Oskar Meding
Die Römerfahrt der Epigonen
Oskar Meding

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Achtes Capitel.

Spät erst waren die Bewohner von Gastein zur Ruhe gekommen. Nach dem Ende des Diners bei dem Könige von Preußen waren die beiden Monarchen zu Fuß ausgegangen, um die festliche Beleuchtung des Ortes in Augenschein zu nehmen. In freundschaftlicher Vertraulichkeit hatte man den Kaiser und den König vom Schlößchen aus nach dem Fürstenstollen und der Rudolphshöhe gehen sehen; das Gefolge schritt in einiger Entfernung hinter den Herrschern; dann folgte eine immer wachsende Anzahl von Kurgästen und Alpenbewohnern, in ehrerbietiger Ferne sich haltend; fern von der gewöhnlichen Neugier folgten sie Alle mit warmer und aufrichtiger Theilnahme und Sympathie den Fürsten. Als der Kaiser und der König sich dem Wasserfalle genaht hatten, war plötzlich von allen Seiten bengalisches Feuer aufgeflammt, prachtvoll schimmerten die Wasser in dem bald rothen bald weißen Licht, das weithin die Bäume und den Himmel mit tageshellem Glanz überstrahlte. Hell und scharf traten die zahlreichen Menschengruppen – Herren und Damen untermischt mit den Bewohnern der Gegend in der Alpentracht, – aus dem nächtlichen Dunkel hervor, und inmitten dieser feenhaften Gruppe sah man die beiden Fürsten allein in der Nähe der Fälle stehn und sich gegenseitig auf die Schönheiten des Anblicks aufmerksam machen. Ein lauter Ruf, wiederhallend von all' den lichtbestrahlten Punkten ringsumher war bei diesem Anblick aus dem Feuerkreis empor zum nächtlichen Himmel aufgestiegen und freundlich dankend hatten die Monarchen rings mit dem Haupt und der Hand gegrüßt, dann war Alles wieder in Dunkel versunken, um im nächsten Augenblick wieder in einer neuen Farbe leuchtend hervorzutreten.

Lange noch, nachdem die Fürsten vom laut grüßenden Abschiedsruf begleitet, sich in ihre Wohnungen zurückgezogen hatten, waren die dichten Menschenreihen langsam dahingezogen auf den Promenaden von Gastein und den sonst so einsamen Waldwegen, und aus allen Gesprächen, welche der Nachtwind dahintrug, klang die Freude wieder, daß die beiden großen Herrscher in persönlicher Begegnung die Einigkeit des weiten Vaterlandes in verkörpertem Bilde sichtbar vor Augen geführt hatten. – –

Früh schon am nächsten Tage sahen die Badegäste, welche am zeitigsten zur Morgencur sich erhoben hatten, den Kaiser Franz Joseph ganz allein im bequemen österreichischen Militairmantel einen Spaziergang unternehmen. Langsam schritt der Kaiser, tief die frische Morgenluft einathmend, auf dem Waldpfad dahin, welcher durch die grünen Schatten zu den Fällen hinführt; man folgte in natürlicher Discretion dem hohen Herrn nicht, aber die Wenigen, die ihm begegneten, konnten sehen, wie er oft in tiefen Gedanken stehen blieb, das Auge zu Boden geheftet und in leisem Flüstern die Lippen bewegend. – Nach längerer Promenade kehrte er zurück aus der Einsamkeit des Waldes, heiterer Muth und frische Entschlossenheit leuchtete auf seinem Gesicht und freundlich die Gruppen grüßend, welche sich inzwischen vor der Villa Meran versammelt hatten, zog er sich in sein Zimmer zurück.

Auch vor dem Schlößchen wurden die Neugierigen immer zahlreicher, man sah auf dem Balcon den König Wilhelm stehen; die hohe, feste Gestalt frei aufgerichtet, neben ihm stand der Ministerpräsident von Bismarck in lebhaftem Gespräch mit seinem königlichen Herrn begriffen.

Die Badegäste freuten sich an dem kräftigen Aussehen des Königs, – die Correspondenten der Zeitungen, welche hierher geeilt waren, um Zeugen der Begegnung der Souveraine zu sein, wünschten die Kraft ihres Gehörs verdoppelt, um etwas von dem Gespräch auffangen zu können, welches dort oben auf dem Balcon dem Hauch der Lüfte vertraut wurde, und daneben traf mancher scheele Blick den so ruhig und sicher dastehenden Staatsmann, den die deutsche und preußische Presse fast einstimmig als den Feind der Freiheit und des Friedens in Deutschland und in Preußen darzustellen nicht müde wurde.

