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XVI.
Nach Palma.

. Doch es wird endlich Zeit, nach Palma abzureisen. Eine Viertelstunde nach der andern wanderten wir am Strand entlang, wo sich ungeheure Wogen, weißschäumend, donnernd, hochaufspritzend, an den schwarzen Lava-Felsen brachen. Der Schaum flog weit ins Land hinein. Endlich war die Barke, welche zum Schiffe ging, fertig und bemannt und alles darin: ein hastiger Abschied vom Freunde, und ich sprang hinein. Acht Mann griffen zu den Rudern, einer legte sich mit dem ganzen Leibe aufs Steuer, und scharf schnitten wir durch die Wellenkämme, um gleich wieder in tiefe Wogenthäler zu stürzen. Die Güsse kamen von links und rechts, alles war pudelnaß, beständig wurde ausgeschöpft. Endlich nach einer nassen langen halben Stunde legten wir am Schiff an, und Jeder mußte sehen, wie er nach oben kam. Eine Treppe zum Hinaufsteigen gab es nicht, und der kleine Zweimaster schüttelte sich und schaukelte wie ein ungeduldiger Renner. Am Bord empfing mich wieder spanische Unordnung, die nicht einmal malerisch ist, dazu ein Gemisch von so vielen abscheulichen Gerüchen, daß schwer zu begreifen, wie sie nur alle auf der Nußschale ihr Unterkommen fanden.

Da war ich nun wieder unter lauter Unbekannten, es mochte ein Dutzend Reisender sein, und schiffte wieder zu Unbekannten. Von Herzen dankbar, schaute ich nach der schönen Insel zurück, die mir so viel Liebes und Wundervolles geboten hatte. Teneriffa stellte sich jetzt eigenthümlich dar. Unten und oben war die Insel sonnenhell, in der Mitte aber umzog sie ringsumher ein dichter Wolkengürtel von wenigstens dreitausend Fuß Mächtigkeit.

Auf dem Verdeck meine sechs oder sieben Schritt, mehr ließ die Enge nicht zu, hin und her wandelnd hielt ich mich aufrecht bis zum Abend. Es war aber keine leichte Sache, denn das Schiffchen lag bald auf der einen, bald auf der andern Seite, und das Verdeck stand öfter gerade auf in die Höhe. Nun folgte eine Nacht, wie ich keine schändlichere erlebt habe. Das ganze Schiff roch wie von fauligem Meerwasser, und die Mitreisenden lagen von der Seekrankheit erwürgt über einander wie ein Haufen Kälber. Spanische Damen sollen, wenn dieses Uebel sie anfällt, immerdar gleich geliefert sein: das thut, sie fetten sich gar zu sehr. Bis nach Mitternacht hielt ich mich tapfer, sah nach den Sternen und schlief sogar eine gute Weile auf dem Verdeck. Da verführte mich irgend ein unsichtbarer Kobold, den Kopf in die elende kleine Kajüte zu stecken. Da war's vorbei: diese Gerüche wurde ich nicht wieder los, und ich lag selber da wie ein Erschlagener bis an den hellen Morgen. Die Seekrankheit bearbeitete mich wie ein Bündel nasser Wäsche, das ausgeklopft wird, und ich glaube, wenn Einer mich mit meinen Decken hätte nehmen wollen und kopfüber ins Meer ausschütteln, ich hätte ihm die Arme nicht festhalten können. Mit Gewalt suchte ich mich zu ermannen und mir vorzustellen daß doch noch Andere ein Recht auf mich hätten. Aber selbst der Gedanke an die Meinigen schien mir wie in einer tiefen dunkeln Erdspalte zu stecken, an die ich nicht heran konnte.

Endlich am nächsten Vormittag wurde mir wieder heller zu Sinne, und ich sah Palma vor uns im Sonnenglanze, wie es mit seinen Bergen und Schluchten schlank aus der See aufstieg. Die canarischen Inseln stehen über den Fluthen so jugendlich, so thaufrisch, als umschwebte sie noch etwas vom wilden Naturzauber, ehe er durch menschliche Ansiedlungen unterbrochen und gedämpft wurde.

Palma liegt am weitesten im Ozean hinaus, und wird von Vielen für die schönste unter diesen Inseln gehalten, weil es so schmuck sich darstellt, und – nächst Gomera – vom grünen Waldhaar noch am wenigsten entblößt ist. Die Gegensätze von zackigen Bergen, Felskolossen und Seefläche sind nicht so scharf, wie auf Teneriffa. Das kahle Gestade am Meer ist durch blaugrüne Euphorbien und andere Fettpflanzen gemildert. Ueber geringem Feld- und Gartenbau steigen die waldgrünen Abhänge hinauf zur steilen Bergmauer, die in einer Höhe von fünftausend Fuß in langer Linie daher zieht. Einzelne Hochgipfel ragen darüber. Von oben bis unten sind Fels- und Waldhänge tief ausgefurcht, in so regelmäßigen Streifen, als wäre es mit einer ungeheuren Egge geschehen. Zur Seite erheben sich ein paar Kegelberge.

