ihren Arm, nur mit Mühe kam sie nach einer Weile wieder zu sich selbst. Auch mir ward dunkel und flimmernd vor den Augen, ich hatte meine Wunde vergessen, und büßte dafür nun mit einer augenblicklichen Erstarrung. Rosalie rief um Hülfe. Es währte nicht lange so sah ich jene weiblichen Gestalten um mich. Man unterstützte und führte mich zum Schlosse. Hier legte man mich halbbewußtlos auf ein Bett, und ich schlummerte bald ein, von dem Genusse so vieler Gegenstände ermattet.

*

Jakob saß bey mir, als ich am folgenden Morgen aus einem balsamischen Schlafe wiedererwachte.

»Nun, Karlos,« sagte er, »Sie haben sehr lange geschlafen. Sind Sie munter genug, um mit mir sprechen zu können?«

Warum nicht, mein Freund, mein Erretter?

»Weniger gespannt, lieber Karlos, hören Sie wohl, lassen Sie uns itzt recht vernünftig und recht kalt mit einander sprechen. Sie haben mich zu Ihrem wahrhaften Freunde gemacht, und es kommt nur auf Sie an, ob ich es noch länger bleiben soll.«

Was kann ich thun, Jakob?

Fürs erste nur mir geruhig zuhören. Sie sehen wohin die Sache läuft. Gestern waren Sie berauscht. Heute müssen Sie etwas nüchtern werden. Rosalia war anfänglich nur dazu bestimmt, ihre Sinne zu fesseln, das Mädchen hat aber zu Ihnen eine wahrhafte Liebe gefaßt. Dies verändert ihre Lage.

Ach, Jakob, du sprichst so offenherzig mit mir. –

»Muß ich das nicht, wenn ich Ihr Freund seyn will. Seyn Sie es nur auch gegen mich. Ich glaube, Sie lieben Rosalien?«

Ich bete sie an.

»Werden Sie ihr treu seyn? Werden Sie ihr Herz immer mit gleicher Liebe belohnen?«

Hab ich es nicht geschworen Alfonso, und noch jetzt nach dieser Erholung von meinem ersten Rausche, wiederhole ich den Vermählungseid, noch jetzt. –

»Nun, ich glaube es schon. Sie ist mehr als werth. um von Ihnen angebetet zu werden. Lernen Sie das Herz verdienen, das sich ihnen noch sehr unverdient darbot. Es war nicht in unserem Plane, daß Sie schon itzt genießen sollten, was dem Gemahle nur zukommt. Ihr vermähltet euch früher, als ihr es verdientet; ihr genosset früher, als ihr euch vermähltet. Wenn ihr euch erst Rechte auf einander erwerbt, so werden die Bande sich noch inniger knüpfen.«

Kann ich dies durch meine vollkommene Unterwerfung? –

»Ja, und nur allein durch diese. Ich habe nur eine kurze Zeit noch itzt mit dir zu reden, und hätte doch so viel für dich auf meinem Herzen. Laß mich dir einige Worte einprägen.

Nicht immer wirst du uns verstehen, Karlos; aber darum zweifle niemals und gehorche willig. Wenn wir dich hinlänglich geprüft haben werden, wenn du unter allen Umständen, in jeder Lage derselbe bleibst, immer Karlos, dann wird deinen Augen die Hülle entsinken, welche noch für dich manche unserer Operationen verstecken muß. Murre darüber nicht. Wir kennen dich ja noch nicht ganz. Wir wissen ja noch nicht, welchem Zug in deinem Charakter wir mehr, welchem wir weniger trauen dürfen. Freue dich indeß auf zukünftige Zeiten, und unser Bund wird stolz auf dich werden.

Sey immer gehorsam. Man wird auch den Grad deiner Willigkeit prüfen. Man wird dich in Lagen verwickeln, wo es selbst für unseren Bund vortheilhafter scheinen könnte, über die Vorschriften etwas hinauszugehen. Aber halt dich unverrückbar fest an ihnen. Gehorsam ist die erste Stufe zum herrschen.

Sey immer offen gegen uns. Denn was hülfe dirs auch es nicht zu seyn! Von hundert Händen umgeben, von tausend Augen bewacht, wirst du uns keine Falte verstecken können; und schon aus deinem Auge wird man halbgebohrene Gedanken enträthseln. Der Bund verdammt keine verwegene Idee; er will sie nur wissen, um sie widerlegen zu können. Je offener du bist, je mehr vertrauet man dir vom Geiste der Gesellschaft.

Ich bin endlich noch hieher geschickt, um dir einen Eid abzunehmen. Man wird dir Schriften in die Hände geben, um diesen Geist kennen zu lernen. Du mußt mir schwören, aus ihnen nichts zu veruntreuen. Wer kennt die Schicksale der Menschen! Es muß Oerter geben, außerhalb unseres Wirkungskreises. Man kann dich verführen; aber hierin mußt du uns treu verbleiben.«

Ich verspreche es dir.

»Schwöre es bey Gott und deinem Leben.«

Ich schwöre es bey Gott und meinem Leben.

»Hier hast du das Paket. Du findest eine vollkommene Anweisung zu deinem Verhalten darin. Lebe wohl, mein Freund. In einem kleinen Jahre sehen wir uns wieder. Ein Genius wird dich allenthalben begleiten, und du wirst sicher seyn, wenn du ihm folgst.«

Er umarmte mich hierauf, und verließ innigst gerührt, mit trähnendem Blick mein Zimmer. Sein zutraulicher Ton hatte mein armes berauschtes Herz vollends hingerissen, und alle meine Gedanken schwammen in einem Gemisch erhabener Vorsätze und wollüstiger Bilder.

Kaum hatte ich mich angekleidet, als ein Fremder erschien. Er bedeutete mir, daß er mich hinausführen solle. In tiefer Betäubung folgte ich ihm, durch mehrere Gänge des morschen Gebäudes, aus einer Gruft in die andere, durch den Garten, durch das Wäldchen. In der Hütte ließ er mich allein zurück und verschwand. Mein Pferd war noch an der alten Stelle angebunden, und wieherte mir freudig entgegen. Ich stürzte an seinen Hals. Seine Thränen schienen sich mit den meinigen zu vermischen. Eine große Veränderung war indeß mit mir in meinem Inneren vorgegangen. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Alle meine hervorgehende Wünsche, alle Ahndungen waren zwar auf eine dunkele, doch vollkommene Art befriedigt, und nun fand ich mich wieder in einem Strome von neuen verlohren, der weit unermeßlicher und unerschöpflicher schien. War es Täuschung? War es ein Traum? Was sollte nun aus mir werden!

Und dich izt verlassen zu müssen, Rosalie, itzt! – eine Braut nach der ersten Brautnacht, eine Gemahlin nach der ersten Umarmung, ohne Abschied, ohne Angedenken, als das tief eingebrante Bild deiner himmlischen Reize in meinem schwärmenden Herzen! Wie unendlich grausam ist der erste Beweis Eurer Freundschaft, Ihr Unbekannten!

Während diesem Selbstgespräche hatte ich mich auf mein altes Lager geworfen, müde und kraftlos, zwischen Traum und Wachen. Nur das wilde Stampfen meines Pferdes riß mich aus diesem Zustande; ich machte es los und suchte mit ihm das Freye und Lichte des Waldes und den zurückführenden Weg.

*

»Nun Herr Marquis,« rief mir eine Stimme entgegen, als ich mich meinem Garten näherte. »Ihre Gnaden sehen sehr blaß aus. Wie befinden Sie sich?« Diese Worte waren mit einem schallenden Gelächter begleitet. Es war Don Pedro.

Nicht übel, wie Sie sehen.

So wie er näher kam, merkte er wohl, daß ich zu seinen Späschen nicht aufgelegt war.

»Nun so ernsthaft,« fuhr er fort. »Was ist Ihnen denn begegnet. Im Vertrauen gesagt, wenn Sie nicht bald gekommen wären, so hätte ich Sie mit gewafneter Hand aufgesucht.«

Und eben so im Vertrauen gesagt; ich zweifle daran, Pedro.

»Wohl, wreil ich keine Lust hatte, mit Ihnen in die Hütte zu kriechen. Ich wette darauf, sie haben nichts gesehen und nichts gehört. Nicht wahr?«

Sie haben vollkommen Recht. Ich schlief ein und hatte einen Traum – einen langen Traum, der, wie Sie sehen bis itzt gedauert hat. – Aber ernsthafter, Pedro, was haben Sie von Ihrer Frau für Nachrichten?

Diese unerwartete Frage setzte den armen Pedro gänzlich wieder ausser Fassung, er hing ganz kläglich den Kopf, ließ große Trähnen fallen, schluchzte mitunter, antwortete mir keine Sylbe mehr, und als wir an sein Haus kamen, lief er ohne Abschied davon und ließ mich allein stehen. Ich ging hierauf ins Schloß, wo ich meine Bedienten äußerst über meine Rückkunft vergnügt fand, deren Verzögerung sie in eine ausserordentliche Angst gesetzt hatte. Es hatten sich indeß mehrere Nachrichten von dem verbreitet, was aus mir geworden wäre, welche noch durch Pedros Ausbleiben vergrößert wurden. Damals fiel mir dieser letztere Umstand, daß Pedro erst einige Stunden vor mir angekommen war, wovon er mir nicht ein Wort gesagt hatte, nur wenig oder gar nicht auf. Aber alles hing zusammen, bester Graf, und Sie werden sehen, was ich hieraus für Licht hätte ziehen können, wenn ich nicht so ganz betäubt gewesen wäre.

