Georg Freiherrn von Ompteda
Ernst III.
Georg Freiherrn von Ompteda

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›S.M. der König ... ist erkrankt‹

»Seine Majestät der König, der in der Haupt- und Residenzstadt weilt und noch am Mittwoch abend das Königliche Schauspielhaus besucht hat, ist erkrankt. Der Hohe Patient klagte über Seitenstechen und Mattigkeit, auch waren Pulsfrequenz und Temperatur erhöht. Die ärztliche Untersuchung, zu der neben dem behandelnden Arzte, Leibarzt Doktor Medicus, der Internist der Universität, Geheimrat Professor Doktor Milzbrandt, zugezogen wurde, hat ergeben, daß es sich um eine Rippenfellentzündung handelt. Wenn auch die Erkrankung durchaus normal verläuft, so muß doch Seine Majestät das Bett hüten und für den Augenblick den Regierungsgeschäften fernbleiben. Obwohl zu Besorgnissen kein Anlaß besteht, so ist dennoch mit einer Dauer der Erkrankung von mehreren Wochen zu rechnen.«

So stand im »Staatsanzeiger« zu lesen.

Sofort begann es am Schloßtore zu wimmeln wie am Flugloch eines Bienenstockes, indem die Hofgesellschaft erschien, um sich einzuschreiben. Dabei gab es immer ein Schwätzchen, denn ständig traf man Bekannte, so dauernd einen der Flügeladjutanten oder den Oberstabelmeister oder den Hausmarschall, die als wichtigtuende Alleinwisser gleichsam Hof hielten. In Wirklichkeit hatten sie keine Ahnung, denn der Leibarzt schien äußerst zurückhaltend, und Geheimrat Professor Doktor Milzbrandt zeigte immer derartige Eile, wieder in seine Klinik zu kommen, daß niemand seiner habhaft werden konnte. Im Schloß erschienen aber nicht nur solche, die mit dem Hofe in Fühlung standen, sondern Bürger, Beamte, Kaufleute, ja Arbeiter sogar. Und gerade deren Besuch hat den König am meisten erfreut. Wir wissen, was er darüber zum Rauhreiter geäußert hat, der, nach seinem alljährlichen Urlaub in den Dienst zurückkehrend, seinen hohen Herrn krank vorfand.

Wenn der Generaladjutant auch mit den Hofstaaten auskam, so trug er doch immer ein dunkles Gefühl im Busen, als würde er, der Bürgerliche, nicht für voll angesehen, während beispielsweise Puppchen sich derartiges niemals hätte merken lassen. Es half nichts, daß der Kriegsgott Kotz von Gerben, durch seine Schwiegermutter, bekanntlich eine geborene Rauh aus Stangenberg, mit ihm verwandt, einmal geäußert, jemand, der überhaupt nur annehmen könne, er werde nicht für voll angesehen, sei es damit auch nicht. Wir wissen, wie der verdiente General, schon durch wenig Gläser Wein im Selbstbewußtsein gesteigert, dieses seinen Gegenfüßlern sichtbar werden ließ.

Nun hatte er gefrühstückt, und zwar in der Weinstube von Rest & Neige an der Stechbahn, sowohl nahe beim Schloß, wie nicht weit von den Ministerien, so daß sich dort immer Herren zu treffen pflegten, die am gleichen Staatsstrang zogen. Da wollte es der Zufall, daß der Generaladjutant, von Rest & Neige ins Schloß zurückkehrend, in der Halle seinem besonderen Freunde dem »schellenlauten Tor« begegnete. Zwar hatte sich der Rauhreiter nicht mehr als zwei Schoppen Mosel einverleibt, doch sie genügten, ihn kampffreudig zu stimmen. Er begrüßte also den Hausmarschall, neben dem er sonst in gemeinsamem Dienst höflich aber kalt einherging, plötzlich mit unbegründeter Artigkeit.

Just in diesem Augenblicke nun mußte es geschehen, daß eine Alte erschien in Kappenhut und dürftigem Mäntelchen, die ohne weiteres entlarvt sei: Fräulein Notburga Reckzeh. Zwar trug sie keinen Storchschnabel ängstlich im Arm, wie einst, als Ernst der Dritte in der Schloßkirche ihre Blume mitten in den Königlichen Prunkkranz aus der Hofgärtnerei gestellt, immerhin jedoch einen rötlich strahlenden Gegenstand. Dieser Gegenstand, unverhüllt und nicht ohne Stolz gezeigt, war aber – wer sollte es nicht erkennen – eine kupferne Wärmflasche.

