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VII.

Ich fand im Haus des reichen Symmias
Mich als der Sklaven einen. Klagen kaum,
Daß schwer das Joch der Knechtschaft auf mir liege,
Konnt' ich, wenn ich mein Loos mit dem verglich,
Das Andre litten; doch von früh her trug
Ich noch im Herzen eines Schmerzes Stachel.
Als freier Bürger Thera's war mein Vater
Geboren, aber, weil auf Sparta's Seite
Die Insel kämpfte, hatten die Athener
Mit allen den Bewohnern ihn gefangen
In ihre Stadt geschleppt. Schreckvoll noch stand
Mir vor dem Geiste die Erinnerung,
Was wir gelitten, als das enge Schiff
Die Männer, Kinder, Frau'n in schweren Ketten
Dahingetragen über's wilde Meer,
Als einer Heerde gleich man auf dem Markt
Athens uns feilgeboten; nach Korinth
Hinweggerissen ward aus meinem Arm
Der Vater; mit der Mutter in den Frohn
Des Symmias kam ich, allein die Eltern
Trieb Gram um die verlorne Freiheit bald
Ins frühe Grab.

Mild war der Herr und gütig,
In dessen Haus ich aufwuchs. Nur die Söhne,
Ein Paar von bösen Buben, plagten mich;
»Warum so langsam bei der Arbeit, Sklav? –
Bring das und das! nun hurtig!« so von früh
Bis spät von ihren Lippen scholl's und, war
Ich säumig, flugs in ihren Händen zuckte,
Zum Schlag bereit, die Geißel auch. So oft
Sie Morgens in die Ringkampfschule gingen,
Höhnenden Blicks mich maßen sie: »Der darf
Nicht mit uns gehn, der Sklav'. Für Freie nur
Ist des Gymnasten Kunst.«

Unfern der Stadt
An des Hymettus blüthenvollem Hang
Gelegen war des Symmias Säulenhaus,
Und oft im Frühroth, eh mein Dienst mich rief,
Trübsinnend stand ich in der Halle dort,
Indeß mein Blick aufs herrliche Athen
Hinunterglitt. Da lag's mit seinen Tempeln,
Rennbahnen und Palästren und Theatern
Endlos vor mir gebreitet – Parthenon,
Akademie, Olympion und Stoa,
Vom Riesenbild der Pallas überragt,
Die majestätisch von des Kekrops Burg
Auf ihre heil'ge Stadt herniedersah.
Für Alt und Jung war dort Genuß; bald weihte
Der Musen Liebling Aristophanes
Beim Kelterfest auf seiner Maskenbühne
Den Kleon, Sokrates, Euripides
Der Menge unauslöschlichem Gelächter,
Bald galt's am großen Dionysienfest
Den Kampf der Tragiker zu schau'n, bald lockte
Der Waffentanz, der Priester Feierzug
Das Volk auf die Akropolis. Nur uns,
Den Sklaven, blieb die Herrlichkeit versagt.

Einmal des Tages auf die Agora,
Des Hausbedarfes halb, ward ich gesandt.
Dann wohl, entflieh'nd dem tosenden Gedräng,
Eintrat ich in des Zeus, in des Apoll,
Der Aphrodite Tempel und erhob
Das Aug' in Andacht zu den Götterbildern,
Die Phidias' Meisterhände, Polygnots
Dem Marmorblock entlockt, doch scheu, stets fern
Dem Heiligthum in letzter Reihe mußte
Der Sklav sich halten. Auch bisweilen trieb,
Wenn Heroldsruf die Bürger zur Versammlung
Entbot, mich Neugier auf die Pnyx; fast wirr
Ward da mir in dem lärmenden Getümmel
Der Sensenschmiede, Schuster, Fischverkäufer,
Wursthändler, Trödler, die das Wohl des Staats
In Händen trugen. Dies Gerücht bald schwirrte
Und jenes bald von Mund zu Mund: »Gefallen
Ist Pylos; kaum vermögen hundert Schiffe
All die Gefangnen nach Athen zu bringen.« –
»Gelandet in Eleusis sind die Sparter;
Im Eilmarsch rücken sie heran; flieht! flieht!« –
Hin durch der Handwerksleute Reihen schritten
Geschäft'ge Sykophanten, ihre Gunst
Für das und jenes Amt durch Schmeichelei
Sich zu erkaufen; dann erscholl es: still!
Und auf der Rednerbühne donnerte
Das Volksorakel, der berühmte Gerber.
Wohl flüstern hört' ich neben mir: der Dieb,
Der Gauner Kleon! keinen listigern
Und abgefeimtern Schurken kennt die Welt!
Doch auch die so gezischelt, klatschten ihm
Beim Redeschluß mit Allen Beifall zu.