Die ersten Wochen gingen damit hin, daß ich meine mitgebrachten Schriften durchstudierte. Sie waren in einem so dunkelen Style geschrieben, daß ich nur mit Mühe einige Ideen herausbrachte; aber dafür kamen mir diese neuen Vorstellungen auch so erhaben vor, daß sie mich über alles entzückten. Welche Bilder, und welcher Scharfsinn, sie zusammenzustellen! Ich verlohr mich in einer fremden Gegend, die man mir mit fröhlichen Reizen in einer nahen Entfernung zeigte, in welcher Veranlassungen genug waren, alle Kräfte zu üben, doch alles zu genießen, und jeden Genuß doppelt und rein zu empfangen. Je mehr ich diese Vorstellungen verfolgte, desto geläufiger ward mir ihre Verknüpfung, meine Seele klärte sich immer heiterer auf, und bald ahndete ich, an der Quelle des Ganzen mich niederlassen zu können.

Meine übrige Zeit verstrich unter den einfachen Lustbarkeiten des Landlebens, in einiger Dumpfheit, als wenn ich auf einmal zu viel genossen hätte, aber doch in soviel Heiterkeit, als wenn ich bald wieder zu genießen anfangen dürfte. Der Wechsel der Gegenstände zerstreuete mein Gemüth, zog es von dem Bilde Rosaliens ab, und das Studium meiner Rolle leitete mich wieder auf die unvergeßbaren Reize dieses schönen Körpers hin. Nur der Körper war der Gegenstand meiner Vorstellungen, ich hatte zu wenig von ihrem Geiste gefühlt, oder ich war zu erschlaft gewesen, viel von ihm in mir aufnehmen zu können. Zu allen meinen Freuden folgte mir das lächelnde, wollüstige Ideal, in meine heimlichen Lauben, zum Geflüster des Baches, zum Blühtenregen der Bäume, zum Girren der Tauben, allenthalben nahm ich sie neben mir wahr, in süßer Ohnmacht, schön in sich selbst geschmiegt, und die kunstlosen Laute der Natur, sonst für mich von einer unwiderstehlichen Wirkung, ergötzten mich nicht mehr, wenn sie Rosaliens Stimme nicht ähnlich waren. Itzt ist es mir unbegreiflich, wie ein so lebhafter Geist, als der meinige damals war, so ganz sich zu verkörpern vermochte.

Don Pedro war den Tag darauf schon wieder zum Vorschein gekommen, dem Anschein nach sehr getröstet und ruhig. Er bauete und trieb die Gartenkunst. Er war lustig und froh, und sehr selten kamen itzt jene schwermüthigen Augenblicke zurück, die ihn im Anfange unserer Bekanntschaft meinem Herzen so theuer gemacht hatten. Meistens brachten wir den ganzen Abend mit einander zu, und wiederholten in unseren vertraulichen Gesprächen noch einmal unser Tagewerk. Oft kam es mir vor, als wenn er einen tieferen Verstand und mehr Kunst in seinem Karakter besäße, als er mir zeigen wollte. Seine Seele enthüllte sich oft in einer wunderbaren Größe und Klarheit. Aber ich hielt diese über meine Fassungskraft helleren Augenblicke für Schwärmereyen einer verschlossenen Seele, die mit Lustigkeit sich selbst zu betäuben im Sinn hatte. Je tiefer ich in die Plane meiner Verbündeten eindrang, je fester und deutlicher ich ihre Handlungsweise ahndete, und ihre Operationen voraussah, desto verdächtiger ward mir jedes neben mir geäußerte Wort, und ich fand in allem eine Beziehung auf die Vorstellungen, mit denen meine Seele so ganz sich erfüllt hatte. Man hatte mir einige Zeit zur Ruhe und zum Studium ihres Systemes gelassen. Zwey Monate waren ohne weitere Anzeige verflossen, ich glaubte am Ende beynahe gänzlich vergessen zu seyn, und machte schon Anstalt zur Rückreise nach Alkantara, wo meine ganze Familie mich schmerzlich erwartete, als sich ein Vorfall zutrug, der auf einmal meiner ganzen Lebenszukunft eine veränderte Wendung gab.

Ich hatte mich noch nicht wieder getrauet, gegen Pedro seiner Franziska zu erwähnen. Er schien, wie ich aus anderen Aeußerungen schloß, keine Nachricht weiter erhalten zu haben, und das Kind ihn die Mutter vergessen zu machen.

Auf einmal kommt er zu mir gerannt. Wissen Sie etwas neues Marquis? rief er mir entgegen, »meine Frau ist wieder da.«

Ihre Frau? – Sie scherzen, Pedro.

»Wollte Gott, Sie hätten recht, lieber Karlos. Im Vertrauen gesagt, mir liegt nun gar nichts mehr daran. Ach, sie ist wieder so schwermüthig, sie weint so viel, und als ich ihr sagte, Don Karlos würde sich unendlich freuen, sie wieder zu sehen, fing sie noch heftiger an. Was mag das bedeuten, lieber Karlos, wissen Sie es nicht?« –

Mir kam diese Naivetät sehr verdächtig vor. Wie paßte das mit dem ehemaligen Wiedersehen? Seine unschuldige Miene war nicht ganz natürlich, und sein Auge schien sehr ängstlich auf Antwort zu lauern. So? rief ich ihm lachend entgegen. Nun das ist mir lieb, sie wird wahrscheinlich in mich verliebt seyn.

Diese Gleichgültigkeit machte ihn eben so bestürzt, als ich im Anfange über die seinige war. Er erschrak heftig, sich in seiner Vorstellung ertappt zu finden, und nahm sich wieder mit großer Fassung zusammen.

»Wie meynen Sie das? mein lieber Marquis. Sie sind heute sehr abgeschmackt, mein lieber Marquis.«

Sie sehen, mein lieber Pedro, daß ich izt sehr beschäftigt bin. Verzeihen Sie mir meine Offenherzigkeit. Heute Nachmittag wird es mir ein unendliches Vergnügen machen, sie beyde bey mir zu sehen. Leben Sie wohl für izt, lieber Pedro.

Ich reichte ihm hierauf die Hand. Er sah äußerst verlegen aus, und ging mit tiefhängendem Kopfe hinweg.

Was ist das? sagte ich hierauf zu mir selbst. Franziska wieder da! Und der lezte Abschied von ihrem Gemahl so rührend und zärtlich, als wenn er für die ganze Ewigkeit hätte gelten sollen! – Schwur sie nicht, ihn niemals wiederzusehen, wollte sie sich nicht ermorden – machte sie nicht die Miene, ins Wasser zu springen! Und dann die Kälte, mit der er herkommt, ihre Ankunft mir zu erzählen. Pedro ist entweder ein Narr oder ein Betrüger. – Und wer ist der Betrogene? – Karlos! Karlos, wenn du dich von einem Freunde überlisten ließest.

In diesem Augenblicke trat ich an das Fenster. Zum größten Schrecken sah ich in der einen Scheibe: Elmire, gekritzelt. Gerechter Gott, rief ich aus, wer hat dies gethan! Und in diesem Augenblicke trat mir auch die ganze Vergangenheit wieder vor Augen; alle jene reizenden Szenen wurden aufs neue wieder gebohren, als ich Elmiren, jenes edle Mädchen, in meine Armen schloß; und dann jener schauderhafte Auftritt, wo sie in denen Armen, die sich eben eröfnet hatten, sie glücklich zu machen, auf immer erkaltete. Ein schrecklicher Verdacht fiel zentnerschwer mir aufs Herz. Sie starb so schnell, so unnatürlich; wer sprach bey meiner Aufnahme in den Bund so räthselhaft von dieser Sache; und endlich – o mein Gott – hatte ich Rosalien schwören müssen, sie niemals wieder zu lieben. Was half dieser Schwur, wenn sie nicht mehr lebte? – und Rosalie war so ängstlich, so gepreßt dabey. Sollte sie vielleicht noch leben? sollte man sie mir nur entziehen? – Und warum? – Mich mit Rosaliens Reizen um so fester zu binden? – Mein Kummer ward endlich laut, ich brach in Trähnen aus: »Wie so ganz anders waren doch deine Reize, Elmire, die klare Schuldlosigkeit deiner Blicke, die treue, anspruchslose Wärme deiner Umarmung? Niemals, niemals kann ich deinen Geist vergessen, die liebe Stimmung und Unbefangenheit deiner kinderreinen Seele, ach, hättest du mich niemals verlassen, wie glücklich könnt' ich itzt seyn!« –

Der Uebergang von Gefühl zu Gefühl ist ein wunderbarer Zug des menschlichen Herzens. Nichts als ein beklommener Verdacht, nichts als ein laurender Argwohn füllte den ersten Theil meines Selbstgesprächs aus. Der zweyte war nur Trauer über Elmirens Verlust, und mit ihm hatte ich den ersten rein vergessen. Ich wollte es selbst nicht untersuchen, ob es wahrscheinlicher sey, daß Elmire noch lebe; ich hieng schon so fest an der Idee dieses himmlischen Besitzes, daß ich ihnen noch Dank schuldig zu seyn glaubte, daß sie mich ihrer nur nicht gänzlich beraubt hätten. Meine alte Schwärmerey bemächtigte nun wieder, nahm das ganze Bewußtseyn in Besitz, und ich glaubte von neuem zu leben, seitdem ich mit ihr den abgebrochenen Umgang begann. Wie glücklich war ich nicht! Ich überschauete mit banger Wollust aus meinem Fenster alle die Lauben und Bäume, mit der ich in der Melancholie nach ihrem Verluste, mit der Abgeschiedenen einen vertraulichen Umgang gepflogen hatte. Ich suchte ihr Gemälde wieder hervor, und hing es um meinen Hals. Hundertmal ward es geküßt, und es fieng an nach gerade mir das Original zu ersetzen.

