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Elizabeth Barrett Browning Robert Browning

Elizabeth Barrett Browning
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Robert Browning
Bildquelle: collections.etoncollege.com

Elisabeth Barrett Browning und Robert Browning


I.
Elisabeth Barrett.

O, lyric love, half-angel and half-bird ...

Robert Browning.

Elisabeth Barrett war die Tochter eines reichen westindischen Gutsbesitzers, der sich in England auf dem Lande niedergelassen hatte. Sie wurde am 6. März 1809 in Coxhoe Hall Über Geburtstag und -ort Elisabeth Barretts herrscht eine merkwürdige Verschiedenheit der Ansichten. Das »Dictionary of National Biography«, das uns für alle tatsächlichen Angaben als Standard-work zu gelten hat, verzeichnet den 6. März 1809 (wie Ellen Key) als Geburtstag und Burn Hall in Durham als Geburtsort. Damit in Widerspruch gibt John H. Ingram in seiner in der »Eminent Women Series« enthaltenen Biographie (London, W. H. Allen u. Co., 5. ed., v. J.) den 6. März 1806 als Geburtstag und Coxhoe Hall als Geburtsort an.

Mit diesem Datum stimmt die verlässlichste englische Literaturgeschichte von Chambers überein; als Geburtsort erscheint hier aber Carlton Hall. Wir müssen uns wohl, den Forderungen der Galanterie zum Trotz, für 1806 entscheiden, denn überall, auch im Dictionary of National Biography (Supplementband I, S. 309), wird der Altersunterschied zwischen den Ehegatten auf sechs Jahre bemessen, und Robert Browning ist am 7. Mai 1812 geboren.
geboren, wo die Eltern zu Besuch waren, aber ihre Kindheit und erste Jugend verfloß auf dem Gute des Vaters, Hope End, in der Nähe von Ledbury in Herefordshire. In der Kinderschar, die schließlich aus acht Söhnen und noch zwei Töchtern bestand, blieb Elisabeth der Liebling des Vaters. Die Mutter war eine milde, schwache, vom Vater völlig unterjochte Natur, die keinen großen Einfluß auf die Tochter hatte, und ihr Tod scheint keine tieferen Spuren in dem Gefühlsleben des damals neunzehnjährigen Mädchens zurückgelassen zu haben. Dagegen bedeutete der Vater viel für ihre Entwickelung. Selber begabt und vielseitig gebildet, brachte er seinem ungewöhnlichen ältesten Kinde all die Zärtlichkeit entgegen, deren seine harte Natur fähig war. Das hinderte aber nicht, daß Elisabeth, wie die ganze Familie, unter dem steten Druck seines Despotismus stand.

Elisabeth schildert sich in ihrer Kindheit selbst als gewaltsam, heftig und jäh in allem, was sie vornahm. Ihr um ein Jahr jüngerer Bruder Edward war und blieb ihr teuerster Freund, auch als die Spiele des zarten Alters mit gemeinsamen Studien vertauscht wurden. Er war es, der, bevor er noch rein sprechen konnte, ihr den Kosenamen Ba gab, den sie seither immer behielt; er begleitete sie nicht nur auf den Ritten und Fahrten, die zuweilen ihre Studien unterbrachen, sondern er folgte ihr auch in die Welt der Träume. Aber am glücklichsten war sie allein in ihren Schlupfwinkeln. Sie bekam früh ihr eigenes kleines Zimmer, grün wie eine Laube und noch grüner durch die großen Bäume davor. Hier las und dichtete sie; von hier konnte sie sich des Morgens ungesehen auf ihre Streifzüge in die Umgegend hinausschleichen. In der Natur führte sie, wie sie in einem ihrer späteren Gedichte sagt, »ein Leben wie das der Blumen und Bienen ... Herrlich grünend war meiner Kindheit Land, mit Tälern, über die die Apfelblüten ihren Schnee ausstreuten, wo die Herden auf blumenreichen Wiesen weideten, beschattet von Hügeln, auf denen laubreiche Wälder zu besonnten Gipfeln hinanklommen. Das Grün der Bäume verflocht sich zu dichten Mauern, innerhalb derer die Vögel jubilierten und sich auch nicht stören ließen, wenn ich das blühende Dickicht auf meinen Entdeckungsfahrten durchbrach, bei denen meine Gedanken von Rolands Heldentaten im Walde zu Chaucers Waldesidyllen schweiften, von den Dryaden zu den Elfen, und von Eremitenlegenden zu den Märchen von der Schlafenden Prinzessin oder von Aladins Abenteuern. Rings umher standen die Hügel an einander geschlossen, wie Geschwister um die Kniee des Vaters, und hoch über ihnen ward der Blick zu den blauenden Bergen Malverns gezogen.«

Der Vater beobachtete mit Stolz die ungewöhnliche Begabung der Tochter und bereitete ihr die besten Gelegenheiten zur Ausbildung durch Unterricht im Hause und freien Zutritt zu der großen Bibliothek. Sie reimte schon als Baby, und ihr Kenntnisdrang war vom ersten Erwachen des Bewußtseins an schrankenlos. Auch suchte niemand ihn zu begrenzen, und vor den Vorwürfen weiblicher Anverwandter, daß sie schlecht nähe, fand sie Schutz bei ihrem Vater. Schon mit neun Jahren war sie mit Popes Homer Alexander Pope (1688–1744), dessen lehrhafte Gedichte das Entzücken des Humanitätszeitalters bildeten und dessen Einfluss noch in das neunzehnte Jahrhundert hineinreicht, war der Verfasser einer klassizistischen Ilias-Übersetzung und gilt bis zum heutigen Tag, wie Joh. Heinr. Voss in Deutschland, als berufenster Homer-Dolmetsch. und vielen anderen Dichtungen vertraut. Agamemnon und das schwarze Pony teilten ihre Träume; sie opferte der blauäugigen Athene und schmückte ihren Garten mit einem aus Torf geformten Hector! In Aurora Leigh schildert sie, wie ein neues Buch sie durch die bloße Freude der Erwartung wach erhalten konnte; wie sie sich »soul-forward, headlong« in das Meer der Bücher stürzte. Rousseau und Voltaire, Hume und Mary Wollstonecraft, Werther und Tom Paine David Hume (1711–76), der berühmte Skeptiker, der in seiner »Untersuchung über den menschlichen Verstand« die Erfahrung als untrüglichen, einzigen Quell des Erkenntnisproblems hinstellte und eine unübersteigliche Mauer zwischen Vernunft und Glauben aufrichtete.

Mary Wollstonecraft, Godwins Frau, Shelleys Schwiegermutter, die durch ihre Schrift »Vindication of the Rights of Women« (1792) eine der Stammmütter der modernen Frauenrechtlerinnen geworden ist.

Thomas Paine, ein vielgelesener Popularphilosoph des 18. Jahrhunderts, dessen Schriften über den »Common Sense« und die »Rights of Men« in revolutionären Geruche standen. Der Acciseeinnehmer Robert Burns machte sich schon dadurch verdächtig, dass er die Bücher des staatsgefährlichen Autors im Hause hatte.
machten sie zur Skeptikerin, und sie schloß alle ihre Gebete mit den Worten: »O, Gott, wenn es einen Gott gibt, erlöse meine Seele, wenn ich eine Seele habe!« Vor allem waren es die Dichter, die ihr Innerstes erschütterten, »der Erde gleich, wenn sie vor den aus ihrem Innersten hervorbrechenden Feuermassen birst.« Aber obgleich sie alles las, studierte sie auch gründlich. Homer lockte sie in das Griechische, und das Griechische ins Latein. »Ich lernte«, erzählt sie, »unter den Bäumen ebenso eifrig griechisch wie nur irgend ein Oxforder Student; ja, ich aß und trank Griechisch, bis mein Kopf schmerzte!« Später folgte Französisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch, so daß sie sich die Denker und Dichter der verschiedenen Weltliteraturen im Original aneignen konnte. Aber das Griechische blieb immer ihr Lieblingsstudium; ihr Vater verschaffte ihr darin während einiger Jugendjahre die Leitung des hervorragenden blinden Hellenisten Boyd. In einem ihrer schönsten Gedichte, Wine of Cyprus, schildert sie diese

... long mornings
Which my thought goes far to seek,
When, betwixt the folio's turnings,
Solemn flowed the rhythmic Greek;
Past the pane, the mountain spreading,
Swept the sheep-bells tinkling noise,
While a girlish voice was reading,
Somewhat low for αις and οις »langen Morgende, die mein Denken fernhin sucht, da beim Umblättern der Seiten feierlich das rhythmische Griechisch dahinfloss. Ausserhalb des Fensters, über das Gebirge strich des Schafglöckchens Schellenton, während eine Mädchenstimme las, gedämpft vor lauter αἰς und οἰς«.

Und es gibt keinen von Hellas'

... cup-bearers undying,
Of the wine, that's meant for souls, »unsterblichen Schenken des Weins, der für Seelen bestimmt ist«.

den sie nicht hier heraufbeschwört und mit einigen wesentlich charakteristischen Worten bezeichnet. Dieses gründliche Studium der klassischen Literatur zugleich mit den innigen Natureindrücken und dem einsamen Jugendleben hat vor allem entscheidend auf ihre poetische Entwickelung eingewirkt.

Für diese war auch die zeitgenössische Literatur bestimmend. Seit der Zeit Shakespeares – von der sie selbst gesagt hat, sie sei so voll von echten Dichtern gewesen wie die Sommertage von Vögeln – hatte die englische Literatur keine glänzendere Epoche gehabt, als die, in die ihre Kindheit und Jugend fiel. Und neue Arbeiten der Dichter – mochten sie mit Begeisterung oder mit Abscheu aufgenommen werden – waren damals noch große Ereignisse. So wuchs Elisabeth Barrett in dem Gefühl der Herrlichkeit und Bedeutung der Poesie auf, und die Dichtung wurde das Ziel, für das sie lebte, und von dem sie »mit zehn Jahren Träume träumte, ehrgeiziger als die Napoleons«. Byron und Coleridge lösten Pope bald in ihrer Gunst ab. Wordsworth und Southey, Scott und Moore, Keats und Shelley, Lamb und Landor dichteten alle, während sie heranwuchs.


Fußnote: Samuel Taylor Coleridge, William Wordsworth, Robert Southey – die Dichter der Seeschule oder die Lakisten genannt, eine rein äusserliche Bezeichnung von ihrem Wohnsitz an den Seen Mittelenglands in Westmoreland, während sie ihrem Wesen nach die englische Romantik verkörpern. Der ideenreichste und kräftigste von ihnen war Coleridge. Wie er sich mit Southey zur Verwirklichung einer »Pantisocracy«, eines kommunistischen Zukunftsstaats in Amerika, verband, gab er gemeinschaftlich mit Wordsworth, nachdem sich die praktischen Pläne zerschlagen hatten, im Jahre 1798 lyrische Balladen heraus – darunter den von Freiligrath eingedeutschten »Alten Matrosen«. Für deutsches Geistesleben brachte er reges Interesse mit, studierte Lessing und Kant und übersetzte um die Jahrhundertwende Schillers »Wallenstein«; auch in seiner Bewunderung für Shakespeare, den er nicht mehr lediglich als Naturgenie betrachtete, scheint er unter deutschem Einfluss zu stehen. William Wordsworth gut den Engländern als ihr originalster moderner Dichter. Seine naturpantheistische Auffassung, sein mild versöhnliches Christentum und seine reine Menschenliebe haben den denkbar grössten Einfiuss ausgeübt – einen Einfiuss, den Byron schon, in manchem Betracht Wordsworth' künstlerischer Antipode, weidlich verspottete. Robert Southey, der am revolutionärsten von den dreien begann (»Wat Tyler«), endete als zahmer Hofpoet, der die reiche Tradition der epischen Dichtung Englands fortsetzte.

Thomas Morre, ein Ire von Geburt, der Freund Lord Byron's, rang sich nach anakreontischen Anfängen zu den selbständigen Tönen seiner »Irish Melodies« durch, in denen er mit der glühenden Liebe des Patrioten für seine geknechtete Heimat eintrat. Mit seinem berühmtesten Werke »Lalla Rookh« wandte er sich der orientalisch verbrämten Romantik zu; von den vier Gesängen lebt »Paradies und Peri« durch Schumann's Musik fort.

John Keats, der englische Hölderlin, erlag mit 26 Jahren in Rom der Schwindsucht, von Shelley in der wundervollen Nenie »Adonais« verherrlicht. »Endymion« und der fragmentarische »Hyperion«, seine beiden grösseren Werke, sichern ihm die Anwartschaft auf unsterblichen Ruhm. Keats bildet in gewisser Beziehung das dichterische Vorspiel zu den Präraphaeliten, die ihm ihre Stoffe entlehnten; bis zum heutigen Tage hat seine aus Boccaccio geschöpfte »Isabella« die Maler immer wieder gereizt.

Charles Lamb (1775–1834), mit den Dichtern der Seeschule, hauptsächlich Coleridge, eng befreundet, doch anders als diese ein Londoner mit Leib und Seele. Nach verunglückten eigenen dramatischen Versuchen stellte er seine Feder in den Dienst der von ihm bewunderten Elisabethiner und tat namentlich durch seine Nacherzählungen des Inhalts der Shakespeare'schen Stücke, wobei ihm seine zeitweilig wahnsinnige Schwester Mary half (»Tales from the Plays of Shakespeare«), unendlich viel zu dessen Popularität. Seine »Essays of Elia« gehören zu den Meisterschöpfungen englischer Essaykunst – eine späte Blüte der moralischen Wochenschriften, die auf den Dickens der »Sketches« einwirkte.

Walter Savage Landor (1775–1864), ein politischer Strudelkopf, der bis in sein hohes Alter überall voll überschwänglicher Begeisterung für die Sache der Freiheit mit Gut und Blut eintrat. Seine Freunde setzten ihm, um ihn vor Not zu bewahren, eine jährliche Rente aus, für deren pünktliche Auszahlung Robert Browning, so lange er in Florenz lebte, Sorge trug. Sein bedeutendstes Werk sind die 125 »Erdichteten Gespräche zwischen Schriftstellern und Staatsmännern«, worin der moderne Lucian seiner Lust am Paradoxen die Zügel schiessen liess.


Und viele andere Dichter und Dichterinnen waren berühmt oder auf dem Wege es zu werden. In Aurora Leigh erhält man ein Bild von Elisabeth Barretts eigenem Seelenzustand in der ersten Zeit der Dichterträume, sowie eine Kritik ihrer eigenen ersten poetischen Produktion. Sie erkennt willig an, daß sie sich der gewöhnlichen Schwäche junger Dichter schuldig gemacht habe: der gesteigerten Leidenschaft, der unselbständigen Nachahmung, der starken Worte für schwache Eingebungen und des naiven Glaubens, daß die Sangesgöttin ihre Gunst in dem Maße verschwendet, als man sie mit großen Worten anruft! Elisabeth Barrett hat selbst erzählt, daß sie schon als kleines Kind von »virtue« mit großem V dichtete und seufzte: »O, Sangesgöttin!« Vor ihrem zehnten Jahre hatte sie zehn Trauerspiele in englischer und französischer Sprache geschrieben, von denen eines Regulus zum Helden hatte, und mit elf Jahren war sie mit einem »homerischen« Epos fertig, »Die Schlacht bei Marathon«, das ihr Vater in fünfzig Exemplaren drucken ließ! Bis zu ihrem siebzehnten Jahre war der Vater beinahe allein her critic and her public gewesen, wie sie ihn – in ihrer Zueignung der Gedichtsammlung aus dem Jahre 1844 – nannte. Aber 1826 gab sie An Essay on Mind and other Poems heraus – einen Essay, in dem sie alle großen Denker der Welt in einer Weise beurteilt, die ihr reichlich Grund gibt, späterhin ihr Opus schlecht, pedantisch und naseweis zu nennen! Vom psychologischen Gesichtspunkt ist es gleichwohl von Interesse; es zeigt die unglaubliche Belesenheit der Siebzehnjährigen und ihr ernstes Grübeln über des Lebens ernste Fragen. Diese hatten sich ihrer mehr und mehr bemächtigt, seit sie sich, fünfzehnjährig, auf einem Ritt durch Unvorsichtigkeit eine Verletzung zuzog, die – im Verein mit einem hartnäckigen Husten – sie von den gewöhnlichen Zerstreuungen der Jugend ausschloß, so daß sie schon zu dieser Zeit ihres Lebens sagen konnte: daß ihre größten Ereignisse und ihre intensivsten Freuden sich in ihren Gedanken abgespielt hätten.

Während eines vorübergehenden Aufenthalts in Frankreich erlangte sie die Vertrautheit mit der Sprache und dem Volk dieses Landes, aus der sich dann eine tiefe Sympathie entwickelte. Bei ihrer Heimkehr fand sie die Verhältnisse verändert durch die großen Verluste, die ihr Vater infolge der Aufhebung der Sklaverei in den Kolonien erlitten hatte. Die Tatsache selbst erfreute Elisabeth, die immer den Gedanken verabscheut hatte, daß Sklavenhalterblut in ihren Adern fließe, aber desto mehr trauerte sie über eine der Folgen davon, die sie persönlich traf, nämlich daß der Vater Hope End verlassen mußte; sie sah es nie wieder: als Fremdling vor den Schatten und Lichtern der geliebten Hügel zu stehen, kam ihr ebenso unnatürlich vor, als wollte man »eine abgerissene Blume wieder auf ihren Stengel stecken.«

Von 1832 an wohnte die Familie in Sidmouth in Devonshire, wo Elisabeth das Meer und Milton's »hedgerow elms and hillocks green« lieben lernte. 1833 gab sie eine Übersetzung des Aeschylos Prometheus Bound. heraus, ein Beginnen, das sie später eine Jugendsünde genannt hat, die ihr keine Ruhe ließ, bevor sie sie durch eine Umarbeitung gesühnt hatte. Diese wird von Kennern als in vieler Hinsicht meisterhaft bezeichnet.

1835 zog die Familie nach London, das Elisabeth Barrett sogleich und für immer haßte und wo sie lange nicht das leiseste Heimatsgefühl empfand, außer wenn sie die Tauben fütterte, die sie an ihr Fenster lockte, oder wenn sie vor dem Kaminfeuer kauerte; im übrigen fühlte sie dort keine »Identität mit etwas anderem als ihren eigenen Gedanken.« Das Landleben konnte ihr durch die neue und reiche geistige Welt nicht ersetzt werden, in die sie von ihrem Verwandten eingeführt wurde, dem liebenswürdigen und reichen Mäcen und Weltmann Kenyon – »il magnifico«, wie Browning ihn später nannte. Mr. Kenyon führte mit großartiger Gastfreundschaft bedeutende Persönlichkeiten der literarischen und künstlerischen Welt zusammen; er vermittelte Bekanntschaften und erschloß durch sein feines Verständnis und sein echtes Wohlwollen jungen Begabungen alle Arten von Möglichkeiten. Große Sympathie brachte er seiner Cousine entgegen, er lieh ihr neue Bücher, plazierte ihre Gedichte und führte sie in seinen Kreis ein, wo sie viele von den Größen zu Gesicht bekam, die sie schon aus der Ferne bewundert hatte, und wo sie selbst lebhaftes Interesse erweckte. Von der Schriftstellerin Miss Mitford Mary Russell Mitford's (1787–1855) Ruhm beruht auf einem Werk: »Our Village«, einer genremässigen Beschreibung englischen Landlebens; es knüpft an pastorale Schilderungen in der Art eines Cowper, Goldsmith, Crabbe an, übertrifft sie aber durch die niederländische Treue des Details. Darüber sind ihre Dramen (darunter ein mit Erfolg aufgeführter »Rienzi«) u. a. vergessen. hat man aus dieser Zeit ein lebendiges Bild von Elisabeth Barrett; Miss Mitford schildert sie als in hohem Grade einnehmend, als scheu, schüchtern und anspruchslos trotz ihrer ungewöhnlichen Gelehrsamkeit und ihrer schon damals beachteten Dichtungen. Ihre Gestalt war zart und fein, mit vornehmen kleinen Händen und Füßen; das Gesicht ausdrucksvoll, mit einer edlen Stirne, einem großen, aber schön geformten, beweglichen Munde mit tiefroten Lippen, gleichmäßigen, gesund weißen Zähnen und einem Lächeln wie ein Sonnenstrahl. Große zärtliche Augen wurden von schwarzen Wimpern beschattet, so lang, daß sie tief unten auf den Wangen ruhten, wenn sie gesenkt waren, und bis zu den Augenbrauen reichten, wenn sie sich hoben. Der brünette Teint hatte eine rosige Frische, und das Gesicht war von einem reichen, weichen, dunklen Lockenschwall umgeben. Ihre Kleidung war geschmackvoll und kostbar, aber sehr einfach. »Im Verkehr«, sagt Miss Mitford, »machte der Reiz ihres Wesens und ihres Gesprächs, ihr lebhaftes Temperament, ihre tausend liebenswürdigen Eigenschaften einen solchen Eindruck, daß man beinahe ihre Gelehrtheit und ihr Genie über dem Gefühl vergaß, daß sie ganz einfach die bezauberndste Frau sei, die man je getroffen hatte. Ich erfreute mich oft an ihrer Gesellschaft, und trotz des Unterschiedes der Jahre schlossen wir eine vertraute Freundschaft, die durch einen langen regelmäßigen Briefwechsel unterhalten wurde. Auch ihre Briefe waren gerade das, was Briefe sein sollen: die Gespräche des Schreibenden zu Papier gebracht.« Für Elisabeth Barrett – die so unvergleichlich größere Persönlichkeit – war die Freundschaft mit Miss Mitford weniger eine Entwicklung als eine Herzensfreude, durch die Zärtlichkeit und den Stolz, mit dem die ältere Frau die jüngere liebte, gerade zu der Zeit als diese anfing, das Fehlen der Mutterliebe zu fühlen, die sie so früh verloren hatte.

In dieser Zeit schrieb Elisabeth Barrett einen Teil der Gedichte, die 1838 erschienen. The Seraphim, and other Poems. Sie sagt später, daß ihre eigene individuelle Stimme darin zum ersten Male erklungen sei, aber daß die Gedichte im übrigen dieselben Schwächen hätten wie andere Jugendbücher. Ihr Buch trat jedoch in einer verhältnismäßig armen Epoche hervor – die größten englischen Dichter aus dem Anfang des Jahrhunderts waren tot, die überlebenden älteren hatten schon ihr Bestes gegeben, und Tennysons und Brownings Sterne waren eben aufgegangen. Darum wurde das Buch mehr beachtet, als es verdiente, obgleich wirklich einige Gedichte darin enthalten waren, die zu dem schon damals gefällten Urteil berechtigten: daß ihre Verfasserin eine echte und geniale Dichternatur sei.

Die Brustkrankheit, die in Elisabeth Barretts erster Jugend anfing, verschlimmerte sich durch die Londoner Luft, und 1837 sprang ein Blutgefäß. Im Herbst 1839 zog sie, es war eine letzte Möglichkeit, von Wimpole Street – wo die Familie seit dem vorhergehenden Jahre wohnte – nach Torquay, an der Südküste Englands. Dort erlangte sie durch das milde Klima allmählich ihre Kräfte wieder, und im Sommer 1840 konnte sie sich von ihren Fenstern aus am Meer erfreuen. Ihr Lieblingsbruder war bei ihr, und wenn auch ungerne, ließ der Vater ihn doch weiter bleiben, weil man ihm vorstellte, daß Elisabeth es jetzt nicht ertragen würde, sich von dem Bruder zu trennen. In einem anderen Falle, dem Verheiratungsplane eines Sohnes, hatte der Vater einen ebenso harten wie unvernünftigen Widerstand gezeigt, und da der junge Barrett ökonomisch vom Vater abhängig war, hatte er sich beugen müssen. Elisabeth, die kurz vorher durch das Testament eines Onkels ein Privatvermögen bekommen hatte, wollte den Bruder frei machen, indem sie es ihm schenkte – aber auch das wußte der Vater zu verhindern. Dies war der erste Anlaß, wodurch die warme Hingebung der Tochter an den Vater kühler wurde. Sie verkannte nicht das tiefe Gefühl unter der harten Außenseite, auch nicht das Große im Charakter des Vaters, aber sie sah ein, daß gerade seine Verdienste ihn unberechenbar und unerschütterlich in seinem Glauben an die Berechtigung einer patriarchalischen Alleinherrschaft machten, die er für seine Kinder beglückend wähnte. Sie war daher der Ansicht, daß man es sich selbst schuldig sei, ihm »nicht ein Messer in die Hand zu drücken«, indem man ihm irgendwelche lebenentscheidenden Pläne mitteilte, bevor sie ausgeführt waren. Nach dieser durchdachten Überzeugung handelte sie später selbst.

Dadurch, daß der Bruder um ihretwillen hatte bleiben dürfen, kam sie bald nachher dazu, sich selbst als eine mittelbare Ursache des größten Schmerzes ihres Lebens zu empfinden. Am 11. Juli segelte der Bruder mit ein paar Freunden fort, und sie kehrten nicht zurück. »Drei Tage warteten wir«, schreibt sie später. »Ich hoffte, solange ich konnte – ah, die Angst dieser Tage! Und die Sonne schien, so wie sie heute scheint, und das Meer war glatt wie ein Blatt Papier – meine Schwestern zogen die Gardinen zurück, damit ich selbst sehen könnte, wie ungefährlich es sei – und ich sah andere Boote zurückkehren ...« Als es dann Gewißheit wurde, daß der Bruder ertrunken war, konnte sie weder sprechen, noch eine Träne vergießen, sondern lag Wochen und Monate lang halb bewußtlos da.

Diese Schilderung entwirft Elisabeth Barrett in einem Briefe an Robert Browning fünf Jahre später, und das war das erste Mal, daß sie jemandem dieses Ereignis erzählen konnte! Noch nachdem sie mehrere Jahre verheiratet war, hätte sie nicht die Stärke gehabt, mündlich mit ihm diesen Schmerz zu berühren, nach dem sie lange das Gefühl hatte, daß »the spring of life was broken«.

Bei Naturen, die den Schmerz mit solcher Intensität fühlen, kann die Sehnsucht nach Ruhe, vor allem nach der Ruhe des Todes, zur Leidenschaft werden. Und das wurde sie jetzt für Elisabeth Barrett, umsomehr als dem Körper die Stärke fehlte, die Last der Seele zu tragen. Schon früher hatte sie nach der ewigen Ruhe gedürstet, und nun wurde der Todesgedanke ihr der hold vertrauteste von allen. In der unmittelbar vorhergehenden und unmittelbar folgenden Zeit war das Christentum in seiner von Zweifeln unerschütterten orthodoxen Form in ihr lebendig. Aber in ihrem so begrenzten Gesichtskreis steigen auch tiefere Gedanken aus einem weiteren Raume hervor. Diesen Gedanken begegnet man zumeist in ihrem interessanten Briefwechsel mit dem ihr persönlich unbekannten Dichter R. Horne. Letters of E. B. Browning to R. H. Horne 1876, 2 vols. Da spricht sie z. B. von ihrem nie verwirklichten Plan, zusammen mit ihm ein Drama »Psyche Apocalypté« zu schreiben, dessen Inhalt sie folgendermaßen angibt:

»Meine Idee: der Schrecken, der auf das seelische Sichbewußtwerden folgt – das Entsetzen des Menschen vor seiner eigenen Seele – ist meines Wissens noch nicht in der Dichtung verwendet worden. Dieses Bewußtsein der Seele, das zuweilen in heißen Flammen aus den Klüften der Konvention emporschlägt, hat mich bei meiner Selbstbeobachtung durch seine Feierlichkeit ergriffen: es ist ein großes Mysterium der Natur und gänzlich von dem gewöhnlichen Bewußtsein getrennt. Dieses letztere hat mit unseren Handlungen zu tun – und jeder Gedanke ist ja eine geistige Handlung – aber nicht mit unserem abstrakten Dasein. Was ich meine ist: daß es Stunden gibt, in denen die Schritte unseres eigenen Wesens uns mehr erschrecken als Gottes Donner.«

Nun ist gerade dieses Seelenbewußtsein eines der oft gebrauchten – beinahe mißbrauchten – Themen der Dichtung geworden. Das Angeführte ist von Interesse, weil es ein neues Beispiel dafür gibt, wie das Genie in seinen Empfindungen seiner Zeit vorauseilt, aber vor allem, weil man fühlt, daß diese Seele, die sich selbst durch ihre Regungen erschreckte, keine war, die zu den stillestehenden gehören sollte!

Im Herbst 1841 konnte endlich Elisabeth Barrett nach London zurückkehren, und bis zu ihrer Verheiratung verließ sie seitdem Wimpole Street nie länger als auf einige Stunden.

Durch Elisabeth Barretts Briefwechsel mit verschiedenen Freunden The letters of E. B. Browning ed. by F. G. Kenyon, London 1897, 2 vols. erhält man ein Bild ihres Lebens in den folgenden Jahren und ermißt die Tiefen der Entbehrung, die sich unter ein paar stillen Worten bargen. So erzählt sie z. B., daß sie in einer Holzkiste Epheu und andere Schlingpflanzen hat und sich hinter diesem grünen Vorhang in den Wald hineinträumt, besonders wenn ein Windhauch die größeren Blätter an die Scheibe schlägt ... »Aber Sie dürfen nicht glauben«, fährt sie fort, »daß das eine Klage sein soll. Man hat kein Recht zu klagen, wenn man die Zärtlichkeit seiner Nächsten hat, und noch Bücher, Gedanken und Träume – obgleich diese jetzt allzu bewußt geträumt sind und die Illusion folglich beinahe vorbei ist!« Das düstere Krankenleben tritt auch in dem Gedicht an Flush zutage, einen kleinen King-Charles-Hund, den Miss Mitford ihr geschenkt hatte und von dem man später in ihrem Briefwechsel lebensvolle Momentbilder erhält. Miss Mitfort, die oft mehrere Meilen reiste, bloß um Elisabeth Barrett einen kurzen Besuch zu machen, fand sie jedes lesenswerte Buch in fast jeder Sprache lesend – aber Elisabeth Barrett gibt selbst zu, daß sie eine Menge nichts weniger als lesenswerte Bücher verschlungen habe, nämlich »alle Romane, die andere Menschen so freundlich waren für sie zu schreiben«; und die sie nur mit dem Märchenhunger des Kindes las, um zu sehen, wie es »ausging«, und darum: wehe dem Menschen, der ihr den Inhalt des dritten Teiles erzählte! In ihrer Krankenexistenz waren die Ereignisse der Romane die einzigen, die sie erlebte – so entschuldigt sie sich in dieser Zeit. Aber auch später, als sie mitten im Reichtum des Lebens stand, blieb ihr Romanhunger ebenso unersättlich und ebensowenig wählerisch wie eines Kindes Lust nach Beeren. Aber dazwischen las sie Griechisch und Philosophie und das alte Testament in der Ursprache, so daß Kenyon sie mit Recht seine allesessende Cousine nennen konnte! Selber gab sie willig zu, daß sie ohne jedes Prinzip lese und ihre geistige Einheitlichkeit nicht durch Auswahl, sondern durch Amalgamierung gewinne.

Aber sie fand jetzt, daß die Bücher einen schwachen Ersatz für die wirkliche Welt böten. Sie begann die Leere zu fühlen, die darin lag, daß sie fast alle ihre Erfahrungen – außer denen des Schmerzes – nur in den Träumen hatte. Schon bevor die Krankheit Wüstenstille um sie schuf, hatte sie in einer grünen Einsamkeit gelebt, »dicht und hoch wie das Gras um ihr Kindheitsheim, und das äußere Leben hatte sie nur wie Bienensummen im Grase vernommen.« Sie war von Geburt an eine der Ausnahmenaturen, deren Leben nicht wie das der anderen werden kann. Und kein Dichter hat tiefer den besonderen Schmerz des Ausnahmemenschen geschildert, als sie in ihrem vollkommensten Gedicht A Musical Instrument, in dem der große Gott Pan unter den Schilfrohren eines wählt, das er zur Flöte formt, die klingt

Piercing sweet by the river!
Blinding sweet, o great god Pan!
The sun on the hill forgot to die,
And the lilies revived, and the dragon-fly
Came back to dream on the river.

Yet half a beast is the great god Pan,
To laugh, as he sits, by the river,
Making a poet out of a man:
The true gods sigh for the cost and pain –
For the reed which grows nevermore again
As a reed with the reeds in the river. »– – – mit süss durchdringendem Ton am Flusse. Süss blendend, grosser Gott Pan, vergass die Sonne über dem Hügel zu sterben, und die Lilien blühten wieder auf, und die Wasserjungfer kam zurück, am Flusse zu träumen.

Doch ein Halbtier ist der grosse Gott Pan, weil er lacht, wenn er, am Flusse sitzend, einen Dichter aus einem Menschen macht: die wahren Götter seufzen nach Mühsal und Schmerz, nach dem Schilfrohr, das nie wieder wächst als Schilf unter Schilf an dem Flusse.

Schon als Kind hatte Elisabeth Barrett gefühlt, daß ihre Sympathiebedürfnisse »zu Boden fielen wie unaufgebundene Ranken.« Und nachdem sie den Bruder verloren hatte, entdeckte sie immer mehr von der Alltagstragik des Lebens, die darin liegt, daß »unsere Nächsten uns oft blind lieben, ohne uns zu verstehen; daß sie uns nur konventionell kennen und höchstens unser Profil sehen, nur irgend einmal durch Zufall uns in die Augen blicken!«

Zu diesem Einsamkeitsgefühl gesellte sich mit den wiederkehrenden Kräften die Sehnsucht nach den unbekannten Herrlichkeiten des Lebens.

Die Menschen waren für sie beinahe nur Namen, und ebenso war es mit den großen Schönheitsbildern der Erde. Sie fühlte sich »wie eine Sterbende, die nicht dazugekommen ist, Shakespeare zu lesen«, und sie sah ein, daß sie unter derselben Art von Beschränkung dichtete wie eine Blinde. Was sie unmittelbar von der Menschennatur wußte, das hatte sie nur durch die Analyse ihres eigenen Seelenlebens gelernt.

Gerne hätte sie das Buchwissen von den Menschen mit diesen selbst vertauscht, die Fülle des Lebens mit allen Fibern ihres Wesens gefühlt, und nicht wie jetzt nur dann leidvoll und freudvoll gelebt, wenn sie sich in ihrem Gesange gab, eine Freude, die überdies nur während des Augenblicks des Dichtens selber währte. Denn die Druckerschwärze machte sogleich ihrer Freude den Garaus; die Niedergeschlagenheit und Demütigung darüber, wie wenig sie ihr Ziel erreichte, waren dann so groß, daß, wie sie sagt, es nicht eines ihrer Gedichte gab, das sie nicht im stände gewesen wäre zu zerstören, wenn man sie im richtigen Augenblicke dazu überredet hätte ...

In einem Leben und einer Vorschule wie der ihren würde jede mittelmäßige Begabung in mattem Nachklang verhallt sein. Aber so groß war die Stärke ihrer dichterischen Individualität, daß ihre Lyrik im Gegenteil – und gerade in ihrer isoliertesten Zeit – immer mehr ein neuer Ausdruck für die Art eines neuen Menschen, das Dasein zu empfinden, wurde.

Schon eine 1839 herausgekommene Gedichtsammlung The Romaunt of the Page and other Poems. zeigt eine voll ausgeprägte Persönlichkeit, und man fühlt, daß es nur eines großen Erlebnisses bedurfte, damit dieser Sang sich auf den Schwingen der höchsten Inspiration erhübe.

Der Schmerz um ihren Bruder hinterließ tiefe Spuren auch in ihrer poetischen Entwicklung; das Resultat davon war A Drama of Exile, ein als ganzes mißlungenes, aber in seinen Einzelheiten bewundernswertes Poem. Sie vertieft sich da in das Problem von dem Eintritt des Todes und des Leidens in die Welt und ihrer Aufgabe dort; sie füllt mit ihrer Phantasie die Bilder der hebräischen Poesie von den Morgenstunden der Menschheit aus, und ihr Herz stellt in seiner Weise Fragen nach Ursprung und Ziel des Lebens, Fragen, die sie wie die morgenländischen Dichter unter einem unablässigen Suchen nach einer Antwort mit leidenschaftlichem Glauben an den Ursprung des Lebens richtet. So wie sie in der Kindheit an die Wirklichkeit ihrer griechischen Götter geglaubt hatte, glaubte sie nun an die Lucifers, Adams und Eva. Aber Elisabeth Barrett war schon damals – durch ihr eigenes Denken sowohl von dem kirchlichen wie von dem pietistischen Christentum geschieden und stand, ohne es zu wissen, Svedenborg sehr nahe. Als sie viel später – bei einem Besuche in England 1851 – anfing, seine Schriften zu studieren, wurde sie tief ergriffen, eben weil sie – ohne in allem mit ihm übereinzustimmen – sich schon in so vielen Fällen mit ihm begegnet hatte und »in ihren Gedichten svedenborgisch gewesen war, lange bevor sie ihn gelesen hatte.« Sie hatte lange denselben ketzerischen Glauben über Christi Göttlichkeit und Opfertod gehabt, dieselbe freie Auffassung auch anderer Kirchenlehren, und sie hatte in allen damit zusammenhängenden Gebieten eine Entwickelung durchlebt, die sie schon 1845 so zusammenfaßte: »Ich sehe nun die Welt viel weiter, als ich sie früher glaubte, und Gottes Liebe viel umfassender, als ich sie einst sah ... Im Gegensatz zu gewissen Christen will ich ausrufen: berührt, kostet, ergreifet alles, denn alle Dinge sind rein ... Nicht das Christentum allein offenbart Gott; alle Wahrheit, alle Schönheit, alle Musik des Daseins gehört zu Gott: er ist in allem, und wenn wir von allem sprechen, sprechen wir auch von ihm! Ich möchte keinen einzigen Ton von der Lyra des Lebens verlieren, und alles, was Gott in seine Schöpfung eingeschlossen hat, ist für mich ein heiliger, nicht ein profaner Gegenstand ... Die Wahrheit, so wie Gott sie sieht, muß etwas absolut anderes sein, als die Meinungen der Theologen von der Wahrheit ... ich glaube nur an die Göttlichkeit dessen, was hoch über allen widerstreitenden Theologien steht, denn das wirklich Göttliche vereint die Seelen, anstatt sie zu trennen, und gravitiert immer nach der Einheit ...«

Sie war und blieb tief gleichgültig gegen »Dogmen und -doxien«; sie haßte die Streitigkeiten der christlichen Sekten, und sie legte später ihr Glaubensbekenntnis in den schönen Worten ab: »Meine Seele hat Feuer genug, um mit allen Seelen zu brennen, in der Kirche oder außerhalb ihrer. Ich glaube nur an einen Priester und an einen Tempel, darin unzählige ernste Gläubige das Knie beugen, und dieses Tempels Wände sind durchsichtig, so daß niemand sie messen kann ...« Wenn man von sehen der katholischen Religion den Satz geltend macht: daß die Frau ohne Religiosität geistig steril sei und daß sie daher zum Katholizismus zurückkehren solle, dann spricht dieser – mit seiner großen Überlegenheit, auch an psychologischem Tiefsinn, über jeden anderen christlichen Glauben – eine große Halbwahrheit aus. Eine Frau ohne Religiosität hat nie etwas Großes geschaffen – aber auch kein Mann! Denn Religiosität ist nicht durch eine kirchliche Religionsform begrenzt: sie ist das Vermögen der Seele, anzubeten, sich hinzugeben und von ihrem eigenen Feuer verzehrt zu werden. Der Atheist wie der Papist sind ihrer Veranlagung nach religiös – oder sie sind es nicht. Und gerade die Frauen, die im vorigen Jahrhundert in den ersten Reihen der geistig Schaffenden standen – Elisabeth Barrett Browning, George Eliot, die Schwestern Bronté, Die drei Schwestern Brontë«, Charlotte, Emily und Anne, Töchter eines Geistlichen in Yorkshire, gaben als Currer, Ellis und Acton Bell ein Bändchen Gedichte heraus, um nach diesem verunglückten Debut ihre wahre Begabung, die auf dem Felde des Charakterromans lag, zu entdecken. Aus einem Wettbewerb, der an die Verabredung des Trios Kleist-Wieland-Zschokke erinnert, gingen drei Romane hervor: »Wuthering Heights« von Emily, der zartesten und tiefsten, »Agnes Grey« von Anne, der uninteressantesten, und »Jane Eyre« von Charlotte, der auch in Deutschland bekanntesten, obwohl das Rührstück »Die Waise von Lowood«, das die fingerfertige Birch-Pfeiffer für die Bühne zurechtzimmerte, keinen Begriff von der herben Heimatkunst des Romans zu geben vermag. Auf »Jane Eyre« folgten später noch die künstlerisch teilweise höher stehenden Romane »Shirley« und »Villette«, in denen die Verehrerin Thackeray's sich des Meisters nicht unwürdig zeigt. Alle drei Schwestern starben an der in der Familie erblichen Schwindsucht früh dahin. George Sand, Mme. Staël – sind in meinem Sinne tief religiös gewesen, im gewöhnlichen Sinne jedoch Freidenkerinnen verschiedener Schattierung. Das will sagen: sie haben mit glühenden Herzen der Wahrheit angehangen, die sie sich selbst als die höchste erwählt, diese ist ihnen zur Leidenschaft geworden, und Leidenschaft ist – nach Merediths tiefem Wort – nur noble strength on fire. Was eine solche Leidenschaft umfaßt, wird Religion. Und da Elisabeth Barrett mit dieser Leidenschaft das ganze Dasein umschloß, ward auch das ganze Dasein ihre Religion. Von diesem Gesichtspunkte beurteilt sie die Kunst wie die Menschen.

