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III.

Marsch zur Wasserscheide des arktisch-nordamerikanischen Meergebietes. 1. April bis 4. Mai 1879.

Abmarsch. – Regelung der Marschweise. – Schlitten und Hunde. – Verproviantirung. – Eintheilung der Partie. – Tagesprogramm. – Bau der Schneehütten. – Bohren des Wasserloches. – Innere Einrichtung der Schneehütte. – Hundefütterung. – Auf dem Marsche. – Eine Hetzjagd. – Wölfe. – Bergab. – Wager Golf. – Ein fünftägiger Sturm. – Eine Jagd nach Moschusochsen. – Eine Wüste des Nordens. – Die Qual für's Auge. – Aussicht auf bessere Gegenden. – Die Wasserscheide und der Polarkreis.

Der 1. April war als der Tag der Abreise nach König Wilhelms-Land bestimmt gewesen und bei den bereits getroffenen Vorbereitungen stand gegen die elfte Morgenstunde Alles zum Aufbruche bereit. Die hochgeladenen Schlitten, die im Ganzen ein Gesammtgewicht von 4500–5000 Pfund als Ladung enthielten, die davor gespannten Hunde und die in dicke Pelzkleider gekleideten Gestalten: dies Alles bildete eine Gruppe voller Leben, wie es in diesen Regionen selten zu sehen ist.

In leichteren Kleidern um die Reisenden standen die dem Stamme der Eivilis angehörigen Eskimos, welche in unserer Gemeinschaft den Winter verlebt hatten und zum Abschiede uns ein letztes tabaudet (unser Lebewohl) zuriefen, als Lieutenant Schwatka das Zeichen gab und die Schlitten sich endlich unter Peitschenknall, Hundegeheul und kräftiger Mitwirkung aller Anwesenden in Bewegung setzten.

Ueber den ersten Hügel und durch das unebene Küsteneis ging es nur sehr langsam, doch kaum hatten wir das letztere überwunden und die Bahn wurde glatter, als auch die Bewegung der kleinen Schlittenkarawane an Schnelligkeit zunahm und bald der etwa 300 Fuß hohe Observationshügel, eine Art Sternwarte für Camp Daly, hinter bereits passirten Landspitzen verschwand. Noch ein letzter Blick nach jenen Punkten, die uns durch acht Monate zum Aufenthaltsorte gedient, und wir verließen das Meereis, um das Flußbett des Connery-Flusses zu betreten, den Lieutenant Schwatka auf seiner Recognoscirungstour Anfangs Januar 1879 als eine sehr praktische Fahrstraße für den Beginn unserer Landreise kennen gelernt. Die erste Tagereise ist, wenn man mit Eskimos marschirt, nie eine große, und namentlich trugen theils die auf so große Schlittenladungen noch uneingeübten Hunde, theils der späte Aufbruch Schuld, daß wir trotz späten Campirens nur etwa acht Meilen zurücklegten.

Die Eskimos selbst sind ein Völkchen, dessen erste und einzige Lebensbedingung die ist, daß sie genug zu essen haben, und sehen sie eine gute, für einige Tage genügende Quantität Proviant auf den Schlitten, dann kann es für sie so leicht keinen Grund zur Eile geben. Einen Zweck, ein Ziel kennen sie nicht, und um sie nicht von allem Anfange an durch große Leistungen abzuschrecken, ließ ihnen unser Commandant die ersten Tage meistens ihren eigenen Willen.

So war denn in der ersten Zeit unser Fortkommen ein ungeregeltes, zeitvergeudendes, und 8–10 Meilen war im Durchschnitte die gewöhnliche Leistungsfähigkeit per Tag. Die Hundelenker redeten sich aus, daß die Hunde im Anfange nicht zu sehr angestrengt werden dürften. Als Lieutenant Schwatka sah, daß er nur durch eine streng durchzuführende Regelung bestimmter Marschzeit die Eskimos zum zeitlicheren Campiren in den frühen Abendstunden bringen könne, ließ er ihnen begreiflich machen, daß wir täglich sechs Stunden zu marschiren haben, daß er ihnen nach je 1 ½ Stunden Marsch eine Pause von einer halben Stunde erlaube und nach Ablauf besagten Zeitmaßes unsere Tagesarbeit, sei es um welche Stunde immer, als beendet betrachte. Diese Anordnung verfehlte ihren Zweck nicht.

Werfen wir nun auf die nunmehrige Zusammensetzung und Organisation der Partie einen kurzen Blick.

Die im Ganzen aus 17 Personen und 43 Hunden bestehende Expeditionstruppe war zu den drei Schlitten so eingetheilt, daß jeder Einzelne dieser Schlitten in Bezug auf Bemannung, Bespannung und Verproviantirung als vollkommen selbstständig auftreten konnte. Die Schlitten waren je nach ihrer eigenen und der Größe der dazu gehörigen Zugthiere mit 13, 12 und 17 Hunden bespannt.

Alle drei Schlitten waren aus 2 Zoll dicken, 9-12 Fuß langen und 8–10 Zoll hohen Planken als Schleifen gebaut, die durch Dauben alter Fässer als Querstücke verbunden und aneinander so befestigt waren, daß das Ganze eine hinreichende elastische Nachgiebigkeit zum Ueberwinden von Hindernissen besaß. Die unteren Theile der Schleifen waren mit Wallfischknochen (Theilen der Kiefer) bekleidet, auf welche täglich eine Eiskruste zur Milderung der Reibung mit dem Boden aufgetragen wurde.