Gegen Abend, sah ich Don Pedro mit seiner Gemahlin aufs Schloß zukommen. Er blickte starr zu mir her; aber er war nicht im Stande, mich zu bemerken, weil ich im Fenster etwas zurückgelehnt stand. Er redete eben ängstlich auf sie ein, und sie schien sich Mühe zu geben, etwas von einer Rolle zu fassen, die er ihr vorsagte. Sie kamen näher. Ich gieng hinab, um sie zu empfangen. Pedro war ganz so freundschaftlich; ganz so unschuldig offen und vertraulich wie ehedem und an seinem Weibe war nichts von irgend einer Art von Verlegenheit zu bemerken. Ohne ihrer Zurückkunft mit einem Wort zu erwähnen, nahm ich sie mit gemeiner, zuvorkommender Höflichkeit auf, wünschte mir Glück zur Vermehrung unserer Gesellschaft, und bald fiengen wir ein gleichgültiges Gespräch an. Oft sann Franziska nach, um wahrscheinlich an ihrer Rolle zu lernen, und oft ertappte ich sie auf geheimen Beängstigungen, die sie sich sorgfältig zu verstecken bemühete.

Sie war übrigens ungleich schöner noch geworden, als sie mir das erstemal vorkam. Ein innerer Schmerz hatte ihre Mienen aus dem Frohen der Unschuld zu dem blassen Adel hervorgehoben, der das Herz um so fester anzieht, und um so sicherer rührt; ein bedeutungsvoller Mund, ein kummerahndendes ein kummerschweres Auge bildete ihr Gesicht zu einem rührenden, Seelenangreifenden Gemälde. Ich konnte mir es nicht erwehren, an diesem Madonnengesicht unwillkührlich zu hangen.

Pedro bemerkte dies alles. Dies war sonst seine Gewohnheit nicht. Er scherzte darüber. Er munterte uns beyde zu größerer Offenheit auf. »Nicht wahr, Karlos, ich habe ein schönes Weib?« rief er aus, indem er den Arm um ihren schlanken Leib schlug. –

Wer zweifelt daran, Don Pedro?

»Und das auch die Freunde ihres Gemahles liebt?«

Sie schlug die Augen zu mir auf, erröthete, und ließ den Blick wieder zur Erde sinken.

Ein Stück von ihrer Rolle, dachte ich. Und doch fühlte ich mich zu ihr hingeneigt.

Es ist wahr, lieber S., Pedro spielte meisterhaft, und er würde ganz seinen Zweck erreicht haben, wenn seine Frau nur mit der Hälfte seines Selbstbewußtseyns begabt gewesen wäre. Auf die unschuldigste und doch künstlichste Weise verflocht er uns in tausend kleine Lagen, in denen wir mit einander vertrauter wurden; mit der feinsten List, wußte er alle vortrefliche Seiten seiner Gemahlin hervorzuziehen und geltend zu machen, sie in allen ihren Reizen darzustellen, alle ihre Künste zu entwickeln.

Wir wurden auch immer wärmer und wärmer. Aber sie erröthete mehr und öfter, als sie wahrscheinlich sollte. Wie es mir vorkam, sollte sie mich nur verwirren, ohne ihre selbsteigene Fassung zu verlieren, aber sie hatte nicht genug auf sich Acht geben können, und gewann eine wirkliche Neigung zu mir, ehe sie es sich selbst versah.

Dies alles merkte ich weniger an ihr selbst, als an Pedro. Ohne mich aus den Augen zu lassen, gab er ihr hunderterley kleine Winke, sich nicht zu sehr zu vergessen; aber sie folgte den süßen Trieben ihres Herzens. Endlich fieng sie ihrem Gemahle zu natürlich zu spielen an; er stand auf und entschuldigte sich, für heute länger bey mir bleiben zu können. Beym Abschied merkte ich an Franziskas trähnendem Auge und zitternder Hand, daß ich mich in meinen Vermuthungen nicht betrogen hatte.

Wie hing dies nun alles zusammen? Ich befand mich in einem Gewirre, zu dessen Aufwickelung mir schlechterdings auch alle Data fehlten. Pedro hatte einen Plan auf mich. Dies war mehr als sichtbar. – Hing er aber mit denen meiner Brüder zusammen – Dann wäre es Thorheit gewesen, durch die Koketterie seiner Frau Rosaliens ersten starken Eindruck zu schwächen, der durch das schnelle Abbrechen der Wirkung um so lebhafter und tiefer eingegriffen hatte. – Und wollte er mich in einen eigenen verflechten, (welches mir damals das wahrscheinlichere war,) was konnte es für einer seyn, der die Gefahr, ein so trefliches Geschöpf zu verspielen, hinreichend belohnen könnte? – Aus allen Betrachtungen brachte ich daher nichts heraus, als den Vorsatz in jedem Falle behutsam zu seyn.

Mehrere Tage gingen hin, ohne daß ich von meinem Nachbar etwas hörte. Ich war zu sehr beschäftigt, um mich darum zu bekümmern, und wollte absichtlich, weder selbst ihn aufsuchen, noch nur einen meiner Leute um Nachrichten fragen. Ich genoß einsam und in stillen Schwärmereyen des scheidenden Jahres, im Umgange mit meiner Elmire aller Reize meines Aufenthalts der spiegelhellen Teiche in seinem Bezirke; des sterbenden Wehen und Weben in den stillerwerdenden Lüften. Alles schmiegte sich, wie immer, meiner Vorstellung an; alles trug die Farbe meiner Gemälde. Ich war so glücklich, so tief in mich selbst versenkt, ich fürchtete jede Störung durch eine fremde von außen kommende Empfindung. Denn ich sprach mit dem Bache, und er antwortete mir, wie ich es wünschte. Jeder Unglückliche liebt seinen Schmerz.

Am Ende des fünften Tages schlich ich langsam jenen Bach hinab, der Pedros Gebiet von dem meinigen trennte. Ich war so berauscht mit Glückseeligkeit, daß ich wenig hörte, was um mich vorging. Aber ein Geschöpf weinte laut in meiner Nähe. Und dies war Franziska. Ihr Schmerz war ungekünstelt, denn es war nicht möglich, daß sie mich hätte kommen sehen. Sie saß an dem jenseitigen Ufer des Baches, den Kopf auf die schöne Hand gestüzt, und vermischte ihre Trähnen mit der klaren Fluth, die zu ihren Füßen eine kleine Bucht bildete. Ihr Haar hieng ihr in das blasse, entstellte Gesicht, und ihr Busen arbeitete unwillig unter einer Last, die er gern bekämpfen zu wollen schien. Ihre Stellung war so schmerzlich, die Neigung des Gesichtes so hinreissend; mein Auge fühlte sich unwillkührlich befeuchtet.

Endlich fuhr sie auf, und sah wild um sich her. Ein noch blühender Rosenstrauch stand ihr zur Rechten. Sie riß die zarten Spätlinge ab, zerpflückte sie, aber immer langsamer und langsamer, die Blätter fielen in den vorbeywallenden Strom, und endlich vergaß sie es, daß sie die Rosen hatte zerreissen wollen; sie nahm die noch übrigen Blätter zusammen, küßte sie, ließ ihre Trähnen darauf fallen und küßte sie wieder.

Sie liebt, sagt ich hierauf zu mir selbst, und vielleicht Dich, Unglücklicher! Ich ging näher zu ihr heran. Ich setzte mich ihr gegenüber. Franziska, was weinst du? rief ich ihr zu.

Sanft sah sie hierauf in die Höhe, als wenn das Ideal ihrer Träume sie gerufen hätte, ein wehmüthiger Blick fiel auf mich, aber kaum ward ich erkannt, als sie sich mit einem Schrey aufriß, und in das tiefste Gebüsch stürzte.

Siehst du es Karlos, wiederholte ich mir selbst, daß das unglückliche Weib dich liebt. Und was fühlst du für sie, nichts als Mitleiden? – Ich wußte es nicht.

*

Aber soviel war gewiß, daß ich ihrentwegen meine Reise aufschob. Ich liebte sie zwar nicht, denn ich hing ja an Elmiren so warm und treu; aber Pedro war ein Schurke, und es war der Mühe werth, sie ihm zu entreissen. Dieser schöne Vernunftschluß, dessen wahre Quelle ich mir unmöglich gestehen konnte, bestimmte mich zum Zurückbleiben.

Bald darauf besuchte mich Pedro, aber allein. Er wollte zwar gern offen und zutraulich scheinen; aber man sah, es drückte ihn etwas. Ich machte ihm hierauf einen Gegenbesuch. Franziska war zwar da, aber sprachlos, immer erröthend, scheu, aufschreckend, und abgehärmt. – Sind Sie nicht wohl, mein bestes Weib? war meine Frage, mit einem leisen Handdruck begleitet, der erröthend eben so leise erwiedert wurde. »Sie kränkelt izt immer,« antwortete Pedro für sie; ein Thränenguß strömte aus ihren Augen, und auf einen Wink von ihrem Gemahl nahm sie ihr Tuch und entfernte sich.

