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Ahne

Das Verhängnis aber, das auf dem Winterkönigspaar gelastet hatte, wirkt sich in den Kindern beinahe ebenso stark aus. Fast alle versprühen sie ihr wildes Leben in Unrast und Heimatlosigkeit, verknattern und verirrlichtern in der Fremde und müssen karg bemessenes Brot von fremdem Tische essen. Zwölf Kinder hat Elisabeth geboren, und von diesen zwölf ertrinkt, wie gesagt, der Aelteste, Philipp fällt in fremdem Dienst bei Réthel und wird nie aufgefunden und verschwindet in einem unbekannten Massengrabe. Rupprecht verblutet sich seelisch und zermürbt im Kampfe gegen Cromwell an Seiten seines Stuart-Oheims Carl, der den Schafottod stirbt, Moritz ist seefahrend verschollen, Eduard endet träge und verfettet und bereit zu jedem Kompromisse in Frankreich. Von den Töchtern stirbt die zarte Henriette vorzeitig nach kurzer, wenig glücklicher Ehe in Ungarn an den Grenzen der Zivilisation, Louise Hollandine, nach wilden Liebesgeschichten und angeblich nach zwölfmaliger außerehelicher Schwangerschaft, stirbt als Aebtissin des Klosters Maubuisson in Frankreich, Elisabeth als Domina der protestantischen Abtei Herford. Auch bei Ludwig, der im Westfälischen Frieden die verwüstete Pfalz zurückerhält, wird das unselige Erbteil der Mutter sich melden – seine Ehe ist vom ersten Tage an zerrüttet, er wird sich außerdem des pfälzischen Erbteiles nie recht sicher fühlen. Und nur an der 1630 in tiefer Armut der Eltern geborenen Sophie erfüllt sich eine alte dunkle Weissagung, die ihrer Mutter auf der Schicksalsreise nach Prag tief im Dunkel der oberpfälzischen Wälder eine Zigeunerin gegeben haben soll: ›sie werde mit einem ihrer Kinder einst die Stammutter mächtiger Könige werden‹. In der Tat hat Sophie ihren Sohn als George I. auf dem Thron von England, in der Tat hat sie Friedrich von Preußen sozusagen noch in der Wiege liegen sehen. –

Sophie steht in der Mütterreihe des großen Königs an seltsamer Stelle. In ihrer Kindheit ist noch die Erinnerung an das alte gotische Reich Maximilians und Karls V. lebendig gewesen, in ihrem Elternhaus geht noch der blutige Schatten der Maria Stuart um. Da sie aber uralt wird, das Ende Louis XIV., die Episode Karls XII., das Aufleuchten des preußischen Königtums erlebt, so sieht sie mit ihren klugen und allezeit weit geöffneten Augen in eine Periode hinein, die mit ihren Problemen fast schon die unsere ist. Es bewahrheitet sich an dieser kühlen und stolzen Frau die schon oben gemachte Feststellung, daß das Erbgut eines Geschlechtes für Generationen unsichtbar werden kann, bis es plötzlich wieder einmal verstaubte Särge sprengt und bis sichtbarlich und schaurig die Gespenster vermoderter Jahrhunderte unter den Lebenden wandeln. Dem alten Liede der Stuarts werden wir erst bei Sophies Kindern, im Königsmarck-Skandal und in den leidenschaftlichen Intrigen von Friedrichs Mutter begegnen … ja, schaudernd werden wir später feststellen, daß auch jene ehebrecherische Dänenkönigin Karoline Mathilde, um deretwillen 1722 Struensee auf dem Schafott verblutete, zur Nachkommenschaft der Stuart-Enkelin Sophie gehört …

In ihr selbst aber schweigt die Stimme des Stuart-Blutes – sie ist der strikte Gegenspieler des mütterlichen Clans. Wo mit den Stuarts immer Herz und Gemüt und vor allem die unbändige Sinnlichkeit durchgehen, behält Sophie allezeit ihren nüchternen und scharfen Blick … ja, sie kann in ihren zahllosen Briefen kühl bleiben bis zur Unerträglichkeit, und sie ist kraft dieser Eigenschaft den weiten Weg gegangen von den ärmlichen Zimmern und den dürftig beschickten Tafeln des Elternhauses bis zu den reicheren der hannoverschen Kurfürsten und bis zu der glanzvollen geschichtlichen Stellung als Urmutter der preußischen und englischen Könige. Als reife Frau hat sie Memoiren geschrieben und lächelnd zurückgeblickt auf jenen wunderlichen Hof im Haag, und wir sind ihren kritischen Aeußerungen über ihre so ganz anders geartete Mutter schon begegnet. Den heißblütigen Geschwistern gilt die bleichsüchtige und in ihrer Jugend wahrscheinlich nicht eben anmutige Schwester sozusagen als verstandeskühle Gouvernante, man fürchtet ihre spitze Zunge und wohl auch ihre handgreifliche Art, und die Memoiren verzeichnen eine etwas derbe und wohl auch etwas unappetitliche Episode, wo sie einem zudringlich werdenden Oranienvetter ein in den Nachtstuhl der Mutter getauchtes Taschentuch um die Ohren schlägt. Als unbeirrbarer Rationalist läßt sie sich auf ihrer italienischen Reise eine angeblich in Fleisch verwandelte Hostie zur näheren Untersuchung vorweisen und gibt sie erst wieder zurück, als sie in dem angeblichen Fleisch einen Fetzen roten Wachstuches erkannt hat – von ihrem ersten Bräutigam verzeichnet sie bei der Entlobung kühl: ›ihn habe bei seinem venetianischen Aufenthalt eine italienische Kurtisane in einen für das Heiraten sehr wenig geeigneten Zustand versetzt.‹ Als sie später mit ihrem Gatten in Heidelberg einer Hochzeit beiwohnt, erhält das Tagebuch folgende Eintragung: ›Der prinzliche Bräutigam, der sehr einfach erzogen war, bat den Herrn Herzog (Sophiens Gatten!), ihm beizustehen in Sachen, wovon er nichts verstand. Es scheint aber, daß er ein schlechter Schüler gewesen ist, denn seine Gattin ist nie schwanger geworden.‹ So verhält es sich mit dieser eiskühlen, hochmütigen und handfesten Frau, die Friedrichs Urgroßmutter geworden ist. Sie weiß jedenfalls, was sie will. Sie wird es ihr ganzes wechselvolles Leben lang wissen.

