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Dreizehntes Kapitel

Eines schönen Tages wurde Erik Grubbe dadurch überrascht, Madame Gyldenlöve auf Tjele hereinfahren zu sehen.

Er mutmaßte sogleich, daß etwas Schlimmes vorgefallen sei, wie sie so ohne Dienerschaft oder sonst etwas angefahren kam; und als er erfuhr, wie es sich eigentlich verhielt, da war es kein warmes Willkommen, das er ihr bot, denn er wurde so zornig, daß er seines Weges ging, die Tür hinter sich zuknallte und sich diesen Tag nicht mehr zeigte.

Aber als er die Sache beschlafen hatte, wurde er etwas umgänglicher, ja, er behandelte seine Tochter sogar mit einer respektvollen Liebe, und es kam etwas von der steifen Geziertheit eines alten Höflings in seine Rede. Es war ihm nämlich in den Sinn gekommen, daß bisher ja eigentlich noch kein Unglück geschehen war; es hatte ja freilich eine kleine Uneinigkeit zwischen den jungen Eheleuten gegeben, aber Marie war noch Madame Gyldenlöve, und die Sache mußte ohne große Schwierigkeit wieder ins alte Geleise zu bringen sein.

Allerdings verlangte Marie Scheidung und wollte kein Wort von Versöhnung hören; aber es würde ja fast unsinnig sein, anderes zu erwarten gleich in der frischen Erbitterung der ersten Hitze, jetzt, wo alle Erinnerungen schmerzhafte Stellen und klaffende Wunden waren; also darauf legte er kein Gewicht; dem würde die Zeit abhelfen, davon war er überzeugt.

Es war außerdem ein Umstand, von dem er sich eine nicht geringe Unterstützung versprach. Marie war ja fast nackt von Aggershus gekommen, ohne Kleider und Kleinodien, und sie würde bald die Pracht entbehren, die sie gelernt hatte als alltäglich anzusehen, und selbst die einfache Kost auf Tjele, die mangelhafte Bedienung und die ganze Dürftigkeit des täglichen Lebens würde sie dahin bringen, sich nach dem zu sehnen, was sie verlassen hatte. Auf der andern Seite konnte Ulrik Frederik, er mochte noch so erbost sein, wie er wollte, wohl kaum an Scheidung denken. Seine Geldangelegenheiten waren nicht in einer solchen Ordnung, daß er sich von Mariens Mitgift trennen konnte; denn zwölftausend Taler waren viel bares Geld, und auf Geld und Grundbesitz und andere Herrlichkeit Verzicht zu leisten, war auch schwer, wenn man es nun doch einmal bekommen hatte.

Ein halbes Jahr lang ging alles gut auf Tjele. Marie befand sich wohl auf dem stillen Hof. Der tiefe Friede, der dort herrschte, die Einförmigkeit der Tage und ihr vollständiger Mangel an Ereignissen war etwas Neues für sie, und sie genoß es mit einem träumenden, passiven Wohlbehagen.

Wenn sie an die Vergangenheit dachte, erschien sie ihr wie ein ermüdendes Kämpfen und Ringen, ein rastloses Vorwärtsdrängen ohne Ziel, erhellt von einem grellen, stechenden Licht und durchlärmt von einem unleidlichen, betäubenden Getümmel; und es überkam sie ein wonniges Gefühl von Geborgenheit und Ruhe, von ungestörter Muße in wohltuendem Schatten, in süßer und freundlicher Stille; und sie liebte es, den Frieden ihrer Zufluchtsstätte zu erhöhen, indem sie sich vorstellte, daß sie in der Welt da draußen noch weiter lärmten und stritten und drängten, während sie sich gleichsam hinter das Leben fortgestohlen und einen sicheren kleinen Fleck gefunden hatte, wo niemand sie aufspüren und Unruhe in ihre lieblich dunkle Einsamkeit bringen konnte.

Doch wie die Zeit verstrich, wurde die Stille schwer und der Friede tot und der Schatten finster, und sie fing jetzt an, gleichsam nach einem lebendigen Laut von dem Leben da draußen zu lauschen. Es war ihr daher nicht unwillkommen, daß Erik Grubbe eine Veränderung vorschlug. Er wollte nämlich haben, daß sie fortgehen und auf ihres Gemahls Schloß Kalö wohnen sollte, und er entwickelte ihr, daß, da ihr Gemahl ihre ganze Mitgift in Besitz habe und ihr doch nichts zu ihrem Unterhalt sende, so sei es billig, daß sie sich von dem Gute Kalö unterhalten lasse, und da könne sie ja leben wie das Dotter im Ei, große Dienerschaft halten und Pracht und Aufwand treiben, ganz anders als hier auf Tjele, das viel zu kärglich für sie sei, die es ja soviel besser gewöhnt war. Außerdem sei in des Königs Morgengabebrief an sie, worin ihr tausend Tonnen Hartkorn zugesichert wurden, für den Fall, daß Ulrik Frederik vor ihr sterben sollte, offenbar an das Gut Kalö gedacht worden, das gerade die tausend Tonnen ausmache und das Ulrik Frederik ein halbes Jahr nach der Hochzeit übertragen worden sei. Falls sie sich nun nicht wieder verständigen sollten, so wäre es nicht unwahrscheinlich, daß Ulrik Frederik ihr das ihr als Mitwohnsitz zugedachte Gut abtreten würde, und es sei daher dienlich, sowohl, daß sie es kennen lernte, wie auch, daß Ulrik Frederik sich daran gewöhnte, es in ihrem Besitz zu wissen; um so leichter würde er es vielleicht abtreten.

