Balduin Möllhausen
Der Schatz von Quivira
Balduin Möllhausen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

El Moro.

Auf dem 35° N. B., wo die Rocky-Mountains denselben von Norden nach Süden durchschneiden, und etwa zehn englische Meilen von der Sierra Madre, jenem tannenbewaldeten, von starren schwarzen Lavaströmen durchkreuzten Höhenzuge, welcher die dem atlantischen Ocean und der Südsee zuströmenden Wasser von einander scheidet, erhebt sich der Moro der Mexikaner, der Inschriften-Felsen der neueren Reisenden. Von Osten aus gesehen, wohin der gigantische massive Felsen seinen spitzwinkeligen Hauptausläufer entsendet, erscheint derselbe als ein bemauerter Thurm von den gewaltigsten Größenverhältnissen. Beim Näherrücken erkennt man eine von Osten nach Westen sich erstreckende Gesteinsmasse, deren Höhe etwa zweihundert Fuß, und deren Länge gegen tausend Schritte beträgt. Senkrecht aus dem Erdboden sich erhebend, möchte man sie aus geringer Entfernung noch für künstliches Gemäuer halten. Westlich steigt das ihn tragende Erdreich allmälig bis beinah zur Oberfläche des Moro an. Nadelhölzer schmücken die Abhänge der sich an die Felswände anlehnenden Erdwälle. Nur der östliche Theil tritt nackt aus dem Vegetationsmantel hervor, den Charakter des Gewaltigen erhöhend. Im Innern dieses seltsamen Naturbauwerkes befindet sich ein verließartiger, von senkrechten Wänden begrenzter Hof, welchen ebenfalls dunkelgrüne Tannen beschatten. Von Westen her gelangt man bequem durch eine Art Thorweg in denselben hinein. Das einer Befestigung ähnliche Naturgebilde hat schon in grauer Vorzeit die Menschen angelockt. Noch stehen oben auf dem Moro zu beiden Seiten des Hofes die Fundamentmauern zweier Städte, welche an die Bauart der heutigen indianischen Pueblo's erinnern. Die zwischen den Ruinen und in weitem Umkreise zerstreuten Scherben bemalter Töpferwaaren zeugen für die Verwandtschaft des entschwundenen Volksstammes mit den noch in dortiger Gegend hausenden.

Wie der Moro, wenn auch in beschränkterem Maße, Reisenden, Jägern und Tauschhändlern heute noch als Landmarke dient, scheint er schon vor zweihundert und fünfzig Jahren, als die eisenbekleideten Spanier und strengen Mönche Schätze suchend diesen Theil Neu-Mexiko's durchstreiften, als eine Art Station betrachtet worden zu sein. Inschriften, meist mit alterthümlichem Schnörkelschmuck und sehr sauber und tief mittelst Dolch und Messer in den festen Sandstein eingeschabt, zeigen die Namen berühmter Heerführer, Krieger und Jesuitenväter, welche in dem vielfach verzeichneten Zeitraum zwischen den Jahren 1606 und 1727 dort vorbeikamen und an der am Fuße des Moro zu Tage tretenden Quelle rasteten. Zwischen diesen Inschriften erblickt man indianische hieroglyphische Bilder, welche, mehr verwittert, auf ein weit höheres Alter schließen lassen.

Die Sonne neigte sich den westlichen, plateauartigen Höhen zu und verlängerte den Schatten des Moro mit wachsender Schnelligkeit, als von Osten her, eine kleine Karawane sich demselben näherte. Anscheinend eine Gesellschaft von Tauschhändlern, trieben vier Reiter ein halbes Dutzend beladener Packthiere gemächlich vor sich her. Drei andere Männer ritten dem Zuge eine kurze Strecke voraus. In ein ernstes Gespräch vertieft, kümmerten sie sich wenig um den ihnen folgenden Train.

Um die Mittagszeit hatten sie die Sierra Madre überschritten, nachdem sie zuvor an einer, schwarzem Lavageröll entrieselnden Quelle eine Stunde rasteten. Ein langer heißer Tagesmarsch lag also hinter ihnen. Trotzdem schritten die Thiere munter einher, bald über langgedehnte Bodenanschwellungen, bald durch schluchtartige Thalsenkungen. Sie empfanden die Nähe des Abends, sie erriethen die Nähe des Wassers.

»Das ist also der berühmte Moro,« wendete Perennis sich an Plenty und Burdhill, nachdem sie eine Weile schweigend neben einander hergeritten waren.

