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V. Kapitel. .
Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht

Vor der mangelhaften menschlichen Gerechtigkeit hatte Naz bisher immer ungestraft sein Unwesen treiben können. Gegen Naz wurde nicht eingeschritten, obwohl schon so manche Anzeigen über sein lasterhaftes Treiben erfolgt waren. Das Landgericht zu Hall maß den vorgebrachten Anklagen bedauerlicherweise keinen Glauben bei

Sobald die Kunde von der Ermordung der Angerertochter ruchbar geworden war, hieß es allgemein in Hall: »Das hat der Bugazi gethan und niemand anderer! Das sieht ihm gleich!«

Es gab Leute in Hall, welche behaupteten, sie hätten gesehen, wie der Bugazi am 23. März vormittags zum Glockenhofe hinaufgieng, andere meldeten, dass sie ihn mit einem Baume und einer Axt am selben Vormittag vom Glockenhofe herabgehen sahen.

Auf solche bestimmte Aussagen hin und angesichts der erbrachten Meldung von der geschehenen Mordthat im Tulferwalde, that endlich der Landrichter, was seines Amtes war. Er ordnete nun die Hausdurchsuchung bei Bugazi und die Verhaftung des Wüstlings an.

Die Gerichtscommission begab sich noch am Tage der Mordthat in Nazens Wohnung. Der Mörder war nicht zu Hause, wohl aber sein Weib, das über die Ankunft der Gerichtspersonen gar sehr erschrack.

Die Frau wurde gefragt, wo der Naz sei. Sie antwortete, dass sie es nicht wisse, er sei vor einiger Zeit mit einem Holzstamme aus dem Volderwalde gekommen. Er habe sich umgezogen, da er in den Wald hinauf die schlechten Kleider angehabt hätte, und sei dann wieder fortgegangen, wahrscheinlich in irgend eine Branntweinschenke.

Der Gerichtsbeamte: »Was hatte er für Kleider an? Wo sind sie?«

Das Weib: »Dort liegen sie noch auf der Bank, die Schuhe aber unter der Bank.«

Der Beamte: »Hatte er nicht auch eine Axt? Ist diese da?«

Das Weib: »Ich glaube wohl. Sie wird in der Küche draußen hinter der Thüre lehnen, dort hat er sie gewöhnlich!«

Der Beamte: »Zeigt uns den Platz, – geht mit uns!« Und die Frau gieng zitternd am ganzen Leibe und blass vor Schrecken mit den Gerichtsherren, obwohl sie sich nichts schuldig wusste. Dann flüsterte der erste Beamte den Gerichtsdienern ein paar Worte ins Ohr es war der Befehl, den Bugazi ausfindig zu machen und ihn zu verhaften.

»Gebt acht auf ihn!« setzte er hinzu. »Es ist ein verzweifelter Mensch, der zu allem fähig ist.« Die Gerichtsdiener entfernten sich schweigend.

Die Axt wurde in einem Kehrichthaufen eingegraben gefunden; sie wies noch Blutspuren auf. Man nahm sie selbstverständlich in Beschlag und nun gieng es wieder hinein in Nazens Stube. Alle Kleidungsstücke wurden sorgfältig durchsucht, man fand nirgends Blutspuren, wohl aber waren einige nasse Theile daran zu erkennen, die etwa vom Auswaschen der Blutflecken herrühren konnten. Auch die Kleider nahm das Gericht zu sich. Die Schuhe unter der Bank wurden ebenfalls nicht vergessen und da man nichts mehr vorfand, was bedenklich gewesen wäre, entfernte man sich endlich, nachdem man noch Nazens Weib hinauf zum Gerichte bestellt hatte, damit sie eingehender über Naz einvernommen werden konnte.

»Was wird doch der Naz wieder verbrochen haben?« jammerte das Weib.

»Wir können Euch das nicht sagen,« sprach einer der Gerichtsbeamten. »Ihr werdet es später schon erfahren.«

Die Gerichtsdiener kamen dem Naz bald auf den Hals; noch war seit dem geheimen Flüstern in Nazens Wohnung keine Viertelstunde vergangen, da sah Naz schon die Gerichtsdiener vor sich.

Ein Gerichtsdiener: »Bugazi, Du gehst mit uns! Wir haben vom Richter den Auftrag, Dich zu verhaften und zu schließen. Reich' Deine Hände her!«

Naz (erschrocken und zuerst feuerroth, dann von der Stirne herab bis zu den Rippen blass werdend): »Ich möchte wissen, warum? Ich habe niemandem etwas zu Leid gethan. Ich bin der friedlichste Mensch der Welt; man wird doch nicht deswegen eingesperrt werden, dass man hart arbeitet und mühsam sich durchbringen muss, ein Glas Branntwein ist einem armen Mann wohl auch zu vergönnen.«

Naz wurde ungeachtet seiner Widerrede abgefasst und in Ketten geschlagen. Ein ganzer Schwarm von herbeigekommenen neugierigen Männern wäre bereit gewesen, den Gerichtsdienern behilflich zu sein, den Verbrecher festzunehmen, wenn er sich etwa widerspenstig gezeigt hätte.