Natürlich schafft in diesem stolzen Gemüte die Dürftigkeit der eigenen Jugend, die Heimatlosigkeit und die Aussichtslosigkeit einer bettelarmen Prinzessin genau wie später bei der arm nach Bayreuth verheirateten Schwester Friedrichs einen ›Minderwertigkeitskomplex‹, der durch allerlei Illusionen über die eigene Begehrtheit ›überkompensiert‹ wird; natürlich erscheint auch in diesen Tagebüchern (genau wie später bei ihrer Urenkelin Wilhelmine von Bayreuth) jener typische Prinz of Wales, der todunglücklich war, weil er im einen Falle Sophie, im anderen Wilhelmine von Preußen nicht heiraten konnte, und soviel Walesprinzen, wie sie in der Phantasie armer deutscher Barockprinzessinnen als Freier auftauchten, hat es in der ganzen englischen Geschichte nicht gegeben. Sophie wird so wenig Prinzessin of Wales wie später Wilhelmine, sie hängt aber im Gegensatz zu ihrer Urenkelin (die in ihrem armen Bayreuth diese nur beinahe zustande gekommene englische Heirat nie vergessen kann!) ihr vernünftiges und resolutes Herz nicht an Chimären, und das ewige ›beinahe‹ und ›hätte‹ und ›möchte gern‹, das uns heute die Memoiren von Friedrichs Schwester so ungenießbar macht, existiert in ihrem von Kindesbeinen an zielbewußten Leben nicht. Am allerwenigsten in ihrer denkwürdigen Heiratsgeschichte …

Ich weiß nicht, über wieviel deutsche Miniaturländer sich hundert Jahre später der Freiherr vom Stein so ärgert, ich glaube eben zum Verständnis des nun Folgenden daran erinnern zu müssen, daß wir ja Flächenmaße nach derjenigen Zeit beurteilen, in der wir diese Flächen durcheilen, und daß damals etwa Württemberg, das wir heute von Nord nach Süd in vier Stunden im Schnellzug durchmessen, schon deswegen als Großmacht erscheinen mußte, weil man, es zu durchqueren, ebensoviel Tage brauchte. Der Herzog Georg aus dem alten Hause der Welfen hat zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts seine Länder in der Weise unter seine Söhne verteilt, daß Christian Ludwig in Celle und Lüneburg den reicheren und größeren Anteil, der zweite aber Hannover und Kalenberg erhält, während die beiden jüngeren, Johann Friedrich und Ernst August, leer ausgehen und apanagierte Prinzen mit sehr dürftigem Einkommen und vermutlich hohen Ansprüchen bleiben. Als nun in Celle Christian Ludwig stirbt, verläßt Georg Wilhelm Hannover und folgt in dem reicheren Celle, in Hannover rückt der bislang landlose Johann Friedrich zum regierenden Fürsten auf, während Ernst August in Osnabrück, wo diese Würde nach einer ziemlich wunderlichen Bestimmung des Westfälischen Friedens zwischen Katholiken und Protestanten wechselt, als ›Bischof‹ Hof hält. Als aber 1679 auch Johann Friedrich ohne männlichen Erben stirbt, gibt es ein neues ›Stühleverwechseln‹, und Ernst August wird Herzog und später durch eine höchst kluge Politik sogar Kurfürst von Hannover.

Ich griff notwendigerweise der größeren Klarheit halber mit diesen Dingen, die mit dem beispiellosen Aufstieg eines armen Prinzen auch Sophiens Lebensweg kennzeichnen, den Ereignissen ihrer Jungmädchenzeit und vor allem ihrer höchst instinktsicheren Heirat voraus …

Im Jahre 1650 ist Sophie vom Haag an den Heidelberger Hof des Bruders, der die arme Schwester natürlich versorgen will, gekommen, im Jahre 1658 kreuzen der zweite und der vierte dieser Welfenbrüder, Georg und Ernst August, italienreisend bei einem Heidelberger Aufenthalt Sophiens Weg, im gleichen Jahre kommt zunächst ihre Verlobung mit Georg Wilhelm zustande, der damals in Hannover regiert und mithin für die damalige Welt schon ein bedeutender Fürst ist.

›Zunächst.‹ Denn lange dauert diese Verlobung mit dem urnoblen, aber eben etwas weichen Georg Wilhelm nicht. Beide Brüder nämlich setzen ihre Reise nach Venedig fort, und eben dort – siehe oben – versetzt nach Sophiens bissiger Bemerkung eine Kokotte (an der zudem, nach ihrem maliziösen Tagebuch, ›nur die Kleider schön gewesen sein sollen‹) den armen Georg Wilhelm in ›einen für eine Ehe recht wenig geeigneten Zustand‹, und ›der Herr Herzog‹, so notiert Sophie, ›befindet sich fortan in Sorge, wie er in Ehren den getanen Schritt wieder rückgängig machen könnte. Es fiel ihm ein, seinen Herrn Bruder Ernst August mir als sein anderes Selbst vorzuschlagen. Zugleich mit mir bot er ihm alle seine Staaten an unter der Bedingung, daß er ihm eine genügend große Pension hinterließe, um seine Neigungen befriedigen zu können.‹

Soweit Sophie in ihrem Tagebuch über diesen seltsamen Tauschhandel, bei dem sie als Braut aus der Hand des einen in die des anderen Bruders überging – man hat es wahrhaftig mit keiner sentimentalen Dame zu tun! Daß sie sich zu diesem Tausch willig hergab, verriet übrigens nur ihren höchst sicheren Weiberinstinkt: Georg Wilhelm ist der weiche, der ewig ›gute Kerl‹, dem das Leben, wäre er nicht vor ihm durch Schloßmauern geschützt gewesen, sein Hab und Gut Stück um Stück entrissen hätte – er wäre, wie gesagt, kaum der richtige Mann für dieses lebenstüchtige und ehrsüchtige Mädchen gewesen! Der Vertrag, der zwischen den beiden Brüdern zustande kommt, ist einer der seltsamsten, den Brüder je schlossen …