Sie nennt sich »a literary latidunarian«, »einen literarischen Freigeist«. was Kenyon aus ihrer »unmoralischen Sympathie mit der Stärke, wo immer sie sich fand« herleitete. Ganz unabhängig von den Vorurteilen ihrer Nation und ihrer Umgebung liebte sie mit jedem Jahre mehr die französische Literatur, vor allem George Sand und Balzac, von dessen »in England höchst unpassenden, aber unsterblichen Unanständigkeiten ich gelebt habe«, schreibt sie; später bezaubert Stendhal sie. Sie schenkte Harriet Martineau Harriet Martineau (1802–1876), eine der ausgezeichnetsten weiblichen »Miscellaneous Writers« in England, hat sich namentlich auf sozialpolitischem Gebiet bewährt und durch die Aufrichtigkeit ihres Wesens wie ihrer Schriften, die der Aufklärung des Volkes galten, viel Gutes gestiftet. Sie führte Comte's Philosophie in England ein und bekannte sich selbst zu einem ausgesprochenen Atheismus. Eine Reise nach den Vereinigten Staaten, dessen Mühen die unermüdliche Schriftstellerin trotz ihrer Taubheit nicht scheute, liess sie Abrechnung mit der »Gesellschaft in Amerika« halten. die tiefe Sympathie ihres reifen Alters und bewahrte für Byron den großen Enthusiasmus ihrer Kindheit; sie bewunderte in hohem Maße Shelley und Landor und haßte aus vollem Herzen die englische »rechtgläubige und sittliche« Selbstzufriedenheit, die unter anderem Byrons Blut auf dem Gewissen hatte. Sie betrachtete ihre Landsleute als »soziale Barbaren«, und ihre Sympathien zogen sie immer mehr nach dem Kontinent, »wo das Leben eine dünnere Haut und lebendigere Säfte hat«

Diese ihre Entwickelung ermöglichte ein augenblickliches Verständnis der Dichtung Brownings, sie stimmte mit seiner Lebensanschauung wie mit der keines anderen Zeitgenossen überein. Wenn er Unverständnis bei der Kritik fand, litt sie um seinetwillen, freute sich aber, ihn in einem kleinen, gewählten Kreise, dem auch Kenyon angehörte, gelesen und hoch geschätzt zu wissen. Von diesem gemeinsamen Freund erfuhr sie, daß »Browning in allem groß sei«, was ihr eine erhöhte Sympathie mit »the king of the mystics«, dem Poeten und Propheten einflößte, den sie »geschaffen fühlte, die höchsten Höhen zu erreichen.« Sie »kniete in andächtig lauschender Ehrfurcht vor »Pippa Passes« und sagte, daß »man leicht einen fehlerloseren Schriftsteller finden könnte, aber nicht leicht ein größeres Genie ... Die Schwierigkeiten seiner Sprache hindern die Menschen leider, zu der Tiefe, der Macht vorzudringen, die seine Worträtsel bergen; er muß studiert werden, und dazu nehmen die Menschen sich jetzt nicht die Zeit ... Aber seine Unsterblichkeit ist gewiß; denn er hat das Lebensprinzip in sich« ...

Was sie damit meint, hat sie an mehreren Stellen, in Briefen, Gedichten und Essays ausgesprochen. Sie schrieb in dieser Zeit einige literarische Studien über griechische und englische Schriftsteller, die nicht nur die Weite ihres Blicks und die Freiheit ihrer Auffassung zeigen, sondern auch ihren vortrefflichen, inhaltgesättigten und geschlossenen, klaren und kräftigen Prosastil. Überall wo sie Anlaß hat von der Poesie zu sprechen, geschieht es mit dem tiefen Gefühl, daß Poesie Offenbarung ist, nicht leichtfliessende Diktion oder schöne Sprachbehandlung ... »Kein Dichter, der nicht die Tiefen hinter dem Dasein sieht, wird wirklich groß: der Dichter, der dies nicht vermag, ist wie ein Uhrmacher, der nur das Zifferblatt und die Zeiger versteht, nicht die Räder ... Der Unterschied zwischen den Dichtern der Gegenwart und der Vergangenheit besteht nicht darin, daß die Intelligenz der letzteren größer war, sondern die Höhe ihrer Seelen war größer ... Immer in großer Weise sein eigenes Selbst sein, das ist das Schwerste von allem, aber das ist die unabweisliche Voraussetzung echter Größe ... Kunst ohne ein Ideal ist weder Natur noch Kunst ... Es ist das Wesen der Phantasie, das Dasein zu vergrößern und zu verherrlichen ... Es gibt kein leereres Geschwätz als das derjenigen, die die Welt der Handlung von der der Dichtung trennen, als ob Shakespeares »Handlungen« nicht größer wären als die Cromwells! ... Die Kunst – wenn sie überhaupt Kunst ist – ist vor allem ein Ausdruck der Menschheit, in einem individuellen Dasein konzentriert. Das Genie gibt in der Kunst nie ausschließlich einen Reflex seiner eigenen Zeit. Das Genie eilt voraus, es ergreift die Initiative ... Das Genie ist es, das einem Zeitalter seinen Charakter gibt, ihm seine eigene Färbung aufzwingt« ... Und in ihrem Unwillen gegen diejenigen, die in der Dichtung bloß das Spiel einer müßigen Stunde sehen, ruft sie aus: daß lieber jede Zeile, die sie geschrieben, vergehen, als daß eine einzige Zeile dazu beitragen solle, die Auffassung der Menschen von der Kunst, als einer hohen, verantwortungsvollen Lebensaufgabe, einer strengen, ernsten Lebensarbeit, die einen Menschen ganz und einen ganzen Menschen heischt, herabzudrücken ... Mit berechtigtem Stolze sagt sie – in der Vorrede zu ihrer 1844 herausgegebenen Gedichtsammlung – von sich selbst: »Meine Gedichte sind voll Fehler, aber mein Herz und mein Leben ist in ihnen; sie sind nicht leere Schalen ... Die Poesie ist für mich eine ebenso ernste Sache gewesen wie das Leben selbst, und mein Leben war sehr ernst ...«

Nur mit Schwierigkeit gelang es Elisabeth Barrett, bei dem Verleger der Dichter, Moxon, ihre zwei Bände zu plazieren, denn er erklärte, daß er an allen Poeten außer an Tennyson verlöre. Elisabeth Barrett war die zweite Ausnahme, denn ihr im Spätherbst erschienenes Buch war ein augenblicklicher und großartiger Erfolg. Allerdings war das umfangreichste der Gedichte A Drama of Exile als Ganzes nicht gelungen; allerdings waren die erzählenden Gedichte schwach in der Konstruktion; allerdings trat noch eine Geneigtheit hervor, überflüssige Nutzanwendungen zu machen; allerdings fanden sich Schwächen in Reim und Metrum und Unklarheiten in den Bildern, aber ... Aber es fand sich so übergenug von unendlich größeren Eigenschaften, als die Fehlerlosigkeit ist, daß nicht einmal der verstockteste konventionelle Kritiker umhin konnte, in einen Freudenschrei auszubrechen, weil er einem geborenen großen Dichter gegenüberstand.

Denn Elisabeth Barrett war nicht eine von denen, die »durchs Dichten Dichter werden«, noch weniger gehörte sie zu denen, die unermüdlich dichten, ohne je Poeten zu werden. Sie war von jenem »Wahnwitz der Musen« ergriffen, ohne den, wie Plato so wahr sagt, keine Kunst dem Dichter Zutritt in den Tempel verschafft. Und nicht nur in England wurde man von diesem Taumel der echten Inspiration hingerissen. Die Revue des deux mondes sprach sich in einem langen enthusiastischen Artikel über den neuen Dichtergenius aus. In Amerika wurde E. A. Poe der Verbreiter von E. Barretts Ruhm und widmete ihr, »the noblest of her sex«, eine seiner eigenen Arbeiten. Harriet Martineau, die einzige Elisabeth Barrett geistig ebenbürtige unter Englands damaligen Schriftstellerinnen, war sogleich bereit, sie als die bedeutendste unter den Frauen und ihr Buch als das vortrefflichste Frauenwerk in der Weltliteratur zu begrüßen. Und die Männer stimmten ohne Zögern in dies Urteil ein. Keine Frau, riefen sie aus, hat mit ähnlicher Stärke geschrieben, kein Dichter die Poesie ernster genommen.

Man hat öfters hervorgehoben, wie eigentümlich es ist, daß – da doch die Innigkeit des subjektiven Gefühls ein das Weib gleicherweise wie die lyrische Poesie auszeichnender Zug ist – die Frauen doch gerade in der subjektiven Lyrik meistens schwach sind. Ich glaube, daß die Ursache teils darin liegt, daß wenn das Gefühlsleben des Weibes tief ist, es sich oft mit einer Schüchternheit des Gefühls paart, die die Dichtung durch stille Vorbehalte und ängstliche Vorsichtsmaßregeln schwächt. Oder auch ist das Gefühlsleben des Weibes so unpersönlich oder so zersplittert oder so ganz mit den Gegenständen verschmolzen, die es umfaßt, daß sein lyrischer Ausdruck alltäglich oder formlos wird. Die Eigenschaften aber, die alle große Lyrik kennzeichnen, sind: der Mut, sich großgesinnt in der Dichtung hinzugeben – anstatt teilweise außerhalb derselben zu bleiben – Feuer und Einheitlichkeit, Intensität und Konzentration. Elisabeth nannte nach Männerweise die Dinge beim rechten Namen und glaubte nicht, daß ein Gedicht, dadurch daß es blutlos ist, vergeistigt wird. Sie züchtete nicht wie andere Frauen ihre Gefühle zur Zahmheit, und wenn sie dadurch eine Anzahl Bewunderer der Feigenblattschule verlor, wurde sie dafür, was wenige Frauen gewesen sind, eine Dichterin für Männer, nicht bloß für Frauen. Weil Elisabeth Barrett mehr als jede andere Lyrikerin Persönlichkeit besessen hat und den Mut, sie hinzugeben, Feuer und Einheitlichkeit, Intensität und Konzentration, steht sie meiner Ansicht nach über jenen, die z. B. Georg Brandes als die einzigen Frauen ansieht, die neben ihr genannt werden können, Mme. Desbordes-Valmore, Annette Droste-Hülshoff und Annie Vivanti.

Ich sagte oben, daß Elisabeth Barrett eine geborene Dichterin war; damit meine ich, daß die Poesie ihr unentbehrlicher und unmittelbarer Ausdruck war. Ihre flüchtigste Empfindung und ihr tiefstes Gefühl bedurften des Liedes, sowie das Herz der Adern bedarf. Sie besaß die echte lyrische Konstitution, die zur Folge hat, daß Eindrücke, die auf gewöhnliche Menschen wie eine oberflächliche Berührung wirken, die Dichternaturen gleich elektrischen Stößen durchbeben; daß Gedanken, die vor dem Auge anderer langsam ein Streifchen Licht aufdecken, für sie zu Blitzen werden, die das Firmament spalten, so daß alle Klarheit des Himmels sich ergießt; daß Leiden, für andere eine Hautritze, für sie zu Wunden werden, an denen sie sich verbluten; daß Freuden, für trägere Sinne ein Wohlbehagen, ihnen ein Übermaß göttlicher Seligkeit schenken.

Diese feine Organisation hatte bei Elisabeth Barrett eine ebenso feine Kultur empfangen. Ihre Phantasie besaß – durch den Umfang ihres Gedanken- und Wissensgebietes – große Weiten, sich darin zu tummeln, und dazu hatte sie ihre Bildung in tiefer Ruhe, fern von aller Schulpedanterei errungen. Die Vergleiche und Andeutungen, mit denen ihre Gelehrtheit ihre Dichtung versieht, wachsen daher lebensvoll wie Anemonen im Frühling hervor. Keine zweite Dichterin hat ein so reiches und gleichzeitig so bewegliches Bildungsmaterial beherrscht, keine sich die klassische Literatur so persönlich angeeignet. Auch wählt Elisabeth Barrett unter ihren Quellen mit jener Sicherheit, die das volle Besitzrecht verleiht. Hier ist nicht die weibliche Unruhe, fehlzugreifen, nicht das unsichere Tasten, das fürchtet, an eine Grenze zu stoßen. Die meisten weiblichen Dichtungen offenbaren sehr rasch alles, was ihre Verfasserinnen wissen, denken, fühlen, und zugleich, daß dieses alles – recht wenig ist. Elisabeth Barrett flößt die sichere Überzeugung ein, daß sie vielmal mehr weiß, denkt und fühlt, als sie ausspricht, ja, daß es ein unerschöpflicher Reichtum ist, aus dem ihre Ideen und Bilder hervorquellen. Dazu kommt die konzentrierte Fülle, die explosive Stärke ihrer Eingebung. Mut des Denkens und kultureller Überfluß geben Elisabeth Barretts Dichtung ihre männliche Vornehmheit; das röteste, reinste Blut des Frauenherzens schenkt ihr ihre edelste Eingebung; und Elisabeth Barretts eigenster Persönlichkeitszug – das lotrechte Versinken in die glühende Tiefe des Gefühls – bewirkt es, daß das Bild, die Schilderung, der Ausruf, mit dem sie die Stimmung in Worte umsetzt, wie ein Feuer auflodert, das dann für alle Zeit über dem Gegenstande brennt, den es ergriffen hat.

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Aber der »heilige Taumel« birgt nicht nur die Stärke des Lyrikers, sondern auch die Möglichkeit seiner Schwäche. Ein Dichter, dem das Formgefühl angeboren ist und der es weiter ausgebildet hat, opfert leicht der reinen Musik der Sprache den Inhalt, während für einen Dichter mit reichem Gedankenstoff, aber schwachem Formensinn die Versuchung die entgegengesetzte sein wird. Dieses letztere war der Fall bei Elisabeth Barrett, deren Leichtigkeit, sich in gebundener Form auszudrücken, kein Gegengewicht in dem Instinkt der schönen Form besaß, die bei ihr immer mehr oder weniger ein Glückstreffer war, trotz ihrer ernsten, anhaltenden Arbeit an der sprachlichen Vollendung. Es fehlte ihr der Blick für die schwerbestimmbare Linie, die die Hingerissenheit von der Schrankenlosigkeit scheidet; ihr berechtigtes und bewußtes Streben, die Ausdrucksmittel der englischen Sprache zu erweitern, erreichte nicht sicher sein Ziel, weil ihr das feine Ohr fehlte, das solche Wagestücke zu einem Gewinn für die Literatur macht. Aber vor allem beruhten ihre formellen Schwächen darauf, daß ihr hervorbrechender Gedanken- und Bilderstrom zuweilen so heiß und so ungezügelt war, daß er ebensowenig geformt werden konnte wie die Lava, wenn sie in glühender Pracht aus dem Innern des Vulkans fließt, und daß er, ebenso wie die Lava in der kälteren Luft, in einer Form erstarrte, die nur als das Zeugnis ihres Ursprungs aus einer Feuertiefe Interesse hat. In diesem Falle ist ja die Stärke so eins mit der Schwäche, daß die Selbstverteidigung des Dichters gegen die Angriffe auf die letztere gewöhnlich vollberechtigt ist. Als ein Kritiker einmal Browning riet, mit mehr Selbstbeherrschung seiner Individualität zu folgen, rief Elisabeth Barrett aus: »Was für Atheisten diese Kritiker sind, wie ohne Ahnung von dem Wesen der göttlichen Gaben, über das doch schon die alten Heiden Bescheid wußten!« Und ein anderes Mal erwähnt sie eine Kritik, die in dem Grade freundlich gegen sie wäre, daß sie auch das lobte, was sie nicht verstand; nur hätte sie sie gebeten – ihren Stil zu ändern, aber das erscheine ihr leider ebenso schwer, als wenn man sie gebeten hätte, ihre Persönlichkeit zu ändern.

Natürlich hatte sie im Innersten recht. Die romantische Ansicht, daß die Individualität das einzig Bedeutungsvolle ist, was man in der Kunst auszudrücken hat, und daß das, was man ausdrücken will, unendlich hoch über den Mitteln des Ausdrucks steht – diese Ansicht, die die Wurzel aller Kämpfe in alten und neuen Schulen ist – hat immer in der Sache recht, aber oft unrecht in der Art, in der sie die Sache verfolgt. Ein Künstler kann sein Recht auf Individualität nur in dem Maße beweisen, als er die souveraine Gewalt über die untergeordneten Mittel besitzt. Und diese Gewalt besaßen Elisabeth Barrett sowie Robert Browning nicht in ebenso großem Maße wie Genialität der Begabung.

Diesen sicheren Schönheitsinstinkt können die Künstler unserer Zeit umsoweniger missen, als man gerade im Begriff ist, sich von veralteten und »sicheren« Ausdrucksmitteln zu befreien, um neue zu schaffen. Diese Mittel werden erst dann vollendet sein, wenn, wie ein Literaturforscher treffend dargelegt hat, die Resultate der modernen wissenschaftlichen Forschung umbildend in das allgemeine Bewußtsein übergegangen und darin, wie einst die alten Vorstellungen, Fleisch und Blut geworden sind. Daß Elisabeth Barrett sowohl wie Robert Browning ihre Neugestaltungen oft mißlangen, bedeutet weniger, als daß sie so oft gelangen; und man kann nur wünschen, daß die, die nach ihnen mit feinerem Gehör die neuen Tonwerkzeuge gebraucht haben, von demselben heiligen Feuer beseelt gewesen wären wie sie. Erst wenn das Schaffen wieder das wird, was es für sie war – der höchste Ausdruck ihres Gottesdienstes – wird jene Kunst des Individualismus kommen, in der alle anderen »ismen« verschwinden; eine Weltmusik, für die alle Kunstrichtungen der Gegenwart nur ein Stimmen von Instrumenten sind.

Elisabeth Barrett war jedoch eifrig bestrebt, ihre poetische Schwächen einzusehen und zu verbessern. Als der Briefwechsel mit Browning begann, bat sie um seine Kritik, der sie ebenso willig war sich zu beugen, als sie sich gegen Kritiker im allgemeinen zum Widerspruch geneigt fühlte.

Die Entdeckung dieser Ähnlichkeit ihrer poetischen Konstitution erfreute beide. Jedes von ihnen betrachtete die große, rasche Popularität als einen Beweis der Mittelmäßigkeit, weil die zeitgenössische Kritik sich immer ganz oder halb blind gegen die Größe zeigt, die die Zukunft dann auf den Thron erhebt. Beide fühlten, daß der Künstler verloren ist, der seine Produktion nach der Kritik oder dem Publikum richtet, dem gegenüber Brownings einziger Ehrgeiz war, daß es seine Gedichte soviel kaufe, daß er seinen Verlegern nichts für die Herausgabe zu bezahlen brauche! Beide waren sie damals und in alle Zukunft erhaben über alle kleine Ärgerlichkeit und Mißgunst der verletzten Eitelkeit, etwas Derartiges streifte ihre Seele gar nicht. Beide erkannten im Gegenteil voll, froh und dankbar jeden Erfolg an; beide nahmen mit Gleichmut die kritische Besprechung auf, die ihrer würdig war, und beide wiesen mit stolzem Selbstgefühl die Urteilssprüche der Dummdreistheit oder der Ungerechtigkeit zurück. »Die Unwissenheit glaubt ja, das Recht zu haben, die Kunst zu beurteilen«, sagt Elisabeth Barrett mit einer der raschen, humoristischen Wendungen ihres Briefstils, »obgleich auf allen höheren Gebieten – z. B. Whist und Polka – die Ansicht herrscht, daß man etwas wissen muß, bevor man sich äußert!« Beide besaßen die seltene Eigenschaft, daß sie auch über Ungerechtigkeiten gegen andere Schriftsteller als sie selbst tief erregt wurden und daß sie sich warm der Erfolge anderer freuten. Beide hatten schließlich dieselbe Unduldsamkeit gegen das Gejammer der Schriftstellerempfindlichkeit über mangelndes Verständnis oder Anerkennung. »Nie«, schrieb Elisabeth Barrett, »habe ich die Klage der Dichter über ihr hartes Schicksal fassen können, denn für mich ist die Hingerissenheit, dichtend mich selbst zu verlieren und mich selbst auszudrücken, wirkliches Glück gewesen! Ein Dichter muß in der Freude des Schaffens genug für den Augenblick haben, und dazu hat er ja die Gewißheit, wenn seine Werke Lebenskraft besitzen, die Würdigung der Zukunft zu finden.«

Und je mehr ihr eigener Ruhm sich über die Welt verbreitete, desto mehr sah sie den geringen Wert des Ruhms für sich selbst sowie für die anderen Frauen ein, die gleich ihr gezwungen waren:

... to sit alone
On winter nights by solitary fires
And hear the nations praising them far off ... »– – in Winternächten allein am einsamen Feuer zu sitzen und die Völker ferne sie preisen zu hören«.

Es gibt vielleicht so wunderlich beschaffene Frauen, daß ihnen der Ruhm ein Ersatz für das Glück sein kann. Elisabeth Barrett gehörte nicht zu ihnen. Sie litt an ihrer unfreiwilligen Selbstkonzentration, weil sie geschaffen war, um zu lieben und geliebt zu werden. Und trotz ihres rasch errungenen Weltruhms befand sie sich in keiner siegesfrohen Stimmung, als sie – aus Anlaß ihrer eben erschienen Gedichte – den ersten Brief von Robert Browning empfing.

 

II.
Robert Browning.

I am made up of an intensest life ...

Robert Browning

Robert Browning wurde am 7. Mai 1812 in London geboren. Es war nicht nur englisches, sondern auch schottisches, deutsches, creolisches – manche glauben, auch jüdisches – Blut in den Adern seiner Väter, und dies bestimmte ihn schon von Natur zu dem Kosmopoliten, der er später wurde. Sowohl von der väterlichen als von der mütterlichen Seite erbte er künstlerische Anlagen. Der Vater hatte in früher Jugend – aus Abscheu gegen die Sklaverei, ein Abscheu, der in ihm gegen jede Form der Unterdrückung fortlebte – Westindien verlassen. Er hatte sich dadurch gute Zukunftsaussichten zerstört und war in Uneinigkeit mit seiner Familie geraten. Dies hatte zur Folge, daß er, anstatt seine malerischen Anlagen ausbilden zu können, gezwungen war, sich durch eine Anstellung in der Bank von England zu versorgen. Aber in freien Stunden betätigte er sich, und mit bedeutender Begabung, als Zeichner, Poet und Kunstkritiker und erwarb sich außerdem wirkliche Gelehrsamkeit auf mehreren Gebieten. Er war daher in seltenem Grade zum Führer seines einzigen Sohnes geeignet und hatte außerdem jene Milde des Wesens, die alle Konflikte zwischen dem älteren und dem jüngeren Robert Browning verhinderte, als der Sohn später in Literatur und Kunst andere Götter anzubeten begann als der Vater. Dieser wurde der Gesellschaft des Kindes niemals müde. Bei Anakreons Gesängen wurde der kleine Junge auf den Armen des Vaters zur Ruhe gewiegt; auf dem Schoße des Vaters erlebte er den trojanischen Krieg. Von der Mutter, deren gefühlstiefer, stiller und zärtlicher Natur der Sohn eine anbetende Liebe weihte, hatte er seine religiöse und musikalische Veranlagung. Bei ihrem künstlerischen Klavierspiel vergoß er schon im zartesten Alter vor Entzücken Tränen. Schon mit fünf Jahren dichtete er ein Poem in ossianischem Stil, das in einem Lehnstuhlüberzug verborgen wurde; mit acht Jahren übersetzte er die leichteren Oden von Horaz und maß mit der Hand auf dem Speisezimmertisch die homerischen Versmaße; mit zehn Jahren schrieb er – unter dem Einfluß einer unglücklichen Liebe! – Byronsche Weltverachtungspoesie. Aber vor allem herrschte der homerische Ton in der Gedichtsammlung, die er schon mit zwölf Jahren seiner Mutter gab, welche sie dem Urteil eines angesehenen Kritikers vorlegte und darauf die Bekräftigung ihres eigenen Glaubens an die poetische Begabung des Sohnes empfing.

In diesem Heim, das das Gepräge einer feinen, vielseitigen Kultur trug, umgeben von einer Zärtlichkeit, die ihm nie einen erfüllbaren Wunsch, eine vernünftige Freiheit versagte, wuchs der Knabe unter den günstigsten Voraussetzungen für seine individuelle Entwickelung heran. Der Vater bewahrte ihn ganz unberührt von dem gewöhnlichen Schul- und Universitätsleben. Die einzige Zeit, in der er außer dem Hause unterrichtet wurde, war zwischen 10 und 14 Jahren, wo er in einer kleinen Privatschule in der Nähe einen vortrefflichen Unterricht erhielt, den er sich voll aneignete. Von dem Kameradenleben wurde er, in seine eigene Welt versunken, nicht berührt. Im Heim teilte er seine Zeit zwischen Studien – unter der Leitung des Vaters und von Privatlehrern – Musik, wissenschaftlichen Forschungen, Gartenpflege, Reiten und anderen körperlichen Übungen, die dadurch begünstigt wurden, daß die Familie stets in irgend einer ländlichen Vorstadt Londons lebte. Für das Freiluftleben brachte er außer einem regen Naturgefühl auch eine väterlicherseits ererbte, vortreffliche Körperkonstitution mit. Später betrieb er seine freien Studien im British Museum oder der National Gallery; und mit zwanzig Jahren wurde, wie er selbst zu sagen pflegt, Italien seine Universität. Dank dieser herrlichen freien Erziehung besaß er schon damals eine reiche und tiefe Kultur und hatte dem Brotstudium keinen Gedanken widmen müssen. Der Vater, der sich die Unweltlichkeit seines Jugendgefühls, seinen Haß gegen das englische Erwerbsfieber bewahrt hatte, lehrte den Sohn die selbstgewählte Armut ehren, wenn diese Armut die Voraussetzung der Treue gegen unser eigenes bestes Bewußtsein ist. Robert Browning hatte in seinem Heim nie mit einem Worte gehört, daß er sich eine Stellung schaffen müsse, sondern nur, daß er sich für seine eigenen Ziele ausbilden solle. Die Eltern und der Sohn waren gleich glücklich darüber, daß er bis zu seiner Verheiratung – er war damals über 34 Jahre – im Hause verblieb, und mit tiefer Dankbarkeit sprach Robert Browning immer davon, daß der Vater ihm auf diese Weise alle Bedingungen geboten hatte, die denkbar beste Arbeit zu leisten.

Trotz seiner vielseitigen Begabung fühlte Robert Browning keine eigentliche Unsicherheit in bezug auf seine Lebensbahn. Gewiß übte sowohl Musik als Malerei eine starke Lockung aus, aber die der Poesie verblieb doch die mächtigste. In seinen Träumen – unter ein paar großen Ulmen, von denen er am Tage die St. Paulskuppel und den Turm von Westminster Abbey in goldenen Nebeln, des Nachts den Lichtschimmer von London sah, während er aus der Ferne das Pochen der Pulse der Riesenstadt hörte – hatte er schon begonnen, die Tiefen unter der brausenden Oberfläche des Menschenlebens zu ahnen. Aber seiner Dichterseele sich bewußt wurde der Knabe erst an jenem unvergeßlichen Maiabend, als er unter einem blühenden Goldregen und einer Blutbuche, in der zwei Nachtigallen um die Wette sangen, Keats und Shelley las! Seit er den unbekannten Namen des letzteren in einem Buchladen gesehen und erfahren hatte, daß er einem vor nicht langer Zeit gestorbenen Dichter angehörte, war er seiner Mutter in den Ohren gelegen, ihm Shelleys Werke anzuschaffen. Sie hatte mit großer Mühe – denn die meisten Buchhändler kannten nicht einmal den Namen – Shelleys Gedichte erstanden und war überredet worden, auch ein paar Hefte des noch weniger bekannten Keats zu nehmen. Und so kam Robert Browning unter den Einfluß, der für ihn vor allen anderen lebensentscheidend wurde. Mit dem bewunderten Pope des Vaters war er schon fertig, Byron verblaßte nun; Wordsworth, Coleridge und Southey hatten nie viel für ihn bedeutet. Aber in Keats, und vor allem in Shelley versank er für immer. Der Wohllautstrom von Shelleys Violine erweckte in Browning den Geist des Gesanges; ihm – the suntreader – widmete Browning die erste Dichterhuldigung seiner Jugend; ihm auch den einzigen – und vortrefflichen – kritischen Essay seines reiferen Alters. Die großen Verschiedenheiten in dem dichterischen Temperament der beiden bedingten die Beständigkeit, während die Gleichheiten die Tiefe von Shelleys Einfluß auf Browning bedingten. Eine dieser Gleichheiten war das pantheistische Naturgefühl beider. Viele Tage und auch Nächte brachte Browning in der Umgebung seines Hauses zu, wo man noch im Dulwichwalde oder in Wimbledon Common die Waldeinsamkeit oder den ganzen Reiz der weiten Fluren genießen konnte. Da konnte Browning unter den Bäumen oder im Grase so regungslos liegen, daß die Vögel sich auf ihn niederließen und mit so wachen Sinnen wie ein Indianer die Einzelheiten beobachten, während er gleichzeitig in den Gesamteindruck der Natur versank. Die Bewegungen und Lebensgewohnheiten der Vögel und der Insekten, der Blumen und Gräser wurden ihm ebenso vertraut wie die Farbenschattierungen der Wolken und Nebel, die Stimmen des Donners und des Regens, die verschiedenen Düfte und Laute der Nacht und des Tages. Ebenso durstig schlürfte er Eindrücke aus dem Menschenleben, wo diese unkonventionell hervortraten. Zigeunergesellschaften und wandernde Theatertruppen, Schenkenleben und Separatistenprediger interessierten ihn gleich lebhaft – er, »der schon warm wurde, wenn er nur die Worte Purpur und Scharlach hörte«, wurde von allem bezaubert, was dem Alltag Farbe gab! In Wahrheit konnte Browning von sich sagen: »Das Dasein ist mir nicht entgangen und wird es auch in Zukunft nicht – bevor ich genug davon habe ... Sieh mit den Augen der Seele, und du wirst genug zu sehen finden. Hast du aufgehört, über die Frauen nachzugrübeln, so bleiben dir noch die Männer – die lebenden und die toten –. Hast du aufgehört, über die Menschen zu grübeln, so bleibt dir noch Gott, um über ihn zu grübeln ...« Äußerungen, die die ganze dichterische Individualität Brownings einschließen: Lebensberauschung und Lebensbeobachtung. Die leidenschaftliche Stärke in beidem macht ihn in seinem ersten Gedicht »Pauline«, 1832 anonym auf Kosten einer Verwandten gedruckt. – damals war er noch nicht zwanzigjährig – zum Entdecker früher nie gehörter, sinnlich reicher Bilder, in denen seine Wahrnehmungen seiner eigenen und der Menschenseele überhaupt, der Natur und des Lebensmysteriums mit einer schon so ausgeprägten und eigenartigen Genialität ausgedrückt werden, daß D. G. Rossetti, der erst viele Jahre später Browning als Verfasser des kleinen anonymen Büchleins entdeckte, so hingerissen davon wurde, daß er es im British Museum Wort für Wort abschrieb, weil es im Buchhandel nicht zu bekommen war. Browning schildert darin selbst seine feurige, heißblütige, intensive Natur, die, wie er fühlte, die seltene Möglichkeit barg, sein eigenes Leben in unmittelbarer Stärke ausleben zu können, während er gleichzeitig seine ganze intellektuelle Kraft auf die Analyse der Seele richtete. Schon in seinem ersten Buche ist Browning der Dichter der Seelenzustände. Und dadurch wurde er nicht nur ein neuer Poet zu den vielen anderen desselben Zeitabschnitts, sondern eine neue bis dahin unvernommene Stimme in der englischen Literatur, nämlich: the noblest asserter of soul in song. »der edelste Verfechter der Seele im Lied.« Derselbe hervorragende Literaturforscher, der das Genie in der Gedichtsammlung des Zwölfjährigen entdeckt hatte, schrieb bei dem Erscheinen von Pauline, daß England nun einen neuen Dichter habe, und ein paar andere Stimmen nannten ihn schon neben Wordsworth und Coleridge. In der kleinen, langsam wachsenden Gruppe, die Brownings Dichtung von Anfang an die Bewunderung zollte, die das englische Publikum ihm nur so langsam schenkte, befindet sich auch John Stuart Mill. Er fällte das treffende Urteil, daß er nie bei einem normalen Menschen ein ausgeprägteres Selbstbewußtsein gefunden habe als bei dem anonymen Verfasser von Pauline. Unser Wort »Selbstbewußtsein« wird oft in beschränktem Sinne gebraucht, und Mills Meinung wird daher besser mit Seelenbewußtsein gedeutet, die tiefe Empfindung des eigenen Seelenlebens und desjenigen anderer, die schon jetzt den jungen Dichter – der noch der Schüler Shelleys und der hellenischen Poeten war – das Bewußtsein eines an sich neuen poetischen Zieles gab, des Zieles, das er einige Jahre später mit den Worten ausdrückte: daß er wenig anderes des Studiums wert halte, als die Ereignisse in der Entwickelung einer Seele.

Browning machte nun seine erste Reise nach Italien, das dann nicht nur das erwählte Vaterland seiner Sinne und seiner Seele, sondern auch die reichste Inspirationsquelle für seine Dichtung blieb. Die Schicksale der Menschen haben dort, wie die Natur, eine reichere Farbe und festere Konturen, sie geben – mit anderen Worten – den artistisch »komponierten«, in einer einzigen Situation gesammelten Eindruck, den Browning vor allem liebte, während zugleich das sorglose Künstlertemperament der Menschen sowohl die Sympathie seines Temperaments wie die seiner Überzeugung besaß.

Nach Hause zurückgekehrt, vollendet Browning in den nächsten Jahren Paracelsus, durch den er das erste Mal das Pathos ausdrückt, das für ihn das größte des Lebens ist und zu dem seine Dichtung dann so oft zurückkehrt, nämlich das unerschütterliche Streben nach einem idealen Ziel. Nicht nur das Ziel zu erreichen, sondern auch für dasselbe unterzugehen, erlöst des Menschen Seele, die unter dem Streben wächst, dem Ideale Raum zu schaffen, indem sie die Begrenzung des Daseins sprengt. Browning läßt Paracelsus, den Mann der Naturwissenschaft mit dem Fausttypus, den Schmerz des Gedankens, – und Aprile, den Dichter von Shelleys Typus, den Schmerz des Herzens über ihre unzulängliche Macht gegenüber anderen Mächten des Daseins darstellen, aber zugleich den Triumph des Gedankens und des Herzens inmitten des äußeren Mißlingens ausdrücken.

In diesem Gedicht offenbart sich Brownings Naturgefühl in einer majestätischen, weltumfassenden Anschauung der ganzen Evolution des Lebens – die er hier und an anderen Stellen lange mit seiner Dichterahnung sah, bevor die Theorie von der Wissenschaft angenommen wurde. Und er drückt seine Hingerissenheit über die Schönheit des Lebens in einer Lyrik aus, mit der es in allen Literaturen nichts zu vergleichen gibt, es sei denn im Alten Testament. Browning war auch während der Arbeit am Paracelsus so versunken in die hebräische Poesie gewesen, daß man ihn bloßhäuptig in den Wäldern fand, Jesaias deklamierend! Aber obgleich diese großen Eindrücke in gewissem Maße Brownings eigene Ausdrucksweise beeinflußten, quillt doch voll und ganz aus seiner eigenen Seele der wunderbare Tonstrom hervor, der zuweilen so intensiv wirkt, daß man ihn als einen Schmerz empfindet, bald mit dem breiten Brausen einer Orgel anschwellend, bald wie ein sonnenbebender Lerchentriller emporsteigend, bald von der Unendlichkeit eingesogen wie der sprödeste Ton der Violine.

Durch den Paracelsus wurde der dreiundzwanzigjährige Dichter in Londons literarischen Kreisen ohne Zögern neben Wordsworth und Landor gestellt und von beiden herzlich willkommen geheißen. Für den ersteren hatte Browning weder als Person noch als Dichter wirkliche Sympathie, für Landor hingegen währte seine Bewunderung und Zuneigung ein ganzes Leben hindurch. In diesem literarischen Kreis, in dem Browning seinen eigentlichen Verkehr fand, überzeugte man ihn, daß er sich mit einer Arbeit fürs Theater versuchen sollte. Brownings Stafford wurde auch im Mai an demselben denkwürdigen Tage gespielt, an dem Carlyle in London seine Vorlesungen begann, und in demselben Jahre – 1837 – in dem der elektrische Telegraph und der Regierungsantritt der Königin Viktoria eine neue Ära einweihte. Strafford, der für das englische Drama dieselbe Bedeutung erlangte, wie Hernani für das französische, war ein Erfolg, aber kein so großer, daß er Browning von seinem wirklichen Gebiet hätte ablenken können, das nicht das Theaterdrama war, sondern, wie Walter Pater es treffend charakterisiert hat, »the poetry of situations«. In den Dichtungen, die – ohne für die Bühne bestimmt zu sein – die dramatische Form erhalten haben, die es ermöglicht, daß gewisse Seelenzustände in einem großen Moment zu einem gesammelten Ausbruch kommen, besaß Browning sein eigentlichstes Ausdrucksmittel. Und er ist dadurch, wie Almquist, der so viele Vergleichspunkte mit Browning bietet, ein Vorläufer des Dramas der Zukunft geworden, auf dessen Shakespeare wir noch warten, des Dramas, das der Spiegel des nach innen gekehrten, anstatt des nach außen gekehrten Lebens sein wird.

Nun folgen Schlag auf Schlag die Werke, zu denen Browning die Motive in seinem »Weinberg, der Erde« findet, wo er »man's thoughts and loves and hates« »der Menschen Gedanken und Lieb' und Hass.« erntet.

Das Urbild zu Sordello Sordello 1840. Pippa Passes 1841. (Nr. 1 von »Bells and Pomegranates«). King Victor and King Charles 1842. Dramatic Lyrics 1842. The Return of the Druses 1841. A Blot in the Scutcheon 1843. Colombes Birthday 1844. Diese bilden die fünf nächsten, unter dem gemeinsamen Titel »Bells and Pomegranates« herausgegebenen Dichtungen. Der Titel bezieht sich auf das Gewand des Hohenpriesters, auf dem die Glocken und die Granatäpfel die Einheit von Freude und Ernst symbolisierten. – der typischen »Poetenseele« – fand Browning bei Dante und in den italienischen Chroniken. Aber er hat den Typus nicht zu einer lebenden Gestalt ausgeformt, sondern ihn nur in Wortmengen gehüllt, die verschiedene literarische Menschen, welche sich vergeblich bemühten, das zu begreifen, was die dunklen Worte bergen sollten, ganz außer sich brachten! Ungeachtet herrlicher dichterischer Stellen hat kein Kritiker – am allerwenigsten Browning selbst – gezögert, Sordello als in seiner Gesamtheit mißlungen zu erklären, und dieses Werk trug dazu bei, im Publikum die Meinung zu befestigen, daß »man Browning nicht lesen könne.«

Doch schon ein Jahr nach Sordello kam Pippa Passes – das nicht nur eines der herrlichsten Werke Brownings, sondern der englischen Literatur überhaupt ist. Die äußeren Eindrücke hatte er in dem kleinen italienischen Städtchen Asolo, aber die eigentliche Inspiration in seinem lieben englischen Walde empfangen, wo er eines Tages auf seiner einsamen Wanderung von dem Gedanken an den unbewußten und geheimnisvollen Einfluß, den ein Mensch auf die Schicksale des andern ausübt, ergriffen wurde, ein Gedanke, den er dann zu dem Gedichte von der kleinen italienischen Seidenspinnerin ausformte, die an einem Feiertag singend an einem Paar von ihr nicht gesehener Menschen vorübergeht, in deren Schicksal sie entscheidend durch ihren »wie der Drossel Sang in einer belagerten Stadt« unbewußten Gesang eingreift.

Pippa Passes besitzt jene klare Tiefe, welche immer die vollendete Kunstschöpfung kennzeichnet. Der Gedanke wird hier nicht durch Reden ausgedrückt, sondern durch konkrete Gestalten und Situationen, vibrierend von der herrlichsten Leidenschaft, offenbart mit der höchsten Kunst. Der Gedanke selbst erhält in seiner Schlichtheit seine Bedeutung dadurch, daß er ein Ausdruck von Brownings tiefem – und damals in der Literatur neuem – Gefühl vom Leben als einem Mysterium ist, von jenem Erstaunen über das Dasein, das ein Kritiker treffend die tiefste Eingebung in der neueren Poesie genannt hat.

Für Browning war noch die Mystik des Daseins, das Wunder des Seelenlebens eine persönliche Entdeckung, eine neue, reiche dichterische Inspiration. Seine Genialität barg vor allem die tiefe Intuition in die geheimnisvollen Prozesse, die die Seele zu ihrer höchsten Höhe oder zu ihrer tiefsten Erniedrigung führen; den wachen Blick für die Feierstunden der Seele, wo ein großes Gefühl wie ein großes Feuer auflodert, alle Konventionen und alle Selbstbetrügereien zu Asche verbrennend.

In den fünf, sechs vorhergehenden Jahren hatte Browning fleißig in Londons Kunstkreisen verkehrt, »um nicht etwas unbekanntes Gutes zu verlieren«, indem er diese Seite des Lebens unversucht ließe. Aber nun war er des Gesellschaftslebens müde, mit Büchern gesättigt, sehnsüchtig »nach der wirklichen Welt und den Bildern der Kunst von der Welt«. Er hatte darum begonnen, einen längeren Aufenthalt in Italien zu planen, wo »sein Herz lebte«. Da geschah es, an einem der letzten Tage des Jahres 1844, daß ihm durch ihren gemeinsamen Freund, Kenyon, Elisabeth Barretts zwei Bände Gedichte in die Hand kamen. Browning las und ward berückt von »dieser neuen Musik, diesem schönen Pathos, diesen mutigen, selbstgedachten Gedanken«. Aber vor allem war da ein Gedicht Lady Geraldine's Courtship, in dem er nicht nur seinen eigenen mittelbaren Einfluß vernahm, sondern auch über seine Dichtung die in ihrem kurzen Inhaltsreichtum vortreffliche Charakteristik seiner Pomegranates las ...

... if cut deep down the middle,
shows a heart within blood-tinctured, of a veined
humanity. »die, wenn man sie tief durch die Mitte schneidet, innen ein blutgefärbtes Herz einer vielädrigen Menschlichkeit zeigt.«

Diese Äußerung, die gerade wie ein Pfeil auf Brownings dichterisches Ziel losging, steigerte sein sympathisches Interesse an der Dichterin, und er fragte Kenyon, ob er es wagen solle, an sie zu schreiben. Die Antwort war sehr ermutigend, und so sandte Browning am 10. Jänner 1845 seinen ersten Brief an Elisabeth Barrett.

 

III.
Robert Browning. und Elisabeth Barrett

Dust to dust and soul-secrets to humanity
The natural heir to all these things« ...
Elisabeth Barrett.