Erik Grubbes Absicht bei dieser Anordnung war, von den Unkosten befreit zu werden, in die er durch Mariens Aufenthalt auf Tjele versetzt wurde, und außerdem, in den Augen der Leute den Bruch zwischen Ulrik Frederik und seiner Gemahlin geringer zu machen, als er war; überdies war es ja immerhin eine Annäherung, und man konnte niemals wissen, wohin die führen würde.

So reiste Marie denn nach Kalö, kam aber nicht dazu, dort so zu leben, wie sie es sich gedacht hatte, denn Ulrik Frederik hatte seinem Verwalter Johann Utrecht Befehl gegeben, Madame Gyldenlöve wohl zu empfangen und zu unterhalten, ihr aber nicht einen Heller oder Schilling in barem Gelde zu verabfolgen. Auf Kalö war es nun außerdem, wenn möglich, noch langweiliger als auf Tjele, so daß Marie wohl kaum lange dageblieben wäre, wenn sie nicht einen Gast bekommen hätte, der ihr bald mehr als ein Gast werden sollte.

Sein Name war Sti Högh.

Seit dem Fest im Frederiksborger Schloßgarten hatte Marie Grubbe oft an diesen ihren Schwager gedacht und immer mit einem Gefühl inniger Dankbarkeit; und manch liebes Mal, wenn sie auf Aggershus besonders empfindlich gekränkt oder verletzt worden war, so hatte es ihr zum Trost gereicht, sich Stis ehrerbietiger, stumm anbetender Huldigung zu erinnern. Und sein Wesen war dasselbe jetzt, wo sie vergessen und verlassen war, wie in jenen Tagen ihrer Herrlichkeit; es lag dieselbe schmeichelnde Hoffnungslosigkeit in seinen Mienen, dieselbe demütige Bewunderung in seinem Blick.

Mehr als zwei – drei Tage auf einmal blieb er nie auf Kalö; dann fuhr er auf acht Tage in die Umgegend auf Besuch, und Marie lernte, sich danach zu sehnen, daß er komme, und zu seufzen, wenn er wegzog; denn er war so gut wie ihr einziger Verkehr, und sie wurden daher sehr vertraut, und es gab nur wenig, was sie voreinander verbargen.

»Madame,« fragte Sti Högh eines Tages, »ist es Eure Absicht, wieder zu Seiner Exzellenz zurückzukehren, wenn er Euch voll und rundlich Abbitte leistet?«

»Und käme er auf seinen Knieen hierher gekrochen,« antwortete sie, »ich würde ihn wegstoßen. Ich trage für ihn nur Abscheu und Verachtung im Herzen; denn es ist auch nicht ein treues Sentiment in seinem Sinn, nicht ein ehrlicher, warmer Blutstropfen in seinem Körper; er ist eine Metze, so recht eine verrottete, verruchte Metze und kein Mann; er hat die leeren, treulosen Augen einer Metze und einer Metze seelenlose, klamme Begier. Niemals hat eine ehrliche, blutswarme Passion ihn hingerissen, niemals ist ein herzgeborenes Wort von seinen Lippen gerufen worden. Ich hasse ihn, Sti, denn ich fühle mich gleichsam besudelt von seinen schleichenden Händen, von seinen dirnenhaften Worten.«

»Ihr wollet also auf Separation antragen, Madame?«

Marie antwortete, sie wolle das, und wenn nur ihr Vater einverstanden gewesen wäre, würde die Sache sicher bereits weit gediehen sein; aber er überhaste sich nicht, sintemalen er den Glauben habe, daß alles noch wieder ins Geleise gebracht werden würde; doch das werde niemals geschehen.

Sie sprachen dann davon, was sie nach der Scheidung für ihren Unterhalt erwarten könne, und Marie meinte, daß Erik Grubbe in ihrem Namen hauptsächlich auf Kalö Anspruch erheben werde. Das, meinte Sti Högh, sei übel bedacht. Er hatte ihr in seinen Gedanken ein ganz anderes Leben angewiesen, denn als Witwe in einem entlegenen Winkel von Jütland zu sitzen und dann schließlich einen gemeinen Edelmann zu heiraten, denn höher würde sie hier nicht gelangen; bei Hofe war ihre Rolle ausgespielt, denn da war Ulrik Frederik zu gut angeschrieben, als daß er nicht imstande sein sollte, sie von dem Hof und diesen von ihr fernzuhalten. Nein, er war nun der Ansicht, sie müsse sich ihre Mitgift in barem Gelde auszahlen lassen und dann außer Landes reisen und nie mehr ihre Füße dahin zurücksetzen; denn mit ihrer Schönheit und ihrem Anstand könne sie in Frankreich ein ganz anderes herrliches Los erringen als hier in diesem armseligen Lande mit seinem bäurischen Adel und seinem erbärmlichen Konterfei von einem Hofe.

Das sagte er, und das dürftige Leben in der Einsamkeit von Kalö war ein so guter Hintergrund für die betörenden Bilder, die er von Ludwigs des Vierzehnten reichem und prächtigem Hof entwarf, daß sich Marie vollständig davon fesseln ließ und in der nächstfolgenden Zeit Frankreich zum Schauplatz aller ihrer Träume machte.