Aber die wehenden Lüfte trugen keines der Worte, die da oben gesprochen wurden, herab zu den lauschenden Ohren, sondern wehten sie weithin zu den verschwiegenen Wäldern der Berghöhen und alle die bösen Blicke schienen den Herrn von Bismarck sehr wenig zu berühren, denn ruhig und kalt blickte er von Zeit zu Zeit hinab auf die verschiedenen Gruppen da unten, während er lebhaft zum Könige sprach.

»Eure Majestät werden sich nun überzeugt haben,« sagte der Ministerpräsident, »daß meine Mittheilung nicht ohne Begründung gewesen, da der Kaiser selbst sogleich die Reform des Bundes bei der ersten Begegnung berührt hat.«

König Wilhelm schüttelte langsam den Kopf.

»Der Kaiser hat freilich von der Nothwendigkeit eines Bundesreform gesprochen,« sagte er, »auch bemerkte er, daß er Gedanken darüber habe, die er mir mittheilen wolle, aber aus diesen Aeußerungen ist es mir nicht möglich zu schließen, daß ein fertiges Project existire und daß dies den Fürsten Deutschlands vorgelegt werden solle, gerade im Gegentheil, aus jenen Aeußerungen muß ich schließen, daß Derartiges nicht existirt, denn damit hätte doch der Kaiser seine Mittheilungen beginnen müssen.«

»Allerdings wäre das zu erwarten gewesen,« sagte Herr von Bismarck ruhig.

»Und da der Kaiser nichts davon erwähnte,« fuhr der König fort, »so kann ich nicht an eine solche Ueberraschung glauben.«

»Jedenfalls,« bemerkte Herr von Bismarck, »ist schon die Aeußerung, welche Se. kaiserliche Majestät gemacht hat, von großer Wichtigkeit. Die österreichische Anerkennung der Reformbedürftigkeit der deutschen Bundesverfassung ist ein großer Schritt zu dem Ziel, das Preußen erreichen muß – der Stellung im Bundesleben, die unsern Machtverhältnissen entspricht; bisher hat man von Wien aus ja immer bestritten, daß der Deutsche Bund reformfähig und reformbedürftig sei, dies Anerkenntniß müssen wir zunächst bestens acceptiren und zu den Acten legen. Im Uebrigen, Majestät,« fügte er mit stolzem Lächeln hinzu, »mögen sie tagen, rathen und beschließen, so viel sie wollen, Majoritäten bilden und Stimmen zählen, – Preußens Stimme wird gewogen und nicht gezählt.«

Lange stand der König in nachdenklichem Schweigen.

»Wir haben heute den dritten August!« sagte er dann, still und weich den Blick zu Herrn von Bismarck aufschlagend.

»Wer vergäße das in Preußen, Majestät,« erwiderte der Ministerpräsident, »von der Generation, deren Jugendentwicklung in die Zeit des höchstseligen Herrn fällt, in jene Zeit so groß und ernst und doch so friedlich und freundlich wie ein Sommertag nach einem Wettersturm.«

»Am heutigen Tage,« sprach der König weiter, »will ich mir das Vertrauen nicht zerstören lassen, es ist mir an diesem Tage so sonntäglich zu Muth, als ob ich in der Kirche wäre, die bösen Gedanken an die Kämpfe und Ränke dieser Welt wollen nicht an mir haften, ich möchte so gern mit offenem, freiem Herzen dem Kaiser von Oesterreich die Hand reichen, um mit ihm gemeinsam Deutschland groß, stark und glücklich zu machen.«

Herr von Bismarck sah den König mit dem Ausdruck tiefer Verehrung an.

»Um so gerechter wird Ew. Majestät Sache,« sagte er, »um so leichter Ew. Majestät Herz, wenn es doch zu dem gewaltigen Ringen um die Zukunft Deutschlands kommt, wenn das Heer der Nachtvögel den Preußischen Adler zwingen wird, seine Fänge zu gebrauchen, um sich den freien Weg zum Lichte zu öffnen.«

»Ich werde arbeiten und streben,« sagte der König ernst, »um Alles vorzubereiten, damit mein Sohn einst vollauf gerüstet sei, jeden Kampf aufzunehmen!