Nach deme ich eine hohe Notwendigkeit, zu sein Ermessen, wann zu forderst dahin gedacht werde, wie unser Haus in dieser Linie mit erben versehn und auf die nachkommen propagiert werden möge: so habe ich mir vor meine Person zu keiner Heurat jemahls auch bis dato nicht verstehen können noch wollen, sondern vielmehr meinen bruder Ernst Augustus dahin vermocht, daß er sich entlich erkläret, dafern ich in favor seiner und seiner männlichen erben, einen schriftlichen schein, mich nimmer zu verheuraten, unter meiner eigenen hand und siegel heraus stellen würde, er sich als dan resoluiren wollte fürterlichst und ungeseumt zu der heiligen ehe zu schreiten und also wahrscheinlich landt und leute hienigst mit erben zu erfreuen. Wie dann zwischen ihn und mir solches mit mehrerem verabredet worden.

Weil dann nunmehr mein bruder Ernst Augustus sich aus oben abgeregten ursachen mit Se. Liebden der Prinzessin Sophien in ein ehegelübnis eingelassen, solches auch durch die copulation in kurzem zu vollziehen entschlossen ist, so habe ich meiner gegebenen parole zufolge wie auch aus eigener bewegniss und gantz freyem willen, vorerwehnten bruder krafft dieses nochmals festiglich Zusagen und versprechen wollen, verspreche auch meiner ehren und wahren Worten, daß solange mein bruder und gedachte prinzessin im leben und ehestandt sein werden, oder auch nach ihrem absterben männliche kinder hinter sich lassen würden, ich mich keineswegs in eine heurat mit jemandt einlassen will, begehre auch nicht anderst, denn die noch übrige Zeit meines lebens in coelibatu hinzubringen, damit also mehr erwehnter Prinzessin und meines bruders männliche erben, als in deren favor diese renuntiation eigentlich geschieht, zu einer oder beider dieser fürstenthümer regierung gelangen und kommen mögen. Dessen beider zu wahrer und mehrer versicherung habe ich diese renuntiation mit eigener Hand selbst schreiben und unterschreiben wollen und mit einem pitschaft untersiegelt und wohlbedechtig meinem bruder zu seiner Verwahrung herausgestellt.

Hannover, 11/21 April anno 1658

Georg Wilhelm, Hertzog.

Das bedeutet: ›Ich verpflichte mich, nicht mehr zu heiraten, ich verpflichte mich, Dir meine Länder zu vermachen‹. Ein ›letzter Wille‹ aber kann morgen bekanntlich kraft eines neuen Entschlusses zu einem ›vorletzten Willen‹ werden, und die Verpflichtung zum Zölibat ist schließlich etwas, was weder nach damaligem noch nach heutigem Rechte ›einklagbar‹ gewesen wäre, wenn der ›Célibatair‹ plötzlich einem sehr anziehenden weiblichen Wesen begegnet und alle seine guten Vorsätze zum Fenster hinausfliegen! Auf Deutsch: dieser feierliche und mit allen Schnörkeln des Amtsbarock aufgesetzte Staatsakt hat allenfalls den Charakter eines ›gentlemens agreement‹, er hat nur eben nicht den Charakter einer wirklich rechtsverbindlichen Urkunde. Als Georg Wilhelm ihn aufsetzte, war er ganze zweiunddreißig Jahre alt, und wenn ein Mann in diesem Alter sich zur Ehelosigkeit verpflichtet, wird man, wofern es sich nicht um einen Trappistenmönch handelt, gut tun, sich mit einiger Skepsis zu wappnen und den natürlichen Verlauf der Dinge abzuwarten. Ein ›gentlemens agreement‹ lag hier wirklich vor, denn wenn es je in der Geschichte zwei Brüder gegeben hat, die Gentlemen bis zum letzten Atemzuge waren, so sind es diese beiden gewesen – unbeschadet all der kleinen Schönheitsfehler, die auch in ihrem Leben aufspürbar sind. Wofern man durchaus danach suchen will.

Erklärlich ist dieser tolle Kontrakt wohl auch durch die verhaltene Zärtlichkeit, die zwischen den beiden ehemaligen Brautleuten, Sophie und Georg Wilhelm, hie und da immer wieder hervorbricht … es wird wohl hier wie in zahllosen anderen Fällen so gewesen sein, daß die starke, kluge Stuart-Enkelin die tiefe Wehr- und Hilflosigkeit des einstigen Bräutigams erkannte und ihn dann eben bemutterte – wir werden sehen, daß sie bei noch viel heikleren Verträgen Hebammendienste geleistet hat. 1658 heiratet sie jedenfalls in Heidelberg unter Kanonendonner und inmitten eines für den verarmten Hof fast unziemlichen Aufwandes ihren ›cadet des cadets‹ (so nennt sie selbst einmal in ihrem Tagebuch einen armen apanagierten Prinzen). 1660 gebiert sie ihm jenen Georg Ludwig, der einmal als Georg I. englischer König und Großvater des Siegers von Leuthen werden wird; 1661 endet für das junge Ehepaar (das bislang in Hannover Gast des ehemaligen Bräutigams Georg Wilhelm gewesen ist) die Heimatlosigkeit insofern, als der Bischof von Osnabrück, Kardinal v. Wartenberg, stirbt und Ernst August, als Protestant den Katholiken ablösend, zunächst wenigstens Serenissimus eines bischöflichen Duodezhofes wird. ›Ich war über den Tod des Bischofs sehr froh‹, notiert gemütvoll und lebenstüchtig Sophie und hat allen Grund dazu, weil ja nun der etwas peinliche Unterschlupf beim ersten Liebhaber ein Ende hat und weil dieser Zustand bei den ebenso zarten wie platonischen Banden, die das ehemalige Brautpaar zeitlebens verknüpfen, schon zu Eifersuchtsszenen zwischen dem Ehepaar selbst Veranlassung gegeben hat.