Sämmtliche Hunde ziehen an einem Punkte des Schlittens, und zwar so, daß der als Leithund gehende etliche 30 Fuß, die anderen 18 bis 20 Fuß vor dem Schlitten laufen. Jeder Hund ist durch eine aus Wallroßhaut geschnittene Leine ( aksurnak) separat mit dem Schlitten verbunden, und bei der Kuppelung ist darauf Bedacht genommen, daß die faulsten Thiere in der nächsten Nähe der Peitsche bleiben, also die kürzeste Leine haben. Man wird einwenden, daß durch diese Einspannweise in technisch-praktischer Beziehung Zugkraft verschwendet wird, aber die Eingebornen sind seit jeher an diese Methode gewöhnt und auch die Bestialität der Hunde würde, wollte man eine etwas vortheilhaftere Weise einzuführen versuchen, einen großen Zeitverlust zur Folge haben. Der einzelne Hund selbst hatte in diesem Falle ein Zuggeschirr ( ahno) aus geflochtenen Manillabändern, da die bei den Eskimos gebräuchlichen, aus Rennthier- oder Seehundsfell gemachten Geschirre oft dem Appetite der Hunde zum Opfer fallen.

Auf den Schlitten befanden sich an Proviant circa 1000 Pfund Zwieback in Fässern und Säcken. 200 Pfund gesalzenes, schon gekochtes Schweinefleisch, 200 Pfund Wilson's gekerntes Rindfleisch in Büchsen. 40 Pfund Oleomagerin, 40 Pfund Kornstärke, ein circa 30 Pfund wiegender Käse, 20 Pfund gemahlener Kaffee, 20 Pfund geröstete Gerste als Ersatzmittel für Kaffee, 5 Pfund Thee und etwa 20 Gallonen (eine Gallone beiläufig 2 Liter) Melasses, 50 Pfund Salz und einige sehr unbedeutende Quantitäten Pfeffer und condensirte Milch.

Für die Landreise wurden 40 Gallonen ausgelassener Seehundsthran mitgeführt und etwa 1000 Pfund Wallroßfleisch und Haut bildeten das mitgenommene Futter für unsere Gespanne.

Waffen, Munition, Gegenstände für den Tauschhandel ec. bildeten nebst der Bagage und einen aus einem Holzgestelle zusammengesetzten, mit Seehundsfell überzogenen Canoe ( kayek) den übrigen Theil der Ladungen.

Zu dem ersten Schlitten gehörte nebst dem Lieutenant Schwatka Gilder als Führer des Schlittens und dann die Familie des Eingebornen Tuluak (Rabe), bestehend aus einer Frau und einem 8jährigen Jungen. Ferner zur Erleichterung der Arbeit noch ein 18–20jähriger Bursche Mitkulilik. Zum zweiten Schlitten: Klutschak als Führer, Eskimo Joe nebst Frau und zwei ältere Personen, Mann und Frau, nebst deren 14jährigem Burschen Kumana.

Zum dritten Schlitten endlich: Melms als Führer, der Eskimo Iquisik (Elbogen) mit seiner Familie, bestehend aus Frau, einem 5jährigen Mädchen und dem 13jährigen Burschen Arunak. Die letztgenannte Familie gehört, sowie Mitlulilik des ersten Schlittens, zum Stamme der Netchilliks-Eingebornen, die in der Gegend von König Wilhelms-Land wohnen.

Schon am zweiten Tage passirten wir die nicht gefrorenen Stromschnellen des Connery-Flusses und verließen das Flußthal bald an seinem linken Ufer, um von diesem aus in nördlicher Richtung eine zweite größere Wasserader, die im Laufe mit unserer Marschrichtung besser zusammenhängt, den Lorillard-Fluß, zu erreichen.

Bevor ich aber die Reise selbst in geographischer und touristischer Beziehung schildere, erlaube ich mir den Leser mit unserer Tagesordnung vertraut zu machen.

Um 5 Uhr Früh machte Klutschak, den die Notirung der meteorologischen Daten ohnehin zu allererst zwang, aus dem Schlafsacke zu kriechen, die Runde und weckte sämmtliche Schneehüttenbewohner, um ihnen Zeit zu geben, ihr Frühstück zu kochen. Dieses bestand aus Kaffee, der über Thranlampen in jeder Hütte separat gekocht wurde, aus Zwieback und dem die Butter genügend vertretenden Oleomagarin. Anfangs wurde auch Schweinefleisch verabfolgt, doch verzichtete Jeder gerne für seine Morgenkost auf das dursterzeugende Lebensmittel. Das Frühstück wurde nach Eskimo-Manier in den Betten zu sich genommen, nach dem Frühstücke aber machten sich die männlichen Eingebornen an das Eisen der Schlitten. Hierzu werden diese umgedreht und auf dem unteren Theile der Schleifen deren ganzer Länge nach mit einer Kruste in Wasser getauchten Schnees gleichmäßig belegt. Ist diese erste Schicht genügend gefroren, so wird Wasser in den Mund genommen, dieses über die vereiste Schneekruste laufen gelassen und mit einem Stückchen langzottigen Bärenfelles so überfahren, daß die Fläche möglichst glatt ist. Diese Methode wird auch dann angewendet, wenn die Schlittenschleifen keinen Wallfischbeinbeschlag haben, doch wird in diesem Falle statt des ersten Schnees mit Wasser befeuchtete, feingeklopfte Erde genommen. Für Passiren gut schneebelagerter Landstrecken ist die Erde ebenso gut, der Proceß ist aber zeitraubender und auf holperigem Eise springt eine derartige Bekleidung viel leichter ab, als der Schnee.