– Der Kaiser will Ihnen eine Gemsjagd veranstalten lassen?« fuhr der König nach einer Pause lächelnd fort.

»Se. Majestät der Kaiser hat die Gnade gehabt,« sagte Herr von Bismarck, »da ich den Wunsch aussprach, einmal eine so recht ernste, ordentliche Jagd mitzumachen, dem Grafen Moszyn, welcher die früher dem Erzherzog Johann gehörigen Jagden besitzt, den Auftrag zur Veranstaltung einer großen Gemsjagd zu geben und ich bin Se. Majestät für diese huldvolle Aufmerksamkeit sehr dankbar.«

»Man würde in Wien sehr erfreut sein, Sie einen Bock schießen zu sehen,« sagte der König scherzend.

»In diesem Falle soll der freundliche Wunsch erfüllt werden,« erwiderte der Ministerpräsident, »auf anderen Gebieten aber werde ich auf meiner Hut sein!«

»Der Kaiser wird bald kommen,« sagte der König freundlich, »ich möchte noch ein wenig mit meinen Gedanken, mit meinen Erinnerungen verkehren.«

Herr von Bismarck verneigte sich tief und verließ den Balcon, durch das Zimmer des Königs hinausschreitend.

Langsam folgte ihm der König; er trat vor seinen Schreibtisch und setzte sich auf den einfachen Sessel nieder, den Blick auf die dort zurechtgelegten neu eingegangenen Briefe und Eingaben gerichtet.

Aber er rührte die Papiere nicht an, welche er sonst mit so pünktlicher Gewissenhaftigkeit durchzusehen pflegte, leis und allmälig sank das Haupt auf die Brust herab und sein Auge verschleierte sich mit feuchtem Duft.

»Wie doch die Eindrücke der Kindheit dem ganzen Menschenleben die Farbe geben,« sprach er mit weicher Stimme, »wie ist die Zeit so anders geworden, welche Ereignisse sind dahingegangen über mein Haupt, wie hat sich mein Herz umgürten müssen mit Erz und Stahl gegen die feindliche Welt, und doch steigt sie immer und immer wieder so frisch, so lebendig herauf die alte, alte – die gute Zeit! Wie tritt sie an solchen Erinnerungstagen so frisch mir entgegen, die Gestalt meines Vaters, und meine Mutter, meine liebe Mutter« – –

Dichter wurden die Schleier, welche sein Auge verhüllten, er faltete die Hände und saß schweigend da, die Lippen bewegend wie in stillem Gebet.

Die Zeit zog vorüber, die Wipfel des Waldes rauschten von fernher, die Stimmen der Menschen drangen bald lauter, bald leiser von unten herauf, der König saß stumm und unbeweglich in der tiefen Stille seines Zimmers, er fühlte und merkte den Schritt der Zeit nicht, welche die Augenblicke der Gegenwart dahinnahm und Secunde für Secunde die Zukunft heranführte in langsam unaufhaltsamem Gange, sein Geist war weit hinabgestiegen in die heiligen Tiefen der Vergangenheit, seine Seele verkehrte mit den Geistern der Heimgegangenen, deren Augen einst liebevoll seine Jugend überwacht, und welche jetzt leise wehende Grüße zu ihm sendeten aus den unbekannten Fernen, welche der Gedanken nicht ermißt, zu denen aber die Liebe des Weg findet in dem Pulsschlag eines Augenblicks. –

Der Prinz Hohenlohe meldete den Kaiser Franz Joseph.

Rasch erhob sich der König.

Auf seinem Gesicht leuchtete noch der Abglanz der Gedanken, die ihn bewegt hatten, aus seinem Auge schimmerte noch die glücklich wehmüthige Erregung der andächtigen Rückschau in die Vergangenheit, als er dem Kaiser entgegentrat, welcher rasch durch die geöffneten Flügel der Eingangsthür ihm entgegeneilte.

Die Monarchen drückten sich herzlich die Hand, der Kaiser blickte fast betroffen in das so bewegte, wie von einem Hauch der Verklärung übergossene Gesicht des Königs.

Er schlug die Augen nieder und setzte sich in einen Fauteuil, zu welchem ihn der König an der Hand führte.

