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Kribi und Umgegend

Kribi, 12. August

Am 6. August brachte uns die »Nachtigal« von Duala nach Kribi. Mit mir zugleich machte Dr. G. von der Schutztruppe die Reise, der von Kribi aus zu der seit Juni im sogenannten Aufstandsgebiet von Südkamerun fechtenden Expedition stoßen sollte. Bisher war diese ohne jeden Arzt. Die See war schlecht, und unser kleiner Dampfer hatte schwer gegen sie anzukämpfen, so daß ihm die Fahrt, die er sonst in neun Stunden zurücklegt, diesmal erst nach vierzehn Stunden glückte. Auf der Weiterreise nach Campo hat er auch noch das Unglück gehabt, sich an einem Felsenriffe den Leib aufzureißen, so daß er nur mühsam nach Duala ins Dock kommen konnte. Der arme G. war ununterbrochen seekrank. Vorgestern früh zog er mit seinen Lasten ab; er hat gut vier Wochen Marsch vor sich, größtenteils durch unwegsames und dazu unruhiges Gebiet hinauf zum Oberlaufe des Njong, zum Operationsgebiete der Kompanie, zu der er zu stoßen hat.

Die ganze Küste Südkameruns ist bis unmittelbar ans Meer heran von einem dichten Urwaldgürtel umsäumt, der sich in einer Breite von 200 km ins Innere hinein erstreckt und dann in die Park- und Steppenlandschaft des Sudans übergeht. Kribi selbst liegt an der Mündungsbucht des Kribiflusses, der hier aus dem Waldesdunkel heraus über ein buntes Gewirr von Felsblöcken herabschäumend dem Meere zuströmt. Nicht mehr als ein Quadratkilometer des welligen Terrains, vom Flusse in zwei Teile zerschnitten, ist notdürftig vom Walde gesäubert. Auf diesem freien Platze liegt der Ort. Dicht hinter ihm führt eine Straße oder richtiger die Straße, denn es ist die einzige größere des ganzen Südbezirkes, in den Wald hinein. Was sich in seinem Innern zu beiden Seiten des Weges birgt, wissen wir noch nicht; wir wissen noch nicht einmal, ob und wieviel Niederlassungen von Eingeborenen im Walde verborgen liegen. Kurz: die wirkliche Erschließung des Kribibezirkes, selbst die politische, harrt noch ihres Meisters.

Der Hauptteil des Ortes liegt auf dem rechten Flußufer. Nahe am Meere haben mehrere Firmen ihre Faktoreien angelegt. Vom Strande führt eine Mangoallee dicht am Flusse aufwärts an einigen weiteren Faktoreien vorbei zu dem auf leichter Anhöhe frei gelegenen Bezirksamt, dem einzigen, wirklich wohnlichen, geräumigen und billigen Ansprüchen genügenden Gebäude, über das die Regierung in Kribi verfügt. Alle anderen Beamtenwohnungen zeichnen sich durch einen weniger guten baulichen Zustand aus und stehen darin weit hinter den meisten der Faktoreien zurück. Diese mangelhaften Wohnungsverhältnisse Kribis sind um so bedauerlicher, als seine Lage ohnehin schon hygienisch ungefähr alle Nachteile bietet, die eine tropische Niederlassung nur aufweisen kann. Das dichte Gestrüpp der Flußufer, unentwässerte sumpfige Niederungen, die mit hohem Schilfgrase oder niedrigem Busch bewachsen den Ort durchziehen, und der nahe Wald bieten den Moskitos willkommene Brutstätten und Unterschlupf in reichster Fülle.

Landschaftlich schön und hygienisch günstig, soweit letzteres in Kribi überhaupt möglich ist, liegt eigentlich nur die Missionsanlage der Pallotiner, die nebst ihrem schmucken Kirchlein auf einer die Flußmündung beherrschenden Erhebung des linken Ufers ihren Platz hat. Eine schöne, auf massiven Mauerpfeilern ruhende Brücke verbindet die beiden Flußufer. Außer den Missionsgebäuden finden sich auf der linken Seite des Flusses noch zwei Faktoreien und auf einer ins Meer vorspringenden Sandbank der Leuchtturm des Ortes, der den nachts ankommenden Schiffen die Nähe der flachen Bucht ankündigen soll.

