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In der Wüste

Dem schwarzen Junker konnte es allerdings nicht schaden, daß jemand für ihn betete; denn nachdem er gegen den Rat seines treuen Begleiters den Ritt durch die Wüste angetreten hatte, ohne sich vorher genügend mit Wasservorrat zu versehen, geriet er bald in schlimmere Gefahr, als die gewesen war, die er bei der Besiegung der von Ritter Guiscard gedungenen Räuber zu bestehen gehabt hatte.

Nachdem es dem Junker gelungen war, den Arabern die Rosse wieder abzujagen, hatten sich die Camper schnell aufgemacht, um sobald als möglich aus den Schluchten des Berges Hôr herauszukommen. Trotz des tüchtigen Denkzettels, den man den Räubern mitgegeben hatte, war es doch immerhin möglich, daß die Rachsucht, die ja einen Hauptzug im Charakter der Araber bildet, sie dazu treiben würde, es noch einmal mit einem hinterlistigen Überfall von einer der vielen seitlichen Felsspalten aus zu versuchen, und der Junker hatte keine Lust, sich noch einmal durch sie aufhalten zu lassen.

Mit immer wachsender Ungeduld trieb es ihn vorwärts, und als sie in der vierten Nachmittagstunde den letzten Abhang des Gebirgsstockes erreicht hatten und die unendlich erscheinende Hochebene der Wüste Araba zu ihren Füßen liegen sahen, wollte er von der geplanten Rast bis zum Einbruch der Nacht nichts mehr wissen und ließ seinen Fuchs so schnell den steilen Saumpfad hinabgehen, daß Hen auf seinem behäbigen Schimmel kaum folgen konnte.

Endlich waren sie unten, und nun drängte der Alte ernstlich zu längerem Aufenthalt.

»Herr Junker,« sagte er, »es ist ein Unding, daß wir in diesem Zustand den Ritt durch die Wüste beginnen. Bis zum Tal el ghubai, wo wir auf den ersten Wasserplatz hoffen dürfen, sind es mindestens an die zehn Stunden. Die Pferde sind von der langen Kletterei müde, und wir haben schon jetzt kaum Wasser genug in Euren beiden Krügen, um sie zu tränken. Ihr wißt doch, daß mir die braunen Schlingel meinen Wasserschlauch entzwei geschossen haben. Wenigstens müßt Ihr mir so viel Zeit lassen, daß ich den Schaden ausbessern und eine Quelle suchen kann, um ihn aufs neue zu füllen.«

Nach längerem Widerstreben willigte der Junker endlich ein, erklärte aber, daß er mit Sonnenuntergang unter allen Umständen aufbrechen werde, komme es nun, wie es wolle.

Die Pferde wurden nun abgesattelt und im Schatten einer vorspringenden Felswand gefüttert und getränkt. Trotz der großen Strapazen waren sie recht gut im Stand, und namentlich schaute der Fuchs, der, wie alle edlen arabischen Pferde, von großer Ausdauer war, so munter drein, daß der Junker in seiner Absicht, frisch drauf los zu reiten, nur noch bestärkt wurde und den Alten wegen seiner übergroßen Fürsorglichkeit weidlich verspottete.

Hen ließ sich durch den Spott des Junkers nicht beirren, und nachdem sich die beiden Männer durch einen Imbiß gestärkt hatten, machte der Alte sich daran, so gut es gehen wollte, das Loch zu flicken, das der meuchlerische Pfeil in das Ziegenfell des Wasserschlauches gerissen hatte.

Der Junker benutzte die Zeit, um in den benachbarten Schluchten nach Wasser zu suchen. In einiger Entfernung fand er auch eine kleine Quelle, die aber so müde zwischen den Steinen hervorsickerte, daß es kaum möglich schien, ihr Wasser aufzufangen, das sich zum größten Teil schon im Geröll verlaufen hatte, ehe man seiner habhaft werden konnte.

Doch auch hierfür wußte der Alte, den die Not auf der Kreuzfahrt durch die Wüsten Kleinasiens und Syriens manchen Kunstgriff gelehrt hatte, Rat. Nachdem er das Geröll beiseite geschoben und auf dem festen Untergrund ein förmliches kleines Staubecken angelegt hatte, breitete er, um die Flüssigkeit am Entweichen zu verhindern, sein Lederwams darauf aus, und hier sammelte sich nun allmählich so viel Wasser, daß man es in die Krüge schöpfen konnte.