»Ew. Majestät sind schon so früh auf gewesen,« sagte der König, herzlich und frei in das schöne Gesicht seines kaiserlichen Neffen blickend, »ich liebe auch die Morgenstunden, aber heute haben Sie mich überholt.«

»Ich habe den Athem der schönen freien Natur eingesogen,« sagte der Kaiser, »das ist doch der beste und edelste Balsam für alle Sorgen und Leiden, die uns das Leben bringt.« –

»Die uns aber hieher nicht folgen sollen, in diese stille Waldeseinsamkeit,« fiel der König heiter ein.

»Die Leiden nicht,« sagte der Kaiser ernst mit beinahe trübem Ausdruck, »die Sorgen aber verlassen uns nie, und ich möchte sie sogar ein wenig mit Eurer Majestät theilen.«

»Kann ich einem so lieben Verwandten und Bundesgenossen irgend eine Sorge abnehmen, oder durch Theilung erleichtern, so werde ich glücklich sein,« erwiderte der König mit aufrichtiger Herzlichkeit.

»Ich habe gestern schon bemerkt, mein lieber Oheim,« sagte der Kaiser mit einer leichten Befangenheit im Ton, »daß die Verhältnisse in Deutschland, die Verfassungszustände des deutschen Bundes mich ernst beschäftigt haben. Es zieht durch das ganze Volk in Deutschland die Forderung nach einer Reform des Bundes und ich habe mich nach langem Nachdenken überzeugt, daß eine solche Reform wirklich eine Nothwendigkeit ist.«

»Sie werden sich erinnern,« sagte der König ernst und fest, »daß die preußische Regierung schon zur Zeit meines Bruders stets die Ansicht ausgesprochen hat, daß die Bundesverfassung nicht vollständig den thatsächlichen Zuständen und den wirklichen Machtverhältnissen entspreche. Ich freue mich herzlich, daß auch Eure Majestät jetzt die Richtigkeit jener Ansicht anerkennen.«

»Die einzelnen Staaten Deutschlands,« fuhr der Kaiser fort, »Preußen und Oesterreich voran, haben das constitutionelle Prinzip in ihre Verfassungen eingeführt, die Volksvertretungen haben bestimmenden Antheil an der Gesetzgebung, und es ist auf die Dauer nicht haltbar, daß die deutsche Bundes-Verfassung nicht ebenfalls das constitutionelle Prinzip in sich aufnimmt, die Maßregeln des Bundes werden mehr und mehr in Widerspruch treten mit den einzelnen Gesetzgebungen der verschiedenen Staaten, jedenfalls werden die Völker immer mehr mit Mißtrauen auf eine Institution blicken, bei deren Thätigkeit ihnen keine Theilnahme eingeräumt ist.«

»Ew. Majestät denken also jetzt auch an eine Vertretung des Volkes am Bunde?« fragte der König ernst, indem sein klares Auge sich forschend auf den Kaiser richtete.

»Ich halte eine solche für unerläßlich, um dem Bunde Kraft und Lebensfähigkeit zu geben,« erwiderte Franz Joseph.

»In diesem Punkt,« sprach der König, immer den Blick ruhig auf den Kaiser geheftet, »ist das Prinzip sehr einfach und klar, die Ausführung desselben jedoch voll der bedenklichsten Schwierigkeiten; wie schwer wird es sein, einen Wahlmodus zu finden, bei den so verschiedenen Grundsätzen, welche in den einzelnen Staaten bestehen –«

»Durch Delegirte aus den einzelnen Stände-Versammlungen,« rief der Kaiser rasch, »würde die Vertretung am einfachsten und leichtesten herzustellen sein.«

Der König blickte einen Augenblick schweigend vor sich nieder.

Sie denken also ernstlich an die Möglichkeit eines Delegirten-Parlaments?« fragte er dann.

»Es wäre der einfachste und auch der natürlichste Modus,« erwiderte Franz Joseph.

»Ich muß Ew. Majestät aufrichtig gestehen,« erwiderte der König, »daß ich, wie meine Regierung schon mehrfach zu erkennen gegeben hat, diese Idee kaum für praktisch durchführbar halten kann. Ein Parlament aus Delegirten der einzelnen Kammern würde den kleinen Staaten numerisch eine unverhältnismäßige Bedeutung geben und Majoritäten entstehen lassen, die mit den wirklichen Machtverhältnissen in noch schreienderen Widersprüchen stehen müßten, als dies jetzt schon zuweilen die Bundesbeschlüsse thun.«

Der Kaiser neigte mit einem leichten Ausdruck von Verlegenheit das Haupt.