Sti Högh war noch ebenso in Liebe zu Marie Grubbe befangen wie ehedem, und er sprach oft mit ihr von dieser seiner Leidenschaft, nicht bittend oder flehend, nein, nicht einmal in Hoffnung oder Klage, im Gegenteil, vollständig hoffnungslos, immer in Voraussetzung der Unmöglichkeit, daß sie sie erwidern könne oder je erwidern werde. Im Anfang hörte Marie diese Äußerungen mit einem ängstlichen Staunen an, aber allmählich fing es an, sie zu interessieren, diesen hoffnungslosen Reflexionen über eine Liebe zu lauschen, deren Quell sie selber war; und nicht ohne ein berauschendes Machtgefühl hörte sie sich zur Herrin des Lebens und Todes über eine so absonderliche Natur wie Sti Höghs gemacht. Dennoch währte es nicht lange, bis das Mutlose in Stis Worten ein Gefühl der Gereiztheit in ihr erweckte, und sein Aufgeben des Kampfes, weil das Ziel des Kampfes unerreichbar schien, sein zahmes Sichdamitberuhigen, daß zu hoch nun einmal zu hoch sei, machte sie zweifeln, just nicht daran, daß wirklich Leidenschaft hinter Stis absonderlichen Worten oder Kummer hinter seinen schwermütigen Mienen liege, sondern daran, ob er nicht stärker rede, als er fühle; denn diese hoffnungslose Leidenschaft, die nicht trotzig die Augen davor schloß, daß da keine Hoffnung war, und blind vorwärtsstürmte, die verstand sie nicht, an die konnte sie nicht glauben; und sie machte sich ein Bild von Sti Högh als von einer überspannten Natur, die, indem sie beständig umherging und sich selber betastete, dahin gelangt war, sich reicher und größer und viel bedeutender zu fühlen, als sie war, und die jetzt, wo keine Wirklichkeit diese Vorstellung bekräftigte, einherging und sich in große Stimmungen und starke Leidenschaften hineinlog, die nur in phantastischer Schwangerschaft von seinem krankhaft geschäftigen Hirn geboren waren. Und die letzten Worte, die sie nun für längere Zeit aus seinem Munde vernahm, – sie kehrte nämlich auf ihres Vaters Aufforderung nach Tjele zurück, wohin Sti nicht zu kommen wagte, – dienten nur dazu, sie in dem Glauben zu befestigen, daß das Bild ihm in allen Stücken ähnlich sei.

Als er ihr nämlich Lebewohl gesagt hatte und mit der Hand auf der Türklinke dastand, wandte er sich nach ihr um und sagte: »Es ist eine schwarze Seite meines Lebensbuches, die jetzt aufgeschlagen wird, Madame, jetzt, da Eure Kalöer Tage vorüber sind; und ich werde mich in Qual und Pein sehnen und traure wie jemand, der das verloren hat, so seines ganzen Erdenreiches Glück, all sein Hoffen und Sehnen war; und doch, Madame, wenn es einmal geschehen sollte, daß triftiger Grund sei zu glauben, Ihr hättet mich lieb, und ich glaubte daran, da weiß nur Gott allein, wozu das mich machen würde. Möglich, daß es in mir die Kräfte erwecken würde, so ich noch niemals dazu vermochte, die Schwingen ihrer Gewalt zu gebrauchen, so daß der Teil meines Gemütes, der durstig ist nach Taten und brennend von Hoffnung, die Oberhand gewinnen und meinen Namen berühmt und herrlich machen würde. Aber es ist ebenso leicht zu denken, daß solch ein unnennbares Glück jede hochgespannte Saite abspannen, jedem rufenden Verlangen die Stimme rauben und jede lauschende Hoffnung betäuben könne, so daß das Land meines Glückes für meine Kräfte und Fähigkeiten ein erschlaffendes Capua werden würde...«

Es war begreiflich, daß Marie dachte, wie sie dachte, und sie sah ein, daß es so am besten war, aber dennoch seufzte sie dabei.

Nun fuhr sie nach Tjele. Erik Grubbe wünschte diese Rückkehr, weil er fürchtete, Sti Högh könne sie dahin bringen, Verhaltungsmaßregeln zu ergreifen, die mit seinen Plänen nicht übereinstimmten, und außerdem wollte er versuchen, ob es nicht möglich sei, sie durch Überredungen gewillt zu machen, auf eine Ordnung der Sache einzugehen, durch die die Ehe in Kraft bestehen bliebe.

Dies erwies sich jedoch als fruchtlos, aber dessenungeachtet fuhr Erik Grubbe fort, Ulrik Frederik durch Briefe aufzufordern, daß er Marie wieder zu sich nehme. Ulrik Frederik antwortete nie, er wünschte es so lange als möglich in Ungewißheit hinzuhalten, denn jegliche, sich aus einer Scheidung notwendigerweise folgernde Vermögensabtretung war ihm höchst ungelegen, und an des Schwiegervaters Versicherungen betreffs Mariens Versöhnlichkeit glaubte er nicht. Herrn Erik Grubbes Unwahrhaftigkeit war allzu wohlbekannt.

Der Ton in Erik Grubbes Briefen wurde indessen immer drohender, und es war schließlich sogar die Rede von einer persönlichen Hinwendung an den König. Ulrik Frederik sah ein, daß es so nicht lange weitergehen konnte, und er schrieb nun von Kopenhagen an seinen Verwalter auf Kalö, Johann Utrecht, einen Brief, in dem er ihn beauftragte, sich in aller Heimlichkeit darüber zu vergewissern, inwiefern Madame Gyldenlöve auf Schloß Kalö mit ihm zusammentreffen wolle, ohne daß Erik Grubbe etwas davon erfahre. Dieser Brief wurde im März neunundsechzig geschrieben.

Ulrik Frederik hoffte bei der hierin vorgeschlagenen Zusammenkunft, Marie Grubbes wahre Gesinnung zu erfahren, und falls er sie versöhnlich fand, wollte er sie gleich mit sich nach Aggershus nehmen, wenn aber nicht, so hoffte er durch das Versprechen, für eine sofortige Separation zu wirken, sich so billige Scheidungsbedingungen wie möglich zu verschaffen.

Allein Marie Grubbe lehnte die Begegnung ab, und Ulrik Frederik reiste unverrichteter Sache nach Norwegen zurück.