»Ich weis gar nicht, was dem albernen Weibe fehlt,« versezte hierauf ihr Gemahl. –

Sie behandeln Sie vielleicht zu hart, lieber Freund, antwortete ich ihm treuherzig. Sie haben mir noch nichts von ihrem ersten Empfange erzählt; vielleicht war er nicht ganz so, als sie wünschte, nicht so warm, als eine Unglückliche, Reuende erwarten darf. Gestehen Sie mir nur, Sie haben es hierin versehen?

Er runzelte die Stirn. »O gewiß hierin nicht!« –

Lassen Sie ihr mehr freyen Willen. Sie liebt Gesellschaft vielleicht; wir wollen den benachbarten Adel zusammenbitten. Sie hängt vielleicht, wie alle Weiber, an Lustbarkeiten und rauschendem Vergnügen. Wir wollen Konzerte, Bälle und Masqueraden geben. Machen Sie mir ja nicht, daß wir sie noch einmal verlieren!

Diese Treuherzigkeit lößte ihm die Zunge und er glaubte ohne Gefahr seinem Plane einen Schritt näher treten zu dürfen.

»Nein, lieber Karlos, das fehlt ihr alles nicht.«

Und was denn?

»Sie ist verliebt.«

Verliebt? (lachte ich laut auf) das habe ich lange bemerkt.

»So, haben Sie es auch bemerkt? – Nun dann brauche ich es Ihnen nicht erst zu sagen.«

Das hatten Sie überhaupt nicht nöthig. Wenn es nur der weiß, den es betrift.

»Lieber Marquis, ich beschwöre Sie, ihr keine Aufmunterung zu geben.« –

Sie träumen wol, Pedro, oder haben Ihren Verstand verlohren. – Von wem ist denn die Rede?

»Von Ihnen Marquis, von Ihnen.« –

In mich wäre sie verliebt? –

»Allerdings, in Sie.«

Possen! – Nun denn ist es etwas neues für mich. – Aber Pedro, Sie sind ein elender Spasmacher?

»Nein, beym allmächtigen Gott! es ist mein völliger, völliger Ernst.«

Da sehen Sie es, daß ich Recht habe? – Ihr unglückseeliger Verdacht quält sie. Sie sieht sich von Ihnen verstoßen. Was braucht es mehr zum höchsten Elend. – Schämen Sie sich, Pedro.

»Nun ich wreiß wohl, was ich rede. – Doch still für itzt hiervon.«

Hier endigte sich unser Gespräch, in dem jeder so herzlich gern den andern betrogen hätte. Ich gieng hierauf bald wieder zu Haus, ohne daß sich das mindeste weiter ereignet hätte, was darauf Bezug hatte. Wir sprachen uns nachher einige Tage hindurch, ohne daß ich Franziska sah, und es ist wahr, daß ich mich scheuete, nach ihr zu fragen.

Aber bald darauf mußte Pedro verreisen. Der Himmel weiß wohin? Er schien, als er mir es ankündigte, in einiger Verlegenheit darüber zu seyn, und nahm mit den Worten Abschied: »Wenn Sie mich lieben, Don Karlos, so vergessen Sie meine Warnung nicht.« Er drückte mich hierauf freundschaftlich an die Brust und ging. Ich befand mich eben nicht in der Stimmung, ihm vieles zu antworten; es war mir, als entdeckte ich allenthalben unter meinen Gedanken den Namen Franziska, und als freuete ich mich eben nicht über diese Entdeckung. Die Gefahr verdoppelte sich für mich; dies fühlte ich nur zu gut, und wie ängstlich war meine Lage, wenn dies für mich eine Falle seyn sollte!

Ich nahm mir indeß muthig vor, sie die ganze Zeit über niemals zu sehen. Aber es war sichtbar, daß mich das arme Weib wirklich liebte. Sie hatte keinen Theil an Pedros Arglist. Sie stand selbst seinen Absichten entgegen. Und von mir hing ja ihre Zufriedenheit, ihre ganze Glückseeligkeit ab; sollte ich sie noch unglücklicher machen, als sie schon war? Wie leicht war es möglich, aus diesem Betragen zu schließen, daß ich sie verachtete, daß ich ihre Zuneigung nicht aus Pflicht ablehnte, sondern nachlässig von mir würfe. – Und was kann auch ein einziger Wohlstandsbesuch für Folgen haben? – Ich beschloß daher hinzugehen, aber äußerst höflich, äußerst kalt zu seyn. Jene vertraulichen Spiele, jene unschuldigen Freundschaftsbezeigungen nährten ja nur die verstohlene Flamme ihres Herzens.

Ich traf sie wieder in einer ähnlichen Stellung; ihre Augen roth und aufgeschwollen, ihre blassen Lippen von Seufzern gebrochen. Sie verbarg aber beyde, sie empfing mich mit Freundlichkeit und einer erröthenden Milde, und ich ließ mich bey ihr unter einem großen Lindenbaum nieder, der ein schönes dunkles Sumakgebüsch beschattete. Es war ein fröhlicher Abschiedstag, an dem das scheidende Jahr seine Kinder noch mit Freundlichkeit einsegnet. Sie selbst trug eine Miene von Beruhigung, so wie ich sie an ihr noch niemals bemerkt hatte. Sie beschäftigte sich mit einer kleinen weiblichen Arbeit, und sah nur zuweilen verstohlen nach mir herauf. Dies abgehärmte bleiche Gesicht, mit dem vollen Zauber einer tiefgereizten Empfindsamkeit, war nicht dazu gemacht, mich in der Kälte zu erhalten, die ich mitgebracht hatte.

Nach einigen gleichgültigen Gesprächen brachte ich sie auf ihren Gemahl.

Wird er bald wieder kommen, Sennora? fing ich an.

»Ich zweifle daran, denn er hat mir den Befehl gegeben mich einzuschließen, und so viel es der Wohlstand erlaubt, niemanden zu sehen.« –

Wahrscheinlich sind es Familiengeschäfte, die er besorgt. –

»Wahrscheinlich. Er sagt mir nichts.«

Sie scheinen nicht mit ihm zufrieden, Madonna. Ich bin Ihres Gemahles Freund, hätten Sie mir etwas zu vertrauen?

»Wehe Ihnen! wenn Sie es sind; aber ich habe Ihnen nichts zu vertrauen.«

Ach Franziska, dies habe ich nicht um Sie verdient. Niemand kann Sie so herzlich, so innig lieben, als ich. Und wozu diese Trähnen, diese halberstickten Seufzer?

Man sieht, wie schön ich meine Vorsätze hielt. Sie ward immer blässer und weinte heftiger. Nach einer Pause antwortete sie. »Karlos, wenn Sie mich lieben, verschonen Sie mich mit dieser zärtlichen Güte, ich bin ihrer nicht werth.«

Wer könnte meiner Zärtlichkeit werther seyn, als Franziska! Entdecken Sie es mir, was drückt sie für ein zärtlicher Kummer.

»Karlos, ich bin ein treuloses, verworfenes Weib.« –

Hat Ihnen das Pedro gesagt? –

»Nein, Pedro hat mir verziehen; aber ich kämpfe von neuem mit meinem Herzen; und diesmal, – ach Karlos, – diesmal muß ich unterliegen.«

Sie lieben?

Keine Antwort.

Sie lieben, Franziska?

Sie sank in halber Verzweiflung zu mir hin und verbarg ihr Gesicht an meinem Busen. Laut schluchzend ergriff sie meine Hand, führte sie an ihre Lippen, und drückte sie an ihr Herz. Himmel und Erde verschwanden in diesem Moment; alle meine Vorsätze verflogen, und ich sah nichts mehr in Pedro, als einen schurkischen Freund und Ehemann, aus dessen Händen man alles bringen müßte, was einem lieb wäre. Ich schlang den Arm um diese Franziska, und preßte einen Kuß auf ihren Mund. »Karlos, ich ertrage es nicht mehr,« ächzte sie zwischen unseren Lippen hervor. Hierauf wand sie sich wieder los, und richtete sich erhaben empor.

»Warum verberge ich denn diese Liebe; Nein, ich will auf sie stolz seyn. Ja Karlos,« – sie ergriff meine Hand, und sah mir groß und stolz in die Augen, – du bist es, den ich anbete, du bist für mich der einzige Mann in der Schöpfung.«

Hier wollte sie sich aufreissen, aber ich war ausser mir und ließ sie nicht.

Und Franziska, mit diesem Geständnisse willst du mich nun allein lassen.

»Muß ich es nicht, Karlos?«

Nein du mußt nicht, Franziska. Vertraue mir nur. Willst du dein Schicksal mit dem meinigen auf ewig verbinden? Willst du mit mir entfliehen.

»Ja, ich will es gern Karlos, aber hier in diesem Lande dürfen wir nicht bleiben, auch nicht in einem nahen; allenthalben würde man dich finden, und mich aus deinen Armen reissen. Weist du nicht ein Plätzchen jenseit des Meeres einsam und unbekannt! – Verzeih mir Karlos, verzeih einem liebekranken Weibe, das deine Glückseeligkeit mit der ihrigen erkauft. Aber nimm mich mit Dir, damit ich nicht wider Dich handeln muß.« –

»Wider mich? Also hätten doch ineine Ahndungen Grund?«

»Des Menschen Herz verwahrt entsezliche Dinge. Auch einem besten Freunde traue nicht Karlos. Aber ich habe geschworen« – sie sah sich schüchtern um.

Wir nahmen hierauf Abrede, mit einander zu entfliehen. Die folgende Nacht ward zur Ausführung bestimmt. Ich machte alle mögliche Anstalten, mit Sicherheit und unverfolgt es zu thun.

Die Nacht kam.