»– Indeß,« fuhr der König in verbindlichem Ton fort, »ließe sich bei eingehender Erwägung der Frage doch vielleicht ein Modus finden, der diese Bedenken gegen eine Delegirtenvertretung beseitigt, und selbstverständlich werde ich stets freudig bereit sein, in Erörterung darüber zu treten, da ich ebensosehr wie Ew. Majestät wünsche, den Bund kraftvoll und lebensfähig zu machen und ihm das Vertrauen des Volkes zuzuführen. Nur,« sprach er mit festerer Betonung, »müßte jede Modifizirung der Verfassung dahin zielen, die Rechtsverhältnisse mit der Realität der Macht in größere Harmonie zu bringen und die Möglichkeit auszuschließen, daß europäische Großmächte wie Oesterreich und Preußen sich Majoritäts-Beschlüssen von kleinen und kleinsten Staaten gegenüber befinden.«

»In diesem Sinne habe auch ich mir die Reform des Bundes gedacht,« sagte der Kaiser, »und um die Executive der deutschen Gesammtmacht zu stärken und zu beleben, möchte ich ein Directorium vorschlagen, zu welchem, außer uns, Bayern und ein Vertreter der drei Könige und der größeren Gruppen zu gehören hätte.«

Immer ernster wurde der Blick des Königs.

»Und glauben Sie,« sagte er, »daß solche Einrichtungen, die in der Verschiedenheit der Machtverhältnisse liegenden Schwierigkeiten beseitigen könnten? Sollte nicht die noch verwickeltere Maschinerie jene Schwierigkeiten eher vermehren und mannigfaltiger machen?«

»Ich glaube im Gegentheil,« erwiderte der Kaiser, »daß auf diese Weise die Theilnahme der einzelnen Staaten des Bundes an den gemeinsamen Angelegenheiten sich mehr in Einklang stellen wird mit ihrer realen Bedeutung, als wenn, wie jetzt, jeder dem andern gleich dasteht.«

»Nun,« sagte der König, indem sein Gesicht wieder den früheren Ausdruck freundlicher Höflichkeit annahm, »in allen diesen Fragen werden ja die verschiedenen Ansichten sich ausgleichen und vereinigen lassen, wenn man an die Prüfung und Erwägung derselben mit so bundesfreundlichen und verwandtschaftlichen Gesinnungen herantritt, wie ich dies Ew. Majestät zu thun verspreche. Erfüllen wir unsere Regierungen mit unseren Gesinnungen und sie werden leicht den Vereinigungspunkt der gegenseitigen Interessen finden.«

Er reichte dem Kaiser die Hand.

»Ich hoffe,« sagte Franz Joseph, abermals in leichter Befangenheit zögernd, »daß diesmal die Prüfung der wichtigen Fragen allseitig in bundesfreundlichster Weise stattfinden werde, denn ich habe die Absicht, alle deutschen Fürsten, unsere Bundesgenossen nach Frankfurt einzuladen, um ihnen meine Ansichten über die Reform des Bundes vorzulegen.«

Der König blickte mit einem eigenthümlichen Ausdruck voll Verwunderung und fast traurig zum Kaiser hinüber.

»Ich hoffe,« fuhr Franz Joseph fort, »daß Eure Majestät diesen Gedanken billigen; wo es sich um das Wohl der deutschen Nation handelt, sind die Fürsten Deutschlands wohl berufen, selbst an das Werk heranzutreten und in persönlicher Arbeit etwas Großes, für die Zukunft Dauerndes zu schaffen.«

»Ganz gewiß,« rief der König, indem sein Auge sich mit warmem Lichte erfüllte, »ganz gewiß ist es eine ernste und würdige Aufgabe der Fürsten Deutschlands, der Verfassung des nationalen Bundes ihre eigenste und persönlichste Aufmerksamkeit zu widmen, und ich werde mit Freuden, mit meinem ganzen Herzen,« fügte er lebhafter hinzu, »bereit sein, an einer solchen Schlußberathung Theil zu nehmen, nur,« sagte er, leicht die Hand erhebend, »müßte eine persönliche Conferenz der Fürsten vorbereitet sein, durch eingehende Verhandlungen zwischen den Cabinetten, um alle einschlagenden Fragen des Staats- und Völkerrechts, über welche wir doch unmöglich so ohne Weiteres informirt sein können, vorher gründlich zu überlegen und spruchreif zu machen. Denken denn Eure Majestät,« fuhr er fort, »diese Fürsten-Conferenz bald in Vorschlag zu bringen?«