Das Klima von Palma wird als vorzüglich gerühmt. Waldeshauch und Windesfrische bestreichen die Insel von früh bis spät. Köstlich gerathen hier die Früchte der Tropenländer, und die Seide von Palma soll jede andere übertreffen. Auch die Menschen gedeihen, Krankheit ist selten, und ein Alter von neunzig Jahren nichts Ungewöhnliches.

Den größten Ruf aber genießt die Caldera de Taburiente. Schon auf der Ueberfahrt von Cadiz hörte ich einen jungen Palmeser, der in Madrid studirt hatte, mit Begeisterung davon reden. Große Berge, sagte er, gebe es überall: sie aber besäßen auf Palma gleichsam einen umgekehrten Pik, als hätte dieser mit seiner Spitze sich in die Erde gebohrt und die große Höhlung zurückgelassen. Ein Anderer erzählte: diese Caldera erwecke Grauen wenn man hineinblicke; er sei bloß oben auf den Riffen etwas umhergeklettert und habe sich nicht hinunter getraut.

Es war gegen 11 Uhr Vormittags, als wir landeten. Für die kurze Strecke von 14 spanischen Meilen hatten wir 18 Stunden verbraucht. Die Hauptstadt, Santa Cruz de la Palma, liegt auf der einzigen Stelle, wo das Gebirge nicht steil abstürzt in die Meeresfluth, sondern weit ausgeschweift emporsteigt, in ähnlicher, nur noch engerer Umgebung, als Santa Cruz de Teneriffa. Sechs Schiffe belebten die Rhede, unter ihnen ein Dreimaster, der im frischen Anstrich sich in der See spiegelte, man hatte ihn vor ein paar Tagen erst vom Stapel gelassen. Dieser Schiffsbau deutete doch auf einige Industrie der Bewohner. Mit den Hafenbauten aber sah es nicht zum Besten aus. Vieles war zerfallen, anderes schien niemals fertig zu werden. Mit hunderttausend Gulden ließe es sich herstellen. Woher aber soll das Geld kommen? Die Insel gibt es nicht her, und die Stadt hat es nicht und die Regierung noch viel weniger.

Auf den Straßen war alles in Bewegung. Die Leute standen in großer Erregung vor den Hausthüren oder in Gruppen beisammen und sprachen und horchten. Ich erkundigte mich nach der Ursache. Wieder hatte eine der vielen Revolutionen in Madrid ihre Wellen bis hieher getrieben, der Bürgermeister war abgesetzt, zeigte aber gar keine Lust zu gehen. Nun hatte sich das bei der Langmüthigkeit, mit welcher man in Spanien öffentliche wie private Angelegenheiten betreibt, mehrere Wochen lang hingeschleppt. Da war aber Abends vorher der Sekretär des Präsidenten von Teneriffa gekommen, am Morgen auf dem Rathhaus erschienen und wollte den alten Bürgermeister kurzweg austreiben. Das war den Leuten etwas Unerhörtes; aber was zu thun, schien keiner zu wissen.

Nachdem ich im Gasthause den letzten Schatten der Seekrankheit im kühlen Wasser bald verjagt hatte, eilte ich die Stadt zu durchstreifen. Leute von Vermögen und Bildung sehen auch hier gerade so aus, wie in irgend einer Stadt in Europa: die übrige Bevölkerung schien mir eine Linie dunkler in Gesichtsfarbe, besonders das Landvolk, das sich eben rüstete, gruppenweise vom Markte nach Hause zu ziehen. Malerisch schlugen die Bauern ihre Mäntel um sich: die vom trockenen und niedrigeren Süden, der Banda, liebten die blaue, die vom waldigeren und höheren Norden die braune Farbe. Ihre Frauen hatten auf dem Kopf ein großes schwarzes wulstiges Ding, geformt wie ein dickbäuchiger Kahn, und erinnerten mich lebhaft an Gegenden in Altbayern, wo eine jede auf ihrem Haupte einen kleinen Hausbären zu tragen scheint.