Als Naz in Ketten durch die Gassen geführt wurde, da sammelten sich bald Hunderte von Leuten, die vor, um und nach ihm mitzogen. Laut rief mein: »Gott sei Lob! Nun haben sie ihn endlich er ist's, der Bugazi! Der Bugazi!« »Haben sie ihn, den Bugazi?« riefen andere, unter die Hausthüre tretend. Wieder andere rissen die Fenster auf und als sie den Bugazi in Mitte der Gerichtsdiener gefesselt einhergehen sahen, rieben sie sich vergnügt die Hände, als ob Vorabend des Haller Kirchtages gewesen wäre.

Den Naz ärgerte diese Freude seiner Mitbürger gewaltig und er rief dem an ihn herandrängenden Volke zu: »Gafft nur, ihr Haller! Da habt ihr wieder einmal ein Spektakel, das euch erwünscht ist.« Jedoch der Mörder wurde ausgelacht und ausgehöhnt. Niemand hatte Mitleid mit ihm und als er schon lange in der Keuche saß, wogte noch eine Menge Männer, Weiber und Kinder vor dem Gerichtshause auf und ab und schaute zur Hausthüre hinein oder zu den Fenstern hinauf, gleichsam als wollten sie den Naz nochmals vor ihre Augen herzaubern oder wohl gar hören, wie der Richter im Verhöre ihm zu Leibe gieng und was der Naz darauf antwortete. Sie hätten gern wissen mögen, ob der Unhold wohl einbekannte.

So saß nun der Wüstling im Loche. Das hatte er früh morgens wohl nicht geahnt.

Mit einer gewissen Beklemmung ließ der Landrichter noch am Abende des 23. März den Naz aus dem Gefängnisse vorführen zum sogenannten summarischen oder Vorverhör. – Von diesem hängt sehr viel ab, besonders in einer so wichtigen Untersuchung; eine ungeschickte Frage kann oft die ganze Untersuchung vereiteln, daher auch erklärlich, warum dem Richter in etwas das Herz pochte, als der Missethäter eintrat.

Naz hatte inzwischen ein wenig Zeit gehabt, sich von dem ersten Schrecken und der so plötzlichen Ueberraschung zu erholen; er war mit dem Entschlusse gleich fertig, alles zu leugnen. Hatte die That ja niemand gesehen, kann ihm also niemand etwas nachweisen! Daher schritt er keck vor den Tisch des Richters, ganz gerade und militärisch pflanzte er sich hin. Zuerst wurde er von dem Richter ermahnt, auf alle an ihn gerichteten Fragen die volle Wahrheit zu sagen. Er stehe vor Gericht, das Gott gesetzt habe. Einst werde er auch vor dem ewigen Richter erscheinen und Rechenschaft geben müssen. Lügen verschlimmere seine Sache. Dann wurde Naz befragt über seinen Namen, Stand, Alter, Familienverhältnisse u. s. w. und ob er noch nie in Untersuchung gestanden oder sonst vor Gericht etwas zu thun gehabt habe.

Naz, sich herzhaft stellend, antwortete auf alles ohne Zögern und auf die letzte Frage mit »Nein!«

Richter: »Wisst Ihr, warum Ihr hier seid?«

Naz: »Nein! Man hat mich halt einmal aus Unterhaltung eingesteckt. Mit armen Leuten kann man eben thun, was man will.«

Richter: »Wann seid Ihr heute Früh aufgestanden, an welchen Orten waret Ihr seit dem Aufstehen? Was habt Ihr seit dieser Zeit bis zu Eurer Verhaftung gethan?«

Naz: »Arme Leute müssen früh aufstehen, um sich ihr Stückchen Brot zu verdienen! So bin ich also heute vor vier Uhr schon aufgestanden, um aus dem Walde über dem Glockenhofe für uns Brennholz zu holen. Ich bin zweimal hinaufgegangen und wieder mit Holz zurückgekehrt, somit weiß das Gericht nun, wo ich bis zur Verhaftung gewesen bin!«

Richter: »Habt Ihr über dem Glockenhofe einen Eigenthumswald?«

Naz: »Das eben nicht, aber ich meine, unser Herrgott lässt das Holz für alle wachsen und arme Leute, die kein Geld haben, Holz zu kaufen, dürfen es da nicht gar so heikel nehmen mit dem Waldeigenthum! Uebrigens habe ich nur zwei kleine Stämmchen genommen. Was macht das den reichen Bauern, die uns Städter ohnedies mit den Preisen der Dinge, die sie uns zum Verkaufe bringen, genug prellen? Es ist also nicht so grob gefehlt, sich ein bisschen schadlos zu halten.«

Richter: »Und doch ist's ein Diebstahl vor Gott und dem Gesetze! – Seid Ihr aus dem zweimaligen Hin- und Rückwege niemand begegnet?«

Naz (schnell): »Nein, niemand! Es konnte übrigens wohl sein, dass jemand an mir vorbeigegangen ist und ich es in meinen Gedanken nicht beachtete.«