Während der Zeit des Eisens zieht sich jeder in der Hütte Befindliche an, rollt sein Bett zusammen und bindet dasselbe, um das Einwehen des Schnees zu verhindern, mit einem Stricke oder einer Leine fest zusammen. Mit all' seinem Eigenthum verläßt Jeder die Hütte, und kaum ist das letzte Stückchen zum niedrigen Pförtchen heraus und hat sich der Junge, der bis zu diesem Zeitpunkte dieses mit einem Stocke gegen das Hereinbrechen der Hunde vertheidigt hatte, entfernt, als auch die schon lauernde Hundeschaar sich in das Innere der Hütte stürzt, um sich etwa zurückgebliebene Fleischabfälle anzueignen. Das Beladen des Schlittens geschieht durch die Männer, die sämmtliche Last, sie in ein wohlgeformtes Ganzes bringend, mit Wallroßleinen befestigen. Die Waffen, die, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen, auch im strengsten Winter nie in die Schneehütten kommen, werden zuletzt aufgeladen, die Hunde von den Frauen und Kindern eingespannt und der Marsch beginnt. Die Marschzeit von sechs Stunden wurde mit pedantischer Genauigkeit eingehalten, alle 1 ½ Stunden einmal eine halbe Stunde gerastet und erst nach der letzten halbstündigen Zwischenrast sich nach einem geeigneten Lagerplatze umgesehen.

Zum guten Campiren gehört guter Schnee und die Nähe eines Teiches oder Flusses, der durch seine Ausdehnung oder sein Gefälle die Möglichkeit verspricht, unter der Eisdecke noch Wasser zu finden. Eine bedeutendere, 3–4 Fuß tiefe Schneewehe ist der geeignetste Punkt zum Baue der Schneehütten, nur darf die besagte Schneebank nicht in Folge mehrerer Stürme entstanden sein, da die verschiedenen Schichten das Brechen der Schneetafeln zur Folge haben dürften. Sowohl in Bezug auf quantitative als qualitative Vorzüge wird der Schnee von den Eskimos mittelst eines Eisenstabes, wie sie ihn zum Seehundsfange gebrauchen, oder eines aus Rennthiergeweihen gemachten Stabes untersucht. Die Schlitten, die vorläufig Halt gemacht, werden zum nunmehr gewählten Punkte gebracht und die Arbeit beginnt.

Eskimos, eine Hütte bauend.

Zum Baue der Schneehütte, soll derselbe rasch von statten gehen, gehören zwei Mann, der Eine, der die Tafeln schneidet, der Andere, der sie zur Hütte aneinander fügt. Die Hütte selbst ist ein Kuppelgewölbe, aus 3 Fuß langen, 1 ½–2 Fuß breiten und 6 Zoll dicken Schneetafeln, die nicht schichtenweise, sondern so aneinander gereiht werden, daß sie eine in Spiralform fortlaufende ununterbrochene Linie bilden. Von Jugend auf in der Herstellung dieser ebenso primitiven als genialen Behausung geübt, giebt der Eskimo dem Ganzen eine recht schöne Form und setzt auch die horizontale Schlußtafel (den Schlußstein des ganzen Gewölbes ebenso passend ein. An dem Baue der Hütten haben auch die Frauen Antheil, ihre Aufgaben dabei ist namentlich, die Wände durch Anwerfen von Schnee zu verstärken, was zur leichteren Erwärmung des Innern bedeutend beiträgt. Ist das Gebäude fertig, dann wird die zum Auflegen von Betten ec. dienende Plattform hergerichtet, in die dem Süden zu liegende Seite eine zwei Fuß hohe und zwei Fuß breite Oeffnung als Eingang eingeschnitten, und während es den Frauen überlassen bleibt, für die weitere innere Einrichtung zu sorgen, bauen die Männer vor dem Eingange eine kleine Vorhalle, die zugleich bei vorherrschenden Stürmen den Hunden als Aufenthaltsort dient, und eine zweite, ebenfalls knapp am Hauptgebäude liegende, als Waarenhaus, um die Fleischvorräte ec. zu schützen.

Der obere Theil der nachfolgenden Abbildung (1) stellt den Querschnitt, der untere (2) den Längenschnitt einer Schneehütte vor. V bedeutet den Vorbau, W den Windfang, dann T die Thüre, B einen zum Verschlusse dienenden Schneeblock, M das obenbesagte Magazinsgebäude, K den über der Lampe L hängenden Kessel und F den Ort, der zur Aufbewahrung der Fleischvorräthe dient. Die Eistafel i und die Oeffnung f ersetzen bei mehr denn eintägigem Aufenthalte das Fenster.

Querschnitt und Längenschnitt einer Eskimohütte.

Während die Eskimos mit dem Baue und der Einrichtung der Schneehütten beschäftigt sind, besorgen die Weißen abwechslungsweise das Aushauen des Wasserloches. Den geeignetsten Platz dazu haben gewöhnlich die Eingebornen zu bestimmen, da ihnen die Farbe des Eises und das Aussehen der Sprünge aus Erfahrung als Anhaltspunkt zu dieser Bestimmung dienen. Aber trotz ihrer Praxis geschieht es oft, daß man nach langem Meißeln durch 4 bis 7 ½ Fuß dickes Eis auf steinigen Boden stößt. Auf eine ganz bestimmte Angabe in solchen Angelegenheiten läßt sich der Eskimo nicht ein. Sein Orakelspruch lautet in den meisten Fällen: Sugami, omiesuk (ich glaube, doch weiß ich nicht genau), dieser enthebt ihn, falls die Bohrung ohne Erfolg wäre, der Verantwortung. Zum Drillen des Wasserloches benützt man einen Stahlmeißel, mit dem man das Eis aufhackt, und einen aus dem Horn des Moschusochsen gemachten Becher ( Alud gleichbedeutend mit Löffel), der, an einer Stange befestigt, zum Ausheben der losgeschlagenen Eissplitter dient.