Ein Fenster war der Ort, Franziska zu treffen. Es ward ein Lerm gemacht, als wären es Räuber. Ich wollte sie erst in Sicherheit bringen, dann wie auf den Lerm zu Hülfe eilen; und sie mit Pedros Bedienten auf einer Unrechten Fahrt verfolgen. Man setzte eine Leiter an. Das Fenster war offen. Vermummt stieg ich hinein, aber wer beschreibt meinen Schrecken, Franziskas Bette war leer. Man durchstrich das ganze Haus. Alle ihre Kammerfrauen schliefen. Nirgends war sie zu finden.

*

Einige Spuren in ihrem Zimmer bewiesen mir indeß, daß sie gewaltsam entführt seyn müsse. Sie hatte sich vielleicht lange gesträubt, ihr Bette, an das sie sich gehalten haben mochte, war völlig zerstört, und ein großer Theil des Zimmergeräthes in der Nähe desselben umgeworfen und beschädigt. Es war unbegreiflich, daß die gleich in der Nähe schlafenden Kammerfrauen nichts davon hörten. Die Bedienten, welche wir geweckt hatten und die ihrerseits sehr erstaunt waren, uns durch ein Fenster in ihrer Gebieterin Schlafzimmern gestiegen zu sehen, versicherten nichts als ein leises, gedämpftes Wimmern bemerkt zu haben, das sie für das Geheul eines ausgeschlossenen Hundes gehalten hätten. Die Kammerfrauen schliefen noch und man eilte nun sie zu wecken. Aber hier lößte sich das Räthsel. Alle Bemühungen waren vergebens, sie wieder zu sich selbst zu bringen, und man mußte nach der Anwendung selbst grausamer Mittel, (wozu ich mich berechtigt glaubte, weil ich ihre Betäubung für verstellt ansah,) den Versuch aufgeben, sie erwachen zu machen. Es war daher sichtbar, daß irgend jemand im Hause, der ihnen das Schlafpulver beybringen konnte, Theil an dieser Unternehmung gehabt haben mußte. Jeder Augenblick machte mich erbitterter und wütender. Ich raste unter Pedros Leuten, wie ein besoffener umher, und drohete sie alle auf der Stelle niederzustechen. Aber alle versicherten mich mit der redlichsten Miene ihrer Treue und Unwissenheit, und alle waren, wie es sich bald ergab, seit einer zu langen Zeit in Pedros Diensten, um Vermuthungen eines auswärtigen unterstützten Angriffes mit Recht Raum geben zu können.

Worauf konnte daher nun der Verdacht natürlicher fallen, als auf Pedro selbst. Seine Verschmitztheit war mir vollkommen einleuchtend geworden; er hatte offenbar einen Plan auf mich, worin dieser auch immer bestehen mochte, er suchte seine Frau zu einem Hülfswerkzeuge desselben aus; gerade zu der gelegensten Zeit von der Welt war sie ihm wieder ins Haus gekommen; endlich hatte sie sich vergessen, es war vorauszusehen, daß es am Ende zwischen uns zu einem Plane wieder ihn selbst kommen würde; seine Frau ward ihm daher gefährlich, er konnte sie nicht mehr entfernen, ohne mich mistrauisch zu machen, er entführte sie also.

Diese Schlußfolge fiel mir sehr klar in die Augen, ob sie meine Lage gleich noch undeutlicher und verwickelter machte. Ich war in der That der Verzweiflung nahe; weniger über Franziskas Verlust, als über ihr Schicksal und ihren Schmerz ängstlich, fühlte ich es um so tiefer, mich noch einmal unter der Maske der Freundschaft betrogen zu sehen. Der gekränkte Stolz erneuerte die Zerrüttung meines Gemüthes, welche eine unglückliche Liebe zuerst angefangen hatte.

Mehrere Wochen vergingen, und ich hörte von Don Pedro, so wenig als von meinen Verbündeten. Das benachbarte Landhaus des ersten war so gut als völlig verödet, die zurückgebliebenen Bedienten, von ihrem Herren ohne Nachricht und Anweisung gelassen, wurden unter sich selbst uneins und liefen zum Theil davon, sein Garten gerieth in Unordnung, weil jeder darin den Gärtner spielte, und ich hielt es am Ende für die Pflicht eines Nachbarn, diesem Unwesen zu steuren. Indem sich so meine Wirthschaft ausdehnte, zerstreueten sich meine kränkenden Vorstellungen, und ich fing meinen ehemaligen Freund mit um so mehrerer Herzlichkeit und Güte zu entschuldigen, je näher ich zu einer Theilnahme an seinen äusseren Umständen veranlaßt wurde. Diese Wandelbarkeit des Karakters, welche weniger von Schwäche als von einer unbegränzten Gutmüthigkeit herrührte, versprach allen Ränken, womit er mich nachher beschlich, schon im Voraus einen glücklichen Erfolg.

Das Studium meiner Papiere erfüllte immer noch den größten Theil meiner Stunden; ich vereinte nicht nur allgemach alle alten Begriffe und selbst die angebohrenen, und verjährten Vorurtheile mit diesen neuen Schwärmereyen, und je mehr sie sich meiner immer offenen mehr sich aufschließenden Seele ereigneten, je leichter ich brauchbarscheinende Resultate aus ihnen heraus fand, desto mehr fühlte ich mein ganzes Gemüth erheitert, und die Zukunft in einer erhellten und immer reizender blühenden Dämmerung vor mir liegen. Alles war in ihnen Ideal, und doch war es so menschlich idealisirt, daß man sich zu ihnen unvermerkt emporgehoben fühlte, da man das stufenweise Entstehen dieser Vollkommenheit wahrnahm und berechnen konnte. Wie weh thut es mir, bester Graf, Sie des ganzen Eindruckes berauben zu müssen, welchen die volle Kenntniß dieser Plane Ihnen mittheilen würde, und Ihnen in diesen wenigen Winken das nur geben zu können, was mein Gelübde nicht vor aller Mittheilung verschließt. Wenn ich auch kühn genug dächte, mich itzt nicht mehr von ihm gebunden zu halten, so schwebt doch immer noch der Genius um mich, der mich von der Zeit meiner Einweihung an, auf allen meinen Tritten verfolgte. Ich würde diese Unbekannten, deren Wirkung auf mich sich vielleicht itzt merklicher geschwächt haben mag. zu einer Rache muthwillig auffodern, die zu ihrer Sicherheit sich nur mit meinem Tode erst endigen könnte. Vielleicht wird die Zeit noch manches enthüllen. Der Einfluß, unter dem wir beyde noch sichtbarlich stehen, muß auf irgend eine Art sich brechen und beendigen. Und diesen ruhigen Ernst, mit dem ich die ganze Zukunft anblicke, mit dem ich nichts von ihr erwarte, mit dem ich nach allem greife, was sie für mich brauchbar und bildend findet, habe ich eben jenem Systeme unvermerkt abgeborgt, das mir die erhabensten Ideen anvertrauete. Mit trüber Schwermuth sinke ich wieder in mein Zeitalter zurück, über das ich mich gern hätte hervorheben mögen, ohne Kummer und ohne Freude, ohne Haß und ohne Liebe, still meinem befriedigten Bewußtseyn angehörend, und selbst ohne Furcht für mich selbst war. Bester Graf, verweilen Sie sich immerhin mit ihrem großen, menschenfreundlichen Herzen, bey diesem Ausbruche von Empfindung, einem Resultat der seltsamsten Schicksale; einem Resultate, das Sie selbst, wenn ich, wie es mir ahndet, von Ihnen einst, auf welche Art es auch seyn mag, Abschied genommen haben werde, in den ihrigen leiten kann.

*

Kurz darauf besuchte ich meine Familie in Alkantara. Aber alle ihre Freudenbezeugungen, alle Anstalten, die man traf um mich länger in ihrem Schooße festzuhalten, waren vergeblich. Ich war indeß jenen süßen Freuden völlig abgestorben, welche der Friede der heiteren Häuslichkeit immer für unverdorbene, ungespannte Seelen hat; mein Herz hatte sich unter neuen Befriedigungen der alten völlig entwöhnt, und mit der Kenntniß meiner Familienlage hatte ich zugleich auch alle Theilnahme daran eingebüßt. Es ist eine der traurigsten Verfassungen, in einem solchen Grade an irgend einer Aussicht, an irgend einem Gute zu hängen, daß man gegen alle andere Vergnügungen erkaltet.

Nirgends verstand man mich auch. In jener Entfernung von dem Menschenschlage der höheren Stände, in dem vertraulichsten Umgange mit den ernsten Vorstellungen einer so erhabenen Verbindung, in dem rastlosen Kampfe mit mir selbst und meinen Vorurtheilen, von allen Seiten angespannt, und doch an allen Seiten erschlaft, mußte ich wohl der Weise fremd geworden seyn, wie man in jenen Volksklassen seine Gedanken mit Leichtigkeit in Umlauf bringt. Man staunte mich an, weil man mich nicht begriff, man ward persönlich kalt gegen mich, weil ich nicht konventionell heiß seyn konnte, und man vermied mich, weil man den Umgang mit mir unter solchen Umständen beschwerlich finden mußte. Die natürlichste Folge war, daß ich immer eigensinniger und zurückhaltender wurde. Indem ich alle Menschen um mich her für Dummköpfe ansah, gewöhnte ich mich im geschäftlichen Umgange zu einem Tone der Herablassung, der sie beleidigte; sie vergalten alle Unannehmlichkeit tausendfach wieder, mein gereiztes Gefühl sah diese Kleinigkeiten endlich gar für große Unfälle an, ich wußte nichts besseres zu thun als mich zu entfernen. Nachdem ich meiner Familie die Ursachen dieses schnellen Aufbruches ehrlich eröfnet hatte, zog ich getrost wieder ab.