Richter: »Habt Ihr auch schon gehört, dass heute Vormittag gerade in dem Walde, wo Ihr waret, ein Mädchen ermordet gefunden worden ist? Ihr waret um diese Zeit dort oben – habt Ihr nichts bemerkt?«

Naz (verlegen werdend): »Ich habe davon nichts gehört. Ich hatte nicht Zeit, mich um die Stadtneuigkeiten zu erkundigen; nur wunderte es mich, dass heute die Leute in der Stadt so herumliefen und in Gruppen beisammen stehend, die Köpfe zusammensteckten und heimlich flüsterten. Da ich jedoch müde und nicht neugierig war, so gieng ich meiner Wege – unbekümmert um das, was da geredet wurde. – Auch auf dem ganzen Hin- und Herwege von und zum Walde sah ich weder eine lebendige noch todte Person. Hätte ich eine Person ermordet angetroffen, so hätte ich meine Schuldigkeit gewusst und hätte dem Gerichte die Anzeige gemacht. (Sich aufgebracht zeigend.) Uebrigens scheint mir, dass man mich gar noch in diese Geschichte hineinbringen will. Warum hätte man mich sonst in Ketten hiehergebracht und eingesperrt? Ich weiß durchaus nichts von der Sache. Das kann der liebe Herrgott bezeugen. Ich bin unschuldig und der ewige Richter wird einst meine Angeber und Verleumder strenge bestrafen. Einem armen Menschen legt man gleich alles zur Last! Da ist's nicht heikel Da ist gewiss ein liederlicher Stadtherr im Spiele, ich einmal nicht!«

Richter: »Die Leute in Hall hingegen meinen, Ihr dürftet von dem Morde etwas wissen; wenn Ihr etwas wisst oder Euer Inneres irgend einer Schuld Euch anklagt, so gesteht es offen. Ein aufrichtiges Bekenntnis erleichtert Eure Lage – darum sagt mir die Wahrheit!«

Naz: »Ich habe sie schon gesagt. Anderes kann ich nicht sagen, ohne zu lügen und lügen will ich nicht! Herr Richter, dem Volke sollen Sie nicht glauben. Sie kennen doch das böse Hallervolk. Man hasst mich und hat mich auf der Mücke – warum weiß ich nicht!«

Richter: »Also, Ihr habt nichts mehr vorzubringen?«

Naz (glaubend, seine Sache gut gemacht zu haben:) »Nein!«

Hiemit ward das erste Verhör geschlossen. Naz wurde in seinen Kerker zurückgeführt und als er wieder allein war, da studierte er die ganze Nacht, welche Fragen etwa der Richter noch an ihn richten konnte und wie er daraus geschickt und ausweichend antworten müsste; er schloss kein Auge.

Am 27. März wurde der Mörder zum erstenmale in Innsbruck verhört. Dort leugnete er zu wiederholtenmalen verschiedene Umstände, die bei seiner Missethat sehr in Betracht kamen. Erst im fünften Verhöre, welches am 5. April erfolgte, legte er, durch die ausführlichen ärztlichen Gutachten vollends überwiesen, ein unumwundenes aber keineswegs reumüthiges Geständnis ab.

Nachdem am 6. April des Jahres 1816 die Untersuchung gegen Naz geschlossen war, erfolgte am 13. April seine Verurtheilung zum Tode durch den Strang, welche vom k. k. Stadt- und Landrichter in Innsbruck ausgesprochen und am 24. April vom k. k. Appellations- und Criminal-Obergerichte für Tirol und Vorarlberg bestätigt wurde.

Da der Wüstling während der Untersuchung und selbst beim Bekenntnisse noch die kälteste Gleichgiltigkeit und stumpfste Gefühllosigkeit an den Tag legte, wies Kaiser Franz I. das vorgelegte Gnadengesuch ab und ließ durch die oberste Gerichtsstelle des Reiches am 5. Juli desselben Jahres das Todesurtheil genehmigen.

Am 15. Juli erfloss von dein k. k. Appellationsgerichte zu Innsbruck an das dortige Stadt- und Landrecht der hohe Befehl, das Urtheil unverzüglich zu vollziehen. – – –

Es ist der 1. August des Jahres 1816 angebrochen, da sehen wir um acht Uhr früh unter dem Söller des alten Gerichtsgebäudes nahe bei der Ottoburg in Innsbruck eine hohe hölzerne Bühne ausgerichtet. Eine unübersehbare Menschenmenge ist da harrend ans dem Platze versammelt; alle Fenster sind von Köpfen Neugieriger besetzt, die ihre Blicke bald nach dem Söller, bald nach dem Platze vor dem »goldenen Dachl« wenden. Eben ist der letzte Glockenschlag auf dem Stadtthurme verklungen.

»Er kommt! – Sie kommen!« ruft jetzt alles, den Blick nach dem »goldenen Dachl« hinrichtend.