Sollte man aber nicht beim ersten Versuche auf Wasser stoßen, so wird an einer anderen Stelle ein zweiter, ja oft dritter Versuch gemacht, da das auf solche Weise erlangte Wasser in vieler Beziehung besser ist, den Thran, den man zum Schmelzen von Schnee verwenden mußte, erspart und auch behufs des Eisens des Schlittens am kommenden Morgen Zeit gewonnen wird. War das Bohren erfolgreich und ist die letzte Eiskruste durchgebrochen, dann kommt das Wasser bis nahe an die Oberfläche des Eisloches heraufgesprudelt, und auf den Ruf: imik, imik! (Wasser, Wasser!) versammelt sich die ganze Partie, Groß und Klein, um den Durst zu stillen, der sich bei Jedem schon lange fühlbar gemacht hat. Das Mitführen von Wasser auf den Schlitten ist der Kälte halber unmöglich, und einen Wasservorrath in aus Seehundsfell genähten Schläuchen am bloßen Leibe zu tragen, entschließt man sich ungerne. Der letztern Manier bedienen sich Männer in außergewöhnlichen Fällen, Frauen nur dann, wenn sie Mütter sind und kleine Kinder haben.

Alud.

Als letztes Tagewerk werden die Schlitten umgedreht, die Hunde ausgespannt und frei herumlaufen gelassen. Zum Zutragen und Aufbewahren des Bedarfes an Koch- und Trinkwasser bedient man sich blecherner Gefäße auch dann nicht, wenn dieselben wie in unserem Falle zur Verfügung standen, sondern gebraucht den Katak der Eskimos. Dieser ist ein aus Seehundsfell wasserdicht genähter Eimer, der, abgesehen, daß er als schlechter Wärmeleiter das Gefrieren des Wassers nicht so schnell zuläßt als Eisenblech, auch den Vortheil bietet, daß, wenn sich an den Wänden Eis angesetzt hat, dieses mit einem Stücke Holz ohne Beschädigung des Gefäßes leicht abgeklopft werden kann.

Auf diese Weide ist endlich Alles in Ordnung, man verschwindet, durch die kleine Pforte, auf allen Vieren kriechend, in die Hütte und schließt diese mit einem bereit gehaltenen Schneeblocke von der Außenwelt ab.

Route der Suchungs-Expedition

Das Innere selbst ist durch die fleißigen Hausfrauen (gewöhnlich wohnen zwei Familien in einer Hütte, da es nur das Vorrecht eines verheirateten Weibes ist, eine Lampe brennen zu dürfen) nach besten Kräften eingerichtet worden. Die als Schlafstätte dienende Plattform ist mit Rennthierfellen belegt und auf diesen liegen die Schlafsäcke der Weißen, sowie die großen Rennthierdecken der einzelnen Familien. Die in den beiden Ecken aufgestellten Lampen und Kessel (letztere gleich ersteren aus Talkstein gemeißelt) bilden das größte Gut, ja den Stolz des Eskimo-Weibes und räumen ihm auch den Platz in den Ecken der Schlafstätten ein. In der noch kalten Hütte beginnt die Frau das Anzünden ihrer Lampe, richtet das lange Feuer gleichmäßig so, daß es gar nicht raucht und doch den oberhalb schon mit Fleisch und Wasser gefüllten Kessel bestmöglich erwärmt. Ist die Mahlzeit fertig, dann theilt sie das Essen aus und schaltet und waltet, die Erste auf, die Letzte zur Ruhe, als treues und unverkennbares Bild einer guten Hausfrau und Mutter. Unsere Abbildung zeigt eine solche Frau an ihrem einfachen Herde.

Eskimo-Frau am Herd.

In der Schneehütte selbst sich aufzuhalten, dafür giebt es nur ein Mittel, und das liegt darin, sich zu entkleiden und unter die Pelze zu kriechen, außer die Hütte ist für einen längeren Aufenthalt separat größer gebaut. Die Arbeit des Entkleidens ist eine etwas umständliche, da man mit einem kurzen Stocke (Anauter) sämmtliche Kleider, um sie trocken zu erhalten, mit minutiöser Pedanterie von jedem Flöckchen anhaftenden Schnees, von jedem Splitterchen Eises befreien muß. Jedes Kleidungsstück hat seinen bestimmten Platz, die Außenkleider gehören zum Schutz für den Schlafsack zwischen dessen Fußtheil und die Schneewand, die Unterkleider als Polster, und um das Herunterfallen desselben zu verhüten, wird der besprochene Anauter nach dessen Gebrauch gleichsam als Schutz für den Polster wie ein Pflock nahe der Kante schief eingesteckt. So ist es auch in einer Schneehütte möglich, sich's bequem zu machen, und man schläft nach gethaner Arbeit mit dem Bewußtsein ein, daß der erste Erbauer einer solchen Hütte und der Erfinder des Schlafsackes der nordischen Welt wohl eben so große Dienste leistete, wie sie heute die civilisirte Welt dem Erfinder der Dampfmaschine verdankt.

Die ganze Zeit des Lagerbereitens vom ersten Augenblicke des Haltens an bis zum Einschlüpfen in die Schlafsäcke dauert zweieinhalb bis drei Stunden; soll aber der nächste Tag ein Rasttag sein, dann etwas länger, weil die Hütten geräumiger gebaut werden.

Jeden zweiten Tag findet die obligate Hundefütterung statt und zu diesem Zwecke werden die Hunde auch nach dem Abladen der Schlitten noch eingespannt behalten. Die zu den betreffenden Schlitten gehörigen männlichen Eskimos laden ihren Bedarf an Futter auf den Schlitten, nehmen Messer und Axt mit und fahren in entgegengesetzten Richtungen so weit vom Campirungsplatze, daß die Hunde des einen die Hunde des andern Schlittens nicht sehen können. Ist dies geschehen, dann wird gehalten, der Schlitten umgekehrt und womöglich befestigt, damit ihn die Hunde, die gut wissen, was alle diese Vorbereitungen bedeuten, nicht fortschleifen können. Nun beginnt das Zerkleinern des Futters und damit eine schauerliche Musik, die man meilenweit hören kann. Von dem Augenblicke, wo der Eskimo sich zum Schneiden des Futters anschickt, bis zu dem Zeitpunkte, wo die Stücke auf einmal unter die unbändige Meute geworfen werden, giebt's Heulen, Raufen und unausgesetzte Versuche, sich vom Schlitten loszureißen; wenn der Leser die Fütterungszeit in einer Menagerie sah, so hat er doch nur einen schwachen Begriff von dem, was zwölf bis siebzehn Eskimohunde bei ähnlicher Gelegenheit aufführen können. In solchen Momenten ist der Eskimo und dessen lange Peitsche, ob er sie regelrecht gebraucht oder mit dem Stiele über die Köpfe der Hunde zuschlägt, machtlos, und erst, wenn die Fütterung beginnt, wird es auf so lange still, bis zwei oder drei der größten Hunde über den Besitz eines speciellen Stückes uneinig werden und dann statt mit vollem Magen mit zerbissenen Ohren zurückkehren. Jedes Bedenken, daß die schwächeren Thiere bei der Fütterung den Kürzeren ziehen, ist unnütz, die starken geben ihnen durch ihre Dummheit Gelegenheit, gut für sich zu sorgen.

