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Fünfunddreißigstes Kapitel

Wenn ich Konradin von meinen Plänen sprach, wehrte er ärgerlich ab.

»Erasmus, Ihr wißt, wie ich Euch liebe; daß ich mit Euch fühle ob Eures ungeheuerlichen Schicksals und daß ich Eure Geisteskraft und Eures Wissens Macht bewundre. Doch wenn Ihr so sprecht, dann muß ich an der Klarheit Eueres Verstandes zweifeln. Ihr habt mir doch erzählt, was die Geschichte überliefert, was sich begeben wird seit unseren Tagen bis zu der Zeit, aus der Ihr stammt. Nun sagt doch selbst: Wie wollt Ihr ändern, was unabänderlich geschehen muß; wie wollt Ihr Gottes Fügungen verrücken? Ist das nicht irrsinniger Trotz, nicht Lästerung der Hoheit des allweisen Gottes?«

Doch ich war wie betört von meinem düstern Rausch, so daß auch jene Worte klarer Vernunft mich nicht erwecken konnten, ja, ich suchte diesen Wahnsinn mit Gründen der Vernunft zu stützen.

»Nun, und wie reimt sich, was mir widerfuhr, mit jener gottgewollten Logik aller Dinge? Nein, wenn schon Ungeheueres mit mir geschah, dann soll auch Ungeheueres durch mich geschehn. Gewiß, in den Geschichtsbüchern steht geschrieben, daß alles so gekommen ist, wie ich’s Euch erzählte. Aber muß es darum auch so kommen? Wißt Ihr nicht, wie sich die Philosophen aller Schulen mühen, zu beweisen, daß das, was ist, auch wirklich ist? Herbert Spencer sagt: Nichts läßt sich weniger beweisen als die Wirklichkeit dessen, was gewesen ist.

Immer muß ich da an ein Erlebnis meiner Kindheit denken: Eines Tages kam hierher nach Ansbach ein Fremder . . .«

Ich mußte innehalten, denn plötzlich fuhr es mir verstörend durch den Sinn: Täusch’ ich mich, oder glich nicht jener Fremde ganz genau dem Juden? Und als ich ihn neugierig-kindisch um seinen Namen fragte, raunte er mit geheimnisvollem Spott, er heiße Wanderer.

»Ja . . ., dieser Fremde kündigte eine Vorstellung für Kinder an. Als wir uns an dem schulfreien Nachmittag ins Klassenzimmer drängten, da wurde unsre festlich erwartungsfrohe Stimmung fast enttäuscht.

Denn auf dem Tisch des Lehrers stand nichts weiter als eine dreiwandige Bühne wie man sie für Marionetten braucht. Sie stellte einen Saal dar im Stil des achtzehnten Jahrhunderts, aber so nüchtern, so armselig, daß selbst unsre jugendliche Phantasie daraus nichts Rechtes zu erbauen wußte.

Doch als der Fremde in das Zimmer trat, änderte sich das Bild mit einem Schlage. Es war, als sei der Raum erfüllt von unsichtbarem Leben, von tausend Wesen, die nach Erlösung aus dem Wesenlosen in das Reich des Lichtes riefen.

Mit seinen nachtschwarzen Augen sah uns der fremde Mann durchbohrend an, und indes er eine Spieluhr aufzog, erbat er unsere Aufmerksamkeit.

Und wie die sanfte, liebliche Musik ertönte, da bedeckten sich die Wände der kleinen Bühne mit strahlenden Spiegeln, mit Bildern und mit dunkel leuchtenden Gobelins, und es verbargen sich die Fenster hinter purpurnen Damastvorhängen. Wie ein Bild, das unter einem aufrollenden Vorhang sichtbar wird, so überhauchte sich die Decke mit einem lächelnden Olymp von Göttern, Nymphen und von Amoretten. Kristallne Lüster ragten nieder, und ihre hundert winzig kleinen Kerzen ließen all diese lichte Pracht in einem holdselig entrückten Glanz erstrahlen.

Von draußen, wo gestutzte Taxusgänge dunkelten und unter Springbrunnen verschnörkelte Bosketts undeutlich schimmerten, hielt nun eine bunte Menge elfenhaft lieblicher Gestalten ihren Einzug. Die Herren in gepuderten Perücken, Jabots und Seidenstrümpfen, die Damen in tief ausgeschnittenen Krinolinen, mit Schönheitspflästerchen und bandgeschmückten Schäferstäben. Und alle waren sie keine zwei Fäuste hoch.

Nun drehten sich die Paare in anmutig feierlichem Menuett. Die Atlasschühchen klapperten im Takte, die schönen Damen rafften ihre Röcke knicksend, die Kavaliere machten ihre Komplimente, und Reden schwirrten, Fächer spielten, Blicke flammten – höflich, schelmisch, lächelnd, graziös.

