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Erstes Kapitel.

Es war ein Frühlingstag, einer der ersten warmen und schönen, der die Blüthen an den Aepfelbäumen aufrollte, welche in dem Gärtchen des Doctors Johannes Gerber standen, und die Knospen an dem alten großen Kastanienbaum platzen ließ, der zur Sommerzeit die Fenster seines Studirzimmers dicht beschattete.

Der Herr Doctor aber saß in seinem grünen Saffianstuhl am Schreibtische und schien von allen Frühlingsherrlichkeiten nichts zu merken. Um ihn her lagen viele aufgeschlagene Bücher, und die Sonne schien heiß darauf, und dem gelehrten Herrn gerade ins Gesicht, als wollte sie ihm das Schreiben und Lesen verleiden und ihn hinauslocken, um ihm die jungen Blätter und die lichten Blüthen zu zeigen, die sie aus trockenen Stecken und harten Rinden für ihn hervorgezaubert hatte; aber er gehörte zu den Undankbaren, denen das Wort lieber ist, als die That.

Die Sonne hatte daher auch Recht, ihn mit größter Schärfe zu bescheinen, und wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie wahrscheinlich bedenklich ihren Kopf geschüttelt und ihn ausgelacht, denn der Herr Doctor konnte ihr wohl einigen Anlaß dazu bieten. Da saß er in dem heißen, dunstigen Zimmer, gebrannt von dem stechenden Himmelsfeuer, roth von der Anstrengung seines Trachtens und Dichtens, und draußen pochte der laue, belebende Gottesathem mit duftigen Zweigen an und konnte ihn doch nicht aufwecken.

Johannes Gerber war nicht mehr ganz jung. Sein Haar war ihm dünn geworden, und die Sonne machte sich das neckende Vergnügen, an seinem Backenbart verschiedene weißliche verdächtige Punkte recht hell leuchten zu lassen; dabei war er eher klein als groß, eher dick als schlank und eher häßlich als schön zu nennen.

Endlich aber ließ sich auch an ihm bemerken, daß er an verschiedenen garstigen Fehlern litt, welche gelehrten Herren häufig eigen sind; denn in seiner linken Hand, während er mit der rechten schrieb, hielt er den Rest einer Cigarre vor sich ausgestreckt, wie einen Zauberstab, der das Räderwerk seiner Gedanken in Bewegung setzen sollte, die rechte Hand des Herrn Doctors aber war an Daum und Zeigefinger schwarz von Tinte, in Folge des miserablen Federstumpfes, den er damit fest hielt und welcher immer ein untrügliches Zeichen des wahren Gelehrten ist.

Viel längere Zeit als wir zu unserer Beschreibung nöthig hatten verging, ohne daß etwas Anderes die Stille unterbrochen hätte, als der leise Ton der Feder. Zuweilen erheiterte sich das Gesicht des Arbeitenden, er lächelte vor sich hin und seine Augen, die einen sanften nachdenkenden Ausdruck hatten, belebten sich von einem plötzlich darin auflodernden Feuer; zuweilen aber wurde er auch wieder ernsthaft. Seine hohe Stirn spannte sich dann an und seine gutmüthigen weichen Züge preßten sich energisch zusammen.

In solchen Augenblicken handhabte er sein Schwert noch rascher und tauchte es so stürmisch in den schwarzen ätzenden Saft, der so viel Unheil schon über die Welt brachte, daß seine weiße Weste einige Spuren dieser ungebührlichen Begeisterung davon trug. Der Doctor Gerber befand sich nämlich an seinem Schreibtische nicht in dem Zustande, in welchem Gelehrte gewöhnlich die Musen und Grazien empfangen, das heißt er war nicht in Schlafrock und Pantoffeln, sondern er sah wie ein Mensch aus, der mit anderen Menschen menschlich umgehen will; denn er steckte in einem stattlichen, schwarzen Frack, einer Atlasbinde und in der schon genannten weißen Weste.