Immerhin war es eine mühevolle und zeitraubende Arbeit, den glücklich wieder ausgebesserten Schlauch auf diese Weise zu füllen, und die Sonne überragte nur noch wie eine kleine güldene Spange den fernen Horizont der Wüstenebene, als die Reisenden ihre Rosse bestiegen, um den Ritt über das öde Steinfeld anzutreten.

Kein Pfad war hier zu erblicken; denn die alte Karawanenstraße von Medina nach Arsinoe (beim heutigen Suez) lag eine Tagereise weiter südlich, und um sie gleich vom Rande des Gebirges aus zu benutzen, was allerdings sicherer gewesen wäre, hätte man einen Umweg von gut anderthalb Tagereisen machen müssen. Daran aber war bei der Ungeduld des Junkers nicht zu denken, und so hatte der Alte sich, wenn auch schweren Herzens, entschlossen, geradeswegs durch die Wüste nach Westen bis zum Tal el ghubai zu marschieren und von dort erst nach Süden hin auf die Karawanenstraße abzubiegen. – Zunächst gab die untergehende Sonne die Richtung an, und dann würden, wie er hoffte, die Sterne das ihrige tun, nach denen er sich ja schon so manches liebe Mal in der unbekannten Wildnis hatte zurechtfinden müssen.

Der Junker zerbrach sich über all diesen Sorgen nicht den Kopf. Er vertraute auf Gott und seine gute Sache und verließ sich im übrigen ganz auf seinen treuen Begleiter, den dieses Vertrauen nicht wenig erfreute und zu immer größerer Sorgfalt und Wachsamkeit anspornte.

Wie überall im Morgenlande, kam die Nacht schnell. Es wurde plötzlich so finster, daß man die Pferde anhalten mußte, weil sie zwischen dem Steingeröll so unsicher gingen, daß die Gefahr nahe lag, sie würden sich die Beine brechen.

Allmählich aber gewöhnte man sich an die Dunkelheit, und nun ging es Schritt um Schritt weiter, bis der Mond aufstieg und die Wüste mit bleichem Schimmer übergoß.

So war man in der milden Nachtluft schon ein tüchtiges Stück vorwärts gekommen, als der Schimmel, durch das Heulen eines ganz in der Nähe ihnen nachziehenden Wolfes erschreckt, scheute, zwischen den Steinen stolperte und dabei so heftige Bewegungen machte, daß der Wasserschlauch das Gleichgewicht verlor und zu Boden rutschte.

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»Haltet ein, Herr!« rief Hen in Verzweiflung.

Mit Entsetzen fühlte Hen die verhängnisvolle Bewegung. Im Nu war er aus dem Sattel, um den Flüchtling womöglich noch aufzuhalten. Aber er kam zu spät. Das Unglück war schon geschehen. Das glatte Ziegenfell hatte nur allzu schnell den Halt verloren. Bei dem Fall war das kaum geflickte Loch wieder aufgerissen, und nun verlief sich das kostbare Naß, das man mit so großer Mühe gesammelt hatte, nutzlos im Gestein. »Haltet ein, Herr!« rief er in Verzweiflung dem Junker nach, der von dem Unfall gar nichts gemerkt hatte und munter seines Weges zog.

»Was ist denn?« antwortete der Junker, sich im Sattel herumdrehend. »Ich glaube gar, du hast dich mit dem Wolf eingelassen!«

»Ach, Herr! Eine Ziege kann einem manchmal mehr zu schaffen machen, als ein ganzes Rudel Wölfe! Kommt doch nur her und beseht Euch den Schaden.«

Wirklich ließ sich der Junker durch den jämmerlichen Ton des Alten veranlassen, umzudrehen und nach der Unfallstelle zurückzureiten. Für den Ernst der Lage aber schien er gar kein rechtes Verständnis mitzubringen.