Vorerst aber reist man, da man nun über gewisse Mittel verfügt, für zwei Jahre nach Italien, wo man Klöster besucht, in denen ›die Nonnen lange Barte tragen‹, wo man denn auch, unduldsam, spitzzüngig und rationalistisch, wie man ist, die fremde Küche, den Marienkult und alle die anderen Dinge einer fremden Lebensform bespöttelt, wo man auch den Papst Alexander VII. (der die Reisenden hochmütig übersieht) entsprechend abtut, weil ›er zu schnell und mit zu wenig Würde durch den Dom ging‹ und weil ›seine Haltung nicht würdig genug war für das Haupt einer Kirche‹.

Als man aber 1665 in die Heimat zurückkehrt, da sind dort Dinge geschehen, die das ganze Haus der Welfen alarmieren und die große Maschinerie des Schicksals ankurbeln …

Erstens nämlich ist der älteste der vier Welfenbrüder, der in Celle regierende Christian Ludwig, gestorben, und es hat sich der dritte, der bislang apanagierte Johann Friedrich, ›der ganzen Erbschaft bemächtigt‹. So notiert Sophie und fürchtet, leer auszugehen und für alle Zeiten auf die nicht eben fetten Osnabrücker Bischofspfründe angewiesen zu sein …

Das aber ist nicht das einzige, was sie zu fürchten hat. Bei Georg Wilhelm nämlich sind alle Grundsätze von ewiger Möncherei und ewigem Zölibat davongeflogen, ›den Herrn Herzog‹ hat die Liebe gefaßt, und für Sophie drohen alle Träume von einer fetten Erbschaft sich in Luft aufzulösen. Ich bedauere, so viel Geduld in Anspruch genommen zu haben mit dieser langwierigen Schürzung des hannoverschen Knotens, der nun bald sich lösen wird in Schuld und Schicksal und Weibertränen und Blut und Mord.

Denn wenn die blutige Reihe der Stuarts den ersten Strom der Unruhe tragen in das gemächlichere Blut der deutschen Dynastien, so erscheint nun eine zweite, beinahe exotisch zu nennende Ahnfrau Friedrichs, und ihr Name ist in Deutschland beinahe vergessen, obwohl doch gerade sie mit ihrem fremden Blute nicht zum wenigsten beitrug zu jener Zwiespältigkeit, aus der den Großen dieser Welt beides kommt: das Promethidenlos und die großen klirrenden Taten! Es steht noch heute im Poitou bei La Rochelle das Schloß Olbreuse, es ist noch heute im Besitze der gleichnamigen, heute im letzten Gliede absterbenden Familie, es ist der namengebende Sitz eines Geschlechtes, dessen Blut heute in den Adern der englischen Könige und der Hohenzollern kreist. Die Demier d'Olbreuse, wie sie sich mit vollem Namen nennen, erscheinen um diese Zeit mit ihrem ältesten Ahnherrn Fulco d'Olbreuse, der wohl, wie es mit ›ältesten Ahnherrn‹ ja vielfach geht, ein wenig legendär ist … beinahe so legendär wie die Abstammung von König David, auf die ein uraltes ostpreußisches Adelsgeschlecht Anspruch erhebt …

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Eleonore d'Olbreuse
Urgroßmutter Friedrichs, Herzogin von Celle

Die d'Olbreuse tauchen auf in fast allen Kriegen, die im zwölften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert die französischen Könige führen, sie vermischen ihr Blut mit den großen normannischen Häusern der Taillebourg, Rochechouart und der Tibaudière, ohne es übrigens selbst zu nennenswerter Hausmacht zu bringen. Sie waren wohl, weil sie frühzeitig zur neuen Lehre übertraten, bei Hofe nicht sonderlich beliebt, sie scheinen an der Wende vom fünfzehnten zum sechzehnten Jahrhundert verarmt zu sein und den Panzer mit dem Juristenrock vertauscht zu haben: es steht in der Pariser Kirche St. Germain l'auxerrois noch heute der Grabstein eines Parlamentsrates d'Olbreuse, der 1555 gestorben ist und seinerseits den Wechsel zum gelehrten Berufe bezeugt. Auf sicherem Boden stehen wir aber erst mit Alexandre Demier d'Olbreuse, der 1635 die Jaquette le Poussard de Vaudal heiratet und dem auf Schloß d'Olbreuse aus eben dieser Verbindung 1639 eine Tochter Eleonore, Friedrichs künftige Urgroßmutter, geboren wird.

Sie dürfte, zwanzig Jahre alt, die Heimat verlassen haben, weil sie als Hugenottin dieser Heimat sich entfremdet hatte, sie ist nach Deutschland als Hofdame (oder, wie die Zeitgenossen es nennen, als Kammerjungfer) einer Herzogin von Tarent gekommen, es scheint, daß Georg Wilhelm sie später in Herzogenbusch in Holland kennengelernt hat. Ihre Abstammung scheint, möglicherweise wegen ihrer Mutter, bei den Zeitgenossen nicht einmal im Sinne der Ritterbürtigkeit viel gewogen zu haben. ›Wenn wir in Frankreich‹, äußert sich über sie der Herzog Guiche, ›ihrer überdrüssig werden, so ist sie für einen deutschen Fürsten immer noch gut genug‹, und selbst Liselotte von der Pfalz schreibt von der d'Olbreuse, sie stamme nun einmal vom Pöbel, und sie selbst (Liselotte) begriffe nicht, wie Georg Wilhelm sich in ›ein solches Mensch‹ habe verlieben können. ›Sie ist capricieuse und ambitieuse‹, heißt es an einer anderen Briefstelle, ›wollte Gott, sie wäre bei ihrem schlechten Adel im Poitou geblieben.‹ Soweit Liselotte, die ja immerhin eine Nichte ihrer hochmütigen Tante Sophie war. Sind die Heidelberger Damen unter sich, so heißt in ihrem Munde die d'Olbreuse ›cette personne‹, und noch nach vielen Jahren beklagt sich Leibniz, der ja dem Hofe Ernst Augusts und ganz besonders Sophie selbst nahe genug gestanden hat, bitterlich darüber, wie sehr ihm die ewigen Mokanterien über die d'Olbreuse auf die Nerven gegangen seien.