Nur in dem Falle, als am Tage der Fütterung Rennthiere genug geschossen wurden, um von den weniger für Menschen tauglichen Theilen sämmtliche 42 Zugthiere füttern zu können, werden diese am Platze in größere Stücke zerschnitten und den Hunden die weitere Zerkleinerung überlassen.

Dieses war im Allgemeinen das Tagesprogramm, welches wir schon von den ersten Tagen an befolgten. Bis zum 4. April Mittags bewegten wir uns auf einem Terrain, das, hügelig und steinig, theils wegen der großen Steigungen, theils wegen der vielen, nur leicht mit Schnee bedeckten Steine schlecht fahrbar war. Namentlich waren es die letzteren, die unsichtbar unsere Schlittenschleifen ihrer Eisung beraubten, denn sobald diese abhanden gekommen war, waren Hunde und Menschen nur schwer im Stande, die Schlitten bis zum nächsten Punkte zu bringen, wo ein Wasserloch gemacht und eine neue Eisung aufgetragen wurde. Ebenso hindernd wie die Steine ist auch das vom Schnee gänzlich entblößte Süßwassereis, daher die Schlittenlenker solchen Stellen und Steinen mit großer Vorsicht ausweichen. An dem genannten Tage passirten wir die letzte Anhöhe bergab und standen bald auf einem schönen Flusse, dessen breites Bett mit zahlreichen kleinen Inseln bedeckt, uns für mehrere Tage eine willkommene Fahrstraße bot. Erst am siebenten Tage nach unserem Ausmarsch erlaubten wir uns zur Schonung der Hunde einen Rasttag und bestimmten an diesem Tage nach der Meridian-Altitute der Sonne unsere geographische Breite mit 64° 29' Nord. Am achten wendete sich der Fluß, von uns Lorillard-Fluß genannt, westlich und wir erstiegen dessen rechtes User. Zu diesem Behufe waren wir gezwungen, durch sämmtliche Gespanne die Schlitten einen nach dem andern auf die Anhöhe zu schaffen, und während die Eskimos sich mit dieser zeitraubenden Arbeit befaßten, erhielten wir Weißen Gelegenheit, nach dem Grunde eines prachtvollen Naturschauspieles zu forschen. Schon von weitem fiel uns eine glitzernde, etwa 60–80 Fuß hohe Eiswand auf, und näher kommend, glaubten wir vor einem gefrorenen Wasserfall zu stehen. Eine nähere Untersuchung zeigte jedoch, daß der vermeintliche Eiskatarakt der Ueberfluß eines kleinen Bergteiches war, der im verflossenen Herbste durch die häufig und spät eintretenden Regengüsse überfüllt und nicht im Stande war, den ganzen Zufluß seines Wassergebietes zu fassen. Die schichtenweise Lagerung der verschiedenen Eiskrusten zeigte deutlich die successive Entstehung der reizenden Erscheinung.

Sobald wir den Lorillard-Fluß verlassen hatten, mußten wir uns gewöhnen, in nordöstlicher Richtung von den vielen sich bietenden Wegen den besten zu suchen und, um möglichst schnell vorwärts zu kommen, stets bedacht sein, aus den vielen Teichen und Seen die vortheilhafteste Fahrbahn zu wählen. Die Gegend hatte sich in den wenigen Tagen unseres Marsches sehr bedeutend geändert und das flache, wellenförmige Hügelland mit sanft ansteigenden Böschungen hatte sich in ein höheres, aus einzeln stehenden Kegeln gebildetes Terrain verwandelt. Der Schnee war auf diesen Kuppen spärlicher geworden und die sonst flachen Granitplatten waren mit einem Geröll bedeckt, welches die Fahrbahn schlechter machte. Wir standen an den östlichen Ausläufern der Hazard'schen Hügel, einer niedrigen Bergkette von etwa 800–1000 Fuß Höhe, die Lieutenant Schwatka auf seiner Recognoscirungstour weiter nach dem Westen besuchte. Dieselben scheinen sich zwischen dem 64 und 65° n.B. von Südwesten nach Nordosten zu ziehen und erreichen in der Wheeler-Spitze (1000–1200') muthmaßlich ihren höchsten Punkt. Unsere Fahrbahn führte über einige große Teiche. Mit dem Eintritte in diesen neuen Terrain-Abschnitt zeigten sich von Tag zu Tag mehr Rennthiere. Diese waren uns natürlich um so erwünschter, als wir stets gefaßt sein mußten, später Gegenden zu betreten, die, verhältnißmäßig wildarm, es räthlich machen würden, daß wir einigen Proviantvorrath auf den Schlitten mitführen.