Kehrt' ich von meinem Gang zur Agora,
So harrte mein in Haus und Garten Arbeit
Und die Minuten zählt' ich bis das Dunkel
Hereinbrach. Mir vom Vater war der Trieb
Zu Kunst und Wissen in den Geist gepflanzt,
Und so bei Lampenscheine Nacht für Nacht
Saß ich im Erdgeschoß, wo Symmias
Sich von Papyrusrollen einen Schatz
Gehäuft. O wie mir da die Stunden floh'n,
Wie ich mit Herodot den Nil hinauf
Bis in das Land der Aethiopen zog,
Bei Marathon und bei den Thermopylen
Im Geist mit ihm die heil'gen Schlachten stritt!
Wie bei den Jamben des Archilochos
In Zornbegeisterung das Herz mir flammte!
Oft von der Schwalbe morgendlichem Zwitschern,
Wenn ros'ger Schein um den Hymettus floß,
Erst mahnen ließ ich mich, die theuern Blätter
Zurück in ihren Schrein zu thun.

Fremd waren
Die andern Sklaven mir, und selten Worte
Tauscht' ich mit ihnen. Ihrer Einer nur,
Eubulos, zog mich zu sich hin. Noch jung,
Schön wie Achill und wohl bei Symmias
Gelitten, dennoch nimmer lächelt' er,
Und über seiner Stirne, seinem Blick
Schien eine Wolke tiefen Grams zu liegen.
Obgleich wir selten Worte wechselten,
Doch, wie ich ihm, schien er mir zugethan,
Und einst, als wir allein, faßt' ich den Muth,
Von ihm den Grund des Kummers zu erforschen.
»Und du kannst fragen? – gab er Antwort – hat
Das Sklaventhum dich schon so tief erniedert,
Daß du die Schmach der Knechtschaft nicht mehr fühlst,
Die schwerer noch auf unsern Seelen ruht,
Als auf den Nacken? – Wie die Freiheit ich
Verloren, kurz vernimm es! Von dem Bund,
In dem es lang mit dieser Stadt gestanden,
War Lesbos, meine Heimat, abgefallen.
Da eine Flotte, sie zu züchtigen,
Entsandten die Athener nach der Insel,
Siegten und hielten furchtbar Blutgericht,
Enthauptet wurden alle Jünglinge,
Männer und Greise; Mitylene selbst,
Die Stadt, mit ihren Tempeln, Hippodromen,
In Schutt verwandelt. Weibern nur und Kindern
Großmüthig schenkte man das nackte Leben,
Um sie, des Jammers, der Verzweiflung Raub,
In Sklaverei hinwegzuschleppen. So,
Da meines Vaters Haupt in dem Gemetzel
Gefallen, ward ich auf dem Markt Athens
In Ketten dem Meistbietenden verkauft,
Indeß die edlen Bürger dieser Stadt
Den Sieg mit Freudenfesten feierten.« –
»Dein Schicksal, armer Freund, ist meinem gleich –
Erwidert' ich und drückt' ihm warm die Hand –
Doch laß wie ich die alte Wunde heilen!
Ist unser Symmias nicht ein güt'ger Herr?« –
»Gütig? Nun ja, wie man ein Lastthier schont,
Damit es länger noch die Bürde trage!
Sag, sind wir Menschen? Spricht Verachtung nicht
Aus jedem Blick der Freien, der uns trifft?
Gelächter haben sie und Hohn und Spott
Allein für uns, die ausgestoßenen
Aus ihren Reih'n. Das Weh in unsern Herzen,
Von unserm Munde der Verzweiflungsschrei
Gilt ihnen nichts. Für sie nur eine Heerde
Vernunftberaubter, willenloser Wesen
Sind wir, und, was der Schande Gipfel ist,
Allmählig bis in unsre Seele dringt
Die Sklaverei, der Kette scharfer Zahn
Nagt sich zum Herzen durch, daß wir entarten
Und bis ins Innerste das Bild der Menschheit
In uns entstellt, verzerrt, vernichtet wird.«