Eine einigermaßen günstige Lage hat nur noch das einstöckige, kleine Häuschen mit seinen zwei Zimmern, das ich selbst während meines interimistischen Aufenthaltes hier angewiesen bekommen habe: am Nordende Kribis, dicht an der See, auf einer steinigen Anhöhe, von der Seebrise ausgiebig getroffen. Ein riesiger Flaggenmast vor seinem Eingange erinnert an seine ehemalige Bestimmung als Zollgebäude. Von der schmalen Veranda aus bietet sich dem Auge ein schöner Blick über die See, aus der bei klarem Wetter in der Ferne die blauen Umrisse der Berge von Fernandopo emportauchen; nordwärts davon wird selbst der Kamerunberg bisweilen am Horizonte sichtbar. Ein häßlicher Mangel seiner Lage ist aber der, daß sich auf seiner Rückseite, nur wenige Schritte entfernt, ein größerer, unsauberer Hüttenkomplex der Eingeborenen anschließt. Die für die Tropen zulässige Dienstaltersgrenze hat auch dieses Holzhäuschen längst überschritten. Zu dem unsauberen, äußeren Anstrich, den faulenden, von Termiten zerfressenen Holzteilen, denen allerhand Gewürm entkriecht, zu dem bedenklich nachgiebigen Fußbodenbelag der Veranda und der Zimmer und den hartnäckig verquollenen Fenstern, die trotz allen Kraftaufwandes nicht zu öffnen sind, gesellen sich als fühlbarster Defekt die Schäden des Daches, durch die es lustig hereinregnet. In der ersten Nacht, die ich in meinem Schloß am Meere verbrachte, mußte ich mehrmals den Standort meines Bettes wechseln, bis ich endlich einen Platz ausfindig gemacht hatte, der von dem durch die Decke tropfenden Wasser verschont blieb. Tagsüber erinnern mich die regelmäßig herabfallenden Tropfen lebhaft an das langentbehrte, trauliche Geräusch einer tickenden Wanduhr. Das Mobiliar zeichnet sich durch große Schlichtheit und Ergänzungsbedürftigkeit aus; besonders schmerzhaft vermißte ich anfangs jede Sitzgelegenheit. Die fehlende Bettwäsche, die erst nach einigen Wochen aus Duala geliefert werden kann, ersetze ich einstweilen durch Benutzung meines Khakimantels.

In den ersten Tagen teilte ich meine komfortable Wohnung mit dem Bezirksamtssekretär. Neuerdings bin ich Alleinherrscher in ihr und habe mir den einen der beiden Räume als Apotheke, Untersuchungs- und Verbandraum, nebenbei als Gepäck- und Rumpelkammer hergerichtet; der andere dient gleichzeitig als Salon, Wohn-, Schlaf-, Eß- und Studierzimmer. Der Versammlungsort der schwarzen Patienten, für die ich morgens Sprechstunde halte, ist die Veranda. Ein Lazarett oder irgendein Unterbringungsraum für kranke Europäer oder Schwarze fehlt dem Orte. Ebenso fehlt mir vorläufig ein Instrumentarium bis auf den Inhalt eines kleinen Taschenbestandes. Medikamente und Verbandmittel konnte ich mir in ausreichender Menge aus den Beständen des Regierungshospitales in Duala mitnehmen. Ebenfalls von dort habe ich durch das Entgegenkommen Dr. H.s eine bereits gut angelernte schwarze Hilfskraft bekommen. Einen zweiten Schwarzen, einen Jaundejüngling Peter, will ich so gut es geht mir noch dazu abrichten.

Die Gesamtzahl der hier ansässigen Europäer beträgt augenblicklich 31, wovon sieben auf Beamte (Bezirksamtmann, Sekretär, Materialienverwalter, Polizeimeister, Zollbeamter, Postmeister und Arzt), sieben auf die Mission, der Rest auf die Kaufleute entfällt. Zur näheren Nachbarschaft gehören indessen die auch kommerziell mit Kribi verbundenen wichtigen Handelsniederlassungen Plantation und Lonji im Norden und Großbatanga im Süden Kribis mit zusammen 20 Weißen.

