Walther Kabel
Die Antenne im fünften Stock
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4. Kapitel.
Nochmals der lange Benno . . .

Harst deutete auf die Fenster . . .

»Da – ganz dicke Vorhänge . . . Auch hier . . . Die Leute wollten sich nicht beobachten lassen . . .«

Und dann sah er nach der Uhr.

»Zehn Minuten nach halb zwölf . . . Wir müssen uns beeilen . . .«

»Womit?!«

»Nun – wir werden . . . senden!«

»Senden?!«

»Ja . . . Suchen wir zunächst die Eisenstangen und die Antennen . . . Hilf mir . . .«

Ich war reichlich erstaunt, schwieg aber . . . –

Wir fanden alles Nötige in einem geschnitzten Schrank des Herrenzimmers.

Wie gesagt: die Räume waren vornehm und mit Geschmack möbliert. Nur fehlte ihnen jedes Persönliche. An den Wänden nur Schmuck, wie ihn jeder Neureiche sich kaufen könnte . . . Nirgends eine Photographie irgendeiner Person – nirgends . . .!

Die Antenne war in wenigen Minuten gespannt, obwohl wir uns hüteten, bei Licht zu arbeiten, sobald wir die Fenstervorhänge aufziehen mußten.

Die Zuleitung der Antenne führten wir durch die hierzu vorgesehenen Porzellantüllen des einen Fensters des Herrenzimmers bis zum nahen Schreibtisch . . .

Da wir uns seit anderthalb Jahren mit der Aethertelegraphie und ‑telephonie aufs eingehendste beschäftigt hatten und da besonders Harald längst als Mitglied des Radio-Klubs auch mit Röhrensendern völlig vertraut ist, gelang es ihm, fünf Minuten vor zwölf den kleinen Sender dieser fragwürdigen Herrschaften in Betrieb zu setzen.

Wir kannten den Anruf, mit dem dieser Sender allnächtlich seine Arbeit begann, ganz genau: dreimal hintereinander die Buchstaben A L M A – also Alma.

Und dieses Alma sprach Harst nun langsam und nach Möglichkeit die Stimme Eriksens kopierend in das Mikrophon hinein.

Ich selbst saß am Empfangsapparat, konnte also gleichzeitig Harsts Stimme mit übergestülptem Kopfhörer kontrollieren.

Dieser Empfangsapparat war eine Dreiröhrenreflexschaltung mit Rahmen.

Klar und fast überlaut hörte ich so den Anruf mit, dieses dreimalige A L M A . . .

Dann warteten wir . . .

Warteten, ob irgendwoher irgend jemand antworten würde . . .

Harald schaute mich gespannt an . . .

Anderthalb Minuten nichts . . .

Ich fürchtete schon, den offenbar sehr abstimmscharfen Reflexempfänger schlecht eingestellt zu haben. Doch nein . . . Die Welle 900 stimmte . . .

Mit einem Male vernahm ich trotz der Morsezeichen eines anderen Senders eine Stimme . . .

Englische Worte . . . Mir jagte plötzlich das Herz . . .

»Weshalb so spät?« fragte eine Männerstimme . . .

Ich wiederholte Harst ganz leise die Worte . . .

Und er erwiderte in das Mikrophon hinein für den Unbekannten: »Umgehend hierher kommen . . . Es ist etwas geschehen . . .«

Und wieder dann die Antwort des Fremden:

»Was ist geschehen? Sagt mir die Wahrheit . . .«

»Nur persönlich . . . Anders zu gefährlich,« lautete Harsts Entgegnung. »Schluß jetzt . . . Und rasch!!«

»Auf Eure Verantwortung . . . In drei Stunden!«

Dann blieb alles wieder still . . .

Nur der Telegraphiesender war noch zu hören . . .

Nein – doch nicht . . .

Es blieb nicht alles still . . .