»Ich denke,« erwiderte der Kaiser, den Blick zu Boden senkend, »daß wir so schnell als möglich die Hand an das große Werk legen sollten. Die Reformideen erfüllen das Volk in allen seinen Schichten, und je schneller und energischer die Fürsten an die Ausführung dieser Ideen herantreten, um so sicherer werden dieselben den extremen Richtungen entzogen, welche sie als Hebel für ihre revolutionairen Zwecke benutzen möchten.«

»Gewiß,« sagte der König, »ist in solchen Dingen schnelles und energisches Handeln das allein Richtige, denn wenn einmal von Seiten der Fürsten die Reform als im Prinzip nothwendig anerkannt wird, wo ist es von großer Wichtigkeit, daß bald etwas Fertiges und Definitives geschaffen werde, damit man nicht nur die Negation des Bestehenden aufstelle und dadurch jeder demagogischen Bewegung die Berechtigung zugestehe.

»Ich denke,« fuhr er fort als der Kaiser schwieg »daß die eingehende Erwägung und Erörterung der Punkte der Bundesverfassung, welche einer Abänderung bedürfen, durch die Cabinette entweder im schriftlichen Meinungsaustausch, oder etwa durch Minister-Conferenzen bis zum October wohl beendet sein können. Wenn von allen Seiten derselbe Eifer entwickelt wird, den ich meiner Regierung zur Pflicht machen werde, dann könnten die Fürsten im Spätherbst zusammentreten und auf Grund der fertigen und durchgearbeiteten Projecte zur Endberathung und Schlußfassung schreiten. Dann wird auch die persönliche Begegnung von großem Nutzen sein, um etwa noch übrig gebliebene Differenzpunkte durch unmittelbaren Gedankenaustausch zu erledigen.«

Der König hatte fest und bestimmt mit deutlicher und klarer Betonung gesprochen. Er blickte mit fragendem Ausdruck zum Kaiser hinüber und schien eine Antwort zu erwarten.

Franz Joseph schwieg einen Augenblick. Eine leichte Bewegung zeigte sich auf seinem Gesicht, er schien sprechen zu wollen, aber die schon geöffneten Lippen schlossen sich wieder und abermals blickte er einige Secunden schweigend zu Boden.

»Ich freue mich,« sagte er dann in höflichem Gesprächston, »daß Eure Majestät mit mir in der Richtigkeit des Gedankens übereinstimmen, die Reform des Deutschen Bundes in die Hände der Fürsten zu legen und auf diese Weise die Bewegung der Geister in Deutschland von demokratischen Abwegen zurückzuhalten. Ich zweifle nicht, daß das Werk groß und schön durchgeführt wird, denn wenn wir übereinstimmen, wird die Einigkeit Deutschlands keine Gefahr mehr laufen.«

Der König blickte betroffen auf, als hätte er eine eingehendere Antwort statt dieser allgemeinen Bemerkung erwartet.

»Ich habe Ihrem Minister-Präsidenten eine Gemsjagd vorbereiten lassen,« fuhr der Kaiser abbrechend fort, »er hatte große Neigung, dies besondere Vergnügen unserer Berge kennen zu lernen und ich bin erfreut, seinen Wunsch erfüllen zu können; sein kräftiges männliches Wesen spricht mich an und ich wünschen Ihnen Glück zu einem so begabten und energischen Diener.«

»Es ist ein klarer Kopf und ein fester Charakter,« sagte der König, »und hat bestimmte politische Ziele, das ist für einen Staatsmann eine große Sache; die öffentliche Meinung thut ihm großes Unrecht, indem sie ihn als einen finstern Reactionair, als einen Mann des Rückschritts hinstellt, doch das ist ja das Loos aller Staatsmänner, die sich nicht vom Strome treiben lassen, ist es doch auch,« fügte er lächelnd hinzu, »das meinige gewesen.«

»Nun, ich hoffe,« sagte der Kaiser aufstehend, »die Völker in Deutschland werden sich überzeugen, daß ihre Entscheidung zum vernünftigen und gesunden Fortschritt von ihren Fürsten ebenso gut und besser gefördert wird, als von den Rednern der Clubs und den Wortführern der oppositionellen Presse.