Es mag nun mit der ›Abstammung aus dem Pöbel‹ nicht gar so schlimm gestanden haben, da die ältere Schwester der d'Olbreuse, Angélique, später den Reichsgrafen Heinrich V. von Reuß heiratet, und der in genealogischen Dingen ganz gewiß nicht tolerante Wiener Kaiserhof später, wie wir noch sehen werden, ›dieses Mensch‹ zur Reichsfürstin macht. Charakterlich ist sie entweder eine virtuose Schauspielerin der Ehrbarkeit, oder sie ist tatsächlich jene sittenstrenge, ja prüde Hugenottin gewesen, als die sie im Urteil der Zeitgenossen vielfach erscheint – Tatsache ist jedenfalls, daß sie keineswegs zum Typ der so zahlreich aus Frankreich nach Deutschland eingewanderten Fürsten-Mätressen des Barocks gehört. Auch der Argwöhnische findet in den Spuren ihres Erdenwandels und im Urteil der Zeitgenossen nichts, was diesen Eindruck begründen könnte – eher erscheint sie als prüde und allen Zweideutigkeiten abholde Frau. Daß die bigotte Kaiserin Eleonore, Gattin Kaiser Leopolds I., ihr später den nicht alltäglich verliehenen ›Orden der Tugendsklaven‹ übersendet, spricht nicht gerade gegen die d'Olbreuse, und selbst Sophie, die doch der Geliebten und späteren Gattin des einstigen Verlobten so gern etwas am Zeuge flickt, findet an ihr keinen Makel. ›Man hatte mir‹, so erzählt Sophie in ihrem Tagebuche, ›die d'Olbreuse als sehr mutwillig und lustig geschildert. Aber ich fand sie ganz anders, sie spielte jedenfalls sehr die Ernsthafte, ihr Benehmen war gemessen. Ihr Gesicht war sehr schön, die Figur schlank – sie war außerordentlich liebenswürdig. Der Herr Herzog Georg Wilhelm schrieb mir und beschwor mich, der d'Olbreuse einen so guten Empfang zu bereiten, als ich nur könnte, dies aus Gründen, die er mir später mitteilen wollte. Ich gehorchte ihm ohne Widerstreben. Denn jenes Mädchen bequemte sich ganz und gar meiner Art und Weise an, und ich hielt sie ganz für die, die sie schien.‹

Der ›Herr Herzog‹ wird wohl gewußt haben, warum er die ehemalige Verlobte und nunmehrige Schwägerin um eine gute Behandlung seiner Freundin bat – er wußte um Sophies spitze Zunge und um ihren Hochmut und fürchtete in diesem Falle beides. Er war, wie wir wissen, weichen Herzens, er war wohl auch dort, wo harte Zusammenstöße befürchtet werden mußten, nicht immer sehr charaktervoll und neigte in solchen Fällen zu ›strategischen Rückzügen‹. Daß Sophie im Hinblick auf die Cellesche Erbschaft sich einer Heirat mit der d'Olbreuse widersetzen würde, wußte er – daß die d'Olbreuse eine förmliche Eheschließung anstreben werde, wußte er auch, und so sehen wir ihn ein Doppelspiel spielen: er macht dort, wo er sich von Sophie unbeobachtet weiß, der d'Olbreuse Versprechungen, er verleugnet sie aber sofort, sowie Sophie ihm diesbezügliche peinliche Rückfragen stellt. Eine für diesen weichmütigen Mann charakteristische Episode verzeichnet Sophie in ihren Memoiren. Als nämlich später Ernst August seinem Bruder auf den Kopf zusagt, daß die d'Olbreuse auf eine förmliche Eheschließung hinarbeite, antwortet Georg Wilhelm: ›Wenn sie das will, so soll sie nur dorthin zurückkehren, woher sie gekommen ist. Eine solche Torheit werde ich nie begehen, wenn sie aber mit mir leben will, so werde ich sie gut halten und ihr eine gute Pension geben, solange ich lebe.‹

Das war ja wohl so etwas wie ein an der Freundin begangener Verrat – wäre die d'Olbreuse wirklich ›dorthin zurückgekehrt, woher sie gekommen‹, so wäre der einsame und auf Frauennähe offensichtlich angewiesene Mann ja doch der erste gewesen, der sie zurückgeholt hätte. Da aber Frauen auf Männer und ihre Wege nun einmal den feineren Instinkt haben, als Männer im umgekehrten Falle, so ist der Rest naturgemäß ein Schachspiel der beiden Damen, die Friedrichs Urgroßmütter sind. Ein Schachspiel, das gespielt wird um die Willensbildung Georg Wilhelms und die Legitimierung der d'Olbreuse. Sophies Taktik in diesem Spiel ist außerordentlich klug. Sie vermeidet es durchaus, Georg Wilhelm gegen seine Freundin aufzuputschen, sie operiert immer auf der Linie des Möglichen und sucht eben nur das Schlimmste, eine Eheschließung der beiden Liebenden, zu verhüten. –

Die Beerdigung Johann Friedrichs am elften November 1665 in Celle ist für Sophie eine gute Gelegenheit, das Spiel in die ihr genehme Bahn zu lenken. Die d'Olbreuse, die von Georg Wilhelm schon sozusagen zur Familie gerechnet wird, wohnt der Bestattung bei, und die Anwesenheit aller Interessenten gestattet eine förmliche Bereinigung der Angelegenheit. Unverkennbar ist auch auf Sophies Seite die unausrottbare mütterliche Fürsorge für den ehemaligen Verlobten und die Besorgnis, es könne der weiche und nachgiebige Mann sich von einer klugen Mätresse übertölpeln lassen. Genug, auf diesem Familientag werden förmlich die Bedingungen festgelegt, unter denen nun die Verbindung Georg Wilhelms mit der Französin – diese seltsame Verbindung, die keine Ehe und doch mehr als eine Liaison ist – sich vollzieht. Wer heute an diesen Formen Anstoß nimmt, soll gewisse Gepflogenheiten des Barocks – Gepflogenheiten, die mit der Renaissance Eingang gefunden hatten – berücksichtigen. Luther hat bekanntlich in aller Form die Bigamie eines deutschen Reichsfürsten sanktioniert. Sophies Heidelberger Bruder Karl Ludwig hatte eine Frau zur Rechten und eine zur Linken, gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts ist das Mätressentum auch an den deutschen Höfen so gang und gäbe, daß es seinen Eingang in die offiziellen Hofkalender gefunden, und daß etwa Friedrich I. von Preußen eine ›maitresse en titre‹ hat, die bei dem Alter und dem brüchigen Gesundheitszustand dieses Herrn freilich wohl ganz ›en titre‹ blieb.