Eine andere Stimme plötzlich – scharf, befehlend:

»Sie wissen wohl, daß unbefugtes Errichten und Betreiben einer Sendestation verboten ist . . .! Wir belauschen Sie seit drei Abenden . . . Wir werden, falls Sie den Unfug nicht einstellen, durch unsere Peilinstrumente Ihre Anlage schon herausfinden. – Hier die Reichstelegraphenverwaltung . . . – Also richten Sie sich danach . . .«

Diese deutschen Sätze waren nur sehr schwach zu hören, da der Rahmen des Empfängers nicht die Richtung hatte, aus der die amtliche Stelle sandte.

Ich nahm jetzt den Hörer vom Kopf . . .

Harst montierte den Sender bereits in aller Gemächlichkeit ab und stellte ihn in den Schrank zurück.

Als ich ihm diese Warnung der Reichstelegraphenverwaltung mitteilte, meinte er nur:

»Einen Sender durch Peilen zu finden, ist überaus schwierig . . .« – Damit war dieser Zwischenfall für ihn erledigt.

Nicht so das Gespräch mit dem Unbekannten . . .

»Siehst du, mein Alter,« lächelte er vergnügt, »nun werden wir in etwa drei Stunden den Mann kennenlernen. der diese Buchstabendepeschen erhielt . . .«

Auch ich baute den Empfänger ab und erwiderte nachdenklich:

»Hm – eins fällt mir auf . . .«

»Natürlich,« nickte er und nahm eine Mirakulum aus dem Etui. »Natürlich sinnst Du darüber nach, weshalb Eriksen und die Frau vor ihrer Flucht nach Amsterdam diesen Mann nicht benachrichtigt haben, daß heute der Radioverkehr ausfallen müsse . . .«

»Ja . . .«

»Nun, mein Alter, dafür weiß ich vielleicht eine Erklärung. Nimm an, daß dieser Fremde irgendwo in der Einsamkeit haust – ganz abgelegen . . . Daß es also zeitraubend ist, ihn zu besuchen. Andererseits mögen Eriksen und die Douglas nicht gewagt haben, ihn etwa durch ein Posttelegramm zu verständigen. Sie hatten es auch sehr eilig bei ihrer Flucht – falls diese Bezeichnung zutrifft . . .«

Er stand vor mir und rauchte . . .

Und ich fragte hastig:

»Hast Du denn immer noch keinerlei Anhaltspunkt, wie man dieser mysteriösen Geschichte beikommen könnte?!«

»Wirklich, mein Alter: ich bin genau so schlau wie Du! Ich weiß nur eins bestimmt: Eriksen hat die Unbekannte, die Doppelgängerin der Lizzia Douglas niemals ermordet! Ein Zusammenhang zwischen ihnen besteht selbstverständlich . . . Welcher – das ahne ich nicht. Wenn wir je sagen durften, wir tappen im Dunkeln, so ist es hier der Fall!« –

Dann nahmen wir auch die Antenne herein . . .

Um ein Viertel eins verließen wir die Wohnung . . .

Kletterten an der Leine empor . . .

Unsere neuen Freunde, der lange Benno und der schiefe Otto, kamen sofort herbei.

Wir zogen die Leine nach oben, und der lange Benno wand sie sich um den Leib . . .

Gemeinsam traten wir den Rückweg an, gelangten auch unbekümmert unten in die Luitpoldstraße.

Hier lohnte Harald die beiden Einbrecher ab. Jeder erhielt noch zehn Mark. Sie bedankten sich wortreich und gingen mit ihrer leeren Handtasche davon.

Wir beide gingen bis zur Ecke der Martin-Luther-Straße und riefen ein Auto an. Der Chauffeur war ein älterer Mann von vertrauenswürdigem Aussehen. Harald verhandelte mit ihm, und der Chauffeur versprach, seinen Benzinvorrat zu ergänzen und sich nach einer halben Stunde hier wieder einzufinden.

Er kam auch. Er war genau instruiert worden, fuhr uns bis vor Luitpoldstraße 6 und hielt hier an der Bordschwelle.