Eben als die Uhr über dem Schreibtische drei sonore Schläge that, welche in dem stillen Zimmer widerhallten, von denen jedoch der Doctor nicht einen Ton vernahm, rauschte draußen etwas an der Schwelle. Einige Minuten später ließ sich ein leises Klopfen hören, weil aber Niemand antwortete, öffnete sich die Thür auch ohne Einladung und eine junge, einfach und häuslich gekleidete Dame trat herein.

Ihrem Benehmen nach konnte man glauben, daß sie in einem abhängigen Verhältniß zu dem Gelehrten stehen mußte, denn geduldig und schweigend wartete sie, bis es ihm gefallen möchte, sie zu bemerken. Ihr Gesicht mit glatt anliegenden, braunen Scheiteln gehörte zu den guten und verständigen, die ein wohlthuendes, Vertrauen erweckendes Gefühl hervorrufen, weil Alles bestimmt und klar darin ist und weil Güte und Ernst sich darin verschmelzen. Als die junge Dame ein Weilchen vergebens gewartet hatte, blickte sie zu der Uhr hinauf und dann wieder auf den Gelehrten.

Herr Doctor! sagte sie hierauf im leise mahnenden oder warnenden Tone, indem sie zugleich mit einigen Schlüsseln klirrte, welche sie in der Hand hielt.

Der Doctor, ohne aufzublicken und ohne die Feder aus der Hand zu legen, nickte vor sich hin und antwortete dabei:

Nur noch einen Augenblick, liebe Marie, ich komme sogleich.

Sie müssen aufhören, fuhr die junge Dame fort. Es ist die höchste Zeit.

Die höchste Zeit! rief er erstaunt. Ja wirklich, drei Uhr. Wo ist meine Frau?

Mit der gnädigen Frau Tante in ihrem Zimmer völlig bereit. Auch Herr von Sternau ist gekommen.

Das ist schön, der wird sie unterhalten, antwortete er unverkennbar freudig. Ich hatte es beinahe vergessen, liebe Marie, daß wir ausgeladen sind und fort müssen.

Das ist gar nicht galant, Herr Doctor, sagte Fräulein Marie.

Sie haben Recht, es ist nicht galant, erwiederte er, aber ich bliebe wirklich lieber bei meiner Arbeit, als daß ich – Er legte die Hand an seine Stirn und fuhr lächelnd fort: Zeno, der alte Stoiker, hat schon gesagt, daß Alles sich ersetzen und vergüten läßt, alles verlorene Glück und alles Leid, nur die nutzlos verlorene Zeit nicht.

Wollen Sie nicht, ehe Sie gehen, ein wenig an Ihre Finger denken, Herr Doctor, fiel Marie ein, als er aufstand und nach seinem Hut griff.

Meine Finger? O, die sind schwarz! Ich danke Ihnen, beste Marie, Sie sorgen für meinen Ruf. Die Tante würde schön gescholten haben.

Nehmen Sie kölnisches Wasser, sagte die junge Dame. Sie haben gewiß auch geraucht?

Geraucht? Ja wirklich ich habe geraucht! antwortete er, als wundere er sich darüber. Ich hätte es nicht thun sollen, besonders heut nicht, wegen der Gesellschaft bei dem Geheimrath, aber es ist eine alte Gewohnheit, und diese sind ja die stärksten Bande des Lebens. Vielleicht haben diejenigen sogar Recht, die da meinen, daß die Gewohnheit des Lebens das Leben allein ertragen lehrt. Nun, wie dem auch sein mag, ich bin bereit. Vielen Dank, liebe Marie! Wollen Sie mich begleiten?

Ich werde zunächst hier ein Fenster öffnen und einige Ordnung schaffen.

Rühren Sie nur kein Buch an, kein Blatt Papier, sagte er besorgt.

Werfen Sie den ganzen Plunder ins Feuer! fiel eine scharfe helle Stimme von der Thür herein, durch deren Spalt ein greiser Kopf schaute, und lachend nickte und winkte, bis der Eigenthümer desselben, ein alter Herr, seinen kleinen mageren Körper hinterher schob.