Hausmarschall Graf Schellenlaut, der, wie meist grade minder Begabte, besonders strenge Ansichten über Schicklichkeit besaß, hielt das Offen-zur-Schau-Tragen einer Wärmflasche für anstößig und wollte das arme alte Weiblein am Betreten des Königlichen Schlosses hindern. Solche Handlung nun wirkte auf den Rauhreiter zweifellos aufreizend. Offenbar sah er in der Abweisung des bürgerlichen Fräuleins eine gräfliche oder höfische Überhebung und fand es angemessen, indem er die Abgewiesene gleichsam unter seinen ritterlichen Schutz nahm, nach ihrem Begehr zu fragen. Die Alte schnatterte auseinander, daß sie von der Erkrankung des Königs gehört, der ihr so gnädig eine Altersrente zahle, ohne welche sie glatt verhungert wäre. Aus Dankbarkeit habe sie nun beschlossen, zugunsten Seiner Majestät sich von dem Liebsten, was sie besäße, zu trennen, nämlich von dieser Wärmflasche, an der schon ihre selige Mutter gesundet. Sie wolle lieber kalte Füße ertragen, als daß der König krank bliebe, denn da diese Flasche Kräfte in sich schlöße wie keine andere bekannte Wärmflasche Tillens, so müsse er durch sie gehellt werden. Nun hätte der Rauhreiter mit ein paar freundlichen Worten der Alten die Wunderflasche abnehmen können, aber er übertrieb, es liegt auf der Hand, als er erklärte, Fräulein Notburga Reckzeh möge ihm zu den Gemächern Seiner Majestät folgen.

Sollte nun, da doch auf Gebot der Ärzte nur vorgelassen wurde, wer dienstlich dringend zu tun hatte, der Hausmarschall die Alte dem Generaladjutanten entreißen, und es damit auf einen Kampf ankommen lassen, dessen Ausgang um so weniger zweifelhaft schien, als der General doch einen Säbel trug?

Der Ritter Rauhreiter entführte also das alte Fräulein, dessen Augen beim Gang über die Stiegen staunend umherschweiften, als sei hier alles von Gold und Marmelstein wie im Märchen. In der Tat ein Märchen wird daraus: Der Ritter verbeugt sich, das heilbringende Gefäß in Händen, vor dem Könige. Der aber, schwer atmend, ohne Erlaubnis der Ärzte aufgestanden, erblickt den Ritter mit der Wärmflasche und beginnt zu lächeln, ja als er die Geschichte vernommen, zu lachen, so laut zu lachen, daß Fräulein Notburga Reckzeh vollends ins Märchenland entrückt, eintritt als Opfer einer Sinnestäuschung, die sie auf ein »Sesam, tu dich auf!« die Antwort hat hören lassen. Der Märchenprinz erhebt sich. Die Alte aber bringt, wie im Traume, kein Wort hervor, und in der Angst, einem bösen Zauber zum Opfer gefallen zu sein, entstürzt sie dem Gemach, die Treppe hinab.

Da spricht Ernst der Dritte und das Märchen ist aus: »Ich weiß zwar eigentlich nicht recht, was ich mit einer Wärmflasche anfangen soll, denn meine Temperatur ist völlig hinreichend, aber die Wärmflasche ist doch etwas anderes als das verfluchte Einschreibebuch, das ich am liebsten abschaffen möchte; Flimmer sagt freilich, es geht nicht. Was bei mir alles nicht gehen soll! Ich habe das Buch nämlich in schlechter Erinnerung, seitdem ich als Bub mich einschreiben mußte. Darum möchte ich nicht, daß andere Leute mit solchem Unsinn geschunden werden.«

Als nun der Rauhreiter erzählte, unten lägen noch Berge von Liebesgaben, die besorgte Leute gebracht, verlangte der König alles zu sehen. Da häuften sich bald in dem einfachen Zimmer die Sachen, als ob der Rex den fünfzigsten Jahrestag seiner Thronbesteigung feiere.