Er schwieg und ich blieb stumm; denn, ob er auch
Von krankem Wahne mir befangen däuchte,
Nicht ganz schien leer des Sinns mir was er sprach.
Aufs Neu dann hub er an: »Freiheit! wie prahlt
Dies Volk damit! nun ja, auf fünfzig Sklaven
Mag Einer kommen, der die Freiheit hat,
Uns in den Block zu schließen, auf die Folter
Zu spannen! auf uns Hunderttausende,
Unselige, in Staub Getretene
Sind alle Staaten Griechenlands gegründet,
Die gleich den Schlangenzähnigen einander
In ew'gem Krieg zerfleischen – schöne Freiheit!
Und warte nur, mein Freund, wenn unsern Herrn
Als sanft du rühmst! Schon reift ein neu Geschlecht
Heran; das wird, nach der Spartaner Vorbild,
Der Sanftmuth Muster sein; gleich den Heloten
Wird man zum Rausch uns zwingen, daß die Trunknen
Ein warnend Beispiel für die Knaben sei'n,
Zur Lust gleich wilden Thieren in den Wäldern
Uns jagen und mit Pfeilen nach uns schießen.«

Oft so noch düstern Sinnes sprach Eubulos
Zu mir, doch scheu zuletzt ihm wich ich aus;
Vor Lauschern war mir bang.

Es kam das Jahr,
Das jedem Griechen als das herrlichste
Auf Erden galt. Her von Olympia zogen
Die Friedensboten, mit Drommetenton
Die Söhne Hellas' all zum großen Fest
Des Zeus zu laden. Jeder Waffenlärm
Verstummte; von Siciliens fernen Küsten,
Von Galliens und Asiens, Libyens,
So weit die Sprache des Homer erscholl,
Wallfahrend in bekränzten Schiffen eilten
Die Festgenossen zum Alpheusstrand.
Von den Athenern wurde mein Gebieter
Erwählt, daß er im Namen ihrer Stadt
Am Altar des Kroniden Opfer brächte;
Und, o des Glückes! in der Sklavenschaar,
Die als Gefolge mit ihm zog, war ich.
Wie schlug mein Herz in freudiger Erwartung,
Als – uns voran im Purpurprachtgewand
Auf goldnem Wagen Symmias – wir des Wegs
Zum Isthmus pilgerten! Von Flötenschall
Und Hymnen sang der frohen Schaaren, die
Auf allen Straßen wimmelten, erbebte
Die Luft, und als die Pelopsinsel nun
Uns aufnahm, als durchs schöne Hirtenland
Arkadien, durch Elis' Blüthenthäler
Dem Ziel wir nahten, höher leuchtete
Und höher mir das Auge. Tempel reihten,
Altäre zu des Weges Seite sich,
Und im Alpheusthale der Theoren
Prachtzelte, ihre Wagen, Roßgespanne.
Auch Symmias schlug dort sein Lager auf,
Und unter mächtiger Platanen Schatten
An eines Hügels Abhang ward uns Sklaven
Der Platz gewiesen. Von der Höhe dort
Mit schauerndem Gefühl den heil'gen Hain
Und des Kroniden hohes Tempeldach
Gewahrt' ich. In der Nacht, bevor die Spiele
Begannen, hielt Erwartung mir den Schlaf
Vom Augenlied zurück. Da flüsterte
Eubulos neben mir: »Thor, glaubst du gar,
Zuschauer dürfst du bei dem Feste sein?
Merk dir, der Sklave, der jenseits der Gränze,
Die nur der Freie überschreiten darf,
Getroffen wird, hat harte Geißelung
Als Strafe zu gewärtigen.« Schwer fiel
Sein Wort mir auf das Herz; doch wußt' ich nicht,
Daß er in Allem finster sah? Als früh
Sich der Platanen Wipfel rötheten
Und Symmias aus seinem Zelte trat,
Zu ihm hineilend um die Gunst ihn bat ich,
Daß zu dem Stadium ich ihm folgen dürfe.
Allein: »Unmöglich das! Für Sklaven nicht
Ziemt solche Schau, und unverbrüchlich gelten
Muß das Gesetz,« – sprach er und schritt hinweg,
Und Heroldsruf erklang, und beim Geschmetter
Der Erzdrommete wogten frohe Schaaren
Rings von den Hügeln zu der Rennbahn hin.