»Der Moro, für welchen ich keine fünf Cent gebe, soviel er auch werth wäre, besäße ich ihn in der Nachbarschaft von St. Louis oder New York als Eigenthum,« antwortete Plenty gedehnt; »auf zehn Meilen im Umkreise sollte kein Haus gebaut werden, zu welchem ich nicht die Fundamentsteine lieferte, calculir' ich.«

Perennis wechselte einen heiteren Blick mit Burdhill.

»Gute Steine mag der Moro liefern,« ging er scheinbar auf Plenty's Ansichten ein, »allein auch ohne das erfüllt er hier in der Wildniß einen guten Zweck. Er bietet eine Marke, über welche kein Irrthum walten kann, und unser Freund Gill ist ein zu scharfsichtiger Bursche, um von ihm ein Mißverständniß befürchten zu brauchen. Ich bin gespannt, ob wir Jemand vorfinden und welche Nachrichten er bringt.«

»Vorfinden werden wir Jemand, dafür bürgen Gills Gewissenhaftigkeit und der Name Rothweil, der bei den Zuñis einen guten Klang hat,« erwiderte Plenty gelassen; »ob der Gobernador aber bereit ist, uns 'ne Hand zum Klarlegen des Schatzes zu leihen, ist eine andere Frage. Ich calculir', er hält die Geschichte ebenso gut für Unsinn, wie jeder andere vernünftige Mensch.«

»Und gewänne ich nichts, als die Erinnerung an diese Fahrt, so fühlte ich mich schon belohnt,« versetzte Perennis, und im Ton seiner Stimme offenbarte sich der Enthusiasmus, welchen der Anblick des majestätischen Felsens in ihm wach rief.

»Eine Erinnerung, welche Sie mit Ihrem guten Gelde bezahlen, und für die Ihnen kein Mensch eine Pfeife Tabak giebt,« spottete Plenty.

»Sie sind ein praktischer Mann,« entgegenete Perennis lachend, »allein dächten alle Menschen ähnlich, wo blieben Kunst und Wissenschaft?«

»Freilich muß es auch Leute für solche Liebhabereien geben« meinte Plenty, »wenn mir selber nur nicht zugemuthet würde, meine kostbare Zeit zwischen Schutt und Moder zu vertrödeln. Ueber unsere Reise haben Sie zu Niemand gesprochen?«

»Ich hielt mich streng an Ihre Weisung.«

»Recht so, junger Mann. Wenn indessen Jemand ernstlich irgend etwas zu erfahren wünscht, so bringt er's heraus, und müßte er sich dazu der Hülfe eines Frauenzimmers bedienen.«

Bei dieser mittelbaren Mahnung an seinen flüchtigen Verkehr mit Clementia sah Perennis mit einer Bewegung des Erschreckens auf Plenty. Dieser dagegen spähte so gleichmüthig über die Ohren seines Pferdes hinweg, als hätte er die Bemerkung im Traume fallen lassen.

»Sie scheinen gegen Jemand Argwohn geschöpft zu haben,« fragte er zögernd.

»Gegen alle Menschen,« hieß es zurück, »denn jeder Sterbliche ist zum Betrüge geneigt. Wer vortheilhafte Geschäfte abschließen will, muß vorsichtig sein, calculir' ich.«

Sie hatten eine Schlucht mit leicht zugänglichen Abhängen durchritten und vor ihnen dehnte sich eine sanft ansteigende Ebene aus. Höchstens tausend Schritte trennten sie noch von dem Moro. Plenty sandte einen Blick rückwärts. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß Leute und Thiere in guter Ordnung folgten, kehrte er sich Burdhill zu.

»Sie sind bekannt in dieser Gegend,« redete er ihn in seiner theilnahmlosen Weise an, »Sie wissen also, wo die Quelle liegt.«

»Links an dem Thurm vorbei; in dem Winkel da drüben, wo die Pappelweiden grünen,« antwortete Burdhill zuversichtlich.