Wenn Robert Browning, als er vor seinem Tode seinen übrigen Briefwechsel verbrannte, auch den Inhalt des kleinen Schreins vernichtet hätte, in dem er sorgsam seine und Elisabeth Barretts Briefe geordnet hatte Im Jahre 1899 von dem Sohne unter dem Titel »The letters of R. Browning and E. B. Browning« herausgegeben, Smith, Elver & Co., 15 Waterloo Place, London, 2 vols. – dann würde nach der höheren Rechenkunst die Menschheit mehr verloren haben, als wenn die ganze Bank von England zu Asche geworden wäre! Denn auf Robert Browning und Elisabeth Barrett lassen sich mit vollem Recht seine eigenen Worte über Luria anwenden:

Such man are you, and such a time is this
That your sole fate concerns a nation more
Than its apparent welfare »Ein solcher Mann bist du und eine solche Zeit ist dies, dass dein Geschick allein ein Volk mehr angeht als sein handgreiflich Glück.«

und dieses, weil

A people is but the attempt of many
To rise to the completer life of one.
And those, who live as models for the mass
Are singly of more value than they all ... »Ein Volk ist bloss das Streben einer Vielheit, sich zu dem vollendeteren Leben eines Einzelnen zu erheben. Und die als Vorbilder der Menge leben, sind einzeln von mehr Wert als die Gesamtheit.«

Dieser kürzlich erschienene Briefwechsel offenbart die Möglichkeit höherer Gefühle, als selbst die meisten Ausnahmemenschen sich träumen lassen. Er zeigt einen großen und in hohem Grade männlichen Geist, der so lieben konnte, wie die seelenvollsten Frauen unserer Zeit geliebt zu werden wünschen; und einen großen und in hohem Grade weiblichen Geist, der eine solche Liebe einflößen, erwidern und bewahren konnte. Die Literatur besitzt einige Briefe, die die erotische Hoheit der großen Frauenseele offenbaren, wie die der portugiesischen Nonne, die der Mlle. de Lespinasse und noch andere Frauenbriefe. Man hat Brief Sammlungen, die nicht nur das Gefühl der Frau, sondern auch das des Mannes von seiner größten Seite zeigen, wie die Abélards und Héloises, Varnhagens und Rahels, Diderots Briefe an Sophie Voland, Goethes Briefe an Frau von Stein. Aber Robert Brownings und Elisabeth Barretts Briefwechsel zeigt uns das Einzigdastehende: zwei große Genies, die zugleich zwei echte Vollmenschen gewesen sind, die jeder des anderen erste und einzige große Liebe waren und die beide in einem Zusammenleben des höchsten Glückes die Echtheit ihres Gefühls bewiesen haben. Darum ist ihr Briefwechsel geradezu ein Offenbarungsbuch für alle jene, die an die Möglichkeit einer vollkommeneren Menschheit durch ein seelenvolleres Liebesglück glauben.

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Der Briefwechsel erstreckt sich vom 10. Jänner 1845 bis zum 18. September 1846, dem Tage, bevor das Ehepaar Browning England verließ, worauf sie während ihrer fast fünfzehnjährigen Ehe nie auch nur einen Tag getrennt waren.

Mit freudiger Genugtuung erinnerte Robert Browning später Elisabeth Barrett daran, daß er ihr schon in seinem ersten Briefe gesagt hatte, daß er nicht nur ihre »große lebensvolle Poesie liebte, die sogleich in seinem Herzen Wurzel geschlagen, um dort zu wachsen« – sondern auch sie selbst. Er drückte gleich damals sein Bedauern darüber aus, daß er nicht schon vor drei Jahren von dem Vorschlage Mr. Kenyons, ihn zu Miss Barrett zu führen, Gebrauch gemacht habe. Es erschien ihm so, als hätte er in einer Kirche versäumt, den Vorhang fortzuziehen, der in einer Seitenkapelle eines der Wunder der Welt verhüllte! In ihrer Antwort brachte sie nicht bloß ihre Freude über seine Sympathie für ihre Dichtung zum Ausdruck, sondern noch mehr ihre tiefe Bewunderung der seinen, deren männliche Stärke sie sich wohl bewußt war nie erreichen zu können: denn er beherrschte nicht nur die menschliche Leidenschaft in ihrer höchsten Intensität, sondern auch die größte Tiefe des Gedankens, und sie war glücklich, von ihm lernen zu dürfen. Er antwortet, indem er ebenso aufrichtig ihre Poesie über seine eigene stellt. So wie im Beginn verblieb es dann während ihres ganzen Zusammenlebens. Beide liebten es, den königlichen Dichterpurpur von den eigenen Schultern auf die des anderen zu legen. Beide mißgönnten sich selbst jedes lobende Wort, das der eine auf Kosten des anderen erhielt, und jeder wartete nur für den anderen ungeduldig auf die Gerechtigkeit, die jeder für sich selbst »ruhig dreihundert Jahre hätte abwarten können!«

Ihr Briefwechsel, der selbstverständlich eine ganze Menge Interessantes über Literatur und literarische Persönlichkeiten enthält, ist der gerade Gegensatz zu jenen Schriftstellerbriefen, die sich um eigene Erfolge oder Niederlagen und die Verfolgungen der Berufsgenossen oder deren Schwächen drehen. Hier findet man nicht einmal den leisesten Schatten einer unedlen seelischen Regung, sondern im Gegenteil den schönsten Eifer, allen gerecht zu werden und niemanden durch ein zu strenges Urteil herabzusetzen. Schon von diesem Gesichtspunkt ist dieser Briefwechsel der vornehmste geistige Umgang, den man sich wünschen kann.

Elisabeth Barrett bat gleich, daß Browning sie in seinen Briefen einfach behandle wie einen guten Kameraden, wie einen »ehrlichen Kerl«, daß er nie aus Höflichkeit schreibe, sondern nur seiner eigenen Neigung folge. Hierauf erwiderte er, daß »aus verschiedenen Ursachen, die er ergründen, und aus anderen, die er trotz alles Denkens nicht ergründen könnte, er mehr Hilfe und Freude davon habe, mit ihr Briefe zu wechseln, als mit irgend einem anderen Menschen zusammenzutreffen.« Das persönliche Interesse absorbierte schon von Anfang an das literarische, und er bat sie bald, ihm in jedem Brief zu sagen, ob es ihr besser ginge, weil sie ihm versprochen hatte, daß wenn sie ihre Kräfte nach und nach wieder erlange, er sie im Frühling besuchen dürfe. Und er baute darauf, daß das geschehen würde, »denn nie noch hatte ihm das Leben etwas versagt, was er aus tiefstem Herzen gewünscht.« Als sie auf die Übertriebenheit seines Eifers hinwies, erwiderte er, daß er seine Gefühle immer sehr genau analysiere und sich selten dadurch täusche, daß er einer Empfindung größere Bedeutung beilege, als sie besitze. Er hatte nie vorher einen Freund gebraucht; aber sie, die »a deep wonder of a creature war« – sie brauchte er!

Sie sollte sich aber nicht darüber beunruhigen, daß er nicht warten könnte: hatte er sich doch sogar das Vergnügen versagt, nach 50 Wimpolestreet zu gehen, da sie ihm noch nicht erlaubt hatte zu kommen! Als sie in einem Briefe davon spricht, wie heiß sie sich vom Leben fortsehne, antworte er: gerade jetzt müsse sie darin verweilen, da sein Fuß schon auf ihrer Schwelle stehe! Sie hatte »die Harfe seines Lebens um ganze Oktaven goldener Saiten bereichert«, und er – von dem sie treffend sagte, daß er des Lebens Becher, von Sonne beglänzt, übervoll getrunken – wollte ihr einen Teil seiner Lebensfreude geben, er würde doch noch »doppelt soviel übrig haben, als ihm mit Recht zukäme!«

Sie tauschen ihre Gedanken über die Poesie aus, über ihre Ziele und Mittel, sie teilen sich ihre Arbeitspläne mit, und er wundert sich, daß er ihr gegenüber das aussprechen kann, was er sich noch kaum selbst zu sagen gewagt. Als Elisabeth Barrett schließlich einen Tag für seinen Besuch festsetzt, ist sie so von ahnungsvoller Unruhe und von der unbewußten Furcht erfüllt, daß er sich in den Erwartungen, die er sich von ihr gemacht, getäuscht fühlen könnte, daß ihre Tränen strömen, während sie den Brief schreibt. Sie bittet ihn eingedenk zu sein, daß »ihr bestes Ich in ihrer Dichtung sei; persönlich sei sie nichts, nur eine Wurzel, die tief unten im Dunkel wachse!« Sie fühlte, daß seine Briefe sie ergriffen hatten wie die keines anderen, und darum hatte er bloß ein Wort zu sagen gebraucht, daß sie ihm das persönliche Zusammentreffen versprach, welches andere durch die größte Beredsamkeit nicht zu erreichen vermochten. Aber sie erwartete bewußt keine andere Folge seines Besuches als das Glück einer vertrauteren Freundschaft, durch welche sie noch mehr Anteil an seinen geistigen Schätzen haben würde, die ihr – besonders bei seinen jungen Jahren – erstaunlich schienen. Sie fand, daß er nicht nur eine ungeheure Erfahrung des äußeren wie des inneren Lebens hatte – Bücher, Kunst, Musik, Menschen und Welt – sondern daß er neben seiner umfassenden allgemeinen Bildung auch gründliche Kenntnisse auf mehreren ungewöhnlichen Wissensgebieten besaß. Und ungeachtet alles dessen fühlte sie, »daß er sich nicht über eine Oberfläche verbreitete, sondern aus der Tiefe seiner eigenen Seele arbeitete.«

In beiderseitigen Erwartungen verstrich die Zeit bis zum 20. Mai 1845 – dem Tage, den Browning später seinen wirklichen Geburtstag nennt. Ein paar Wochen vorher war er 33 Jahre geworden, Elisabeth Barrett wurde zwei Monate später 36. Doch von der Krankheit angegriffen, erschien sie älter, wenn man überhaupt an Alter vor diesem unkörperlichen Wesen dachte, von dem Browning später sagte, daß sie ihn damals und immer mit Verwunderung darüber erfüllte, daß sie überhaupt geruhte, auf der Erde zu atmen, daß sie nicht ganz und gar ihr Dasein in der Luft hatte. Das kleine blasse Gesichtchen, das ihm von dem Sofa, auf dem sie lag, entgegenschimmerte, erhielt Licht von der seelenvollen Stirne und eine noch weißere Färbung durch den dunklen Lockenschwall, der den Kopf hinabzubeugen schien und bis tief über die Brust hing. Wenn die schwarzen Augenwimpern sich hoben, verklärte sich das Gesicht durch den wunderbaren Blick der großen, blaugrauen Augen. Den einzigen irdisch kräftigen Eindruck machte die weißglänzende Zahnreihe, wenn hie und da ein Lächeln hervorbrach und den rührenden Ausdruck beherrschten Schmerzes und wehmütiger Milde verwandelte, den die feinen Linien des Mundes gewöhnlich hatten.

Groß war der Gegensatz zwischen dieser – wie sie selbst und die ihr Nahestehenden glaubten – für das ganze Leben ans Haus gefesselten Kranken und dem Manne, mit dem, ihr unbewußt, das Leben und das Glück an diesem Maientag über ihre Schwelle trat. Robert Browning stand eben in der vollen Schönheit seines Mannesalters. Die warme Blässe des Teints, die skulpturalen Wellen des weichen schwarzen Haars, die feingeschnittenen Züge, der bewegte Ausdruck, das sonnige Lächeln machten, daß er oft für einen Italiener gehalten wurde. Die äußerst sensitive Oberlippe und die Augenbrauen; verrieten durch rasche Hebungen und Senkungen jede Seelenbewegung; die herrlichen Augen, zwischen Dunkelgrau und Grün schimmernd, hatten einen Ausdruck, den Elisabeth Barrett gleich »the most serene spiritual« fand, den sie je gesehen. Seine Bewegungen sowie sein Antlitz hatten ein spielendes Leben und den unwiderstehlichen Zauber, den ein in Demut getragenes Glück ausstrahlt. Sein Wesen hatte eine »windhundartige Behendigkeit«, die im Verein mit einer großen Anmut die mittelhohe Gestalt höher erscheinen ließ, als sie war; dazu trug auch eine eigentümliche lauschende Hebung des Kopfes bei. Voll von der Plastik des Südens waren die beredten Handbewegungen, voll von der Musik des Südens die eindringliche, weich klare Stimme, in der dieselbe Intensität vibrierte, wie in der ungemein lebensvollen Hand, deren Druck wie ein elektrischer Schlag empfunden wurde.

Dieser strahlende junge Mann – außerdem Englands größter lebender Dichter – war es, der sie so inbrünstig gebeten hatte, sie – Elisabeth Barrett – besuchen zu dürfen, und der nun um das Glück flehte, in ihre dunkle Krankenstube wiederkehren zu dürfen! Es war nicht zu verwundern, daß sie ihm antwortete, daß die Dankbarkeit auf ihrer Seite sei, wann immer er von seiner sonnigen, strahlenden Höhe in ihre Schattenwelt herabsteigen wolle – dieses in einem Briefe, der schon nach dem ersten Besuche die Antwort hervorrief, in der er ihr sagte: daß seine Liebe und sein Leben ihr gehöre, wenn sie sie annehmen wolle.

Aber wie hätte sie es vermocht, sogleich an jenen Sang des Lebens vor der Grabkammer zu glauben, in der sie sich ebenso fertig mit ihrem persönlichen Dasein fühlte, als wenn sie schon tot gewesen wäre? Sie sah in seinen Worten nur die Eigenart der Dichterphantasie, »ein neues Interesse mit beiden Händen zu ergreifen«, um es ebenso bald zu verlassen, – und sie wollte ihn verhindern, noch weitere unbedachte Worte auszusprechen, die er schon nach einer Woche bereuen würde! Sie bat ihn darum, diesen Gegenstand nie mehr zu berühren, wenn er sie nicht zwingen wolle, – um seiner selbst willen – den freundschaftlichen Verkehr abzubrechen, von dem sie eine Freude fürs ganze Leben erhofft hatte. Diesen Brief beantwortete Robert Browning mit dem – wie er später sagte – einzigen Betrug, den er je gegen sie begangen. Er ließ sie nämlich bis auf weiteres glauben, daß er wirklich zu starke Worte für seine Bewunderung gewählt; denn er fürchtete, daß sie ihm sonst nicht gestatten würde, seine Besuche fortzusetzen. Da sie ihre Antwort nur auf die Rücksicht gegen ihn gegründet hatte, sah er den Edelmut ihrer Motive ein und war es zufrieden, ihr nur in der Eigenschaft anzugehören, die sie gestattete, sicher, sie in Zukunft von dem Ernst seiner Gefühle überzeugen zu können.

Brownings Biographen haben angedeutet, daß seine leidenschaftliche und tief erotische Natur ihn zu verschiedenen Verhältnissen geführt habe, bevor er Elisabeth Barrett kennen lernte. Er selbst indessen wiederholt ebenso nachdrücklich wie unaufgefordert: daß sie seine einzige, erste und letzte Liebe gewesen sei, daß er sie schon in den früheren Neigungen, die ebenso rasch gingen als sie kamen, geahnt, und daß, bevor er sie gesehen, nie ein menschliches Wesen seine Seele erfüllt oder befriedigt habe. Junge Damen vermochte er nicht anziehend zu finden, und überhaupt waren ihm die Frauen nicht besser erschienen als er selbst, was ihn eben verhindert hatte, sie zu lieben, »denn nur über sich selbst hinaus kann man lieben.«

Aber nun stand er – der Forscher in der Tiefe der Seelen – endlich vor einer großen Frauennatur, und hingerissen, wie dürstende Erde den Regen, trank er dieses Wesen, das für ihn »the masterpassion of life« zu einem Erlebnis machte, vollkommener als alle seine Träume. Und er stand da als einer, der nicht die Feinheit seines eigenen seelischen Bewußtseins abgestumpft, nicht die Identität zwischen seinen Idealen und seinen Handlungen aufgehoben hatte. Mit regem Bewußtsein hatte er in großen wie in kleinen Dingen auf seine Impulse geachtet und seine Erlebnisse gewählt, so daß die einen wie die anderen seine Seele vergrößert und seine Instinkte geschärft hatten. Darum entging er jetzt dem Schicksal, das so vielen anderen Dichter- und Denkernaturen zu Teil geworden: große Worte von den großen Gefühlen und den großen Menschen gesprochen zu haben, aber, blind an dem Ausnahmemenschen und dem Ausnahmeschicksal vorüber gegangen zu sein, wenn sie ihnen in Wirklichkeit begegneten. Oder auch, daß ihnen selber, wenn sie sie sahen, der Inhalt fehlte, ihre großen Worte im lebendigen Leben auszufüllen. Keine der berechtigten Befürchtungen oder der kleinen Klugheitsrücksichten, die in einem Fall wie diesem die Mehrzahl der Männer unschlüssig gemacht hätten, hinderte Browning, sich mit der ganzen Fülle und Kraft seines Wesens seiner Liebe zu diesem gebrechlichen Geschöpf hinzugeben, das er – als er zum ersten Male sein Gefühl gegen sie aussprach – zu so unheilbarer Kränklichkeit verurteilt glaubte, daß er meinte, er würde sie nie stehen, sondern für immer an ihr Ruhebett gefesselt sehen! Und keines ihrer zahllosen Bedenken und Zweifel konnte je seine Auffassung ihrer Natur beirren, in der er gleich den tiefsten Grund sah: die kinderklare, von aller Weltlichkeit reine Einfalt, die meerestiefe, pfeilgerade Intensität – die Intensität einer mittelalterlichen Heiligen – Züge, die gerade die Einsamkeit bewahrt und vertieft hatte. Er ahnte, daß der Reichtum ihres Gefühls gleich einer taufrischen, wenn auch noch nicht vollgerundeten Traube unter dem Blätterschatten der Abgeschiedenheit verborgen lag und daß die Spannkraft ihrer Glücksmöglichkeiten nur durch die Verhältnisse, nicht durch ihr eigenes Temperament niedergedrückt war. Sie selber hatte nie eigenwillig die Hand vor einer Gabe des Lebens verschlossen, und keine bitteren Erfahrungen hinderten sie, sie allezeit vertrauensvoll den Menschen entgegenzustrecken. Die Krankheit, die den Körper gebrochen, hatte die hocherhobene, aufrechte Seele nur um so fester zusammengeschlossen. Strahlend rein von Schein und Trug, mit stahlhartem Willen bei jedem Entschluß, mit blitzschnellem Unwillen, wo sie tief mißbilligte, hatte sie im Alltagsleben einen feinen Humor, eine gleichmäßige Weichheit, eine duldsame Milde, eine ehrliche Anspruchslosigkeit, die gerührt die kleinste Freundlichkeit entgegennahm. Ihre natürliche Heftigkeit zeigte sich nur als heißer Eifer für ein Interesse, als rascher Schwung des Impulses, als naive Rückhaltslosigkeit in Fällen, in denen andere Weltklugheit entfalten. Vom Künstlertemperament hatte sie das Feuer und die Stärke der Empfindung, doch nicht die männliche Schwäche, die Werte des Daseins – vor allem der Menschen – nach ihren eigenen Stimmungen umzuwandeln. Sie war auch ganz frei von der Geneigtheit des Kranken – und des Dichters – das Dasein um die eigenen befriedigten oder unbefriedigten Ansprüche an dasselbe rotieren zu lassen. Sie besaß im Gegenteil eine große Gerechtigkeit, auch in ihrem Urteil über Handlungen, die sie selbst verletzt hatten. Die bescheidene Ehrlichkeit und Festigkeit, mit der sie ihre individuelle Freiheit schützte, gab ihr überdies eine edelmütige Auffassung der Äußerungen anderer, von ihrer eigenen abweichenden Naturen. Die herbstlich klare, stille Luft, die sie umgab, war von allen persönlichen Wünschen, von aller heißen Unruhe des Lebens geläutert. Aber Robert Browning sah dessen ungeachtet, daß diese Frauenseele noch weiß erglühen konnte. Und in der Erwartung dessen harrte er in wortlosem Entzücken vor den wunderbar vollkommenen Linien dieser Psyche, deren Schönheiten gerade die waren, die er bei jeder Seele am höchsten geschätzt und die ihn nun mit derselben unauslöschlichen Leidenschaft erfüllten, wie sie bei gewissen anderen Männern die sinnberauschende Schönheit erregt. Aber auch jeder Zug der äußeren Erscheinung bezauberte ihn und wurde unauflöslich eins mit der Liebe zu ihrer geistigen Gestalt. Er erzählte ihr nachher, daß er in dieser Zeit manchmal früher von ihr gegangen sei, nur aus Sehnsucht nach dem Augenblicke, wo er ihre kleine, durchsichtige Hand mit der seinen fassen durfte. Sie wieder gestand später, daß er sie, nachdem er einmal gekommen war, nie mehr verlassen habe, denn sie behielt immer die Empfindung seiner Gegenwart; sie fühlte, daß er eine Macht über sie besaß, von der er Gebrauch zu machen gedachte und daß sie nicht anders würde atmen oder sprechen können, als er wollte; ja daß er alle ihre Gedanken lesen konnte so wie er seine Zeitung las! Wohl hatten ihr in ihrer Jugend andere Männer von Liebe gesprochen, und solche Worte waren auch in ihre jetzige Einsamkeit gedrungen, aber nie hatten sie auch nur den Spiegel ihrer Seele gekräuselt, – die jetzt in ihren Tiefen aufgewühlt wurde.

Browning zeigte in seinem Wesen eine strenge Selbstbeherrschung; er wollte nicht »gewinnen«, was für ihn nur als freie Gabe seinen vollen Wert besaß. Er haßte das Wort »Eroberung«, sowie den aus diesem Begriff entsprungenen weiblichen Instinkt, die Gefühle zu verbergen und den Mann durch gespielte Kälte anzustacheln; »das«, sagt er, »was die Männer noch echte Weiblichkeit nennen, was aber ich ganz einfach Tierheit nenne«. In jedem Briefe und bei jedem Besuche brachte er ihr jene stillschweigende Liebeshuldigung dar, die für ein echtes Weib stets rührend ist und von diesem lebensberauschten Glücksprinzen doppelt bezaubernd war.

Als er sich wieder behutsam an die Zukunftsfrage wagt, wird er wohl angehört, findet aber nicht gleich Glauben. Der Übergang von schwarzer Nacht zu strahlender Sonnenglut war noch zu plötzlich. Sie schließt geblendet die Augen und quält sich selbst und ihn dadurch, daß sie die Wirklichkeit nicht sehen kann. Ihre natürliche Anspruchslosigkeit war krankhaft gesteigert durch ihre lange Isolierung, während der sie für andere so wenig sein konnte und durch die sie sich gewöhnt hatte, von ihnen auch nichts zu erwarten. Aber vor allem war die große Demut, die immer Hand in Hand mit der großen Liebe geht, bei ihr so stark, daß sie unnatürlich erscheinen würde, wenn sie nicht durch das Gefühl eines ungeheuren Gegensatzes zwischen einer hilflosen Kranken wie ihr und einem jungen Gotte wie ihm verständlich wäre. Auf seine lichte Bahn konnte sie nicht ihren Schatten fallen lassen. Keiner spricht noch sein Gefühl aus, doch es spricht aus allem. Sie liest die Manuskripte seiner Gedichte, und er bittet sie, ihn das Geheimnis der auserlesenen Musik ihrer eigenen Lyrik zu lehren, denn er – der einst darin geschwelgt, dem Geschmack anderer zu trotzen – konnte nun an seinen eigenen Gedichten keinen Gefallen finden, wenn sie es nicht tat! Sie antwortet, daß sie ein geborener hero-worshipper sei und es bleiben möchte; darum will sie ihn auch nichts lehren, nur von ihm lernen, zu ihm aufsehen und ihm in jeder anderen Weise dienen. Das einzige, was sie ihn lehren könne, sei der Schmerz – also gerade das, was sie ihm am allerwenigsten zugänglich machen wollte! Er versichert sie, daß ihre Poesie ihm umsoviel mehr wert ist als seine eigene, daß er sich wegen der Zeit beunruhigt, die sie ihrer Arbeit raubt, um sie ihm zu schenken, während er hingegen gerne seine Manuskripte ins Feuer werfen würde, wenn sie es brauchte, um ihre Fingerspitzen warm zu halten! Er erinnert sie an ihr Versprechen, jede sonnige Stunde zu benützen, um ihre Kräfte zu stärken, aber er bittet sie, ihm nicht – wie sie auch versprochen – eines Tages plötzlich entgegen zu gehen, denn dann könnte er nicht für das einstehen, was er in seiner Freude beginnen würde!

Robert Browning sagt von sich selbst, daß er nicht nur jedes seiner Gefühle genau geprüft habe, bevor er es benannte, sondern daß er auch sehr wählerisch in den Ausdrücken für seine Gefühle gewesen sei, damit die Worte nicht größer seien als die Gefühle. Auch ist der Gegensatz zwischen seiner komplizierten Dichtersprache und seinem Briefstil auffallend: die treuherzige, knappe Schlichtheit des letzteren erweckt einen tieferen Eindruck echten Gefühls als die größten Beredsamkeitsausdrücke es vermocht ten. Als Dichter vergleicht er sich mit gutem Grunde mit dem Leuchtturm, der bald aufstrahlt, bald im Dunkel verschwindet. Als Liebender gab er hingegen eine Sonnenflut, die nie auch nur durch eine einzige Stimmungswolke verdunkelt wurde.

Da keine Umschreibung dem Gefühle gerecht werden kann, das aus beider Briefen spricht, will ich jetzt – in starker Zusammenziehung und freier Gruppierung – einen Teil ihres schriftlichen Austausches mitteilen.

Als Browning gegen Ende des Sommers 1845 entschlossen und offen das einmal verbotene Thema wieder aufnahm, schrieb er:

Ich glaube an Sie, absolut und ganz. Aber ich glaube auch, dass, als Sie mich das erste Mal baten, über diesen Gegenstand zu schweigen – und ich schwieg – Sie doch wissen konnten, welche Selbstbeherrschung ich mir auferlegen musste, um weiter so zu sitzen und zu sprechen und zuzuhören, wie ich es tat. Lassen Sie mich Ihnen nun – dieses einzige Mal – sagen, dass ich Sie schon damals aus ganzer Seele liebte und Ihnen mein Leben gab, so viel davon, als Sie nehmen wollten. Dies ist schon geschehen und lässt sich nicht ändern; das war und ist noch immer ganz unabhängig davon, ob Sie mein Gefühl erwidern. Die Freundschaft, die Vertrautheit, die sie mir schon jetzt gestatten, ist die tiefste, grösste Freude meines Lebens, und ich bin gewiss, dass sie das ganze Leben hindurch andauern wird, da ich weiss, dass ich niemals vorsätzlich Ihr Missfallen erregen kann, und was ich unabsichtlich fehle, werden Sie in Ihrer Güte verbessern. Wären Sie wie andere Frauen, die ich gekannt habe, so würde ich mehr sagen. Aber mein erstes und letztes Wort ist: dass ich an Sie glaube und weiss, dass Sie mir das, was Sie mir geben können und wollen, schlicht und edel geben werden – und wie ferne diese Möglichkeit auch sein mag, sehe ich doch in ihr mein höchstes Glück ...

Sie antwortet, daß sie ihn deshalb so rasch gebeten, zu schweigen, damit er sich nicht später durch übereilte Worte gebunden fühle. Sie hätte um seiner und um ihrer selbst willen an der Möglichkeit einer Änderung seiner Gefühle festhalten müssen. So wie kein Wesen jetzt in ihren Augen höher und reiner stehe als er, so könne er überzeugt sein, daß auch an dem Tage, an dem er ihr sagen würde, daß seine Liebe aufgehört habe, er ebenso hoch dastehen und ebenso ihr Freund bleiben würde. Sie fährt fort:

Ihre Handlungen sind von den grossmütigsten Impulsen bestimmt gewesen, aber Sie haben doch das leichtere Loos gehabt, denn für eine grossmütige Natur ist aller Edelmut leicht. Aber meine Aufgabe war schwerer, und ich bin wieder und wieder unter ihr zusammengebrochen, was auf Sie einen Eindruck von Wankelmut machen musste, der Ihrer – und unser beider – unwürdig war. Doch war es nur gerecht, dass Sie an mich glaubten. Wenn Sie auch das Recht haben, einen für Ihr Glück gewagten Schritt zu tun, so habe ich doch nicht das Recht, Ihnen zu gestatten, Ihr Leben zu vernichten ... Ich glaubte, dass Ihr edelmütiger Impuls bald vorübergehen würde. Es rührt mich tief, dass er angedauert hat. Aber Sie sind ein Mann und können sich daher unbewusst über die Stärke Ihres Gefühls täuschen, und es wäre segensreicher für Sie, wenn Sie fänden, dass dies der Fall war ...

Keine unwürdigen weiblichen Motive könnten mich – darin haben Sie Recht – hindern, Ihnen zu sagen, was Sie ein Recht haben zu hören – aber alles, was ich sagen könnte, würde Ihnen Schaden tun! Ihr Leben, wenn Sie es mir gäben, würde durch mich von einer Unruhe und Sorge erfüllt werden, zu der Sie nicht geschaffen sind, und was könnte ich Ihnen geben, das zu geben nicht unedel wäre?

In dem Briefe, mit dem er diesen beantwortet, sagt er unter anderem:

Ich weiss, so gewiss jemand etwas wissen kann, dass, wenn Sie mich mein Leben zu dem Ihren machen lassen, mir erlauben, mein Leben durch die Vereinigung mit Ihrem zu erhöhen, Sie mich unsäglich glücklich machen würden ... Ich schliesse nun. Denn selbst wenn ich überreden könnte, wollte ich es nicht. Ich vertraue ganz auf Sie ... Was Sie mir auch zu sagen haben, Ihre Freundschaft verbleibt mein Glück und mein Stolz. Selbst wenn Sie mir sagen, dass Sie einen anderen lieben, wird es mein Glück und mein Stolz verbleiben, Ihnen auch in dieser Beziehung zu dienen – soweit ich kann ...

Darauf erwidert sie, daß sie nicht begreift, wie er in einem Atemzug von seinem Vertrauen zu ihr und ihrem möglichen Gefühl für einen anderen sprechen könne. Hätte sie ein solches Gefühl gehegt, dann könnte er ihr mit Recht Mangel an Ehrlichkeit vorwerfen. Und sie fährt fort:

Lassen Sie mich Ihnen nun ein für allemal sagen, dass kein Mann je für mich das gewesen ist, was Sie sind. Und wäre ich selbst eine andere, ich würde Sie mit Freude, Stolz und Dankbarkeit das Glück Ihres Lebens in meine Hände legen lassen. Jetzt kann ich es nur dadurch fördern, dass ich Sie abhalte, sich selbst zu schaden. Ich könnte meinen eigenen Unwert vergessen, in der Hoffnung, dass meine Liebe mich weniger wertlos machen würde. Aber meine unheilbare Kränklichkeit ist das unübersteigliche Hindernis ...

Er antwortet, daß, obgleich er sich selbst nicht gestanden habe, daß er ihre Liebe zu gewinnen hoffte, er doch – von einem unwiderstehlichen Gefühl getrieben, das über Hoffnung und Furcht stehe – bei ihr geblieben sei. Er beuge sich vor ihrer Überzeugung, daß die Hindernisse für den Augenblick unüberwindlich seien, baue aber darauf, daß sie es ihm sagen würde, wenn sie es nicht mehr seien.

Ich stehe, fährt er fort, nicht mehr in meiner ersten Jugend, und schon seit vielen Jahren war ich überzeugt, nie ein Weib lieben zu können – worüber ich mich zuerst wunderte und wogegen ich ankämpfte, aber schliesslich fand ich mich in die Unmöglichkeit und war eher stolz als betrübt darüber. Aber als die echte Liebe – die sich gleich als solche zeigte – sich mir endlich offenbarte, da erschloss ich ihr sofort mein Herz mit einem Jubelruf! Ich fragte nicht darnach, dass sie alle meine Theorien auf den Kopf stellte und die Gemütsruhe störte, die ich für mein Leben errungen zu haben glaubte. Auch fürchtete ich nicht, dass das neue Element dem schaden könnte, das sich schon früher ohne seine Hilfe in mir organisiert hat. Auch habe ich mich nicht der verzeihlicheren Torheit schuldig gemacht, mein neues Gefühl in der gewohnten Weise der Menschen zu behandeln. Ich habe weder gebeten, noch überredet, noch versichert ... Denn ich glaube, dass Sie an mich glauben ... Ihre Zuneigung zu mir ist schon viel – und was das andere betrifft, so werden Sie mich – wenn Sie mir sagen wollen, dass die Hindernisse nicht mehr vorhanden sind – in zehn Jahren, wenn ich am Leben bin, ebenso wartend finden wie jetzt ...

Was die weltlichen Angelegenheiten betrifft, so ist da ein einziges kleines Opfer, das ich freudig für Sie bringen könnte: das Opfer meiner angenehm sorglosen Lebensweise, meiner absoluten Unabhängigkeit, dieses, wonach mein Herz hungern würde und das zu bewahren ich manchen guten Kampf gekämpft. Das leichtsinnig weise Leben, das ich geführt – und mit Absicht geführt – würde ich für niemand Geringeren als Sie aufgeben können! Aber für jetzt genug der Worte! Ich küsse Ihre Hände. Und wollen Sie mein noch unausgedrücktes Gefühl entgegennehmen, so wird mehr und mehr davon ausgesprochen – oder verstanden – werden, wenn wir beide am Leben bleiben. – Sie werden dann besser wissen, was es war, das Ihnen in einem einzigen kleinen Wörtchen gegeben wurde ...

Und in einem späteren Brief:

Mein Wunsch im Leben ist, etwas von dem leben und schreiben zu können, was in mir ist, um so »meine Seele zu erretten«. Ich würde versuchen, das zu tun, selbst wenn ich »unter Löwen lebte« – aber ich würde es am besten tun, wenn ich ruhig mit mir selbst und mit Ihnen lebte ... Und ausser dem unablässigen Trost, der Stärke und der Aneiferung, die Sie mir dabei sein würden, wäre es mir auch ein besonderes und unerwartetes Glück, die Zeit, in der ich nicht arbeitete, dazu zu brauchen, Sie mit Liebe zu umgeben.

Als der Briefwechsel diesen Punkt erreicht hatte – Ende September 1845 – trat ein Ereignis ein, das entscheidend wurde. Infolge des gebesserten Gesundheitszustandes Elisabeth Barretts hatten ihr ihre Ärzte und einige Freunde vorgeschlagen, den Winter im Süden zu verbringen, ein Vorschlag, den sie für ihr eigen Teil – aber besonders Robert Brownings wegen – mit Eifer aufnimmt. Indessen diese Idee fand beim Vater denselben eisernen Widerstand wie jeder andere Versuch der Kinder zu persönlicher Bewegungsfreiheit. Da Elisabeth Barrett ökonomisch unabhängig war – sie hatte ein Einkommen von 4–500 Pfund – konnte der Vater ihre Reise nicht hindern, aber er erklärte, ohne Gründe anzugeben, daß sie in allerhöchstem Grade gegen seinen Willen geschehe. Sie hielt jedoch an ihrem Plane fest, aber die Schwierigkeiten mit dem Vater verzögerten die nötigen Maßnahmen, und da sie nicht beizeiten fortkommen konnte, war sie genötigt, den Winter über in England zu bleiben.

Aus Anlaß dieses Vorgehens ihres Vaters schrieb Robert Browning ihr einen Brief, der dasselbe individualistische Glaubensbekenntnis enthielt, das er früher – und lange vor Ibsen – in die Worte

no man is strong, before he stands alone

zusammengefaßt hatte.

Er sagte ihr, daß nach seiner Meinung jeder Mensch, der sich unter eine äußere Autorität beuge – sei es die eines Individuums oder die einer Kirche – seine menschliche Aufgabe verfehle, die darin bestehe, nach seiner eigenen besten Überzeugung zu handeln. Elisabeth Barrett habe infolgedessen nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, unabhängig vom Vater ihre Entschlüsse zu ihrem eigenen Besten zu treffen. Browning erklärt, daß, als er sie das erste Mal gebeten habe, sein Leben zu teilen, er sie für unheilbar krank und noch dazu für ökonomisch vom Vater abhängig gehalten habe, so daß er sich gleich seine Selbstsucht vorgeworfen habe, sie den Gefahren einer ungewissen Zukunft auszusetzen. Aber da er nun durch sie selbst wüßte, daß sie immer genug für ihre persönlichen Bedürfnisse besitzen würde, während er überzeugt sei, für seine eigenen sorgen zu können, und er außerdem einen Einblick in die Tyrannei erhalten habe, unter der sie lebe – bäte er sie zu verzeihen, daß er noch einmal zu dem Gegenstande zurückkehre, von dem sie nichts habe hören wollen! Dadurch daß sie unter der väterlichen Gewalt bleibe, sei sie ja verhindert, die Möglichkeiten zu brauchen, ihre Gesundheit wiederzuerlangen, aber durch ihre Heirat würde sie diese Möglichkeiten verwirklichen können ... Und er fährt fort:

Jetzt, wo ich träume, lassen Sie mich dieses einzige Mal weiter träumen! Ich möchte mich schon jetzt mit Ihnen vermählen, und also kommen können, wann Sie es gestatten, und gehen, wann Sie wollen; ich würde nicht verlangen, mehr für Sie zu sein, als einer Ihrer Brüder ... Aber wenn Ihr Kopf schmerzte, könnte ich doch bei Ihnen sitzen! Ich ziehe mit klarem Bewusstsein die Verwirklichung dieses Traumes – eine Stunde des Tages bei Ihnen sein zu dürfen – jedem anderen Glück vor, das ich in diesem oder einem anderen Dasein finden könnte. Und doch ist auch dieses vielleicht nur ein Traum!

Dieser Brief – und wie konnte es anders sein? – überwand endlich ihr Zögern. Er ward für sie »ein überreicher Ersatz für ihres Lebens Leiden, die alle in Glückstränen dahinschmolzen.«

Und – fährt sie fort – so muss jedes Weib – das überhaupt fühlen kann – fühlen, wenn sie solche Worte von einem solchen Manne hört ... Sie haben mich tiefer gerührt, als ich es selbst von Ihnen für möglich hielt! Und von nun ab gehöre ich Ihnen in jeder Beziehung, ausser der, die Ihnen schaden könnte ... Wie auch die Zukunft sich gestalten mag: Empfangen Sie jetzt mein Versprechen, das nur Gottes und Ihr eigener Wille aufheben kann. Wenn Er mich in absehbarer Zeit aus den Fesseln der Krankheit löst, dann werde ich Ihnen das werden, was Sie zu jener Zeit selbst wünschen – Freundin oder mehr als Freundin – in jedem Fall eine Freundin bis zuletzt ...

Aber inzwischen sind Sie vollständig frei – ungebunden, wie man es nennt; nicht einmal der Schatten eines Fädchens hält Sie! Und wenn ich nicht wüsste, dass Sie sich dafür halten, wollte ich Sie gar nicht mehr sehen, wie schwer mir dies auch fiele. Sie können mich zwingen anders zu fühlen, aber nicht, anders zu denken, als ich zuerst dachte: dass es am besten für Sie wäre, mich in jeder anderen Beziehung denn als Freundin zu vergessen. Und das, was besser für Sie wäre – könnte das wohl für mich schlecht sein? ...

Er antwortet unter anderem:

Mein Eigen – endlich! Fürchte nicht, dass ich mich »gebunden« fühle! Ich weiss, dass meines Lebens Krone lose auf meinem Haupte ruht – sie ist nicht befestigt – meine Perle liegt in meiner Hand – und ich kann sie dem Meere wiedergeben, wenn ich will ...! Begreife doch, dass mein Leben an deines gebunden ist – du meine erste und einzige Liebe ... Ich bewundere das Bewunderungswürdige, liebe das Liebenswürdige, will von dir lernen, was nur du mich lehren kannst; ich bin so stolz auf so viel, glücklich über so viel bei dir – aber ich komme nicht zu dir, um zu bewundern oder stolz zu sein oder Belehrung zu empfangen – ich komme nur, um mit dir zusammen zu leben, mit dir zu sein – und das ist Liebe! – Das andere weiss ich. Ich kenne den ganzen Reichtum deiner Eigenschaften, aber die kann ich auf manche andere Weise erreichen; ich habe ja deine Bücher, deine Briefe, du könntest meine Fragen beantworten, selbst wenn ich in Pisa wäre! Nun wohl: all dieses, was ich habe, wäre mir nichts, wenn ich nicht bei dir sitzen und dich sehen könnte ... Über die wirkliche Art meines Gefühls habe ich dir weniger als nichts gesagt – ja hätte ich selbst »ungebunden« bleiben wollen und mich nicht durch Worte blosstellen, die ich dann nicht einlösen könnte, ich hätte nicht viel anders handeln können, als ich jetzt gehandelt habe ... Freilich schliesst ein Wort alles ein ... Aber ich habe nicht gesagt und will auch jetzt nicht sagen, was du einmal erfahren sollst ...

Doch hatte sie zu lange in Hoffnungslosigkeit gelebt, um nicht neue Ursachen der Unruhe heraufzubeschwören. Er war vielleicht mit dem vorgefaßten Gedanken zu ihr gekommen, jemanden zu finden, den er lieben könnte, und war darum nicht ganz frei, sondern von seinem Vorsatz irregeführt gewesen? Oder seine ritterliche Natur war von ihrem Schicksal gerührt gewesen und nahm nun Mitleid für Liebe? Oder vielleicht hatte ihn seine Bewunderung ihrer Dichtung, seine intellektuelle Sympathie irregeleitet? Sie versucht ihn zur Selbstprüfung in allen diesen Richtungen zu bewegen und bittet ihn, ihr das Resultat ohne alle Rücksicht auf sie mitzuteilen. Er hatte ja ihr armes Leben schon reich genug gemacht; er wußte ja, wie es gewesen, bevor er durch die Pforten ihres Kerkers schritt? Sie fährt fort:

Von all meinen Briefbündeln von Menschen, die mir Freundlichkeiten geschrieben, weil ich ein Weib bin und gedichtet habe, habe ich nie für mein persönliches Leben so viel Sonne gehabt, wie mein Hund braucht, um seine Schnauze zu wärmen ... So arm bin ich gewesen, dass ich geschmeichelt und dankbar war, wenn er meine Gesellschaft der anderer vorzog ...