Erik Grubbe setzte noch eine Zeitlang seine nutzlose Schreiberei fort, aber da geschah es, im Februar siebenzig, daß die Nachricht von Frederiks des Dritten Tode kam, und nun meinte Erik Grubbe, es sei Zeit zum Handeln; denn König Frederik hatte immer seinen Sohn Ulrik Frederik so hoch gestellt und eine so blinde Liebe für ihn gehegt, daß er in einer Sache wie dieser alle Schuld beim Gegenpart gefunden hätte; doch bei König Christian ließ sich erwarten, daß es anders sein würde, denn wohl waren er und Ulrik Frederik Herzensfreunde und innig zusammengelebte Gesellschaftsgenossen, aber es war doch möglich, daß ein kleiner Schatten von Mißgunst bei dem König vorhanden war, denn er war zu des Vaters Lebzeiten so oft von dem begabteren und weit ansehnlicheren Halbbruder in den Schatten gestellt worden; außerdem hielten junge Fürsten darauf, ihre Unparteilichkeit zu zeigen, und da waren sie in eifrigem Gerechtigkeitsgefühl nicht selten ungerecht wider diejenigen, von denen der große Haufe denken mochte, daß sie gerade sie unter ihren Schutz nehmen würden. Es wurde also deswegen beschlossen, daß sie, sobald der Frühling kam, alle beide nach Kopenhagen reisen wollten, und Marie sollte in der Zwischenzeit versuchen, zweihundert Reichstaler von Johann Utrecht zu erlangen, um Trauerkleider zu kaufen, damit sie sich mit Anstand vor dem neuen König zeigen könne; aber der Verwalter durfte ohne Ulrik Frederiks Order kein Geld verabfolgen, und Marie mußte ohne Trauerkleider reisen, denn ihr Vater wollte keine bezahlen und meinte außerdem, daß dieser Mangel nur um so besser ihr Elend bezeuge.

Ende Mai kamen sie nach Kopenhagen, und da eine Begegnung zwischen Vater und Schwiegersohn zu keinem Ergebnis führte, schrieb Erik Grubbe an den König, daß er in aller Untertänigkeit nicht genugsam beschreiben könne, mit was für Spott, Beschämung und Unehre Seine Exzellenz Gyldenleu seine Gattin Marie Grubbe von Aggershus weggeschicket und sie Wind und Wetter und Kapern preisgegeben habe, so derzeit stark auf der See grassierten, sintemal als da eine heftige Fehde zwischen England und Holland entbrannt war. Gott habe sie mittlerweile gnädiglich vor obbemeldeter Lebensgefahr bewahret, und sie sei mit Leben und Gesundheit in sein Haus gekommen. Aber es sei eine unerhörte Schmach, so ihr widerfahren, und er habe nun viele Male mit Schreiben, Bitten und weinenden Tränen seinen hohen, hochgeehrten Sohn, wohlgeboren Seine Exzellenz, ersucht, daß er doch möge die Sache in Erwägung ziehen und entweder Marie ihre Ursache beweisen, aus selbiger die Ehe müsse getrennt werden, oder aber sie wieder zu sich nehmen, welches indessen alles nichts gefruchtet habe. Marie habe ihm viele tausend Reichstaler in sein Haus zugeführet, aber dessenungeachtet habe sie nicht einmal soviel wie zweihundert Reichstaler erlangen können, um Trauerkleider dafür zu kaufen; in Summa: ihr Elend sei zu weitläufig, um es zu schildern, und daher flöhen sie zu Seiner Königlichen Majestät, ihres allergnädigsten Erbherrn und Königs, angeborenen Gnade und Mildheit mit ihrer alleruntertänigsten Bitte und Supplik, daß Seine Majestät sich um Gottes willen seiner, Erik Grubbes, erbarmen wolle, um seines hohen Alters wegen, so da siebenundsechzig Jahre sei, und ihrer um ihres großen Elends und ihrer Beschämung willen, und gnädigst geruhen, Seiner Exzellenz Gyldenleu zu befehlen, daß er entweder Marie ihre Ursach nachweise, aus welcher Christus sagt, daß Eheleute geschieden werden dürfen, was er niemalen würde zu tun vermögen, oder auch sie wieder zu sich nehme, wodurch Gottes Ehre gefördert würde, indem die Ehe in der Achtung erhalten werde, in welche Gott selber sie eingesetzet hat, groß Ärgernis vermieden, große Sünde weggefeget und eine Seele aus der Verdammnis befreiet würde.

Marie wollte anfänglich durchaus nicht ihren Namen unter diese Supplik setzen, da sie unter keiner Bedingung mit Ulrik Frederik zusammenleben wollte, wie es denn auch gehen mochte. Aber der Vater versicherte sie, es seien nur Formalitäten mit dem Verlangen, daß Ulrik Frederik sie wieder zu sich nehmen solle, denn er wolle jetzt die Trennung um jeden Preis, und die Art und Weise, wie die Bittschrift abgefaßt sei, zwinge ihn, das zu begehren, und es würde ihre Sache in ein besseres Licht setzen und ihr bessere Bedingungen verschaffen. Da gab Marie denn nach; ja, sie fügte sogar auf des Vaters Aufforderung und nach seinem Entwurf folgende Nachschrift an die Supplik:

»Ich würde gern mit Eurer Königlichen Majestät geredet haben, aber ich Elendige habe nicht die Kleider, mit denen ich unter Leute kommen kann. Erbarmet Euch über mich, allergnädigster Erbherr und König, und helfet mir Elendiger zu Recht. Gott wird es lohnen. Marie Grubbe.«

Aber da sie Erik Grubbes Worten nicht allzusehr traute, ließ sie durch Vermittlung eines ihrer alten Hoffreunde dem König ein ganz privates Schreiben in die Hände gelangen, in dem sie ganz unverblümt aussprach, wie stark sie Ulrik Frederik verabscheue, wie eifrig sie sich nach Scheidung sehne und wie ungern sie wolle, daß sie durch die Ordnung der Vermögensfrage auch nur in die geringste Verbindung mit ihm gelangen möchte.