»Sonst kein Wasser in der Nähe?«

»Auf sechs Meilen im Umkreise nicht soviel Wasser, um das Papierschiffchen eines Kindes darauf schwimmen zu lassen.«

»So können in der nächsten Nachbarschaft keine Menschen lagern?«

»Mit Thieren nicht. Der einzelne Mann mag seinen Trunk im Lederschlauch mit sich führen. Die kleine Wasserader im Eingange zu dem Hofe des Moro ist nicht der Rede werth.«

»Gut, Burdhill, ich habe so meine eigenen Ansichten drüber, daß wir nicht allein nach der Zuñi-Stadt reisen. Jeder kann machen, was und wie er will; aber verdächtig sieht's aus, calculir' ich, wenn Fremde sich in der Nähe halten, ohne, wie sich's gehört, genauere Bekanntschaft zu schließen. Ich möchte nämlich wissen, ob auch hier herum Jemand unsere Fährten kreuzt, oder wir die seinigen.«

»Von der Höhe des Moro aus übersieht man das Land weit und breit,« versetzte Burdhill.

»Ich werde hinaufsteigen und meine Augen gebrauchen. Sie mögen sich unterdessen da umsehen, wo's Ihnen am rathsamsten erscheint. Der Teufel traue den Navahoes und Apaches. Die sollen hinter lebendigem Pferdefleisch her sein, wie der Bär nach dem Honig. Kommen die rothhäutigen Schurken nach Santa Fé, dann sehen sie so friedfertig aus, wie 'ne Quäkerseele; aber der Henker traue ihnen im Freien.«

»Das klingt verdächtig,« betheiligte Perennis sich nunmehr an dem Gespräch, »entdeckte ich bisher doch nicht die leiseste Spur der Reisenden.«

»Weil Sie nicht gewohnt sind, danach zu suchen,« erklärte Burdhill, und wie im Bewußtsein einer ihm innewohnenden unbesiegbaren Kraft, drehte er seinen blonden Schnurrbart empor, »nein, oder Sie hätten die Fährten von drei beschlagenen Maulthieren bemerkt, die mehrfach, wenn auch nur auf kurze Strecken, in unserem Wege ausgeprägt waren. Jedenfalls haben wir Ursache, unser Pulver trocken zu halten.«

»Wer hätte Vortheil davon, uns heimlich zu beobachten?« fragte Perennis sorglos.

»Vielleicht Pferdediebe,« antwortete Burdhill achselzuckend, »doch mögen sie ihr Glück versuchen; ein Baum zum Hängen findet sich bald genug.«

Plenty lachte ausdruckslos, dann sprach er gleichmüthig:

»Mancher höbe gewiß gern 'nen Schatz von einem halben Dutzend Maulthierladungen Goldes, wenn ihm der Weg dahin gezeigt würde. Und es giebt Einfaltspinsel genug, die das Märchen von den verwesten Mönchen in Quivira glauben.«

»Denjenigen möchte ich sehen, der mir das Erbtheil meines Onkels streitig machte,« erwiderte Perennis lachend. »Es können noch mehr Leute den Schatz von Quivira als Erbstück betrachten,« spann Burdhill das Gespräch in derselben heiteren Weise weiter.

»Keine üble Idee,« meinte Plenty höhnisch grinsend, »nach zweihundertundfünfzig Jahren erscheinen die Nachfolger jener Mönche und verlangen den Schatz für ihre Kirche zurück, sind aber schlau genug, so lange zu warten, bis er ihnen mundgerecht zu Tage gefördert ist.«

»Auch das soll mir keine Sorge bereiten,« versetzte Perennis, »wenigstens nicht früher, als bis ich den geöffneten Goldkeller vor mir sehe und die Herren Geistlichen sich einstellen, um mit mir darüber zu rechten.«

»Der Satan steckt in den Pfaffen, wenn sie 'nen Vortheil für ihre Kirche wittern,« entgegnete Plenty wieder grinsend, »nebenbei die verrückteste Fahrt, calculir' ich, an der ich mich betheiligte, seitdem ich mir als Zeitungsjunge die ersten Stiefel auf die nackten Füße verdiente.«

Er holte seine Thonpfeife hervor, füllte sie und rauchte sie an. Die Unterhaltung gerieth dadurch in's Stocken. Perennis und Burdhill betrachteten verwunderungsvoll den Moro, der mit jedem Schritt, welcher sie näher brachte, zu wachsen schien. Erst als sie an dem gigantischen Thurme vorbei, auf dessen Südseite neben der über zweihundert Fuß hohen senkrechten Felswand hinritten und endlich die Quelle erreichten belebte ihr Gespräch sich wieder. Eine halbe Stunde später stand das Zelt etwas abseits von der Quelle. Die Thiere weideten einer grasreichen Niederung zu, während die Packknechte sich mit ihren Obliegenheiten vor dem Küchenfeuer beschäftigten. Burdhill war gleich, nachdem er sein Pferd abgesattelt hatte, verschwunden. Mit Büchse, Pistole und Messer bewaffnet, schlich er auf der Nordseite des Moro dicht an dem steil aufstrebenden Felsen hin, bis die düsteren Tannenhaine auf den wallartigen Abspülungen ihn aufnahmen. Etwas später verließen auch Plenty und Perennis das Lager. Die Südseite zum Wege wählend, forschten sie zwischen Geröll und Schutt nach einer zugänglichen Stelle, um den Moro zu ersteigen.