Soll nun hier alles aufgeführt werden? Nein, herausgegriffen sei nur, so schwer er auch wiegt, der mit grünroten Bändchen in den Landesfarben geschmückte Riesentopf des Osterbauern voll Mundehonig; dann ein Pflaster, an dem der Begleitbrief derart klebte, daß nur noch die Anschrift zu lesen war: »An Herrn Kenich, Wolgeboren« und die Unterschrift: »Sonst ohne weiteres euer guter Diner Ernst Lasche Streckenarbeiter an die Statsban. Rafft Kreis Stangenberg.« Endlich ein Satz, der, soweit lesbar, warnte, der König möchte nicht auf die Ärzte hören, indem es sich nur um schlechte Säfte handle, die durch das Pflaster »gezogen« würden. Sollte dabei etwa die Haut »runterjehn«, so sei das förderlich, denn nicht umsonst sage man in Tillen: »der steckt in keener chesunden Pelle nich.« Um die Pelle aber wiederzubekommen, genüge es, Kaffeesatz darauf zu streuen, doch nicht wirklichen, denn der sei zu teuer, sondern Feigenkaffee, wie das Volk ihn trinke.

Und der Rex geriet in ganz gehobene Stimmung ob all der Neuigkeiten: Pulswärmer aus Hilligenstadt; Pfefferkuchen aus dem Lebkuchenländl; Leibbinden aus der Illz; Windweine, Eigenwuchs; Porzellantassen aus Heym; Engelstädter Wolldecken; Häkeleien von der Till; Blumen aus der Hauptstadt; Blutreinigungsmittel aus dem ganzen Lande, denn »purgieren« war Tillener Nationalleidenschaft; Schnitzereien aus der hohen Munde; Schnäpse aus Eula; Salzsteinarbeiten aus Sudhausen; Eilenstedter Kunstgläser »zum betrachten, da wird man alleene schon gesund«, Herr halt ein... des Segens ist genug. –

Ernst der Dritte befahl den Kabinettssekretär zu sich und trug ihm auf, allen Gebern zu danken. Ja einzelne, wie den Osterbauern und den Streckenarbeiter Lasche, wollte er später im Schloß sehen.

Merkwürdig trat jetzt eine gewisse Gereiztheit Seiner Majestät gegen den Geheimrat zutage, erhöht noch dadurch, daß, sobald der Rex länger sprach, ein Hustenanfall ihn überkam, und Geheimrat Doktor Kleber solche Hemmungen benutzte, um, unter dem Deckmantel von Rücksicht auf den Kranken, sich zu verflüchtigen. Ernst des Dritten Soldatenseele war die unterwürfige Kunst des Kabinettssekretärs, seine Ansicht zu wechseln, in tiefster Seele zuwider. Ob nun die Krankheit jene schlummernde Mißstimmung erst recht geweckt? Gewiß ist, daß der Rex dem Leibarzte gegenüber einmal diese für einen König von Tillen immerhin erstaunlichen Worte gesprochen hat: »Galgenholz wächst in Tillen!«

Die Ärzte waren damit einverstanden, daß der König den Ministerpräsidenten empfing, denn wenn er auch die Erkrankung geduldig hinnahm, so regte sich in diesem bescheidensten aller Herrscher doch etwas, was Geheimrat Professor Doktor Milzbrandt, der in seinem verantwortungsreichen Berufe einen Scherz liebte, die Königspsychose nannte: sobald man ihn nämlich schonen wollte, hielt er sich für unentbehrlich, und zwar grade dieser Herrscher, der so gern, selbst an nicht immer gerade passender Stelle, zu betonen liebte, daß er keine Macht besäße.

Trotz Husten, erhöhter Temperatur und leise sich sammelndem Exsudat ermüdete der Kranke durch die Anwesenheit Sturzens nicht, denn dieser besaß die Gabe, seine fröhliche Stimmung auf den König zu übertragen, der sich nach jedem Besuche, bei dem im Handumdrehen Entscheidungen eingeholt und Unterschriften erledigt wurden, frischer zeigte als vorher.