Erik Grubbe hatte indessen dies eine Mal die Wahrheit gesagt. Ulrik Frederik wollte geschieden werden. Seine Stellung am Hofe war eine andere als Halbbruder des Königs denn als des Königs Lieblingssohn. Es genügte jetzt nicht, auf väterliche Güte zu bauen, er mußte mit andern Männern des Hofes geradezu um Ehre und Lohn wetteifern. Eine Sache wie die vorliegende in Umlauf zu haben, trug nur wenig dazu bei, sein Ansehen zu stärken; es würde weit dienlicher sein, sie so schnell wie möglich zu beenden und in einer neuen und besser bedachten Ehe Erstattung für das zu suchen, was die Ehescheidung kosten konnte, sowohl an Ruf als auch an Gut. Er wendete daher den Einfluß, den er hatte, an, um dies Ziel zu erreichen.

Der König ließ die Sache sogleich dem Konsistorium vorlegen, daß es sein Gutachten darüber abgeben könne, und dieses fiel derart aus, daß die Ehe durch das Urteil des Höchsten Gerichts vom 14. Oktober 1670 für aufgehoben erklärt wurde, so daß beide Teile die Erlaubnis hatten, sich wieder zu vermählen. Marie Grubbe erhielt die zwölftausend Reichstaler und all die übrige Mitgift von Kleinodien und Grundbesitz zurück, und sobald sie das Geld ausbezahlt erhalten hatte, bereitete sie sich trotz der Vorstellungen des Vaters vor, außer Landes zu reisen. Was Ulrik Frederik anbetrifft, so schrieb er sofort an seine Halbschwester, Kurfürst Johann Georg von Sachsens Gemahlin, von der Auflösung seiner Ehe und fragte sie, ob sie ihm so viel schwesterliche Liebe erweisen wolle, daß er sich der schmeichelhaften Hoffnung hingeben dürfe, eine Gemahlin aus ihren fürstlichen Händen zu empfahen.


Marie Grubbe hatte nie zuvor über Geld zu verfügen gehabt, und daher schien es ihr jetzt, wo sie eine so große Summe in die Hände bekommen hatte, daß ihre Macht und ihr Vermögen ohne Grenzen sei. Ja, es war ihr, als sei ihr die Wünschelrute des Wunderreiches selbst in die Hand gelegt, und sie sehnte sich wie ein Kind danach, sie Schwung auf Schwung zu schwingen und alle Herrlichkeiten der Erde zu ihren Füßen zusammenzurufen.

Ihr nächster Wunsch war, weit weg zu sein von Kopenhagens Türmen und Tjeles Fluren, von Erik Grubbe und Muhme Rigitze, und so schwang sie denn die Rute zum erstenmal, und per Achse und Kiel über Wasser und Wege ward sie hinweggeführt von Seeland, hinab durch Jütland und Schleswig bis zu der Stadt Lübeck. Ihr ganzes Gefolge war die Kammerzofe Lucie, die ihr zu überlassen sie ihre Muhme bewogen hatte, und dann ein Kaufmannskutscher aus Aarhus; denn erst in Lübeck sollten die eigentlichen Reisevorbereitungen getroffen werden.

Sti Högh hatte sie auf den Gedanken gebracht, zu reisen, und damals hatte er gesagt, er wolle ebenfalls das Land verlassen und sein Glück draußen suchen, und hatte sich erboten, ihr Reisemarschall zu sein. Er kam nun auch, durch einen Brief aus Kopenhagen nach Lübeck gerufen, vierzehn Tage nach Mariens Ankunft alldort an, und begann sofort, sich nützlich zu machen, indem er die Veranstaltungen traf, die eine so große Reise erforderte.

In ihrem stillen Sinn hatte Marie eigentlich gedacht, dem armen Sti Högh eine Wohltäterin zu sein, indem sie ihm mit ihren reichen Mitteln die Kosten der Reise und des Aufenthalts in Frankreich erleichterte, bis es sich zeigen würde, ob eine andere Quelle für ihn sprudeln werde. Sie war daher, als der arme Sti Högh kam, sehr überrascht, ihn mit so viel Pracht gekleidet, ausgezeichnet beritten und von zwei stattlichen Reitknechten begleitet zu finden, überhaupt mit allen möglichen Anzeichen, daß sein Beutel keineswegs darauf angewiesen war, sich mit ihrem Golde rund zu füllen. Aber noch mehr erstaunte sie über den Umschlag, der in seinem Gemüt vorgegangen zu sein schien; er war lebhaft und beinahe übermütig, und während er früher so aussah, als geleite er sich mit feierlichen Schritten selbst zu Grabe, so trat er jetzt die Erde wie ein Mann, der die halbe Welt besaß und die andere Hälfte zu erwarten hatte. Es war ehemals etwas von einem gerupften Vogel an ihm gewesen, jetzt glich er zumeist einem Adler mit brausendem Gefieder und scharfen Augen, die von noch schärferen Klauen sprachen.

Marie dachte erst, es sei die Freude darüber, alle Sorgen der Vergangenheit hinter sich werfen zu können, und die Hoffnung, eine Zukunft zu gewinnen, die wert war, von Dauer zu sein, was die Veränderung bewirkt hatte; aber als er einige Tage dagewesen war, ohne den Mund für jene liebeskranken, mutlosen Worte zu öffnen, die sie so gut kannte, da fing sie an zu glauben, daß er seine Leidenschaft überwunden habe und nun in dem Gefühl, siegesstolz seine Ferse auf das Haupt des Liebesdrachens setzen zu können, sich frei und stark fühle und als Herr seines Geschicks; und sie wurde ganz neugierig, zu erfahren, ob sie recht geraten habe, und sie dachte bei sich, ein wenig verdrießlich zugleich, daß je mehr sie von Sti Högh sehe, desto weniger kenne sie ihn.