Während die übrigen Mitglieder der kleinen Expedition sich mit den Vorbereitungen für die Nacht beschäftigten, ahnte Keiner von ihnen, daß sie von scharfen Späheraugen sorgfältig überwacht wurden. Gerade oberhalb der Quelle, so daß der Duft des unten brennenden Cedernholzes zu ihm herauf drang, lag auf dem durch Witterungseinflüsse nach allen Richtungen hin durchfurchten Felsen ein Mann, den Kopf so weit über den Abgrund hinausgeschoben, daß er bequem in das heiter belebte Lager hinabzuschauen vermochte. An dem zottigen aschblonden Haar, dem rothen verfilzten Bart, dem um eine Schattirung dunkleren Flanellhemde, vor Allem aber an dem brutalen Ausdruck seines verwitterten häßlichen Gesichtes würde Perennis sofort jenen Reiter wiedererkannt haben, welcher ihn und Eliza auf ihrem Ausfluge nach dem Stone-Corall belästigte. Sein Hut lag neben ihm auf dem Gestein. Doppelt wüst erschien dadurch sein unbedecktes Haupt. Seine Büchse lehnte einige Schritte hinter ihm an einem Felsblock. Trotz des Höhenunterschiedes drangen die Stimmen der bei dem Lagerfeuer beschäftigten Männer zu ihm herauf. Vergeblich trachtete er dagegen, die einzelnen Worte von einander zu trennen. Nur Lachen und ein in toller Laune ausgestoßener spanischer Fluch erreichten ihn zuweilen verständlich.

Als Perennis und Plenty das Lager verließen, erhob er sich, und der Nordseite des Plateaus zugekehrt, stieß er einen kurzen Pfiff aus. Auf dies Signal richtete sich auch auf dem nördlichen Rande eine Gestalt auf, welche nicht weniger geeignet war, als er selber, bei einem ihm auf einsamen Wege Begegnenden Argwohn zu erwecken. Ebenfalls Amerikaner oder Irländer, hatte derselbe sich nach mexikanischer Art in weißen Baumwollstoff gekleidet, dessen Farbe indessen allmälig in fahles Gelbgrau übergegangen war. Beide schulterten ihre Büchsen, schritten auf einander zu und trafen auf der Mitte des Plateaus in der Nähe des natürlichen Hofes zusammen.

»Bei Gott, Bunslow,« redete der Rothhemdige seinen Genossen an, dessen dünner schwarzer Bart dem wetterzerrissenen Gesicht einen eigenthümlichen Ausdruck schrecklicher Abgenutztheit verlieh, während die braunen Wolfsaugen verschmitzt über die etwas aus ihren Fugen gewichene Nase schielten, »wenn das nicht 'n schuftiges Spähen von hier oben nach unten ist, will ich vor Sonnenuntergang wie 'ne gepökelte Speckseite über 'nem Feuer von grünem Holz aufgehangen werden. Nicht 'ne verdammte Silbe machte ich aus, und zum Ueberfluß haben Plenty und der Deutsche sich auf den Weg hier herauf begeben.«

»Der Burdhill ist auf der anderen Seite herumgeschlichen,« antwortete Bunslow, »und des Teufels will ich sein, wenn ich ahne, wie die Beß ihn abfertigt, sollte er sie finden.«

»Die Beß ist gescheiter als Mancher, der sich zehnmal so viel Wind, wie sie, hat um die Ohren wehen lassen,« versetzte Sculpin, der Rothhemdige, »und war's nicht gerade Burdhill, möchte sie mehr aus ihm herausangeln, als wir Beide hier oben gemeinschaftlich erspähen.«

»'s ist wegen des Erkennens,« meinte Bunslow nachdenklich. »Mögen sie erkennen, wen sie wollen, sind die Pferde erst die unsrigen. Und in dieser Nacht muß es geschehen, oder die Zuñis sitzen uns auf der Fährte, bevor wir die Gäule warm geritten haben.«