Das schöne Kribi ist derjenige Ort des ganzen Kameruner Schutzgebietes, der in der Entwicklung seines Handels die größte Aufwärtsbewegung während der letzten Zeit zu verzeichnen hat. Noch vor wenigen Jahren kam er neben Duala und Viktoria kaum in Betracht. Heute bildet er die Hauptausfuhrpforte der Kolonie für Elfenbein und besonders Gummi. Von diesem wertvollen Produkte führt Kribi mit seinen genannten Nachbarorten mehr aus als alle andern Küstenplätze zusammengenommen, und noch ist der Höhepunkt anscheinend nicht erreicht. Gleichzeitig ist Kribi bis jetzt ein Haupteingangstor für das Kameruner Hinterland. Zunächst ist es befremdlich, daß das südlich gelegene Kribi und nicht ein Ort des Küstenzentrums diese Rolle spielt. Aber alle die, welche nach dem Süden und Osten, und selbst viele von denen, die ins nördliche Inland hinauf bis zu den Tschadseeländern ziehen müssen, treten, wenn sie nicht vom englischen Gebiete aus den Wasserweg benutzen, ihren Marsch von hier aus an, weil sich ihnen hier die geringsten Schwierigkeiten sowohl des Geländes als auch durch unsichere Negerstämme entgegenstellen. An wirklichen Straßen hat freilich auch der Südbezirk nur diese eine, und auch sie bedarf noch sehr des Ausbaues. Sie führt über Lolodorf nach Jaunde und von da über Joko ins nördliche Hinterland und stellt den vielbenutzten Hauptverkehrsweg des Schutzgebietes dar.

Die ursprüngliche Eingeborenenbevölkerung in und bei Kribi wird von dem Stamme der Mabea gestellt, einem kleinen, häßlichen und im Verkehr mit dem Europäer noch wenig zugänglichen Menschenschlage, der weder in seinen körperlichen noch geistigen Eigenschaften einen Vergleich mit dem Togoküstenneger aushält. Der Unterschied zwischen beiden ist mindestens ebenso groß wie der zwischen einem Pariser und einem russischen Muschick. Die trübe, regnerische Kamerunküste hat auch weniger heitere Leute als der sonnige Togostrand. Nach ihren sprachlichen Merkmalen gehören die Mabeas wie die Dualas und alle anderen Küstenstämme Kameruns zu jener großen Sprachfamilie der Bantuneger, die den afrikanischen Kontinent bis hinab zur südlich gemäßigten Zone bewohnen.

Aber wie Togo, so steht auch Kamerun in der Erscheinung der Völkerschiebungen und Völkervermischungen. In der Nähe des Meeres sind die Mabeas von den überlegenen Batangas, die wohl vom Norden her entlang der Küste vordrangen und den Dualas näher verwandt sind, verdrängt worden. Außer ihnen treffen wir aber als Händler und Karawanenträger Vertreter vieler anderer Stämme in Kribi an, so daß alle möglichen Negertypen hier beobachtet werden können; so die nördlich von Kribi ansässigen Ngumba, die Buli, Jaunde, von der Liberiaküste her importierte Kruneger, selbst die aus dem Sudan neuerdings bis hierher vordringenden Hausa und aus Togo zugewanderte Ewe.

Von ihnen haben die kriegerischen Buli sich vor sieben Jahren dem Orte unangenehm bemerkbar gemacht, indem sie plötzlich bewaffnet in Kribi erschienen und die Europäer hart bedrängten, bis durch herangezogene Verstärkungen dieser »Buliaufstand« niedergeschlagen wurde. Seither wird bis zum heutigen Tage ihr Name von den hiesigen Europäern mit einer gewissen Scheu genannt. Selbst in den ersten Monaten dieses Jahres noch hatte sich plötzlich in Kribi das grundlose Gerücht verbreitet: die Buli kommen. Bis jetzt haben sie es in Erinnerung an ihren letzten Denkzettel nicht wieder gewagt, den Ort zu belästigen. Leider gilt aber ihr Gebiet trotz der geringen Entfernung von der Küste der Regierung wohl immer noch als ein noli me tangere. Zu Arbeitsleistungen als Träger, zum Wegebau usw. werden sie, doch wohl in der stillen Befürchtung, ihren Unwillen damit zu erregen, nicht herangezogen, obwohl gerade sie an Stärke ihrer Einwohnerzahl und an körperlicher Leistungsfähigkeit den Mabeas weit überlegen sind.

Diese sonderbare Scheu vor den Buli geht sogar so weit, daß man allen Ernstes den Plan hat, Kribi zu befestigen, ein kleines, stark armiertes Kastell nach Art der südwestafrikanischen zu errichten, um im Notfalle dort vor den Buli Schutz zu finden und sie abweisen zu können. Erschlossen wird freilich damit das Buliland nicht, und ob es unsere Autorität ihnen und den andern Schwarzen gegenüber stärkt, wenn wir uns vor ihnen verschanzen, ist mindestens zweifelhaft.