Eh! rief er, als er drinnen war, da steht er ja, der Stubenhocker; aber alle Wetter! man muß den Hut vor ihm abziehen. Angeputzt ist er wie ein Bräutigam und will wohl gar mit der Herzallerliebsten sich an die frische Luft wagen?

Wenn es nur das wäre, bester Onkel, erwiederte der Doctor lächelnd, indem er dem alten Herrn die Hand reichte, aber ich soll in eine große Mittagsgesellschaft gefahren werden.

Gehorsamer Diener! rief der alte Herr, da streiche ich meine Segel und mache links um. Ich wollte einmal zusehen, ob ihr denn noch am Leben seid, wollte euch mitnehmen, wenn's so wäre, in meinen Garten. Es sind meiner Treu! volle vier Wochen hingegangen, seit sich Keiner mehr bei mir blicken ließ.

Der Doctor war in Verlegenheit, er wußte nicht recht, was er antworten sollte, aber er behielt auch keine Zeit dazu, denn der alte Herr fuhr in seiner schalkhaften Drolligkeit fort:

Es ist freilich ein weiter Weg für Dich, Johannes, bei Deinen Jahren und Deiner Hinfälligkeit. Eine richtige halbe Stunde vom Thore ab, bis wo die letzten Häuser stehen. Eh! Aber es gab einmal eine Zeit, wo es ihm nichts ausmachte alle Tage hinaus zu laufen, doch jetzt jetzt meint er, so ein junger frischer Bursch, wie ich bin, kann bald hereinspringen und nachfragen, wie der würdige Greis und die ganze werthe Familie sich befinden.

Er schwenkte dabei seinen Hut, den er wieder aufsetzte und seine beiden Hände auf die Elfenbeinkrücke seines spanischen Rohrs legte. Hochbetagt wie er war, sein Kopf ganz weiß und die breiten Augenbrauen wie Silber glänzend, leuchteten die hellblauen Augen darunter voll jugendlicher Lebendigkeit. Der kleine magere Körper steckte in einem braunen Klappenrock mit hohem Kragen und breiten Schößen, alle seine Bewegungen bezeugten, daß er eine eben so ungewöhnliche Lebenskraft besaß, wie die frischen, scharfen Züge seines Gesichts heitere Laune und gute Gesundheit ausdrückten.

Ich muß es mir gefallen lassen, sagte der Doctor sanftmüthig, wenn ich verspottet werde, aber ich bin bei einer nothwendigen Arbeit, die mich seit längerer Zeit beschäftigt und dann – ich war öfter in Gesellschaften, die viel Zeit kosten.

Das ist recht! rief der alte Herr, da muß er heraus aus seinen vier Wänden. Aber was schreibst Du denn so Wichtiges und Erbauliches, daß keine Stunde für den alten Onkel übrig bleibt?

Ich schreibe an einer Abhandlung über die Kunst und deren Aufgabe, auf Volksbildung und Volkserziehung zu wirken.

Ein helles Gelächter war die erste Antwort des alten Herrn. Seine schalkhaften Augen betrachteten den Gelehrten mit übermüthiger Zweifelsucht.

Du schreibst über das Volk und wie es erzogen werden soll! schrie er dann mit seiner krähenden Stimme. Der Mensch, der Stubenhocker, was weiß er denn, wie es beim Volke aussieht, was das nöthig hat, wo der Schuh es drückt? Oh! ihr Herren vom Schreibtisch geht doch fort mit all' eurem gelehrten Zeuge, das keinen Hund vom Backofen lockt. Laß Deine Finger davon, Johannes, Du bringst doch nichts Gescheutes zu Stande. Wer für das Volk etwas thun will, muß es vor allen Dingen kennen, und dazu gehört mehr als in den Büchern steht, oder was die Weisheit hinter dem grünen Tische ausheckt. Wärst Du ein Weber geworden, oder ein Spinner, wie Dein Vater einer war, so wollte ich sagen, es könnte sich machen; hast aber den gescheuten Gedanken niemals fassen können, hast statt mit Menschen Dich mit Buchstaben und allerlei altem Gerümpel abgegeben, darum hat auch kein Mann aus Dir werden können, der mit Menschen umzugehen und mit ihnen fertig zu werden weiß.