Wie war das köstlich, wie so wunderlieblich anzusehen, so daß ich vor Entzücken in die Hände klatschte. Welch reines Kindesglück! Traumselig wunschlos floß die Zeit dahin, wie unter Rosenhecken, wie im Kusse.

Aber ach, nur zu bald war der holde Zauber wiederum entschwunden. Immer schwächer wurde die Musik, wie Nebelschatten senkte es sich auf die Bühne; die Bilder, die Gobelins, die Vorhänge verblaßten, nur durch die kahlen Scheiben leuchtete ein ferner, düsterroter Feuerschein, und dumpfes Brausen wurde hörbar wie von einer drohend anrückenden Menge. Die Spieldose verklang mit wehem Zittern, und all die bunte Pracht, das heitre Elfenvolk verschwand, zerfloß in nichts. Wie Geisterhauch, wie eine Fata morgana, geheimnisvoll und lieblich.

Nachträglich war mir aufgefallen, daß der fremde Hexenmeister gar nicht wie sonst die Puppenspieler hinter seiner Bühne stand, sondern auf und nieder promenierte und jeden einzelnen von uns mit seinen dunkeln Blicken bannte.

Mir blieb das Schauspiel unvergeßlich, und noch viel später, nach Jahrzehnten, mußte ich die unfaßbare Kunst des fremden Magiers bewundern: wie er mit jenem Rokokoidyll, lächelnd, zärtlich, tändelnd, ein Bild des großen Weltgeschehens in lieblicher Verkleinerung zu stellen wußte.

Warum ich das erzähle? Als ich damals, noch ein Kind, von dem Erlebnisse berichtete, da sagte mein Vater – wohl nur, um mich zu spotten –, das sei ja gar nicht wahr, das hätte ich niemals gesehen, und wenn ich es gesehen hätte, so sei es nur ein Sinnentrug gewesen. Als ich ernsthaft, ja heftig widersprach, da meinte der beharrliche Verneiner, ich möge es ihm doch beweisen, aber nicht etwa durch die andern Kinder, denn auch die könnten so wie ich das Opfer einer Täuschung sein.

Und ich plagte mich vergebens, und es vergällte mir die nächsten Wochen, daß ich nicht beweisen konnte, was ich doch mit eignen Augen wahrgenommen hatte. Aus jenem ersten Schmerze des Erkennens erwachte die Begierde nach weiterer Erkenntnis, so daß ich mit elf Jahren Schoppenhauer las. –

Also nur darum, weil irgendwo geschrieben steht, daß dieser Krieg bis sechzehnhundertachtundvierzig dauern werde, darum muß ich müßig bleiben, muß meine Kenntnisse verbergen, mein beßres Wissen feig verleugnen? ›Es steht geschrieben.‹ Wie viele tausend Unglückliche müssen qualvoll sterben, weil ›es geschrieben steht‹, weil sie nicht all das Erlogne glauben wollen, was geschrieben steht.«

»Nicht, weil’s geschrieben steht. Weil es so sein wird. So sein muß. So und nicht anders. Um Himmels willen, kommt doch zur Besinnung. Bescheidet Euch, laßt ab von einem Unterfangen, das mißlingen, das Euch nur Unheil bringen muß.«

»Ja, was will ich denn? Will ich denn Böses? Warum soll mich denn Unheil treffen? Will ich denn Unheil bringen? Frieden will ich bringen und Glück. Dem grauenvollen Krieg will ich mit meinen überlegnen Waffen ein schnelles Ende machen. Mein armes Deutschland, das heute eine Wüste ist, ein Tummelfeld halbwilder Horden, will ich in einen Blumengarten wandeln. Fortschritt will ich bringen; Licht und Wissenschaft und Freiheit.«

Und mit erobernd schwärmerischen Blicken umfaßte ich die Landschaft tief zu meinen Füßen.

»Seht, Konradin« – so fuhr ich fort –, »ich will ja Euern frommen Glauben nicht erschüttern. Aber ist’s nicht der klarste Widerspruch gegen alle überkommne Wahrheit, daß ich, der Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts, jetzt hier auf diese Landschaft blicke?«

»Und warum seid ihr hier? Wißt Ihr’s? Durch Gottes Ratschluß.«

»Und warum ist’s nicht überliefert?«

Halb triumphierend, halb angstvoll war meine Frage.