Die Bauart der hiesigen Eingeborenen weicht von der Togos erheblich ab. An Stelle der Lehmwände haben wir hier die aus gespaltenen Palmrippen oder Baumrindenstücken konstruierten viereckigen Hütten, die nicht mit einer dicken Lage von Schilf, sondern mit Matten gedeckt werden. Diese mehrere Meter langen und ½ m breiten Matten werden so mühsam hergestellt, daß die einzelnen Teile von Palmblättern Stück für Stück über einer Schnur nebeneinander befestigt werden. Mit diesen einzelnen Matten werden die Giebeldächer derartig belegt, daß immer die obere Matte wie ein Ziegel über die untere übergreift und so einen regendichten Schutz abgibt. Eine solche luftige Hütte macht, solange sie neu ist, entschieden einen freundlicheren Eindruck als die Lehmbauten der Togoleute; aber nur gar zu bald nistet sich in ihnen der dicke Negerschmutz ein, den der Schwarze hier ungleich mehr zu lieben scheint; Wind und Wetter machen sie schneller als jene baufällig, und die Schäden werden nur mangelhaft ausgebessert. An die Hütten schließen sich die »Farmen« ihrer Bewohner an, die weit nachlässiger angelegt und bebaut sind als die großen Felder der Togoneger.

Freilich hat der Schwarze hier auch mit weit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen, um dem Waldgebiete ein Stück Ackerland abzuringen.

Das erste Instrument, das in der hiesigen Landwirtschaft in Tätigkeit zu treten hat, ist die Axt oder das Haumesser, mit der die großen Bäume gefällt werden; meist nicht an der Wurzel, sondern in Mannshöhe, weil dort der Stamm bedeutend dünner zu sein pflegt als am verbreiterten Wurzelende. Der gefallene Stamm bleibt da, wo er gestürzt ist, liegen, bis er entweder verwittert oder durch angelegtes Feuer langsam verkohlt ist. Das zwischen den Bäumen wuchernde Gestrüpp wird notdürftig beseitigt, und auf diesem Terrain wird mitten unter den Baumstümpfen und gefällten, verwesenden oder glühenden Stämmen der Boden mit der Hacke bearbeitet und bepflanzt. Trotz seiner mangelhaften Behandlung spendet er reichlich den Nahrungsbedarf der Leute. Hier an der Küste steht eine Art Bananen im Vordergrunde der Kultur, erst an zweiter Stelle kommen Mais, Yams und andere Feldfrüchte.

Eine hochwillkommene Gelegenheit hat sich den hiesigen Küstennegern, die offenbar auch instinktiv alles, was ihnen Arbeit erspart, sehen und ausnutzen, in der Nähe Kribis geboten. Vor kurzem ist eine Telegraphenleitung entlang der Küste über Plantation nach Lonji und weiter bis Viktoria gebaut worden. Zum Legen dieser Leitung war es nötig, eine etwa 30 m breite Bresche zu beiden Seiten des schmalen Fußweges, der diese Orte verbindet, in den Wald zu schlagen, damit nicht durch den Wind herabgebrochenes Geäst die Drähte beschädigt In andeten Gebieten Kameruns, z. B. auf der Strecke Duala–Jabassi, sollen allen Ernstes die Elefanten sich nicht selten damit vergnügen, die Telegraphendrähte herabzureißen oder die Stangen umzustoßen..

Diese Waldlichtung ist überall von den Schwarzen sofort als Farmland bebaut worden. Gewerbe- und Handelssinn ist bei den Eingeborenen der Südkameruner Küste noch wenig entwickelt; man müßte denn ihre Eigenschaft, vom Europäer ganz horrende Preise für Lebensmittel zu verlangen, dahin rechnen. Das Halten von Kleinvieh und Geflügel, das beim Togoneger überall in großer Menge vorhanden ist, hat sich, abgesehen von Hühnern und Hunden, unter ihnen noch wenig eingebürgert, so daß es den Weißen Kribis die größten Schwierigkeiten macht, frisches Ziegen- oder Hammelfleisch zu bekommen, ganz abgesehen natürlich von dem völlig fehlenden Rindfleische. Marktverkehr kennt er ebenfalls noch nicht. Aber ich glaube, es müßte sich durch Nachhilfe der Regierung ein solcher einbürgern lassen. Wenn die Häuptlinge der Nachbarschaft angehalten würden, wöchentlich ein- bis zweimal die in ihrem Dorfe erzielten Produkte sowie Nahrungsmittel wie Geflügel, Eier, Früchte usw. für einen festgesetzten Preis nach Kribi bringen zu lassen, und wenn die Leute sehen, daß ihnen ihre Artikel abgekauft werden, so würde sich bei einiger Geduld wohl ein Marktverkehr herausbilden.