Wer kommt? – Es ist Naz in Ketten mitten zwischen aufgepflanzten Bajonetten – er ist aus dem »Kräuterhause« herausgeführt worden und geht nun hin, um sein Urtheil zu hören! Er ist blass im Gesichte – das hat die Kerkerluft gethan – er schreitet ziemlich gleichgiltig an den Leuten vorbei, die Kopf an Kopf links und rechts stehen und ihre Blicke auf ihn heften. Nun steigt er hinauf auf die Bühne; alles schaut auf ihn. Da öffnen sich die Flügelthüren hinaus zum Söller oben auf dem Gerichtsgebäude. Ein Actuar und ein Rath treten heraus und blicken hinab auf die Bühne, ob der Verbrecher, dem jetzt das Urtheil gesprochen werden soll, schon da ist.

Naz ist da und blickt hinauf zu den Richtern; er trägt noch immer Gleichgiltigkeit zur Schau.

Da ergreift der Actuar das Blatt, worauf das Urtheil geschrieben steht, er beginnt zu lesen, seine Stimme zittert und ist unsicher, er thut das Ding nicht gerne. – Alles horcht, – Naz auch, und als es heißt: »Wird zum Tode mit dem Strange verurtheilt!« da durchzuckt es plötzlich den Naz von oben bis unten, als ob ihn ein Blitzstrahl getroffen hätte. Seine Gestalt wird kürzer und eingezogen.

Das Wort »Tod!« ist halt doch ein ernstes Wörtchen – es in acht den Stärksten zittern! – Naz, nun sind Deine Stunden gezählt; am 3. August, nach 9 Uhr vormittags, lebst Du nicht mehr. Zu dieser Stunde bist Du schon in der Ewigkeit; dann heißt es: »Gib Rechenschaft von Deinem ganzen lasterhaften Leben!« Zweifelst Du noch, ob es möglich ist, was Du jetzt hörst? Siehst Du nicht den gebrochenen schwarzen Stab, wie er von dem Söller herab zu Deinen Füßen hinrollt? Deine Lebenswürfel sind geworfen! – –

Wenden wir unser Auge von diesem erschütternden Vorfalle ab und betrachten wir, was später mit Naz geschah!

*

Den Verurtheilten trennen nur noch ein Tag und eine Nacht vom Tode am Galgen. Es ist bereits der Morgen des 2. August herangekommen. Der Verbrecher ist schon lange wach. Er sitzt sinnend auf seinem Strohlager im Kerker, die Ketten kreuzweise über seine Knie gelegt, Naz hat jetzt ganz andere Gedanken als es bisher zu solcher Tageszeit der Fall war. Wohl schoss ihm gestern während der Urtheils-Verlesung etwas durch den Kopf, was ihn gar eindringlich an die rechtzeitige Aussöhnung mit dem ewigen Richter mahnte. Jedoch der Eindruck hievon war kein bleibender. Der Gedanke an Tod und Ewigkeit verschwand bei Naz fast ebenso rasch, wie er daherflog. Als der Missethäter nach der Verurtheilung an den Pranger gestellt wurde, war er schon wieder der alte Naz. Mit abstoßender Frechheit blickte er fortwährend auf die vorüberziehende Volksmenge und machte sich in abscheulichen Reden besonders über die Frauenspersonen lustig, die in seine Nähe kamen. Ueber Nacht hatte sich an ihm aber eine vollständige Aenderung zum Bessern vollzogen, eine Aenderung, die ihm zum Heile bis zu seinem letzten Lebensstündlein andauerte. Als der Kerkermeister in der Frühe des 2. August in die Gefängniszelle des Naz trat, fand er ihn seufzend und weinend über all' die verübten Lasterthaten, welche fast seit zwei Jahrzehnten das Gewissen des Verbrechers belasteten. – Was war denn geschehen, dass sich Naz nun ganz umgewandelt zeigte? –

In der eben vergangenen Nacht sah sich der Mörder im Traume auf einmal am Hochgerichte und zwar schon unter der Hand des Henkers, der ihn an Händen und Füßen bereits so fest gebunden hatte, dass sich Naz nicht im mindesten rühren konnte. Naz fühlte ganz deutlich, wie ihm plötzlich ein Tuch um die Augen gebunden und dann die Todesschlinge um den Hals gelegt wurde. Ein paar Sekunden später verspürte er zu seinem Schrecken, dass der Boden unter seinen Füßen schwand und dann sogleich seine Kehle aufs heftigste zugeschnürt wurde. Er rang krampfhaft nach Athem, aber vergebens – – – –. Im nächsten Augenblicke stand er bereits vor Gottes Richterstuhl. Er sah den Ewigen in kurzer Entfernung vor ihm auf dem Throne sitzen, umgeben von seligen Geistern. Ein paar Flammenblitze leuchteten ihm aus den Augen des erzürnten Weltenrichters entgegen; dann wurde es auf einmal finster. – Naz war geblendet. Er hörte hierauf ganz deutlich, wie ihn eine große Engelschar voll heiligen Zornes seiner erschreckenden Menge von schweren Sünden anklagte. Es waren die Schutzengel jener Unglücklichen, welche er entweder durch seine entsetzlich unkeuschen Reden auf den Weg des Verderbens geführt oder gar durch rohe Gewaltthat zur Preisgebung des so kostbaren Schatzes der hl. Unschuld und Jungfräulichkeit gezwungen hatte. An sein Ohr drang dann plötzlich der schauerliche Verdammungsruf des Ewigen. Und kaum war dieser furchtbare Ruf ausgeklungen, da fühlte sich Naz schon von einer Menge unsichtbarer Hände ergriffen und durch die Lüfte getragen. Seine Augen sahen wieder. Es gieng pfeilschnell dem höllischen Abgrund zu, aus dessen Tiefen ihm ein grässliches, unabsehbares Feuermeer und eine noch grässlichere Flut von Verwünschungen und Flüchen entgegenbrauste. Die Verwünschungen und Flüche kamen aus dem Munde jener Verdammten, an deren ewiger Verwerfung er sich schuldig gemacht hatte. Schon war Naz dem Sturze in das Flammenmeer nahe, da erwachte er. – Aber was sah er nun in der Wirklichkeit? –