»Um das bißchen Wasser machst du solch ein Geschrei?« rief er. »Laß es doch laufen! Dein Schimmel wird schon nicht böse drum sein, daß er den Ballast los geworden ist.«

»Um das bißchen Wasser!« wiederholte der Alte händeringend, und über das mangelnde Verständnis seines Junkers fast mehr außer sich, als über den unersetzlichen Verlust. »Herr! Vergeßt Ihr denn ganz, daß wir mitten in der Wüste sind und alle vier elend zu Grunde gehen müssen, wenn wir nichts zu trinken haben?«

»Hast du schon wieder Durst, Alter? Mich wundert nur, daß du dich nicht hinter deinen Freund Kellermeister gesteckt und dir ein paar Faß Wein hast aufpacken lassen! Trenne dich endlich von dem Unglücksding da, das uns bisher nur unnütz aufgehalten hat und das wir doch nicht brauchen. Der Mond wird früh genug wieder untergehen, und wir müssen die Zeit nützen.«

»Aber ich sage Euch, Herr, wir können nicht weiter, wenn wir kein Wasser haben. Glaubt mir, ich habe in Syrien die Wüste kennen gelernt!«

»Dann mag sie in Syrien gefährlicher sein. Hier fühle ich mich vorläufig noch sehr wohl und habe nicht die geringste Neigung zum Trinken.«

»Jawohl! – Solange es Nacht ist und kühl. Aber wehe uns, wenn die Sonne kommt und uns das Blut kocht und die Knochen ausdörrt!«

»Bis dahin sind wir längst in deinem Tal bei den Quellen und lassen's uns wohl sein.«

»Aber wir erreichen das Tal nicht vor Mittag! Laßt Euch doch raten, Herr! Denket an Hagar und Ismael! Es sind keine drei Tagereisen von hier, wo sie in der Wüste bei Beerseba verschmachteten.«

»Sie verschmachteten nicht, denn der Herr zeigte ihnen einen Brunnen. Und uns wird er auch nicht verschmachten lassen, wenn wir auf ihn vertrauen. Komm jetzt endlich, oder ich werde böse!«

»Nun denn, wie Ihr wollt; so will ich zu Gott beten, daß er auch an uns ein Wunder tut und es uns nicht entgelten läßt, daß wir ihn versuchen. Aber haltet Euch links. Seht Ihr dort das Sternbild der Jungfrau? Es steht im Südwesten um diese Zeit. Ihm müssen wir nachgehen, bis die Sonne uns wieder den Weg weist.«

Sie ritten nun rüstig fort, bis der Mond hinter den südlichen Bergen verschwunden war und die Dunkelheit sie zwang, halt zu machen. Der Junker versuchte zwar noch eine Zeitlang, vorwärts zu kommen. Bald aber mußte auch er es aufgeben und darein willigen, daß bis zum Sonnenaufgang Rast gemacht werde.

Die Pferde wurden abgesattelt und an ein paar großen Steinen festgebunden. Die Reiter ließen sich daneben im Geröll nieder.

»Wie lange, meinst du, werden wir hier wohl liegen müssen, bevor der Tag kommt?« fragte der Junker.

»An die drei Stunden, Herr, wie ich denke,« antwortete der Alte, der sich schon so gut wie möglich zum Schlummer eingerichtet hatte. »Aber lasset uns die Zeit benutzen und schlafen; wir werden morgen der Stärkung bedürfen.«

Gleich darauf ließ ein kräftiges Schnarchen erkennen, daß er selbst diesen guten Rat sehr pünktlich befolgt hatte.

Der Junker saß noch eine Weile sinnend da. Endlich aber sank auch ihm der Kopf auf die Brust, so daß er kaum noch das Wiehern vernahm, das der kluge Fuchs ausstieß, um einen naseweisen Schakal zu verscheuchen.

Als er wieder erwachte, bemerkte er mit Unwillen, daß die Sonne schon über dem Berge Hôr stand, der mit seinen beiden höchsten und den vielen kleineren Kuppen nach Nordosten hin den Horizont begrenzte und in dieser Morgenbeleuchtung so nahe aussah, daß der Junker ärgerlich in die Höhe sprang. So wenig hatten sie während der Nacht geleistet und nun noch am Morgen gut eine Stunde verschlafen!

Auch der Alte war von dem späten Erwachen sehr wenig erbaut.

»Morgenstunde hat Gold im Munde, und in der Wüste ist der Tau mehr wert als Gold,« brummte er vor sich hin, während er in Eile die Pferde sattelte, die während der Nacht oft von Raubtieren gestört worden waren und deshalb die Köpfe hängen ließen.

Das war kein gutes Zeichen, und mit sorgenvoller Miene blickte er auf den violetten Dunst, der, als Vorbote beginnender Glut, über der steinigen Wüste lag.