»Nun ja, aber bleiben nur zwei Thiere zurück, so verfolgen sie uns damit bis nach Kalifornien hinein.«

»Zum Henker Mann, wer sagt, daß auch nur 'n Huf verschont wird?«

»Und wohin damit?«

»Ich kenne vom hier aus 'nen Pfad nach dem Gila hinunter. Sind wir erst dort, hindert uns kein Hund mehr auf dem ganzen Wege nach der Küste; und in San Diego weiß man, was ein guter Gaul werth ist.«

»Leicht gesagt, aber in dem Plenty steckt 'ne Teufelsnatur, und der Burdhill sieht durch 'ne zweizöllige eichene Planke. Räthlich wär's nicht, begegneten wir Einem von ihnen.«

»Plenty und der grüne Deutsche werden bald genug hier oben sein,« versetzte Sculpin spöttisch, »und da magst Du Dich an ihren Anblick gewöhnen.«

»Und sie sich an den unsrigen,« bemerkte Bunslow, »verdammt, ich schlage vor, wir steigen in den Hof hinab und schützen die Beß.«

»Nichts von der Sorte,« erklärte Sculpin trotzig, »die Beß ist Mannes genug für sich selber, und 'ne bessere Stelle zum Auslugen finden wir nicht auf drei Tagesreisen im Umkreise. 's ist nicht das erste Mal, daß ich hier oben Jemand beobachte; und noch keinen sah ich, der nicht da drüben auf die Mauern geklettert wäre, um 'nen Blick um sich zu werfen,« und sich abkehrend, schritt er so hastig davon, daß sein Genosse Mühe hatte, ihm zur Seite zu bleiben.

Nach einigen Minuten trafen sie vor den südlichen Ruinen ein, deren zerbröckelnde Grundmauern nicht mehr über die halbe ursprüngliche Höhe des Erdgeschosses hinausreichten. Nur in der Mitte des länglich-viereckigen Trümmerfeldes, wo wahrscheinlich die meisten Stockwerke des innig zusammenhängenden Baus übereinander gelegen hatten, ragten sie höher empor, und nach dorthin lenkte das Räuberpaar mühsam kletternd seine Schritte. Mehrere harzreiche Cedernbalken, fast so unverwüstlich wie das Gestein, hatten daselbst beim Zusammenbrechen der Gebäude eine solche Lage erhalten, daß sie das gänzliche Ausfüllen des untersten Raumes durch Schuttmassen verhinderten. Eine schwarze Oeffnung, kaum groß genug, einem einzelnen Manne das Hindurchkriechen zu ermöglichen, gähnte zwischen Gestein und Holzwerk den Eintreffenden entgegen.

»Ziemlich unbequem da drinnen,« bemerkte Sculpin, indem er einen letzten Blick über das Plateau sandte, »bis zum Einbruch der Dunkelheit ist's indessen zu ertragen, und hängen will ich, wenn sie nach fünf Minuten nicht über unseren Köpfen stehen, vorausgesetzt, sie finden überhaupt den Weg herauf.«

Bei den letzten Worten kniete er nieder, und die Büchse behutsam vor sich herschiebend, gelangte er ohne große Mühe unter den Trümmerhaufen. Bunslow folgte ihm ohne Säumen nach. Dann war es so still ringsum, so öde und unheimlich, als hätte seit dem Dahinsinken des letzten Bewohners der beiden Ruinenstädte kein Hauch mehr dort oben eine lebenswarme Brust verlassen. Die Oeffnung in dem Schutthaufen gestattete am wenigsten die Vermuthung, daß menschliche Wesen sich da hineinflüchteten, wo vielleicht die geringste Erschütterung genügte, eine Trümmerlast von vielen Hunderten von Centnern zermalmend und vernichtend auf sie herabzusenden.

