Heinrich Laube
Louison
Heinrich Laube

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Achtes Kapitel.

Gedankenvoll, schwermütig ging er von dannen. Gedankenvoll, weil er die Frage nicht mehr abweisen konnte, ob dies zaubervolle Geschöpf nicht doch ganz ohne Herz und deshalb aufzugeben wäre.

Als ob das so ginge! Als ob der Eigensinn der Neigung auf irgend eine Abmahnung hörte!

Und dabei beging er noch den Fehler, sich an der Straßenecke umzuwenden. Da geschah, was er vermeiden sollte: er sah sie, die an ihrer Hausschwelle stehen geblieben war und ihm nachblickte. Schleunigst wollte er zurückkehren, aber sie winkte Nein! und verschwand im Hause.

Nicht hundert Schritte war er weitergekommen, da stand O'Brien vor ihm in all' seiner Frechheit und stellte ihn unverschämt zur Rede: wie er es hätte wagen können, Louison zu entführen.

Dem sonst ruhigen Vilsac schwoll nun auch die Zornesader, und er entgegnete scharf: »Was berechtigt Sie denn zu solcher Frage?«

»Mein Verhältnis zu Fräulein Louison!«

»Ihr Verhältnis? Was für ein Verhältnis?«

»Wozu lange Reden! Sie wissen oder wissen nicht, und dann erfahren Sie's jetzt. Dies Mädchen muß mir gehören, mir. Das ist mein Sport; und wer mir da in den Weg kommt, den werf' ich um. Zunächst also Sie.«

»So ohne weiteres?«

69»Ohne weiteres! Ziehen Sie sich auf der Stelle zurück von Louison, oder betrachten Sie sich als geohrfeigt von mir.«

»Mein Herr aus Irland! Man kann den Duellunsinn nicht unverschämter mißbrauchen, als Sie es tun, und ich bin leider als Mitglied der sogenannten vornehmen Gesellschaft außerstande, Ihnen ohne Antwort den Rücken zu kehren. Ich muß also Ihre Sekundanten erwarten.«

O'Brien lachte hell auf, und eine Stunde später waren seine Sekundanten, französisch »Zeugen« genannt, beim Grafen Vilsac. Es wurde ein Pistolenduell festgesetzt, welches noch selbigen Abend jenseits der spanischen Grenze ausgeführt werden sollte.

Man ritt und fuhr mittags dorthin.

O'Brien hatte ein Billett an Louison zurückgelassen, welches ihr gegen Abend eingehändigt wurde.

Sie saß auf dem Balkon neben Rambert, als Jean es ihr überreichte. Rambert war verstimmt über ihre spanische Partie, und sie selbst war still. Sie dachte an Vilsac, und warum sie ihn nicht heiraten wollte. Denn daß sie dies nicht wollte, stand vor allem Nachdenken fest. In solcher Lage las sie das Billett. Es lautete:

»Mademoiselle! Ich reite soeben nach Spanien, um den Grafen Vilsac totzuschießen, weil er es gewagt hat, als ernsthafter Bewerber um Ihr Herz und Ihre Hand aufzutreten. So wird es jedem ergehen, der zwischen mich und Sie, schöne Louison, tritt. Ich verlange Ihre Liebe und Ihren Besitz. Je zeitiger Sie mir beides gewähren, desto barmherziger erweisen Sie sich für die Menschheit. Je länger Sie zaudern, desto mehr Menschenleben wird es kosten.

Ihr O'Brien.«

Louison zuckte die Achseln, als sie gelesen, und reichte Rambert das Billett. Schmeichelhaft für sie war es immerhin, und Schmeichelei verfehlt ja nie ihre Wirkung. Was übrigens abscheulich darin war, das klang ja unglaublich.

70Rambert warf das Blatt verächtlich zu Boden und sagte: »Dieser frevelhafte Patron meint zu wissen, alles sei ihm erlaubt, und jedes Weib sei durch Einschüchterung und gebieterische Willenskraft zu gewinnen. Am Ende hat er recht in betreff der Weiber!«

»Warum nicht gar!«

Während der Rede Ramberts war Juron auf den Balkon getreten und wiederholte jetzt spöttisch Louisons »Warum nicht gar!« hinzusetzend: »Kennt das weise Fräulein die Geschichte von der Klapperschlange?«

»Ach, was hab' ich mit Klapperschlangen zu tun!« sprach sie ärgerlich.

»Wer weiß!« antwortete Juron. »O'Brien hat etwas von einer Klapperschlange, und er nähert sich Ihnen doch recht sichtlich. Das gefräßige Tier, die Klapperschlange, besitzt eine elektrische Anziehungskraft. Das arme Kaninchen, welches in seine gefährliche Nähe kommt und so gern entfliehen möchte, empfindet einen entsetzlichen, unerklärlichen Drang, der drohenden Klapperschlange näher und näher zu rücken und endlich von selbst in den aufgesperrten Rachen derselben hineinzuschlüpfen.«

»Tolles Zeug!« sagte Louison und ging auf ihr Zimmer.