Merkwürdig ist in solchem Zusammenhange eine Äußerung Ernst des Dritten gegen seinen Minister:

»Eigentlich ist es ja ganz wurscht, ob ich meinen Senff dazu gebe, denn, lieber Herr von Sturz, Sie machen ja doch, was Sie wollen!«

Worauf Seine Erzellenz erwidert hat:

»Verzeihung, ich lege alles vor. Euer Machestät können ja nein sagen. Euer Machestät tun das ja auch bisweilen!«

»Ja, wenn ich nichts begründet bekomme!«

»Machestät, von mir nicht zu reden, aber begründet Bockbein nicht glänzend?«

»Gewiß! Malthus würde sagen: ›Hamlet zweiter Akt‹. Weil Kürze nun des Witzes Seele ist, fass' ich wich kurz.«

Durch seinen Geistesblitz im Selbstbewußtsein gestärkt, hat der bescheidene König hinzugefügt:

»Mit Bockbein arbeite ich gern, er ist zwar oft bockbeinig, aber ich bin's auch. Kleber dagegen ist wie ein Gaul, der dem Schenkel ausweicht, und solche Schinder mag ich nicht.«

Wir verlassen nun den König, er muß sein Bett wieder aufsuchen, dem er ohne Erlaubnis entstiegen, wenn auch auf Lore-Lenes Rat, wollte sie doch einmal, wie sie in ihrem Mundedeutsch gesagt: »Die Schlafbüchse gründlich ausmisten!« Hier nun steht die Frage auf: wie kam die Leibscheuerfrau Seiner Majestät nach Tillenau? War sie nicht auf der Schloßinsel mit Blumensuchen genügend beschäftigt? Dies die Lösung: der getreue Piephacke, der seinen Herren besser kannte als Sturz, Rauhreiter, ja Doktor Medicus vielleicht, hatte Lore-Lene »angefordert«. Und eines Tages, als der König sich ein wenig mutlos gezeigt, weil die Temperatur nicht sinken wollte, hatte er gemeldet:

»Seiner Machestät, Lore-Lene is ooch da!«

Und der König, wie es im Märchen heißt, »ward gesund zur selbigen Stunde!«

Aber nicht voreilig! Nur seine Stimmung war derart erhöht, daß Geheimrat Professor Doktor Milzbrandt nach einem Konsilium der Ärzte zum Kollegen Medicus sagte: »Ich denke, die Resorption des kleinen Exsudates hat begonnen, und wir werden keine Punktion zu machen brauchen!«

Inzwischen war der ganze Vormerkkalender wesenlos geworden. Der Besuch im Industriebezirk Stangenberg wurde abgesagt, die Künstlertafel auf der Schloßinsel konnte nicht stattfinden. Allerdings hatte der König dem Oberhofmarschall von Flimmer zerstreut befohlen, Theodor »Lampe« solle ihn vertreten. Der alte Herr begriff nicht: Theodor Lampe? War denn das Fieber heute höher als sonst? Aber der Rex hat sich verbessert:

»Ich meine Prinz Theodor!«

Prinz und Prinzessin Theodor waren jedoch verreist, und wie gewöhnlich wußte kein Mensch wohin. Damit entfiel auch des Ministerpräsidenten Vorschlag, dem Prinzen Theodor für die Dauer der Erkrankung des Königs die Vertretung Seiner Majestät zu übertragen. Es wäre also nur Prinzessin Aurora geblieben. Niemand konnte sie ernstlich in Betracht ziehen, obwohl sie doch heimlich malte.

Als Sturz sie erwähnte, fiel es dem Rex aufs Gewissen, daß er die alte Dame, die sich täglich (halb Güte, halb Neugier) nach seinem Befinden erkundigt, noch nicht empfangen. Immer von jähen Entschlüssen, ließ er sie durch den Rauhreiter bitten, ihn zu besuchen. Beiderseits bereitete man sich vor. Ernst der Dritte wurde, wie Piephacke sagte, »hübsch frisch gewaschen«, und die alte Aurora hatte ihr bestes Seidenkleid angelegt, ein Prunk, dem kein übertriebener Wert beigemessen werden kann.