Zeugen einer Hetzjagd waren wir am Morgen des 9. April. Durch das Unwohlsein Tulnak's wurde unser Abmarsch bis gegen zehn Uhr Vormittags verspätet; kurz vor dem Einspannen zeigte sich auf dem großen, gerade vor uns liegenden Teich eine Rennthierheerde. Mit einem Male war die Disciplin unter den Hunden gebrochen und ihre Raubthiernatur machte sich im vollsten Sinne geltend. Zweiundvierzig Hunde jagten den Rennthieren nach und mit welcher Ungeduld wir auch den endlichen Aufbruch wünschten, es blieb uns nichts übrig, als ruhig zu warten, bis nach etwa einer Stunde die ganze Meute unverrichteter Sache keuchend zurückkehrte. Zum Hetzen von Wild haben sich nur zwei Thiere unserer sämmtlichen Gespanne als tauglich bewährt – im Allgemeinen ist der Eskimohund zu diesem Zwecke unbrauchbar, weil er selbst dem eben nicht schnellen Rennthiere nicht rasch genug nachzusetzen vermag.

An demselben Tage noch passirten wir den nach seiner Richtung genannten »Südwestlichen Paß«, jedenfalls das Bett eines kleinen Flüßchens, dessen Ufer schroff aufsteigende Felswände bilden und mit dem in deren Fugen eingewehten Schnee ein recht schönes winterliches Landschaftsbild darbieten.

Südwestlicher Paß.

Am Nachmittage gab es heftigen Schneefall und starken Südostwind, der auch den folgenden Tag anhielt, so daß wir es vorzogen, am zehnten Tag Rasttag zu halten und Gilder Gelegenheit zu geben, mit dem, des Kranken halber, zurückgebliebenen Schlitten nachzukommen.

Zwei Tage später passirten wir die Wasserscheide zwischen der Hudsons-Bai und dem Wager-Golfe und vor uns lag ein ebenso schönes, als wildreiches Hügelland. Die Möglichkeit eigener Verproviantirung für den Marsch nach König Wilhelms-Land war außer Frage, und ohne besondere Jagdexcursionen unternehmen oder unsere Partie vertheilen und Seitencolonnen aussenden zu müssen, erlegten wir Rennthiere genug. Namentlich Tuluak bewies sich als äußerst flinker Jäger und guter Schütze, und wenn sein Winchester-Carabiner krachte, konnten wir auch gleich einige Hunde nach dem Orte, woher der Knall kam, aussenden. Die erlegten Rennthiere wurden bei dem Geweihe durch Hunde zu den Schlitten geschleift, die Beute aufgeladen und die Colonne bewegte sich weiter. Mit dem Zahlreicherwerden der Rennthiere zeigten sich aber auch Wölfe, zuerst einzeln, dann in Rudeln, und wenn sie uns auch nicht bei Tage angriffen, so verfolgten sie doch unsere Spur und beunruhigten Nachts unsere Hunde. Diesmal kam uns das Geschenk einer New-Yorker Firma, die Signallichter fabrizirte, besonders gut zu statten, und als Nachts die Wölfe wieder um den Lagerplatz herumschlichen, machten wir von innen aus in unserer Schneehütte ein kleines Loch und entzündeten eines der Lichter, wie sie Schiffe zum Signalisiren für den Lootsen verwenden und welche die Farben Weiß, Roth, Weiß wechseln.

Die helle Erleuchtung der noch finsteren Nächte schien den Wölfen nicht besonders zu behagen, sie stutzten, zogen sich bei der ersten Wechselung zum röthlichen Licht mit eingezogenen Schwänzen langsam zurück, und als die Farbe Weiß nochmals erschien, liefen sie in aller Hast davon. Auf diese Art wurden wir der lästigen Gesellen los. Als Herr Coston sich seine Marine-Signallichter patentiren ließ, dachte er wohl kaum an eine derartige Verwendung!

Das sich scharf senkende Terrain zwang uns, oft einen steilen Hügel bergab zu passiren. Bei solchen Gelegenheiten wurden die Hunde ausgespannt und diese stürzten dann dem der Führung zweier Personen allein überlassenen Schlitten nach. Einmal in Bewegung, schießt der Schlitten durch die eigene Schwerkraft mit einer furchtbaren Schnelligkeit über die blanke Schneefläche und in allen möglichen Positionen kommen die Lenker in der Tiefe an, nur in der Nähe des Schlittens bleibend, um eine Collision womöglich zu vermeiden. Ist aber der Abhang besonders steil und lang, dann gebrauchen die Eskimos eine gerollte Wallroßleine als Bremse, die sie im geeigneten Augenblicke über den vorderen Theil der Schlittenschleifen werfen, um die Reibung zu vermehren.

Die auf den englischen Admiralitätskarten als Wager-Fluß bezeichnete tiefe Meeres-Einbuchtung wurde wohl geographischer Ortsbestimmung nach durchgegangen, ist aber eigentlich nur eine Combination von größeren und kleineren Teichen.

Die Bezeichnung Fluß ist hier nicht recht am Platze, die Bezeichnung Wager-Golf würde richtiger sein. Die Quellen des Quoich-Flusses sind zu weit östlich, um die Bildung eines so großen Flusses, wie es der Golf in seiner Mündung und schon 60 Meilen westlich davon ist, zuzulassen. Die Unrichtigkeit der Karte und die unpassende Bezeichnung rühren jedenfalls von einem Irrthum gelegenheitlich der ersten Aufnahme her.