Er wird nie müde zu antworten – so oder ähnlich:

Ich liebe dich, weil ich dich liebe; ich treffe dich einmal in der Woche, weil ich nicht den ganzen Tag bei dir sein darf; ich denke an dich den ganzen Tag, weil ich es nicht um eine Stunde weniger tun kann! ... Glaubst du, dass ich, bevor ich dir begegnete, herumging und ausfindig zu machen suchte, wen ich wohl in Gestalt einer Frau verschlingen könnte? Glaubst du, dass ich auch nur von einer Ehe träumte? Gab es denn überhaupt eine Wahrscheinlichkeit, das zu finden, was ich finden wollte? Dieses Land bringt ein sehr geringes Kontingent Shakespearescher Frauen hervor! Was im übrigen das Glück betrifft, das du verhindert haben solltest, so kannst du es doch nicht für einen Augenblick mit weltlichen Augen sehen und an Reichtümer und dergleichen denken? Was findest du also in deinem Gedankenflug nach »meinem Besten« anderes als gerade – dich selbst? ... Du wirst nie bei mir dem Egoismus begegnen, den so viele Frauen und Männer grosse Leidenschaft nennen, den Egoismus, der sagt: »Werde mein, wie immer es dir ergehen möge.« Ich glaube, dass wir zusammen Italien sehen werden ... Aber auch vier Wände wären mir mit dir ein unendlicher Raum ... Ich habe wie jeder andere gesunde Instinkte für mein Glück, die sich entwickeln, sowie sie nur die Freiheit dazu haben. Einen Mann z. B., der Reichtum und Ansehen im weltlichen Sinne erringen will, findet man gewöhnlich auf dem richtigen Wege, es zu erreichen ... Damit ich das erreiche, von dem mein Instinkt mir sagt, dass es mein Glück ist, bedarf es jetzt nur des letzten Schrittes – und der ist der leichteste! Denn vor allem war ja erforderlich, dass du geboren werdest, und zwar zu meiner Zeit geboren, und ferner, dass du in Wimpole Street seist und nicht in Timbuktu – und dann, dass eine hohe Hecke um Dornröschens Schloss die ganze übrige Welt ferne hielt, bis ich den Weg dorthin fand ... Und da, gerade als ich glaubte, dass die Schwierigkeiten beginnen würden, war ich schon ein grosses Stück vorwärts gekommen ...! Denn wenn du auch fortführest, mir schlecht und recht so viel Platz zu geben, dass ich nur in deiner Nähe stehen könnte, sei überzeugt, dass ich dort bliebe! Ich habe ja auf jeden Fall die Erinnerung an dich, das Bewusstsein von dir, den Begriff Du in mein Herz und mein Hirn eingeprägt – und davon kann ich mein ganzes Leben lang leben. Aber es steht dir wohl an, du ganz Edelmütige, mir mehr zu geben, viel mehr als das nackte Leben – du kannst mein Leben erweitern und es vertiefen – wie du es schon tust, und immer tun wirst. Wie ich dich liebe, wenn ich an die volle Ehrlichkeit deiner Gabe denke – wie edel du gabst, als du einmal gewillt warst zu geben! Glaubst du, dass ich nicht gesehen, wie kleinsinnig auch liebende Frauen ihre Gaben schenken? Ich will nicht einmal versuchen zu ergründen, wie viel solcher unedler Zusätze deiner Liebe reines Gold mich ertragen lassen könnte. Denn ich bekam sie ja nun als unvermengtes Gold – um mein Glück zu vervollkommnen! ... Ich habe glücklicherweise nichts »erobert« (oh, das verhasste Wort und der französische Gedanke) ... Zu sagen, dass ich mit Freuden für dich sterben könnte, ist wenig: ich hoffe, ich könnte noch für zwei, drei andere Menschen sterben. Aber ich weiss keine einzige Beziehung, in der ich dir nicht bedingungslos mein ganzes Ich hingeben wollte – auf dass du es brauchest oder nicht brauchest. Das kann nicht ausgesprochen werden – lass mich den Beweis leben, Geliebte! ... Wenn ich daran denke, mit dir leben, mit dir altern zu dürfen, dann sehe ich selbst in der Nacht Licht, soweit ich hineinblicken kann ... Seit ich dich liebe, weiss ich, dass, wenn die Ehe nicht erfunden wäre, ich sie unfehlbar jetzt erfunden hätte ... Keine Worte, keine Gefühle können der Gewissheit meiner Seele, meiner Religion gerecht werden! Wenn auch ein Moment meines Gefühls mich in der einen Minute ganz erfüllt, so wird gerade die Leidenschaft und Fülle des Gefühls in dieser Minute ein Unrecht gegen die anderen nicht vertretenen Momente, gegen die Tiefe und Weite meiner Liebe in einem anderen Augenblick! Und darum muss ich mein ganzes Leben dazu verwenden, um zu beweisen und anschaulich zu machen, wenn nicht in der einen, so in der anderen Weise – und ich muss die einfache, greifbare Macht haben, das zu tun, die ruhige Zeit für all dieses, die die Ehe giebt ...

Auf ihre Befürchtungen, daß er schon mit dem Entschluß gekommen sei, sich zu verlieben, antwortet er:

Ich hatte wohl eine Ahnung, dass es geschehen würde, aber durchaus nicht den Wunsch. Im Gegenteil hoffte ich, dass das Gefühl, das du mir gleich einflösstest, sich als blosse Sympathie, Freundschaft, Verehrung erweisen würde – aber nicht als etwas, das meinen Plänen, nach Italien zurückzukehren, in den Weg treten würde ...

Und auf ihre Befürchtung, daß sein Mitleid mit der Kranken oder seine Bewunderung der Dichterin ihn getäuscht habe, erwidert er: daß es vom ersten Augenblick das Weib gewesen sei, das durch die Herrlichkeiten, die jeder Brief, jedes Wort, jeder Blick offenbarte, seine Seele, sein Herz und seine Sinne erfüllt habe! Diese Offenbarung sei schon groß genug gewesen, um ihn, selbst wenn er sie nun verlieren sollte, für allezeit reich zu machen. Und ein andermal:

Dass du ein grosses Genie, ein strahlender Stern warst, das wusste und bewunderte ich, bevor du meines Lebens Licht wurdest. Aber nun, da ich alle Schätze deines Wesens besitze, kann ich mich nicht von ihnen abwenden, um dein Genie zu bewundern – obgleich ich von ganzem Herzen wünsche, dass du mich mit der einen Hand emporheben und mit der anderen dich selbst krönen mögest; dass deiner Dichtung Rosenstrauch in seiner ganzen Fülle erblühe ... Dass du deiner eigenen Gaben Wert nicht kennst, ist ein neuer auserlesener Reiz, der dich mir noch teurer macht ... Ich werde ganz und gar von Dankbarkeit erfüllt, wenn ich daran denke, was du bist. Aber diese meine innersten Gedanken sind die einzigen, die du nicht teilen kannst, die Gedanken, die kommen, wenn ich alles wieder erlebe, was du sagst und tust, und versuche, für mich selbst zu ergründen, was es ist, das den Zauber bildet. Du sollst nicht wissen, wie du dich beträgst, um mich hinzureissen; nur damit fortfahren ...! Unter deinen Augen werde ich arbeiten und deinen Beifall erringen können. Ich weiss, dass ich, als du nur die grosse Dichterin warst und nicht mein, dein Lob dem der ganzen Welt vorgezogen hätte. Und nun, wo ich die Dichterin beiseite lasse und du nur – welches »nur« – meine Geliebte bist – mit diesem Haare und diesen Augen und dieser Stimme und diesen Händen und all den Vollkommenheiten, die du mich gestern in meine Arme schliessen liessest – da fühle ich, dass, wenn du keine einzige Zeile geschrieben hättest, wenn du gar nicht »Miss Barrett« wärest, sondern nur mein und mir sagtest: »Ich bin mit dem zufrieden, was du gedichtet hast« ... ich dann doch überglücklich wäre.

Und später:

Deine Unruhe, dass ich dich um deiner Dichtung willen liebe, hat mich veranlasst, am meisten von der Frau in dir zu sprechen – aber besonders deshalb, weil ich sie am meisten liebe. Ich sehe deine Genialität in dem Licht und der Wärme deines Herzens und küsse deine Lippen um ihrer selbst willen, nicht, weil sie singen! Aber dies will nicht sagen, dass ich die Freude an irgend einer deiner Herrlichkeiten verloren habe, wenn ich auch einige vorziehe. Ich könnte mich mit dir einschliessen und für die Welt sterben und fünfzig lange Leben in dem Glück deiner Nähe leben, aber das hindert nicht, dass es mir eine stolze Freude ist, die Welt wissen zu lassen, dass gerade du mich erwählt hast, dass gerade deine Hand mir des Lebens wunderbare Krone reicht ...

Sie antwortet:

Ist es möglich, dass du mich so lieben kannst? Dann gibt es keinen Mangel, keine Qual mehr im Leben, und dann besitzest du mich ganz – bis zu der Grenze, wo ich ein Hindernis für dich werden könnte.

Und nun verspricht sie ihm, daß, wenn sie im Winter fortfährt zu gesunden, sie ihm nächsten Herbst als seine Frau nach Italien folgen wird. Aber in ihrer Überzeugung, daß der Vater diesen wie allen anderen Heiratsplänen seiner Kinder seinen monomanischen Widerstand entgegensetzen würde, verlangt sie, daß ihre Pläne allen tiefstes Geheimnis bleiben, auch gemeinsamen Freunden wie Kenyon. Sie wollte nicht dadurch gemartert werden, von ihm und anderen die Bedenken aussprechen zu hören, die sie selbst klarer als irgend jemand sah. Aber vor allem wollte sie nicht, daß der Vater später jemanden wegen der Mitwissenschaft um ihre Pläne zur Verantwortung zöge oder diese, dadurch daß er eine Ahnung davon erhielte, vernichtete.

Nicht an meinem Willen, nicht an meinem Gefühl, schrieb sie, zweifle ich, nur an meiner physischen Stärke. Diesen Kampf mit meinem Vater zu kämpfen würde mich töten. Bloss dadurch, dass ich einem ähnlichen – zwischen meinem Vater und einer meiner Schwestern – beiwohnte, wurde ich für mehrere Stunden besinnungslos und phantasierte mehrere Tage. Und sein Widerstand würde ebenso hart verbleiben: er sähe mich lieber tot, als dass er nachgeben würde. Auch wenn ich das überlebte, würde er allen mündlichen oder schriftlichen Verkehr zwischen uns verhindern. Ich – die ich ihn von seinen Kindern am meisten geliebt, weil ich den lebendigen Quell im tiefsten Innern dieses Felsens gesehen – weiss nun nach der Art, wie er meine Reise nach dem Süden, die zum Besten meiner Gesundheit dienen sollte, aufnahm, wie wenig er mich doch liebt ... Ich hoffe, dass er nur zürnen, nicht leiden wird ... Ich habe nicht die geringsten Skrupel über meine Pflicht so zu handeln. Ich habe mir immer das Recht über meine eigenen Gefühle vorbehalten, das entschiedenst persönliche aller Rechte, und dies schliesst Grundsätze und Folgerungen von unendlicher Bedeutung in sich. Nun ist die Gelegenheit gekommen, diese Konsequenzen zu ziehen. Und ich werde nie einen Augenblick in der Wahl zwischen meinem Vater und dir schwanken, habe es nie getan. Seit ich angefangen habe, an die Möglichkeit deiner Liebe zu glauben, habe ich auch dein Recht eingesehen ...

Ich habe immer eine Antipathie gegen jene Art heldenmütig-tugendhafter Wesen gehabt, die das, was sie ihre Liebe nennen, dem, was sie ihre Pflicht nennen, aufopfern ... ich höre mit einer gewissen Verachtung diese Beweise der Stärke – oder Schwäche! Man pflegt ja Leute sonst nicht zu rühmen, weil sie ihrer Religion abtrünnig werden, ihre Eide brechen oder ihre Hostien schänden – solange sie noch an ihre Religion und ihre Sakramente glauben! Aber andererseits habe ich es immer völlig verstanden, dass auch die ernstesten und treuesten Männer – und Frauen – sich über ihre Gefühle täuschen und in letzter Stunde zurücktreten konnten, wenn sie die Wahrheit über sich selbst herausgefunden haben. Diese Männer, die mutig die Wahrheit bekennen, sind die männlichsten, und anstatt sie zu tadeln, zolle ich ihnen meine volle Achtung ...

Während sie auf diese und hundert andere Art sein Freiheitsgefühl sichert, deutet sie nicht einmal an, daß sie, indem sie ihm folgt, buchstäblich ihr Leben wagt. Sie schreibt unter anderem:

Nur für dein Glück, nie für das meine, fürchte ich, wenn ich fürchte – und wärest du mir weniger – wäre dein Glück mir nur so teuer wie mein eigenes – würde ich dann wohl beben? ... Aber du brauchst nicht zu befürchten, dass meine Angst einen deiner Wünsche durchkreuzen oder mich hindern wird, zu fühlen, wie viel mehr du für mich bist als die ganze Welt, so wie ich sie jetzt sehe – ja mehr, als was ich in meinen frühesten Träumen die ganze Welt wähnte ... Ich habe zuweilen gedacht, wenn ich nur an mich selbst dachte, dass ich diesen Winter sterben wollte – bevor du dich in irgend einem Betracht in mir getäuscht sähest. Aber weil du besser und teurer für mich bist, als ich es selbst bin, so will ich es nicht, denn ich kann deinen Schmerz nicht wollen, selbst wenn ich glaube, dass dir so der grössere Schmerz erspart bleiben kann, der, dass ich eine Last für dein ganzes Leben werde ... Ich kann, nicht klagend, doch wehmütig und mit tiefer Überzeugung Mme. Staëls Worte gebrauchen: »Ich bin nie so geliebt worden, als ich selbst imstande bin zu lieben«. Das Vermögen zu lieben ist meine grösste Fähigkeit – ich wusste es schon früher. Und obgleich jedes Weib dich lieben müsste, so glaube ich doch nicht, dass irgend eine dich so geliebt haben kann wie ich. Für andere Frauen wärest du das höchste Glück in ihrem übrigen Glück geworden; für mich bist du das ganze Glück ... Vom Grunde eines dunklen Schachtes aus sieht man die Sterne am herrlichsten, und de profundis amavi ... Wenn du mich nun verliessest – weil du es für dich am besten fändest – würde ich doch niemals bereuen, dass ich dich gekannt und geliebt habe – unter keinen Verhältnissen kann ich dahinkommen, um meinetwillen etwas zu bereuen, nur um deinetwillen ... Ich liebe dich mit der grössten Tiefe meiner Natur, mit der ganzen Fülle meines Wesens. – Die ganze Welt ist mir nichts neben dir – und das, was so teuer ist, ist nicht weit davon entfernt, erschreckend zu sein ...! Es will mir scheinen, als könnte nie noch ein Mann für ein Weib das gewesen sein, was du für mich bist. Denn die Fülle empfindet man ja im Verhältnis zu der Leere vorher. Und ich weiss, was hinter mir liegt: die grosse Wüste, bei den Glücksfähigkeiten meiner Natur ein schwarzer, gähnender Abgrund, bevor diese Silberfluten ihn erfüllten! Ist es zu verwundern, wenn ich zu träumen glaube, wenn mein schönster Jugendtraum – durch lange, dunkle Jahre verhüllt – mit einem Male als Wirklichkeit im Sonnenscheine vor mir steht ...? Ja, ich wagte nicht einmal zu träumen, dass, wenn der Mann käme, den ich ganz lieben könnte, auch er mich würde lieben können! Ich habe gesehen, wie wenig das ist, was die Menschen Liebe nennen, und ich habe darum nie gehofft, dass das Grosse, was ich unter diesem Worte verstand, mir zuteil werden würde. Wundere dich nicht darüber, dass ich jetzt nicht dichte! Ich bin in den Anblick meines Sonnenaufgangs versunken, und alle Dichterkronen sind mir gleichgültig neben der Krone, etwas für einen Einzigen zu sein! Begreife, dass ich misstraue – nicht dir, aber dem Schicksal. Wurde jemand je aus einem dunklen Kerker plötzlich auf einen hohen Berg geführt, ohne dass sein Kopf schwindelte und sein Herz erbebte? Und du liebst mich mehr als früher, sagst du? ... Wie soll ich dir je zeigen können, was in meinem Herzen für dich lebt? ... Habe so viel Vertrauen zu mir, du einzig Geliebter, dass du mich ganz einfach für dein Wohl, dein Glück, deine Ziele gebrauchst, ohne einen Gedanken an mich ... Ein seliger Geist, der über das Grab hinaus zurück auf das Erdenleben sieht, kann keine grössere Veränderung finden als ich jetzt ... Was war ich, bevor du kamst, was war die Welt für mich, was war des Lebens Sinn? ... Du hast mir die grösste Gabe gegeben, die eine Menschenseele der andern geben kann: du hast mein Leben erneut ... Ich habe dich unbewusst mein ganzes Leben lang geliebt, das heisst eine Vorstellung von dir. Frauen beginnen ja immer mit einem »Ideal«, das sie dann den Umständen anpassen! Dass du – zu all dem anderen – gerade das ganz bist, was ich geträumt, das scheint mir eine so wunderbare Entschädigung für die Leiden vieler Jahre, dass ich sie als ein allzuviel fürchte ... fürchte, dass du deine Augen öffnen und meinen ganzen Unwert einsehen wirst ... Aber ganz verstehen, was du bist, das kann ich, weil ich niemals falsche Götter angebetet habe, und ich würde dir meine Seele geben, auf dass du deinen Fuss darauf setzest, wenn du dadurch höher stehen könntest! ... Vielleicht musste deshalb mein Leben heimgesucht werden, damit du meine Seele ganz frei finden und sie voller besitzen solltest, als du irgend eine andere, glücklichere besitzen könntest! So wie der Sterbende an den Himmel denkt, so wie Gefangene an die Freiheit, so denke ich an dich ... Sterben, ohne dich gesehen und geliebt zu haben, das wäre gewesen, wie mit verbundenen Augen unter dem Sternenhimmel einherzugehen – fort von ungeahnten Herrlichkeiten ... Und doch, wenn ich fürchte, ein Stein auf deinem Weg zu werden, eine Wolke an deinem Himmel, kann ich sogar wünschen, dich nie gesehen, nie gehört zu haben – und das ist das äusserste Opfer, das ich dir bringen kann, dir, der du für mich mehr bist als das Leben, ja mehr als der Tod, wie der Tod mir erschien, bevor ich dich kannte ...

Sie macht sich zum Vorwurf, daß sie in ihrer zitternden Unruhe es nicht lassen kann, ihn mit ihren Zweifeln zu quälen; daß sie so oft »seine Blumen ihren der Blütensträuße ungewohnten Händen entgleiten läßt«. Aber er bittet sie, darin wie in allem anderen nur ganz sie selbst zu sein, nicht um seinetwillen etwas zu verbergen, denn er habe das Recht, ihr Wesen in all seinen Stimmungen zu sehen, und er könne nie genug davon haben:

Ich sehe dich nie objektiv ... Ich atme deine Persönlichkeit mit derselben Notwendigkeit ein, wie die Luft – und du stellst es in Frage, ob ich die Luft entbehren will! Wenn ich eine Unendlichkeit von Leben hätte, ich würde sie alle auf dich bauen. Gerade so wie du bist, bist du für mich immer dieselbe und immer wunderbar neu. Der Gedanke, dass du vielleicht durch das Zusammenleben mit mir in Italien – oder in Nuova Zembla, wenn du lieber willst – etwas für deine Gesundheit, dein Leben gewinnen wirst, etwas, das in irgend einem Masse dem unsäglichen Glück, das ich von dem Zusammenleben mit dir erhoffe, entsprechen kann, das rechtfertigt gleichsam mein unendliches Glück in meinen eigenen Augen. Du förderst und vervollkommnest meinen Lebensplan in jeder Einzelheit ... Ich bedarf deiner, damit die Freude Freude, die Ruhe Ruhe, die Arbeit Arbeit sei ... Ich würde vielleicht einige Zeit Shelley und Beethoven entbehren können, doch niemals dich, denn so mannigfaltig, wie du selbst bist, ist mein Verlangen nach dir ... Als ich anfing dich zu lieben, liebte ich dich mehr als die ganze Welt, nun liebe ich dich mehr als sogar dich selbst, wie ich dich zuerst sah ... Ich habe dich in allem so gefunden, wie ich dich ahnte, und alles, was ich fand, ist vollkommen gewesen ... Vollkommen, vollgerundet, perlrein gabst du mir schliesslich deine Zärtlichkeit ...

Ich könnte all die Eigenschaften aufzählen, die dich der Liebe wert machen, und doch geht mein Gefühl viel tiefer als zu deinen Eigenschaften ... Ich liebe dich ganz einfach, weil ich dich liebe ... Mein ganzes Leben lang habe ich dich unbewusst entbehrt; ich war geschaffen, auf dich zu harren, dich zu finden und für immer dein zu werden ... Und ein ganzes Leben vermöchte nicht meinen Durst zu stillen, dich ganz und ewig in mir einzuschliessen ... Aber es wird vielleicht vieler Jahre des Zusammenlebens bedürfen, bis du von dem Lichte meiner Liebe erreicht wirst, so wie es viele Jahre braucht, bis die Strahlen mancher Sterne zur Erde dringen ... Aber du, deren Natur es ist zu geben, zu segnen und dadurch glücklich zu sein – spürst du nicht selbst die Wärme des Lichtes, das du auf mich ausstrahlst? Wie soll ich dich einst glücklich machen können? ... Deines Wesens göttliche Güte erfüllt mich schon jetzt mit einer Seligkeit, so tief, dass sie beinahe ein Schmerz ist ... Schon von dem, was du jetzt gibst – was meine innersten Herzenssaiten vor Seligkeit erbeben macht – könnte ich leben und auf dich warten bis zu meinem Lebensende ...

Und sie antwortet:

Ich berge alle deine Worte in meinem Herzen so tief, dass kein Perlenfischer sie erreichen könnte ... Du weisst nicht, dass du ebenso unbewusst – ebenso unmännlich – edelmütig bist, wie andere Männer unbewusst selbstisch und unbewusst unedel sind – das heisst, wenn es sich um Frauen handelt ... Du zeigst deinen Edelmut unter anderem dadurch, dass du dich immer selbst als den Empfangenden hinstellst ... Und gerade weil du so verschieden von anderen Männern bist, muss ich dich beharrlich vor mir selbst warnen, während andere Männer genügend von ihrer eigenen Selbstsucht gewarnt wurden ... Aber dennoch fange ich nun an, zu der Möglichkeit, dich einmal glücklich machen zu können, aufzublicken, dort hinter den blauen Hügeln, die – wunderbar genug – mir blauer scheinen, je näher ich ihnen komme ... Am besten beruhigst du mich, wenn du mir sagst, dass du nicht weisst, warum du mich liebst. Denn ich habe immer geglaubt, dass die wirkliche Liebe unvernünftig ist, ohne alle guten Gründe! Und gerade weil dein Gefühl für mich im höchsten Grade unvernünftig ist, glaube ich mehr an seine Wirklichkeit, als wenn du es auf gute Gründe stütztest ... Als ich glaubte, dass du mich um einiger Eigenschaften willen liebtest, wünschte ich immer, dass du klarsehender wärest! Jetzt hingegen macht es mich glücklich, dass du mich gleich liebtest, als du mich sahst, dass deine Augen niemals kalt beobachtend auf mir geruht haben ...

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Diese aus dem ganzen Briefwechsel frei zusammengestellten Zitate zeigen die Goldfäden des Lebensteppichs, der Tag für Tag zusammengefügt wurde. Aber nur der Briefwechsel in seiner Gesamtheit kann die unzähligen feinen Fäden bloßlegen, durch die ihr Dasein sich immer enger zusammenschließt.

Beide sind sie gleich eifrig bestrebt, jede Schattierung der Persönlichkeit des anderen aufzunehmen. Beide zählen ihre Schätze, und besonders führt er genau Buch. So und so viele Briefe; so und so viele Besuche; so lange hat jeder Besuch gedauert, und Ende 1845 kann er die Stunden zu zwei ganzen Tagen zusammenrechnen!

»Und glaube nicht«, schreibt er, »daß ein einziger Besuch mit einem anderen vermischt ist; ich genieße sie alle in der Erinnerung, mit der besonderen Stimmung jedes einzelnen«. Beide grämen sich über die Minuten, die der Zufall ihnen raubt, und bei einer durchgestrichenen Zeile in ihrem Briefe klagt er über die ihm unterschlagenen Goldstücke; sie wiederum ruft aus, daß seine Briefe sogleich Blut von ihrem Blute werden, daß es nie vitalere Briefe gegeben habe, worauf er antwortet: »Doch! deine eigenen.«

In keinem der Briefe ist eine »verfaßte« Zeile: alle sind unmittelbar, gesprochen, planlos, mit der größten Schlichtheit im höchsten Pathos und der zärtlichsten Innigkeit im leichtesten Scherz. Man begreift seinen Vorschlag, daß sie in ihrer Ehe Brieffeiertage abhalten wollen, um sie wieder zu lesen. Er sagt ihr, daß er – der nie eine frühere Freude in seiner späteren verloren – noch nach jahrelanger Ehe dasselbe zitternde Glück wie jetzt bei einem Briefe von ihr fühlen werde. Und sie sagt ihm, daß jeder seiner Briefe für sie eine goldene Lampe sei, die sie in eine der Nischen ihres Tempels stelle, damit sie dort leuchte bis zu ihres Lebens Ende!

Beide sind in gleich seltenem Grade tief und einfach in ihrem Gefühlsleben. All die erotischen Verwickelungen, die in seichteren oder zusammengesetzteren Naturen hervorgerufen werden, waren ihnen unbekannt. Das klare Licht des vollkommenen Vertrauens wird nie von einem Schatten der Herrschsucht, des Mißtrauens, der Grausamkeit oder Eifersucht verdunkelt. Jede Möglichkeit eines Mißverständnisses, jeder Schatten einer Verstimmung wird von beiden mit der raschesten Aufmerksamkeit erfaßt und mit dem zärtlichsten Eifer beseitigt. Jeder begegnet jedem Wunsche des anderen mit offenen Armen, und jedem Liebesbeweise auf den Knieen. »Nur die höchste Stärke ist vollkommen gut« – dieses tiefe Wort Elisabeth Brownings gilt auch von dem erotischen Gefühl. Solange dieses schwach ist – das heißt einen Rest von Brutalität oder Weltlichkeit enthält – ist es ein Nachtkampf, der die Güte ausschließt. Wenn es hingegen, wie hier, seine höchste Stärke erreicht hat, schließt es auch die vollkommenste Güte in sich.

Das Inhaltreiche ist nicht hochtrabend, und man findet auch nichts Geschraubtes in ihren Briefen. Es ist beiden eine ernste Freude zu finden, wie in den tiefsten Fragen der eine die Gedanken des anderen ausspricht. Aber es ist ihnen auch eine lächelnde Freude, daß sie, während ihre Freunde glauben, sie behandelten auf Griechisch hohe Themen, statt dessen mit allen weisen Kindereien der Liebe beschäftigt sind. Sie tauschen Ringe und Haarlocken. Er klagt, daß sie seit ihrer ersten Begegnung nie ihre Wimpern erhoben habe, und bittet sie, ihm wenigstens einmal zu gönnen, ihren Blick wiederzusehen! Er erzählt, daß sein Vorname für ihn verwandelt sei, seit sie ihn einmal damit angesprochen habe. Sie bezweifelt, daß sie das getan haben könne, »denn du bist für mich nur ER gewesen, der einzige, vor dem alle Namen still zu Boden sinken«. Er antwortet: »Noch höre ich den Laut meines Namens mit deiner Stimme tief unter allen anderen irdischen Lauten! Ich vergesse nie eine kleinere Gabe über einer größeren, und wie viele Perlen sich auch in meinem Becher lösten, fühlte ich doch des ungemischten Trankes erste Frische!« Dann taucht hie und da Robert – ein für sie »ganz weißer, bis dahin nie gebrauchter Name« – scheu in ihren Briefen auf, während er in jeder Weise mit ihren Kosenamen spielt und schmeichelt.

Zwischen den Kindereien liest sie das Manuskript seiner beiden neuen Teile von Bells and Pomegranates, Dramatic Romances and Lyrics 1845, und Luria, a soul's tragedy 1846. in denen sie mit Recht reason and passion and plaster power findet. Er errang auch damit seinen ersten großen Erfolg nach Pippa Passes.

Über den ersten Teil schrieb Landor an Browning:

Shakespeare is not our poet, but the world's,
Therefore on him no speech! and brief for thee,
Browning! Since Chaucer was alive and hale
No man has walked along our roads with step
So active, so enquiring eye, or tongue
So varied in discourse. But warmer climes
Give brighter plumage, stronger wing: the breeze
Of alpine heights thou playest with, borne on
Beyond Sorrento and Amalfi, where
The Siren waits thee, singing song for song »Shakespeare ist unser Dichter nicht, er gehört der Welt; daher kein Gerede von ihm, und wenig über dich, Browning! Seit Chaucer lebte und webte, ist kein Mann unsere Wege gegangen so rüstigen Schritts, so forschenden Auges und mit einer so tönereichen Zunge. Doch wärmere Himmelsstriche verleihen glänzenderes Gefieder, stärkere Schwinge: du spielst mit der Luft der Alpenhöhen, während es dich hinausträgt bis über Sorrent und Amalfi, wo deiner die Sirene harrt, die Lied um Lied singt.«

Die letzten Zeilen wurden dann oft von Browning Elisabeth Barrett gegenüber als eine unbewußte Prophezeihung ihres künftigen Lebens angeführt.

Neben Landors Gedicht – das Browning dadurch erwiderte, daß er ihm Luria widmete – bekam Browning nun eine Menge enthusiastischer Briefe und Kritiken, die Elisabeth Barrett bittet sehen zu dürfen, weil sie »ihn nicht nur in ihrem Allerheiligsten anbeten will, sondern auch im Tempelvorhof mit den anderen«. Und je mehr diese ihm huldigen, desto mehr wundert sie sich, wie sie ihm alles sein könne, während er ihr versichert, daß sie nicht nur »sein wirkliches Publikum sei, sondern auch, wenn er sie in die Arme schließe, sein wirklicher, greifbarer, bewiesener Erfolg«. Er schreibt:

Mein Leben, meine Dichtung gaben mir nichts, bis du mein Leben und meine Dichtung fandest und beide segnetest ... Mit deiner Hand in der meinen wird alles besser werden ... Aber über dich kann ich nicht dichten. Hätte ich nie zuvor die Sprache der Poesie gebraucht, würde ich sie erfunden haben, um zu dir zu sprechen! Nun aber werde ich gerade durch meine frühere Verwendung dieser Sprache davon abgehalten: ich will nicht, dass ein einziges meiner Worte für »nur Poesie« genommen werde.

Die Briefe und die Besuche – obgleich die ersteren oft ein paarmal im Tage kamen und die letzteren nun ungefähr dreimal in vierzehn Tagen stattfinden und bis zu drei Stunden ausgedehnt werden – erscheinen beiden immer unzulänglicher, je mehr Elisabeth Barretts zurückkehrende Kräfte die Möglichkeit eines vollen Zusammenlebens eröffnen. Sie hatte damit begonnen, in ihrem Zimmer herumzugehen, dann hinab in das untere Stockwerk, dann fuhr sie aus – und sah die für sie neuen Bilder einer Eisenbahn und London bei Gasbeleuchtung. Endlich konnte sie ihren Wagen verlassen und einige Sehenswürdigkeiten besichtigen, aber vor allem genoß sie immer häufiger die so lange entbehrte Freude, im Grase herumzugehen und in dem grünen Schatten der Bäume zu stehen. 1846, im Mai – den Browning seinen Glücksmonat nannte – konnte sie ihm den ersten Zweig schicken, den sie selbst gepflückt, als Gegengabe für all die Blumen, die er ihr gebracht hatte.

Während des Sommers werden sie immer mehr dadurch beunruhigt, daß ihre Brüder, Mr. Kenyon und andere Freunde anfangen, Verdacht zu schöpfen. Beide quält außerdem die Verstellung, die ihrer Natur so schlecht ansteht. Robert Browning fühlte, daß »sein unschätzbarer Edelstein an einem Haar über einem Abgrund hing«, und wußte überdies, daß nur das Zusammenleben die Unruhe, die sie für sein Glück hegte, stillen konnte. Als er wieder von Heirat spricht, redet sie von einem abermaligen Aufschub. Er antwortet:

Gewiss möchte ich lieber ein Leben wie das des letzten Jahres trotz all seiner Halbheit leben, als irgend ein anderes Glück, eine andere Liebe oder Ruhm erringen, an dem du keinen Teil hättest; ja, ich möchte den Schmerz, dich zu entbehren, nicht gegen irgend ein erdenkliches Glück ohne dich eintauschen ... Willst du also zu deinem Besten einen Aufschub, dann warte ich gerne noch zwanzig Jahre, wenn wir nur wenigstens jetzt getraut werden, so dass ich an dein Krankenbett kommen kann, wenn es nötig sein sollte ... Schlägst du aber den Aufschub um meinetwillen vor, dann will ich dir sagen, dass ich in einer kaum erträglichen Unruhe und Überreizung lebe und dass ein unnötiges Wartejahr unleidlich wäre – denn ich liebe dich und bin nicht von Stein ... Was früher ein Fest war, ist jetzt Hungern, so wächst mein Verlangen nach dir ...

Sie antwortet, daß sie die Verschiebung ausschließlich um seinetwillen vorgeschlagen habe, weil sie an die Möglichkeit gedacht habe, daß er nun, da die wirkliche Entscheidung so nahe sei, klarer sehen würde.

In diesem Falle, schrieb er, würde ich es dir gesagt haben. Es könnte mir nicht einfallen, das Verbrechen gegen mich selbst zu begehen, mit einem erloschenen Gefühle im Herzen zu heiraten ... Was ich brauche, ist die volle, tägliche und stündliche Hingebung und Sympathie ... Lass uns darum nach Italien reisen und so glücklich sein, wie der Tag lang ist!

Als sie nun, ohne weiteres Zögern ihrerseits, anfangen, die praktischen Angelegenheiten zu besprechen, finden sie, daß sie auch in solchen Fragen mit »a tremblingly exquisite exactness« übereinstimmen ... Beide hegen den unenglischesten Haß gegen alle weltlich klugen Gesichtspunkte; beide sehen das Ideal in einem sorgenlosen Zigeunerleben ohne Rücksicht darauf, wie andere Menschen sich einzurichten pflegen; sie hätte gewagt, sich bei einem Einkommen von 100 Pfund mit ihm zu verheiraten, und nur unter großem Zögern macht sie den Vorschlag, ihre langjährige Kammerfrau Wilson mitzunehmen. Worauf er antwortet, daß er nur dann hätte zürnen können, wenn sie sich nicht diesen zu ihrer Pflege und ihrer Arbeit unentbehrlichen Luxus gegönnt hätte. In jeder anderen Beziehung betrachten beide einfache Lebensgewohnheiten als vornehm und verachten den Konventionalismus, der, wie sie sagt, »einen in England so eng umschließt, daß die Seele weder hindurch, noch darüber hinaus sehen kann«. Wilson, Flush, die Klassiker in Duodez, jedes die Briefe des anderen und ganz wenig Kleider – das war alles, was mitgenommen werden sollte!

Auch wenn sie »die barbarisch rohe Sitte, Hochzeit zu halten« nicht ohnehin verabscheut hätten, würden doch ihre Verhältnisse eine Trauung im Geheimen notwendig gemacht haben. Für beide war die Trauung nur eine Form, da sie darin einig waren, daß sie, wenn nicht alles von innen heraus bestimmt ist, nichts entscheiden kann, und wenn alles sich von innen heraus ändert, nichts zusammenhalten soll. Sie schrieb so:

Ich kann die Trauung nie als irgend eine Art Sicherheit für mich betrachten. Sie bedeutet nichts für unser Herz oder unser Glück, denn Illusionen können nachher ebensowohl wie vorher zerstört werden ... Mein Eheprogramm ist: dass du es einen Winter mit mir versuchen sollst, und wenn du meiner müde wirst (was ich weiss, ohne dass du es mir sagst) dann sattle ich meinen Maulesel und galoppiere nach Griechenland ... Glaube nicht, dass ich scherze: es ist mein tiefster Ernst ... Ich würde nie mit dir hadern können, aber aus demselben Grunde nie mit dir leben, wenn du mich nicht mehr liebtest. Wir werden nicht das verabscheuungswürdige Leben anderer Eheleute führen – du weisst, dass wir es nicht können – wenigstens kann ich es nicht, gerade weil ich dich so sehr liebe ... Was ist es in der Ehe, das bewirkt, dass alle diese Menschen, die auch damit angefangen haben, von Liebe zu sprechen, sich nun unter der Seidenmaske böse ansehen und sich faktisch gegenseitig hassen, durch die Tyrannei des einen, die Heuchelei des anderen? ... Als Kind hörte ich zwei Frauen davon sprechen, dass die schwerste Zeit in der Ehe die sei, in der der Geliebte sich nach und nach in den Ehemann verwandele. Ein Kind, das ich war, sperrte ich Augen und Ohren auf und dachte schon damals: es muss furchtbar sein, durch eine solche Prozedur einen Mann zu bekommen! Nun erscheint es mir noch furchtbarer ... Die Männer wählen ihre Frauen aus allen anderen Gründen, als damit sie mit ihnen harmonieren. Eine volle Sympathie, ein gegenseitig geteiltes geistiges Leben, das erwartet jeder nur in dem engen, konventionellen Sinne, in welchem die Liebe und die Ehe – zur Erniedrigung der Frauen – überall in der Welt realisiert werden ...

Ihr Programm ist weit davon entfernt, seinen Widerspruch hervorzurufen, er antwortet:

Du würdest ganz recht daran tun, mich zu verlassen, falls meine Liebe erlöschen sollte. Ich verabscheue ebenso tief wie du »das gegenseitige Freundschafts- und Achtungsverhältnis« von Eheleuten. Wenn dein Name in meinem Ohr wie jeder andere erklingt, deine Stimme wie die aller anderen; wenn wir rücksichtsvoll gegenseitig unseren Beschäftigungen »aus dem Wege gehen«, gegenseitig unseren Geschmack »respektieren«, und so weiter – dann mag alles zwischen uns aus sein! Aber – ich glaube nicht, dass es meinem Gefühl für dich so ergehen wird! Noch hat dich nie ein Wort erreicht, das nicht durch meine lebendige, unmittelbare Liebe hervorgerufen war, sondern unzählige Worte sind unterdrückt worden, weil ich es verschmähte, sie als Ausdruck meines Gefühls zu brauchen. Männer haben ja eine Anzahl erotischer Aufmerksamkeiten, die sie übernehmen, weil sie nur für so kurze Zeit beabsichtigt sind. Nachdem sie ihr Ziel erreicht haben, gestattet ihnen »die wirkliche Zuneigung und die gegenseitige Achtung« – weit weniger Umstände zu machen! Aber alles, was ich fühle, ist davon so verschieden wie der Himmel von der Erde! Ich hoffe immer mehr Mittel und Worte (vielleicht nicht gesprochene Worte) für den Kultus zu finden, mit dem ich dich immer anbeten werde ... In anderen Fällen, wenn ein Mann ein Weib unter dem Anreiz von Unruhe, Hoffnung und Furcht »erobert«, schliesst ganz natürlich sein Interesse für sie mit dem Hochzeitstag. Für mich ist die Liebe, die ich schon von dir besitze, nichts gegen die, die ich zu »erobern« hoffe. Ich will bei dir die Liebe bis zum Ende des Lebens finden, die Liebe nach der Probe, die Liebe zu meiner Liebe, nachdem diese Zeit und Gelegenheit gehabt hat, sich selbst zu beweisen ...

Elisabeth Barrett war jedoch mit ihrer magna Charta nicht früher fertig, bis sie ihm auch die Freiheit des Alltagslebens versprochen hatte. So schreibt sie:

Nicht das Mindeste darfst du in deinen Gewohnheiten ändern, denn sonst hätte ich das Gefühl, dir im Wege zu sein! Dein Leben braucht doch nicht dadurch gestört zu werden, dass du mich in der Nähe hast? Ich bin sehr still, sehr leicht zufrieden und nicht einmal in Kleinigkeiten durch irgend welchen Überfluss verwöhnt. Wenn du nur glücklich wirst, dann ist alles gut für mich. Verkehre darum, wie du es jetzt tust; gehe aus, wann du willst, ohne ein Wort zu sagen; gebrauche all die Bewegungsfreiheit, die du jetzt hast; sei Herr über den Torschlüssel wie über alle anderen Dinge ...!

Und er antwortet:

Aber ich habe ja keine einzige Gewohnheit, die durch mein neues Leben gestört werden kann! Ich wünsche zu dichten und manches von den Büchern der Natur und von den Menschen zu lernen ... In Pisa beabsichtige ich damit fortzufahren, und dort wie überall wird es mein Stolz sein, mit dem geringstmöglichen Apparat arbeiten zu können ... Was kann sich nun durch dich in all dem ändern? Und warum sollte ich vorgeben, von dir eine Freiheit zu empfangen, die zu behalten mir eine unleidliche Qual wäre, da ich dich doch heirate, weil ich nur auf diese Weise genug von dir haben kann? ... Weit davon entfernt, dass dein Bedürfnis nach Stille und Zurückgezogenheit mir ein Hindernis werden kann, fördert es im Gegenteil meinen Lebensplan ... Nur, dass du herumgehen kannst und sehen, gemessen und lächeln, wird mich ja überzeugen, dass du eine für dich ungewohnte Freude hast, während eine andere Frau mit mir genötigt wäre, sich in eine Ruhe, eine Einsamkeit, eine Einfachheit zu finden, an die sie vielleicht nicht gewohnt wäre ... Ausser dir selbst hast du mir nie etwas Kostbareres gegeben als die Gewissheit, dass du gerne mit mir reisest. Die Liebe wiegt ja alles auf, und als ich glaubte, dass du England nicht verlassen wolltest, wollte ich auch dort bleiben. Aber nun anstatt dessen mit dir reisen zu dürfen, das Leben leben zu dürfen, das wir leben wollen ...! Du allein unter allen Frauen kannst mein Glück begründen, denn du allein siehst so wie ich, fühlst so wie ich, lebst für dieselben Ziele wie ich und ausserdem siehst du mit denselben Augen wie ich den natürlichsten und unmittelbarsten Weg, diese Ziele zu erreichen, d. h. durch ein einfaches, zurückgezogenes Leben, ausserhalb der Welt (aber nicht ausserhalb der wirklichen Welt), durch Reisen und all das andere! Und doch weiss ich, dass bei alle dem das Zusammenleben mit dir das Innerste meines Glücks sein wird; dass wenn du einmal dahin kämest, dir ein ganz anderes Leben zu wünschen, es mir eine Freude wäre, dann das zu lernen, was du von mir wünschtest ...

Während sie solche Zukunftsgedanken austauschen, ordnen sie ihre Reisepläne und andere Angelegenheiten. Sie hatten sich schon entschlossen, im September zu heiraten, die beste Reisezeit für sie, aber der Tag wurde durch die Pläne der Familie Barrett, Elisabeth mit aufs Land zu nehmen, rasch noch vorgerückt.