Der Besuch dauerte freilich nicht lange, denn schon nach wenigen Minuten ward Piephacke, vom Leibarzte vorgeschickt, mahnend an der Tür gesehen. Zwar nicht am Boden, doch den Zeigefinger drohend erhoben.

Seltsam: seit diesem Besuche nun lief am Hofe das Gerücht um, der Rex sei merklich gealtert. Ist es ein Wunder, wenn es dann in der Stadt hieß, der König sei schwer, ja sogar hoffnungslos erkrankt, und der alte Tierpräparator Nikolaus Arsen vom Naturwissenschaftlichen Museum die zerschnittenen, mehrfach von Blutvergiftungen bedrohten Hände hob: »Dar werd nich mähr!«?

In der Tat, die nun schon Wochen anhaltende Erhöhung der Körperwärme nahm den König mit; er war stiller geworden, sein Drang zum Dienst hatte nachgelassen. Dazu wuchs die Abneigung gegen seinen Kabinettssekretär. Geheimrat Doktor Kleber fühlte es selbst, denn er zog den Schulterring schnaufend in die Höhe und sagte zu Sturz mit einer echt Tillner Wendung:

»Exzellenz, ich habe bei Machestät keinen Stand mehr.«

Nur noch Bockbein schien genehm durch seine knappe Darstellungsweise, denn auch der Freiherr von Malthus hatte kein Glück beim Rex, der Geistesblitze nicht wieder zucken ließ. Ja, Ernst der Dritte mochte vom Theater überhaupt nichts hören, als unterläge auch er jener seltsamen Einbildung Kranker, für ihre Erkrankung eine bestimmte Gelegenheit, und zwar immer die falsche verantwortlich zu machen. Ernst der Dritte bildete sich nämlich ein, er habe sich seine »Unpäßlichkeit«, wie er es nannte, auf der Probe geholt, obwohl sie sich natürlich längst vorbereitet.

Es kam hinzu, daß der vorzeitige Herbst eine Rückkehr auf die Schloßinsel, wovon Ernst der Dritte träumte, widerriet. Ausfahrten zu Wagen im Hirschgarten, die schon begonnen, mußten ausgesetzt werden, denn ein so eisiger Wind schnob um die entblätterten Bäume, daß der Leibjäger Vollbart ständig seinen Federhut hielt.

Ja, wer möchte es leugnen: der junge König war müde. Da ist es erklärlich, daß die Ärzte einen Ortswechsel erwogen, etwa einen Aufenthalt in der hohen Munde, lag nicht dort das Sanatorium Sonnenschooß am Südhang des Großen Stoißers (1086 Meter), windfrei und in Hochwald gebettet, dabei 782 Meter hoch und dadurch besonnter als die Ebene? Wenn nun auch Bedenken aufstiegen, weil dort fast ausschließlich Lungenkrankheiten behandelt wurden, so befand es sich doch im Lande. Doktor Medicus übernahm es also, Seiner Majestät davon zu sprechen, übrigens ein Mißerfolg, denn Ernst der Dritte meinte, er wolle armen Kranken den Platz nicht rauben, den sie brauchten, nicht er, sei er doch längst nicht mehr krank! (Die Fieberkurven lagen aber auf dem Tisch.)

Wer nun aus der Schule geplaudert, ob etwa gar, wie einst bei den Herbstübungen, Seine Majestät selbst Verrat begangen, hat nie festgestellt werden können. Gewiß ist, daß eines Tages Kommerzienrat Bast beim Ministerpräsidenten erschien und sein Jagdhaus am Kleinen Stoißer (942 Meter), noch windfreier und ebenso besonnt wie das Sanatorium Sonnenschooß, Seiner Majestät zur Verfügung stellte. Als Sturz ihm jene lächelnde Zurückhaltung entgegensetzte, die im Landtage die verbissene Wut der Regierungsgegner zu erregen pflegte, erklärte sich der Industrielle sogar bereit, seinem allergnädigsten Landesherren das Jagdhaus (übrigens ein Schlößchen) zu Füßen zu legen. Bei der Größe und Schwere des Gegenstandes gewiß eine erstaunliche Kraftleistung.