So wollen wir denn den Lebensgewohnheiten der Zeit ins Gesicht sehen und die Fassung vor der Tatsache bewahren, daß Friedrichs Großmutter, die ältere Sophie Dorothee und nachmalige Herzogin von Ahlden, in illegitimer Verbindung gezeugt und geboren worden ist – wir werden uns darüber schon deswegen hinwegsetzen, weil der Enkel ja schließlich bei Leuthen noch etwas Größeres zustande brachte als die posthume Legitimierung einer illegitimen Großmutter. So wollen wir in aller Ruhe verzeichnen, daß das, was damals in Celle zu Papier gebracht wurde, nicht sozusagen ein ›Trauschein‹ über eine wirkliche Eheschließung, sondern (›avantpropos de mariage‹ nennt Sophie den Pakt in ihrem Tagebuch) daß es die Fixierung derjenigen Bedingungen war, unter denen ein einsamer und vielleicht auch frühe alternder Grandseigneur sich Eleonore d'Olbreuse zur Geliebten zu machen wünschte. Hier gebe ich den seltsamen Akt, der von Georg Wilhelm, der d'Olbreuse, von Sophie und ihrem Gatten unterzeichnet ist, wieder:

›Comme l'affectation, que j'ai pour mon frère m'a fait resoudre, de me marier jamais, pour son avantage et celuy de ses enfants dont je ne départiray jamais et que madmoiselle d'Olbreuse s'est résolue de vivre avec moy, je promets de ne l'abandonner jamais et de luy donner 2000 écus par an et 6000 écus après ma mort.‹

›Da ich aus Zuneigung zu meinem Bruder mich entschlossen habe, nie zu heiraten.‹ Damit wird ja wohl klipp und klar zugegeben, daß der Akt nicht als Eheschließung betrachtet wurde, sondern eben als illegitime Verbindung auch in den Augen der Vertragschließenden galt, und das, was der obigen Feststellung folgt, sind eben die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen die d'Olbreuse bereit war, ›vouloir vivre avec moy‹. ›Das war‹, notiert trocken Sophie in ihren Memoiren, ›der Inhalt, und abends gingen die beiden ohne weitere Feier zur Ruhe.‹ Bestünde die Möglichkeit, hier von einer wirklichen Eheschließung zu reden, so ist wirklich nicht einzusehen, weswegen eine förmliche Trauung volle zehn Jahre nach der Geburt der ersten Tochter, wenngleich in aller Stille, nachgeholt wurde. Wir haben nicht die Absicht, den Stab der Moral zu brechen, weil Friedrichs Großmutter Sophie Dorothee, die als Frucht dieser Verbindung am fünfzehnten September 1666 zur Welt kam, als uneheliches Kind geboren worden ist – wir werden eben nur, den schicksalsvollen und blutbespritzten Weg dieser Sophie Dorothee verfolgend, erkennen, daß alte Geschlechter ihre geheimen und ungeschriebenen Gesetze haben, und daß ein Bruch dieser Gesetze beides bringt: das Verhängnis und den Genius. Beides kam, wie wir sehen werden, mit Ehebruch, Mord und Staatsgefangenschaft, und ich werde, dieser Verbindung gedenkend, die Worte nicht los, die in seinen ›Irrungen, Wirrungen‹ der alte Fontane einem ähnlichen Falle widmet. ›Es führt nie zu Gutem, auch wenn äußerlich alles glatt abläuft, und es kann auch gar nicht anders sein. Denn alles hat seine natürlichen Konsequenzen.‹

Was vorerst folgt, ist, außer der Geburt der eben erwähnten kleinen Sophie Dorothee, zunächst ein zäher stiller Kampf der beiden Damen Eleonore und Sophie – ein Kampf, der um die Legitimierung und Erbberechtigung der Tochter auf der einen Seite und um die reiche Cellesche Erbschaft auf der anderen Seite geführt wird. Von Sophie in der weltgewandten, kühlen Technik der legitimen Reichsfürstin, von der d'Olbreuse bescheiden, still und taktvoll, aber doch eben mit all den zähen Instinkten des Muttertieres, das für seine junge Brut kämpft. Sophie hat inzwischen ihrem galanten und gern auf Seitenwegen wandelnden Gatten eine Tochter geboren, die (Sophie Charlotte) später den ersten Preußenkönig heiraten und so das Stuart-Blut gedoppelt auf Friedrich vererben wird – auch diese Ehe war ein Schachzug, der die ärmlich geborene und ärmlich herangewachsene Tochter des Winterkönigs der Macht und dem Glanz näher brachte. Sophies ständige Sorge ist eben nur diese Verbindung des Schwagers mit der d'Olbreuse und die wachsende Macht, die diese Französin ›aus schlechtem Adel‹ über ihren herzoglichen Geliebten gewinnt: daß also die d'Olbreuse mit ihrem ›avantpropos de mariage‹ eines Tages wirkliche Herzogin, ihre Tochter aber, die in Sophies Augen doch zeitlebens ein Bastard ist, legitime Prinzessin wird, und daß die fette Erbschaft, von der man seit Georg Wilhelms Zölibatserklärung träumt, eines Tages in Nichts zerrinnt …