Wir saßen im Innern des Kraftwagens und hatten das linke Türfenster hinabgelassen. Harald konnte den Eingang von Nr. 9 bequem überblicken, auch einen Teil des Bürgersteiges . . .

Wir machten uns auf eine lange Geduldsprobe gefaßt . . .

Es kam jedoch anders.

Wer die Luitpoldstraße kennt, weiß, daß sie eine der ruhigsten des alten Berliner Westens ist.

Sehr selten gingen Leute vorüber . . .

Jeder wurde scharf aufs Korn genommen . . .

Die Nacht war nicht gerade kalt. Trotzdem froren wir sehr bald.

Harst meinte, auch wir hätten uns eine halbe Flasche Kognak »borgen« sollen – von oben aus dem Büfett.

Ein Jammer, daß es dazu zu spät war . . . Ich hatte bereits Eisbeine . . .

Wir sprachen wenig . . .

Was wohl auch?! – Der Fall lag so dunkel – – wie diese Februarnacht über Berlin . . .

Eine Stunde verging . . .

Vom Turm der Kirche auf dem Winterfeldtplatz schlug es zwei . . . Zwei Uhr morgens . . .

Und gerade da hörten wir ein Auto von der Martin-Luther-Straße nahen . . .

Es hielt . . .

Vor uns – vor Nr. 12 . . . Ein Herr stieg aus – in langem Pelz . . . Ging über die Straße – und schaute zum fünften Stock von Nr. 9 empor . . . Das Laternenlicht traf das graubärtige Gesicht eines schlanken Herrn . . . –

Fraglos – es war unser Mann . . .!!

Und – daß er es war, bewies jetzt der Trillerpfiff, den er einer kleinen Metallpfeife entlockte . . .

Immer noch starrte er nach oben . . . Schaute dann auch mißtrauisch in die Runde . . .

Unser Chauffeur benahm sich tadellos . . .

Auf Harsts Klopfzeichen hin war er abgestiegen und hantierte an dem einen Vorderrad herum, als ob da etwas nicht in Ordnung wäre.

Der Graubart pfiff abermals . . .

Dann eilte er plötzlich wieder auf sein Auto zu, sprang hinein – und jagte davon . . .

Leider – leider setzte sich unser Wagen etwas zu spät in Bewegung . . .

Wir kamen in die Hohenstaufenstraße . . . Nichts mehr zu sehen . . .

Entkommen . . .!!

Harst fluchte . . .

Er flucht selten . . . Diesmal mit Recht . . . Wir hatten unglaubliches Pech gehabt . . .

So ließen wir uns denn nach Hause fahren, nach Blücherstraße 10 – zum Harstschen Familienhause – zu unserem lieben alten Heim.

Harald war in einem unglaublichen Läunchen . . . Saß im Klubsessel seines Arbeitszimmers und blies Trübsal. Ich ging auf und ab . . .

»Kaffee!« sagte er da plötzlich.

Ich holte den elektrischen Kocher und bereitete alles vor . . .

Harst lebte mit einem Male auf . . .

»Es war ein Taxameterauto, mein Alter . . . Wir werden es finden . . . Wenigstens ein Lichtpunkt . . . – Und wenn wir uns gestärkt und erwärmt haben, werden wir nochmals die Wohnung im fünften Stock besuchen . . .«

»Und der Zweck?«

»Alles durchsuchen . . . Irgendein Fetzen Papier wird doch zu finden sein, der uns wenigstens etwas klüger macht als dieser – Briefumschlag es tut . . .«

Und er holte aus der Tasche eine graugrüne Papierkugel hervor . . .

»Das hier lag als einziges im Papierkorb des Herrenzimmers . . . Ein Geschäftsumschlag ist's . . . – Ah – Donnerwetter . . .!!«

Er hatte das Papier glatt gestrichen . . .

»Schau her, Alterchen . . .!« Er strahlte . . .