Aber mein Himmel! was lassen Sie uns warten, rief bei den letzten Worten des alten Herrn eine stattliche Dame hinter ihm, und mit einem Schwung auf dem Absatz wandte er sich um und machte eine tiefe Verbeugung. – eine große, stolzblickende Frau im prächtigsten Putz, hinter welcher eine jüngere und schönere stand, neben der ein Herr mit lockigem Haar und einnehmendem Gesicht den Hut auf den Arm gelegt hatte und sich damit beschäftigte, die engen gelben Handschuh auf seine schmalen Hände zu streifen.

Die gnädige Frau Tante, so wahr ich lebe! schrie der alte Herr, und hinter ihr die Frau Doctorin, wie die Sonne hinter Wolken – komm herein, Emma, mein Töchterchen; Laß Dich beschauen, gieb dem alten Onkel Dein Pätschchen und nimm Deinen Mann in Schutz um meinetwegen. Denn ich habe ihn aufgehalten, um ihm zu beweisen, daß er kein richtiger Mann ist und keiner sein kann.

Aber warum denn nicht, bester Onkel, erwiederte sie lachend, indem sie seine Wünsche erfüllte. Johannes ist lieb und gut und wird alle Tage noch besser.

Darin liegt's! fiel er ein. Es ist immer verdächtig, wenn ein Mann von seiner Frau so sehr gelobt wird. Ein Mann muß immer etwas vom Tyrannen haben, und jede Frau muß etwas von dem Joche fühlen, daß er auf ihren Nacken gelegt hat.

Ausgezeichnete Grundsätze hat der Herr Stadtrath! rief die Tante, Schade, daß wir nicht mehr davon hören können.

Ja Schade, daß Sie eben heut kommen, bester Papa, wo wir fort müssen, fügte die junge Frau hinzu. Es trifft sich unglücklich.

Glücklich trifft es sich, mein Emmchen, glücklich! versetzte er. Ich sehe Dich so prächtig geschmückt und allerliebst anzuschauen, daß mir das Herz dabei ganz warm wird. Wo soll es denn hingehen, wenn man fragen darf?

Wir sind zu unserem Cousin, dem Geheimrath von Köller eingeladen, erwiederte die Tante statt ihrer. Wir werden aber zu spät kommen.

Und es ist unangenehm, wenn die Suppe kalt wird, lachte der alte Herr, obwohl es Gerichte giebt, die sein können wie sie wollen, sie schmecken doch nicht.

Sehr wahr, lieber Herr Stadtrath, antwortete die stolze große Dame, es bleibt Vieles in dieser Welt unverdaulich.

So wünsche ich den allerbesten Appetit und einen guten Magen, schrie er dagegen. Ein guter Magen, Johannes, ist das Haupterforderniß für alle menschliche Glückseligkeit, also auch für eine glückliche Ehe. Adieu, mein Töchterchen. Treib' den Johannes an, daß ein Tyrann aus ihm wird, und laß es Dir gut bekommen.

Mit solchen Scherzen begleitete er zum unverkennbaren Aergerniß der gnädigen Tante die Scheidenden bis an die Thür und rief ihnen von dort aus noch einschlägige Abschiedsworte nach. Erst nach einiger Zeit kehrte er zurück, stützte die Hände auf seinen Stock und lachte mit solcher Schalkheit Fräulein Marie an, als wollte er sie einladen ihm dabei zu helfen.

Allein die junge Dame blieb davon unberührt. Sie öffnete die Fenster, schloß die Bücherschränke, rückte die Stühle und stellte die Geräthe an ihren Platz.