Ich wollte folgen, doch fast mit Gewalt
Fest hielten mich die Sklaven: »Bleib! willst du
Dich ins Verderben stürzen, Thor?« So blieb ich,
Allein wie fiebernd durch die Adern rann
Den ganzen Tag mein Blut, indeß herüber
Vom Stadium die Stimmen hallten: »Seht,
Euryales! im Lauf der Erste ist's;
Nein, Lykas stürmt voran; er steht am Ziel.«
Und dann der Zinken Schall, den Sieg verkündend,
Der Sänger Feierchor. Drauf wiederum:
»Da schaut! Das war ein Diskobolenwurf! –
Dort Nikias! wie mit umerzter Faust
Zu Boden er den Gegner ringt! – Für ihn
Des heil'gen Oelbaums Zweig!« Jubelgeschrei,
Angstruf und Sturm des Beifalls drängten sich,
So wie beim Meeresbranden Flut an Flut;
Dann ward es still; zur Siegesfeier ging
Der Festzug in den Tempel; leise nur,
Verloren trug ein Windhauch hier und da
Der Hymnen Klang uns an das Ohr.

Als dämmernd
Der Abend niederthaute, führten mich,
Den trübe Sinnenden, die andern Sklaven
An den Alpheus, um mich zu zerstreu'n.
Dort welch Gedränge! die bekränzten Schiffe
Mit der Besatzung, Männer fremd von Tracht,
Die von der Sonne Afrika's gebräunt,
Die unter des Euxinos kaltem Himmel
Gebleicht! Daneben auf den grünen Ufern
Die stolzen Rosse, ferner Weiden Zucht! –
Und mehr und mehr, indessen längs des Strandes
Wir wandelten, erfüllten Thal und Höh'n
Sich mit der Festgenossen munterm Schwarm,
Die, hin aufs Grün gestreckt, bei Becherschall
Und Leierklang Gelage feierten.
Da kündeten, von Horchenden umringt,
Erzähler ihrer Heimat Wunder, da
Sangen Rhapsoden der Heroen Thaten,
Und im Vereine mit der alten Helden
Erscholl der jüngsten Sieger Ruhm. Zuletzt
Goß auf die Augen der Ermüdeten
Der Silberstrahl des Mondes Schlaf herab;
Ich aber sann – denn Ruhe ließ mir's nicht –
Wie ich am Folgetag des Wagenrennens
Zeuge zu sein vermöchte.