Unter Elisabeth Barretts Briefen ist einer, den Robert Browning bezeichnet hat:

Sonnabend, 12. September 1846, ¼11–11¼ a. m. (91)

Das bedeutete, daß er Elisabeth Barrett zum einundneunzigsten Male sah, als sie an diesem Tage, jeder nur von seinem Trauzeugen begleitet, in der Marylebonekirche getraut wurden. Zu dieser Kirche kehrte Robert Browning nachher bei jedem Besuche in London zurück, um die Schwelle zu küssen, die Elisabeth Barrett an dem Tage betrat, an dem sie – allein und »mehr tot als lebendig« – aus ihrem Heim zu ihm kam, sicher, bald von diesem ausgeschlossen zu sein. Unmittelbar nach der Trauung kehrte sie nach Wimpole Street zurück und sah Robert Browning erst am 19. September wieder, als sie zusammen London verließen. In der Zwischenzeit wurden noch einige Briefe gewechselt, in denen er ihr für den großen Liebesbeweis dankt, den sie ihm durch ihren entschlossenen Mut gegeben. »Komme, was da wolle«, schreibt er, »mein Leben hat nun Blüten und Frucht getragen«. Und sie antwortet:

Von all den Frauen, die in dieser Kirche getraut wurden, hat vielleicht keine einzige so starke Gründe wie ich zum vollkommenen Vertrauen und zur Hingebung gehabt. Das war mein Ersatz dafür, dass ich entbehrte, was andere Frauen in einer solchen Stunde gewöhnlich haben, ihre Nächsten in ihrer Nähe. Aber ich brauchte sie so viel weniger als andere, denn mein Glück ist um soviel vollkommener ...

Und mit den einfachen Worten: »Es ist furchtbar – furchtbar, jetzt zum ersten Male in meinem Leben in meinem Heim durch eine freiwillige Handlung Schmerz zu verursachen« – steht sie bereit da, ihm zu folgen. Ihre Ahnung, daß ihr Vater ihr nie verzeihen würde, bewahrheitete sich. Alle ihre Briefe an ihn kamen nach seinem Tode 1857 uneröffnet an sie zurück, und ihr Name wurde in seinem Testament nicht einmal erwähnt. Aber ihre Überzeugung, daß der Stolz des Vaters mehr litt als sein Herz, bewirkte es, daß seine Unerbittlichkeit keinen nachhaltigen Schatten auf ihr neues Leben warf. Zu den Schwestern blieb das Verhältnis unverändert – sie hatten alles gewußt bis auf den letzten Schritt – und mit den Brüdern wurde es wieder angeknüpft. Die Freunde, deren Mißbilligung Elisabeth Barrett so gewiß gewesen war, sowohl wegen ihrer eigenen »Tollheit« als wegen ihrer Handlungsweise gegen ihren Vater, tadelten sie nicht, denn sie kannten nur zu gut Mr. Barretts tyrannische Monomanie, die bei allen Heiraten seiner Kinder hervortrat. Der Ausgang zeigte ja überdies, daß diese beiden Poeten recht hatten, wenn sie »ihre eigene wahnsinnige Heirat als das einzig Kluge in der Welt« ansahen. Carlyle, Brownings Freund, – seit dem Augenblick, wo dieser das Pferd des reitenden Carlyle in Wimbledon Common angehalten hatte, um dem ihm damals unbekannten Denker seine Bewunderung auszusprechen, – war begeistert von ihrer Handlungsweise. Und der gute Freund Kenyon, dem gegenüber die beiden das schlechteste Gewissen hatten, schrieb seiner Cousine: Du hast dein Leben in die Wagschale geworfen, und du hast ganz recht getan ...!

Anstatt der allgemeinen Mißbilligung, die Elisabeth Barrett erwartet hatte, bekam sie also zahlreiche Beweise der Sympathie von allen, deren Urteil sie schätzte. Was hingegen die wohlweisen Meinungen der Welt betraf, so waren sie gegen dieselben durch ihre vollständige Gleichgültigkeit gepanzert.

Jetzt – jubelte sie – können uns keine Menschen trennen. Jetzt habe ich das Recht, dich offen zu lieben – ja, es wird sogar meine Pflicht genannt werden, während ich doch weiss, dass ich, wenn es auch eine Sünde wäre, es ebenso tun würde!

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Robert Browning und Elisabeth Barrett zeigen sich uns in diesen Briefen von dem Gedanken durchdrungen, der – seit der Zeit, zu der die Briefe geschrieben wurden – in dem jetzt zu Ende gegangenen Jahrhundert sich langsam durchgerungen hat, dem Gedanken: daß die einzige sittliche Grundlage der Ehe die voll erwiderte und voll sympathische Liebe ist. Sie erkannten mit klarer Folgerichtigkeit: daß die Fortdauer der Liebe wie ihr Beginn zum Gebiete der Freiheit gehört, und daß also Liebe nicht gelobt oder auf Grund von Gelöbnissen gefordert werden kann, sowie daß – da die Liebe die einzige sittliche Grundlage der Ehe bildet – ihr Aufhören bei dem einen oder bei beiden Teilen einen berechtigten Grund zur Lösung der Ehe bildet. Aber – und dies ist der zweite Folgesatz dieser Wahrheit – sie wußten zugleich: daß wenn die Liebe so betrachtet wird, wie sie sie selbst betrachteten, nicht als ein vorübergehendes Lebensmoment, sondern als den wesentlichsten Inhalt des Lebens, als eine Religion, die die Hingebung des ganzen Wesens in allen Augenblicken des Daseins fordert, daß dann die Ehe – im Sinne eines freiwilligen, lebenslänglichen Zusammenlebens – eine unabweisliche Notwendigkeit wird, nicht aus ethisch-sozialem, sondern aus individuell-psychologischem Gesichtspunkt. Erst wenn die freie Liebe, im Sinne der beiden Brownings, der einzige Ehestifter und die volle Verwirklichung dieser freien Liebe das einzige Ziel der Ehe sein wird, – erst dann wird man in wahrem Sinne unlösliche Ehen sehen. Oder mit anderen Worten: die unauflösliche Ehe ist sittlich nur für jene Menschen, die die gesetzlichen Fesseln der Ehe vollständig entbehren können. Aber die Liebe kann erst dann, wie sie es für die beiden Brownings war, der große Inhalt des Lebens werden, wenn die Menschen das werden, was diese Beiden waren, Lebenskünstler, die mit klarem Bewußtsein ihr erotisches Ideal bewahrt – und sich für ihr Ideal bewahrt haben – und die, von allen anderen Rücksichten unangefochten, die Lebensverhältnisse wählen, die ihnen gestatten, ihren großen Lebensinhalt in vollkommenster Weise auszugestalten. Und Lebenskünstler wieder werden nur diejenigen, die gleich jenen ein starkes Selbstgefühl haben und keine Eitelkeit. Diese letztere ist es, die die Menschen schwächt und sie hindert, allein zu stehen; das Selbstgefühl hingegen gibt dem Menschen die Stärke und die Macht, trotz allen Hindernissen das Gesetz seines eigenen Wesens zu erfüllen.

Ich habe oben hervorgehoben, daß Browning nicht zu jenen, besonders in unseren Tagen häufigen Individualisten gehörte, die große Worte vom Übermenschen und seiner Lebensweisheit im Munde führen, aber deren Handlungen roher und häßlicher und kleiner sind als selbst die der verachteten Herdenmenschen. Brownings, des Menschen, Leidenschaft war eins mit der Leidenschaft des Dichters, nämlich Einheit und Ganzheit, Treue gegen die höchsten Ziele seiner Seele und beharrliche tägliche Selbstkultur, um in kleinen wie großen Dingen diese Ziele zu verwirklichen. Und dieselbe Leidenschaft war die ihre. So bewiesen sie beide in ihrem Zusammenleben: daß nicht eines der früher angeführten Worte ein zu starkes Wort gewesen war; daß ihre Liebe, mit Andacht gehegt, wirklich wuchs, anstatt zu welken, und daß sie bis zuletzt Elisabeth Barretts eigener Charakteristik entsprach:

How do I love thee? Let me count the ways.
I love thee to the depth and breadth and height
My soul can reach, when feeling out of sight
For the ends of being and ideal grace.
I love thee to the level of everyday's
Most quiet need, by sun and candlelight.
I love thee freely, as men strive for right;
I love thee purely, as they turn from praise.
I love thee with the passion put to use,
In my old griefs, and with my childhood's faith.
I love thee with a love I seemed to lose
With my lost saints, – I love thee with the breath,
Smiles, tears of all my life! – and if God choose,
I shall but love thee better after death! »Wie ich dich liebe? Lass mich die Arten zählen. Ich liebe dich so tief, so breit und hoch, wie meine Seele reichen kann, wenn sie über das Bereich des Auges die Fühler ausstreckt bis an das Ende der Wesen und der Geistesanmut. Ich liebe dich bis zum Pegel der stillsten Alltagsnotwendigkeit, bei Sonnen- und bei Kerzenlicht. Ich liebe dich frei, wie Männer für das Recht streiten; ich liebe dich rein, wie sie sich dem Lobe abkehren. Ich liebe dich mit einer Leidenschaft, wie sie in meinem alten Grame wütete, und mit dem Kindheitsglauben. Ich liebe dich mit einer Liebe, die ich mit meinen verlorenen Heiligen zu verlieren schien, – ich liebe dich mit dem Atem, dem Lächeln und den Tränen meines ganzen Lebens! – und so's Gott gefällt, werde ich dich nach dem Tode nur noch mehr lieben.«

Als ich mit dreizehn Jahren zum ersten Male dieses Gedicht las, tauchte in mir als lebenentscheidende Ahnung auf, was das Leben dann zur entscheidenden Gewißheit gestaltet hat: daß das die große Liebe ist und alles andere, was seit der Erschaffung des Mannes und des Weibes Liebe genannt wurde, im Vergleiche mit dieser nur Zeitvergeudung oder Zeitvertreib ist.

 

IV.
Robert und Elisabeth Barrett Browning.

Love – all love – is but a passionate
drawing closer.

Robert Browning an Elisabeth Barrett.

Zu den Zukunftshoffnungen Brownings gehörte auch, daß »es auf der Insel der Sirenen keine Post geben sollte«, und wirklich war – wie ich schon erwähnt habe – das Ehepaar Browning während ihrer fast fünfzehnjährigen Ehe auch keinen einzigen Tag getrennt. Nur mit Hilfe der Briefe an Freunde und der zeitgenössischen englisch-amerikanischen Brief- und Memoirenliteratur kann man ihr Eheleben verfolgen.

Elisabeth Barrett-Brownings Briefe an ihre Freunde Letters of E. B. Browning, edited by F. G. Kenyon, London 1897, 2 vols. sind ebenso schlicht persönlich, lebensvoll erzählend wie ihre Liebesbriefe. Sie bleibt immer dasselbe bescheidene, natürliche Wesen, voll Mitgefühl mit den Freuden und Leiden anderer, auch nachdem die Fülle ihres eigenen Lebens sie dazu hätte bringen können, an denselben achtlos vorüberzugehen. Über ihre Arbeit teilt sie nur mit, was andere zu wissen wünschen; hingegen schildern die Briefe ihr Alltagsleben mit der Anschaulichkeit und dem Farbenreichtum, die der Zauber des weiblichen Briefstils sind.

Beide Gatten besaßen dieselbe große gesunde Fähigkeit des vollen, unmittelbaren Lebensgenusses. Sie schätzen die Alltagstraulichkeit ebenso andächtig wie die Feierstunde; sie stellen die Freude der Ruhe so hoch wie die der Arbeit, und sie haben die Gabe zu spielen und müßig zu gehen, ohne die, wie Elisabeth Barrett Browning mit Wahrheit sagt, nichts Großes vollbracht wird. Sie leitete aus ihrer Krankheit nie irgendwelche Ansprüche ab, sondern erfüllte im Gegenteil im höchsten Maße das, was sie selbst die Grundbedingung eines guten Temperaments genannt hat: Generosität in Kleinigkeiten. Und auch er besaß diese Generosität im Übermaß. In seinem Elternhause war er froh, die Seinen alle Kleinigkeiten für ihn entscheiden zu lassen, und er bat seine Frau damit fortzufahren. »Das heißt, wenn ich deinen Wunsch erraten kann, sollst du ihn nicht aussprechen, denn es ist dann eine besondere Freude für mich, ihn unausgesprochen zu erfüllen! Aber sonst sollst du wählen, denn wenn zwei Wege für mich gleich gut gewesen wären, wird der, den du gewählt hast, sofort für mich der beste.«

So großgesinnte Temperamente sind viel ungewöhnlicher als großgesinnte Seelen. Darin liegt die Ursache, warum so manches andere stolze Liebesglück an den flachen, aus unzähligen Körnern gebildeten Sandbänken gestrandet ist. Auch von anderen kleinen Kümmernissen des Alltaglebens blieb ihr Glück bewahrt, durch den gesunden Menschenverstand, von dem besonders er eine für einen Dichter ungewöhnlich reiche Dosis besaß. Die Befürchtungen ihrer Freunde, daß diese beiden »Dichterköpfe und Dichterherzen« sich in alle möglichen praktischen Schwierigkeiten verwickeln würden, bewahrheiteten sich nicht: sie lebten klug nach ihren Einkünften, und ihre Phantasie zeigte sich keineswegs in kostspieligen Launen.

Schließlich wurden sie eben durch die Größe und Stärke ihrer Liebe davor bewahrt, sie durch Überspanntheit oder dualistischen Egoismus auszunützen. Ihr Zusammenleben war von gemeinsamen geistigen Interessen ausgefüllt, vor allem von dem Interesse an allen großen Fragen der Menschheit. Außerdem waren sie beide so ganz Künstler, daß sie gegenseitig ihr Bedürfnis nach Einsamkeit verstanden und berücksichtigten, und so ganz zärtlich in ihrer Liebe, daß keiner, weder für seine eigenen Dichterinteressen, noch für sein eigenes Liebesbedürfnis, die Zeit und die Kräfte des anderen selbstisch vergeudete.

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Ihr erstes Ziel war Pisa, wohin sie über Paris und Avignon reisten. Bei Vaucluse und Petrarcas Quelle trug Browning seine Frau über den seichten, klargrünen Fluß zu einer thronähnlichen Klippe mitten im Wasser, das so zum zweiten Male sein leises Murmeln mit den Liebesworten eines Dichters vermischte. In Pisa wurde Elisabeth Barrett Browning nicht nur »gesünder, sondern verwandelt«. Sie lebten da in völliger Einsamkeit, ohne anderen Umgang als den Dom und den Campo Santo, Vasari und die Erinnerungen an Byrons und Shelleys Aufenthalt. Sie schildert ihr Leben in folgender Weise:

Pisa ist voll Ruhe und Schönheit und von purpurschimmernden Hügeln umgeben, die uns tiefer ins Land hinein locken. Hier ist der Himmel wolkenlos und sonnig, und das Wetter wie im Frühling. Wir machen täglich Spaziergänge, bei denen goldgelbe Orangen über die Mauern auf uns herabschauen. Wenn ich müde bin, sitze ich auf einem Stein und betrachte die Eidechsen und die Berge, den klaren kleinen See und den Pinienwald ... Mein Kopf wirbelt vor Glück – ich, die ich nie vorher im Leben glücklich gewesen bin! ... Roberts Genie ist nichts im Vergleich mit seiner Persönlichkeit, seiner mehr als weiblichen Zartheit, seiner unermüdlichen Güte, seinem stündlichen Streben nach der höchsten Vervollkommnung. Sein Temperament, seine Alltagslaune, sein Wesen – alles ist vollkommen! Jede Stunde bindet mich fester an ihn. Er kann Weisheit über alles zwischen Himmel und Erde sprechen und dazwischen eine stets gute Laune und eine Heiterkeit voll Schelmerei zeigen ... Wir lachen, als wenn wir zwanzig Personen beisammen wären ... Unser Mittagessen bekommen wir von einer Trattoria und werden ganz satt von Geflügel und Chianti; unser Abendbrot besteht in Kastanien und Trauben. Elias und die Lilien auf dem Felde hatten nicht weniger Nahrungssorgen! Ich brauche sogar das Mittagessen nicht zu bestellen, und selbst das Eingiessen des Kaffees ist geteilte Arbeit. Wenn ich nur so gütig bin, mich die Treppen hinauftragen zu lassen, und engelhaft genug, still auf dem Sofa zu liegen – dann habe ich meine Pflichten mit anbetungswürdiger Vollkommenheit erfüllt! ...

Zu diesen weisen Grundsätzen für das Zusammenleben gehörte auch der, daß jeder ganz für sich selbst arbeiten und nie dem anderen das zeigen sollte, was er in der Arbeit hatte, bevor es fertig wäre, eine Regel, die er ab und zu brach, sie jedoch nie. Als er sie einmal, 1846, in seiner Unruhe, daß sie um seinetwillen ihre Poesie vernachlässige, fragte, ob sie gar nicht schriebe, antwortete sie: »Doch, ich habe wirklich etwas geschrieben, aber du darfst es erst in Pisa sehen«. Eines Tages zu Beginn des Jahres 1847 stand Browning am Fenster, als er die Schritte seiner Frau hinter sich hörte; sie legte die Hände auf seine Schultern, um ihn zu verhindern, sich umzudrehen, während sie ihm ein Manuskript zusteckte, »das er lesen und zerreißen sollte, wenn es ihm nicht gefiele; es sei ganz und gar sein Eigentum« – dann flüchtete sie aus dem Zimmer.

So – für die Weihestunde des Glücks bewahrt – bekam Browning die vierundvierzig Sonette in die Hand, in denen seine Frau während ihrer Brautzeit die Gefühle ausgesprochen hatte, die die schon zitierten Briefauszüge unmittelbar schildern. Die ganze erlebte Wirklichkeit lächelt, errötet, strahlt durch Tränen in diesen Gedichten, die mit leidenschaftlich zusammengepreßtem Tonfall die Liebesunruhe und das Liebesglück der Dichterin erzählen. Hinter den Worten ahnt man eine Stärke des Gefühls, die die Worte nicht zu tragen vermögen. Und doch, wie stark sind hier nicht auch die Worte! Nun verschmolz alles, was Elisabeth Barrett Brownings Stil an poetischer Kraft gewonnen, mit einem Gefühl, dessen weiße Glut jede Unförmlichkeit fortbrannte, jede Unklarheit zerstreute. Diese formale Überlegenheit in Elisabeth Barrett Brownings subjektivster Lyrik zeigt, wie die volle Hingabe des Lebens der Persönlichkeit in der Dichtung nur ihre Klarheit steigert, so wie die Quelle der größten Wärme auch die des stärksten Lichtes ist. Wenn hingegen das Vorherrschen des persönlichen Gefühls den Kunstwert der Dichtung schwächt, ist dies gewöhnlich nur dem Umstande zuzuschreiben, daß das Gefühl nicht stark genug war, sich gleich einer Flamme zu erheben.

Die Sonette besitzen eine so große Vollendung der Form, daß man die Form über dem Inhalt ganz vergißt. In ihnen liegt die männliche Ehrlichkeit und die weibliche Feinheit des Gefühlsausdruckes; die mütterliche Zärtlichkeit und die Hingerissenheit der Geliebten; die tiefe Innigkeit des erfahrenen Weibes und die scheue Zartheit der Jungfrau. Man hat gesagt, daß wer nicht geliebt hat, hier die Kunst der Liebe lernen, während der, welcher geliebt hat, hier den höchsten Ausdruck des Wortes für sein Gefühl finden könne. Und ist je auf Erden ein Sang gleich einem Sakrament empfangen worden, so war es, als Robert Browning die Süßigkeit der Traube kostete, die seines eigenen Wesens Sonne purpurn gefärbt und gereift hatte, einer Traube, deren Saft ihm in diesem von edelster Kunst geformten Becher kredenzt ward.

Elisabeth Barrett Browning hatte die Sonette nur ihrem Manne zugedacht. Aber er fand, daß er »nicht das Recht habe, der Welt die schönsten Sonette vorzuenthalten, die seit Shakespeare geschrieben worden waren«, und er gab sie deshalb zuerst als Manuskript für einige Freunde heraus, dann (1850) öffentlich unter der von ihm gewählten Verkleidung Sonnets from the Portuguese, eine Anspielung auf Elisabeth Barrett Brownings frühere Dichtung Catharina to Camoëns, eines von Brownings Lieblingsgedichten.

Über diese Sonette hat es immer nur eine Meinung gegeben. So wie sie in der Wertschätzung der Zeit ihren Platz haben, haben sie ihn auch in der der Literaturforschung, nämlich als einzig dastehend zwischen Shakespeares und D. G. Rossettis Liebessonetten; seit Sapphos Tagen das einzige Beispiel in der Weltliteratur dafür, daß eine Frau in der erotischen Lyrik die höchste Höhe der männlichen Kunst erreicht und sie durch die Schönheit des Gefühls noch übertroffen hat. Meine Überzeugung ist, daß wenn selbst alles, was die Frauenliteratur unseres Jahrhunderts hervorgebracht hat, vielleicht im Strom der Vergessenheit versunken ist, die Kelche dieser Lotosblumen sich noch in unvergänglicher Schönheit aus ihm erheben werden.

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Im Frühling 1847 verließ das Ehepaar Browning Pisa, um nach Florenz zu ziehen, dem Browning aus Angst vor den reisenden Engländern hatte ausweichen wollen, deren Gesichter und Stimmen ihm bei seinem ersten Besuche fast die Stadt verleidet hatten. Aber Florenz übte nun auf beide seinen unwiderstehlichen Zauber aus. Und hier lassen sie sich nieder, zuerst in möblierten Zimmern, dann – weil sie finden, daß sie billiger leben können, wenn sie ein paar unmöblierte Zimmer mehr mieten, als sie eigentlich brauchen – von 1848 an in der von ihnen selbst eingerichteten Wohnung in der Casa Guidi.

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Die Casa Guidi, eines der gewöhnlichen gelbgrauen, geradlinigen, schlichten florentiner Häuser mit grünen Jalousien, liegt gleich links von der Via Maggiore ein paar Schritte vom Palazzo Pitti, und ist jetzt im Besitze von Brownings Sohn. Das Einzige, worin dieses Haus sich äußerlich von anderen ähnlichen unterscheidet, ist die von dem Magistrat von Florenz über dem Tore angebrachte Marmortafel, deren Goldbuchstaben auf Italienisch berichten:

 

Hier dichtete und starb

Elisabeth Barrett Browning

in deren Frauenherzen die Weisheit des Gelehrten
sich mit der Beredsamkeit des Dichters verband, und
die durch eine Kette goldener Lieder
Italien mit England verknüpfte.

Das dankbare Florenz
Errichtete dieses Erinnerungszeichen.
A. D. 1861.

 

Im Inneren waren die Zimmer palastartig Koch, groß und kühl. Die Wohnräume gingen auf eine weite Terrasse, mit der Aussicht auf die grauen Mauern der Kirche San Felice, eine Terrasse, welche Browning mit Weinranken, Myrten, Orangen und anderen Pflanzen schmückte, die er mit dem Interesse pflegte, das er allem Lebenden entgegenbrachte. Sie möblierten die Zimmer nur allmählich; denn, schrieb sie, »Robert hat glücklicherweise die unpoetischeste Angst vor Schulden; er kann, wenn eine unbezahlte Rechnung im Hause ist, nicht schlafen, und wenn er von einem Konkurse sprechen hört, ist seine ganze Sympathie auf seiten des Fleischers und des Bäckers!« Die Einrichtung gibt ihnen Anlaß zu allerhand fröhlichen Kompromissen. Sie gesteht zu, daß sie sich vortrefflich mit sechs Löffeln behelfen können und daß das Wesentliche wirklich, wie Robert meinte, prägiotto'sche Bilder sind und alte Gobelins und Seidendecken von den Betten einstiger Kardinäle und Rokokostühle und Bücherregale, geschmückt mit Renaissanceskulpturen; ihr teurer Balzac bekommt in einsamer Größe seinen Platz auf einem prachtvollen Wandbrett – aus einem Kloster! Außer den vier Zimmern auf die Terrasse hatten sie nach der anderen Seite jedes ein Schlafzimmer. Schon während der Verlobungszeit schrieb Browning: daß es sein Ideal gewesen wäre, wie George Sand mit seiner Geliebten in einer Dachkammer zu leben, wenn er nicht um ein eigenes Schlafzimmer bitten müßte; denn er hatte sich nie in der Gegenwart seines Vaters ankleiden können; und wenn er nun in der ihren nicht einmal den Rock ablegen konnte, sah er nicht ein, warum er es in Zukunft können sollte. Da Elisabeth Barrett Browning auch in diesem Falle sein Gefühl teilte, führten sie schon von Anfang an das Einzelzimmersystem ein, das – damals nur ein Lebensbedürfnis für diese erotisch Höchststehenden der Menschen ihrer Zeit – eine immer unabweislichere Forderung werden dürfte, in demselben Maße, in dem das individuelle Freiheitsgefühl sich zugleich mit dem idealistischen Liebesgefühl bei Mann und Weib entwickelt.

Von ihrem Leben in Florenz erhält man aus Elisabeth Barrett Brownings Briefen viele Skizzen. Man sieht ihre Wanderungen auf ihrer Terrasse in der Abendkühle oder unter den tiefen Schatten zwischen den dichten Hecken des Boboligartens, zu dem sie freien Zutritt hatten. Oder die Abende in Bellosguardo, wenn die Hügel sich purpurn färbten und die Spitzen der Cypressen gerade in die Glut des Himmels ragten, während die Sterne auffunkelten; oder andere Abende, an denen sie den Arno entlang wanderten, um sein fließendes Gold unter der Trinità und den anderen Brücken zu sehen, oder fort zur Loggia, wo der Perseus im Mondlichte glänzte. Elisabeth Barrett Browning liebte augenblicklich und für immer Florenz »als die schönste Stadt, die Menschen geformt; Natur und Kunst verschmelzen zur reichsten Fülle«. Und außerdem fand sie hier und überall ebensoviel Gefallen an den italienischen Lebensgewohnheiten, wie ihr die englischen Unbehagen verursachten. Hier, und in Frankreich, schreibt sie, »verstehen die Menschen die Kunst zu leben und einen wirklichen »comfort« zu schaffen, der dem weit überlegen ist, den wir in unseren zugigen, unbequemen englischen Häusern erzielen« ... Beide freuen sich außerdem hier wie in Paris mit der ganzen Stärke ihres demokratischen Gefühls an der Gleichheit zwischen den verschiedenen Klassen ...

Hier – sagt sie – scheint jedes Kind als natürliches Erbteil seine Traube und sein Stück Wassermelone zu haben! ... Die Armen und die Reichen hören hier dieselbe Musik, gehen in dieselben Gärten und sehen dieselben Bilder an ... Ich lebe wie in einer Verzauberung, und während andere Frauen oft viel durch die Ehe verlieren, habe ich alles gewonnen ... Niemand ist je glücklicher gewesen als ich. Und Robert ist – abgesehen davon, dass er er selbst ist! – überdies ein ebenso grosses Muster wie irgend ein Herr Smith: er trinkt so wenig wie eine Frau, er raucht nicht, er ist nie Jemandem fünf Schilling schuldig! Auf mich kann er nur böse werden, wenn ich nicht genug esse! In fünfzehn Monaten habe ich ihn nicht einen einzigen Abend dazu bewegen können, auszugehen! Wir mieten ein Klavier, leihen uns Bücher aus, und die Tage verfliegen bei Musik, Lektüre und Arbeit ...

Und später:

Robert ist an sich selbst und gegen mich das vollkommenste aller menschlichen Wesen! Nach zweijährigem ununterbrochenen Zusammenleben, Seele an Seele, im vertrautesten Verkehr, steht er nun für mich viel höher als sogar das erste Idealbild, das ich mir von ihm machte! Wir werden mit jeder Stunde glücklicher, und wenn auch er von seinem Glück spricht – dann wird meine Seele von Gefühlen überflutet, die sich nicht ausdrücken lassen!

Und noch später schreibt er:

Ich könnte eine ganze Menge von ihrer engelhaften Natur erzählen, von ihrem Herzen, dem göttlichsten, das Gott geschaffen hat! Ich lerne jeden Tag neue Seiten an ihr kennen – ich, der ich doch schon vor fünf Jahren glaubte, recht viel von ihr zu wissen!

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Am 9. März 1849 – ein paar Tage, nachdem sie selbst vierzig Jahre alt geworden war – wurde Elisabeth Browning Mutter eines Sohnes. Mitten in Brownings Glück darüber, daß seine Frau lebte und einem prächtigen Kinde das Leben geschenkt hatte, erhielt er die Nachricht vom Tode seiner Mutter. »Und nun«, schrieb seine Frau später, »sehe ich Robert fast immer weinend. Seine Liebesfähigkeit ist viel tiefer und leidenschaftlicher als die anderer Männer, und das ist natürlich, denn die Stärke des Herzens eines Mannes steht im Verhältnis zu der Stärke seiner übrigen Begabung«. Eine Theorie, die, was den Mann betrifft, zur Diskussion offen steht, aber die in Beziehung auf die Frau fast unfehlbar sein dürfte!

Die Mutterschaft, weit davon entfernt, eine Kraftverminderung für Elisabeth Barrett Browning zu bedeuten, steigerte im Gegenteil ihre Stärke wie ihr Glück. Der Knabe war nach Vater und Mutter Robert Barrett genannt worden – der letztere war nämlich auch Elisabeth Barretts Taufname, weshalb sie ihn als Frau behalten hatte. Aber der Kleine bekam auch einen Namen nach Brownings deutschem Großvater mütterlicherseits, Wiedemann, und das änderte der Knabe selbst in Pennini um, unter welcher Benennung er später in den Briefen der Mutter vorkommt. Man findet kaum einen, in dem nicht in entzückender Weise das Kind durchschimmert sowie ihre und ihres Mannes überglückliche Elternfreude, deren Kindereien sie humoristisch mit der Versicherung schildert, daß sie doch die ruhigere von ihnen beiden sei: denn sie verwende nur – den halben Tag dazu, ihn zu bewundern!

Schon von Anfang an und immer weiter erhält man auch in ihren Briefen impressionistisch rasch hingeworfene und charaktervolle Landschaftsbilder aus verschiedenen Teilen Italiens« Z. B. Vallombrosa, wo sie »übernatürlich stille Tage erlebten im Grase unter Kastanien- und Buchenwäldern, die durch ihre eigene Schwere hinab in die tiefen Klüfte zu fallen scheinen, während tiefschwarze, stille Pinienwälder stolz die Höhen ersteigen und weiße Wasserfälle über die Abhänge hinunterstürzen; wo Hügel an Hügel die Welt lebendig macht, wo die Berge zu atmen scheinen und ihr großes Dasein durch eine Willensäußerung aufbauen, die sie unter ihrer Mühe erglühen macht ...« Von der Orgel der Klosterkirche sandte Browning zuweilen einen Tonstrom in die Stille. Oder man sieht sie auch zu wiederholten Malen in den Bädern von Lucca, »wo der Wein zwischen den Akazienbäumen Torbogen von tauigem Grün von Baum zu Baum spannt, wo große Olivenwälder den Boden mit ihren Zelten aus Silbernetzen beschatten und die Kastanienwälder zwischen den Bergen emporklettern, die alle verschieden von einander sind, außer wenn güldne Nebel sie alle in einer einzigen Herrlichkeit verklären«. Elisabeth Barrett Browning war nun stark genug, »um ihrem Manne behilflich zu sein, sich in den Wäldern zu verirren«, die für Browning – wie die ganze Natur dort – von Shelleys Geist erfüllt waren. Denn hier hatte dieser eine Zeit mit seiner Frau gelebt, hier ihr Platos Symposion übersetzt; hier hatte er an einem Wasserfall allein und nackt abwechselnd gebadet und in der Sonne Herodot gelesen! In dieser Gegend, wo Natur und Liebe Shelley inspiriert hatten, schöpfte auch Browning aus denselben Quellen einige seiner herrlichsten Eingebungen, an jenen heißen Sommertagen, wo alles regungslos stille war und nur die Luft von Sonnenwärme und den Geigenstrichen der Heimchen zitterte, oder an den lauen Abenden, wo der Himmel von Sternen funkelte und die Luft von Leuchtkäferchen. Hier dichtete er das wunderbare Drama vom Triumph der Liebe, das er In a Balcony genannt. Oder man findet sie auch in Siena, in einem gartenumschlossenen Häuschen auf einem windumwehten Hügel, dicht von Feigenhainen, Olivenwäldchen und Weingärten umgeben, in denen Pennini später zur Weinlesezeit wie ein kleiner Dionysos auf einem mit Weintrauben beladenen Karren von antiker Form steht.

Es ist die Freude der Eltern, daß der Knabe ein ganzer Italiener wird, mit regen, heißen Schönheitsinstinkten, dessen stolzes Vaterlandsgefühl sich in dem Bewußtsein konzentriert, ein Florentiner zu sein.

Denn jede Fiber ihrer Herzen – vor allem Elisabeths – hatte in dem neuen Vaterlande Wurzel geschlagen. Während der ganzen Zeit, die Elisabeth Barrett in London verlebte, hatte sie schwer unter dessen Klima gelitten, das den größten Teil des Jahres nur durch ein Übermaß von »animal spirits« erträglich wird. Aber ihre Seele hatte auch unter dem rastlosen, unschönen Jagen nach Reichtum gelitten, das sie ebenso verabscheute wie die Scheinheiligkeit und Selbstzufriedenheit des englischen Gesellschaftsgeistes. Schon 1844 hatte sie durch ihr Gedicht The Cry of the Children sich mit dem Pathos der höchsten Entrüstung und des wärmsten Mitgefühls gegen einen der Schandflecken des Industrialismus gerichtet, gegen die Kinderarbeit in Gruben und Fabriken, wie sie damals in einem offiziellen Bericht dargestellt wurde.

Das Gedicht erregte unerhörtes Aufsehen – natürlich auch Unwillen bei den Arbeitgebern – und beeinflußte die öffentliche Meinung in dem Grade, daß es bald darauf zu dem Parlamentsbeschluß kam, der die Kinderarbeit wesentlich einschränkte. Derselbe Geist, der sie zu dieser Tat getrieben, ließ sie auch gegen jede Form des Machtmißbrauchs erglühen. So verfolgte sie mit ihrer ganzen Seele den Kampf gegen die Negersklaverei in Amerika, war aber »unpatriotisch« genug, gleichzeitig auf Englands Schmachfleck, die irländische Politik, hinzuweisen!

Sie war ihrer Zeit in jeder Frage so weit voraus, daß sie sich in England immer in der Minorität befand, und so intensiv in jedem Gefühl und so freimütig, daß sie sich in ihrem Heimatlande das Urteil zuzog, das noch gegen jede Frau gerichtet wird, die von Haß gegen die Unterdrückung und von Liebe zur Freiheit glüht, den Vorwurf der Hysterie; – während man bei einem Manne dieselbe Eigenschaft Heroismus nennt! Bei ihren Besuchen in England nach ihrer Verheiratung fühlte sie sich dort heimatlos – wozu die Unversöhnlichkeit des Vaters natürlich beitrug – und sehnte sich immer nach Italien zurück. Im Norden betrachtet man die Stärke des Gefühlslebens bei einem Künstler als Affektation oder Krankhaftigkeit. Darum wird Italien so schnell für solche Menschen das Land, wo sie sich vor allem daheim, das heißt verstanden und verstehend fühlen, geliebt und liebend.

We all love Italy
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We all have sent our souls out from the north,
On bare white feet, which would not print or bleed
To climb the alpine passes und look forth ... »Wir alle lieben Italien – – – Wir alle haben unsere Seelen auf blossen weissen Füssen, die sich nicht abdrücken noch bluten wollten, von Norden ausgesandt, damit sie die Alpenpässe erklömmen und Ausschau hielten ...«

sagt sie. Und als sie es nicht nur in der Phantasie, sondern in der Wirklichkeit erreichte, da wurde das Leben dort ebenso befreiend und fruchtbar für ihre dichterische Persönlichkeit in ihrer späteren Epoche, wie die hellenische Literatur es in der früheren gewesen war. Der Nordländer – wofern er überhaupt für das Glück organisiert ist – erhält erst in Italien mit all seinen Sinnen, mit seiner ganzen Seele und seinem ganzen Herzen die Gewißheit: daß der Sinn des Lebens Seligkeit ist, eine Seligkeit, die durch die bis dahin ungekannte Harmonie zwischen allen Eindrücken berauscht, denen der Erinnerung und der Gegenwart, der Natur und der Kunst. Elisabeth Brownings ganzes Wesen erschloß sich diesen Eindrücken, durch die ihr äußeres Dasein das sichtbare Spiegelbild ihres inneren Glücks wurde. Von der Kunst gestatteten ihr ihre Kräfte allerdings nur die größten Offenbarungen aufzunehmen, aber diese wurden um so tiefer.

Sie wie ihr Mann liebten den Schönheitssinn der Italiener, die anmutvolle Beweglichkeit des italienischen Volkscharakters, die ihn mit dem Temperament des Dichters und Künstlers verbindet, das immer etwas vom Kinde – oder vom Italiener – in sich hat. Sie liebten die Leidenschaft, die rasche Worte des Hasses, der Liebe und der Bewunderung auf die Lippen legt, von denen die Worte in einer Sprache strömen, in der selbst Grobheiten wie Musik klingen; sie liebten alle Launen und Formen der italienischen Natur; sie liebten die Sonne, mit der Gesundheit und Lebensberauschtheit sie durchströmten.

Robert Browning führte seine Frau nicht nur in die italienische Kunst und Literatur ein, sondern auch in die Politik. Beide waren Republikaner und durchlebten 1848–49 mit lebhaftestem Interesse die Ereignisse in Frankreich, für welches Land sie eine »wirkliche Manie« hatte. Sie fühlte mit der Klarheit ihrer dichterischen Intuition, daß Frankreich trotz all seiner Verirrungen doch ein höheres Ideal suchte, als die englische Nation in dieser Epoche. Doch bald fanden ihre politischen Interessen im Lande selbst Nahrung, durch die Ereignisse, die auch Italien in Bewegung setzten. In den folgenden Jahren fand Elisabeth Browning nicht nur in Florenz, sondern auch auf den Reisen, die das Ehepaar in Italien und anderswo unternahm, eine immer vielseitigere Entwicklung durch den Zusammenhang mit dem europäischen Leben und den Umgang mit mehreren der hervorragendsten Persönlichkeiten ihrer Zeit. Viele von den glänzenden Geistern, die Italiens eigene Söhne oder Gäste waren, versammelten sich um die beiden Brownings, die in dem Interesse für Italiens politisches Schicksal italienischer als die Italiener selbst waren. Elisabeth konnte ferne von der englischen Gesellschaft dieser mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen als aus der Nähe. Daß in England die Begriffe Freiheit und Ordnung, Recht und Pflicht eng verbunden sind, das machte sie auch für die Schwächen in dem italienischen Volkscharakter klarsehend. Aber das verringerte nicht ihr Mitgefühl mit dem zerrissenen, geknechteten Italien, das sie mit der Leidenschaft des Dichters für seine Erinnerungen und seine Schönheit, mit der Zärtlichkeit des Weibes für die Heimstätte seines Glücks liebte. Als sich schließlich all die neuen Eindrücke in einer großen Eingebung sammelten, entstand das Gedicht, das das schönste poetische Denkmal von Elisabeth Brownings Sympathie mit Italiens Freiheitskämpfen ist. Das ist Casa Guidi Windows, 1851 herausgegeben, aber drei Jahre früher begonnen, unter dem Eindrucke der freiheitlichen Bewegungen in Toskana, deren Zeuge sie war. Die äußere Eingebung zu dem Gedichte empfing sie, als sie von ihrem Fenster auf der Straße ein Kind so himmelstürmend die Freiheitshymne jubeln hörte: O bella libertà, o bella, daß sie von dem Gedanken ergriffen ward:

... that the Heart of Italy must beat,
When such a voice had leave to rise serene
Twixt church and palace of a Florence street:
A little child too, who not long had been
By mother's finger steadied on his feet ... »... das Herz Italiens müsse schlagen, wenn eine solche Stimme heiter emporsteigen dürfe zwischen Kirche und Palast einer Strasse in Florenz. Ein kleines Kind, das der Mutter Hand unlängst auf den Füssen gestützt hielt ...«

Durch dieses Gedicht geht, neben der glühenden Begeisterung für ihr zweites Vaterland, eine starke Strömung der Freiheitsträume der dreißiger und vierziger Jahre, als die gewitterschwere Luft der europäischen Staaten sich in den blitzenden Gedichten einer Dichterschar entlud, bei der der Unwille gegen das Bestehende zur Leidenschaft und die Leidenschaft zum Gesang wurde. Diese Dichter, die von der »Byronschen Gruppe« in der europäischen Literatur stammen, sind Kinder der durch die Julirevolution wiedererweckten Ideen der ersten Französischen Revolution und Seelenverwandte der Männer, die von den ersten Tagen der Heiligen Allianz an in der Politik die Unterdrückung bekämpft und der Freiheit ihr Leben geweiht haben. Die Repräsentanten dieser Richtung unter Englands Sängern wendeten sich mutig auch gegen die kalt unterdrückende Selbstsucht der eigenen Nation in eigenen und fremden Landgebieten. Der Führer dieser kleinen Schar war um das Jahr 48 herum Mazzini, der Seelenverwandte des Ehepaars Browning; das Glied, das diese Freiheitsbewegung mit der der Byronschen Zeit verband, war der greise Republikaner Landor, ihr vertrauter Freund.

