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11.
Kinderschuhe.

Abends, wenn das kleine Volk ausgezogen und zu Bett gebracht ist, werden die Schuhe und Schuhchen paarweise vor die Thüre gestellt – eine ansehnliche Reihe!

Winzige Schlappschuhchen stehen da, nicht viel größer als Puppenschuhe, mit mehr Neigung und Geschick in den Mund gesteckt zu werden, als aufrechten Ganges das Kind zu tragen.

Schuhchen, die wie »ein Pfeil« – kriechen.

Schuhchen, denen wir Bedeutungsvolles genug nachzusagen glauben, wenn wir anführen, es sind die ersten »kalbledernen«, schwarz gewichsten; das kindische Prunken mit rothem Saffian und blanken, gelben Knöpfchen ist für sie eine längst überwundene Jugendthorheit.

Schuhchen, die nach vielen vorübenden Gehversuchen endlich die ersten freien Schritte ohne Anhalt gethan.

Schuhchen, unermüdlich in munterm Lauf vor einem rollenden Wägelchen oder dem geliebten Schaf auf Rädern von Knopfes Größe.

Schuhchen, die, wenn sie nicht mehr laufen wollen, gar schmeichelnd »uppa« betteln, um auf den Schooß genommen zu werden.

Schuhchen, es sind Mädchenschuhe, von so leichtem, kurz schreitenden, und doch unendlich fixen Gangwerk, daß ihr Hin- und Hertrappeln an die zierliche Behendigkeit der Rebhühner erinnert.

Schuhchen, es sind Knabenschuhe, deren fester, sicherer Schritt auf den Ernst und die Willenskraft künftiger Jahre hinweisen, und leichtlebige Schuhchen, die ein Gelübde abgelegt zu haben scheinen, niemals langsam zu gehen – stets zu hüpfen, zu springen, zu traben und zu galoppiren.

Schuhchen, die mit einem schwungkräftigen »Hopsa« über die Gosse gehoben werden.

Schuhchen, die bergan um die Wette rennen, wer zuerst oben sein wird.

Schuhchen, hochbeglückt, daß sie beim letztmaligen Versohlen knarren gelernt.

Schuhchen, die den nach Hause kommenden Eltern die halbe Straße lang entgegen laufen.

Schuhchen, die das Sopha unstatthafterweise für einen Tanzboden und Turnplatz ansehen.

Geschickte Schuhchen, die auf den Zehen gehen und mit gleichen Füßen über die Schwelle springen können.

Schuhchen, die, wenn ihnen nicht der Wille geschieht, eigensinnig aufstampfen.

Hinterlistige Schuhchen, die beim Ringen gegen allen Brauch eines offenen, ehrlichen Balgens »den Fuß vorsetzen.«

Schuhchen, die einen auf billiger Durchschnittsveranschlagung beruhenden Etat haben, wie oft sie bei Spaziergängen hinfallen dürfen, und wenn sie so recht muthwillig den Staub aufwühlen, den Kindern einen größeren Naturgenuß bereiten, als der grandioseste Sonnenuntergang.

Schuhchen, die Unglück haben und beständig in den Theer treten, wie Schuhchen, die Glück haben und den wunderbaren Ehrentitel »Quellensucher«: viertelmeilenweit in der Runde, bei der größten Dürre entgeht ihnen keine Pfütze.

Schuhchen, die, wenn die Kinder ihr Beetchen im Garten umgraben – »mein Garten« nennen sie es, oder noch großartiger »mein Land« – redlich helfen: bei jedem Spatenstiche treten sie mit auf das Eisen.

Schuhchen, die ganze Rittergüter an den Sohlen mitbringen in die Stube und zur Fußbürste zurückgeschickt werden mit der Weisung: »Vorher aber erst tüchtig am Strauchbesen – das bitte ich mir aus!«

Schuhchen, die in gedankenvollem Baumeln nach melancholischer Auffassung den »Esel zu Grabe läuten«.

Schuhchen, die es sich nicht versagen können, wenn sie am Hofthor vorübergehen, wo der böse Kettenhund ist, anzupochen und diesen Wütherich zu laut tobendem, aber gefahrlosem Bellen zu reizen.

Schuhchen, fein lang und schlank, von schwarzem Zeuge mit Glanzlederspitzen – sie haben Tanzstunden und stehen in regelrechter dritter Position.

Schuhchen, die gar zu gerne schon Halbstiefel wären, junge Halbstiefelchen, die den Wunsch hegen, zum Geburtstage Anschlagesporen zu bekommen, und andere noch ehrgeizigere Halbstiefelchen, die sich bereits in still verwegenen Hoffnungsträumen als wirkliche effective Schäftenstiefel erblicken.

Man sieht, die Schuhe und Schuhchen sind nicht alle über einen Leisten geschlagen, jedes Paar hat seine besondere Art oder Unart, wie das Kind, das sie trägt. Nur eine Eigenschaft geht durch: kleine Reißteufel sind sie alle.

Laßt sie reißen in Gottesnamen! Besser eine große Rechnung vom Schuster, als vom Apotheker.

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