Er fand seine Gefängniszelle von herrlichem Lichtschimmer erfüllt. Nahe vor ihm schwebte Trautl, in strahlend weiße Gewandung gehüllt, mit einem goldenen Kranze auf dem Haupte und einer Märtyrerpalme in der Rechten. Sie sprach zu ihrem Mörder mit eindringlichem Ernste: »Bereue heute noch Dein Lasterleben und flehe die Barmherzigkeit Gottes Um Verzeihung an. Der Herr wird Dir vergeben, wie ich Dir vergeben habe! Säume nicht länger mit Deiner Bekehrung; denn heute läuft die Gnadenfrist für Dich ab!« Nach diesen Worten verschwand Trautl und mit ihr auch der Lichtglanz aus der Zelle. – Naz war von all' dem, was er im Traume und in der Wirklichkeit gesehen und gehört hatte, bis auf's Innerste ergriffen. Es litt ihn nicht länger mehr im Bett. Er kleidete sich hastig an und begann dann reuigen Herzens sein Sündenleben zu durchforschen. Naz war nämlich fest entschlossen, noch im Verlaufe des Vormittags sich mit feinem Herrn und Gott im heiligen Bußgerichte auszusöhnen und wollte sich schon jetzt auf die hl. Beichte nach Kräften vorbereiten. Als der Kerkermeister zu ihm kam, trug er demselben als erste Bitte vor, möglichst bald einen Priester zu rufen. Der Gefängniswärter willfahrte gerne diesem Wunsche des Naz und ließ auch sogleich die Zelle der Würde des hl. Bußsacramentes entsprechend in Stand setzen.

Nach einem Priester brauchte man nicht lange zu suchen; denn es trat soeben in das Gefangenhaus ein weit und breit bekannter und als Beichtvater bei Hoch und Nieder gleich beliebter Servitenpater. Derselbe war ein freundlich lächelnder Mann, dem die Herzensgüte auf dem Antlitze geschrieben stand. Man hieß ihn allgemein nur den Pater Benizi.

Es war Pater Benizius Mayr, den Studenten ein geliebter Professor, den Kranken ein süßer Tröster, den Armen und Bedrängten ein besorgter Helfer und Berather in ihren Nöthen, den Sündern ein milder Beichtvater und auf der Kanzel ein salbungsvoller Prediger von geradezu hinreißender Wirkung.

Pater Benizi, ein gebürtiger Haller, hatte in den letztverflossenen Tagen mit Schmerzen gehört, dass sein Landsmann, der Bugazi, hartnäckig jeden geistlichen Beistand zurückwies. Er verließ heute morgens bekümmerten Herzens sein Kloster, um zu versuchen, ob er die Seele des Verurtheilten wenigstens noch in der letzten Stunde zu retten vermöge. Der eifrige und besorgte Priester ahnte, als er dem Kräuterhause zuschritt, nicht im mindesten die Sinnesänderung, welche sich in der eben vergangenen Nacht an Bugazi vollzogen hatte.

Wie freute er sich nun über die Kunde, dass Naz heute so sehnlich nach einem Beichtvater verlangte! Er stieg rasch mit dem Kerkermeister zum Gelass empor, wo der reumüthige Verbrecher verwahrt wurde.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sprach Benizi freundlich bei seinem Eintritte in die Zelle des Naz.

»In Ewigkeit, Amen!« antwortete der Gefangene mit sichtlicher Freude über den so schnell erhaltenen geistlichen Besuch.

»So muss ich also meinen Landsmann da treffen!« fuhr der Pater fort. »Ist mir gar unlieb; doch verzagt deswegen nicht, es kann und wird sich alles noch zu Eurem Besten richten. Ich meine, es ist am besten, wir machen uns mit dem lieben Herrgott bekannt; lassen wir die Welt Welt sein, einmal müssen wir doch fort, meint Ihr nicht auch, Naz? Ich will Euch schon helfen, Ihr werdet sehen, es geht leichter, als Ihr es Euch vorstellt; ich habe schon so manchem, der da glaubte, es sei um ihn auf ewig geschehen, noch den Weg zum Himmel gewiesen und Euch thue ich es doppelt gerne, ich habe die Haller ja besonders lieb, auch wenn sie hie und da vom rechten Wege abirren. Gerade die ärgsten Sünder suche ich am liebsten auf. Hat dies ja der göttliche Heiland selbst mir durch sein Beispiel zur Pflicht gemacht.«

Dem Naz that diese Rede des Pater Benizi gar wohl. Es freute ihn, dass er keine Vorwürfe erhielt.