Der Junker dagegen hatte kein Arg daraus, und sobald er nur im Sattel saß und vorwärts kam, war er so frohen Mutes, daß auch des Alten Hoffnungssegel, das vorher so schlaff gewesen war, anfing, sich wieder ein wenig zu blähen. Nach seiner Berechnung hatten sie bis zum Tal el ghubai noch etwa vier bis fünf Stunden, so daß sie erwarten durften, noch vor Beginn der größten Hitze dort einzutreffen.

Im Anfang ging auch alles recht gut, bis der violette Dunst rings umher zu flimmern begann, und sich von Südosten her ein leichter Wind aufmachte, der sich wie eine glühende Welle über die Einöde wälzte und ganz feinen Staub mit sich führte. Durch alle Kleider drang der feine Sand, er setzte sich in die Augen und Ohren und in den Mund, so daß die Zähne knirschten und die Zunge nach Feuchtigkeit verlangte.

»Der Samum! Nun sei Gott uns gnädig!« dachte der Alte und schickte manches stille Gebet zum heiligen Florian, seinem Schutzpatron, der ja doch sonst just in Feuersnot seine Wunderkraft bezeuge und sie also gewiß auch aus diesem Höllenbrand glücklich erretten werde.

Aber der Heilige schien in diesem Falle nicht gewillt zu sein, seinem Schützling beizuspringen; denn nach kurzer Zeit fing der Schimmel an, in bedenklicher Weise die Zunge heraushängen zu lassen.

Ohne daß der Junker etwas davon merkte, stieg der Alte ab und führte das Pferd, um es zu schonen, am Zügel hinter sich her, nachdem er ihm zuvor den Sattelgurt gelockert hatte.

So ging es wieder ein gutes Stück weiter. Da merkte er, daß auch der Fuchs anfing, langsamer und immer langsamer auszuschreiten, bis er schließlich ganz stehen blieb.

Erschreckt lief er, so schnell es noch gehen wollte, hinzu und sah nun, daß der Junker, des glühenden Wüstenwindes und der unausgesetzt vor den Augen flimmernden Luft ungewohnt, im Sattel eingeschlafen war.

Ohne ihn zu stören, ergriff er nun auch den Fuchs, der immer noch leidlich frisch war, am Zügel und suchte so mit beiden Tieren vorwärts zu kommen.

Lange aber vermochte er das nicht durchzuführen und mußte sich endlich doch entschließen, den Junker zu wecken.

»Was ist?« rief der junge Mann, aus dumpfem Halbschlaf aufschreckend. »Sind wir an der Quelle?«

Der Kopf schmerzte ihn, die Zunge war wie ein Reibeisen und klebte am Gaumen und in den Gliedern fühlte er eine bleierne Schwere.

»Noch nicht, Herr, aber bald!« antwortete der treue Alte, sich zur Heiterkeit zwingend. »Wenn Ihr Euch nur noch ein Stündchen gedulden wollt, könnt Ihr trinken nach Herzenslust!«

»Ich brauche nicht zu trinken. – Nur vorwärts! – Nur vorwärts!« entgegnete der Junker, sich zusammenraffend, doch ohne zu vollem Bewußtsein zu gelangen.

Seine Stimme klang dabei so hohl, und sein Gesicht war so bleich, daß dem Alten die Tränen über die Wangen rollten, als er ihn so beobachtete.

Dennoch hielt er jetzt wenigstens sein Roß im Gang, und um ihn wach zu erhalten und ihn abzulenken, begann der Alte nun, so schwer es ihm auch wurde, sich selbst und seinen Gaul fortzuschleppen, allerhand Schnurren und Erlebnisse von seinen früheren Fahrten zu erzählen.

Er plauderte von Nicäa, wo die Kreuzfahrer von den Griechen in so schändlicher Weise hintergangen wurden und wo sie die eigenen Glaubensgenossen von der Stadtmauer herab verhöhnt, sie beim Einkauf von Speise und Trank betrogen und sogar Kalk unter das Mehl gemischt hätten, so daß viele daran erkrankt und gestorben wären. Dann von Doryläum, wo die Sarazenen beim ersten Angriff davongelaufen wären, so daß die Kreuzfahrer schon geglaubt hätten, des Sieges sicher zu sein. Diese Flucht sei aber nur eine Hinterlist gewesen, um sie zu ermüden und in einen Hinterhalt zu locken. Hier wären sie dann auch ganz sicherlich alle durch die Schwerter der sarazenischen Reiter umgekommen, wenn der tapfere Herzog Gottfried von Bouillon nicht noch zur rechten Stunde Wind bekommen und sie herausgehauen hätte.