Während rings
Reglos die Andern ruhten, mich erhob ich
Und schritt mit leisem, leisem Tritt des Wegs
Zum Hippodrom, der, meinem Aug' erspähbar,
Am Saum des heil'gen Tempelhaines lag.
Ein Lorbeerbaum, der breitgezweigten Wipfels
Die Sitzreih'n überragte, konnte mich
Den Blicken bergen. Hinter seinem Laub
Versteckt, des Morgens und des Festbeginns
Harrt' ich. Und horch! als östlich im Gewölk
Die ersten Sonnenstrahlen zitterten,
Zu wogen schon am Strom und auf den Höh'n
Begann die Menschenflut, sich zu dem Platz
Des großen Schauspiels wälzend; bald gefüllt
War jeder Sitz, heran auf goldnen Wagen
Mit ihren prächt'gen Viergespannen zogen
Die Rosselenker. An den Schranken harrten
Sie ungeduldig, und die Renner stampften
Den Boden mit dem Eisenhuf. Da gab
Ein eh'rner Adler, in die Lüfte steigend,
Das Anfangzeichen; in die Rennbahn brachen
Die schäumenden Gespanne; ich erkannte
Des Symmias beide Söhne; hoch zu Wagen,
Mit Siegeszuversicht im Blick, vorauf
Die Ersten stürmten sie; die Bahn erdröhnte
Vom Räderrasseln, himmelauf erhob
Sich Staubgewölk, und aus der Rosse Nüstern,
Schien's, sprühten Flammen, wie bald dies, bald das
Gespann voran den andern schnaubend schoß;
Und doch mit lautem Ruf und Geißelschlag
Zu schnellerm Lauf noch spornten sie die Lenker.
Neunmal umkreis't war schon die Säule; noch
Als Vorderster hielt sich der jüngste Sohn
Des Symmias, und jedes Auge hing
An ihm und Zuruf scholl von allen Sitzen –
Da schien er zu ermatten; ihm vorbei
Mit weißen Rossen flog ein Anderer;
Noch einmal mit dem Stachel seinen Renner
Trieb Jener an – umsonst – am Ziele stand
Das Schimmel-Viergespann, des Herolds Stimme
Verkündete den Hylas von Korinth
Als Sieger; Beifallruf erschütterte
Die Luft und, von Glückwünschenden umringt,
Im Feierzuge ward der Sohn Korinths
Zur Krönung in den Tempel Zeus' geleitet.
Aus dem Versteck hervor dem Schwarm des Volks
Zu folgen trieb's mich; Keiner achtete
Im Rausch der Freude mein, und längs der Reih'n
Von eh'rnen Bildern, die der Ewigkeit
Der Sieger Züge aufbewahrten, schritt
Ich durch den heil'gen Hain bis zu dem Thor
Des Tempels – sieh! und über dem Gewog
Der Häupter hoch wie aus dem Himmel schaute
Des Wolkensammlers hehr olympisches
Antlitz auf mich herab – an dem Altar
Vor ihm gesenkten Haupts empfing der Sieger
Aus der Hellenenrichter Hand die Palme
Und um die Stirn den heil'gen Oelzweigkranz
Ihm wanden sie. – Muß nicht Kronion selbst
Den Sterblichen um solches Glück beneiden?
O daß auch ich um diesen Siegeslohn
Einst werben dürfte! – also dacht' ich; da
Her aus der Menge von den Tempelstufen
Erscholl es: »Wie nur hat der freche Sklav
Sich bis hieher gedrängt? Packt ihn! Hinweg
Mit ihm zur Geißelung!« Des Symmias Sohn
War's, der so rief, und hundert Stimmen fielen
Ein in den Ruf: »Den heil'gen Hain des Zeus
Hat er befleckt durch seine Gegenwart,
Der Schurke! fort mit ihm!« – Vergebens war
Mein Widerstand, hinweggeschleppt ward ich,
Und während sich beim Abendschein die Freien
Zum frohen Siegesmahl versammelten,
Ließ Symmias' Sohn, umringt von den Gefährten,
Durch Sklavenhand an einen Baum mich binden
Und überwachte selbst die Strafe; höhnend
Mit seinen Spießgesellen sah er zu,
Wie mir entblößt der Rücken ward; ich schäumte
Vor Grimm, mir spannten alle Muskeln sich,
Die Stricke zu zerreißen, die an Leib
Und Arm und Fuß mich fesselten; umsonst.
Die Geißelhiebe fielen Schlag auf Schlag,
Indessen, mit der Festgenossen Jubel
Gemischt, der wüsten Bande Hohngelächter
Um mich ertönte. Mit geschwundnen Sinnen
Zuletzt sank ich zu Boden.

Morgens weckten
Die Sklaven mich. Als wäre nichts geschehn;
»Komm! – riefen sie – zur Heimkehr aufgebrochen
Ist unser Herr.« Sprachlos sie starrt' ich an,
Und mich von dannen leiten mußten sie.
Wie ich den ersten Tagesmarsch vollbracht,
Bewußtsein bleibt mir nicht davon; nur dunkel
Noch vor dem Geist mir schwebt es, daß am Abend
Freundliche Worte Symmias zu mir sprach:
»Ich wußte nichts von dem Geschehenen;
Schon schwer verwiesen hab' ich's meinem Sohn,
Daß zum Vollzug der alten Satzung er
Die andern trieb.« Wohl sprach er es, doch glitt's
Wie hohler Schall an meinem Ohr vorbei;
Den ganzen Weg stumm, wie vernichtet, blieb ich,
Bis, wie aus todestiefem Traum erwachend,
Ich wieder die Akropolis vor mir
Aufsteigen sah und eben Symmias
Beim Eintritt in Athen also zu mir
Anhub: »Wohl von den Ländern hörtest du,
Die in Thessalien ich ererbt, mit Wäldern,
Untiefen, Sümpfen überdeckt noch ist
Ihr Boden, wilder Thiere Zufluchtstatt.
Dorthin entsenden will ich eine Schaar
Von Sklaven, und zu ihrem Vogte dich
Hab' ich erwählt; wenn gut dein Amt du führst
Und dir's gelingt, die unwirthbare Wildniß
Urbar zu machen, nicht soll's dich gereu'n;
Die Freiheit schenken werd' ich dir zum Lohn.«