Nun blieben die Zwei lange allein beisammen. Was die Beiden da miteinander sprachen, ist nur dem Allwissenden bekannt. Dass Bugazi wahrhaft reumüthig das hl. Bußsacrament empfieng, konnte man nach der hl. Beichte aus seiner ganzen Haltung und aus folgendem Umstande entnehmen. Der Verbrecher war nämlich nicht zufrieden, die Verzeihung seines ewigen Richters erfleht zu haben, er wollte auch alle, welchen er durch seine früheren Lasterthaten ein Leid zugefügt oder Aergernis gegeben hatte und besonders die Familie Angerer, die er in so große Trauer gestürzt hatte, um Vergebung bitten und da er dies selbst nicht mehr thun konnte, so stellte er inständig an seinen Beichtvater das Ansuchen, die nöthigen Schritte zu machen, um die ersehnte Verzeihung zu erwirken. Pater Benizi erfüllte gerne diesen Wunsch des Naz, soweit es ihm möglich war. Er stieg auch noch am Nachmittag des 2. August hinauf zum Angererhof und bat dort alle Familienmitglieder vom Aeltesten bis zum Jüngsten im Namen des Naz so herzlich um Verzeihung, dass alle zu Thränen gerührt wurden, nur das kleine Mariele nicht, welches die Sachlage zu wenig begriff. Das sechsjährige Mariele – das jüngste Kind des Angererbauern – konnte es gar nicht verschmerzen, dass der Naz der Trautl das Leben genommen hatte. Auf die Frage des guten Pater Benizi, warum sie denn nicht verzeihen wolle, antwortete die Kleine in ihrer Einfalt: »Die Trautl hat mir immer etwas Gutes von der Stadt heimgebracht und jetzt bekomm' ich nichts mehr!« Der Pater lächelte über diese drollige Antwort Marieles und dachte sich, das Kind wird, wenn es verständiger geworden ist, dem Bugazi wohl umso inniger verzeihen. Und in dieser Annahme täuschte sich Benizi nicht. Als das Mariele größer und gescheidter geworden war, verzieh es dem Mörder Trautl's so recht von Herzen und weinte gar oft darüber, dass es gegenüber den Bitten des Paters Benizi so halsstarrig gewesen war. Auch zu Maria Noar gieng der seeleneifrige Priester. Er traf die Jungfrau sterbend an. Dass sie dem Naz gerne verzieh, brauchen wir wohl nicht eigens zu sagen.

*

Der 3. August des Jahres 1816, der letzte Lebenstag für Bugazi, war herangekommen. Pater Benizi trat in aller Frühe in die Zelle des Verurtheilten und bereitete ihn auf den Empfang der hl. Communion vor. Hierauf las er in der Gefangenhauskapelle die hl. Messe und reichte seinem Beichtkinde die heilige Wegzehrung zum bevorstehenden schweren Gange in die Ewigkeit. Mit tiefer Andacht empfieng Naz den Leib des Herrn. Nach der hl. Messe betete Benizi mit seinem Landsmann gemeinsam die Danksagung für die unendliche Erbarmung, womit der dreieinige Gott einem verabscheuungswürdigen Verbrecher noch kurz vor dem Tode eine Fülle von Gnaden zutheil werden ließ. Dann kehrten beide in den Kerker zurück und nahmen das Frühstück ein. Hierauf ermunterte der Pater den Naz zur geduldigen und bußfertigen Ertragung der Todesstrafe, welche um 9 Uhr vormittags vollzogen werden sollte.

»Schau', mein Lieber!« so sprach Benizi unter anderem, »der Herr führt Dich nun zwar auf einer harten aber für Dein Seelenheil sicheren Straße zum Himmel. Er führt Dich den gleichen Weg, den er selbst mit dem rechten Schächer gegangen ist. Der Tod am schmählichen Kreuzesgalgen hat diesem großen Sünder die Pforten des Paradieses eröffnet. Das Gleiche darfst auch Du hoffen. Erschrick nicht über die gewiss schimpfliche Art, in der Du aus dem Leben scheiden musst. Erwäge, dass es weit besser ist, von der Richtstätte aus in den Himmel, als vom Bette weg zur Hölle zu fahren und blick' hin auf Deinen Herrn und Erlöser, der wie einer der größten Verbrecher sein Kreuz auf den Richtplatz schleppen und zwischen zwei Mördern unter dem Hohn und Spott und den Verfluchungen und Verwünschungen seiner Feinde sterben musste. Ueber Dich wird man weder spotten noch fluchen, sondern im Gegentheil. So manche Thräne des Mitleides wird für Dich fließen und zahlreiche Gebete und hl. Messopfer werden für Dich dargebracht. Lass Dich nicht ängstigen durch die Gedanken an die schmerzliche Hinrichtung. Frage Dich: ›Was habe ich bis jetzt verdient und was kann ich nun verdienen?‹ Und Du wirst Dir dann die Antwort geben müssen: ›O, ich habe ewige unaussprechliche Peinen verdient und Gott will sich nun mit etlichen Augenblicken des Leidens begnügen. Durch Geduld und Ergebenheit in seinen heiligsten Willen während dieser paar Augenblicke kann ich mir unaussprechliche Freuden verdienen!‹«

Unter solchen trostreichen Zusprüchen wurde Naz immer gefasster auf den Tod. Da wurden draußen an der Gefängnisthüre plötzlich die Riegel zurückgeschoben und es trat zu den zwei Landsleuten noch ein dritter, ein etwas unheimlich dreinschauender Mann, dessen Augen fortwährend blinzelten.