Ein Gespräch, das sie mit Lucie hatte, konnte nicht anders, als sie in dieser ihrer Vermutung bestärken.

Es war an einem Vormittag, als sie beide in dem großen Torraum auf und nieder gingen, wie er sich in allen Lübecker Häusern fand und der zugleich Gang und Wohnstube, Tummelplatz für die Kinder und der Schauplatz für die meisten Handverrichtungen war, zuweilen auch Eßzimmer und Gemüsekammer. Der Raum, in dem sie gingen, wurde indessen eigentlich nur in den milderen Jahreszeiten benutzt; daher befanden sich dort jetzt nur ein langer, weißgescheuerter Tisch, einige schwere, hölzerne Stühle und ein alter Schrank; ganz hinten waren lange Bretterborde aufgeschlagen, auf denen Kohlköpfe in grünen Reihen über roten Haufen von Wurzeln und strotzenden Meerrettichbündeln lagen.

Das Tor stand weit offen nach der feuchtblanken Straße hinaus, wo der Regen in schimmernden Strömen herabplätscherte.

Marie Grubbe wie auch Lucie waren zum Ausgehen angekleidet, die eine in einem pelzverbrämten Tuchmantel, die andere in einem Kragen von braungrauem Beiderwand; sie gingen hier, darauf wartend, daß der Regen aufhören solle, und schritten hurtig über den roten Ziegelsteinboden auf und nieder, mit kleinen, stampfenden Schlitten, als würde es ihnen schwer, die Füße warm zu halten.

»Sollte er nun aber auch ein wirklich zuverlässiger Begleiter sein, glaubt Ihr das?« fragte Lucie.

»Sti Högh? – Ja, freilich ist er das, sollt ich meinen. Was willst du damit sagen?«

»Hm, nur, ob er nicht irgendwo unterwegs sitzen bleibet?«

»Was?«

»Ja, die deutschen Jungfrauen oder auch die holländischen. Ihr wisset, er stehet in dem Ruf, sein Herz sei aus einer so glühenden Materie gemacht, daß es in lichterlohen Brand gerät, sobald nur ein Unterrock da ist, der es anfächelt.«

»Wer hat dir so törichte Parabeln aufgebunden?«

»Aber du lieber Gott, habt Ihr denn das niemalen zuvor gehört? Euer eigner Schwager! – Wer konnte denken, daß Euch das Neues sei; ich hätt ebensogut darauf verfallen können, Euch zu erzählen, daß die Woche sieben Tage hat.«

»Was hast du heute nur einmal, du faselst ja, als hättst du spanischen Wein zur Morgenkost bekommen?«

»Ja, eine von uns, wie es scheint. Saget mir, habt Ihr nie den Namen Ermegaard Lynow gehört?«

»Nein!«

»So fraget Sti Högh, ob er ihn nicht zufälligerweise kennen sollte, und nennet dann auch gleich Jydte Krag und Christence Rud und Edele Hansdatter und Lene Pappings, wenn Ihr wollt; es wäre ja denkbar, daß er zufälligerweise einige Parabeln, wie Ihr es nennet, von ihnen allzuhaufe zu erzählen wüßt.«

Marie hielt in ihrem Gang an dem offnen Tor inne und sah lange starr in das Regenwetter hinaus. »Weißt du vielleicht,« sagte sie dann und sing wieder an zu gehen, »weißt du vielleicht auch einige von diesen Parabeln zu erzählen?«

»Das sollt man fast meinen!«

»Von Ermegaard Lynow?«

»Ja, sonderlich von ihr.«

»Was denn?«

»Ach, es war mit einem von diesen Höghs, Sti, glaub ich, hieß er, einem großen, rothaarigen, blassen...«

»Danke, das weiß ich nun just ebensogut.«

»Wißt Ihr auch das mit dem Vergiften?«

»Nein, nein!«

»Oder etwa mit dem Brief?«

»Nun, so erzähl doch!«

»Hu, das ist eine so grausliche Geschicht!«

»Nun!«

»Also, dieser Högh war gut Freund mit ihr, das war ja, ehe er sich verheiratete; ja er und Ermegaard Lynow waren die allerbesten Freunde, sie hatte das längste Haar, das eine Jungfrau nur haben konnte, denn sie könnt fast darauf treten, und sie war so weiß und rot, so recht ein schönes Püppchen; aber er war so hart und bös gegen sie, als wär sie ein widerspenstig Windspiel und nicht das sanfte Geschöpf, das sie war; aber je schlimmer er war, um so mehr hatt sie ihn lieb, er hätt sie grün und blau schlagen können, wenn er es nicht gar tat, sie würd ihn dafür geküßt haben; huhu, es ist wahrlich schrecklich zu denken, wie ein Mensch sein kann, wenn er seine Sinne ans eine andere gestellt hat. Aber dann hatt er sie satt, und er sah nie mehr dahin, wo sie war, weil er eine andere in seinen Gedanken trug, und Jungfer Ermegaard, die grämt' sich und härmt' sich und war nahe daran zu vergehen vor lauter Jammer und Elend, aber sie lebte dennoch, was für ein Leben es auch war. Und dann konnt sie es nicht länger aushalten, die Jungfrau; sie sagen, sie hätt Sti Högh am Haus vorüberreiten sehen und sei ihm nachgerannt und eine Weile Seite an Seite mit seinem Pferd gelaufen, ohne daß er auch nur einen Schritt aufgehalten hätt oder ihre Bitten und ihr Weinen anhören gewollt; sondern ritt bloß scharf zu und von ihr weg. Das konnt sie nicht ertragen, und da nahm sie tödliches Gift und schrieb an Sti Högh, das hätt sie um seinetwillen getan, nun würd sie ihm nimmermehr ein Hindernis sein, wenn sie ihn bloß noch einmal sehen könnt, ehe sie stürbe.«