»Ich will Eure Majestät jetzt nicht länger aufhalten,« fuhr er fort, »in Kurzem werde ich die Freude haben Ihrer freundlichen Einladung zum Diner zu folgen und noch einige herzliche Stunden in Ihrer Gesellschaft zu verleben.«

Er ergriff die Hand des Königs und drückte sie herzlich, wie in einer plötzlichen Aufwallung warmen Gefühls leuchtete sein Auge auf, stumm öffnete der König die Arme und drückte den Kaiser an die Brust.

Dann begleitete er ihn hinaus bis zum Wagen und kehrte, in tiefe Gedanken versunken, in sein Zimmer zurück.

Lange ging er auf und nieder in ernstem Sinnen, dann setzte er sich vor seinen Tisch und durchlas die eingegangenen Briefe.

*           *
*

Im größten Salon des Schlößchens war die Tafel für das königliche Diner gedeckt. Der Kaiser war angekommen und zum Könige hineingegangen. Der Feldmarschall-Lieutenant Graf Crenneville, der den Kaiser begleitete, und der Graf Paar waren die einzigen von österreichischer Seite Zugezogenen, Herr von Bismarck im schwarzen Frack, mit dem Stern des St. Stephansordens und der General von Manteuffel unterhielten sich mit den österreichischen Gästen, die übrigen Herren vom Gefolge des Königs standen in einzelnen Gruppen da. Endlich erschienen die Herrscher Arm in Arm in der geöffneten Thür des Salons, man setzte sich an den einfach und prunklos gedeckten Tisch, der die beiden ersten und mächtigsten Monarchen Deutschlands vereinigte.

Der Kaiser setzte sich, vom Könige geführt, diesem zur Rechten, neben den König Graf Creneville, neben den Kaiser Herr von Bismarck.

In herzlicher Ungezwungenheit und Heiterkeit verlief das Diner, freundschaftlich scherzten die Fürsten mit einander, mit besonderer Liebenswürdigkeit unterhielt sich der Kaiser mit dem preußischen Minister-Präsidenten, und als der König den frisch gefüllten Champagnerkelch ergreifend auf das Wohl seines lieben Freundes und Bundesgenossen trank und der Kaiser sogleich erwidernd das Glas auf das Wohl seines theuren königlichen Oheims leerte, da war kaum einer unter den Anwesenden, der nicht warm und freudig berührt wurde von dem Eindruck dieses Augenblicks, und der gute Genius Deutschlands schien herabgeschwebt zu sein in den Saal des Schlößchens zu Gastein, wo bei freundlich geselligem Mahle die Nachfolger Friedrich des Großen und Maria Theresia's einige bei einander saßen.

Unten aber standen die Gruppen in leisen Gesprächen, hinaufblickend nach den Fenstern der königlichen Wohnung, Einer theilte dem Andern seine Anschauungen und Empfindungen mit, der Kern aller Meinungen, aller Gefühle aber war die Ueberzeugung, daß der Zukunft Deutschlands neues Heil erblühen werde aus dieser fürstlichen Begegnung, die Freude darüber, daß in der Person der Fürsten verkörpert, hier die beiden großen Hälften des deutschen Vaterlandes sich die Hand reichten.

Die Tafel war aufgehoben.

Die Monarchen hielten den Cercle; der Kaiser sprach huldreiche, gnädige Worte des Abschiedes zu allen Herren vom Gefolge des Königs, insbesondere herzlich und gnädig sprach er mit dem Minister-Präsidenten von Bismarck und dem General-Adjutanten von Manteuffel; dann zogen sich die allerhöchsten Herren zurück, kurze Augenblicke nur; bald erschienen sie wieder, der König geleitete den Kaiser zu seinem Wagen, das ganze Gefolge begleitete die Herrscher, die Gruppen der Neugierigen näherten sich, begierig das fürstliche Lebewohl zu schauen. Lebhaft, mit fast stürmischer Herzlichkeit warf sich der Kaiser in die Arme des Königs, der ihn lange an seine Brust drückte.