Elisabeth Brownings Freiheitssinn umfaßte dieselbe Freiheitsidee des Weltbürgers und Republikaners wie Mazzini: daß alle unterdrückten Nationen aus fremdem Zwange gelöst werden sollen, um sich dann aus innerer Unfreiheit zu lösen und die Volkseigentümlichkeiten zu entwickeln, die den Beitrag jeder Nation zu der menschlichen Entwicklung bilden und zu der schließlichen Verbrüderung, die sich nicht durch die Aufhebung der Nationalitäten vollzieht, sondern durch ihre Erhöhung zu reichster Lebenskraft. Diese Freiheitsidee wird in »Casa Guidi« von der ersten bis zur letzten Zeile ausgesprochen. In der Ausführung macht sich der auf konkrete Fakten hinzielende »Gerechtigkeitsdrang« geltend, in dem sich – nach Brandes' Worten Man sehe Georg Brandes: Der Naturalismus in England. – die politische und praktische Art des englischen Charakters auch bei den Dichtern zu erkennen gibt. Elisabeth Browning hat in »Casa Guidi« nicht eine Elegie oder eine Freiheitshymne gesungen; sie hat ihre Leidenschaft für das entschwundene, gegenwärtige und zukünftige Italien in einem Poem ausgedrückt, das ein von Gedanken- und Bilderreichtum erfülltes Blatt der Vergangenheits- und Gegenwartsgeschichte und zugleich ein Streitruf ist. Vor allem wendet sie sich gegen die mutlose Klage, die Italiens Dichter an der Bahre ertönen lassen, auf der die »Königin der Nationen« ruht, eine Klage, in die sie nicht einstimmen will; sie will von der Hoffnung singen, »mit den Vögeln, mit den Kindern, mit den Männern, die des Morgentaus heilige Taufe nicht fürchten!« Dann wendet sie sich gegen die feige Unterwerfung unter das Bestehende, die sich, indem sie tatenlos eine entschwundene Zeit der Größe preist, Ehrfurcht nennt Auf diesen Seiten ist jede Zeile ein Funke; ihr Hauptgedanke ist, zusammengefaßt, der folgende: Wir haben nicht das Recht im Dienste der Toten zu arbeiten, vergessend, selbst zu leben, weil andere vor uns gelebt haben. Wir mögen denen danken, die die Pforte aufgeschlossen haben, aber wir sollen nicht dankend auf der Schwelle stehen bleiben, sondern mutig weiter gehen. Damit auch wir von kommenden Geschlechtern als die großen Toten verehrt werden, lasset uns unsere Zeit vorwärts führen; lasset uns Blumen auf die Gräber derer streuen, die die Ernten säeten, die wir geborgen haben; aber wenn wir sie geborgen haben, dann holen wir den Pflug, um neue Felder in der Morgenkühle zu bestellen und die Keime der Zukunft in die Gegenwart zu säen! So führt der Weg der Menschheit vorwärts, und alle Männer von wahrer Größe haben ihr silbergraues Haupt vor den Neuschaffenden gebeugt, von denen sie ahnten, daß sie Ideale verwirklichen würden, die sie selbst nicht erreicht hatten, aber noch mit Leidenschaft liebten. Wenn wir die Vergangenheit mit Füßen treten könnten, würde die Zukunft nicht aufrecht stehen; wären der Gräber weniger, so wären es auch die Äcker, und machen wir uns vaterlos, so werden wir auch erbenlos. Aber wir ehren die Väter am meisten, wenn unsere Taten Zeugnis davon geben, daß die ihren nicht vergeblich waren; wir schätzen die entflohene Größe am besten, wenn wir in ihrem Lichte erforschen, was uns selbst noch Großes zu vollbringen erübrigt!

Nach dieser Einleitung schildert sie die Hoffnungen, die die Freiheitsbewegungen in Toskana ihr einflößten, da sie sich bewußt war, daß »die Nationen werden, was sie wollen«; und sie drückt die Hoffnung aus, daß die Regierungen das Wort VOLK das nun von allen Seiten ertönte, in seinem wahren Sinne deuten würden: als Majestät. Sie will keinen Umsturz, will nicht Leidenschaften entfachen, sondern Gewissen wecken, und sie erinnert daran, daß Freiheiten nicht notwendig Freiheit sind, der Haufe nicht eher Volk, bis nicht jedes Glied desselben ein Mensch ist und alle einander gleich – dadurch daß die geistig Vollerwachsenen, die selbst ihre Trauben pflücken können, die Weinranken zur Höhe der Lippen der Kinder hinabbiegen!

Die zweite Abteilung des Gedichtes wurde drei Jahre später geschrieben, als in Italien tiefer Mißmut über die fehlgeschlagene Befreiungshoffnung herrschte. Die Dichterin beugt sich nun tief in den »Staub von Tempeln und Städten, den man Italien nennt«, um abzubitten, daß sie irgend welchen königlichen oder päpstlichen Verheißungen der Freiheit geglaubt, daß sie vergessen, »wie die Luft der Geschichte von fürstlichen Meineiden glühend erhalten wurde«, daß sie gehofft, die Freiheit könnte von einem Volke errungen werden, das bislang weder Weisheit noch Geduld besaß. Aber mit ungebrochener Glaubensstärke verkündet sie trotz der Fehler des Volkes sein Recht auf Freiheit und sagt dessen Unterdrückern, daß das Leben eines Volkes nicht unter der Ferse des Despotismus totgetreten werden könne, denn für jeden abgeschlagenen Kopf wüchsen neue hervor!

Gewiß bin ich, sagt sie, eine Freundin des Friedens, aber ich spotte Englands lauter Rufe von den Segnungen des Friedens als des einzig Erstrebenswerten. Ich schreibe nicht des Friedens heiligen Namen auf Galgen, Gefängnisse und Fesseln. Ich will lieber die Wellen des Weltenmeers von Blut schäumen, als den Frieden an dem selbstsüchtigen Herd des einen Volkes sitzen sehen, während das andere unter dem Joche seufzt. »Hat mein England den Unterdrückten unter den Völkern und unter seinem eigenen Volke keine Hand zu reichen?« Endlich wendet sie sich an die Kämpen des italienischen Freiheitskrieges und grüßt sie als die Säemänner der Zukunftssaat, auf die sie noch hofft. In der Zeit, die zwischen dem Beginn des Gedichtes und seiner Beendigung verflossen ist, hat sie nämlich die Lebensmacht erfahren, die nicht nur ihre Weiblichkeit voll ausformte, sondern sie infolgedessen auch dahin brachte, sich noch mehr als je mit ihrer Generation verbunden zu fühlen, als Mitbürgerin in dem Leben der Gegenwart, mitverantwortlich für die Zukunft ihres Volkes. Sie besaß ihren Sohn, und aus diesem Glück schöpft sie die Stärke, die sie zur Sängerin der Hoffnung für die Sache macht, an die wenige Männer in diesem Augenblick glauben konnten und die noch wenigere zu besingen vermochten. Ihr Gedicht, mit seiner ernsten Grundfarbe, schließt, wie es beginnt, mit einem Kinderlächeln, und macht so den Eindruck einer Gewitterwolke, die ringsherum goldgerändert ist!

The sun strikes through the Windows up the floor:
Stand out in it, my own young Florentine,
Not two years old, and let me see thee more!
It grows along thy amber curls to shine
Brighter than elsewhere. Now, look straight before,
And fix thy brave blue English eyes on mine,
And from thy soul, which fronts the future so,
With unabashed and unabated gaze,
Teach me to hope for, what the angels know,
When they smile clear, as thou dost – – – –
– – – – – – – – – – – – – –
Now shake the glittering nimbus of thy hair,
And be God's witness, that the elemental
New springs of life are gushing everywhere.
– – – – – – – – – – – – – –
That earth's alive, and gentle or ungentle
Motions within her signify but growth.
– – – – – – – – – – – – – –
However the uneasy world is vexed and wroth,
Young children lifted high on parent souls
Look round them with a smile upon the mouth,
And take for music every bell that tolls.
Who said we should be better if like these?
And we – despond we for the future though
Posterity is smiling at our knees,
Convicting us of folly? Let us go –
We will trust to God. The blank interstices
Men take for ruins, he will build into
With pillared marbles rare or knit across
With generous arches, till the fane's complete.
This world has no perdition if some loss.
— — — — — — — 

»Die Sonne prallt durchs Fenster auf den Boden: tritt hinaus in sie, mein junger Florentiner, noch nicht zwei Jahre alt, und lass mich dich besser sehen! Sie legt sich um deine Bernsteinlocken und scheint heller als anderswo. Nun blicke stracks gradaus und richte deine tapferen blauen englischen Augen auf meine, und aus deiner Seele, die so der Zukunft trotzt mit unbeschämtem, furchtlosem Blick, lehre mich hoffen auf das, was die Engel wissen, wenn sie lächeln licht wie du – – Nun schüttle den glitzernden Strahlenkranz deines Haars und sei Gottes Zeuge, dass die neuen Urquellen des Lebens überall strömen. – – – Dass die Erde lebt, und sanfte oder unsanfte Regungen in ihr nur Wachstum bedeuten. – – – Wie sich die unbehagliche Welt auch härmt und erzürnt, junge Kinder, die auf der Eltern Seele hoch emporsteigen, blicken mit einem Lächeln auf den Lippen um sich und halten jede Schelle, die da klirrt, für Musik. Wer sagte, wir würden besser, wenn wir ihnen gleich? Und wir – verzagen wir an der Zukunft, trotzdem die Nachwelt zu unsern Füssen lächelt und uns unsrer Torheit überführt? Lass uns gehen – wir wollen Gott vertrauen. Die leeren Zwischenräume halten die Menschen für Trümmer. Er wird hineinbauen mit einzelnen Marmorsäulen oder reich beladenen Bogengängen, bis der Tempel vollendet dasteht – diese Welt hat keinen Untergang, höchstens einigen Verlust.«

»Casa Guidi Windows« wurde eine Losung für alle Freunde der italienischen Freiheit und der erste starke Ton in der Folge von Gesängen, in denen sie bis zu den letzten Wochen ihres Lebens Italiens beste Gefühle kündete.

Das leere Gerede, daß der Dichter nichts mit der Politik zu schaffen habe, verachtete Elisabeth Browning tief. Sie wußte, daß diese Auffassung den Dichter nicht erhöht, sondern erniedrigt, denn sie stellt ihn außerhalb der Gegenwart und der Zukunft seines Landes, da die Geschichte des Tages die Politik der Vergangenheit ist und die Politik des Tages die Geschichte der Zukunft wird. Sie fühlte, daß die Wurzeln der Kunst um so stärker werden, je tiefer sie in die Gegenwart eindringen, und daß die richtige Stellung des Dichters zum politischen Leben der Zeit nicht die der vornehmen Gleichgültigkeit ist, sondern die der Teilnahme, wodurch er das Verwirrte zur Klarheit emporhebt und das Zersplitterte zu einem großen Streben sammelt. So war Elisabeth Barrett Brownings eigene politische Dichtung, die sich dadurch mit einer der großen Freiheitstaten des Jahrhunderts verknüpfte. Sie war kein scharfsinniger Tagespolitiker, dazu war sie zu sehr Dichterin. Aber das Volk sucht auch nicht die staatsmännische Weisheit des Augenblicks bei seinen Dichtern, sondern die Gabe der Weissagung.

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Im Herbst 1851 traten die beiden Gatten eine lange Reise an. Zuerst nach Venedig, wo Elisabeth Barrett Browning alles wie eigens für sie geschaffen fand und wo selbst der erst zweijährige Pen »in Entzücken über San Marcos Schönheit seine Kinderfrau küßte«, und weiter über Parma, wo Elisabeth Browning vor allem Correggios Geschmack bewunderte, »all seine Engel und Kinder ganz nach ihrem Baby gemacht zu haben« – und über Mailand und die italienischen Seen nach England. Sie trafen dort mit alten Freunden zusammen und erwarben neue. Carlyle und seine Frau – für welch letztere Elisabeth Browning lebhafte Sympathie hegte – Landor, Kingsley, Ruskin, Mazzini, Tennyson und andere gehörten zu ihrem Umgang. In diesem Kreise hielt Tennyson – bei einem zweiten Besuche der Brownings in England – die berühmt gewordene Vorlesung seiner Maud, bei welcher Gelegenheit Rossetti sein bekanntes Porträt Brownings zeichnete. Browning hatte 1850 sein Gedicht »Christmas Eve and Easter Day« herausgegeben und arbeitete nun an seinem »Introductory Essay« zu Shelleys Briefen, 1852.

Den Winter verbrachten sie bei Brownings Vater, der von der Bank von England eine Pension bezog und sich in Paris niedergelassen hatte, wo, wie Elisabeth Browning fand, »man lebt wie nirgends in der Welt, während man in Florenz so träumt wie nirgends«. Sie suchten nicht viel Verkehr in den literarischen Kreisen; nur bei George Sand stattete Elisabeth Browning einen Besuch ab, »weil sie die Hand küssen mußte, deren Werke sie so innig liebte«. Vor allem erfreuten sich beide an den Theatern, und sie weinte über die Kameliendame, so daß sie zwei Tage krank war! »Ich fand sie in hohem Grade menschlich und moralisch«, schreibt sie, »aber meine englischen Freunde finden sie in eben so hohem Grade unsittlich und wundern sich, daß Robert mir erlaubt hat, sie zu sehen – als ob es ihm je einfallen könnte, ein Wort gegen das zu sagen, was ich will!«

Im Frühling 1852 kehrten sie nach Florenz zurück, aber den folgenden Winter verbrachten sie in Rom. Sie arbeitete an Aurora Leigh und er an Men and Women, seinem – meiner Meinung nach – hervorragendsten Werk.

In ihm zeigt Browning auf vollster Höhe jene ganze geniale Macht, kraft derer seine Frau ihn mit Recht so unendlich ihr selbst überlegen empfand. Vor allem die Macht, Menschen vergangener Zeiten wiederzubeleben, ihr reiches, rotes Blut in eben dem Rhythmus pulsieren zu lassen, der der früherer Zeiten war, und gleichzeitig jedem dieser Wesen eine so ausgeprägte und tiefe individuelle Eigenart zu geben, daß sie einzig und unergründlich werden, von dem wunderbaren, mystischen Licht umflossen, das Lionardo bei den Gestalten beobachtete, die mit einer dunklen Torwölbung hinter sich hinaus ins Licht treten! Nicht in ihrer eigenen alltäglichen Welt treten uns diese Wesen – ein Johannes Agricola, Pictor Ignotus, Fra Filippo Lippi, Andrea del Sarto, Cleon und andere – entgegen. In den großen Stunden der Seele, wo sie entweder selbst ihr Leben verfehlt finden, weil sie ihr eigenes Innerstes gekränkt, entgleist, weil sie sich nicht auf ihrem eigenen Wege befinden – obgleich der Weg, den sie wandeln, der des weltlichen Erfolges ist – oder auch wenn sie fühlen, daß sie mitten in dem irdischen Untergang ihre Seele errettet haben, oder wenn sie, obgleich mit dem Tode vor Augen, ihre menschliche Eigenart ihre ganze Intensität bewahren lassen, so z. B. der Bischof, der sein Grab in der St. Praxedskirche bereitet, eines der großen Wunder der Dichterintuition! Und diese geheimnistiefen Wesen drücken ihr Pathos in einer so berückenden Wortmusik aus, daß man zuweilen überwältigt das Buch sinken läßt, außer stande, mehr von dieser Herrlichkeit zu ertragen!

Als das Werk fertig war, Men and Women, 1855. gab Browning es seiner Frau mit der Zueignung – »One Word more« – eines der schönsten in dieser Sammlung wunderbar schöner Gedichte. Es war nicht seine Art, Verse an seine Frau zu schreiben; er wollte, daß die Poesie Nahrung von der Liebe erhalten sollte, er mochte diese nicht zu »nur Poesie« verdünnen. Beide ließen nur selten etwas von dem Gold ihres Gefühls von der Kunst anstatt vom Leben formen. Aber geschieht es einmal, dann wird es zu dem herrlichsten Geschmeide ihrer Dichtung gebildet.

In dieser Zueignung sagt Browning, wie jeder Mensch, wenn er liebt, sich ein ganz neues Ausdrucksmittel für seine Liebe wünsche, und daß dieser Wunsch der Sage nach Raphael vermocht habe, einmal zu dichten, Dante aber, einmal einen Engel zu zeichnen.

Ein solches besonderes Ausdrucksmittel hätte auch er gerne besitzen wollen. Aber dessen ungeachtet ruft er aus:

God be thanked, the meanest of his creatures
Boasts two soul-sides, one to face the world with,
One to show a woman, when he loves her!
This I say of me, but think of you, Love!
This to you – yourself my moon of poets!
Ah, but that's the world's side, there's the wonder,
Thus they see you, praise you, think they know you!
There, in turn I stand with them and praise you.
Out of my own seif, I dare to phrase it.
But the best is when I glide from out them,
Cross a step or two of dubious twilight,
Come out on the other side, the novel
Silent silver lights and darks undreamed of,
Where I hush and bless myself with silence.

O, their Raphael of the dear Madonnas
O, their Dante of the dread Inferno
Wrote one song – and in my brain I sing it
Drew one angel, borne, see, on my bosom! »Gott sei gedankt, das niedrigste seiner Geschöpfe rühmt sich zweier Seelenhälften, einer, um der Welt entgegenzutreten, einer, die es einer geliebten Frau zeigt.

Das sage ich von mir, doch denke deiner, Geliebte! Das sage ich dir, du selbst mein Dichtermond! Ach, das ist die weltliche Seite, da ist das Wundersame, so sehen sie dich, loben dich, denken, sie kennen dich. Dort in einer Reihe mit ihnen steh' ich und lobe dich. Aus meinem eignen Selbst heraus, darf ich es nennen. Doch es ist am besten, wenn ich mich von ihnen wegschleiche, einen Schritt oder zwei in unsicherem Zwielicht schreite, auf der anderen Seite herauskomme bei dem neuen, stillen Silberlicht und dem Dunkel, von dem ich nicht geträumt, wo ich den Finger an die Lippen lege und mich schweigend selig preise.– – O, ihr Raphael der lieben Madonnen, o, ihr Dante des grausigen Inferno, der sang ein Lied – und in meinem Herzen sing' ich es, der zeichnete einen Engel, den ich, sieh her, auf meiner Brust trage«.

Es sind in dieser Sammlung noch einige für Brownings Gefühlstiefe bezeichnende Gedichte. Das eine – Two in the Campagna – könnte von einem oberflächlichen Leser als Beweis eines unvollkommenen Glücks gedeutet werden, während es im Gegenteil ein Ausdruck des Schmerzes ist, den nur die vollkommenste Liebe kennt, des Schmerzes, daß die Begrenzung der Persönlichkeit den Liebenden hindert, ganz sein Sehnen nach absoluter Einheit der Seelen zu stillen; des Schmerzes, die Seele des geliebten Wesens nur berühren, nie unauflöslich eins mit ihr werden zu können und so selbst im Augenblick der höchsten Verzückung doch noch immer

Infinite passion and the pain
Of finite hearts that yearn »Unendliche Leidenschaft und den Schmerz endlicher, sehnsuchtsvoller Herzen«.

zu fühlen.

Das andere Gedicht ist »By the Fireside«, wo er seine Liebe und seine Lebensanschauung in Strophen wie diesen zusammenfaßt:

Worth how well, those dark grey eyes,
That hair so dark and dear, how worth
That a man should strive and agonize
And taste a veriest hell on earth
For the hope of such a prize!
– – – – – – – – – – – – –
A moment after, and hands unseen
Were hanging the night around us fast;
But we knew that a bar was broken between
Life and life: we were mixed at last
In spite of the mortal screen.
– – – – – – – – – – – – –
How the world is made for each of us!
How all we perceive and know in it
Tends to some moment's product thus,
When a soul declares itself – to wit,
By its fruit, the thing it does!
– – – – – – – – – – – – –
I am named and known by that moment's feat;
There took my station and degree;
So grew my own small life complete,
As nature obtained her best of me –
One born to love you, sweet!
– – – – – – – – – – – – –
And to watch you sink by the fire-side now
Back again as you mutely sit
Musing by firelight, that great brow
And the spirit-small band propping it
Yonder, my heart knows how!

»Wie verdienen es diese dunklen grauen Augen, dies Haar so dunkel und so teuer, wie verdienen sie, dass ein Mann kämpfe, Todesqualen leide und die Hölle selbst auf Erden koste in der Hoffnung auf einen solchen Preis! – – – –

Einen Augenblick später, und unsichtbare Hände hängten fest die Nacht um uns; doch wir wussten, ein Riegel war gebrochen zwischen Leben und Leben: wir wurden schliesslich vereint trotz aller irdischen Zwischenwand. – – –

Wie ist die Welt für jeden von uns gemacht Wie strebt alles, das wir in ihr wahrnehmen und wissen, so nach eines Augenblicks Ergebnis, wenn eine Seele sich erklärt, das was sie tut – um wissend zu werden durch ihre Frucht! – – –

Ich bin nach jenes Augenblickes Tat genannt und bekannt; dort nahm ich meinen Rang und Grad; in dem Masse ward mein eignes kleines Leben vollendet, wie die Natur ihr Bestes aus mir machte – einen, der geboren ist, um dich, Süsse, zu lieben! – – –

Und dich jetzt am Kamin wieder rückwärts sinken zu sehen, wie du stumm in Gedanken am Feuerschein dasitzest, die grosse Stirn und die geisterhaft kleine Hand, die dort sie stützt, mein Herz weiss wie.«

Neben diesem Bild seines Heims, das Liebe und Kunst unvergänglich gemacht, finden sich auch andere aus derselben Zeit, von ihren Freunden gezeichnet. Dieses waren zum Teil Amerikaner aus dem geistig aristokratischen Kreis, den Amerika damals besaß und in dem die Dichtung des Ehepaars Browning eine enthusiastische Beurteilung gefunden, die die, welche ihnen in England begegnete, bei weitem übertraf. Die Brownings hatten weder die Lust noch die Mittel, an dem englischen Gesellschaftsleben in Florenz teilzunehmen. Und es geschah nicht so oft, daß ihre eigenen Landsleute sie aus Bewunderung für ihre Poesie aufsuchten! Zu ihrem demnach weniger englischen als amerikanischen Umgangskreis gehörten die Schriftsteller Hillard, Nathaniel Hawthorne Nathaniel Hawthorne (1804–1864), in Massachusetts geboren, zeigt sich in seinen Romanen als einen E. A. Poe verwandten Geist. Auch bei ihm spielt in die Realistik der Darstellung vielfach ein Übersinnliches Element hinein. Mit »The Scarlet Letter« begründete er seinen europäischen Ruf. Später ging er in »Our Old Home«, einer Frucht seines langjährigen Aufenthalts als Konsul in Liverpool, mit England scharf ins Gericht. Nach seinem Tode gab seine Witwe noch mehrere Bände von ihm heraus, darunter zwei Tagebücher. – und dessen Frau – sowie der Bildhauer Story; und hauptsächlich aus ihren Schilderungen der Casa Guidi habe ich das folgende Bild des Lebens dort zusammengestellt.

Alle stimmen in dem Eindruck überein, daß sie nie eine vollkommenere Ehe gesehen, nie zwei Menschen, die so harmonisch ihre so seltenen Eigenschaften verschmolzen und sie dadurch gegenseitig gesteigert haben. »Browning machte einen ebenso starken Eindruck der Männlichkeit und Kraft, wie seine Frau den verfeinerter und tief empfindungsvoller Weiblichkeit. Ihre Gelehrtheit und ihr Genie traten in den Hintergrund, verglichen mit der Liebenswürdigkeit ihres Temperaments, ihrer Herzensgüte und Seelenreinheit, ihrer mädchenhaften Einfachheit und Leichtgerührtheit. Niemand konnte wahrer, edler, freier von der Sucht sein, Effekt zu machen, niemand intensiver und unerschütterlicher in seiner eigenen Überzeugung, niemand milder gegen die anderer. Sie hatte das rasch auffassende und teilnehmende Interesse, das Gespräche ermuntert, und bei diesen machte sich ihre eigene niemals wortreiche Originalität schön geltend. Ihr Genie konnte gleich dem Strahl eines Springbrunnens emporsteigen, aber ihre Rede floß ebenso natürlich wie klares, im Sonnenschein glitzerndes Wasser, und ihr Gesichtsausdruck war dann nicht nur der des Genies, sondern leuchtete auch in der regen, lebensvollen Freudigkeit einer auserlesen geistvollen Frau« ... »Das Erstaunliche war, daß ein so kränkliches, so seltenes und so scharfsinniges Wesen in erster Linie einen Eindruck des Wohlwollens machte, da es doch eine Million Möglichkeiten gab, daß sie bitter und reizbar hätte werden können«, sagt Hawthorne. Der Besuchende begegnete zuerst bei ihr einem forschenden und durchdringenden Blick, dann einem erstaunlich festen Händedruck der dünnen kleinen Hand und einer treuherzigen Freundlichkeit, die es bewirkte, daß der Gast sich bald an ihrem Teetisch zuhause fühlte. Auf alle machte sie den Eindruck eines Wesens, »das sich mit dem geringstmöglichen Maß irdischer Substanz begnügt hatte, von der außerdem jedes Partikelchen von Seele und Herz durchdrungen war«; eine »Feuerseele in einer perlgleichen Hülle, der durchsichtigsten, die je einen großen Geist umschlossen«. In ihrem abgezehrten Antlitz strahlte die mädchenhaft glatte Stirn von Ehrlichkeit und Genie, und ihre »vibrierende, spröde Stimme bebte über ihren Worten wie eine sterbende Flamme über einem Docht.« Story, ein vertrauter Hausfreund, sagt:

»Jeder, der sie kennt, muß sie lieben, denn ihr Charakter ist beinahe vollkommen. Sie spricht nie von ihrer Krankheit, außer wenn andere das Thema berühren, und dann ohne Klagen. Sie verurteilt nie anders als in großen Prinzipienfragen, aber für solche könnte sie sich selbst auf dem Altar der Gerechtigkeit hinopfern! Ihre Sympathie ist immer rege, und mit wirklichem Interesse nimmt sie auch an den Angelegenheiten unbedeutender Menschen teil. Voll Fürsorglichkeit für andere bis in die kleinsten Kleinigkeiten, denkt sie sehr wenig an sich selbst und glaubt so fest an die Güte aller, daß sie nie irgend ein kleinsinniges Mißtrauen empfindet. Ihre Konversationsgabe kommt nur unter vier Augen zu ihrem vollem Recht; sie hat kein Talent zu glänzendem Witz oder zu raschen Antworten, aber sie hat einen ruhigen, anmutigen, ihr eigentümlichen Humor, und ihre Bemerkungen sind originell und treffend. Sie äußert nie Unbedeutendheiten; was sie sagt, ist immer wert, gehört zu werden, und sie ist die beste Zuhörerin: mit ihrer ganzen Seele, ihrem Herzen und ihrem wunderbaren, magnetisierenden Blick, der seine eigene lebensvolle Sprache spricht, während ihre Worte langsam kommen, immer zur Sache und in hohem Grade concis. Dies ist neben ihrer unvergleichlichen Intensität und ihrem Ernst der hervorstechendste Zug ihrer Konversation sowie ihres Charakters. Wenn man nicht eine öffentliche Persönlichkeit bespricht, oder wenn es sich nicht darum handelt, einen Freund zu loben – was Elisabeth Barrett Browning gerne auf sich nimmt – spricht sie nie von Personen, und niemand läßt es sich einfallen, in ihrer Anwesenheit Lappalien oder Klatsch aufs Tapet zu bringen. Bücher, die großen Fragen der Menschheit, vor allem die politischen, große Handlungen – das nimmt den ersten Platz in ihren Gedanken ein und drängt sich darum auch zuerst auf ihre Lippen. Für sie ist alles Religion. Das Christentum bedeutet für sie nicht die Lehre einer Kirche, sondern Zivilisation. Man wird ein besserer Mensch, wenn man mit den Brownings noch so kurze Zeit zusammen ist. Zwischen den beiden Gatten scheint ein unablässiger magnetischer Strom der Poesie und der Liebe hin- und herzugehen. Die Hingebung des einen an den andern verleiht ihnen noch einen Zauber mehr, und die Verschiedenheit ihrer Naturen macht ihre Vereinigung um so reicher« ...

Browning wird als ein bezaubernder Gesellschaftsmensch geschildert: schon sein Händedruck war so warm, daß er dem Leben einen neuen Wert zu geben schien, und verriet eine grundehrliche Natur. Seine Gespräche waren überaus lebensvoll, rasch von Gedanken, klar und sachlich auch in Alltagsthemen; aber glänzend durch Humor, Wissen, energische Überzeugung, scharfsinnige Gedanken und tief eindringende Sympathie, wenn sie höhere Fragen berührten.

Eines der Themen, die besonders mit ihren amerikanischen Freunden oft besprochen wurden, waren die damals sehr üblichen spiritistischen Experimente. Svedenborgs Schriften hatten Elisabeths Glauben an Geistererscheinungen bestimmt, obgleich sie für ihr eigen Teil entschieden den Gedanken abwies, »sich von den Geistern anderer lenken zu lassen, weder der Toten noch der Lebenden«. Browning hingegen war hartnäckig mißtrauisch. Aber »daß er den Mephistopheles spielte«, konnte ihre Überzeugung nicht erschüttern, die übrigens tiefer ging als die spiritistischen Phänomene, durch die Gewißheit, »daß die Menschheit sich einer Epoche der neuen großen Entwickelung der geistigen Natur näherte«.

Ihr tiefes Gefühl für das Tragische in der Isolierung der Seelen ließ sie das Alter als eine erhöhte Isolierung sehen, weil es die Maske, die die Seelen immer voreinander verbirgt, noch dichter macht. Sie betrachtete es deshalb als die Pflicht jeder Frau gegen sich selbst und andere, ihre Jugendlichkeit zu pflegen und in Wesen und Kleidung zu bewahren, und sie wollte mit vollem Recht, daß man das Alter der Menschen nicht nach Jahren bemesse, sondern nach der Jugend der Seele und des Herzens. Dieses starke Gefühl für die Unabhängigkeit der Persönlichkeit von äußeren Verhältnissen war ein Moment ihrer sowie ihres Mannes durchgeführt spiritualistischen Weltauffassung, nach der der Tod nur ein Accidens ist, eine vielleicht nicht einmal merkliche Unterbrechung im Dasein der Seele, oder nur mit der inneren Revolution vergleichbar, die z. B. eine neue Kenntnis hervorruft. Ihr fester Glaube war, daß es auch der Wissenschaft schließlich gelingen würde zu beweisen, daß »der Tod nur ein Wechsel der Tracht ist und das Leben nur ein Segment, ein Spalt, der die vollgerundete Frucht voraussetzt«. Sie glaubte nicht an eine Ruhe im Grabe, sondern an eine ununterbrochene, fortdauernde Wirksamkeit. Und gerade diese Anschauung gab für sie beide dem irdischen Dasein eine unermeßliche Bedeutung, sie wollten es von einem immer reicheren Leben ausgefüllt sehen, während sie den Indifferentismus gegenüber dem Sein als eine Krankheit auffaßten. Jeder Schritt, jeder Federzug in diesem Dasein steht in wirklicher Verbindung mit einem Resultat in einem Leben nach diesem. Das Leben ist kein Traum; alles Gute ist wert getan zu werden – nicht wegen der Strafe oder der Belohnung in einer anderen Welt, sondern weil alles in diesem Dasein, wie Svedenborg es ausdrückt, in »Korrespondenz« mit der anderen Welt steht.

So waren die Gedanken beschaffen, die Elisabeth Barrett Browning in Gesprächen über diese Materien entwickelte. Und daß die Rede oft darauf kam, schien noch natürlicher vor einem so geistergleichen Wesen wie sie, die jeden Augenblick bereit schien, zu verschwinden, ja von der man gar nicht begreifen konnte, wie sie überhaupt das Dasein ertragen hatte! Eine Frau tat über sie die feine Äußerung, daß es nur ihre mächtige große Liebe zu sein schiene, die sie für eine Zeit auf die Erde banne.

Die Besucher der Casa Guidi fanden dort zuerst ein großes Zimmer mit einem Klavier, wo der Knabe zu spielen und zu tollen pflegte; dann ein kleineres Speisezimmer mit Gobelins und Medaillons von Carlyle und Tennyson und ein oblonges Zimmer mit Gipsabgüssen und Studien; schließlich ein Idealzimmer, das eine Vereinigung von Wohnraum und Arbeitsraum war. Da sah man an Winterabenden an der Kaminflamme eine kleine, schwarzgekleidete Gestalt auf dem Sofa, das Kind neben sich, während der Mann auf- und abging und immer mit knabenhaftem Eifer die Frau beobachtete oder sich ihr näherte. Neben ihrem Lehnstuhl – »tief und weich wie eine Wolke« – hatte sie einen kleinen Tisch voll Bücher und Zeitungen, und einige äußerst kleine und anspruchslose Schreibgerätschaften. Sie schwärmte für diminutive Dinge zum täglichen Gebrauch und hatte u. a. eine Miniaturausgabe der Klassiker, in die sie – wie in alle ihre Bücher – mit einer Zueignung den Namen des Mannes über ihren eigenen geschrieben hatte. Das Zimmer hatte Türen auf die Terrasse mit ihren Pflanzen und ihrer Aussicht, aber in demselben waren die Schatten tief und das Licht gedämpft. Gobelins an den Wänden, alte Heiligenbilder in alten schwarzen florentinischen Holzrahmen, große geschnitzte Buchregale, mit gelehrten Folianten gefüllt, gaben dem Raume seinen Charakter. Leichter zugänglich, rings auf den Tischen lagen Dedikationsexemplare zeitgenössischer Dichter. Von den Wänden blickten Dante's und Keats' Züge und Penninis kleine Zeichnungen herab. Außerdem waren da Lehnstühle, Sofas und ein Spiegel, beinahe alles altväterisch; ein paar künstlerische Kleinigkeiten und Blumen überall vollendeten das trauliche Gepräge des Raumes.

Beide Gatten besaßen eine hellenische Sensibilität für das »Seelenleben« der sie umgebenden Dinge, und sie ordneten Bücher, Hausgeräte und Bilder, vor allem Blumen mit Rücksicht auf die Gefühle des Wohlbefindens dieser Dinge in ihrer Umgebung! Browning glaubte z. B., daß ein Renaissancebild tief litte, wenn es neben einem Ostade hängen müßte! Und dieser zur höchsten Potenz entwickelte Altruismus – den man auch Geschmack nennen kann – verlieh ihrer Umgebung ihren originellen und reizvollen Charakter.

Wer unter tiefen Gesprächen einen Abend in diesem Gemach verbracht hatte – wo man den Duft der Blumen von der Terrasse atmete, die Musik von San Felice hörte und die Sterne am Himmel auffunkeln sah, während der seelenvolle Pennini, elfenhaft wie die Mutter, der er auch im übrigen ähnelte, wie ein Ariel umherglitt, lauschend oder Erfrischungen anbietend – dieser Gast fühlte, daß er einen jener seltenen vollkommenen Augenblicke durchlebt hatte, die die Andachtsstunden des großen Menschenlebens sind.

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Casa Guidi ist noch im Besitz »Penninis«, obgleich Fremde es bewohnen und nur die schönen Proportionen der hohen Räume der Phantasie behilflich sind, ein Bild des eben geschilderten Heims heraufzuzaubern. Eine bessere Unterstützung findet man im Palazzo Rezzonico in Venedig, der ebenfalls Eigentum von Mr. Browning ist. Dort hat der, welcher sich für Tiepolo interessiert, Gelegenheit, in den prachtvollen Sälen seine herrliche, dekorative Kunst zu bewundern. Dort sieht man Porträts und Büsten von Robert und Elisabeth Browning in verschiedenem Alter, und von einigen derselben empfängt man den starken, überzeugenden Eindruck der Ähnlichkeit. Da findet man auch einen großen Teil der oben erwähnten Möbel, so das kleine Tischchen und das Pult, an dem Elisabeth Browning zu schreiben pflegte, und vieles andere von dem Hausrat, der ihrem Heim in der Casa Guidi sein besonderes Gepräge gab. Und hier wie in dem Heim, das er sich und seiner Tante Sarianna Browning in Asola geschaffen, legen eine Menge Bilder und Skulpturen Zeugnis davon ab, daß Penninis Spiel mit dem Stifte später Ernst geworden ist.

Asola – der Schauplatz von Pippa Passes – ist einer der lieblichsten Orte, die ich in Italien gesehen. Man hat da Hügel, Wiesen und Wälder, so üppig, frei und frisch wie die Süddeutschlands. Nach Norden zu schließen blaue Bergketten den Horizont ab, und die weite, reiche Ebene erstreckt sich südlich bis zum Meere. Der Wein, die Oliven und Cypressen, das Licht und die Farben geben der Landschaft das Gepräge Italiens. Und da, in der Gesellschaft von Robert Browning, Schwester und Sohn, sah ich den großen Schrein und all die oben angeführten Briefe, auf dünnem Papier mit der klaren, persönlichen Handschrift geschrieben, die für beide Gatten charakteristisch war. Hier hörte ich den Sohn von der immer regen, werktätigen Liebe sprechen, die seine Kindheit mit lauter sonnigen Erinnerungen erfüllte. Von den Lippen der Mutter floß der goldene Strom des Märchens und des Liedes in seine Kinderjahre; später war die Mutter auch seine eigentliche Lehrerin. Und der Sohn sowohl wie die Schwägerin versicherten, daß es im Alltagsleben kein gleichmässigeres, fröhlicheres, einfacheres und selbstloseres Wesen, als Elisabeth Browning war, geben könne. Ihre Krankheit hatte keinen Schatten der bei Kranken so natürlichen Selbstsucht in ihr gezeitigt, ihre Gedanken waren stets auf das Wohl anderer gerichtet, und sie wollte nie aus ihrer Schwäche einen Zwang für ihre Umgebung ableiten. Sie blieb nur daheim, wenn etwas ihre Kräfte überstieg, ohne zu verlangen, daß jemand bei ihr bleibe, und sagte nur lächelnd, daß jemand, der, wie sie, so lange gefangen gewesen sei, am allerwenigsten andere zu Gefangenen machen wolle. »Sie hatte«, sagte Miß Sarianna Browning, »die mildeste und liebenswürdigste Alltagslaune, mit der nur je jemand seine Umgebung glücklich machen konnte«, und keine kleine Mrs. Nobody konnte anspruchsloser sein, als diese große Dichterin mit ihrem Weltruhm.

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1856 beendete Elisabeth Barrett Browning ihre Aurora Leigh während eines Sommerbesuches auf dem Lande bei Kenyon, dem sie ihr Gedicht zueignete. Einige Monate später starb dieser – nachdem er die Zukunft seiner beiden Dichterfreunde durch ein Legat von 10000 Pfund gesichert hatte. Kenyon war noch zum Teil Zeuge des großen Sieges gewesen, den Aurora Leigh errang und den er mit Sicherheit vorausgesehen hatte. Von den bedeutendsten Kritikern hörte man die rückhaltloseste Bewunderung. So schrieb Landor mehrere begeisterte Seiten darüber, »hier eine Shakespearesche Phantasie gefunden zu haben« und fuhr fort: Ich hatte keine Ahnung, daß jemand in unserer Zeit einer solchen Poesie fähig sei, ich bin halb berauscht davon!

Es wäre zwecklos zu versuchen, eine Ahnung von den Schönheiten zu geben, von denen Aurora Leigh von der ersten bis zur letzten Seite überfließt, da jedermann sie selbst leicht entdecken kann. »Aurora Leigh«, sowie »Poetry« von Elisabeth Barrett Browning (in einer Auswahl von Robert Browning) findet man in der Tauchnitz Edition. – Und auch die Schwächen – wenn man dazu gestimmt ist, nachdem man seine Seele von den Schönheiten hat durchfluten lassen. Ich will hier nur die Gedanken des Buches herausheben, weil ich seit meiner Jugend in dem Maße in demselben gelebt habe, daß ich zu einem objektiven Urteil über seinen literarischen Wert außer stande bin.

Elisabeth Barrett Browning sagt selbst, daß sie in Aurora Leigh ihre höchsten Ansichten vom Leben und von der Kunst gegeben habe. In dieser Beziehung hat sie in erster Linie den Gedanken verwirklicht, daß die Kunst am besten das Leben der Gegenwart wiederspiegele. Schon in dem früheren Briefwechsel mit Browning erwähnt sie, daß sie ein Gedicht plane, dessen Fabel sie jedoch erst erfinden müsse: ein Gedicht, in dem sie sich unter den Konventionen des zeitgenössischen Lebens zu bewegen gedachte, um darüber die Wahrheit zu sagen, und in dem sie Angesicht in Angesicht der Menschheit des Jahrhunderts gegenübertreten wollte. Sie war der Ansicht, daß die Klagen der Dichter über die unpoetische Gegenwart nur die Ohnmacht dieser Dichter beweisen. Denn der echte Poet bahnt sich durch Zeitverhältnisse und Konventionen den Weg zu dem Reinen und Unvergänglichen in der Menschennatur, er findet an Stelle der veralteten Kunstideale neue Formen, um dieses Unvergängliche aufs neue zu offenbaren. In diesem ihrem Glauben an das Leben selbst, an dessen Macht, in neuen Gestalten seinen ewigen Inhalt auszudrücken, wurde sie beinahe blind gegen die Tatsache, daß die Jetztzeit durch die materielle Machterweiterung in höherem Grade denn je den Menschen Ruhe, Zeit und Raum für die Schönheit geraubt hat. Oder richtiger gesagt: sie sah noch weiter fort, weit über den unschönen Wettbewerb der Gegenwart hinaus.

Gibt es denn, fragt sie, nicht andere Wirklichkeiten mit tieferen Wurzeln als die materiellen? Haben wir die Liebe zum Heim, die Vaterlandsliebe, die Freiheitsliebe, die Wahrheitsliebe verloren? Aber wenn wir noch lieben, beten, leiden und opfern, steht dann die Gegenwart losgerissen von der Poesie der Vergangenheit und der Zukunft da? Hat unsere Zeit nicht wie jede andere »ein Doppelantlitz, zurück und vorwärts schauend« zu heiligen Erinnerungen und einer helleren Zukunft; ist nicht all unser unruhiges Trachten eine verkleidete Hoffnung auf diese Zukunft? Ist nur die äußere Arbeit Handlung und der Ausdruck der geistigen – die Poesie – Tatenlosigkeit? Kann die Menschheit auch nur für die Ausführung dieser äußeren Arbeit die Tragkraft der Ideale missen, und ist sie es nicht, die eine Epoche über die andere erhebt? Was bedeuten die Formen, in die diese Zeitverhältnisse sich kleiden, wenn sie doch von denselben Leidenschaften, Hoffnungen und Kräften gebildet werden, die ewig die Eingebungen der Dichtung bleiben? War es nicht immer die Aufgabe der Poesie, die Oberfläche zu durchdringen, um die Einheit in der Mannigfaltigkeit zu finden? Und ist wirklich unsere Zeit unruhiger, zusammengesetzter als irgend eine andere, so schließt dies nur höhere Aufgaben für den Dichter in sich, der ahnen soll, wohin die ewigen Mächte im Menschen diesen durch die Unruhe der Zeit treiben. Die Zeit ist nicht kalt: »in dem Zeitmaß einer abendlichen Zusammenkunft wird von uns oft mehr wahre Leidenschaft verbraucht als von Roland und all seinen Kämpen«. Die Zeit ist nicht nur der Sklave des Nutzens; wer das behauptet, dem fehlt selbst der Blick des Dichters für die naheliegende Wirklichkeit und für deren wahres Maß, aus der Entfernung gesehen. Ein solcher Dichter würde »selbst König Artus' Burg langweilig gefunden haben, so wie seine Hofdichter sie wahrscheinlich fanden«.