Die Wegelagerer waren unterdessen höchstens vier Schritte weit in dem finsteren Raume vorwärts gekrochen. Dort erreichten sie die Grenze des Gemaches. Die mit den Seitenwänden der oberen Stockwerke zugleich niedergebrochenen Balken, so weit dieselben nicht bereits zermorscht waren, rasteten mit dem einen Ende nothdürftig auf den Vorsprüngen der Fundamentmauern, erlaubten daher nach oben nur geringe freie Bewegung, und zwar allein auf Stellen, auf welchen der Schutt sich gestaut hatte. Die Räuber fanden in Folge dessen gerade so viel Platz, daß sie gekrümmt dicht nebeneinander liegen konnten. Kaum daß es ihnen gelang, sich umzudrehen und die Köpfe dem Ausgange zuzukehren, zumal bei ungestümeren Bewegungen Sand und kleineres Gestein auf sie niederrieselten und die Gefahr erhöhten, daß die von oben möglichen Falls durch das Gewicht zweier Männer vermehrte Last den letzten Widerstand besiegte und sie begrub. Die Helligkeit, welche durch die enge Oeffnung hereindrang, wirkte nur auf eine kurze Strecke, dann wurde sie gebrochen und gehemmt durch die Trümmermassen, zwischen welchen die beiden Eindringlinge sich gleichsam einnestelten.

»Nun lass' sie kommen,« raunte Sculpin dem Genossen zu, sobald er eine einigermaßen erträgliche Lage gefunden hatte, »und ich wiederhole, an den Füßen will ich hängen, wie 'n abgeledertes Opossum, wenn ihr Weg sie nicht gerade hierherführt. Noch nie sah ich 'nen Mann hier oben, dem nicht an 'ner guten Aussicht gelegen gewesen wäre.«

Und sie kamen in der That, die beiden Reisenden. Nahe dem westlichen Ende des Moro hatten sie Gelegenheit gefunden, in einer schluchtartigen Ausspülung über gewaltige Felsblöcke hinweg das Plateau zu ersteigen, dann waren sie nach dem Punkt hinübergewandelt, welcher ihnen den weitesten Ueberblick über das benachbarte Land versprach.

»Wie es wohl vor dreihundert Jahren hier ausgesehen haben mag,« nahm Perennis das wegen des hindernißreichen Weges unterbrochene Gespräch wieder auf, sobald sie den hervorragendsten Schutthaufen erklommen hatten.

»Nicht anders, als heute,« antwortete Plenty geringschätzig, »schon damals sind die Städte nicht mehr bewohnt gewesen, wie aus den Inschriften bei der Quelle hervorgeht. Was kümmert's mich heute?«

»Ich liebe es, angesichts solcher Ueberreste aus dem grauen Alterthum, mich Betrachtungen über dieselben hinzugeben,« fuhr Perennis wieder lebhaft fort, »nicht den kleinsten dieser seltsam bemalten Topfscherben sehe ich ohne den Versuch an, mir die Hand zu vergegenwärtigen, welche das Gefäß einst formte und mit den wunderlichen Bildern schmückte. Gab es doch einen Tag, an welchem es im Feuer erhärtete, und die Steine, die unter unseren Füßen aus ihren vierhundertjährigen Lagen weichen, bedachtsam aneinander gefügt wurden. Was gäbe ich für einen einzigen Blick in jene Zeiten, für ein klares Bild dieser Städte in ihrer Blüthe und mit einer emsig schaffenden Bevölkerung, deren Namen man heute nicht einmal mehr kennt.«

»Ein christlicher Wunsch, aber kein praktischer, calculir' ich,« entgegenete Plenty, »das Beste daran bleibt, daß seine Erfüllung unmöglich. Solcher Humbug, sich hier oben einzunisten, wo nicht so viel tragfähiger Boden, um eine Tomattoestaude grünen zu machen, geschweige denn Mais und Weizen. Die Gesellschaft muß sehr einfältig gewesen sein.«

»Besorgniß vor feindlichen Ueberfällen bewegte sie unstreitig, ihre Zuflucht auf leicht zu vertheidigenden Höhen zu suchen,« erklärte Perennis, indem er bis auf den äußersten Rand des Trümmerhaufens vortrat, unter welchem die beiden Pferdediebe verborgen lagen.«

»Und doch wurden sie sammt ihrem Namen fortgefegt,« erwiderte Plenty verdrossen, »bietet Quivira nichts Besseres, so mögen wir lange suchen, bevor wir auch nur einen Kupfercent ans Tageslicht fördern.«

»Auch hier können Schätze verborgen sein.« versetzte Perennis scherzhaft, »es fehlt nur Jemand, der uns die Stelle zeigt.«

»Hier ist keine Kirche,« wendete Plenty ein, »und wo keine Kirche ist, sind keine Mönche gewesen, und wo keine Mönche hausten, die den Werth des Goldes kannten, sind keine Schätze vergraben.«

»Logisch gedacht,« bemerkte Perennis heiter, »aber selbst in Quivira, wo die Werke der Mönche sich noch erhalten haben, auf Grund der im Lande in Umlauf befindlichen Gerüchte nach Gold zu suchen, wäre Thorheit, besäßen wir nicht die Beschreibung des Fundortes.«

»Unsinn!« warf Plenty geringschätzig ein.