»Ach, der Puzi!« sprach Bugazi, dem Manne entgegengehend und ihm die Hand zum Gruße reichend; er kannte ihn.

Es war der Scharfrichter Putzer, der eigens aus Meran zur Vollziehung des Todesurtheils an Naz berufen und auch ein Haller war.

»Ist mir unlieb,« sprach Puzi, »dass wir so wieder zusammentreffen mussten und dass ich und nicht der Tod Dich abthun muss. Das hätte ich nicht gedacht, aber es ist mein Amt und meine Pflicht. Du hältst es mir wohl nicht für übel, ich habe Dich nicht verurtheilt!«

Bugazi: »Du oder ein anderer, ist mir gleich, aber martere mich nicht lange!«

Puzi: »Gib die Hände her, lass Dir die Ketten abnehmen und Dich binden!«

Bugazi: »Schnüre doch nicht gar so fest – muss das sein? Ich laufe Dir ja nicht davon!«

Puzi: »Ja, so will es das Gesetz, welches ich nicht gemacht habe. Brechen wir auf in Gottes Namen, nicht wahr, Pater Benizi, es muss doch einmal sein, und darum besser schnell. Die Gerichtsherren warten schon auf uns.«

Benizi: »So wollen wir Drei uns zusammen auf den Armensünderkarren hinaufsetzen!«

»Wir Haller,« setzte er lächelnd bei, »wir müssen zusammenhelfen. Hoffentlich sehen wir uns doch im Himmel einst alle wieder!«

Da saßen nun die drei Landsleute oben auf dem Armensünderwäglein: Bugazi rechts, Benizi links, Puzi, der Henker, hinter Bugazi, ihn an einem Stricke haltend.

Bald waren die Drei am Prügelbau, dem damaligen Richtplatze, angelangt. Von der Johanneskirche her ertönte plötzlich das Armensünderglöcklein in langsamen, traurigen Schlägen. – Naz hörte lebend für sich das Sterbeglöcklein läuten. Wie war da alles auf einmal so schauerlich still; wie hallten die ernsten Töne des Glöckleins in eines jeden Brust wieder!

Nach einer Viertelstunde hieng Bugazi als Leiche am Schandpfahle. Pater Benizi hielt, neben dem Gehängten stehend, folgende Ansprache an die versammelte Volksmenge: »Es führten die Pharisäer und Schriftgelehrten einstens ein Weib zu Jesus, das bei der Untreue ertappt worden war, und stellten es in die Mitte des um den Herrn versammelten Volkes. Darauf klagten sie die Frau vor Jesus der verübten Sünde an und fügten hinzu: ›Moses hat uns im Gesetze geboten, solche Sünder zu steinigen. Was sagst denn Du?‹ So thaten und sprachen sie, um Jesus einen Fallstrick zu legen und ihn anklagen zu können, wenn er nicht so wie Moses urtheilen würde. – Der Herr aber bückte sich zur Erde und schrieb mit dem Finger in den Sand. – Als die Schriftgelehrten und Pharisäer ihre Frage wiederholten, richtete sich der Herr auf und sprach: ›Wer aus Euch ohne Sünde ist, der werfe zuerst den Stein auf das Weib!‹ Auf diese Worte hin gieng aber einer nach dem andern – die Obersten zuerst – hinweg. Jesus ward allein gelassen und auch das Weib, das in der Mitte gestanden. Der Heiland sprach dann zum Weibe: ›Wo sind die, welche Dich anklagten? Hat Dich keiner verdammt?‹ Die Sünderin antwortete:›Herr, keiner!‹ Da sagte Jesus: ›Auch ich will Dich nicht verdammen. Geh' und sündige in Zukunft nicht mehr!‹

Hier, meine Lieben, hängt ein Verbrecher! ›Wer unter uns getraut sich, den ersten Stein auf denselben zu werfen?‹ So sollen wir uns selbst beim Anblicke dieses Gehängten fragen und wenn wir aufrichtig sein wollen, so müssen wir ebenso schweigen, wie vor Zeiten die Pharisäer und Schriftgelehrten. Dieser Unglückliche hängt vor uns zum warnenden Beispiel da und damit wir auch eindringlich erwägen, wie weit es mit einem Menschen kommen kann.

Dieser Verbrecher hat ein Lebensalter von 34 Jahren erreicht. Wir alle, meine Theuren, haben mit der nämlichen bösen Begierlichkeit zu kämpfen, wie es bei ihm der Fall war. Wenn wir so wie er der bösen Lust nachgeben, so kann es leicht zutreffen, dass wir nach 34 Jahren auch am Galgen aufgeknüpft sind, wie dieser hier.