Angesichts der Verlegenheit, in der man sich befand, da ein geeigneter Königlicher Besitz nicht vorhanden war, versprach Sturz schmunzelnd, die Angelegenheit Seiner Majestät vortragen zu wollen. Als aber die Antwort nicht sofort eintraf, bat Kommerzienrat Bast um eine Audienz bei Seiner Majestät. (Abgeschlagen, weil der König überhaupt noch keine Audienz erteilt.) Nun stattete der Kommerzienrat dem Leibarzt einen Besuch ab, ja es kam heraus, daß er sich von Geheimrat Professor Doktor Milzbrandt in der Sprechstunde hatte untersuchen lassen, rein um ihn für seine Absichten zu gewinnen. Der oft sehr deutliche große Arzt hatte den Kommerzienrat jedoch den unverschämt gesündesten Organismus genannt, der ihm je untergekommen.

Kommerzienrat Bast hatte auch Exzellenz von Böswetter aufgesucht; Kommerzienrat Bast war beim Oberhofmarschall, beim Oberstabelmeister, beim Hausmarschall, beim Generaladjutanten gewesen. Man sieht: ein betriebsamer, ein unentwegter, ein zielbewußter Herr!

Inzwischen bildeten sich zwei Lager hinter Seiner Majestät Rücken mit dem leise sich selbst verzehrenden Exsudat, einander bis aufs Blut bekämpfend. Auf der einen Seite standen geschlossen die Hofchargen, die es nicht für würdig hielten, daß der König von einem Privatmanne, wer er auch sei, ein solches Geschenk annähme; auf der anderen Seite die Ärzte, die so oder so auf einen Ortswechsel drangen, vor allem jedoch Sturz, bei dem als Hausminister letzten Endes die Entscheidung lag. Nach Gehaben und Blute Landjunker, dem Denken nach ein aufgeklärter Mensch, achtete er die Form gering, hoch über alles aber das Wohlergehen seines Königs.

Schon aus Gegensatz zu den Hofschranzen stand im Bast-Lager der Rauhreiter, wobei dunkel mitspielen mochte, daß er, selbst aus Industriekreisen stammend, mit Kommerzienrat Bast, wenn auch nicht nahe, so doch in jenem Grade verwandt war, von dem man Gebrauch macht, wenn es einem paßt.

Erstaunlicherweise gehörte auch zu den Bastianern grade der Verknöchertste, jedenfalls Vorsichtigste am Hofe: nämlich Exzellenz von Böswetter. Der gleiche Mann, der zur Hochzeitsreise seiner Tochter vom Könige keine Beihilfe hatte annehmen wollen, betäubte aus Geiz für seinen Herrn sein erstes Gefühl, die Würde Seiner Majestät gestatte nicht, daß ein Reicher ihm den Aufenthalt bezahle.

Der Bastplan bildete bald das einzige Gespräch am Hofe. Bei dauernd schlechtem Wetter waren die Tees beliebter noch als sonst, und jeder Eintretende mußte sozusagen an der Tür schon Farbe bekennen. So geschah es, daß Familien sich nicht mehr sahen, weil die einen meinten, Kommerzienrat Bast habe sich mit seinem großherzigen Anerbieten verdient gemacht, während die anderen ihn für einen taktlosen Eindringling der neuen Zeit hielten, dessen goldberingte Protzenhand eingriff in die überlieferte und vornehme Ruhe des Hofes. Natürlich gab es Verschlagene, die nie zu einer klaren Stellungnahme zu bewegen waren, wodurch eine gewisse Unsicherheit in die Hofgesellschaft getragen ward. Oder mußte es nicht wundernehmen, daß der Flügeladjutant Freiherr von und zu Auffrecht, der strenge Soldat, sich als Bastianer von reinstem Wasser entpuppte, wobei das Nüßchen ihren schuldhaften Teil getragen haben mag? Wo stand wohl der Freiherr von Malthus? Nicht leicht zu sagen auf den ersten Anhieb. Nun, der Herr Generalintendant war Bastianer aus dem einfachen Grunde, weil der Kommerzienrat, der in Opern- wie Schauspielhaus eine Loge auf zehn Jahre gemietet, für gewisse Kreise die öffentliche Meinung darstellte.