An diesen Worten mählig wieder blühte
Mein Leben auf. In meines Herren Haus
Erwuchs Theano, seine einz'ge Tochter,
Ein holdes Kind. Von je war freundlich sie
Zu mir gewesen und ihr Lächeln hatte,
Wie Frühlingsthau die eis'ge Winterflur,
Mein starres Herz gelabt. Nur scheu wagt' ich
Den Blick zu ihr emporzuheben, doch
Seit lang geheim, mir selbst kaum eingestanden,
In meinem Herzen regte sich der Wunsch,
Als meines Lebens schönster Traum, daß einst,
Vom Sklavenjoch befreit, ich mein sie nennte.
So bei des Symmias Versprechen sank
Plötzlich mir alle die erlitt'ne Qual
Gleich einem finstern Nachtgewölk zurück
Und Hoffnung strahlte neu mir sonnenhell.

Bald nach Thessalien mit der Sklavenschaar
Trug mich ein Schiff. In sumpf'ger Niederung
Voll schilf'ger Moore, düstrer Ulmenwälder,
Durch deren dichtverwachs'ne Wipfelkronen
Das Eishaupt des Olympus aus der Ferne
Herüberschimmerte, begann mein Werk,
Und, ob auch vor der Sümpfe feuchtem Qualm,
Des Winters eis'gen Stürmen, wie der Glut
Des Hundssterns keine Hütte Schutz uns bot,
Bei Nacht wie Tag nicht Ruhe gönnt' ich mir,
Den Andern bei der Arbeit stets voran,
Um Stämme auszuroden, Wassergräben
Zu ziehen, Eber, Bär und Wolf zu jagen.
Gelichtet wurde nach und nach der Wald,
Scheu barg das Wild sich in der Berge Schluchten,
Und, als zwei Jahre ihren Lauf vollbracht,
Zu blüh'ndem Saatfeld umgeschaffen war
Die Wüstenei. So nach vollbrachtem Werk –
Ein Wunder schien es fast, daß ich's so schnell
Vollführt – von Neuem stieg ich auf das Schiff,
Und vor dem Steuer leuchtete die Hoffnung
Mir als Fanal. Da jenseits Suniums
Ich nun, vom blauen Mittelmeer getragen,
Der Pallas Erzbild mir vom Parthenon
Entgegenglänzen sah, wie jauchzte mir
Das Herz! Bald nun ein Freier sollt' ich sein,
Bald sie, die fort und fort mir vor dem Geist
Geschwebt, Theano wiedersehn. Kaum noch
Gelandet, vom Piräus trug der Fuß
Beflügelt mich bis zum Hymettushang
Und in des Symmias Haus; vor den Gebieter,
Um ihm die Botschaft deß, was ich vollbracht,
Zu bringen, wollt' ich treten; doch ein Sklav,
Der an der Thür die Wacht hielt, flüsterte:
»Er ist schwer krank; einlassen darf ich Keinen.«
Wie schreckgelähmt stand ich; von innen da
Scholl Symmias' Stimme: führ ihn ein! – Ich fand
Den Kranken auf das Lager hingestreckt,
Und neben ihm an ihrer Brüder Seite
Theano, nun zur Jungfrau aufgeblüht.
Als ich Bericht von meinem Werk gegeben,
Aufleuchtete das Auge des Gebieters
Und mir die Hand entgegen streckt' er: »Brav,
Mein Sohn! so wie ich dir verheißen, frei
Bist du fortan.« Ein Sturm der Wonne ging
Bei diesem Wort durch all mein Wesen hin,
Und aus Theano's Blick auch durch den Gram
Um ihres Vaters Leiden blitzt' ein Strahl
Der Freude. Symmias winkte mir zu gehn,
Und wie im Rausch stürmt' ich hinweg; die Welt
War um mich hingeschwunden, keinen derer
Kannt' ich, die mir begegneten, und lag
Schlaflos im Taumel meines Glücks die Nacht.
Am Morgen schreckten bange Klagerufe
Mich aus den wachen Träumen auf; gestorben
War Symmias; im weißen Todtenkleid,
Schon auf der Bahre liegend fand ich ihn
Und neben ihm Theano knieend, die
Ihn salbt' und kränzte. Trauerweiber kamen
Und Tag und Nacht hindurch mit ihnen blieb
Das Mädchen weinend bei dem bleichen Vater.
In nächster Frühe ward der Obolos
Als Fährgeld für die Ueberfahrt zum Hades
Ihm in den Mund gelegt; ich mit den Sklaven –
Denn, ob auch frei, dem theuern Todten noch
Den letzten Knechtdienst wollt' ich thun – erhob
Die Bahre; von den Reihen der Threnoden
Umgeben, zum Verbrennungsplatze hin
Trugen wir sie und in der Flammen Glut
Verloderten des Edlen ird'sche Reste.

