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Zum Verständnis des Dialekts

Im Rieser Dialekt, ähnlich wie in andern, wird vielfach das n nicht ausgesprochen, aber der Nasenton des ihm vorhergehenden Vokals oder Diphthongen beibehalten. Die »Bahn« wird zur »Bah'«, aber das a darin ebenso durch die Nase wie in dem hochdeutschen »Bahn« – also wie das französische ban ausgesprochen. »Es scheint« wird »es schei't«; der Diphthong behält den Nasenton des »scheint« und das Wort darf keineswegs wie Scheit (Holz) gelesen werden. – Ich habe diesen Ton durch den Apostroph hinter dem betreffenden Vokal oder Diphthongen bezeichnet.

Dieser Rieser legt bei gewissen Worten nach dem Vokal ein kurz und gleichfalls durch die Nase zu sprechendes a oder e ein. Er sagt statt »gut« guat oder guet, statt »gern« geara'. Guet läßt etwas feiner als guat.

In »ab«, »herab«, läßt der Rieser das b unausgesprochen; er sagt »ah«, »rah«. Abfallen wird Ahfalla'.

Das au verwandelt man im Ries vielfach in o oder oh, das ei in oë, das a in o, das i in e. Es heißt zum Beispiel statt rauchen rohchen, statt klein kloë, statt Mahl Mohl, statt finden fenden. Weiß man dies, so wird aus dem Zusammenhang der Rede das entsprechende hochdeutsche Wort leicht zu erkennen sein. Das oe habe ich, damit es nicht ö gelesen wird, mit trennenden Punkten versehen.

Wie in andern Gegenden Deutschlands, so wird auch im Ries häufig d gesprochen, wo die Schriftsprache t, – b, wo sie p hat. Man sagt danza' statt tanzen, doa' statt tun, Bost statt Post usw.

Für »wir« hat der Rieser »o's« (uns) – aber nur da, wo der Nachdruck auf diesem Worte liegt. Er sagt: »O's Rieser« == wir Rieser. »Send o's net so guet wie ander Leut?« – Sind wir nicht so gut wie andere Leute? – Hat »wir« dagegen nicht den Akzent, so wird es zu mer (m'r) oder wer (w'r). »Mer hont scho' gmuag« – wir haben schon genug. »Reißa' mer's raus« == reißen wir's heraus.

Die Betonung hat auch sonst Einfluß auf die Fassung der Worte. »Ich« lautet, wenn es mit Nachdruck gesprochen wird, »ih«. Bei geringerer Betonung wird es zu i, bei der geringsten zu e. Es heißt: »Ih soll's do' haba'?« == ich soll's getan haben? »Soll i's oh doa'?« == soll ich's auch tun? »Des hab' e do'« == das hab' ich getan. »Dir« lautet »Dir«, wenn es den Akzent hat; wo nicht, so wird es zu »Der«, »D'r«. Zum Beispiel »I hab' dir's g'sakt (gesagt). I hab' d'rs g'sakt

Die Rieser Mundart braucht einzelne Worte in anderem Geschlecht als die Schriftsprache. »Ich habe keine Lust dazu« heißt: i hab' koën (keinen) Luhst derzua'. »Luft« existiert weiblich und männlich. Die Luft ist ruhige Luft; der Luft aktive Luft, Wind. Man sagt zum Beispiel »'s got (geht) a starker Luhft!«

In bezug auf Deklination ist zu bemerken, daß der Rieser statt des hochdeutschen Genitivs ein »von« anwendet; zum Beispiel die Größe meines Sohnes == die Gröaß von mei'm Soh'; – oder nach dem Genitiv ein Fürwort setzt: zum Beispiel des Bauern Haus == d's Baura' sei' (sein) Haus.

In der Konjugation weicht er von der Schriftsprache vielfach ab. Er konjugiert: »I hab' (ich habe), du host, er hot; o's hont, uir hont, sie hont. I wear (ich werde), du wurscht, er wurd; o's wearet, uir wearet, sie wearet. I sig (ich sehe), du sikst, er sikt; o's sehet (seha't), uir sehet, sie sehet. »Sie wearet« heißt auch: sie weara', und so bei andern Zeitwörtern. Vom Imperfektum braucht der Rieser nicht den Indikativ, wohl aber den Konjunktiv. Statt »ich ging« sagt er: i ben ganga'. Für »ich ginge wohl« hat er aber: i geang wohl. Wenn er das Imperfektum »war« anwendet, so bedeutet es entweder »wäre« oder »ist«. Eigentümliche Zusammenziehungen sind: Gommer == gehen wir; hommer == haben wir; lommer == lassen wir.

Der Hiatus wird im Dialekt möglichst vermieden. A' == ein wird vor einem Wort, das mit einem Vokal anfängt, zu a'n. Es heißt: a Fueß (Fuß); aber nicht: a' Aug, sondern a'n Aug.

Das dürfte genügen. Andere Abweichungen, Auslassungen von Buchstaben und Zusammenziehungen, Dehnungen (die mit Einlegung eines h bezeichnet sind) bieten für den Leser keine Schwierigkeit.

Schließlich haben wir noch zu bemerken, daß der Schriftsteller in Gesprächen die mehr oder minder gebildeten Landleute durch minder oder mehr entschiedenen Dialekt charakterisieren muß. Wenn man also auch in unseren Erzählungen Variationen antrifft, so wolle man darin keine Nachlässigkeit oder Willkür, sondern vielmehr das Bestreben erkennen, den Modifikationen zu folgen, die im Leben selber vorkommen.

 

Druck von Hesse & Becker in Leipzig.

 


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