Auch von Antiochien erzählte er und von der heiligen Lanze, über deren wunderbare Auffindung und Betätigung schon damals eine förmliche Legende sich gebildet hatte, die bis auf unseren Tag gekommen ist und also lautet:

 

Die Legende von der heiligen Lanze zu Antiochien.

»Auf dem Zuge, welchen die Christen unter Anführung des frommen Herzogs Gottfried von Bouillon, des Grafen von Toulouse und anderer Fürsten antraten, um das heilige Land und Jerusalem aus den Händen der Ungläubigen zu befreien, gelangten sie nach Antiochien und belagerten die Stadt. Nach sieben Monaten sah man jedoch noch keinen Erfolg: die Angriffe der Feinde, der Mangel an Lebensmitteln und ein furchtbares Erdbeben erzeugten große Not im Lager der Christen.

Es war daselbst unter ihnen Petrus, ein Pilger, arm und geringer Herkunft, aber fromm. Er konnte weder lesen noch schreiben; doch das Vaterunser, den Glauben, das Gloria und das Benedictus betete er mit einfachem Sinn, wie man es ihn gelehrt hatte.

Einsam ruhte dieser einst in seinem Zelte und rief in schlafloser Nacht von großer Furcht bedrängt: ›Herr, hilf! Herr, hilf!‹

Da traten zwei Männer zu ihm mit leuchtenden Kleidern. Der Ältere hatte einen langen braunen Bart und schwarze durchdringende Augen; der Jüngere war schlanker, man mochte sein Antlitz mit keiner anderen Bildung vergleichen.

Jener aber hub an: ›Ich bin Andreas, der Apostel, fürchte dich nicht, sondern folge mir nach.‹

Der Pilger stand vom Lager auf, jene beiden gingen voran zur Kirche des heiligen Petrus. Zwei Lampen brannten nur in dem weiten Gewölbe, und doch war es so hell wie am Mittag.

Der Apostel sprach: ›Warte ein wenig,‹ und ging hinweg.

Petrus setzte sich an eine Säule auf die Stufen, welche von Mittag her zum Hochaltar führten. Der jüngere Begleiter stand in der Ferne, auch an den Stufen des Altars.

Nach einer Weile kam der heilige Andreas aus der Tiefe hervor, trug eine Lanze in der Hand und sprach zu Petrus: ›Siehe, mit dieser Lanze ist die Seite geöffnet worden, aus welcher das Heil geflossen für alle Welt. Gib acht, wo ich sie verberge, damit du sie nach der Einnahme Antiochiens dem Grafen von Toulouse nachweisen könnest; zwölf Männer müssen graben, bis man sie findet. Jetzt aber verkünde dem Bischof von Puy: Er möge nicht ablassen von Ermahnung und Gebet, denn der Herr sei mit euch allen.‹

Als der Apostel so gesprochen, führte er mit seinem Begleiter den Pilger über die Mauern der Stadt zurück in sein Zelt. Dieser aber wagte nicht zu dem Bischof zu gehen und das Geschehene zu erzählen, sondern zog nach Roja, um Lebensmittel zu sammeln.

Da erschien ihm um die Zeit, wenn der Hahn zum ersten Male kräht, am ersten Tage der großen Fasten, wiederum der Apostel mit seinem Begleiter; ein heller Glanz erfüllte das Zimmer.

Jener sprach: ›Petrus, schläfst du?‹

Petrus antwortete: ›Nein, Herr, ich schlafe nicht.‹

›Hast du getan, was ich dir befohlen?‹ fragte Andreas weiter.

›Ich habe mich gefürchtet,‹ erwiderte der Pilger, ›denn ich bin arm und gering, keiner wird meinen Worten glauben.‹

Da sprach der Apostel: ›Weißt du nicht, wie die Armen und Geringen das Reich Gottes erwerben, und hat euch nicht der Herr auserwählt zur Erlösung seines Heiligtums? – Siehe, die Heiligen selbst möchten den Himmel verlassen und teilnehmen an eurem Beginnen. Gehe hin und tue, was ich dir geheißen!‹

Petrus zögerte noch immer. Er wollte gen Zypern segeln; ein Sturm warf ihn zum Lande zurück. – Er erkrankte.