Die kluge und kühle und im Gegensatz zu ihrer Urgroßmutter Maria Stuart nie das Herz und immer den Verstand befragende Frau leistet als Lebenskünstlerin, als Errichterin einer Hausmacht, als Lenkerin ihres allzu lebensfrohen Gatten in diesen Jahren schier das Unmögliche. Bei ihrem Gatten kommen und gehen die Mätressen, sie sind sofort nach der Heidelberger Hochzeit dagewesen und wechseln seither wie die Jahreszeiten: sie nimmt davon, halb aus Hochmut und halb in angeborener Kühle, keine Notiz, sie schreibt allenfalls kleine maliziöse Sätze nieder …

›Das heilige Land der Ehe hatte den galanten Sinn des Herrn Herzogs nicht geändert, es langweilte ihn nun einmal, immer die gleiche Sache zu besitzen …‹

Oder: ›Der Herr Herzog, dessen galante Laune nun einmal nicht ohne Liebelei sein konnte, vergnügte sich damit, der Mansélière etwas in den Kopf zu setzen …‹

Was damit endet, daß diese Mansélière eine Schwangerschaft vortäuscht und nach Frankreich zurückreist – es gibt aber deswegen nicht einmal eine eheliche Szene zwischen den Gatten: man läßt die Mansélière ruhig ziehen und ist gespannt, wer wohl die nächste sein wird in der Gunst des ›Herrn Herzogs‹, und alles andere ist verzweifelt unwichtig. Weit wichtiger ist der ehrgeizigen und standesbewußten Frau, ob die d'Olbreuse (was diese übrigens in ihrer klugen Bescheidenheit nie wagt!) in Sophies Gegenwart den nach dem Zeremoniell der Zeit nur der Fürstin vorbehaltenen Armstuhl zu benützen sich herausnimmt … wichtig ist, daß die von der d'Olbreuse geborene Sophie Dorothee das alte Welfenwappen nur ohne Querbalken führen darf. Wichtig ist jedes noch so kleine Schrittchen zu Reichtum und vermehrter Hausmacht, und zertreten wird, was sich diesen Schritten in den Weg stellt: wir werden Sophies Blut bei Friedrich überall dort wiederfinden, wo er (wie im Falle Trenck) grausam vernichtet, was an die Ehre und den Machtanspruch seines Hauses rührt, wir werden Sophie dort wiederfinden, wo der Verfasser des Antimacchiavell auf seinem Wege zu den Gipfeln des menschlichen Ruhmes bisweilen selbst ein eiskalter Renaissancemensch ist. –

Inzwischen hat Georg Wilhelm seine schöne und sanfte Französin zuerst zur ›Madame d'Harbourg‹, dann auch durch Schenkung des auf der Elbinsel Wilhelmsburg gelegenen Gutes Stilhorn zur ›Gräfin v. Wilhelmsburg‹ gemacht, wofür sie sich durch die Geburt von drei weiteren Kindern revanchiert, die freilich allesamt wenige Tage nach der Geburt gestorben sind – der von Sophie aus naheliegenden Gründen so gefürchtete Sohn bleibt aus. Immerhin bleibt auch so die d'Olbreuse mit ihrer sanften und geduldigen Technik und ihrem klugen Vermeiden jeder kompromittierenden Gelegenheit eine starke Gegnerin. Weitere Dotationen durch Georg Wilhelm folgen, was Sophie, die eine Schmälerung des erwarteten Erbteiles befürchtet, jedesmal zu zornigen und nicht immer sympathischen Rückfragen bei Georg Wilhelm veranlaßt …

Man kann überhaupt nicht sagen, daß in diesem erbitterten und eleganten Spiel, das zwischen 1666 und 1682 die beiden Damen spielen, Sophie unbedingt die Sympathischere ist. Ihre Memoiren jedenfalls verzeichnen jedweden Klatsch, den dienstbeflissene Hofleute ihr über die Französin zutragen. Sie regt sich darüber auf, daß die d'Olbreuse einen mit ›Votre Altesse‹ beginnenden, ihr von der Herzogin von Ostfriesland geschriebenen Brief nicht sofort zurückgegeben habe, sie ist überall dort, wo sie den Namen ›d'Olbreuse‹ erwähnt, von jener ›Schrillheit‹, mit der siebzig Jahre später ihre Urgroßtochter Wilhelmine von Bayreuth, Friedrichs Schwester, ihre Superiorität über die reichsunmittelbaren Geschlechter Frankens nicht immer sympathisch zu bekunden sucht. Einmal trägt man ihr zu, die d'Olbreuse habe geäußert, Georg Wilhelm werde sie heiraten, sowie sie ihm nur einen Sohn gebäre, sie stellt ihren Schwager und ehemaligen Bräutigam dieserhalb förmlich zur Rede, und er seinerseits dementiert energisch und bekundet mit diesem Verleugnen seiner Absichten wohl die Angst vor seiner allzu energischen Schwägerin. Seine Persönlichkeit wirkt nicht eben stark und nicht immer ehrlich dort, wo die beiden Damen um so zielbewußter ihre große Schachpartie spielen – er verwöhnt seine d'Olbreuse mit Geschenken, um sie vor der Schwägerin sofort zu verleugnen, er gibt Eleonores Wünschen nach Legitimierung der kleinen Tochter willig nach, verheimlicht aber die entsprechenden Schritte sorgfältig vor Ernst August und Sophie, für die die kleine Welfentochter nichts als ein uneheliches Kind ist …

Hinter der Bühne freilich, die Sophie mit ihren argwöhnischen Augen beobachtete, scheint das Zusammenleben der beiden in Celle denkbar glücklich gewesen zu sein, glücklicher jedenfalls als Ernst Augusts Ehe mit Sophie: der Celler Hof hat nie die Mätressenwirtschaft des Osnabrücker gesehen. Im Frühjahr 1674 schickt Georg Wilhelm seinen Spezialgesandten von Praun nach Wien, um die Legitimierung der kleinen Tochter vom Kaiser zu erlangen. Praun hat den Auftrag, dabei möglichst geheim zu verfahren, und auch hier merkt man die Angst des Herzogs vor seiner Schwägerin und vor entsprechenden Durchkreuzungsversuchen …