Ein einziger ahnte nichts: Ernst der Dritte. Dennoch bedrückte ihn eine Sorge. Nicht die eigene Erkrankung, nein, Lore-Lene, lebenstrotzende, vollschlanke Tochter der Munde, war nicht mehr wie einst. Matt und müde hielt sie, um in ihrer Ausdrucksweise zu bleiben, den Speicher. Keiner hätte sagen können, wann es begonnen. Auch der König schien zu sehr mit eigener Schwäche beschäftigt, als daß er gemerkt hätte, wie abgemagert, wie wachsgelb sie geworden war. Der sonst so Frischen müdes Gähnen sah er kaum, ihr Schweigen nahm er, der Ruhe brauchte, nur für Rücksicht.

Wohl aber fiel Doktor Medicus die Veränderung auf, so selten er die Leibscheuerfrau auch sah, die sich zurückhielt, wenn sie nicht grade die »Schlafbüchse ausmistete«. Er befragte sie, da sie ihn jedoch anlachte mit ihren schönen Mundezähnen, so schob er ihr verändertes Wesen auf ihre Sorge um den König, genau wie auch Piephacke stiller, fast traurig geworden war.

Da geschah es, daß der Leibarzt gerufen ward, weil Lore-Lene auf der Treppe ohnmächtig hingesunken war. Die Untersuchung ergab Milztumor; Schmerzhaftigkeit des Brustbeins; hohen Puls; Kopfschmerz und Schwindel; Blässe der Schleimhäute; Stomatitis; anämische Geräusche an der Herzbasis; lautes Nonnensausen über den Halsvenen: das Bild einer ernsten Blutarmut. Eine Blutuntersuchung fand die Zahl der roten Blutkörperchen gewaltig herabgesetzt, und der Privatdozent Doktor Augentrost bestätigte eine Netzhautblutung. Da nun für das arme Mädchen Luft, Sonne, Höhe angezeigt schien, jene Hemmungen aber, die den Aufenthaltswechsel Ernst des Dritten noch verzögerten, nicht mitsprachen, indem Lore-Lene sofort bei Verwandten in der hohen Munde Aufnahme finden konnte, so entschwebte sie in Luft, Licht und Sonne. Mit ihr entschwand des jungen Königs guter und froher Geist, mit ihr ging seine Jugend, mit ihr sein Frohsinn, mit ihr... und nun sei das Versteckenspiel aufgegeben... die kindlich heitere heimliche Gefährtin, die ihn, wenn der Ernst des Dienstes ihn gebeugt, immer wieder aufgerichtet hatte.

Sie war nicht gebildet, war nichts als eine Hofscheuerfrau, aber dem stillen Manne auf Tillens Throne ergeben wie ein treuer Hund, der, wenn er seinen Herrn traurig sieht, den Kopf ihm aufs Knie legt. Sie war aus dem Volke, dem dieser arm und in schwerer Jugend Aufgewachsene immer näher gestanden als den Großen, den Reichen, den Gelehrten, den Begnadeten seines Landes.

Sie war? – Ja war, denn die roten Blutkörperchen, die ihr in erschreckendem Maße zu fehlen begonnen, im Kampfe um das Leben verzehrt, wuchsen nicht nach. Unerwartet schnell hat sie den Abschied genommen von Munde und Dasein, nicht vom König, denn um ihre Todesstunde hat Ernst der Dritte noch scherzend gefragt: »Bekommt Lore-Lene auch Pamms genug?«

Als Doktor Medicus eines Abends eintrat bei Seiner Majestät, sich neben ihn setzte und leise sprach, hat der König plötzlich den blassen Kopf in die gefalteten Hände gebeugt. Und der Freund, sonst vor den Menschen immer den Abstand wahrend, hat ihm zärtlich die Wange gestreichelt. Dann ist Piephacke eingetreten und hat seinem Herrn auf die Schulter geklopft mit den rauhen Worten:

»Pfui du, Seiner Machestät! Als Rittmeester ham mir nich geheult!«

Dann ist Ernst der Dritte aufgestanden und hat sie beide in seine Königsarme geschlossen, die doch so arme Menschenarme gewesen sind, den Freund und Medicus, wie den Freund und Diener.

Nun ist es genug; alles andere bleibt Rätsel. Wir verlassen Ernst den Dritten, er darf auch einmal schwach sein.

König, junger König, du stehst nun allein!


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