»Und dann?«

»Ja, Gott weiß, ob es auch so ist, wie die Leute sagen, denn dann ist er ja der erbärmlichste Leib und die schlimmste Seel, so der Höllen Pein zu erwarten hat; – dann schrieb er zurück – ja, so war es, er schrieb, daß das Gegengift, so sie am besten wieder heilmachen könnt, das war seine Liebe; aber ihr die zu geben, stünd nicht in seiner Macht, doch habe er gehört, daß Milch und Knoblauch auch solle gut sein, und das wolle er ihr raten zu nehmen. Seht, das antwortete er; was denket Ihr? kann es wohl etwas Schändlicheres geben als dies?«

»Und Jungfer Ermegaard?«

»Jungfer Ermegaard?«

»Ja freilich!«

»Ja, es war nicht sein Verdienst; aber sie hatt nicht Gift genug genommen, um davon zu sterben, doch sie wurd so krank und elend, daß sie beinah nie wieder gesund geworden wär.«

»Das arme kleine Lamm!« sagte Marie und lachte.

Fast jeder Tag in der nun folgenden Zeit führte irgendeine kleine Veränderung in Marie Grubbes Auffassung von Sti Högh herbei und damit auch in der Art und Weise ihres Verkehrs miteinander.

Es war so leicht, zu sehen, daß Sti kein Träumer war, aus der Umsicht und Geistesgegenwart, mit der er alle die unzähligen Hindernisse und Schwierigkeiten beseitigte, die die Reise darbot; und es war ebenso leicht, darüber ins klare zu gelangen, daß er an Manieren wie auch an Begabung selbst die vornehmsten Edelleute, mit denen sie zusammentrafen, bei weitem überragte. Immer war seine Rede neu und interessant und ungleich der aller anderen; es war, als habe er einen eigenen, nur von ihm gekannten Weg zum Verständnis von Menschen und Dingen, und es wollte Marie scheinen, als bekenne er mit einem kecken Hohn seinen Glauben daran, wie groß die Macht des Tieres im Menschen sei oder wie wenig Gold sich in den Schlacken seiner Natur verberge; und die kalte, leidenschaftliche Beredsamkeit, mit der er ihr bewies, wie gering der Zusammenhang im Wesen des Menschen sei, wie unverstanden und unverständlich, wie haltlos und tastend und ganz dem Zufall anheimgegeben das, was edel, und das, was niedrig war, in unserer Seele miteinander stritt; die Beredsamkeit, mit der er ihr dies klarzumachen suchte, erschien ihr groß und hinreißend, und sie fing an zu glauben, daß seltenere Gaben und mächtigere Kräfte ihm zuteil geworden seien, als sie sonst in das Los der Sterblichen fielen, und sie beugte sich in Bewunderung, ja fast in Anbetung vor der Macht dieses Überflusses, den sie ahnte; aber dennoch herrschte bei alledem ein stiller, lauernder, beständig raunender Zweifel in ihrer Seele, der niemals in ausgedachten Gedanken zum Ausdruck gelangte, sondern nur in dunklem, instinktivem Gefühl von der Furcht ergriffen ward, daß diese Macht eine Macht war, die drohte und raste, die wünschte und sich sehnte, nie jedoch niederschlug, nie zugriff.


In Lohendorf, etwa drei Meilen von Vechta, lag hart an der Landstraße ein altes Wirtshaus, und hier waren Marie und ihr Gefolge ein paar Stunden, nachdem die Sonne untergegangen war, eingekehrt.

Spät am Abend, als Kutscher und Reitknechte in den Nebenhäusern zur Ruhe gegangen waren, saßen Sti Högh, Marie und ein paar bäurisch aussehende Oldenburger Edelleute in recht vertraulicher Unterhaltung an einem kleinen, rotgemalten Tisch vor dem großen Ofen in der Schenkstube des Kruges.

An dem langen Tisch unter den Fenstern, den Rücken gegen den Rand der Tischplatte gestützt, saß Lucie am Ende einer Bank und strickte und sah zu.

Auf dem Herrschaftstisch stand ein Talglicht in einem gelben Tonleuchter und verbreitete seinen schläfrigen Schein über die Gesichter dahinten und spiegelte sich fettig in der Reihe von Zinntellern, die sich über dem Ofen befand. Marie hatte eine kleine zinnerne Kanne mit warmem Wein vor sich stehen, Sti Högh eine größere, während die beiden Oldenburger gemeinsam aus einem mächtigen hölzernen Humpen Bier tranken, der beständig geleert und ebenso beständig von einem strubbelköpfigen Burschen, der auf einer Schemelbank ganz hinten in der Stube lag und faulenzte, wieder gefüllt wurde.

Sowohl Marie wie auch Sti Högh hätten sich am liebsten in ihre Kammern zurückgezogen, denn die beiden Landedelleute waren keine angenehme Gesellschaft; und sie würden es auch getan haben, wären die Kammern nicht so eisig kalt gewesen und die Unannehmlichkeiten bei dem Versuch, sie zu erwärmen, noch schlimmer als die Kälte, was sie erfahren hatten, als ihnen der Wirt Feuerbecken hineinstellte. Der Torf war nämlich dort in der Gegend so schwefelig, daß nur Leute, die daran gewöhnt waren, Atem holen konnten, wenn er in Glut kam.

Die Oldenburger waren zurückhaltend, denn sie merkten wohl, daß sie in feiner Gesellschaft waren, und gaben sich daher Mühe, sich so gebildet auszudrücken, wie es in ihrer Macht stand; aber allmählich, als das Bier mehr und mehr Gewalt über sie bekam, ward auch das Band, das sie sich selbst angelegt hatten, schlaffer und schlaffer, ja ganz lose. Ihre Sprache bekam einen noch lokaleren Anstrich denn zuvor, ihre Späße wurden massiver und ihre Fragen ziemlich anzüglich.