Im allgemeinen ist der hiesige Neger noch sehr bedürfnislos. Leider spielt aber auch bei ihm die Schnapsflasche die größte Rolle unter den Kulturgeschenken des Europäers, und auch der Kamerunküstenneger ist unter ihrem Einfluß schon längst dahin gekommen, vom gelegentlichen Festtrunke, dem er früher huldigte, zum gewohnheitsmäßigen Saufen überzugehen.

Hinsichtlich des volksgesundheitlichen Zustandes scheint der Südkameruner Schwarze mit weit mehr endemischen Krankheiten behaftet zu sein als der Togoneger; jedoch bin ich bisher noch zu keinem völlig klaren Überblick darüber gekommen. Die nächsten Wochen werden mir diese Möglichkeit noch bieten, denn die morgendlichen Sprechstunden werden in täglich zunehmender Frequenz besucht.

 

20. August

Seit einigen Tagen ist mir Gelegenheit gegeben, auch in die Geheimnisse des Verwaltungsbetriebes von Kamerun wenigstens einen oberflächlichen Einblick zu gewinnen. Bezirksamtmann St. ist auf ungefähr zwei Wochen in seinen Bezirk gezogen, und ich vertrete ihn inzwischen hier in Kribi. Am 15. ritten wir zusammen auf dem dicht an der See sich hinziehenden Waldpfade nach Großbatanga, das zwei Stunden südlich von unserem Orte gelegen ist. Unterwegs passiert man den landschaftlichen Glanzpunkt der ganzen Umgegend, den »Wasserfall«. Der Lobefluß bricht hier in stattlicher Breite kurz vor seiner Einmündung ins Meer aus dem Waldesinnern tosend hervor und stürzt, nur wenige hundert Meter noch vom offenen Meere entfernt, seine Wassermengen über eine seinen Lauf sperrende Felspartie zu Tal. Der große Reiz dieses Wasserfalles liegt darin, daß sein Anblick durch den dichten Waldbestand dem Auge so lange verhüllt bleibt, bis man überrascht unmittelbar vor dem ganzen Bilde steht: linker Hand der imposante Wasserfall, rechts die See, im Vorder- und Hintergrunde nichts als dem Blicke undurchdringliche Urwaldmassen. Ein dauernd hier stationiertes Kanu brachte uns über den Fluß; die abgesattelten Pferde mußten, von einem Schwarzen am Zügel geführt, neben dem Fahrzeug herschwimmen.

Auf dem weiteren kurzen Wege nach Batanga bekamen wir in einer kleinen Negerniederlassung zufällig zwei Angehörige jener sonderbaren Zwergrasse der Kuelle zu Gesicht, die in spärlichen Resten im ganzen Kameruner Waldgebiet leben sollen und wohl oft von den Reisenden flüchtig geschildert, aber meines Wissens noch nie gründlich erforscht werden konnten. Leider flüchteten Männlein und Weiblein auf unser Anrufen in den Wald, so daß ich nichts als einen Eindruck ihrer äußeren Gestalt zu gewinnen vermochte. Gerade wegen ihrer großen Scheu vor dem Weißen ist es schwer, mit ihnen in Verbindung zu treten. Mühevolle Versuche der amerikanischen Mission, gerade diesen Leuten näherzukommen, sind ergebnislos geblieben. Die einzigen mir bekannten photographischen Aufnahmen von Kuelle sind einem in Lonji tätigen Kaufmann P. geglückt, der auch die bisher gegebenen Schilderungen durch eine Reihe eigener Beobachtungen ergänzen konnte. Was bisher von gelegentlichen Beobachtern über sie bekannt geworden ist, rechtfertigt aber den Wunsch, daß ihre anthropologischen Merkmale genau fixiert werden, ehe dieser letzte Rest einer wahrscheinlich uralten Waldbevölkerung, der uns vielleicht manchen wertvollen Aufschluß nicht nur über die Rassenentwicklung der afrikanischen Negerstämme, sondern des Menschengeschlechtes überhaupt geben kann, ganz von der Bildfläche verschwindet oder von den Nachbarstämmen aufgesogen wird.