Ueberhaupt – und was nun folgt wird man mir um so weniger übel nehmen, als meine Schriften, und zwar längst vor 1870, sattsam beweisen, daß ich sehr stolz darauf bin, ein Deutscher zu sein, und unserem Lande die höchsten Aufgaben stelle, und ich habe schon manchen Hieb deshalb hinnehmen müssen, besonders von Yankees und Magyaren, – also ich wollte nur sagen: bei der tiefsten Denkkraft und bei dem edelsten Schönheitssinn, wie sie bei Bildung sofort sich entwickeln, steckt doch im deutschen Volke viel weniger natürlicher Geschmack, als in jeder andern Nation rings ums Mittelmeer. Man überlasse einem deutschen Mädchen aus dem Volke, sich ganz allein Putz und Kleidung auszusinnen, und es wird sicherlich etwas Abenteuerliches zu Tage fördern. Läßt sich denn die schöne schlanke Form zu einem größeren Ungethüm ausstaffiren, als in welchem Altenburgerinnen und Dachauerinnen einherschaukeln? Und wenn man alle Bücher zusammenrafft, die in einem Jahr im übrigen Europa verfaßt werden, so wird man nicht so viele Sünden gegen schöne Form und saubere Wäsche darin finden, als in einem Monat die Mehrheit der deutschen Gelehrten begeht. Man darf schon herzlich zufrieden sein, wenn sich wenigstens ein Streben nach dem belobten höheren Primanerstil zu erkennen gibt. Diese eingewurzelte Geschmacklosigkeit reicht – man sehe nur auf die Mützen der Weiber und in die Hefte der Schulmeister – gerade so weit, als deutsche Volksmischung nach Frankreich und Rußland hinein geht.

In den Straßen von Santa Cruz de la Palma blieb nicht bloß Landvolk stehen und lachte, wenn ich vorüberging, auch Städter sahen ganz verdutzt den Ingles an, ein Zeichen von geringem Verkehr. Von hundert Menschen können hier noch nicht sieben lesen und noch drei weniger schreiben.

Dies hindert aber nicht, daß auch auf dieser entlegenen kleinen Insel die Rechtseifersucht, welche den Canariern angeboren ist, ihre Szenen spielt. Auf ganz Palma wohnen nur etwas über 30,000 Menschen: unter diesen gibt es 13 Advokaten und nur 2 Aerzte und 1 Apotheker. Gesetzt nun, alle Palmeser kämen ihrer Rechtshändel wegen nur zu den Advokaten der Hauptstadt, so träfe schon auf 2400 Menschen ein Rechtsstreiter von Beruf. Da nun die eine Hälfte nichts hat, um was sie prozessiren könnte, und von der andern Hälfte gar wenige die Prozeßkosten bezahlen können, so kann man sich vorstellen, wie sehr der Rest von Prozeßsucht umher getrieben wird.

Die Statistik der Insel zeigt wenige Kranke auf, aber ein trauriges Mißverhältniß zwischen den Geschlechtern. Auf 13 Männer kommen fast 18 Frauen, und auf 350 Wittwer 1550 Wittwen. Also die stürmische See und das wilde Gebirge fordern von gar manchem Mann das Leben.

Die Stadt Palma steigt terrassenförmig empor, und überall bietet sich eine Fülle von prachtvollen Aussichten. Auf einem der schönsten Punkte sagte mir der Besitzer oder sein Nachbar: da wäre es so herrlich, unser Herrgott könnte da sein Schläfchen machen. Behaglich zu ruhen bei köstlicher Lebensfülle scheint hier der Gipfel des Daseins: dieses Ideal sogleich auf Gott selbst zu übertragen, ist echt spanisch. Wo es jemals tiefere Bildung und kindliche Gemüther gab, da sah und sieht der Mensch – einerlei ob Christ oder Athener oder Gothe – in Gott die höchste Vernunft und Quelle aller Liebe und Wonne und Erleuchtung, den ewigen allumfassenden Willen, der dieses wundervolle Weltall mit seinen Blumen und Sternen, seinem Meeresglanz Felsen und Waldgrün und tausendfältigem Leben wie sein Gewand um sich gebreitet. Diese Anschauung, die jede bildliche Darstellung Gottes nur als schönes, ewig eitles Spiel nimmt, geht bei Germanen durch alle Volksklassen. Für Indianer und andere Wilde ist das göttliche Wesen nur etwas Ungeheures und Unheimliches, das Furcht und Bangen einflößt, und das sie in ihren armen finsteren Seelen mit allerlei kindischem Spuk zu beschwichtigen trachten. Romanen dagegen stellen sich mit dem höchsten Himmelsherrn gern auf vertraulichen Fuß, indem sie ihn erst menschlich kleiner und anschaulicher sich zurecht bilden. Der Türke denkt sich ihn als Sultan mit langwallendem Bart, der Neugrieche als einen alten weisen Handelsherrn, und dem Magyar wäre es ganz unmöglich, sich ihn anders als in Attila Kalpak u. s. w. vorzustellen. Bei uns möchte in dieser Beziehung ein richtiger Berliner wohl der einzige Plastiker sein: er denkt sich den lieben Gott als einen prachtvollen General mit blitzendem Goldhelm und hallendem Kommando.


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