Der alte Herr sah eine Zeit lang vergnügt zu, endlich aber rief er mit ausbrechender Lustigkeit:

Sie werden dem Stubenhocker gehörig die Leviten lesen. Die gnädige Tante sah ganz darnach aus, und Emmchen hat, wie es mir scheint, schon ganz artige Fortschritte bei ihr gemacht. Aber es geschieht ihm Recht! Es ist eine komische Welt, hehe! – Wenn er seinen Gänsekiel in der Hand hat, tritt er wie ein Löwe auf und fürchtet sich vor Keinem, mag er heißen wie er will, aber vor einem Unterrock duckt er sich. Er arbeitet also wieder viel, Fräulein Marie. Sitzt bei seinen Büchern, statt bei der jungen Frau? heh!

Der Herr Doctor ist immer fleißig, erwiederte sie.

Das gefällt mir gar nicht, sagte der alte Herr. Als ich ihn dahin brachte, daß er heirathete, habe ich bessere Früchte davon erwartet.

Der Herr Doctor besitzt große Herzensgüte, sagte Marie.

Schwach ist er, furchtsam ist er! schrie der alte Herr. Er wagt es nicht, dreist aufzutreten und herzhaft um sich zu schauen. Sehen Sie, Fräulein Marie, das eben, glaubte ich, würde Emma ihm abgewöhnen. Vor zwei Jahren, als er sie geheirathet hatte, ging auch Alles gut, und es ging eigentlich gut bis zum letzten Herbst, wo die Frau Tante Majorin ins Haus kam. Was meinen Sie?

Die Frau Majorin ist eine Dame von sehr vielen Erfahrungen.

Und allerlei Feinheiten, allerlei noblen Passionen, fügte er hinzu, aber ich wollte, ich könnte sie ihr austreiben. Was geschieht denn hier nun eigentlich, Kind? Was hat die feine Frau Tante mit dem Stubenhocker vor? Warum kommen die vornehmen Verwandten denn jetzt plötzlich hier ins Haus, nachdem sie so lange sich nicht um Emma bekümmert hatten? Ihr Vater, der alte Hauptmann Treuenschild, wollte von der ganzen Sippschaft nichts wissen, so wenig wie sie von ihm, und bis die gnädige Frau Majorin kam, haben wir auch weiter nichts davon gehört.

Es ist aber doch sehr natürlich, daß man seine Verwandten aufsucht und mit ihnen sich befreundet, sagte Marie.

Das ist allerdings sehr natürlich, und der da, ich meine den, der dort an der Thür stand und hereingrinste, wie ein Affe, ohne den Mund aufzuthun, der kommt wohl auch sehr oft hierher?

Herr von Sternau? sagte Marie. O ja, er kommt oft.

Der alte Herr nickte ihr zu und sah sie durchdringend und lächelnd an. So eine Art Hausfreund, fuhr er dann fort, ein gnädiger Herr Cousin, auch von der Frau Majorin Tante aufgegabelt. Es ist ja wohl ein Schwager von dem Herrn Geheimrath?

Ich glaube, es ist so, Herr Stadtrath.

Bleiben Sie mir mit dem Stadtrath vom Leibe! schrie er auf. Schenken Sie mir lieber reinen Wein ein. Es ist ein lustiges Leben jetzt hier? Eh! Viel Gesellschaft, allerlei Vergnügen? Die Frau Doctorin ist eine junge Frau, will Zerstreuungen haben, und er, der weise Herr Doctor, sitzt inzwischen und schreibt über die Volkserziehung durch die Kunst. Ist es nicht so, Fräulein Marie?

Ich kann das nicht beurtheilen, erwiederte sie ruhig.

Das heißt, Sie wollen nicht darüber urtheilen.

Es würde sehr unpassend für mich sein.

So, sagte der alte Herr und dann legte er seine Hand nach einem augenblicklichen Bedenken auf ihren Arm und fuhr freundlich fort:

Sie sind ein gutes verständiges Mädchen und Sie haben Recht. Wir wollen uns beide nicht weiter darum kümmern; aber das Kind will ich sehen, den Jungen, den Gotthold. Wie geht's dem Kinde?

Es ist ein wenig krank und liegt in seinem Bettchen.

Krank ist es und sie geht davon? rief er aus. Aber sie weiß es in guter Obhut und das wissen wir Alle, und nun lassen Sie uns gehen und den armen kleinen Schelm trösten.