Es sind kleine, schmächtige, gelbbraune Gestalten mit ausnehmend glatter und fleischiger Nase, niedriger Stirn, aber wenig gewulsteten Lippen und starker Oberkörperbehaarung. Feste Wohnsitze kennen sie nicht. Sie ziehen in kleinen Gruppen durch den Wald, nur notdürftig schützende Blätterhütten bauend und immer teils mit dem Speer, teils mit dem Steinschloßgewehr bewaffnet dem Wild nachstellend, soweit sie nicht von den Mabea als Sklaven gehalten werden. Ein großer Teil des Kameruner Elfenbeins soll ihre Jagdbeute sein. Das Fleisch des erlegten Wildes dient ihnen als Nahrung und als Tauschartikel, für das sie sich von den Mabea Munition oder vegetabilische Nahrungsmittel eintauschen. Ihre Sprache wird von keinem der benachbarten Stämme verstanden.

Großbatanga ist der Sitz zweier Faktoreien und zweier Missionsniederlassungen, einer katholischen und einer amerikanischen Presbyterianermission. Letztere steht eben jetzt, obwohl sie die ältere im Lande ist, im Begriffe, das Feld zu räumen und sich auf ihre weiter landeinwärts gelegenen Stationen zu beschränken, so daß. hier die Konkurrenz zweier christlicher Konfessionen an ein und demselben Platze vermieden wird. Nur ein alter betagter Herr, ein Dr. J., der seit vielen Jahren eng mit der hiesigen Bevölkerung verwachsen ist, kann sich nicht von seiner zweiten Heimat trennen und wird in ihr verbleiben. Im Dienste der Presbyterianer entfalten im Südbezirke außer den Missionaren vier medizinisch vorgebildete Kräfte eine rege ärztliche Tätigkeit unter den Eingeborenen. Auch die Europäer Kribis, das bisher noch nicht dauernd mit einem deutschen Arzte besetzt war, nahmen oft die Hilfe eines Missionsarztes aus Batanga in Anspruch.

Die katholische Mission der Pallotiner, deren Konvent wir einen Besuch abstatteten, hat den Bau einer stattlichen Kirche begonnen, deren fertige Balkenkonstruktion bereits Form und Größe des zu vollendenden Werkes erkennen läßt. Von einer die ganze Gegend überragenden Anhöhe aus wird sie selbst für die vorüberfahrenden Dampfer zu einem weit auf die See hinaus sichtbaren Wahrzeichen der Küste werden. Wie überall in der Welt, so hat auch in Togo und Kamerun die katholische Geistlichkeit mit großem Geschick für ihre Niederlassungen – im Gegensatz zu den oft mangelhaft gewählten Plätzen der Regierung und der Kaufmannschaft – diejenigen Punkte herauszufinden gewußt, die landschaftlich, hygienisch und für die Zwecke ihrer Arbeit gleichermaßen als die besten der ganzen jeweiligen Umgebung gelten müssen. St. übernachtete in der gastlichen Mission, um am nächsten Morgen von hier aus nordwärts seinen Streifzug durch den Busch anzutreten. Ich ritt im Mondschein zurück.

Seitdem bin ich Reichsverweser von Kribi. Ein abschließendes Urteil über den Gang der Regierungsmaschine will ich nach so kurzer Beobachtungszeit nicht fällen, aber die mit ihr verbundene bürokratische Papiermühle scheint in lebhaftester Tätigkeit zu stehen. Außer dem europäischen Sekretäre sind ein ganzer Stab schwarzer Kanzlisten, Schreiber, Dolmetscher und Zustellungsjungen damit beschäftigt, alle die Konten, Bücher, Journale, Abrechnungen, Eingänge usw. zu bewältigen, die das Wohl des Bezirkes erheischt. Die Zahl der jährlichen Journalnummern beträgt mehrere Tausend.

Eine für Kamerun charakteristische Institution lernte ich hier mit großem Interesse näher kennen, die der sogenannten Runderlasse. Alle wichtigeren Verfügungen des Gouvernements von allgemeiner Bedeutung werden säuberlich fortlaufend numeriert jedem Beamten als Runderlasse zugesandt.


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