Ein glücklich Leben sah ich nun vor mir;
Denn, war gering auch mein erspartes Gut,
Mehr galt die Freiheit mir als alle Schätze
Und sicher glaubt' ich mich Theano's. So
Ein Häuschen an des Nymphenhügels Fuß
Zur Wohnung wählt' ich mir und hoffte, bald,
Wenn erst der tiefsten Trauer Zeit vorbei,
Das holde Mädchen heimzuführen. Eben
Im neuen Eigenthum die erste Nacht
Hatt' ich verlebt, da von der Straße her
Drang Stimmenruf und lauter Tritte Schall
Zu mir heran, erbrochen ward die Thür
Und Symmias' Söhne stürmten – um sie her
Ein Schwarm Gewaffneter – in mein Gemach:
»Bist du's, entlaufner Sklave? Haben wir
Dich endlich? Ihr da! packt den Schändlichen!«
Drauf ich: »Frei bin ich; selbst habt ihr's vernommen,
Wie Symmias mich des Sklaventhums entband.« –
»Ha! – höhnten sie mit schallendem Gelächter –
Du frei? Wo sind die Zeugen, wo die Richter,
Die Freiheit dir durch ihren Spruch gewährt?
Zu Boden werft den Schurken! Erst legt ihm
Halsringe an! Mit glüh'ndem Eisen dann
Drückt ihm das Brandmal auf den Nacken ein!« –
Schon von Gewaffneten war ich gepackt,
Die mich zu Boden ringen wollten, doch
Wuth der Verzweiflung lieh mir Kraft, ich riß
Mich los, brach mir ins Freie Bahn und floh
Dem nahen Theseustempel zu, daß er
Asyl mir böte. Mir entgegen kam
Als Führer eines Sklavenschwarms Eubulos:
»Muth, Freund! der Freiheit Stunde schlägt uns allen!
Umsonst nicht war es, daß ich insgeheim
So lang gewirkt; die Sklaven von Athen
Erheben sich und stürzen ihre Dränger.
Folg' uns, daß wir des Symmias freche Söhne
In Ketten legen!« Wuthgeschrei und Lärm
Von Waffen tönte rings. – Inzwischen auch
Mich zu verfolgen, hatte sich die Bande
Von meinem Haus herangewälzt; der Kampf
Entbrannte, fast schon Sieger waren wir;
Da in den Rücken, dreifach unsre Zahl,
Fielen uns andre Schaaren; dicht umzingelt
Erlagen wir nach kurzem Widerstand.
An Hand und Fuß mit Ketten schwer beladen,
Ward ich zum finstern unterird'schen Kerker
Geschleppt, mit Eisenringen an die Wand
Geschmiedet, neben mir in langen Reih'n
Die andern Sklaven; aus der grausen Nacht,
Die von Geächz und Wehruf widerhallte,
Nicht andere Befreiung durft' ich hoffen,
Als durch den Tod, der unser Aller harrte;
Bald der, bald jener ward aus unsrer Mitte
Hinweggeholt; von außen her vernahm ich
Des Herolds Ruf: »Zur Strafe für Empörung
Stirbt Heraklit, der Thraker – stirbt Eubulos –
Stirbt Kritias – auf, Henker, thu' dein Amt!«
Gefallen waren viele Häupter schon –
Es ging der Reihe nach, der Nächste mußt'

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