Sie gibt freilich zu, daß der Dichter, der seiner Zeit vorausschreitet, oft in ihr sich einsam fühlen muß. Aber diese Einsamkeit ist seine Größe und seine Sendung: er soll höher stehen als seine Zeit, um sie zu sich emporheben zu können, er soll seinem Volke einige Schritte voraus sein, um der Zukunft entgegenzugehen. »Wenn seine Augen wieder klar von den Tränen eines gerechten Zorns sind, dann soll er die Wahrheit auch aus einer Sünde prophezeien können«.

Elisabeth Brownings Poetik ist, wie man sieht, die Byronsche: »poetry is but passion«, und mit Recht hat ein Kritiker sie gerade mit Byron als typisch für das ideale Dichtertemperament hingestellt: die vibrierende Sensibilität und das starke persönliche Seelenleben. Dies ist für sie sowie für die ganze Byronsche Dichtergruppe die einzige wirkliche Inspiration der Dichtung. »Es bedarf der Leidenschaft, daß ein Mensch werde und daß ein Buch werde – welches auch ein Mensch ist, aber ein Mensch von höherem Wachstum ... in jedem prophetischen Buch muß menschliches Blut strömen« – nur so, meint sie, kann man von den Dichtern mit Recht sagen, sie seien

– – – the only truthtellers left to God
The only speakers of essential truth
Opposed to relative, comparative,
And temporal truths – – – »– – – die einzigen Wahrheitskünder, die Gott blieben, die einzigen, die wesenhafte Wahrheit sprechen im Gegensatz zu bedingter, vergleichender und zeitlicher Wahrheit.«

Diese Ansicht veranlaßte sie, den Dichter vor konventionellen Kunsttheorien zu warnen und ihn zu mahnen, nur auf seine Eingebung zu hören, die am sichersten die Form schaffe. Aber während sie diese Ansichten der Romantik ausspricht, stellt sie den realistischen Grundsatz fest: daß die der sinnlichen Erscheinung treueste Form auch am vollsten den Geist offenbaren wird.

Kraft dieses Glaubens unternahm Elisabeth Barrett Browning in dieser Dichtung das, was St. Beuve als etwas so seltenes bei Dichterinnen erklärt hat: einen Versuch, sich eine eigene Dichtungsart zu schaffen. Durch diese wollte sie einen Protest gegen die Stellung der Poesie zur Romandichtung erheben. Kommt der Realismus in der gebundenen Form zu seinem Recht, dann braucht auch nicht, meinte sie, die Poesie, die gebundene Form für die ungebundene im Stich zu lassen, als sei diese die einzige, die die Mannigfaltigkeit unserer zusammengesetzten Zeit einschließen könne! Da das Gegenwärtige doch in so wesentlichem Grade den Stoff zu den Inspirationen des Dichters gibt, daß nicht einmal die größten schöpferischen Dichter es hindern konnten, daß ihre eigene Zeit aus den Menschen der Vergangenheit sprach, so fragt sie, warum man nicht den entscheidenden Schritt tun solle und im Vers ebenso wie im Roman die Ideen der Gegenwart durch Menschen der Gegenwart aussprechen lassen könne? Nur eine feige Preisgebung ihres Rechtes habe die Dichtung vermocht, sich als Prosa einzuschleichen, anstatt weiter ihre Muttersprache zu sprechen und ihr Teil an der Wirklichkeit auf sich zu nehmen genau so gut wie der Roman. »Auch unsere Zeit verlangt ein Epos«, sagt sie, und sie hat versucht, diesen Gedanken in Aurora Leigh zu verwirklichen. Das erzählende Gedicht braucht nach ihrer Meinung nicht auf den Namen Heldengedicht zu verzichten, weil die Kämpfe auf das Gebiet der Seele übertragen sind und den Fragen des Zeitgeistes gelten, ihren Siegen und Niederlagen in den Ereignissen eines Lebens, oder richtiger des Gedankenlebens, denn jetzt wenn je sind Gedanken die Ereignisse des Lebens. Nicht um neue Fabeln soll das neue Epos geformt werden, sondern um neue Ideen; es soll nicht durch das Wunderbare der Erfindung fesseln, sondern durch die immer reichere Offenbarung all des ewig Wunderbaren der Menschennatur.

Aurora Leigh, diese junge Tochter des alten Epos, birgt eigentlich keine neue Grundidee, sondern dieselbe, die schon Goethe in Hermann und Dorothea ausgedrückt und die Geijer »die Behauptung der Familie als den Grund der moralischen Welt« genannt hat. Aber dieser Gedanke ist durch ein neues Temperament gesehen und hat eine neue Poesie inspiriert, so mächtig, daß man trotz der Schwächen der Dichtung von der ersten bis zur letzten Zeile mitgerissen wird, in die reichste Wirklichkeit, mit dem vielseitigsten Leben, nämlich dem des Geistes, mit dem man kämpft, leidet und jubelt. Es ist wahr, daß man in diesem Ereignisgedicht wenig Ereignisse geschehen sieht; aber man hat genug gesehen, wenn man einen ganzen Menschen gesehen hat. Es ist richtig, daß das Interesse nicht durch die Fäden einer Romanintrigue gespannt wird, aber es hängt atemlos an der Entwicklung einer Seele.

Die neuere englische Literaturkritik hat auch in Aurora Leigh einen Vorläufer einer neuen Kunstrichtung gesehen, die schon in dieser Dichtung so ausgeprägt war, daß Aurora Leigh als eines der originellsten und repräsentativsten Werke der Gegenwart betrachtet wurde, eine Dichtung die gerade durch das leidenschaftliche Gefühl für die Wirklichkeiten des modernen Lebens echte Poesie geworden ist. Darum brannte sie sich nicht nur in die Phantasie der Mitwelt ein, sondern bewahrt auch der Zukunft ein Bild ihrer Zeit. Viel von dem, was die Zeitgenossen der Dichterin in Aurora Leigh als poetische Fehler auffaßten, hat die neuere Forschung schon als vortreffliche Mittel erkannt, das Leben der Zeit mit seinen scharfen Gegensätzen, seinen blendenden Lichtern und tiefen Schatten, seiner leidenschaftlichen Unruhe, seinem rastlos arbeitenden und suchenden Geist wiederzugeben. All die Trauben, die Elisabeth Browning während ihres Dichterlebens in den Weingärten des Lebens, des Gedankens, des Wissens, der Schönheit gepflückt, hat sie mit eifrigen Händen zu einem edlen und feurigen Trank gekeltert, voll Süßigkeit und Stärke – vielleicht noch mehr Stärke als Süßigkeit – und sie kredenzt ihn ihrer Mitwelt in Aurora Leigh. Der Trunk hat einen eigentümlichen, berauschenden Duft. Dieser Duft ist der Stil, einer der reichsten, den die Poesie aufweist, ein Stil von eitel Bildern. Taine – der Aurora Leigh zwanzig Mal mit stets steigender Begeisterung gelesen hat – sagt, daß ihr Stil jeden Augenblick geschaffen wird, für jeden Gegenstand, und so ist, »daß man nie die Worte merkt, sondern Angesicht in Angesicht der Flamme des lebendigen Gedankens gegenübersteht, sein Zittern sieht, seine Sprünge, seine rasch zurückschnellende Elastizität, seinen ungeheuer starken Flügelschlag – ... eine wunderbare Sprache, wahr bis in die kleinsten Einzelheiten, die einzige, die die Tiefen und Höhen des Innenlebens spiegeln kann, den Strom der Inspiration, ihr Anstürmen und ihren Taumel, die heftige Konzentration der Ideenmassen, die unvorhergesehenen Eruptionen von Bildern und Lichtfluten, die gleich Nordlichtern in einer lyrischen Dichterseele auflodern ... Die Poesie so gefaßt ... hat nur einen Stil: den Schrei des triumphierenden oder siegenden Herzens.«

Unter ihren Landsleuten nannte sie schon Leigh Hunt auch was die Poesie betraf Brownings »bessere Hälfte«, und unter den Jüngeren hat z. B. Swinburne ihr »the sovereign gift of a wonderful lyric genius« zuerkannt. Ihre Art zu denken war ganz und gar die des Dichters, der den Ideen nicht Schritt für Schritt naht, sondern sie durch plötzliche Intuition in konkreten Gestalten sieht; und sie erschöpft deren Inhalt mittels kurzer aphoristischer Ausdrücke, wo eine einzige Strophe zuweilen so reich an Gedankengold ist, daß es hinreichen würde, um ein ganzes darüber geschriebenes Buch zu vergolden. Die Stärke und Raschheit ihrer inneren Anschauung, die ebenso kennzeichnend für das weibliche Temperament wie für das des Dichters ist, verleiht ihrer Dichtung dieselbe Eigenschaft wie der Robert Brownings, die Eigenschaft, die die Engländer so hoch bei ihren Dichtern schätzen, nämlich »suggestiveness«, das will sagen, dass sie dem Gedanken und dem Gefühl neue Wege eröffnen, die der Leser, nachdem er sie einen Augenblick erhellt gesehen, dann auf eigene Hand mit seinem eigenen Licht betreten darf. Die Dichtung, die einen solchen Ideenreichtum besitzt, wird stets bildend für den Volksgeist, auch wenn sie nicht durch formelle Meisterschaft neubildend für die poetische Kunst werden sollte.

Diese Eigenschaft steht in innigstem Zusammenhang mit dem, was früher der Hauptzug von Elisabeth Barrett Brownings Stil genannt wurde, nämlich dem Denken in Bildern oder richtiger in Bildserien. Die Bilder sind nie zu stark, denn das Gefühl ist immer stärker, und auch wenn sie dem Thema ganz ferne liegen, hat die Phantasie mit einem Sprunge Bild und Gedanke einander nahegebracht. Noch weniger sind die Bilder mühsam zusammengesucht oder bis zum letzten Tropfen ausgepreßt. Elisabeth wie Robert Brownings Bildersprache hat etwas von der Art des Morgenlandes, die besonders in der hebräischen Poesie den Eindruck des Meeres macht, das rhythmisch dieselbe Welle Schlag für Schlag zu demselben Strande sendet. Diese morgenländische Beharrlichkeit der Phantasie geht auch mit einem morgenländischen Reichtum an Inhalt Hand in Hand, der es bewirkt, daß ein Bild, das zuerst mit der Unmittelbarkeit des Natureindrucks wirkt, dann auch durchdacht werden kann, wobei man seinen innigen Zusammenhang mit der Idee herausfindet. Für eine solche glühende Intensität wird ein Wunsch zum erschütternden Fluch oder zum überquellenden Segen: eine Klage zerreißt alle Saiten des Gefühls, und der Ausdruck der Sehnsucht oder des Glücks wird zu Sturm, zu Hymnen!

Eine solche Phantasie lächelt nicht. Einer der feinsten Versteher des Wesens des Humors, Börne, hat Sensibilität und Hohn den anziehenden und abstoßenden Pol des Humors genannt, zwischen denen der Nullpunkt, die Liebe sich befindet, wo beide zu Humor werden. Bei dem Ehepaar Browning sind die Pole da, aber nicht der Nullpunkt. Ihre Weltanschauung charakterisiert die Liebe als Grundidee. Aber diese ist, ihnen selbst unbewußt, nicht christlich: sie umfaßt mit ihrer Sympathie vor allem das Große und Schöne, und ihre optimistische Hoffnung für die Menschheit verweilt mehr bei der endlichen Harmonie als bei der gegenwärtigen Disharmonie. Besonders für sie ist die Unvollkommenheit ein Schmerz, und sie konnte nicht zu gleicher Zeit trauern und lächeln; sie verabscheute ebenso ernst wie sie liebte; sie hätte ein Feuer vom Himmel herabbeschwören mögen, um die Ungerechtigkeit zu verbrennen, ein Feuer, das auch in ihrer eigenen Dichtung lodert. Dieses Feuer hat ihre Satire geschmiedet, aber sie spielt nie mit dieser Waffe; sie hat kein Vergnügen daran, sie in der Luft blitzen zu sehen, sie schwingt sie nur, um zu treffen. Browning hingegen hat durch sein tiefes psychologisches Interesse eine viel objektivere Anschauung der Verirrungen und Verwickelungen des Seelenlebens, aber auch er schildert sie nie mit Humor im eigentlichen Sinne des Wortes. Oder wenn es Humor ist, so ist es in so spezifischem Grade sein eigener, daß auf ihn nicht die gewöhnlichen Kennzeichen dieser Eigenschaft passen, deren Fehlen das dichterische Temperament der beiden Brownings in gewissem Sinne unenglisch erscheinen läßt. Um so englischer ist besonders ihre subjektive Sensibilität, unter deren Vibration der Inhalt der ganzen Persönlichkeit aus der Dichtung hervorquillt.

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Aurora Leigh spricht nicht nur Elisabeth Barrett Brownings Ansichten über die Kunst aus, sondern auch über das Leben. Und unter den großen Zeitfragen, die vor allem ihre Aufmerksamkeit beschäftigten, stand zuvorderst die Frauenfrage.

Inbetreff dieser war sie tief überzeugt, daß in der Natur der Frau, nicht in den Verhältnissen, der Grund zu der Inferiorität der Frau auf den produktiven Gebieten zu suchen sei. Sie war der Ansicht, daß die Intelligenz der Frau allerdings beweglicher sei als die des Mannes, aber daß sie weniger Kraft und weniger Tiefe habe und daß in der ganzen Weltgeschichte nur George Sand sich mit den großen männlichen Genies vergleichen könne. Sie meinte, daß die Frauen Kultur, Einheitlichkeit und Ernst brauchen, bevor sie für neue Rechte Verwendung haben. Und obgleich sie zugab, daß sie gewiß unter großen Ungerechtigkeiten litten, meinte sie doch nicht, daß diese in der Richtung oder auf die Weise berichtigt werden sollten, wie die äußerste Linke der Frauenrechtlerinnen hoffte. Sie fand außerdem das laute Jubilieren über die Fortschritte der Frauensache – z. B. durch die Tätigkeit einer Florence Nightingale in der Krankenpflege – sehr naiv. Denn niemand hat, schreibt sie, der Frau das Recht bestritten, Kranke zu pflegen, und daß sie es nun öffentlich, anstatt nur privatim tut, bedeutet nichts für ihre wirkliche Befreiung. »Aber laßt eine Frau nur versuchen, ihre eigene Persönlichkeit dadurch zu befreien, daß sie auch nur einen Zoll breit vom ausgetretenen Wege abweicht, dann wird das nicht mehr Freiheit, sondern Frechheit genannt, und doch sind solche Versuche nutzbringender für die Menschheit, als alle Bandagen der Welt!«

Elisabeth Barrett Browning gab mit diesen Worten den einzigen tiefen Gesichtspunkt für die Frauensache an: nämlich daß die individuelle Befreiung jeder einzelnen Frau unendlich wichtiger ist, als die kollektive Freiheit der Frauen durch neue Rechte. Und obgleich sie selbst die einzige Frau war, die – als sie die oben angeführten Worte schrieb – von ihren Zeitgenossen neben George Sand gestellt wurde, war und blieb sie überzeugt, daß die höchste Begabung der Frau auf dem Gebiete des Gefühls, nicht auf dem der Schaffenskraft liege.

Das ist der Grundgedanke, den sie durch Aurora Leigh veranschaulicht. Sie hat für ihre Heldin ein bestimmtes Vorbild gehabt, nämlich Corinne. So wie diese ist Aurora das Kind eines englischen Vaters und einer italienischen Mutter; dadurch hat die Dichterin, ohne die äußeren Züge ihrem eigenen Leben zu entnehmen, Gelegenheit gefunden, ihr erstes und ihr zweites Vaterland einander gegenüber zu stellen. Es ist eigentümlich, daß diese Vereinigung von England und Italien wieder bei Annie Vivanti vorkommt, die, in London geboren und erzogen, einen italienischen Vater hat und in seiner Sprache schreibt.

Wie Corinne ist Aurora Leigh in Italien geboren und liebt dieses Land als die Heimat ihrer Seele, während ihre Erziehung – unter dem Druck der ärgsten Vortrefflichkeiten des englischen Charakters – für sie so wie für Corinne das Land des Vaters zu einem Kerker macht. So wie Corinne geht Aurora Leigh dann ihren einsamen Weg und erreicht ihr Ziel als Dichterin, während sie es als Weib verfehlt. Aber nicht rettungslos wie Corinne. Denn sie und ihr Vetter Romney Leigh finden sich wieder, obgleich sie sich in der ersten Jugend trennten, weil sie, ganz von ihren Dichterträumen ausgefüllt, seine Liebe übersah und weil er, von seinen gesellschaftsreformatorischen Ideen in Anspruch genommen, ihr Recht auf volle Entwickelung ihrer individuellen Begabung außer acht ließ und in ihrem Genie nur eine Hilfe für sein eigenes Lebenswerk suchte. Aurora spricht beim Wiedersehen die Worte aus, die den innersten Gedanken des Buches enthalten:

– – – – Passioned to exalt
The artist's nature in me at the cost
Of putting down the woman's, I forgot
No perfect artist is developed here
From any imperfect woman. Flower from root,
Spiritual from natural, grade by grade
In all our life ...
Art symbolizes heaven. But love is God
And makes heaven. I, Aurora, fell from mine.
I would not be a woman like the rest,
A simple woman who believes in love
And owns the right of love because she loves. »– – – Voll Leidenschaft, die Künstlernatur in mir auf Kosten der des Weibes zu erheben, vergass ich: kein vollendeter Künstler entwickelt sich hier aus einem unvollendeten Weibe. Blume aus der Wurzel, Geistiges aus Natürlichem, Stufe für Stufe in all unserm Leben ... Die Kunst versinnbildlicht den Himmel. Aber die Liebe ist Gott und schafft den Himmel. Ich, Aurora, fiel aus meinem. Ich wollte nicht ein Weib sein wie die andern, ein schlichtes Weib, das an die Liebe glaubt und das Recht auf Liebe besitzt, weil es liebt.«

Aurora ist in ihren Selbstanklagen – wie der Stolze immer, wenn er sich schließlich demütigt – willig, die ganze Schuld auf sich zu nehmen. Aber auch Romney Leigh hat einsehen gelernt, was er in seiner Einseitigkeit gefehlt, und beide können nun zusammen, doppelt stark durch die Liebe, jedes seine Lebensaufgabe wieder aufnehmen, aber auf einer breiteren menschlichen Grundlage.

Schon in allen früheren Frauentypen Elisabeth Barrett Brownings war die Hingebung der Grundton. Ob ihre Frauen nun stolz oder demutsvoll ihr Leben hingeben, immer geben sie es ganz. Und sie stellt sie am liebsten in Verhältnisse, wo sie den Schein für das Wesen opfern und äußere oder innere Schranken durchbrechen, um ihre Liebe zu verwirklichen.

Wie alle zentral-lyrischen Dichter leiht sie der Schöpfung ihrer Phantasie ihre eigenen Züge. Und obgleich die Entwickelungsgeschichte selbst nicht ihre eigene war, hat sie in Aurora Leigh nicht allein die inneren Erlebnisse ihrer eigenen Kindheit und Jugend geschildert, sondern auch unbewußt in Aurora ein gesammeltes Bild ihrer eigensten Persönlichkeit gegeben. Diese ist so kindergläubig an ihren Dichterberuf, so wahr, so schönheitsliebend, so vornehm und stolz, so willensstark und mutig in ihrem leidenschaftlichen Selbständigkeitsdrange; so feurig und keusch, so impulsiv und treu, so unwillig sich besiegt zu erklären, aber so ganz ehrlich, wenn sie sich ergibt. Übergenug würde sie die Literatur allein durch diesen modernen Frauentypus bereichert haben, mit seinem skulpturalen Charakter und seiner Seele aus Musik!

Weil Elisabeth Barrett Brownings lyrisches Temperament – mit seiner raschen Sensibilität und starken Begeisterung, seiner tiefen Ahnung und seiner brennenden Leidenschaft zur Wahrheit – sich mit einer so ganz modernen Bewußtheit ihrer selbst verband, wurde sie eine Entdeckerin der Persönlichkeit. Und durch diese subjektive Anlage konnte sie schließlich in und mit Aurora Leigh einen typischen Ausdruck des inneren Lebens des Dichters, besonders der Dichterin geben, ein Werk, in dem die individualistische Richtung der englischen Poesie eine ihrer höchsten Offenbarungen in einer großen Persönlichkeit der Gegenwart – der eigenen der Dichterin – und in der prophetischen Vision gefunden hat, daß »in der Kunst die Zeit der Seelen angebrochen ist«.

Elisabeth Browning hat überdies durch Aurora Leigh nicht nur die Frauensache vorwärts geführt, indem sie ein weibliches Meisterwerk schuf, – was mehr für die »Frauensache« bedeutet als alle Reden des Jahrhunderts über die Rechte der Frauen – sondern sie hat auch durch dieses Werk die Frauen zu sich selbst zurückgeführt.

Es war eine alte Wahrheit, die sie in Aurora Leigh über die Natur und die Aufgabe der Frau aussprach. Aber eine Wahrheit kann so lange im veralteten Sinne ausgesprochen werden, daß sie sich schließlich für das beste Zeitbewußtsein falsch ausnimmt. Die zurückhaltenden Kräfte wollen die veraltete Deutung bewahren; die neuschaffenden übersehen, im Unmut über diese Deutung, die Wahrheit selbst, bis ein Genie – ein poetisches oder religiöses oder philosophisches – die übersehene Wahrheit emporhebt, dann finden alle in ihren Zügen die hohen Ahnen wieder! Aber vorher mußte das Genie die Wahrheit in die Tracht eines neuen und höheren Zeitbewußtseins kleiden.

Das hat Elisabeth Browning mit der Frauenfrage getan. Und sie konnte es, weil sie selbst persönlich die Macht sowohl des Allgemeinmenschlichen im Wesen des Weibes als die der Ausnahmeverhältnisse empfunden hatte, die das Genie bestimmen. Sie hat aus ihrer Erfahrung den Zweiflern gesagt: daß die Natur auch bei dem weiblichen Genius ihre Grenze zu finden weiß; daß man daher nicht Unnatur als Folge der intellektuellen und sozialen Befreiung der Frau zu fürchten braucht, wenn sie gelernt hat – und sie lernt rasch – daß die Gewalt, die sie der einen Seite ihres Wesens antut, sich durch Unfreiheit auch an der anderen rächt. Elisabeth Browning hat andererseits – in einer Zeit, in der die Frau, besonders die intellektuell arbeitende Frau, an dem Werte der Ehe zweifelt – deren unveränderliche Bedeutung verkündet. Aber sie hat zugleich eingesehen, daß mit dem neuen Einsatz in die Ehe, die die in unserem Jahrhundert erwachte weiblich-menschliche Persönlichkeit gegeben hat, die Harmonie der Ehe weniger sicher und einfach ist als früher; unvergleichlich schwerer zu erringen, aber auch unvergleichlich reicher, wenn sie errungen wird. Und sie hat darum andere das Geheimnis ihres eigenen Glücks gelehrt: daß, wenn die Ehe, nachdem die Frau zu geistiger Selbstkenntnis erwacht ist, ihr Glück und ihre Entwicklung ermöglichen soll, auch der Mann sein muß, was die Liebe des seelenvollen Weibes immer im Manne sucht: eine menschliche Persönlichkeit, die bewußt liebt, was seine Liebe vorläufig noch so selten im Weibe sieht: ihre menschliche Persönlichkeit.

Elisabeth Browning schrieb einmal an eine Frau, die sich ihren Rat erbeten hatte: sie betrachte die Ehe als so wesentlich, daß alle äußeren Gründe zurücktreten müßten, besonders die ökonomischen, die sie der Liebe gegenüber als gottlos ansehe! »Ist man seines eigenen und des Gefühls des geliebten Wesens sicher, so bedeutet alles andere nichts, und ich würde mich verheiraten, wenn mir auch die ganze Welt Feuer ins Antlitz spiee ... Aber ohne Liebe hemmt die Ehe die individuelle Entwickelung der Frau, die sie in diesem Falle am besten fördert, indem sie unvermählt bleibt ... Am allerwenigsten kann ich die Frauen begreifen, die über ihr persönliches Glück den Ehrgeiz nach leeren, kalten Siegespreisen setzen!«

Es ist mir immer eigentümlich vorgekommen, daß man bei Debatten über das Wesen der Frau nicht in erster Linie den hervorragendsten weiblichen Genies des Jahrhunderts Gehör schenkt, die stichhaltigere Beweise für die Wirklichkeit der geistigen Begabung der Frau gegeben haben, als alle Verteidigungsschriften zusammengenommen. Es zeigt sich dann, daß Mme. Staël und George Sand durch das Entbehren zu derselben Antwort gekommen sind wie Elisabeth Browning durch den Besitz, nämlich daß die große Liebe für sie mehr gewesen wäre, als alle Schöpfungen ihres Genius. Aber die Verschiedenheit der Erfahrungen macht auch die Folgerungen, die sie durch ihre Werke aussprechen, von denen Elisabeth Brownings verschieden. Wenn Corinne – durch des Mannes vorurteilsvolle Auffassung der Weiblichkeit – ein Opfer in dem Befreiungskampfe des weiblichen Geistes wird und die Verfasserin durch sie sagt: daß der weibliche Genius als Weib zum Unglück verurteilt sei; wenn George Sand vorzüglich die Befreierin der unterdrückten weiblichen Persönlichkeit wird, mit jenen gewaltigen Keulenschlägen, die nicht nur den Zwang getroffen haben, sondern zuweilen auch das Ideal, und sie sich selbst durch aufreibende Erfahrungen zu dem Glauben an die Liebe in der Ehe durchkämpft; wenn schließlich George Eliot Dorothea Brooke: die Heldin in George Eliot's bedeutendstem Roman »Middlemarch«. – mit ihrer Dorothea Brooke – die Frage an den Zeitgeist gestellt hat: ob eine große weibliche Persönlichkeit ihre volle Höhe in der Ehe erreichen könne? – eine Frage, die die Verfasserin trotz ihrer eigenen glücklichen Erfahrung geneigt scheint, verneinend zu beantworten – dann erklingt von Elisabeth Barrett Browning als Antwort auf dieselbe Frage durch Auroras Lippen das Ja der Siegesgewißheit. Das hat die Frau bezeugt, die selbst in einer vorher nie gesehenen Harmonie die Aufgaben der Dichterin und des Weibes verschmolzen hat, die selbst in einem Leben vollster Schönheit offenbarte: daß das Herz und das Genie des Weibes nicht miteinander im Kampfe zu liegen brauchen, wenn sie beide stark sind!

 

Elisabeth Barrett Browning hatte noch ein vitales Interesse, nämlich die soziale Frage. Mit reger Aufmerksamkeit hatte sie die soziale Bewegung verfolgt, die in ihrer Jugend in England und dem übrigen Europa vor sich ging und die auf dem Gebiete der Theorie am lebhaftesten zwischen 1820-40 ihre Wirkungen auf das englische Gesellschaftsleben fortsetzte. Damals wurden die neuen Ansichten Benthams und anderer über die politische Ökonomie und die Gesellschaftslehre von Stuart Mill und seinen Gesinnungsgenossen weiter entwickelt, die in gewissen Fällen die sozialistischen Lehren in England und Frankreich bekämpften, in anderen wieder sich ihnen näherten. Es waren die durch diese Bewegung zum Leben erweckten Ideen, die in den Tendenzromanen Harriet Martineaus, Dickens' und einiger anderer unmittelbar Ausdruck fanden. Und aus späteren Dichtungen – z. B. Middlemarch und Felix Holt – kann man sich eine Vorstellung machen, wie lebhaft die sozialen Fragen schon zu dieser Zeit den denkenden Teil der Jugend Englands beschäftigten. Zu diesem gehörte Elisabeth Barrett, und lange bevor sie Aurora Leigh dichtete, hatte sie mit Byronschem Mute dem englischen Gesellschaftskörper die Hüllen der Heuchelei heruntergerissen und gezeigt, wie er »durch den Aussatz des Geburts- und Geldegoismus verunstaltet sei«. Nicht nur in The Cry of the Children, auch in The Cry of the human hatte sie sich schon, wie jetzt in Aurora Leigh, gegen die Arbeitsbedingungen gewendet, die den Menschen zu einer bloßen Maschinenkraft machen, die, blind wie eine solche, einst die Gesellschaft treffen wird, die ihn zu menschenunwürdigen Verhältnissen herabgedrückt hat. Sie hofft auf eine neue und edlere Gesellschaftsordnung, aber – und hierin unterscheidet sie sich ausgesprochen von allen sozialen Utopisten – sie glaubt nicht, daß diese Gesellschaftsordnung bloß durch einen Umsturz der äußeren Verhältnisse errungen werden könne. Sie sah diese neue Ordnung als eine demokratische, aber verwirklicht unter der Mitarbeit der im besten Sinne aristokratischen Kräfte der Gesellschaft. Wenn sie ihren Gesellschaftsreformator, Romney Leigh, den höchsten Schichten der englischen Gesellschaft angehören läßt, so läßt sie damit diesen nur Gerechtigkeit widerfahren. Byron und Shelley – die Kämpen für alle Unterdrückten – gehörten beide der Aristokratie an. Und für Reformversuche, ähnlich dem Romney Leighs, hatte Brownings Freund, der Dichter und Edelmann Landor in Wirklichkeit 70 000 Pfund seines väterlichen Erbes geopfert – dieselbe Opferwilligkeit, die später mit besserem Resultate Ruskin betätigte. Dies, um nur einige von den vielen Bemühungen zu nennen, durch die die Elite der englischen Nation versuchte, die Sünden des übrigen Teiles zu sühnen.

Wenn Elisabeth Barrett Browning die neue Gesellschaftsordnung als eine demokratisch-aristokratische sah, so will das besagen: daß sie sie individualistisch sah. Sie war sich klar über die Wertlosigkeit der mechanischen, unorganischen sozialistischen Theorien ihrer Zeit, durch die die geistigen Lebensmächte der Menschennatur an Bewegungsfreiheit verlieren und in Zwangsformen gepreßt werden sollten, die die freie Zirkulation der Säfte im Gesellschaftsorganismus hindern und schließlich den Tod alles Gesellschaftslebens nach sich ziehen mußten, nachdem die niedrige Selbstsucht ihr Gegengewicht in der Familie und im Heim verloren hatte, während gleichzeitig die Abschaffung dieser Institutionen kein höheres Ziel für die Glücksforderungen des Menschen übrig lassen würden, als das Wohlbefinden des Körpers und die Entwickelung des Verstandes. Mit tiefer Wahrheit sagt sie: »daß ein Fourier und andere fehlgegriffen hätten, weil sie nicht genug Dichter gewesen seien, um einzusehen, daß das Leben von innen seinen Ausgang nehme, daß es einer Seele bedürfe, um die Menge zu erheben, wenn auch nur zu einem reineren Stall!« Elisabeth Barrett Brownings soziales Programm war also nicht – wie der frühere Sozialismus wollte –: Zertrümmerung des Bestehenden, um in dessen Staube einen neuen Gesellschaftsorganismus zu schaffen, dem man dann auch einen lebendigen Geist einhauchen zu können hoffte. Sondern sie glaubte, wie die individualistischen und evolutionären Sozialisten der Gegenwart, daß der neue Zustand organisch aus dem alten hervorwachsen müsse. Sie wollte keine utopischen Glückseligkeitszustände, denn sie wußte die Bedeutung des Kampfes und des Leidens für die Entwickelung zu schätzen. Und sie – die Individualistin, die von sich sagen konnte, daß ihre beste Eigenschaft sei, mit eigenen Augen zu sehen und mit ihrer eigenen Seele zu fühlen – wollte am allerwenigsten einen Zustand, in dem »das Individuum mit der Masse zusammengemahlen und die Fortschritte der Gesellschaft retardiert werden würden, weil das Genie, das den Fortschritt anführt, zurückgehalten würde«. Die Politik, die Gesellschaftsordnung, die überall die Individualität hervortreten lassen könnte, war für sie die beste, während sie hingegen »einen sozialistischen Nivellierungsstaat mehr fürchtete als das Szepter des Zaren«.

Das sind die Gedanken, die Romney Leigh als seine durch seine Mißgriffe errungene Überzeugung in der Schlußszene des Buches ausspricht. Aurora, die im Buche die Erzählerin ist, schildert zuerst die Begeisterung ihres Wiedersehens, bei dem alle Mißverständnisse sich in Glück auflösen, und dann ihr Gespräch in der florentinischen Mondscheinnacht ...

While we two sate together, leaned that night
So close my very garments crept and thrilled
With strange electric life, and both my cheeks
Grew red, then pale, with touches from my hair
In which his breath was ... »Während wir beide in jener Nacht aneinander gelehnt dasassen, schmiegte sich selbst mein Gewand so eng an und erbebte von seltsamem elektrischem Leben, und meine beiden Wangen wurden rot, dann bleich von der Berührung meines Haars, in dem sein Atem war ...«

In diesem Gespräche gebraucht Elisabeth Barrett Browning dasselbe Bild für die Fülle des Lebens wie unser Almquist: »human, vital, fructous rose«, deren Innerstes

the love of wedded souls

ist, aber die in ihrer Blüte auch

holds the multitude of leaves »die menschliche, fruchtbare Lebensrose«, deren Innerstes »die Liebe vermählter Seelen« ist, aber die in ihrer Blüte auch »der Blätter Fülle umfasst«.

durch die die Mannigfaltigkeit eine Einheit bildet.

 

Als Elisabeth Barrett Browning nach England reiste, um Aurora Leigh zu beendigen, kam der Koffer, in dem das Manuskript lag, auf der Reise in Verlust. Sie bekam ihn erst nach einiger Zeit wieder, in der ihre eigentliche Unruhe doch Penninis im selben Koffer eingepackten neuen Sammetblusen gegolten hatte, in denen er England erobern sollte! Und als er später im Herbst schwer krank gewesen war, aber sich wieder erholte, schrieb sie: »Er ist mir mehr als zwanzig Auroras, selbst nachdem Leigh Hunt sie gelobt hat«. Ebenso denkwürdig ist ihre Antwort an Ruskin, als dieser ihr Buch das schönste Poem nannte, das in irgend einer modernen Sprache geschrieben worden sei: »Warum rühmen Sie mich und nicht Robert, mein wahres Ich, ihn, der zwanzig solche wie mich aufwiegt?« ... Gleichzeitig schreibt sie von ihm: »Robert – goldenhearted Robert – ist viel froher über meinen Erfolg als je über einen eigenen ...« Selbst äußerte sie von ihrem Buche, daß es freilich nicht das geworden sei, was sie gewollt, aber daß es doch, mit all seinen Schwächen und Lücken, ihrem Ziele näher komme und voller, stärker, durchgeführter sei als ihre früheren Bücher. Und sie freute sich, daß, als die Mütter Englands ihren Töchtern verboten es zu lesen, die Töchter nicht gehorchten; ebenso erfreuten sie die Ausdrücke der Sympathie, die sie von schönen jungen Frauen erhielt, die von »all the temptations of English respectability« umgeben waren!

Endlich freute sie sich, daß das Buch »Haß bei den Menschen hervorrief, deren Meinungen sich nicht in wachsendem Zustande befanden und die es darum nicht vertragen konnten, in ihren festen Positionen gestört zu werden« ... In Bezug auf die Korruption der Gesellschaft fand sie, daß die Frauen, weit davon entfernt, Fenster und Türen zu verschließen, Licht und Luft einlassen sollten: weil sogenannte ehrbare Frauen über die Wirklichkeit in Unwissenheit bleiben wollten, hätten andere Frauen darunter leiden müssen. Sie hatte sich selbst durch Aurora Leigh mit vollem Bewußtsein die Verurteilung dieser »ehrbaren Frauen« zugezogen.

Ihr Buch war, was sie selbst wollte, daß jedes echte Gedicht sei: eine Tat, eine von jenen, von denen sie gesagt, daß sie mehr Kraft und Mut erfordern, als es braucht, um fünfzig Köpfe abzuschlagen!

Und als sie diese Tat vollbracht hatte, schien wirklich ihre eigene Kraft sowohl geistig wie körperlich erschöpft zu sein. Nur in ein paar kleineren Gedichten stieg dann noch ihr Sang zu der Höhe an, die sie hier erreicht hatte, und ihr Dasein wurde in den folgenden Jahren ein langsames Dahinschwinden. Auch Brownings Produktion befand sich jetzt in der Ebbezeit. Er lebte nämlich in einer unablässigen Unruhe um seine Frau, die er mit der zärtlichsten Sorgfalt pflegte. Sie erzählt in ihren Briefen, wie er in kalten Wintern mehrere Nächte durchwachte, um sie warm zu erhalten, indem er in ihrem Schlafzimmer heizte und Kaffee kochte – und sie schrieb:

Wenn die Liebe nicht wäre, lohnte es nicht sonderlich zu leben, wenn man soviel Ungelegenheiten macht. Robert verwöhnt mich ganz. Aber wäre ich nicht so unruhig, dass er sich schadet, so wäre es ein sehr süsser Genuss, krank zu sein und zu fühlen, dass man so teuer ist ...

Ein andermal spricht sie davon, daß er drei Wochen lang Tag und Nacht gewacht und sie mit engelhafter Liebe gepflegt habe. Auch in einem anderen Verhältnis zeigt Browning um diese Zeit seine Herzensgüte, nämlich gegen den alten Löwen Landor, der – in Fehde mit all den Seinen – in Italien lebte und mit dessen rasender Laune nur Browning Geduld hatte. Er ordnete für den Alten alles aufs beste an und war in seiner Sorgfalt unermüdlich; ja, er fühlte sich schon froh und stolz, wenn nur Landor einen halbwegs angemessenen Zeitraum verstreichen ließ – bis er wieder das Service zum Fenster hinauswarf!

Browning vergaß, wie er schon in seiner Verlobungszeit schrieb, nie irgend eine gute Gabe. Und mit seiner Bewunderung dessen, was Landor in den Tagen seiner Kraft gewesen war, verband sich die Dankbarkeit für Landors großartige Würdigung Brownings zu einer Zeit, als noch verhältnismäßig wenigen die Augen für seine Bedeutung aufgegangen waren. In England war diese noch nicht allgemein anerkannt. Seine Frau erzählt, daß – zu der Zeit, als man in Boston »Browning-evenings« abhielt – eine gebildete Engländerin glaubte, Browning sei ein amerikanischer Dichter, worauf ein Amerikaner ihr antwortete: man wisse in jedem Dorfe seines Heimatlandes, daß England das Recht habe, auf Browning stolz zu sein!

Elisabeth Barrett Browning teilt zugleich die interessante Tatsache mit, daß in England »only a small knot of pre-Raffaelite men« Browning Gerechtigkeit widerfahren ließen. Zur selben Zeit schufen diese Präraphaeliten eine neue Kunst, der dasselbe Unverständnis begegnete wie der Brownings. Später hat man in England sowohl Browning wie den Präraphaeliten einen Kultus geweiht, d. h. nachdem sie schon längst ihr Bestes gegeben hatten! Es ist die ewig alte Geschichte, vom Hohn gegen die Stärke, bevor sie gesiegt hat, und der Huldigung des Ruhmes, nachdem die Stärke geschwächt ist: eine Geschichte, die die Menschheit schon bald auswendig wissen sollte und über die sie anfangen müßte zu erröten, anstatt sie beständig zu wiederholen!

Browning selbst wird in dieser Zeit von seiner Frau als noch sehr schön und jugendlich geschildert, trotz früher Silberstreifen in Haar und Bart ... Meiner Meinung nach, sagt sie, ist er unendlich schöner und anziehender, als da ich ihn vor sechzehn Jahren zum ersten Male sah ... Sie fühlte jedoch, sie, »who is on the inside of him and hear him breathe«, daß er in einer unproduktiven Epoche war und nervös wurde, wenn er keinen Ausweg für seine ungeheuere vitale Energie fand. Sie ermunterte daher seinen Eifer, im Sommer zu reiten und im Winter zu modellieren. Die beiden letzten Winter ihres Lebens verbrachten sie – ihrer Gesundheit wegen – in Rom, da das Klima dort milder ist als in Florenz.

Sie vollendete nun ihre Songs before Congress, die in England heftige Angriffe wegen ihres Mangels an Patriotismus hervorriefen. Sie hegte den richtigen Gedanken und sprach ihn aus: »daß Patriotismus in des Wortes engerer Bedeutung eine abgebrauchte Tugend sei und daß das Christentum, – wenn es sich je nach seinem wirklichen Wesen entwickele – keine Grenzen respektieren werde!« Sie fühlte sich so, obgleich eine Tochter Englands, in ihrem vollen menschlichen Recht, wenn sie auch die Fehler ihres Landes sah. Und sie fand nun, daß England sich Italiens Freiheitskampf gegenüber ebenso unedel betrage, wie Napoleon III. ritterlich. Von seinen ersten Taten war sie so ergriffen, daß nicht einmal Villafranca sie klarsehend machte. Wenn sie nämlich jemandem einmal ihr Vertrauen geschenkt hatte, konnte es nicht erschüttert werden. Und obgleich man in bezug auf Napoleons Uneigennützigkeit in England scharfsichtiger war als sie, hatte man doch dort keine besseren Gründe, um ihren Anklagen wegen Englands egoistischer Gleichgültigkeit zu begegnen, als Jämmerlichkeiten wie diese: daß sie nicht im Auslande hocken und von ihrem eigenen Lande schlecht sprechen sollte; daß Napoleons Artigkeiten ihr den Kopf verdreht hätten; Sie hatte keine persönliche Berührung mit ihm gehabt und nicht einmal den Brief abgeschickt, in dem sie ihn bat, Victor Hugo aus der Verbannung zurückzurufen. daß sie – das entdeckte man jetzt – von unsittlichen Tendenzen und wahrhaft teuflischen Eingebungen geleitet würde ... über die letztere Behauptung schrieb sie: Lieber möchte ich vom Teufel verleitet sein, als von Napoleon, denn das erstere wäre »more grand and of superior honesty!«

Und sie ruft aus:

Wenn ich in England gehockt und schlecht von anderen Völkern gesprochen hätte, dann würde man meinen Patriotismus gepriesen haben ... Es wäre doch nicht leicht zu zeigen, worin Englands Überlegenheit über alle anderen Länder besteht! Wir haben ein paar geglückte Organisationen: die Post und die »Society«, in der der Klassenunterschied doch zu vollkommen ist, um überhaupt noch – menschlich zu sein! Dann haben wir eine Anzahl äusserst harter unsympathischer Wohltätigkeitsanstalten! ... Englands Politik im italienischen wie im Krimkrieg ist verabscheuungswürdig, und es bedarf »a bosom of destruction, a good revolution«, um England von seiner selbstsüchtigen Staatsklugheit, seinem korrumpierten Parteiwesen zu reinigen. Selbstliebe ist Englands Krankheit, und der Staatsmann, der die Schleier derselben zerreisst und der Volksseele einen weiteren Horizont gibt, wird unsterblich sein ...