Ich will Euch in der jetzigen ernsten Stunde, meine Wertesten, nur Folgendes aus dem Leben des Gehängten zur Betrachtung vorführen: Unterlassung des Gebetes und Umgang mit Menschen, die vom christlichen Glauben und christlicher Sitte stets nur mit Hohn und Spott sprachen und ein wahrhaftes Lasterleben führten, haben den Unglücklichen hiehergebracht. Durch die Unterlassung des Gebetes beraubte sich der Hingerichtete selbst der nöthigen Gnaden, die ihm der barmherzige Gott jederzeit zur siegreichen Bekämpfung der schlimmen Leidenschaften und zur Meidung schlechter Gesellschaft bereit hielt. Durch den Umgang mit lasterhaften Menschen wurde bald sein Herz so verroht und sein Gewissen so abgestumpft, dass er auch vor den schändlichsten Sünden nicht zurückschreckte. Entsetzlich ist die Geschichte der Missethaten, schauderhaft die Kette der Sünden, die er im Laufe der Jahre bis zu seiner letzten furchtbaren Greuelthat begieng. Haarsträubend war die Frechheit, mit der er wiederholt die grässliche Ermordung der keuschen Jungfrau Gertraud Angerer leugnete!

Dieses neunzehnjährige, fromme Mädchen fiel wohl der Mörderhand, nicht aber der teuflischen Sündenlust des Gehängten zum Opfer. Wie die hl. Märtyrinnen der ersten christlichen Zeiten, so blieb Gertraud Angerer standhaft gegen die Todesdrohungen des Wüstlings, der ihr den kostbaren Schatz der Unschuld und Jungfräulichkeit rauben wollte. Sie hielt lieber die voll Wuth geführten Streiche mit dem scharfen Schlagring aus, ja sie ließ sich lieber den Kopf mit der Axt spalten, als dass sie auch nur einen Finger breit vom Wege der Tugend abgewichen wäre.

Ich hoffe es, dass der Gehängte einmal im Himmel zusammenkommt mit dieser heldenmüthigen Märtyrin der Unschuld; denn er beweinte doch in den letzten Stunden seines Lebens unter aufrichtigen Reueseufzern alle seine verübten Verbrechen und starb auch bußfertigen Herzens. O, wie wird er jetzt im Jenseits drüben den Wert der heiligen Keuschheit schätzen, welche das tugendhafte Mädchen Gertraud drunten im Tulferwalde für Zeit und Ewigkeit unversehrt bewahrt hat!

Meine Lieben! Dieser Mann ist hier aufgehängt zum abschreckenden Beispiel für uns und zur irdischen Sühne der That, wodurch er sich am 23. März dieses Jahres unwürdig machte, noch weiterhin unter der menschlichen Gesellschaft weilen zu dürfen. Was sollt ihr angesichts der heute erfolgten Urtheilsvollstreckung thun? O, Eltern, fasst den festen Vorsatz, die euch anvertrauten Kinder fortan eifrig zum Gebete anzuhalten und sie vor schlimmen Genossen zu bewahren und vor allem ihnen durch gutes Beispiel vorzuleuchten! Jünglinge und Jungfrauen, die ihr vielleicht oft schon durch unkeusche Reden euch aufgemuntert habt zum Laster, schaut hin auf den Gehängten und bessert euch! Und ihr andern, die ihr bis jetzt getreu die heilige Tugend der Keuschheit bewahrt habt, seid auch in Zukunft eifrige Hüter eurer Sinne und eures Herzens vor dem Gifte des Lasters.

Lasst uns nun alle nach Hause gehen mit dem Entschlusse, nie die Wege einzuschlagen, welche dieser Verurtheilte und Hingerichtete während so vieler Jahre seines Lebens gewandelt ist. Gedenket, meine Lieben, der armen Seele dieses Menschen öfters im Gebete und vergesst nicht das herrliche Tugendbeispiel der frommen Jungfrau Gertraud Angerer, die jetzt im Himmel vereint ist mit Millionen von Märtyrern und einen unbeschreiblichen Lohn für ihren heiligen Opfertod genießt. Mögen wir diesen Lohn einstens alle seligen Auges schauen! Amen.«

Hiemit schloss Pater Benizi, betete dann noch fünf Vaterunser und Ave Maria und kehrte hieraus ernst heim in seine Zelle. Viele Umstehende traten aber vor die Leiche hin und warfen auf das am Boden ausgebreitete schwarze Tuch ein reichliches Almosen zur Aufopferung von hl. Seelenmessen für Bugazi.

Als die Abenddämmerung einbrach, verscharrte Puzi mit ein paar Gehilfen die Leiche des Naz unter dem Galgen.

Er ist auch in sich gekehrt. Die Worte, welche der Pater Benizi, im Anblicke des Gehängten, zu Hunderten von Menschen mit Donnerstimme sprach, waren – so eindringlich, so ernst gewesen!

Naz hatte nun sein Verbrechen vor der weltlichen Gerechtigkeit gebüßt, auch vor Gott, so hoffen wir.


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