Das Wetter ist bisher immer günstig gewesen, am 19. April aber begann ein sehr scharfer Südwestwind zu blasen, der uns die drei Stunden des Lagerschlagens sehr sauer machte. Den ganzen Tag hatte der Schnee derart in der Luft gewirbelt, daß wir nur mit Noth nach der zeitweilig sichtbar werdenden Sonne eine nordwestliche Marschdirection einhalten konnten, doch Abends wuchs der Sturm zum Orkan. Bereits nach wenigen Minuten waren Hunde und Schlitten gleichsam in einer Schneebank vergraben und die Frauen mit ihren Kindern kauerten, die Kleinen fest an den Leib gedrückt, hinter dem quer gegen den Wind gestellten Schlitten. Nur mit Mühe konnten die Männer Schneeblock an Schneeblock reihen; die ernstlichsten Versuche von unserer Seite, den Eskimos beim Baue der Hütten behilflich zu sein, scheiterten, da jede Schneetafel, die wir aufzusetzen versuchten, wie ein Stückchen Papier weggeblasen wurde, ehe wir noch die folgende anschließen konnten. In einem Wetter, wie das heutige, erscheinen die drei oder vier Wartestunden bis zum Fertigwerden der Schneebehausungen besonders lang, doch waren wir diesmal nach Verlauf derselben für volle fünf Tage geborgen. So lange nämlich sahen wir uns gezwungen, buchstäblich im Innern der Hütte zu bleiben und uns die Zeit bestmöglich zu vertreiben. Es waren Beobachtungen curioser Art, die wir machten. Unter Anderem entdeckten Gilder und ich an der inneren Fläche der Schneetafeln Unebenheiten, die in der eigenthümlichen, von außen her eindringenden Beleuchtung Schatten warfen, deren Gruppirung sich als schöne, formenreiche Landschafts- und Figurenzeichnungen präsentirten. Mit Abzeichnen solcher Bilder verbrachten wir Beide auf angenehme Weise manche sonst lange Stunde der Unthätigkeit. Namentlich stürmische Tage waren es auch, die in unseren Tagebüchern eine längere Besprechung fanden, und was uns als Stoff an besonderen Ereignissen fehlte, das ersetzte die Mannigfaltigkeit der Gedanken und das oft in die verschiedenen Sphären menschlichen Wissens einschlagende Gespräch.

Eine Eskimo-Bremse.

Am 28. führte uns unsere Marschdirection abermals in ein vom früheren verschiedenes Terrain. Langsam ansteigend, war der Boden mit einer Unzahl großer und kleiner Granitblöcke bedeckt und sehr zerrissen. Solche Gegenden mußten die richtigen Plätze für Moschusochsen sein, wir fahndeten unablässig nach deren Spuren, konnten aber keine sehen, bis Iquisik des Abends von einer Höhe aus mit Hilfe unseres Fernrohres einer kleinen Heerde dieser Thiere selbst ansichtig wurde. Eine Moschusochsenjagd mitmachen zu können, war seit Langem einer unserer Lieblingswünsche, und da es für heute schon spät war, die Moschusochsen aber, wenn nicht aufgescheucht, während der Nacht nicht weit gehen, beschlossen wir, deren Verfolgung auf den kommenden Morgen zu verschieben.

Ein dichter Nebel bedeckte am 29. Früh die ganze Gegend, und erst, als sich derselbe gegen die neunte Morgenstunde hob, setzten sich sämmtliche männliche Individuen der Partie auf den bereit gehaltenen, mit etlichen 35 Hunden bespannten Schlitten und fuhren der Gegend zu, die nach der gestrigen Beobachtung der Anfangspunkt unserer Jagd sein mußte. Schweigend bewegte sich die Partie über die glatte Schneebahn, der Treiber gebrauchte seine Peitsche gar nicht, und auch die Hunde schienen zu wissen, daß Lärm die Thiere verscheuchen würde, denn mit seltener Ruhe folgten sie dem leisen aho, leho (rechts, links) ihres Lenkers. Gegen die elfte Stunde hatten wir die ersten Spuren erreicht, es wurde gehalten, die Hunde wurden ausgespannt, ein Jeder von uns band sich mittelst Zugleinen zwei Hunde an die Hüften und führte diese auf die im Schnee deutlich sichtbaren Spuren. Mit tief an den Boden gesenktem Kopfe begannen die Hunde, der Spur nach, die Verfolgung derselben, für die Menschen war es deren einzige Aufgabe, sich auf den Füßen zu erhalten. Wie schwer dies ging, hatte ein Jeder Gelegenheit, zu erfahren. Die Unebenheit des Terrains einestheils, die weiße, die Augen blendende Schneefläche anderentheils hatten zur Folge, daß man bald stehend, bald sitzend, bald liegend und auch rollend die Abhänge herunter gelangte und athemlos die Hügel erreichte. Es ging, wie gesagt, durch Dick und Dünn, immer nur der Spur nach, auf der die Hunde den an ihnen befestigten Gebieter schonungslos mit einer Kraft fortzogen, die eines jeden Widerstandes spottete. Dabei war weder ein Laut zu hören, noch zeigten sich Moschusochsen. Die Verfolgung dieser Thiere mag einem passionirten Jagdliebhaber die erstenmale einen besonderen Genuß gewähren, doch muß ich aufrichtig gestehen, die Distanz von drei Meilen mit zwei vorgespannten Hunden dem Laufe der daran gewöhnten Eskimos zu folgen, ist für einen Laien, wenn er auch noch so flink ist, des Guten zu viel. Beim Erreichen einer neuen Höhe bemerkten wir schwarze, dunkle Punkte, die auch sehr bald unser ansichtig wurden und die Flucht ergriffen. Der Moment zum Loslassen der Hunde war gekommen, nur zu gerne entbanden wir die Köter ihrer weiteren Hilfeleistung und diese stürzten nun en masse den Moschusochsen nach. Diese sind sehr gute Bergsteiger, auf sehr steilem Terrain kann ihnen weder Mensch, noch Hund folgen, doch aus ebenem Boden waren sie bald eingeholt, umringt und stellten sich – vier an Zahl – mit den Köpfen nach außen, zur Vertheidigung zusammen. Hatten früher die Hunde gewetteifert, die ersten am Platze zu sein, so waren es jetzt die Jäger, deren Jeder einen Moschusochsen schießen wollte, und auf die Distanz von 25 Schritt angekommen, wurden mehr Kugeln abgefeuert, als nothwendig waren. Einmal von den Hunden umringt, ist die Heerde vollständig die Beute der Jäger. Die Thiere lagen auf dem Boden – die Jagd hatte ein Ende, und während die Hunde noch hie und da bald an den Füßen oder den gefürchteten Hörnern herumzerrten, gönnten wir uns eine kleine Rast. Parseniak, einer unserer besten Jagdhunde, war dem Horn eines der Thiere zu nahe gekommen und hatte eine unfreiwillige Luftreise unternommen; doch kaum auf die Erde gefallen, setzte der sonst unbeschädigte Hund seine Angriffe mit erneuerter Kraft fort. Jetzt legte er sich befriedigt in die Nähe des Thieres und biß es hin und wieder in die Nase.