Es war indeß wieder Frühling geworden, und da mein Herz sich mit Sehnsucht nach dem stilleren Genuß seiner selbst erfüllt hatte, so warf ich mich mit voller Inbrunst in die Arme des Landlebens. Mein Kummer söhnte sich bald wieder mit der Welt aus, und je weiter ich mich von den Menschen entfernt hielt, desto milder reinigte sich das trübselige Licht, in welchem sie vordem erschienen. Bald lebte ich wieder für sie, ohne sie jedoch lieben zu können, indem ich auf meinen Genuß mehr zu raffiniren anfieng, entfernte ich mich um so weiter von den natürlichsten Freuden, und ich näherte mich so endlich dem Punkte, wo das ganze Leben nichts als Räsonnement ist. Da ich Pedros Haus ganz so leer, als ich es verlassen hatte, und auch nicht die leiseste Ahndung von dem Schicksale dieser Eheleute wieder fand, fiel ich mit einer desto größeren Begierde auf die Schriften meines Bruders, welcher eben so wenig von sich hatte verlauten lassen. Für beyde glaubte ich darin Aufschlüsse entdecken zu können. Schon umfaßte ich ziemlich das ganze System, und doch traf ich immer noch neue Theile desselben an. Den ganzen Tag über dachte ich an gar nichts, als was sich unmittelbar darauf bezog, und selbst halbe Nächte widmete ich mit einem mir selbst unbegreiflichen Fleisse den Nachforschungen darüber.

So saß ich einmal in der Nacht. Mitternacht war schon vorbey. Um mich her schlief schon alles und ich hatte die Fenster meines Schlafzimmers, welche in den Garten gingen eröfnet, um meine Nerven mit dem frischen Balsamdufte junger Liemonienblühten zu stärken und dem Schlagen einer Nachtigall, die sich auf einem großen Lindenbaume dicht an meinem Fenster niedergelassen hatte, zuzulauschen. Indem höre ich etwas heftig an der großen Schloßthüre pochen. Ich fuhr gewaltsam zusammen. Was konnte es seyn?

Die Bedienten schlafen schon. Das Klopfen wird immer heftiger. Endlich macht man die Thüre auf. Ein Geschrey läßt sich hören. Auf einmal geräth das ganze Haus in Bewegung. Es wiederhallt von einem seltsamen Gemurmel. Man läuft in den Zimmern hin und her. Man kommt die Treppe zu mir herauf. Die Thüre an meinem Vorzimmer eröfnet sich. Endlich kommt es an mein Schlafgemach. Es wird aufgeschlossen. Eine weisse, schlanke Gestalt tritt herein, und stürzt sich an meinen Busen hin.

Halbgetödtet von der Erwartung und von einer ungewissen Furcht, die ich nicht los werden konnte, hatte ich meine Augen geschlossen, als es auf mich zukam. Ich war so betäubt, daß ich sie kaum wieder eröfnen konnte. Meine Lichter brannten dunkel, und die Figur war so verhüllt, daß ich sie nicht deutlich erkennen konnte. Ich fühlte es sey Franziska. Wie entzückt war ich nicht, sie wieder an meinem Busen zu sehen. Ich preßte den Mund auf den ihrigen. Aber hier merkte ich es: es waren Franziskas Lippen nicht; dies war das erste Gefühl meines wiederkommenden Bewußtseyns. Ich drückte sie hierauf von mir hinweg. »Geh Weib,« brach ich aus, »du bist nicht Franziska. Aber wer bist du denn?« –

»Wie Karlos, du kennst dein Weib, du kennst Elmiren nicht mehr?«

Ewiger Gott! Es war Elmire.

Ich erstarrte über diese Entdeckung. Es war mein süßes, mein treues Weib. Ich erkannte es an ihrem zärtlichen Kusse, an dem Feuer ihrer Umarmung an der Süßigkeit und Milde ihrer Worte. Aber sie war nicht mehr die Elmire, die mich sonst entzückte, jenes himmlisch heitere, bessere Wesen. Eine Todtenblässe beherrschte die kalten Mienen, und schien nur ungern dem Ergusse meines Gefühles zu weichen. Eine nebelichte Beklommenheit hatte das schöne Auge umwölkt, das bedenklich auf mich hinstarrte, sie wand sich zweifelhaft in meiner Umarmung, und ihr bittermildes Lächeln fragte mich ängstlich: wer die Franziska sey, für die ich sie mit so vieler Wärme erkannte. Alles dies fühlte ich tief in meinem Inneren brennen, ich zog sie auf meinen Schooß, sie mit Liebkosungen zu besänftigen, aber es war mir nicht möglich, über ein Wort, über einen Laut Herr zu werden, um ihr denselben liebreich mitzutheilen.

»Findet dich deine Elmire, so zärtlich gegen sie wieder, als sie dich verließ?« fieng sie endlich an. –

»Ja gewiß eben so zärtlich, mein holdes, himmlisches Weib. Aber ich kann mich noch nicht wieder erhohlen. Wie bist du aus dem Grabe entronnen? Oder bist du nur meines Weibes Geist, der zu meiner Tröstung auf einige Augenblicke zurückkehrt?« –

»Fühle es, an dieser Umarmung, was ich bin, mein Gemahl. So warm küßt kein abgeschiedener Geist. Aber bliebst du ihr so treu als sie dir? – Sey aufrichtig, geliebter Mann.«

Ich erschrack darüber. Die Freude des Wiedersehens war so kurz, und ging so schnell in die Besorgnisse der Eifersucht über. Wenn jener fürchterliche Bund sie mir geraubt hatte, so hatte sie ohne Zweifel auch meine Untreue, meine teuflische Berauschung erfahren. Dieser Gedanke, der sich mir unwillkührlich aufdringen mußte, machte mich stumm. Ich brach endlich in die Worte aus:

»Verfluchte Gesellschaft, du hast mir alles genommen?«

»Was sagt mein Karlos?« fuhr Elmire fort; indem sie zärtlich ihr blasses Gesicht an meine Wangen legte. »Sey aufrichtig mit deinem Weibe.« –

»Ach Elmire, du kennst ja mein zärtliches Herz. Du bist ja in meinen Armen gestorben. Man begrub dich unter meinen Augen. Wie konnte ich mir einbilden, daß dies alles schändlicher Betrug sey, dich mir zu stehlen. Lange habe ich dich beweint, und nur dein Bild in einer neuen Geliebten wieder gesucht. Du hast es ja nicht von mir verlangt, daß ich nicht wieder lieben sollte.« –

»Nein, ich habe es nicht von dir verlangt; ich konnte es nicht einmal wünschen. Aber nun, mein geliebter Gemahl, nicht mehr? – nun kehrt Elmire wieder zum Besitz deines Herzens zurück? Sie hat ihn durch ihre Treue verdient, und durch ihre Leiden theuer erkauft. Nicht war, nun kennt Karlos kein anderes Weib mehr, und ganz mein Eigenthum, findet er in mir alle seine Wünsche befriedigt?« –

»Gewiß, mein theueres, mein ewig geliebtes Weib.« –

»Wenn er auch andere liebte, so war es nur Elmire, die er in ihnen wieder fand; wenn er sie auch ganze Tage vergaß, wenn er nichts mehr von der Möglichkeit ihrer Rückkunft ahndete, ach! ich verzeihe dem theueren Verbrecher. Sein Herz ist geschaffen, um tausend glücklich zu machen, aber nicht wahr Karlos? um nur durch Eine glücklich zu werden.« –

Die süße Zauberin! – Immer noch zwischen Traum und Wachen kämpfend, beschäftigte ich mich indeß zweifelhaft mit der Wahrscheinlichkeit sie wieder bey mir zu haben. Es war ein Morgen nach einer gewittervollen Nacht, wo man sich scheuet, dem ersten Sonnenstrahle entgegen zu blicken, weil man nicht gern einen Blitz dafür ansehen möchte. Ich trauete dem Anscheine noch nicht recht. Ich foderte unaufhörlich von meinem sinnlichen Gefühl Rechenschaft. Es war gar zu romanhaft und seltsam, eine Abgeschiedene wieder in seinen Aermen zu haben.

Ich hatte mich nicht gewundert, daß man sie mir genommen hatte, aber ich mußte darüber staunen, daß man sie mir wieder gab. Oder war sie entronnen? Und wie war dies möglich gewesen? Kaum fiengen meine Sinne an mir glaubwürdig zu werden, als ich Elmiren darum befragte.

Sie ward hierauf noch blässer, sah sich verschüchtert um, und drängte sich ängstlicher in mich hinein.

»Kein Wort davon itzt, Karlos,« setzte sie mit zitternder Stimme hinzu: »wir sind nicht einen Augenblick sicher, laß uns erst fliehen, so weit als du kannst, so bald als du kannst. Hörst du, mein Gemahl?« – so schnell, so schnell als nur möglich, wenn du dein Weib noch liebst. Ach, man würde mich dir aus diesen zärtlichen Aermen herausstehlen.«

Ich sann einen Augenblick nach. Unter allen meinen Verpflichtungen war keine diesen Punkt betreffend; ich bedurfte hierüber noch eines Winkes, und ich nahm mir vor, ihn zu erwarten. Es war selbst nicht unwahrscheinlich, daß Elmire mit ihrer Bewilligung entkommen sey, und sie konnten es voraussehen, daß sie sich mit mir würde entfernen wollen. – Ach, und ich liebte sie wieder so innig, so über allen Ausdruck zärtlich, daß ich kaum angestanden haben würde, selbst ihrentwegen etwas zu wagen. Folglich versprach ich es ihr, alle Anstalten zu treffen, ich beruhigte sie mit allem, was ich liebreiches ihr sagen konnte, ich trug sie in ein anderes Schlafgemach, wo ich sie bat, sich zum Ruhen niederzulegen; ich verwahrte Fenster und Thüre, und warf mich selbst äußerst erschöpft auf mein Bett.