Mit der Galanterie der guten alten Zeit und einem überaus freundlichen Lächeln bot er ihr seinen Arm an und führte sie hinaus, doch schon nach wenigen Schritten, als er mit der Gesellschafterin durch die Gallerie ging, welche in den Seitenflügel führte, gab es neuen Aufenthalt. Der Stadtrath begegnete hier dem Diener seines Neffen, einem bejahrten Mann, beinahe so alt als er selbst und seit vielen Jahren im Hause, als die Eltern des Doctors noch hier wohnten und an diesen noch nicht gedacht wurde. Der Stadtrath erblickte seinen alten Bekannten kaum, als er laut zu lachen begann und vor ihm stehen blieb, indem er ihn von oben bis unten spottsüchtig betrachtete.

Der alte Bediente lächelte auch, aber nicht eben freiwillig und allzulustig, denn er zuckte die Achseln dazu und blickte bittend auf die Gesellschafterin, als sollte diese ihm beistehen.

Was! Du – alter Brinkmann, Peter Brinkmann! schrie der alte Herr, wie siehst Du denn aus? Alle Wetter! ja, was ist aus Dir geworden?

Und er fing von Neuem herzlich zu lachen an.

Es war jedoch eigentlich nichts da, was zum Lachen gewesen wäre. Der Diener des Herrn Doctors sah ganz stattlich und wohlgefällig aus. Er trug einen neuen braunen Rock, auf dessen großen blanken Knöpfen ein G gepreßt war, darüber eine Krone. Kragen und Aufschläge waren mit Goldschnur eingefaßt, schwarze Kniehosen sammt Gamaschen und Schuhen vollendeten seinen sauberen Anzug. Dennoch schien eine gewisse Schaam das Gemüth des alten Mannes zu bedrücken und seine Augen scheu zu Boden zu ziehen. –

Ja, mein lieber Herr Stadtrath, sagte er mit zaghafter Stimme, es weiß Niemand auf Erden, was noch aus ihm werden kann.

Sprichst da eine große Wahrheit aus, Peter! rief der alte Herr, aber Hochmuth kommt vor dem Fall und Hoffahrt will Zwang haben. Hast den alten bequemen Hausrock abgeworfen und bist ein Mann nach der Mode geworden.

Mit meinem Willen nicht, sagte Brinkmann seinen Kopf heftig schüttelnd, nein! mit meinem Willen gewiß nicht, denn ich wollte lieber – aber was kann ein alter Diener thun, wenn es der Herr so haben will?

Also Dein Herr hat Dich so herausgeputzt, Peter? sagte der Stadtrath. Hätte ich doch kaum geglaubt, daß er Dich auch noch erziehen will. Allein des Herrn Wille muß geschehen, Peter, so steht es geschrieben.

Ach, der Herr Doctor, von dem kommt's nicht, murmelte der Alte, aber wenn's da ist, so ist es gut. Denn es ist einmal so hier im Hause. Es hat sich Vieles verändert, ja verändert; doch zum Besten eben nicht, setzte er mit einem neuen Achselzucken hinzu, und mit einem Blick auf die Gesellschafterin, der ein mitleidiger Blick war.

Stille; Peter, stille! sagte der Onkel. Erbstücke, wie Du bist und wie ich auch eines bin, werden gewöhnlich in den Winkel geworfen und nicht weiter beachtet. Holt man sie hervor, scheuert den Ruß ab und putzt sie blank, so ist das ein Zeichen, daß sie immer noch etwas werth sind. Sei Du also ohne Sorgen, Peter, und mache dem neuen Rocke so viel Ehre wie dem alten. Ein Rock hat zwar Manchen schon, nicht allein von Außen, sondern auch von Innen, zum neuen Menschen gemacht, wir beide aber werden uns um dessentwegen nicht verändern. Wir bleiben die Alten, Peter, es kann kommen wie es will.

Damit schlug er den getrösteten Mann auf die Schulter und bot der Gesellschafterin wiederum seinen Arm, um mit ihr in die Kinderstube zu gehen.



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