Der Moschusochs ist in seiner Gestalt dem amerikanischen Büffel sehr ähnlich, aber kleiner, sehr langhaarig und mit scharf gebogenen, eng an den Seiten des Kopfes anliegenden Hörnern. Die Hörner übergreifen, mit ihren Wurzeltheilen eng aneinander schließend, den ganzen oberen Theil des Schädels. Der Moschusochs lebt in kleineren, bis dreißig Stück zählenden Heerden beisammen, nährt sich von den in den arktischen Regionen vorkommenden Moosen und ist, was seine Wachsamkeit anbelangt, eines der aufmerksamsten Thiere. Für den nordischen Reisenden ist sein Vorkommen in den höchsten Breiten (bis zum 80. Grad an der westgrönländischen Küste) wichtig, da sein Fleisch zäh, daher für die Hunde ein weit ausgiebigerer Nahrungsstoff ist als Rennthier- oder Seehundsfleisch. Für den Menschen bietet das Fleisch des Moschusochsen (seines starken Moschusgeruches halber) nur in der Noth eine gesuchte Nahrung, ist der Talg im Winter für den Eskimo ein gesuchter Leckerbissen.

Moschusochsen-Jagd

Die erlegten vier Moschusochsen wurden abgezogen, zerlegt und die Eingeweide sogleich an Ort und Stelle an die Hunde verfüttert. Das Fleisch wurde theils auf den Schlitten geladen, theils in die Felle gebunden und auf diese Weise durch eine Partie der Hunde nach Hause geschleift.

So fand also ein jeder Theil seine Benützung, und nur eine kleine Blutlache bezeichnete nach unserem Abgehen den Ort, wo früher eine Heerde dieser langzottigen Thiere sich befunden. Nach den Mittheilungen der Eskimos soll aber auch dieser kleine Rücklaß genügen, zwei Jahre lang jede andere Heerde von diesem Orte fernzuhalten. Für die Richtigkeit dieser Behauptung der Eskimos übernimmt der Schreiber natürlich keine Verantwortung, so wachsam die Moschusochsen auch immer sein mögen.

Vom 30. April bis 4. Mai kreuzten wir ein großes Hochplateau, das bei seinem auffallenden Wassermangel und seinem totalen Mangel an Thieren eine kleine Wüste des Nordens genannt zu werden verdient. Aber noch in anderer Beziehung sollte uns der Marsch darüber unangenehm werden. Die Temperatur, die sich im Laufe des Monats April bedeutend erhöhte, machte das Tragen der Pelzkleider lästig, und doch durften wir es der kalten Morgen wegen nicht wagen, eine andere Kleidung anzuziehen. Die dem scharfen Frühjahrswetter ausgesetzten Gesichtstheile waren durch kleine Erfrostungen zum Abschälen der Haut gebracht, und wenn in den Mittagsstunden die sich nunmehr geltend machende Sonne darauf schien, so verliehen diese beiden, einander vollkommen extremen Processe, namentlich der Nase ein Aussehen, daß sie, ihrer mehrfachen Häute halber, mit einer Zwiebel, wegen ihrer vielen Warzen und Flecken aber mit einem Reibeisen zu vergleichen war.

Heller Sonnenschein war noch eine Wohlthat für das Auge im Vergleiche zu einem leicht umwölkten oder schwach nebligen Wetter. Im Sonnenschein warfen die einzelnen Schneewehen leichte Schatten, und diese waren es, die dem Auge durch die Abwechslung, die sie in das monotone Weiß brachten, schon Linderung schafften; konnten aber die Sonnenstrahlen nicht in ihrer ganzen Kraft zu uns dringen, dann war die ganze Fläche von Horizont zu Horizont eine gleichförmige, glimmernde Schneefläche, ohne Stein, ohne Farbenänderung, ein Weiß, so fad und ebenso schmerzlich für das Auge wie unangenehm für den Reisenden.

Selbst die grünen und blauen Blendgläser, die wir für uns selbst, sowie für die uns begleitenden Eskimos mitgenommen hatten, trugen nur wenig zur Linderung der Qualen bei, die sich bei den Eskimos in brennendem Schmerz und dem als Schneeblindheit bekannten Uebel, bei uns Weißen aber in einem schwer beschreiblichen Gefühle kennbar machte. Wir sahen in die Ferne, hatten keinen Schmerz und doch konnten wir die einzelnen Wehen des Schnees in unserer nächsten Nähe nicht unterscheiden.

Am 4. Mai endlich zeigte sich in der Ferne eine dunkle Hügelkette, und als wir sie erreichten und bestiegen, lag vor uns ein Panorama, dessen Anblick allein uns für die Mühen der letzten Tage entschädigte. Weithin sichtbare Hügelketten, die vielen vor uns ausgebreiteten Teiche und die von einem dunklen Moose bewachsenen Hügelkuppen mit ihren schneeentblößten Granitblöcken waren dem Auge allein schon ein Labsal. Wir standen am höchsten Punkte der ganzen Landschaft, vor uns ging es bergab – wir hatten mit dem heutigen Tage nicht nur die Wasserscheide zwischen der Hudsons-Bai und dem nördlichen Eismeere am amerikanischen Continente erreicht, sondern auch den nördlichen Polarkreis (66° 33') selbst überschritten.


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