Der Augenblick ist nicht übel gewählt. Leopold I. liegt gerade im Reichskrieg gegen Louis XIV., er ist mithin auf die Truppen des niedersächsischen Kreises angewiesen, und eben dieser Verlegenheit des Wiener Hofes dürfte die d'Olbreuse es verdankt haben, daß schon am 22. Juli 1674 ihr Wunsch in Erfüllung geht. Die Urkunde aber ist kennzeichnend für die stille und zurückhaltende Hugenottin, die Friedrichs Urgroßmutter war: sie selbst hat für sich nichts erstrebt und nichts erhalten, alles gilt der Tochter und den noch zu erhoffenden Kindern. Alle diese Kinder aber gelten nach kaiserlicher Entscheidung nunmehr als ehelich erzeugte ›Reichsgrafen und Reichsgräfinnen von Wilhelmsburg‹, ohne Recht der Thronfolge in den herzoglichen Landen, und nur für die kleine Sophie Dorothee – und diese Klausel bestimmt das Schicksal der damals Achtjährigen – nur für dieses von Sophie so gehaßte Kind wird festgesetzt, daß sie ›Rang, Titel und Wappen einer Herzogin von Braunschweig-Lüneburg führen dürfe, sowie sie sich mit einem Prinzen aus altem fürstlichen Hause vermähle‹. Soweit diese kaiserliche Urkunde. Das Spiel um das Kind konnte beginnen. –

Ernst August, mit seinen Amouren beschäftigt, nahm die kaiserliche Urkunde, als sie ihm mitgeteilt wurde, sehr gelassen, Sophie aber nahm sie mit einem Wutschrei auf. ›Quant à l'affaire de la Fraile Sophie‹ so schreibt sie am 30. Januar 1675 giftig an ihren Pfälzer Bruder und meint mit ›Fraile Sophie‹ natürlich ›Fräulein‹ Sophie Dorothee, ›quant à l'affaire à la Fraile Sophia, je suis bien aise, que Vous en avez la patente Impériale, qui marcue aussie sans doute la légitimation. Elle en avait besoin‹. Der Ausbruch ist erklärlich. Sophie wußte bei Niederschrift des Briefes bereits, daß die Verlobung der neunjährigen Sophie Dorothee mit einem ›Fürsten aus altem Geschlechte‹ angebahnt war …

Dieser Prinz war der achtzehnjährige Herzog August Friedrich von Wolfenbüttel, dessen verarmter Vater seinerseits für den Sohn auf jene reiche Celler Erbschaft spekuliert haben mag, auf die Sophie so ängstlich und vielleicht auch so sehnsüchtig wartete. –

Die Verlobung fand gegen Ende des Jahres 1675 statt, hat aber nur neun Monate gewährt, da der junge Prinz bereits im August 1676 bei der Belagerung von Philippsburg gefallen ist. Immerhin rief dieses Verlöbnis Sophie auf den Plan, die, solange es währte, sich nicht daran genugtun konnte, die körperlichen und geistigen Mängel der ›Fraile Sophie‹ zu erörtern, und in dieser Zeit ihrer ja nach Frankreich verheirateten Nichte Liselotte von der Pfalz berichtet, ›der junge Wolfenbütteler Prinz wisse wohl nicht, daß seine Verlobte von ihrem Vater schon einmal nachts mit dem Stocke aus dem Zimmer der Domestiken habe geholt werden müssen‹ …

Bedenkt man, daß die Braut damals noch keine zehn Jahre alt war, und bedenkt man, daß ihr hier gleichwohl eine sexuelle Entgleisung vorgeworfen wird, so steht man schon einem ansehnlichen Stück weiblicher Niedertracht gegenüber, die eben nur durch die Furcht vor dem Verlust der Celler Erbschaft und vor Schädigung der eigenen Brut bei Sophie verstanden werden kann. Hier ist die sonst so große Stuart-Enkelin wirklich sehr klein, und sie wird in der Folge nicht größer, als die d'Olbreuse mit ihrer stillen und zärtlichen Miniertaktik endlich am Ziel ist und Georg Wilhelm zur förmlichen Eheschließung bestimmt hat.

Wir wissen eigentlich nur, daß dieser Akt stattgefunden hat, ohne daß wir die näheren Umstände kannten. Eine Urkunde ist bislang nicht aufgefunden, genannt wird der fünfzehnte September 1675. Stimmt dieser Tag, so dürfte er, weil er der neunte Geburtstag der kleinen Tochter ist, immerhin auf ein inniges Familienleben der beiden Eltern schließen lassen.

Aber wir wissen, wie gesagt, über diese Trauung nichts Genaues, sie vollzog sich, wie das bei einem ja wohl etwas verspätet heiratenden Paare auch am Platze ist, in aller Stille, und auch keiner der europäischen Höfe war benachrichtigt worden. Das Jahr 1675 erscheint übrigens gesichert, da Sophie in einem ihrer giftigen Briefe im Jahre 1677 schreibt: ›La nouvelle Altesse de Celle a épousé Guillaume George il y a peu pres deux années.‹ Zwischen den beiden Brüdern, die stets als Gentlemen miteinander verkehrt hatten, wurde diese Heirat, die ja eigentlich den Bruch des alten Zölibates bedeutete, mit einem Federstrich bereinigt – mit einem Federstrich, der die Sukzession etwaiger Söhne in Celle ausschloß. Sophie freilich reagiert anders – ihre Briefe, die sie auf diese Nachricht hin an die nunmehrige ›Altesse de Celle‹ richtet, streifen die Grobheit.

Der Krieg zwischen ihr und der Hugenottin schien zu ihren Ungunsten entschieden, ›cette personne‹ war nun gleich ihr Reichsfürstin. Das Spiel um die reiche Celler Erbschaft schien verloren.

Es war nicht verloren. Frauen wie diese Stuart-Tochter verlieren auf die Dauer die Nerven nicht und verlieren daher nie ihre Partie. Es ist eben nur so, daß sie dabei auch ihre lebendigen Schachfiguren in Grund und Boden zu spielen pflegen.


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