Als jetzt der Scherz an Plumpheit und Unschicklichkeit zunahm, begann Marie unruhig auf ihrem Sitz zu werden, und Sti Höghs Augen fragten über den Tisch, ob sie fortgehen wollten. Da kam gerade der Blonde von den Fremden mit einer reichlich groben Andeutung, die Sti Högh veranlaßte, die Brauen zu runzeln und ihn drohend anzusehen; aber das reizte den nur, und er wiederholte seinen schmutzigen Scherz in noch kräftigeren Ausdrücken, was Sti dazu brachte, ihm zu geloben, daß er den Zinnkrug an seiner Stirn finden solle, falls er noch ein Wort mehr von dieser Art wage.

Gerade im selben Augenblick näherte sich Lucie mit ihrem Strickzeug dem Tische, um eine Masche, die sie hatte fallen lassen, wieder aufzunehmen, und das machte sich der andere Oldenburger zunutze; er faßte sie um den Leib, zwang sie auf seinen Schoß nieder und drückte ihr einen lautschallenden Kuß auf die Lippen.

Diese Kühnheit feuerte den Blonden an, und er schlang seinen Arm um Marie Grubbes Hals.

Im selben Augenblick flog ihm Stis Krug so kräftig und sicher an die Stirn, daß er mit einem tiefen Grunzen hintenüber gegen den Ofen fiel.

In der nächsten Sekunde waren Sti und der Braune mitten im Zimmer und Marie und ihre Zofe in eine Ecke geflüchtet.

Der Knecht auf der Schemelbank sprang auf, brüllte zu der einen Tür der Stube hinaus, lief selbst an die andere und schickte sich an, sie mit einer ellenlangen eisernen Stange zu verbarrikadieren; gleichzeitig hörte man, wie ein Riegel vor die Hintertür des Hauses geschoben wurde. Es war nämlich hier in der Schenke Brauch, sobald Schlägerei entstand, so zu verrammeln, daß niemand, der draußen war, hereinkommen und an dem Streit teilnehmen und ihm dadurch eine größere Ausdehnung geben konnte, als notwendig war; aber das war auch ihre einzige Einmischung, und sobald das Verrammeln besorgt war, schlichen sie sofort in ihre Betten; denn wer nichts sah, konnte auch nichts aufklären.

Keiner von den Kämpfenden führte Waffen bei sich, so daß sie nur die Fäuste hatten, um die Sache auszutragen. Und da standen sie, Sti und der Braune, und fluchten und rangen. Sie zogen einander von Fleck zu Fleck, drehten sich in zähen, widerstrebenden Wendungen und stießen einander gegen Türen und Wände; sie fingen gegenseitig ihre Arme ein, befreiten sich aus den packenden Fäusten des Gegners, beugten sich und wanden sich hin und her, das Kinn in die Schulter des andern gedrückt. Endlich taumelten sie an die Erde; Sti war zu oberst und hatte eben den Kopf seines Gegners ein paarmal hart gegen den kalten Lehmfußboden gestoßen, als er zwei kräftige Hände um seinen Hals fühlte. Es war der Blonde, der wieder zu sich gekommen war.

Sti war nahe daran zu ersticken; die Luft röchelte in seiner Kehle, es ward ihm schwarz vor den Augen, und seine Glieder erlahmten. Der Braune schlang seine Beine um ihn und zog ihn an den Schultern herunter, der Blonde umklammerte seinen Hals mit den Händen und stemmte ihm die Knie in die Seiten.

Marie schrie auf und wollte zu Hilfe eilen, aber Lucie hatte die Arme in einem fast krampfhaften Griff um sie geschlungen, so daß sie sich nicht rühren konnte.

Da, gerade als Sti im Begriff war, die Besinnung zu verlieren, warf er sich mit einer letzten Kraftanstrengung vornüber, so daß der Hinterkopf des Braunen auf die Erde hämmerte und der Blonde seinen Griff ein wenig lockerte und den Weg für etwas Luft freiließ. Mit einem geschmeidigen, kräftigen Ruck warf sich Sti auf die Seite, stürzte sich über den Blonden, so daß der zu Boden rollte, beugte sich dann wütend über den Gefallenen nieder, ward aber von einem Fußtritt in die Herzgrube getroffen, so daß er fast umsank; aber dann packte er mit der einen Hand den Knöchel des Fußes, der ihn getroffen hatte, und mit der andern Hand hielt er sich an dem Stiefelschaft gerade unter dem Knie fest, hob solchermaßen das Bein in die Höhe und hieb es wider seinen strammgespannten Schenkel, so daß die Knochen im Stiefel zerbrachen und der Blonde ohnmächtig hinsank. Der Braune, der dalag und starrte, verwirrt von dem Schlag auf den Kopf, stieß, als er dies sah, ein so schmerzliches Gebrüll aus, als sei es über ihn selber hergegangen, und kroch ins Versteck unter die Bank am Fenster, und damit war die Balgerei zu Ende.

Aber die Wildheit, die, wie Sti Högh bei dieser Gelegenheit zeigte, in seinem Gemüt wohnte, hatte einen mächtigen, wunderlichen Einfluß auf Marie; denn als sie in dieser Nacht den Kopf auf ihr Kissen legte, sagte sie zu sich selbst, daß sie ihn liebe; und als Sti Högh in den folgenden Tagen bemerkt hatte, daß etwas in ihrem Blick und Benehmen darauf hindeutete, daß eine große Veränderung zu seinen Gunsten in ihrem Sinn vorgegangen war, und er, hierdurch ermutigt, um ihre Liebe bat, erhielt er die Antwort, die er wünschte.


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