»Und doch sind Sie auf den Unsinn eingegangen?«

»Nun ja, der Mensch will gelegentlich etwas Anderes um sich sehen, als die vier Wände seines Hauses, calculir' ich. Und schließlich, was helfen alle Beschreibungen, wenn der Zuñi sich weigert, den nöthigen Aufschluß zu ertheilen?«

»Von seinem guten Willen sind wir allerdings abhängig,« gab Perennis zu, »allein Sie selbst behaupteten, daß die Erinnerung an meinen Onkel ihn bewegen würde, uns nach Quivira zu begleiten.«

»Das muß er, junger Mann, das muß er, oder wir mögen ebenso gut nach Santa Fé zurückkehren. Verdammt, aus 'ner indianischen Karte kann sich nur ein Indianer vernehmen und kein Christenmensch, calculir' ich.«

»Ihr Urtheil lautet vielleicht weniger absprechend, wenn wir erst die Packthiere ihrer Bürden entledigen,« versetzte Perennis lachend, ein Beweis des eigenen Zweifels, doch beobachtete er heimlich das Mienenspiel seines Begleiters.

Dieser bewahrte seine unerschütterliche Ruhe, indem er antwortete: »'n feines Geschäft war's, und müßten wir, um Alles fortzuschaffen, die Reitthiere beladen und selber zu Fuße gehen. Ob's aber ein Segen wäre, ist 'ne andere Frage. Käm's unter die Leute – und ich trau' dem eigenen Bruder nicht – dann müßten wir 'n Dutzend Leben unter der Haut haben, um jedesmal, nachdem uns die Kehle abgeschnitten worden, die Reise heimwärts wieder fortzusetzen. Hol's der Henker, wir können's billiger haben, wenn wir bis zum Einbruch der Dunkelheit hier warten und beim Hinunterklettern das Genick brechen.«

»Bis jetzt erfuhr außer Burdhill – und der ist treu – Niemand etwas von unseren Zwecken,« erwiderte Perennis, »und so dicht werden die Straßenräuber schwerlich schwärmen, daß wir ihnen nicht auszuweichen vermöchten.«

»So dicht, daß ich keinen Strohhalm für unsere gesunden Windpfeifen gebe, wenn wir mit mehr als fünfhundert Dollars die Wildnisse um Quivira herum durchziehen. Schon allein der Gedanke an das Räubernest Manzana ist genug, 'nen Menschen um seine gesunde Haut besorgt zu machen.«

»Einige ehrliche Leute werden immerhin dort leben, aber in der That, die Sonne geht unter, nur noch einen letzten Blick, und ich stehe zu Diensten.«

Und einen langen Blick warf Perennis um sich, einen langen, liebevollen Blick, um die ihn umringenden Scenerien seinem Gedächtniß so unauslöschlich einzuprägen, daß die Erinnerung an die jetzige Stunde ihm am späten Lebensabend noch einen, das alternde Herz erwärmenden Genuß versprach.

Still lagen die Hügelreihen und bewaldeten Regenschluchten, still Felsplateaus, Thalebene und schwarze Lavabäche. Die Oberfläche des Moro strömte die im Laufe des Tages eingesogene Sonnenhitze aus; doch über dieselbe hin fächelte eine sanfte Brise, mit sich führend erquickende abendliche Kühle. Im Osten erstreckten sich die bewaldeten Joche der Rocky-Mountains, wie um die Ebene des Moro mit ihren starren Armen zu umfangen. Westlich bauten sich gigantische Plateaus auf, bald in den grellen Farben der übereinander geschichteten Gesteinslagen, bald tief oder duftig blau, je nachdem die Entfernung es bedingte. Kein Laut ertönte. Ein Adler segelte auf breiten Schwingen seiner Horst in der Sierra Madre zu. Sonst erschien Alles todt und ausgestorben, ein entsprechender Hintergrund zu den öden Trümmerstädten.

»Leb' wohl, und leider auf Nimmerwiedersehen!« rief Perennis begeistert aus, indem er seinen Hut grüßend im Kreise schwang.