Dann sprang Franz Joseph in seinen Wagen, der Graf Creneville stieg von der andern Seite ein, der Kaiser streckte dem Könige noch einmal die Hand hin und rief mit lauter Stimme:

»Auf Wiedersehen, lieber Oheim, ich darf Sie also in Frankfurt erwarten!«

Wie befremdet blickte der König auf, dann sprach er mit grüßender Neigung des Kopfes: »Leben Sie wohl, Gott behüte Sie, auf Wiedersehen!«

Und in raschem Trabe rollte die kaiserliche Equipage davon, während Franz Joseph noch mehrfach mit der Hand winkend dem Könige seinen Abschiedsgruß sendete.

Ernst und still stand König Wilhelm vor der Treppe des Schlößchens, lange blickte er dem Wagen des Kaisers nach, die Herrn des Gefolges umringten ihren Herren, das Gesicht des Königs zeigte eine tiefe Bewegung.

Da trat rasch in großer Uniform der kaiserliche Flügel-Adjutant Major Graf Fünfkirchen durch die Gruppen her auf die königliche Umgebung zu und näherte sich dem dienstthuenden Flügel-Adjutanten des Königs Prinzen Hohenlohe.

Das scharfe Auge des Königs hatte den Grafen bemerkt, rasch wendete er sich um und blickte fragend zu ihm hinüber.

Ein rascher Blitz leuchtete aus dem Blick des Herrn von Bismarck auf, der ruhig und unbeweglich einige Schritte hinter dem Könige stand, ein leichtes Lächeln flog über seine Züge.

Prinz Hohenlohe trat an den König heran:

»Flügel-Adjutant Major Graf Fünfkirchen im Auftrage Seiner kaiserlichen Majestät!«

Der König winkte schweigend mit der Hand.

Graf Fünfkirchen trat heran.

»Auf Befehl meines Allergnädigsten Herrn bitte ich Ew. Majestät um Erlaubniß, ein kaiserliches Handschreiben überreichen zu dürfen.«

Der König neigte das Haupt und streckte die Hand aus.

Graf Fünfkirchen zog einen versiegelten Brief aus seiner Uniform und legte ihn ehrerbietig in die Hand des Königs.

Fast zögernd ergriff König Wilhelm den Brief.

Langsam erbrach er das Siegel, zog das Papier aus dem Couvert und ließ seinen Blick einen Moment über die Zeilen fliegen.

Tiefer Ernst – wehmüthige Trauere legte sich auf seine Züge, in schmerzlicher Bewegung zuckten seine Lippen.

»Ich danke Ihnen, Herr Major,« sagte er mit leichter Neigung des Hauptes.

Langsam schritt er in das Innere des Hauses.

»Minister-Präsident von Bismarck,« sagte der König in kurzem Tone, indem er in sein Cabinet trat.

Herr von Bismarck folgte seinem königlichen Herrn und blickte erwartungsvoll in dessen bewegte Züge.

Der König blickte einige Secunden schweigend zu Boden.

»Der Kaiser ladet mich zu einem Congreß der deutschen Fürsten nach Frankfurt am Main auf den 16. August ein!« sprach er leise, aber mit tief durchdringendem Ton.

Herr von Bismarck richtete sich stolz auf, fast wie freudiger Triumph leuchtete es aus seinem Auge.

»Eurer Königlichen Majestät Vertrauen war groß und schön,« sagte er, »aber war mein Mißtrauen ungerechtfertigt?«

Der König antwortete nicht. Ein tiefer Seufzer stieg aus seiner Brust empor.

»Wir werden morgen darüber sprechen,« sagte er mit dumpfem Ton, »lassen Sie mich allein bleiben.«

Mit ernstem Gruß wendete er sich und ließ sich langsam auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch niedersinken.

Herr von Bismarck aber schritt hinaus, – stolz, – gehobenen Hauptes, sein Auge war fest und kühn vorwärts gerichtet, er achtete nicht der forschenden Blicke, die in dem Vorzimmer ihm folgten, – langsam stieg er die Treppe hinab und flüsterte vor sich hin:

»Das ist das Ende vom Anfang, das ist der erste Strahl, der durch die Nebelwolken zuckt; – das Wetter zieht herauf, – wohlan, ich fürchte die Stürme nicht, der Adler Preußens ist gewohnt, im Sturm seine Flügel zu regen, und ich werde vorwärts gehen mit der Losung im Herzen: frangor non flector


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