Sie haben, mein theuerster Graf, meine bisherige Geschichte reich an Unglücksfällen gesehen, aber dieser Zeitpunkt eröfnet in ihr neue schreckliche Szenen, für jeden erschütternd, aber für mich bis zum Wahnsinn schauderhaft, Szenen, worin alles verlohren gehet, alle Hofnungen und Wünsche; wo man meinem Gefühl bis in seine tiefsten Geheimnisse und empfindlichsten Falten nachdringt, und wo ich das vor meinen Augen untergehen sehe, was mich über die vorhergehenden Unfälle getröstet hatte, mich aber ein klägliches Spiel der ungeheuersten Entwürfe, der rasendsten Aussichten.

*

Nur wenig Augenblicke hatte ich auf dem Bette geruhet, so schienen meine halbofnen Augen eine Helle um mich wahrzunehmen. Es war aber nur ein fahler Schimmer, wie wenn der Morgen anbricht. Ich hielt es für Morgenröthe, und schloß die Augen wieder. Aber es dauerte nicht lange, als es so stark ward, daß es mir durch die geschlossenen Augenlieder beschwerlich fiel. Ich richtete mich auf, und sah das ganze Zimmer erhellt. Man konnte nicht deutlich unterscheiden, wo es eigentlich her kam; denn die ganze Luft schien entzündet. Kleine Lichtwolken schwankten hin und her, bald hier hin und dort hin, und ich sah mit Entsetzen Ströme von Funken dicht bey mir vorbeyfahren. Alle Gegenstände waren buntfarbig erleuchtet.

Ein leises Geräusch, wie wenn der Wind eine Harfe anhaucht, fieng nun an bey mir vorüber zu wallen, ein Geflüster, gleich zwischen jungen Laube wechselte periodisch mit jenem Laute, auch ließ sich zuweilen ein geheimes Aechzen hören, und doch sah ich nichts um mich her. Ich zog an die Klingel, um meine Leute zu wecken, aber der Glockenstrick riß. Ich wollte aus dem Bette in die Höhe springen, aber ich fand mich mit unsichtbaren Banden gehalten. Ich wartete endlich auf eine wohlthätige Ohnmacht, welche mich allen diesen Schrecken entzöge, aber meine schon an solche Erscheinungen gewöhnten Sinne versagten mir auch diesen letzten Dienst. Man denke sich meine Lage.

Indem quoll aus den Gegenständen ein feiner Duft hervor, und wie er so dick geworden war, daß er den Schimmer und alles um mich her unsichtbar machte, fieng er an Gestalt zu gewinnen. Ein weisses Wesen begann endlich sichtbar zu werden und trat mit glühenden Augen auf mich zu.

»Wer bist du,« rief ich ihm entgegen.

– »Ich bin dein Genius, Amanuel,« war die Antwort in einem dumpfen aber lieblichen Tone. – »Ich soll dich warnen, nicht mit Elmiren zu fliehen. Folge mir, denn ich liebe dich. –

»Wer hat dich gesandt?«

Der große Bund hat dich mir übergeben. – Ich hatte noch tausend Fragen an ihn, ich hatte mehr noch als tausend Einwendungen. Aber kaum hatte ich die Hand ausgestreckt, um das Phantom zu ergreifen, so ward es auf einmal dunkel um mich her, alles erloschen, alles erstorben, kein Laut in meiner Nähe, und ich sah durch das Licht der anbrechenden Dämmerung schon die Gegenstände wieder in ihrem gewöhnlichen Verhältnisse.

Ich hatte mich nur eben niedergelegt und ich war mir es zu gut bewußt, noch nicht geschlafen zu haben, als daß ich dies für einen Traum hatte ansehen können. Man hatte mir einen Genius versprochen, und in diesem lag so ein fühlbares, in seiner Erscheinung so viel überzeugendes. Es schien ein zartes, durchsichtiges, mir freundliches Wesen zu seyn; mein ganzer Glaube an die Nichtexistenz der Geisterwelt mußte natürlich zu schwanken anfangen, und ich kann es nicht leugnen, ich fühlte mich glücklich, mit einem solchen Wesen in Verbindung zu stehen. Als ich aufstand war die Thüre noch gerade so von innen verriegelt, als ich es gethan hatte; die Fenster waren dichtverschlossen, und die ganze Lage des Zimmers machte eine geheime Kommunikation völlig unmöglich. Betrügerey war daher undenkbar, und ich war von meiner Vernunft gezwungen, an Amanuels Daseyn zu glauben.

Nur später kam ich auf dem Zweck seiner Sendung zurück, und mit einer nie empfundenen Beklemmung wiederholte ich mir seine entsetzlichen Worte. Also Elmiren soll ich euren Händen überlassen, Ihr unbegreiflichen Unbekannten. So viel hat sie schon meinetwegen gelitten, und doch könnte ich mit ihr so unaussprechlich, so vollkommen glücklich seyn; ich könnte sogar an ihrem Busen alle die Vorstellungen wissen, die ihr, als zu meiner Glückseeligkeit nothwendig, in meinem Innersten aufregtet. – Und würde ich selbst nicht zufriedener seyn, wenn ich euch gar nicht kennte, wenn ich euch auf immer vergäße. Meiner Jahre Rosenblühte, meines Lebens Silberblick verschweige ich in unbegreiflichen Ahndungen und Künsten um nach langen Jahren erst verstehen und herrschen zu helfen; ich werde frühe ein Greiß, um es desto länger bleiben zu können. Wie traurig für mich.

Und ist es nicht zu wenig, was ihr mir gabt, für das, was ich euch aufopfern soll; meines Lebens höchstes Glück und ein Weib das mich liebt! Wie grausam, wie unbarmherzig für mich.

Die ganze Nacht brachte ich mit solchen Kämpfen hin, und als der Morgen anbrach, war ich bis zum Sterben ermattet. Ich gieng früh zu Elmiren, auch sie hatte nicht vor Unruhe geschlafen. Wir irrten im Garten umher, beyde so glücklich, und beyde so unruhvoll; Jeden drückte sichtbarlich ein Geheimniß, jeder fühlte die Zurückhaltung und die Angst des andern, und jedem verschloß dies den Mund. Stumm und traurig, seufzte ich an allen schönen und geheimen Stellen, wo meine Phantasie vorher mit ihr geschwelgt hatte, und wenn ihr bittendes Auge mich um meinen Kummer frug, so fühlte ich alle Kraft in mir entflohen, diese Szenen nun in der Wirklichkeit genießen zu können.

Wir kamen in das Zimmer zurück, ohne gesprochen zu haben; aber kaum hatten wir uns zusammen niedergesetzt, als jeder zu fragen eilte. Wir glaubten mit Liebkosungen vorbereiten zu müssen, und erstickten mit ihnen wieder die Worte.

»Elmire,« fieng ich endlich an, »ich bin recht unglücklich. Ich kann nicht mit dir entfliehen.« –

»Barmherziger Gott, Karlos,« antwortete sie mir im höchsten Schrecken, »warum nicht?«

Ich erzählte hierauf meine nächtliche Begebenheit. Sie erstarrte darüber. Aber sie bestand auf die Flucht.

»Tödte mich lieber, mein Gemahl, als daß du mich hier lässest. Warum willst du ein Weib unglücklich machen, das du zur Liebe verführt hast, das so glücklich war im Schooße seiner Familie, ehe es dich kannte, das dir zu Liebe alles wagte, dir zu Liebe alles ertrug. Sey barmherzig mit mir, Karlos und tödte mich!« –

»Nein, du sollst nur mit mir sterben, Elmire. Aber vorher laß uns erst suchen, glücklich zu werden. Sage mir nur, was ich thun soll?«

»Entfliehen, dies ist das einzige Mittel. Entfliehen mit mir. Hier blüht für uns keine Blume mehr. In jedem Welttheile ist mehr Glück für uns; je weiter von hier, desto mehr.«

»Wie entgehe ich aber diesen unsichtbaren Armen, die mich an allen Orten umstricken, wie rette ich dich aus ihnen, mein theurestes Weib? Gieb mir nur einen Weg dazu an. Du scheinst ein Geheimniß zu haben, Elmire, theile es mir mit, um uns beyde zu retten.«

»Nein, rette uns beide zuerst; man würde mich sonst in deinen Armen ermorden. O du wirst es erfahren, wie man mit deinem guten edlen Herzen spielt, wie man dich so ungeheuer, so ohne Beyspiel betrügt, wie man dich unter dem Schirme der Freundschaft so gern zu den ungeheuersten Schandthaten, zu dem schwärzesten Verbrechen verleiten mögte. Alle die erhabenen Ideen, die man deiner großen Seele darbot, führen nun auf einen einzigen Punkt der Sünde zusammen. Ich bin hinter alles zufällig gekommen, ich sollte noch einmal sterben, aber ich überlistete sie, und werfe mich izt in deine barmherzigen Arme. Habe Mitleid zum wenigsten mit einem unglücklichen Geschöpfe!«

»Ich erstaune, Elmire, – sollte es wahr seyn, was ich ahndete, sollten sie den Wink unwillkührlich verlohren haben, den ich einmal mitten unter ihnen auffaßte?« –

Gewiß hast du Recht, Karlos. – Siehe, ich weis es, was man mit dir vornahm, wie man dich verführte. Ich mußte Zeuge seyn, von deiner Treulosigkeit in Rosaliens Armen, ich sollte Mitverschworene gegen dich werden – doch was rauscht dort, Karlos – hörtest du nichts?« –

»Es ist nichts, Elmire. Du bist gespannt.«

»Es war gewiß etwas, lieber Karlos. Nimm mich in deine Arme; laß mich wenigstens in ihnen sterben.« –

Es rauschte wirklich etwas am Spiegel herab; aber ich that nicht, als wenn ich etwas hörte; ich nahm sie bey der Hand, ich fiel ihr zu Füßen, ich that alles um sie zufrieden zu stellen. Aber nichts vermochte etwas über sie. Tausend Liebkosungen, Vorstellungen und Trähnen wurden verschwendet; von Augenblick zu Augenblick ward ich schwächer; und so wie sie es fühlte, drang sie stärker in mich; endlich entwand sie mir das Versprechen zur Flucht.