Und ich las:

Fräulein
Anna-Grete Meier
Charlottenburg, Waitzstr. 27
Gth. r. II. b. Worge.

Oben links war ein Firmenaufdruck zu erkennen:

Chemische Fabrik
Wardana,
Berlin SO 26,
Prinzenstraße 72.

Ich machte ein langes Gesicht . . .

»Was soll uns das helfen?!« meinte ich achselzuckend.

»Oh – bitte . . .! Strenge Dein Hirn an . . . Stelle Dir vor: gestern nacht ist die ermordete Unbekannte dort bei Frau Douglas, als Eriksen gerade den Sender bedient . . . Aus irgendeinem Grunde kommt es plötzlich zum Zank . . . In der Erregung schleudert die Unbekannte etwas in den Papierkorb – vielleicht diesen zusammengeknüllten Umschlag . . .«

»Phantasie . . .!!«

»Bitte – rieche! Der Umschlag duftet – nach Puder, kann in einem Handtäschchen neben einem Puderbüchschen gelegen haben . . .«

»Phantasie . . .!!«

»Bitte, bring mir doch mal das neue Berliner Adreßbuch – alle Bände . . .«

Ich tat's . . .

Und Harald stellte fest, daß Waitzstratzs 27 Gartenhaus rechts 2 Treppen wirklich eine Witwe Emilie Worge wohnte . . .

Aber – was er nicht fand, war die chemische Fabrik Wardana . . .!

Wieder nahm er nun den Briefumschlag zur Hand . . .

»Diese Fünfpfennigmarke hier ist vorgestern abgestempelt, mein Alter . . . Und dieser Firmenaufdruck Wardana ist – Hausarbeit, ist mit zusammensetzbaren Gummidrucktypen hergestellt und soll den Brief recht harmlos erscheinen lassen: Reklame – dergleichen! – Ich gehe jede Wette ein: die Unbekannte wohnte unter dem Namen Anna-Grete Meier bei der Worge!«

Jetzt warf ich nicht mehr mein eines Wort »Phantasie« so ironisch dem Freunde ins Gesicht . . .

Ich bemühte mich um den Kaffee und sagte nur:

»Nicht ausgeschlossen . . .!!«

Dann tranken wir. Harald hatte aus der Speisenkammer allerlei leckere kalte Sachen geholt.

Wir aßen mit Heißhunger . . .

Und – kurz nach drei Uhr morgens schrillte das Telephon . . .

»Nanu?« rief Harald . . . »Was hat denn das zu bedeuten?! Etwa Sigi Lauken . . .

Und er sprang auf . . .

Meldete sich . . .

»Hier Harald Harst . . . – Wer ist dort . . .?! Der lange Benno? – So . . .?! Das ist ja glänzend . . .! Bitte – recht genau . . . Also . . . – Gut, verstanden. Wir kommen . . . Legen Sie sich wieder auf die Lauer. Wir bringen Ihnen etwas Trinkbares mit . . .«

Dann legte er den Hörer weg . . .

Drehte sich um . . .

»Alterchen, der lange Benno hat spioniert, wollte wissen, was wir in Nr. 9 vorhätten . . . Und . . . ist dem Auto mit dem Rade gefolgt . . . bis Zehlendorf-West. Dort stieg der Graubart aus und ging zu Fuß weiter . . . Jenseits der Bahn im Walde soll da eine neue Eigenheimkolonie liegen . . . Und in einem ganz versteckt gelegenen Häuschen verschwand der Mann . . . – Der lange Benno ist dann nach Zehlendorf zurückgewandert und hat vom Bahnhof aus mich angerufen . . . Ich schickte ihn zurück nach dem Häuschen, damit . . .«

»Das hörte ich . . .«

Ich war genau so erregt wie Harald . . .

Rasch beendeten wir unsere Mahlzeit . . .

Um ein Viertel vier trug uns ein Auto gen Zehlendorf . . .

 


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