Und endlich äußert sie einige Worte, die nicht nur für sie selbst Geltung haben, sondern für jede echte Frau – so wie für jede echte Dichternatur – die in einen Kampf des Tages eintritt, nämlich, daß sie dazu durch den Imperativ ihres Gewissens gezwungen sei:

Alles, was ich gegen England gesagt habe, sagte ich, um meine Seele zu erleichtern ... Alles, was ich geschrieben habe, ist eine Überzeugung. Ich habe nie jemandem zu gefallen gesucht, nicht einmal meinem Manne. Jeder echte Künstler – welchen Rang er auch in der Kunst einnehmen mag – kommt als Wahrheitssager in den Himmel – und um diese Seligkeit zu erreichen, braucht man sich nicht des Fleisches zu entkleiden!

Immer häufiger hört man jetzt von ihr, daß sie sich nur in Italien daheim fühle, nur dort lebe:

Wir sind Italiener, schrieb sie, und immer mehr entwachsen wir der englischen Rinde! Wir lieben Italien mit the blind stupid, respectable obstinate love, die andere für ihr Vaterland haben.

Diese Liebe hat ihren Tod beschleunigt. Wie persönliche Schmerzen erschütterte sie jede Niederlage in dem italienischen Freiheitskampf, und – während sie sich freute, zu hören, wie ihr Knabe den Winzern revolutionäre italienische Poesie deklamierte – fand sie selbst in der Inspiration dieses Kampfes noch so herrliche Töne, daß sie auf der Höhe dessen stehen, was ihr Sang erreicht hat: So Mother and Poet – vielleicht der höchste Ausdruck, den Mutterschmerz und Vaterlandsliebe in der Dichtung besitzen – Parting Lovers und noch einige andere. Für ihr eigenes Gefühl bezeichnend ist das Gedicht, das sie A tale of Villafranca genannt und worin sie ihrem Sohne von Italiens verlorener Hoffnung erzählt und so schließt:

The tale is ended, child of mine,
Tumed graver at my knee.
They say, your eyes, my Florentine,
Are English; it may be:
And yet I've marked as blue a pair
Following the doves across the Square
At Venice by the sea.

Ah child, ah child! I cannot say
A word more. You conceive
The reason now, why just to-day
We see our Florence grieve.
Ah, child, look up into the sky!
In this low world, where great Deeds die,
What-matter if we live? »Zu End' ist die Geschichte, du mein Kind, das mir zur Seite ernster geworden. Sie sagen, deine Augen, mein Florentiner, sind englisch; lass es drum: und doch hab' ich ein ebenso blaues Paar bemerkt, das die Tauben über den Platz hin verfolgte, in Venedig an dem Meere.

Ach, Kind! ach, Kind, ich kann kein Wort mehr sagen. Du siehst den Grund jetzt ein, warum wir gerade heut unser Florenz bekümmert sehen. Ach, Kind, blick' auf zum Himmel! In dieser niedrigen Welt, wo grosse Taten sterben, was tut es, ob wir leben?«

– ein bei ihr beinahe einzig dastehender Ausbruch der Lebensmüdigkeit.

Ihre letzten Jahre waren eine Selbstverbrennung: die Fieberglut der Seele verzehrte den gebrechlichen Körper, aber doch umschlossen sie die Schatten des Todes nicht eher, als bis sie die Morgenröte von Italiens Freiheitstag gesehen. Ihr letztes Gedicht war an H. C. Andersen, zu einem Feste in Rom, im Mai 1861. Darin nannte sie, in einem Wechselgesang zwischen dem Norden und dem Süden, beider beste Gaben für die Menschen, womit sie vielleicht unbewußt die Einflüsse zusammenfaßte, die ihre eigene Dichtung bestimmt hatten. Kurz darauf kehrte sie mit den Ihren nach Florenz zurück, wo durch eine Erkältung ihre Kräfte rasch sanken, ohne daß sie selbst ihren Zustand für beunruhigend hielt. Noch am letzten Abend sagte sie ihrem Knaben tröstend, daß sie sich besser fühle. Die ganze Nacht vom 28. auf den 29. Juni saß ihr Mann an ihrem Bette und hielt ihre Hand, während sie über seine Besorgnisse lächelte. Er hat diese letzten Stunden selbst geschildert:

Sie schlief schlecht, und jedesmal, wenn sie erwachte, sagte sie mir unaussprechlich schöne Worte. Um vier Uhr morgens wandte sie sich mir zu, und da kam etwas, was mein Herz bewahren wird, bis ich sie wiedersehe, und noch länger: der vollkommenste Ausdruck der Liebe, den sie mir je in all der Zeit, in der ich sie kannte, geschenkt. Glücklich lächelnd und mit einem Antlitz wie dem eines jungen Mädchens starb sie einige Minuten später in meinen Armen, mit ihrem Kopfe an meiner Wange. Keine Qual, kein Bewusstsein einer Trennung! Der Ernst in ihren Zärtlichkeitsbezeugungen hätte vielleicht als eine solche Ahnung ausgelegt werden können, wenn sie nicht bei vollem Bewusstsein gewesen wäre und doch nichts von Pennini gesagt hätte, der im Zimmer nebenan schlief. Darum glaube ich nicht, dass sie fühlte, wie nahe der Tod war. Ihr letztes Wort, als ich sie fragte, wie sie sich fühlte, war: Beautiful!

Nie hat wohl der Tod einem vollkommener schönen Leben ein vollkommener schönes Ende beschieden. Und als Browning sie unter den Cypressen des kleinen protestantischen Friedhofs zur Ruhe bettete, hatte er in seinem Schmerze den Trost der Gewißheit, die er einige Jahre später in seinem herrlichen Gedichte Prospice aussprach, die Gewißheit, daß wenn der Tod ihm selber nahe, sein Dunkel dann

Shall change, shall become first a peace out of pain,
Then a light, then thy breast,
O, thou soul of my soul! I shall clasp thee again,
And with God be the rest! (sein Dunkel) »wird sich wandeln, wird zuerst aus Schmerz Friede werden, dann ein Licht, dann deine Brust. O, du Seele meiner Seele! Ich werde dich wieder umfangen, der Rest sei bei Gott!«

 

V.
Robert Browning.

... he at least believed in soul, was
very sure of God!

Robert Browning.

Nur durch seine – früher mit der Gattin geteilten – Sorgen für den Unterricht und die Erziehung des Sohnes konnte Browning über die ersten Jahre der Einsamkeit hinwegkommen. Die kürzeren Gedichte, die das einzige waren, was er zwischen 1855 und 64 schrieb und in den letzteren Jahre herausgab, »Dramatis Personae«, 1864. gehören jedoch zu seinen vollkommensten, vielleicht gerade weil sie sich mitten durch die Unruhe und den Schmerz mit unabweislicher Notwendigkeit hervorzwangen.

An einem gewitterschweren Junitag des Jahres 1865 stand Robert Browning vor einem Buchladen auf der Piazza San Lorenzo, als ein kleines altes Pergamentbuch ihm in die Hand geriet. Es war eine italienische Kriminalgeschichte, die von dem Prozeß des Grafen Guido Franceschini handelte, der seine Gattin Pompilia ermordet hatte, die er für untreu hielt, weil sie seiner Tyrannei mit Hilfe eines jungen Priesters Caponsacchi entflohen war. Browning kaufte das Buch und erzählt dann, wie er es am selben Abend in der Casa Guidi gelesen habe ...

When flame fell silently from cloud to cloud
Richer than that gold snow Jove rained on Rhodes,
The townsmen walked by twos and threes and talked,
Drinking the blackness in default of air –
A busy human sense beneath my feet:
While in and out the terraceplant, and round
One branch of tall datura, waxed and waned
The lamp-fly, lured there, wanting the white fiower. »Als Flammen plötzlich von Wolke zu Wolke fielen, reicher als jener Goldschnee, den Jupiter auf Rhodos herabgeregnet, die Städter gingen da zu zweien und dreien und sprachen miteinander, aus Mangel an Luft die Schwärze trinkend – ein geschäftiges Menschentreiben unter meinen Füssen: derweil nahm in und um das Terrassengewächs und um einen Zweig des hohen Stechapfels der Leuchtkäfer ab und zu, den das Verlangen nach der weissen Blume dorthin gelockt«.

In dieser Stimmung wurden die Menschen in der italienischen Kriminalgeschichte für ihn visionär lebend, gegenwärtig, durchsichtig, und er sah die ganze Dichtung in einem jener vollen Augenblicke der Inspiration, die, wenn ihre Stimmung während der Ausführung anhält, Meisterwerke schafft. Leider legte Browning die Dichtung mit einer Breite an, die der Stoff nicht tragen konnte. Er läßt nämlich all die verschiedenen Mitspielenden die Handlung jeden auf seine Weise erzählen. Mehrere dieser zwölf Abteilungen wirken nur wie vortreffliche Gerichtssaalreferate in fließenden Versen. Browning hat ganz denselben Mangel an Geschmack und Maß in der Mitteilung von nicht zum Gegenstande gehörigen scharfsinnigen Grübeleien oder gelehrten Auseinandersetzungen wie Almquist. Wie dieser kann er dazwischen solche Wunderlande der Schönheit schaffen, daß sie einen die Wüste davor und dahinter vergessen lassen. Ein solches Wunderland ist hier das Geständnis der drei Hauptpersonen. Über den Worten des jungen Priesters und Pompilias schwebt die Liebe, wie der Frühling an einem sonnigen Spätwintertag über der Erde schwebt, nur vernehmbar durch die unbeschreibliche Reinheit und Klarheit der Luft – ein Frühling noch ohne Farbe, Form oder Ton, der sich nur den empfindungsvollsten Sinnen mitteilt und nur unaussprechliche Gefühle einflößt.

Pompilia ist des Ringes schön schimmernder Opal, des Buches mit einem Engelsköpfchen gezierte Schließe! Weder Shakespeare noch Goethe noch Turgenjew – die Dichter, die das ideale Frauenwesen am tiefsten gesehen und am sichersten gestaltet haben – konnten Brownings Zeichnung dieses Kindes übertreffen, das durch die Liebeswahrheit und das Muttergefühl zum Weibe erwacht ist. Mit einer Hand, behutsam, als rührte sie an einen bebenden Schmetterlingsflügel, hat der Dichter die Seele dieser Jungfrau-Mutter erfaßt, eine von sich selbst ungesehene Seele, deren tauweiße Klarheit zu Tränen blendet, als sie sich in der Majestät der höchsten Unschuld, der Einfachheit reinster Naivetät und der Stärke tiefster Zärtlichkeit offenbart.

Keine Tiefe dichterischer Intuition reicht hin, um ein solches Wesen hervorzubringen: dazu bedarf es noch einer unendlichen Tiefe von Liebesfähigkeit, jener Tiefe, die Brownings persönliche Geschichte offenbart hat.

Während Browning an diesem seinem größten Werk arbeitete, hielt er sich eine Zeitlang an der französischen Küste an der Mündung der Loire auf, wo er in der Erinnerung die Tage durchlebte, in denen er mit seiner Frau denselben Fluß gesehen hatte, als sie sich zum ersten Male nach dem Lande ihres Glücks begaben.

Die Erinnerung an dieses Glück ließ den Schmerz in jener wunderbaren Anrufung laut werden, mit der er sein Werk ihrer Hut befiehlt:

O lyric love, half-angel and half-bird
And all a wonder and a wild desire, –
Boldest of hearts that ever braved the sun,
Took sanctuary within the holier blue,
And sang a kindred soul out to his face, –
Yet human at the red-ripe of the heart –
When the first summons from the darkling earth
Reached thee amid thy Chambers, blanched their blue,
And bared them of the glory – to drop down,
To toil for man, to suffer or to die, –
This is the same voice: can thy soul know change?
Hail then, and hearken from the realms of help!
Never may I commence my song, my due
To God who best taught song by gift of thee,
Except with bent head and beseeching hand –
That still, despite the distance and the dark,
What was, again may be; some interchange
Of grace, some splendour, once thy very thought,
Some benediction anciently thy smile:
– Never conclude, but raising hand and head
Thither where eyes, that cannot reach, but yearn
For all hope, all sustainement, all reward,
Their utmost up and on, – so blessing back
In those thy realms of help, that heaven, thy home,
Some whiteness which, I judge, thy face makes proud,
Some wanness where, I think, thy foot may fall! »O lyrische Liebe, halb Engel und halb Vogel, ganz Wunder und ein wild Verlangen – kühnste Herzen, die je der Sonne trotzten, suchten Schutz im heiligeren Blau und sangen ihr ins Gesicht hinaus eine verwandte Seele – doch menschlich im Kern des Herzens –, als dich die erste Aufforderung von der dunkelnden Erde in deinem Zimmer erreichte, sein Blau bleichte und es des Ruhms beraubte – herabzusinken, für die Menschheit zu arbeiten, zu leiden oder zu sterben – dies ist dieselbe Stimme: kann deine Seele die Veränderung erkennen? Heil dir alsdann und horch' aus dem Bereich der Hilfe! Nie werde ich vielleicht mein Lied beginnen, das ich Gott schulde, der am besten singen lehrte durch das Geschenk deiner selbst, ausser mit gebeugtem Haupt und flehender Hand – dass trotz der Ferne und des Dunkels was war, wiederum sein möge; ein Gnadenaustausch, Glanz, einstmals dein Gedanke, ein Segen, ehedem dein Lächeln: – nie es beenden, wofern ich Hand und Herz nicht dorthin erhebe, wo Augen, die nicht erreichen können, doch sich nach aller Hoffnung, aller Stütze, aller Belohnung sehnen, so in diesem deinem Hilfsbereich den Himmel segnen, deine Heimat, eine Weisse, die, wie ich schätze, dein Antlitz stolz macht, eine Blässe, wo, denke ich, dein Fuss fallen kann!«

Mit diesem einige Jahre später vollendetem dramatischen Gedicht »The Ring and the Book«, 1868–69. erklomm Brownings Dichtung nicht nur ihren weißstrahlenden Alpenfirn: sie verirrte sich auch in die unfruchtbaren Steinhalden, zu denen sie späterhin nur zu oft zurückkehrte. Die Schärfe der Reflexion und die Fertigkeit der Technik mußte das Feuer des Gefühls, die Bilder der Phantasie, die Offenbarungen der Seherahnung ersetzen. Es war – ohne jeden Vergleich im übrigen – eine ähnliche Erscheinung wie die, welche Ibsens Dichtung in seiner späteren Epoche zeigt, ähnlich auch darin, daß der Eindruck der Ermattung der schöpferischen Kraft hie und da durch die Eingebung eines großen Augenblicks aufgewogen wird.

Hier Brownings spätere Produktion zu verfolgen liegt außerhalb des Rahmens dieser Studie. Diese reiche Produktion umfasst: Balaustion's Adventure und Prince Hohenstiel-Schwangau, beide 1871; Fifine at the Fair 1872; Red Cotton Night-Cap Country 1873; Aristophanes' Apology und The Inn Album 1875; Pacchiarette and other Poems 1876; The Agamemnon of Aeschylos 1877; La Saisiaz u. A. 1878; Dramatic Idylls 1878–80; Jocoseria 1883; Ferishtah's Fancies 1884; Parleyings with certain People 1887 und den an seinem Todestag erschienenen Asolando, der wie die früher vorhergehenden aus einer Sammlung kürzerer Gedichte besteht. Ebensowenig bei Browning wie bei seiner Frau hatte der hellenische Einfluß, selbst nicht als er am stärksten war, in tieferem Grade die Formgebung beeinflußt. Beide Brownings waren zu individuell, zu modern subjektiv, um sich nicht eigene Ausdrucksmittel zu suchen, und die maßvolle, durchsichtige Form der Antike besaß für sie den Zauber des Gegensatzes, nicht der Verwandtschaft. Aber auch bei dem Ehepaar Browning erneute sich – wenn ihre Dichtung sich am höchsten aufschwang – das ewige Wunder der Kunst: daß das Wort Fleisch wird, während die ermattete Eingebung sich immer dadurch verrät, daß aus Worten nur – immer mehr Worte werden! Browning, der sich schon in seiner Jugend von den abgebrauchten Ausdrücken abwendete und neue Gedankensymbole schaffen wollte, Worte mit neuen Werten, Worte, durch die er wie Almquist Farben, Formen, Düfte wiedergeben, allen Sinnen Eindrücke zuführen wollte, nicht nur dem Ohre, – er kam schließlich dahin, in vielen seiner Gedichte nicht einmal dem Ohre etwas zu geben und noch weniger dem Gefühl, ja nicht einmal dem Gedanken, so verlor er sich in Wortgeklingel an Stelle von Wortmusik, in Begriffsakrobatentum an Stelle des dichterischen Fluges. Dank der Affenähnlichkeit der Menschennatur ist gerade diese Epoche seiner Dichtung diejenige geworden, die – genau wie die entsprechende in Ibsens Produktion – von blinden Bewunderern mit einem Eifer ausgelegt wird, den Brownings eigene köstliche Antwort charakterisiert, als jemand ihn fragte, ob er dies oder das mit einem gewissen Gedicht gemeint hatte: »Davon habe ich keine Ahnung – aber fragen Sie die Browning-Society Gegründet im Jahre 1881.: die kann Ihnen gewiß Auskunft geben!«

Unter Brownings späteren Werken befinden sich zwei wirklich bedeutungsvolle dramatische Gedichte. Das eine ist Fifine at the Fair, eine Schilderung jener Seite des Frauenwesens, deren Zauber Browning auch wohl verstand, den der animalischen, aber seelenlosen Vollkommenheit. Das andere ist The Inn Album, eine Verherrlichung der großen, rücksichtslosen Liebesleidenschaft. Im übrigen kann man unter den lyrischen Gedichten wohl einige von wirklicher Schönheit finden, nicht zum wenigsten unter den letzten, nach seinem Tode erschienenen, und sehr bemerkenswert ist auch die längere Dichtung La Saisiaz, in der Browning dem Unsterblichkeitsgedanken einen großen dichterischen Ausdruck gibt. Aber den Rest seiner späteren Produktion könnte man mit Leichtigkeit missen, und zuweilen vermag man sich nur mit Mühe hindurchzuarbeiten. Von Brownings Gedichten bringt die Tauchnitz Edition eine gute Auswahl in vier Bänden.

Als Brownings Vater 1866 starb – nach einem Leben ungebrochener Gesundheit und ohne einen Tag krank gewesen zu sein –, zog Brownings Schwester Sarianna zu ihm und begleitete ihn auch oft auf seinen Reisen. Diese führten ihn gewöhnlich nach Italien, Frankreich, der Schweiz und einige Male auf das Mittelländische Meer. Aber die Geschwister nahmen auch oft ihren Wohnsitz in London, wo man sie überall sah, wo gute Musik oder Kunst zu finden war; und, sagt ein Biograph, Browning schien immer den Raum lebensvoller zu machen, durch seine in stetem ruhigen Glanze strahlenden Augen und seine wie von unausgesprochenen Worten bewegten Lippen. Er bewahrte so wie Goethe sein ganzes Alter hindurch seine intensive Lebensliebe, sein Seligkeitsgefühl nur darüber, da zu sein. Dieses wurde nicht einmal durch seine Trauer gestört. Und warum sollte er nicht die Farben des Sonnenuntergangs genießen können, obgleich er sich nach dem sternenblauen Augenblicke nach dem Sonnenuntergange sehnte, der ihn mit seiner Geliebten wiedervereinigen sollte? Browning behielt bis zuletzt nicht nur alle seine Interessen, sondern auch das unmittelbar herzgewinnende Wesen, das machte, daß – wie seine Frau behauptet hat – »alle Frauen ihn mehr als anständig anbeteten!« Die Frauen fuhren damit fort, da Browning sich sehr dankbar und empfänglich für alle Art weiblicher Liebenswürdigkeit zeigte, ohne daß er doch je eine Frau fand, »die die Last der Gefühle zu tragen vermochte, die er seiner Frau geweiht.« Er gewann jedoch Männer, Kinder und Tiere ebenso wie Frauen. Die später errungene ungeheure Popularität konnte die Herzlichkeit seines einfach männlichen Wesens nicht beeinträchtigen. In allem, was er unternahm, blieb er, sagt ein persönlicher Freund, »der ideale Gentleman, der nie von der Welt war, obgleich er in der Welt lebte«. Seine Porträts zeigen in interessanter Weise, wie sein Typus sich von der in ihre innere Welt versunkenen Persönlichkeit in die mehr nach außen gekehrte verwandelte. Ungeachtet seiner großen Produktion und seiner weitumfassenden Lektüre alles Lesenswerten in englischer, deutscher, französischer und italienischer Sprache fand er in London auch noch Zeit zu einem sehr ausgebreiteten Verkehr. Dabei verabsäumte er nicht, der Jugend die große Weisheit seines eigenen Lebens einzuprägen: nämlich rücksichtslos der Stimme des eigenen Inneren bei der Gestaltung des Lebens wie der Werke zu folgen. Nie erstarrte er in der Gleichgültigkeit des Alters gegenüber den großen Lebensfragen, die vor allen anderen seine Seele erfüllt hatten. Er bewahrte im Gegenteil nicht nur seine geistige Wißbegier, sondern auch seine geistige Empfänglichkeit für die Zeitgedanken unvermindert. Er überprüft unablässig seine eigenen tiefsten Überzeugungen vor den Zweifeln der Zeit, denen er doch schließlich immer in Übereinstimmung mit jenem Optimismus begegnet, für den sein wunderbar glückliches Leben ihm so viele Stützen gegeben!

Die Erfolge, die sein Sohn als Maler und Bildhauer hatte, und dessen damals noch ungetrübtes Eheglück bildeten nach dem Tode seiner Frau Brownings größte persönliche Freudequelle. Und im Heim des Sohnes, Palazzo Rezzonico in Venedig – der Stadt, die Brownings Herz zuerst für Italien gewonnen hatte – fand sein harmonisches Leben sein Ende, das eben so sehr wie das seiner Frau in Übereinstimmung mit beider Gefühl vom Tode als »einer beinahe unmerklichen Begebenheit« stand. Browning sagte oft, daß er nicht an den Tod glaube, und bat die Seinen, ihn nie »tot« zu nennen – dies der Kurzsichtigen »Kirchhofswort für Wachstum«!

So wie der Vater blieb Browning bis zuletzt bei guter Gesundheit und nur durch das Schwächerwerden seiner – nie starken – Herztätigkeit hörte er zu leben auf. Eine durch dieses Leiden veranlaßte Müdigkeit hatte ihn am 12. Dezember 1889 bewogen, liegen zu bleiben, in einem großen Zimmer, wo er von seinem Bette aus ein von seinem Sohne ausgeführtes Deckengemälde sah, dessen Motiv einem der Gedichte seines geliebten Shelley entnommen war. Er hatte mit den Seinen von seinem letzten Buche gesprochen und bei der Mitteilung eines Telegramms aus London, das dessen sicheren Erfolg meldete, sein letztes für ihn so bezeichnendes Wort geäußert: How gratifying! gerade als die Glocke des Marcusturms zehn zu schlagen begann. Und bevor sie verklungen war, hatte er lächelnd seinen letzten Atemzug getan.

Erst in Venedig, dann in London gestaltete sich sein Leichenzug zur Westminster Abbey zu einem großartigen Ausdruck der Landestrauer. Über seiner Bahre stiegen die Töne des schönsten Todespsalms der Erde »He giveth his beloved sleep« empor, der Dichtung, in der Elisabeth Barrett die Sehnsucht ihres müden Herzens nach Ruhe ausgedrückt hatte, bevor noch Robert Browning sie gelehrt hatte, daß das Leben schöner sein kann als der Tod. Nicht in der Westminsterabtei hatte Robert Browning sich sein Grab gedacht, als er selbst seine Inschrift so verfaßte:

Robert Browning zu dem Elisabeth Barrett gesagt hat: dass sie gesünder wurde, nachdem sie ihn gesehen hatte!

und wenn es auch sonst gleichgültig sein mag, wo ein Grab gebettet wird, so will es mir scheinen, als müßte das Volk Englands das Gefühl gehabt haben, daß Robert Browning nach dem Tode nicht von seiner Geliebten getrennt werden durfte, noch von der Erde, von der er geschrieben:

Open my heart and you will see
Graved inside of it »Italy«. »Öffne mein Herz und du wirst Italien darin eingraviert finden«.

 

Wie Carlyle und Ruskin – die beiden Engländer, mit deren Einfluß der Brownings die meisten Ähnlichkeiten aufweist – erlebte er selbst den Höhepunkt seiner Einwirkung auf die Mitwelt. Er, wie diese beiden, »gab dem Gedankenleben seines Zeitalters eine neue Gestalt und dessen Menschen eine neue Lebenskraft«. Der Umbildner von Gedanken wird auch ein Umbildner der Charaktere – dadurch auch der Menschenschicksale – und so eine ins unendliche wirkende Schaffenskraft. Diese drei Männer waren diejenigen, welche vor der Darwinschen Ära in England die theoretische Umwertung aller Werte hervorriefen, die jedem praktischen Streben der Menschheit vorangeht, im Dasein neue und höhere Ziele zu verwirklichen. Sie gehörten alle drei – wie Elisabeth Barrett Browning – zu der transzendentalen Richtung in England, wie sie ein Kritiker genannt hat, einer Richtung, deren verborgene Wurzeln wohl tief in der Epoche des Aufklärungszeitalters zu suchen sind, die sich aber doch als eine Reaktion gegen dasselbe darstellt. Diese Reaktion war jedoch von entgegengesetzter Art als die katholische, die durch das Wunder, die Offenbarung und die äußere Autorität den Durst des Menschengeistes nach geistigen Erlebnissen und das Bedürfnis der Mehrzahl nach geistiger Stütze befriedigen will. Der Transzendentalismus sah hingegen das Göttliche wohl über, aber auch in dem irdischen Dasein und dem natürlichen Menschen. Er schloß im Grunde gerade jene Lebensanschauung in sich, die zuweilen Hellenismus, zuweilen Renaissance genannt wird, oder Heidentum und Verherrlichung des Fleisches, je nach dem verschiedenen Standpunkt!

Jeder großen Künstlernatur liegt der Transzendentalismus im Blute. Er sendet seine Ahnung oder seine Sehnsucht über dieses Dasein hinaus, aber er fühlt zugleich leidenschaftlich die Hoheit und Schönheit der Menschennatur auch in ihren gegenwärtigen Grenzen. Er sieht in der Abhängigkeit des Menschen von der Sinnenwelt nicht eine Erniedrigung oder einen Fluch, sondern eine glückliche Voraussetzung für das Erdenleben, das für den Künstler in unzerstörtem und unzerstörbarem Reize dasteht. Denn wenn auch sein Gedanke noch vor der Kluft gezögert hat, die der christliche Dualismus zwischen der geistigen und der sinnlichen Natur aufgetan hat, so wird diese Kluft doch durch seine frohe Ahnung von der Einheit überbrückt.

Jeder großen Künstlernatur liegt auch der Individualismus im Blute. Dieser fand bei dem Ehepaar Browning – wie bei den meisten Repräsentanten der transzendentalen Richtung – seinen Ausdruck in dem Satze, daß der Mensch, ungehemmt von jeder äußeren Autorität, selbst seinen Weg zur Gottesgemeinschaft suchen und finden könne. Die persönliche Freiheit war für sie eine absolute Voraussetzung, sollte eine Natur ihre göttlichen Möglichkeiten verwirklichen können. Und obgleich sie im Christentume die höchste Offenbarung von Gottes Wesen gefunden hatten, glaubten sie, daß diese Offenbarung noch immer in der Natur wie durch die Kultur ihren Fortgang nehme.

Für diese pantheistisch-christliche Auffassung des Daseins hat jeder Mensch einen Wert, den der Hellene und der Mann der Renaissance nur dem schönen und großen Menschen zuerkannten; aber sie gibt zugleich dem natürlichen Menschen die Hoheit wieder, die das Christentum ihm abgesprochen hat.

In Robert Brownings Gedichten wie in denen seiner Frau strömt das Gefühl von der Gegenwart Gottes über: in der Liebe des Mannes und des Weibes, in der Geburt, im Spiel des Kindes wie in der Tat des Helden, in der Lebensberauschung wie in der Selbstaufopferung, in der Alltagsidee wie im Kunstschaffen. »Die Freiheitsbestrebungen der Völker vibrieren von Gottes Leben selbst ... Die Kunst klimmt kindergleich hinauf zu Gottvaters Schoß ... Jeder Mann hat in sich die Möglichkeit zu einem Helden und jeder Wahrheitssucher in dem eigenen Lichte der Natur eine Führung zur Wahrheit ...«

Der Pantheismus, unmittelbar von Spinoza durch Coleridge in die englische Literatur eingeführt, nahm in Shelley, der Jugendinspiration Brownings, dichterische Gestalt an. Und der Pantheismus ist tiefsinnig als demokratisch charakterisiert worden wegen seiner Verherrlichung des Menschen. Der pantheistisch-christliche Transzendentalismus wurde ein bedeutungsvolles Ferment in der englischen sozialen Bewegung; er wurde es auch, sich selbst nicht bewußt, in jener absoluten Selbständigkeitserklärung der Menschheit, die der evolutionistische Monismus in sich schließt. Der Humanismus der beiden Brownings, wie der des Transzendentalismus, lag tiefer als der des Christentums, des Sozialismus oder des Hellenismus. Er war vertieft durch Lebensfreude, Individualismus und das neue Menschlichkeitsgefühl, das das Christentum der Welt durch die Feststellung der Liebe als des Lebensprinzips gab. Aber Liebe in einem unendlich weiteren Sinne als dem des Christentums! Browning drückte beider Gefühle mit den Worten aus, die aus seinem Glücke entsprangen, als er in Fano »mit seines Lebens Engel an seiner Seite« Guercinos berühmten Engel sah:

O world, as God has made it: all is beauty
And knowing this, is love, and love is duty
What further may be sought for or declared? »O Welt, wie Gott sie geschaffen: alles ist Schönheit und, weisst du dies, ist Liebe, und Liebe ist Pflicht. Was kann man weiter erstreben oder erklären?«

Die Menschen zu humanisieren, indem man ihnen Frieden und Freiheit gibt, sich allseitig in die Herrlichkeiten des Daseins zu vertiefen – das war für das Ehepaar Browning der große »Erlösungsplan«.

Ihre romantische Ansicht, daß Kunst und Schönheit eins mit der Religion seien, führte sie nicht – so wenig wie Almquist – zurück in die Vergangenheit, sondern im Gegenteil vorwärts. Als darum Elisabeth Barrett Browning in The dead Pan die Schönheit der antiken Welt schildert, klagt sie nicht, wie Schiller in den Göttern Griechenlands oder wie Swinburne in Hymn to Proserpine, daß diese Welt entschwunden ist. In Swinburnes Gedicht spricht der Vollblutheide, der mit jeder Strophe das Bild der hellenischen Schönheitswelt heraufbeschwört. Aus der berückenden Musik der Verse steigt und schwillt in unbesieglichem Trotz die Gewißheit des heidnischen Gottesanbeters: daß, solange die Natur lebt, trotz des Christentums die Götter der Antike noch leben. Elisabeth Barrett Browning hingegen sah im Christentum die Religion des Lebensmutes und der Hoffnung für die ganze Natur; die Vollendung der Antike, nicht ihren Gegensatz; eine neue Freudenquelle zu des Lebens Fülle, nicht eine Beeinträchtigung derselben.

Dem unersättlichen Künstlergeist, der Nahrung aus allem schöpft, will es scheinen, als wäre die Versöhnung zwischen der Antike und dem Christentum, die eine noch ungelöste Aufgabe ist – die größte Aufgabe der Zukunft – schon vollzogen. Aber die Lebensanschauung des Künstlers ist nie durch streng folgerichtiges Denken bedeutungsvoll, sondern durch die Ahnungsstärke, die allen Abstraktionen ausweicht und sich in das unerschöpfliche, unendlich zusammengesetzte All stürzt. Dort sammelt sie mit heißen, hungrigen Händen eine ganze Sommerernte von Rosen, aus denen das schwere Denken dann den Öltropfen einer einzigen Idee preßt!

Die Metaphysik der beiden Brownings wurde demgemäß ebensowenig folgerichtig wie originell. Das für sie Eigentümliche war vielmehr die intensive, immer lebendige Gewißheit, mit der sie Gottes Gegenwart in ihrem eigenen Leben und die Gegenwart der Ewigkeit in jeder Stunde dieses Lebens empfanden. Browning nahm die neuen Ideen nicht mehr auf, die während des letzten Teiles seines Lebens das Bewußtsein der Menschheit durchdrangen. Und obgleich ein wissenschaftlich interessierter Beobachter, war er alles eher als wissenschaftlich in seinen Schlußfolgerungen. Er begnügte sich sein ganzes Leben lang, dem Agnostizismus der Wissenschaft den fröhlichen Glauben seiner eigenen Pippa entgegenzustellen:

God's in his heaven
All's right with his world! »Gott ist in seinem Himmel – mit seiner Welt steht's gut«.

und die ebenso kindlich optimistische Gewißheit:

What is all our failure here but a triumph's evidence
For the fulness of the day? »Was ist all unser Straucheln hier als eines Triumphes Zeugnis für die reiche Fülle des Tags?«

Brownings Ethik und Metaphysik sind ebenso widerspruchsvoll wie die des schwedischen Dichters, mit dem sich bei jedem Schritte Vergleichungspunkte bieten, nämlich Almquists. Die Philosophie der beiden Browning bietet auch Ähnlichkeiten mit dem von Svedenborg stark beeinflußten Maler-Dichter Blake William Blake (1757–1827), der fratzenhafte Vorläufer der Präraphaeliten, wie diese ein Dichtermaler. Von seinen mystischen Dichtungen sind die »Songs of Innocence«, von seinen geheimnistiefen Zeichnungen die Illustrationen zu Young's »Nachtgedanken« am wichtigsten. Während seine Zeitgenossen in ihm fast nur einen Wahnsinnigen erblickten, ist er neuerdings, nachdem die Brüder Rossetti eine gerechtere Würdigung Blake's angebahnt haben, zu Ehren gelangt., den Browning sehr bewunderte. Bei ihnen allen stehen ihre Reste von christlichen Vorstellungen in greifbarem Gegensatz zu ihrer innersten, selbstgeschaffenen Welterklärung. Diese bedingte die Einheit zwischen dem körperlichen und dem geistigen Leben; die Heiligkeit der sinnlichen sowohl wie der geistigen Natur; die Gewißheit, daß alle Momente des irdischen Daseins Symbole des höheren Lebens sind und einen notwendigen Durchgangspunkt zu diesem höheren Leben bilden, in dem die physisch-psychische Entwickelung sich dann in Unendlichkeit fortsetzt, von Finsternis zu Klarheit, und von Klarheit zu Klarheit.

Aber wenn man folgerichtig diese Anschauung anwendet – was sie selbst nicht taten – dann führt sie zum evolutionistischen Monismus.

Wie die Einheit zwischen dem Geiste und den Sinnen bis auf weiteres ihren höchsten Ausdruck in der Kunst und in der Liebe erreicht, so ist es klar, daß all die erwähnten Einheitsgläubigen in der Kunst und in der Liebe die höchste Andacht ihrer Religion finden mußten. So wie für Svedenborg besaß auch für sie die Liebe zwischen Mann und Weib eine alles überragende Bedeutung für das Glück der Menschennatur, ihre Harmonie und ihre Vervollkommnung in Zeit und Ewigkeit. Und die Gewißheit, daß die Seele für alle Ewigkeit durch die Kleinheit oder Größe ihrer irdischen Gefühle bestimmt wird, führte sie zu der Anschauung, die in gewissem Sinne in Widerspruch mit ihrer demokratischen Denkweise steht, nämlich, daß das Individuum so groß sei, wie seine Leidenschaft und seine Stärke, das Ziel der Leidenschaft zu erreichen. Allerdings retteten sie ihre demokratische Überzeugung durch die Gewißheit der Perfektibilität jedes Menschen. Aber diese ist ja darauf beschränkt, die natürlichen Gaben, die man besitzt, weiter auszubilden; und die Fähigkeit tief zu fühlen, kann man ebensowenig in sich schaffen, wie man sich zu einem Genie schaffen kann! Wenn darum Browning die Menschen nach der Intensität ihrer Gefühle bewertet, hat er gewiß ganz recht. Aber er hat sich damit nicht auf den Standpunkt des Demokraten, sondern auf den des Seelenaristokraten gestellt.

Und nur diesen führt er folgerichtig durch. Er stellt das Individuum gegen die Gesellschaft, die bestrebt ist auszugleichen, indem sie Impulse und Leidenschaften zähmt. Und wie die Romantik, wie Almquist, wie Blake, gibt er dem Individuum das Recht, seine eigenen höchsten Ziele gegen die Gesellschaft durchzusetzen. Browning hatte gewiß die Evolution geahnt. Aber der Gedanke an die langsame Entwickelung des Menschengeschlechtes – unter anderem auch durch den erzieherischen Einfluß der Gesellschaftsgesetze – beschäftigte ihn kaum. Größere Persönlichkeiten, höhere Menschen – Übermenschen – das war es, was er wollte. Und für ihn wie für die obenerwähnten Dichter lag das Jenseits von Gut und Böse in einem überirdischen, göttlichen Gesichtspunkt, vor dem alle landläufigen Begriffe von Gut und Böse belanglos werden und z.B. das Liebesspiel des Triebmenschen nicht nur ebenso unschuldig ist wie das des Schmetterlings, sondern auch wie dieses von Bedeutung für den großen Zusammenhang der Natur.

Und diesen überirdischen Gesichtspunkt kann, nach ihnen allen, der Mensch schon hienieden erreichen, der nicht, konventionellen Gesetzen oder asketischen Idealen gehorchend, seine Natur unterdrückt. Je mehr Hüllen der Konvention die Seele abwirft, desto mehr nähert sie sich ihrem Urgrund, Gott, vor dem »der Instinkt jeder Menschenseele ein Gesetz der Engel ist und in dem ein Dasein beginnt«, wo – nach Brownings eigenen Worten – »Gesetz, Leben, Freude, Impuls eins sind«. Und in voller Übereinstimmung mit dieser Auffassung läßt Browning jeden Menschen seine Seele durch den Mut und die Kraft, zur Erreichung seiner Ziele alle konventionellen Hindernisse zu überwinden, erweisen oder erlösen. Sich durch Weltlichkeit, Materialismus, Feigheit oder Knechtschaft unter die Gesellschaftsmoral beugen zu lassen, ist nach ihm eine. Sünde gegen den heiligen Geist. Und Browning wie Almquist ist die »künstlerische Gemütsbeschaffenheit« die liebste, gerade weil sie am wenigsten der Versuchung durch diese Sünde unterworfen ist und am häufigsten den Mut zeigt, »sein Schicksal auf sich zu nehmen und unterzugehen«. Darum lieben auch beide vor allem die ungewöhnlichsten, auf Extreme gestellten seelischen Zustände und Situationen, in denen die Seele aus allen Hüllen des Gesellschafts- oder Erdenlebens fliegt, wie ein bloßes, blankes Schwert aus der Scheide! So z. B. wenn der Mensch in einem großen Augenblick wegen seiner Liebe, Freiheit oder Pflicht den Tod erwählt – wie in In a Balcony, in In a Gondola, in Luria, in Caponsacchis Geschichte – oder wenn die Seele ihre Stärke dadurch beweist, daß sie bis zum Äußersten für ihr Ziel kämpft und, um dieses Ziel zu erreichen, nicht einmal vor dem Verbrechen zurückschreckt, denn sogar

... a crime will do
As well, I reply, to serve for a test ... »... ein Verbrechen, erwidere ich, genügt ebenso gut, um als Beweis zu dienen«.

ruft Browning aus. Und mit dieser Replik hat er kühn die äußerste gedankliche Konsequenz seiner Übermenschentheorie auf sich genommen!

— — — — — — — 

Es ist – vor dieser Theorie – von besonderer Bedeutung, sich an Brownings eigenes Lebensziel zu erinnern und an die Art, wie er es verwirklichte.

Weder Elisabeth Barrett Browning, noch Robert Browning dichteten je ein Poem, das sich an vollkommener Schönheit mit ihrem voll verwirklichten Liebesideal vergleichen läßt. Und wenn der Tag kommt, an dem ihre einstmals neue Auffassung der Werte des Daseins nicht mehr neu, sondern Gemeingut ist; wenn andere Zeiten ihren Ausdruck in anderen Gesängen finden, gegen die diejenigen der beiden Brownings veraltet erscheinen werden – dann wird doch ihrer Liebe wunderbares Gedicht, unberührt von der Zeit, leben. Der weiße Strahl ihrer beiden vereinten Seelen wird den Menschen den Weg zu der idealen Geschlechtsliebe leuchten, so wie einstmals ein anderer aus zwei Himmelslichtern gebildeter Stern den Wüstenwanderern den Weg zu der idealen Menschenliebe in Gestalt eines neugeborenen Kindleins erhellte.

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Denn das Ausnahmeschicksal des Ehepaars Browning beruht nicht darauf, daß zwei große Dichternaturen durch einen genialen Zufall zusammengeführt wurden. Daß beide Dichter sind, gibt dem Ausdruck ihres großen Gefühls eine eigene Schönheit. Aber das Gefühl selbst bedarf zu seinem Entstehen keiner Ausnahmebegabungen; ja, diese bieten in der Regel nicht einmal die besten Voraussetzungen für den Kultus einer großen Liebe! Das dem Ehepaar Browning Eigentümliche ist nur, daß beide das Allgemeingiltige ihres erotischen Gefühls zu so schöner Entwickelung bringen. Und weit davon entfernt, daß ihr Schicksal das wurde, was es war, weil sie Genies waren, besitzen vielleicht die einfachsten Menschen, die die Fähigkeit haben, groß und fein zu empfinden, noch bessere Voraussetzungen, ein ähnliches Ausnahmeglück zu erringen, wenn sie nur lernen, den Kultus ihrer Liebe als das höchste Ziel ihres Zusammenlebens zu betrachten.


Endnoten als Fußnoten in den Text eingepflegt. Re. für Gutenberg

 


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