Um sie die kurze Zeit über, welche ich nöthig hatte, um Anstalten zu treffen, wenigstens gegen offenbare Angriffe zu schützen, ließ ich zwey meiner geprüftesten Bedienten beständig bey ihr im Zimmer seyn, während dessen ich alles in Ordnung brachte. Es schien sich alles zu meiner Reise selbst glücklich zu fügen, kein Hinderniß, keine Verzögerung, alle Umstände paßten zusammen, alles begünstigte mich. Ich verachtete schon insgeheim die Ohnmacht des Geistes, der sich, wie ich mir einbildete, gewiß aller Mittel bedient haben würde, um meine Anstalten zu stören. Ich irrte mich aber. Man ließ mir vollkommene Zeit.

Die Nacht, welche zu unserer Flucht bestimmt war, kam immer näher. Frankreich war der Bestimmungsort unserer Reise. Da hofte ich mit Elmiren das Glück anzutreffen, das zwey verschwisterte Seelen fodern können: da hofte ich alles zu vergessen, was mich an mein Vaterland fesselte, und in ihm eine neue Heimath wieder zu finden. Elmire nahm einen herzlichen Theil an meinen Schwärmereyen, und wir genossen im voraus schon so viel, daß uns für die Gegenwart schwerlich viel übrig geblieben seyn würde. Schon waren die Maulthiere an den Wagen gespannt, die Bedienten reisefertig, alles aufgepackt, und ich gieng mit liebendem Herzen hin, Elmiren zu hohlen. Es war schon dunkel, sie hatte zwey Lichter im Zimmer und saß ganz allein auf dem Sopha, um noch etwas an ihrer Reisekleidung zu verbessern. Sie war so heiter, daß wir mit einander zu scherzen anfiengen, tausend lustige Einfälle wechselten, und eben war sie fertig geworden und im Begriff aufzustehen; als sie ganz blaß aufsprang und sagte:

»Lieber Karlos, dort knistert zuverläßig etwas.« Sie zeigte auf einen Kronleuchter, der an der Decke des Zimmers hing.

»Ja, die Maulthiere scharren. Komm, laß uns eilen.«

»Nein, nein, ich hörte es ganz deutlich hier über uns.«

»Nun, darum laß uns aus diesem verwünschten Zimmer gehen.«

Ich faßte sie um den Leib, sie fortgehen zu machen, als eine Fensterscheibe sprang und ins Zimmer fiel. Mehrere andere thaten das nämliche. Es fuhr ein Zischen durch die Oefnungen herein, wie von einem starken Winde. Beyde Lichter erloschen mit einem starken Knall. Ein Feuerklumpen fuhr herab, um sie wieder anzuzünden. Endlich sprangen beyde Thüren auf und schlossen sich wieder. Es wallte im Zimmer unsichtbar und doch erleuchtend hin und her; es rauschte dicht neben uns vorbey. Ein eiskalter Luftstrom blies uns ins Gesicht und wechselte wieder mit einem erstickend heissen.

Elmire lag lange ohnmächtig in meinen Armen, aber ich war stark genug, sie aufzuraffen und sie nach der Thüre zu tragen. Ich wurde ganz wütend vor Angst. Ich erwartete sehnlich Amanuels Ankunft, um mit ihm zu kämpfen. Die Thüre war nicht auf zu machen. Ich riß ein Fenster auf, und rief um Hülfe. In dem Augenblicke sprang die Thüre von selbst auf. Ich eilte mit Elmiren auf den Armen hinaus, ein unaufhörliches Zischen und Pfeifen folgte uns, das ganze Zimmer kam hinter uns in Aufruhr; der Kronleuchter stürzte herab, alles Geräth fuhr mit einem schauderhaften Getös zusammen und wieder aus einander; alles schien sich darin zu entflammen, denn durch die offengelassene Thür wurden alle Zimmer erleuchtet, die wir noch zu durchgehen hatten. Endlich tobte es ganz dicht hinter uns drein, durch alle Gemächer, die ganze Treppe hinab, bis zur Wagenthür. Aber ich verschloß Augen und Ohren und hielt standhaft mein Weib in den Armen.

Kaum war ich in dem Wagen, als das ganze Schloß wie umgekehrt wurde. Alle Fenster waren auf einmal erleuchtet, alle Thüren knarrten, und große Steine fielen vom Dache herab. Die Bedienten sahen sich blaß und betroffen an. Man setzte sich schnell zu Pferde, und selbst die Maulthiere eilten diesen verwünschten Ort zu verlassen.

Bald erreichten wir ein kleines nahegelegenes Gebüsch. In vollem Galopp war es bis hieher gegangen aber bald gieng es immer langsamer und langsamer.

Auf einmal stand der Wagen still, das Wagenfenster ward zerschlagen, ein verhüllter Kerl trat an den Schlag, ein Pistolenschuß tödtete Elmiren in meinen Armen.

*

So weit hatte ich geschrieben, um mit der Aufzeichnung meiner Lebensgeschichte den Wunsch des Grafen zu befriedigen, als er selbst wieder aus der Stadt zurückkam, schlecht mit seinen Geschäften zufrieden, und noch schlechter mit mir, weil ich ihm so lange Zeit nicht geschrieben hätte. Ich versicherte ihm den Ungrund seiner Beschuldigung, und gab sie ihm selbst wieder zurück. Unsere beyden Briefe waren aufgefangen.

Wir fiengen nun unsere alte Lebensart wieder an, und waren wechselsweis mit einander recht sehr vergnügt; er erwähnte nichts von seinen letzten Begebenheiten, und ich den meinigen nur in soweit, daß ich ihm sagte: ich schriebe für ihn. Dies machte ihn sehr heiter, und er setzte immer hinzu: »dies wird uns mit einander verständigen.«

Die Zerstreuungen indeß, worin uns nachher unsere Nachbaren verwickelten, ließen mich nicht anhaltend arbeiten, und was man nachher finden wird, war bis zu der Periode, da ich durch dasselbe mit dem Grafen zu einer für uns beyde so gefährlichen Aufklärung gelangte, nur die Frucht der Stunden, die ich seiner Gesellschaft heimlich entwandte, mancher stillen Nacht, und mancher einsamen Betrachtung, in der sich die Erinnerung bis zur Anschauung aufklärt.

Einst hatte ich den Tag über, einer leichten Unpäßlichkeit wegen, das Zimmer hüten müssen, als der Graf von einem Ball in der Nachbarschaft sehr vergnügt wieder nach Haus kam.

»Da habe ich einen Mann kennen lernen, Marquis,« rief er mir zu, als er noch einmal in mein Schlafzimmer trat, um mir eine gute Nacht zu wünschen, – »noch einen Mann, deren es nur wenig ähnliche giebt, uns beyde ausgenommen, wahrhaftig.« –

Der Graf lobte nichts weniger als schnell. Dies machte mich um so neugieriger.

»Wo ist er her? wie heißt er? wie sieht er aus? Was sprach er?« frug ich ihn schnell hintereinander.

»Gott behüte, Marquis, Sie sind ein entsetzlicher Frager. Er hat sich in der Nachbarschaft angekauft, und scheint mit mir Umgang halten zu wollen. Das ist das wichtigste, was ich von ihm weiß.«

»Nun das ist für Sie freylich genug, aber machen Sie mich auch ein wenig mit ihm bekannt. Zuerst also, wie sah er aus?« –

»Er hatte ein länglicht Gesicht, ein paar schöne schwarze Augen, einen aufgeworfenen Mund – – «

»Stille, bester S., das paßt auf hundert Menschen; aber sahen Sie nichts karakteristisches, keinen auszeichnenden Fehler? Ohne Zweifel hatte er auch dergleichen, und ich bin sehr eifersüchtig auf Ihre Gunst, lieber Graf.« –

»O ja, mich dünkt, er hatte dergleichen. Eine kleine, rothe Schmarre über dem linken Augenbrauen, eine kleine rothe Warze unter dem linken Backen, und wenn ich recht deutlich gesehen habe, so war das eine Auge schwarz, das andere mehr blau. Nicht wahr, das ist ein herrliches Gemälde? Nun kennen Sie ihn doch vollkommen? Aber Sie lachen ja gar nicht? Gütiger Himmel, Sie werden ja immer blässer.«

Aber ich mußte wohl blaß werden, denn das alles paßte auf Jakobs Gesicht.

 

Ende des ersten Theiles.

Mit allergnädigsten Freyheiten.


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