Sie wurde aber die ganze Nacht das abscheuliche Bild nicht los: den aufgesperrten Rachen der Schlange mit dem Kopfe O'Briens. Und was bei ihr eine außerordentliche Seltenheit war, sie schlief diese Nacht nur Viertelstunden lang und schlief unruhig und unerquicklich. Am anderen Morgen kam sie ganz verstört zum Frühstück. Rambert war auch sehr ernsthaft, und man sprach sehr wenig. Da, unerwarteterweise so früh, kam Juron und war in großer Aufregung. Schon von weitem rief er: »Also richtig, es ist geschehen! Es ist geschehen!«

»Was denn?«

»Das Duell hat stattgefunden. Beide haben gleichzeitig geschossen; O'Brien ist der Arm zerschmettert, Vilsac ist tot.«

71»O!« schrien Rambert und Louison und fuhren von ihren Sitzen in die Höhe.

»Binnen ein paar Minuten tot« – fuhr Juron fort. »Die Kugel ist durch beide Lungenflügel gedrungen. Er hat kein Wort mehr sprechen können, das Blut ist wie ein Strom aus dem Munde geflossen.«

Völliges Stillschweigen folgte; Louison war totenbleich geworden.

»Diesen Henkersknecht O'Brien sollte man unter die Guillotine bringen!« rief endlich Rambert.

»Es wird ihm gar nichts geschehen!« sagte Juron. »Die Sache ist im Auslande vor sich gegangen, und die Behörde in Bayonne braucht nichts davon zu wissen. Niemand wird ihr auch davon sagen. Vilsac ist aus der Welt, und O'Brien behält vielleicht einen lahmen Arm, voilà tout

So geschah's auch. Der Vorfall verblieb in dem Kreise der jungen Sportsmen, und von der übrigen Welt in Biarritz fiel es niemand auf, daß ein junger Mann weniger am Strande und im Kaffeehause zu sehen war.

Rambert aber gab seiner Entrüstung heftige Worte und erklärte, nicht länger in Biarritz bleiben zu wollen. »Der freche Bursche,« rief er, »könnte uns mit dem Arm in der Binde besuchen wollen, und ich müßte ihm die Tür weisen. Wozu das abwarten!«

Binnen vierundzwanzig Stunden wurde die Reise bewerkstelligt. Sie ging zurück auf sein Landgut.

Louison verhielt sich still und nachdenklich – zum erstenmal in ihrem Leben.

Rambert fand dies richtig und natürlich, und ihr stilleres Wesen machte ihm von neuem einen günstigen Eindruck. Er sprach den Namen O'Brien nicht mehr aus und suchte Louison wieder an die Studien zu bringen. Sie ging willig darauf ein, und es folgte eine Zeit ruhiger Existenz.

Juron war nicht mitgekommen, niemand störte die Ruhe, 72und Louison schien nach einiger Zeit beruhigt und unbefangen zu werden.

Da kam ein Brief von Malevy mit den letzten Änderungen des Stückes und ihrer Rolle, sowie mit ausführlicher Anweisung für das Studium der letzteren. Das belebte sie vollständig. Der Brief besagte auch, sie möchte so bald wie möglich nach Paris kommen, damit er die letzten Hilfsmittel der Einstudierung in Anwendung bringen könnte. Das habe Eile, denn die Saison sollte mit diesem Stücke und ihrem ersten Auftreten eröffnet werden.

Sie teilte dies Rambert mit und erklärte, daß sie abreisen möchte.

Rambert wollte das Stück lesen; sie aber, die sonst so wahrhaftige, leugnete rundweg. Alles, was ihre Theaterkunst betraf, ging ihr über jedes Gesetz. Sie verleugnete, daß sie das Stück besitze, Malevys Zusendung enthielte nur abgerissene Szenen, aus denen man nicht klug werden könnte. Sie müßte eben mit Malevy zusammenkommen, um die Rolle lernen zu können. Er möge sich doch ja in seiner ländlichen Behaglichkeit nicht stören lassen. Kurz, sie reiste mit ihrer Mutter nach Paris, und er gab ihr die schriftliche Order mit an die in Paris verbliebene Haushälterin, für die Bedürfnisse der beiden Damen aufmerksam zu sorgen. So schieden sie in bescheidener Freundschaft und bestem gegenseitigen Wohlwollen voneinander. Wie werden sie sich wiedersehen!

Unterwegs machte Mama Miot ihrer Tochter Vorwürfe, daß sie nicht doch eine reiche Heirat dem unsicheren Theaterleben vorzöge. Der Graf Vilsac hätte ihr sehr gefallen; er solle auch sehr reich sein und hege ja, wie man gesehen, ernsthafte Aussichten.

»Die ernsthaftesten, aber er ist tot.«

»Was?!«

»Der O'Brien hat ihn erschossen.«

73»Der rothaarige Lump! Aber, Kind, was ist dir? Was starrst du mich so an? Bist du unwohl?«

Louison schwieg eine lange Zeit zum Schrecken ihrer Mutter. Endlich erzählte sie ihr in langsam gesprochenen Worten den Brief O'Briens und die Geschichte von der Klapperschlange Jurons.

»Du bist verrückt!« schrie die Mutter. »Der rote Mensch steckt voller Schulden und hat nichts von Hause zu erwarten, wie mir Jean auseinander gesetzt. Alles gehört seinem älteren Bruder. Außerdem ist's ja ein gräulicher Patron – daran denkst du doch nicht, Unglückskind?«

»Nein, aber ich fürchte mich.«

»Dummes Zeug! Ich lasse ihn nie wieder in dein Zimmer.«


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