Langsam stieg er von dem Trümmerhaufen. Plenty hielt sich an seiner Seite. Die Offenbarung der gleichsam übersprudelnden Empfindungen schien ihn zu befremden, denn forschender, sogar lauernd wurde der Blick, mit welchem er die Bewegungen des jungen Gefährten überwachte.

Als sie die Stelle erreichten, auf welcher der Weg abwärts führte, hatte die Dämmerung sich bereits so verdichtet, daß sie kaum noch die früher beschrittene Bahn zu unterscheiden vermochten. Wohlbehalten gelangten sie hinunter. Bald darauf grüßte sie der Glanz des Feuers bei der Quelle.

Sie hatten das Plateau noch nicht verlassen, als, in dem Zwielicht und im Schatten der Ruinen schwer erkennbar, das zottige Haupt Sculpins in der Oeffnung des Trümmerhaufens erschien. Vorsichtig kroch er ins Freie; nach dem Schutthügel hinaufschleichend spähte er hinter den beiden Reisenden her. Nur ihre Häupter und Schultern ragten noch über den Plateaurand empor und zeichneten sich wenig vor dem Gestein aus. Als Sculpin sich nach dem Genossen umkehrte, stand dieser vor ihm. Wild packte er ihn an der Schulter, und sein Antlitz dem Bunslows nähernd, zischte er in seiner gewaltigen Aufregung zwischen den fest aufeinanderruhenden Zähnen hervor:

»Hörtest Du, was sie sprachen?« und die Raubgier machte seine Stimme fast ersticken, »der Henker mag jetzt noch die Hand nach unbezahltem Pferdefleisch ausstrecken. Bei der ewigen Verdammniß! Die Gesellschaft führt Besseres mit sich, als 'n Dutzend Gäule und Maulthiere. Besseres, Mann, daß wir sie nicht aus den Augen verlieren dürfen, sie sogar vertheidigen müssen, sollt's den Apaches einfallen, ihnen die Thiere abzuborgen. Ja, leben müssen sie, den Weg zu dem Schatz von Quivira sollen sie uns zeigen, und liegt der erst klar, mag der Teufel sie Alle miteinander holen.«

»Plenty glaubt selber nicht d'ran,« wendete Bunslow ein.

»Plenty ist der schlaueste Hund, der jemals das Gegentheil von dem sagte, was er glaubte,« fiel Sculpin ungeduldig ein, »ich wiederhol's hundertmal: der entschließt sich nicht um 'ne Kleinigkeit zu 'ner Reise. Und wer bürgt dafür, daß er nicht Unglauben heuchelt, um seinen jungen Kameraden um's Ganze zu prellen? Verdammt! Spricht von Straßenräubern und Kehlabschneidern, wenn aber nach Hebung des Schatzes Jemand mit durchgeschnittener Kehle an der Landstraße gefunden wird, ist's nicht Plenty, dafür stehe ich. Aber wir wollen's hindern, wollen's hindern –«

»Wir zwei gegen sechs, acht Mann?«

»Die Beß zählt für 'nen Mann, und für einen nicht von der schlechtesten Sorte; fehlen uns aber noch 'n paar Hände, so finden wir in Manzana mehr, als wir gebrauchen, und Manzana liegt –«

Von Westen her aus der Schlucht, welche in den natürlichen Hof führte, drang ein schriller, aber durch die Entfernung gedämpfter Pfiff herüber.

»Die Beß,« sprachen die beiden Genossen wie aus einem Munde, dann fügte Sculpin zähneknirschend hinzu: »der Burdhill hat sie aufgespürt und ihr hart zugesetzt; ohne Grund giebt sie keinen Laut von sich.«

Er hing die Büchse auf seinen Rücken, vereinigte sie mit dem seine Hüften umschlingenden Gurt, und gefolgt von Bunslow, der seine Waffe ähnlich auf dem Körper befestigt hatte, schritt er nach einer Stelle des Hofes hinüber, auf welcher die Wipfel mehrerer Tannen noch etwas über den Plateaurand hinausragten und mit ihren Zweigen denselben fegten. Leicht gelang es ihm, einen schwanken Schaft nach sich zu ziehen; gleich darauf verschwand er zwischen den Schatten des dichten Nadelwerks. Bunslow ließ den Gefährten eine Strecke abwärts klettern, dann folgte er ihm auf demselben Wege in die Tiefe hinab nach.


 << zurück weiter >>