»Doch darüber will ich jetzt nicht rechten. Von der Wahrheit dessen, was die Bücher überliefern, will ich sprechen. Seht hier meine Taschenbatterie und hier die Glühlampe, die uns jeden Abend leuchtet. Seht, diese beiden Dinger werfen das ganze Bild des Weltgebäudes übern Haufen. Daß Ihr jetzt, im Jahre sechzehnhundertzweiunddreißig, die beiden Dinger vor Euch seht, das bohrt ein Loch in alles irdische Erkennen, in alle Überlieferung, in alle bisherige Wahrheit. Denn in allen Büchern steht geschrieben, daß die erste Batterie und die erste Glühlampe im neunzehnten Jahrhundert verfertigt wurde. Hier habt Ihr’s schwarz auf weiß, lest es doch selber nach.«

Ich reichte ihm meinen Ingenieurkalender hin, und er bestaunte ängstlich-neugierig den engen Druck, das feine durchsichtige Papier.

»Ja, was ist Wahrheit? Bis jetzt gilt es als Wahrheit, daß die Sonne um die Erde kreist. Und zu meiner Zeit weiß jedes Kind, daß sich die Erde um die Sonne dreht in dreihundertfünfundsechzig Tagen. Und bis vor hundertvierzig Jahren hieß es, die Erde sei eine Scheibe, rings vom Ozean umgeben, und wer den Wasserring durchquere und an den Scheibenrand gelange, der müsse in den Abgrund der Unendlichkeit versinken. Bis Kolumbus kam.

So galt es auch als Wahrheit, daß die Zeit unüberwindlich, unentrinnbar ist, ein Abgrund ins Unendliche. Bis ich kam und diesen Abgrund übersprang. Und wenn die Zeit zu überwinden ist, dann auch die Wirklichkeit. Denn wenn sich der entschwundene Augenblick erhaschen, vielfach durchleben läßt, dann heißt es nicht mehr: Was geschehen ist, das ist geschehen – dann läßt sich auch die Wirklichkeit vielfach gestalten.«

Und spöttisch triumphierend leuchtete ich ihm mit der Taschenbatterie in die entsetzten Augen.

»Ja, seht sie Euch nur an die beiden Dinger, mit denen ich die Bresche in das Weltgebäude schlug. Sie sind nicht groß, aber das tut nichts. Das ist wie bei einem Luftballon. Wenn der auch noch so groß ist, und ein Loch reißt in die Hülle, ein winzig kleines Lücklein, dann wird er leer und fällt in sich zusammen.

Die Weltordnung stürzt zusammen. Was aus ihren Trümmern wird, weiß ich’s? Ach, auch ich bin solch ein Seefahrer, der den Wasserwall am Abgrund erstürmt. Kenne ich das Ufer, wo ich landen werde?

Aber eines weiß ich: Hier in meinem Haupt, in meinen Händen trag’ ich die Entscheidung des Jahrhunderts. Denn wem ich beistehe, der wird siegen.

Und ich soll müßig bleiben? Weil mich Unheil treffen könnte? Nein, wenn ich, ausgerüstet mit den Waffen des zwanzigsten Jahrhunderts, in dieser Zeit hier lebe, so heißt dies, daß ich dem Fortschritt und der besseren Erkenntnis Bahn brechen muß, daß ich eine Sendung zu erfüllen habe. Und daran soll mich keine Furcht und keine Drohung hindern. Das wäre mir ein schöner Welteroberer, der daheimbleibt, weil er Angst hat! Nein, gerade dann, wenn ich so dächte, wie Ihr’s wünscht, wenn ich so feig und kraftlos wäre, wie Ihr es für gottgefällig haltet, dann würde ich verdienen zu zerschellen, dann geschähe mir schon recht, wenn ich vergehen würde spurlos, namenlos und heimatlos, ein Popanz, ein armseliges Gespenst!«

Düster hallten jene Worte wieder und weckten düsteres Erinnern. »Namenlos und heimatlos.« Waren das nicht dieselben Worte, mit denen mir der Jude fluchte? Eisiges Grauen packte mich.

Und wie um es zu betäuben, rief ich mit grimmem Spotte: »Im übrigen wird sich’s ja zeigen, ob mein Unterfangen sinnlos ist, von Anbeginn verurteilt zum Mißlingen. Denn wenn alles unabwendbar so kommen muß, wie es die Geschichte überliefert, dann muß ich scheitern. Nun, ich will die Probe aufs Exempel machen!«

So haderte ich weiter mit dem Künftigen, dem Unsichtbaren. Wie kindisch, wie verblendet! Wie ein Knabe, der oben im Gebirge an der Quelle eines Stromes steht, den feinen Strahl des Quells in seinen hohlen Händen spielend auffängt und nun wähnt, im Tale drunten und in der Ferne, weit in fremden Ländern, müsse jetzt der Lauf des Stromes stocken und das Flußbett sei versiegt.


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