Währenddessen war Antiochien eingenommen worden durch Hilfe christlich gesinnter Bewohner. – Aber ein neues Heer der Türken belagerte nunmehr die Kreuzfahrer, und größere Not entstand als je zuvor.

Da erschienen jene zwei zum dritten Male dem Pilger, und der Apostel sprach: ›Petrus! Petrus! Du hast noch nicht verkündet, was dir vertraut worden!‹

Dieser aber sagte: ›O Herr, erwähle einen Weiseren, einen Reicheren, einen Edleren; ich bin unwürdig solcher Gnade.‹

›Der,‹ antwortete der Heilige, ›ist würdig, welchen der Herr erwählet! Tue, was dir befohlen ward, damit die Krankheit von dir weiche.‹

Ernst war des Apostels Blick, mild aber und wie von himmlischem Lichte umflossen das Antlitz seines Begleiters.

Da faßte Petrus Mut und sprach: ›Wer ist dein Begleiter, der noch nicht gesprochen hat, zu dem mich aber Liebe hinzieht und Sehnsucht, der mein Inneres löset von jedem Zweifel, der meine Seele füllt mit Vertrauen und himmlischer Ruhe?‹

Der Apostel antwortete: ›Du magst ihm nahen und seine Füße küssen.‹

Petrus trat hinzu und kniete nieder; da sah er blutige Male an den Füßen. – Er fiel auf sein Angesicht und rief: ›Mein Herr und mein Gott!‹

Es breitete Christus über ihn die Hände und verschwand.

* * *

Der Pilger verkündete das Gesicht. Zwölf Männer gruben vom Morgen bis zum Abend – da zeigte sich die Lanze.

Durch ihre Wunderkraft gestärkt, siegten die Christen über alle Feinde. Die Erzählung aber ist aufbewahrt worden, damit ein kindlich Gemüt sich an dem erbaue, was den Verständigen dieser Erde verborgen ist.« (v. Raumer, Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit. I. S. 378.)

* * *

Über dem Schwatzen hatte Hen gar nicht gemerkt, wie der Schimmel immer matter und matter geworden war. Aber plötzlich brach das gutmütige Tier unter schrecklichem Stöhnen zusammen, verdrehte die Augen, versuchte noch einige Male vergeblich, sich wieder aufzurichten, verfiel in krampfartige Zuckungen und streckte endlich die zitternden Beine von sich.

Jammernd lief der Alte hinter dem Junker her, der inzwischen ruhig weiter geritten war, als habe er von dem Unglück gar nichts bemerkt.

Auch als ihm Hen jetzt mit heiserer Stimme zurief, was geschehen sei, schien er gar nicht darauf zu hören, stieß mit wirren Blicken unverständliche Worte aus und ließ den Fuchs, dem jetzt auch die Zunge weit aus dem schaumbedeckten Maule hing, gehen, wohin er wollte.

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Infolge der Erschöpfung war der Junker vom Pferde gesunken.

Dieser traurige Zustand seines Herrn ließ den Alten die eigene Not bald vergessen. In dem Mantelsack, den er dem sterbenden Schimmel abgenommen hatte und jetzt, obwohl er sich selbst kaum noch vorwärts bringen konnte, auf dem Rücken weiterschleppte, befand sich ein Fläschchen mit Essig. Er hatte dessen belebende Wirkung am eigenen Leibe oft erprobt. Schnell holte er das Gefäß hervor und hielt es dem Junker eine Zeitlang vors Gesicht.

Die Wirkung blieb auch diesmal nicht aus. Allmählich erholte sich der Junker wieder. Seine schlaffen Züge belebten sich, das Auge nahm wieder einen bestimmteren Ausdruck an, und plötzlich rief er mit freudiger, wenn auch tonloser Stimme: »Wasser! Dort ist Wasser!« – – »Wo?« fragte der Alte, von der unverhofften Freude angesteckt.

»Dort! – Dort! – Siehst du's denn nicht? Ein ganzer See! – Es spiegeln sich ja die Steine darin!«

Dabei starrte er in die Ferne vor sich hin, wo in der Tat ein großer See zu liegen schien, in dem sogar das Spiegelbild von Bergen sichtbar war, die man in Wirklichkeit noch gar nicht erblicken konnte.

Die Erscheinung war so greifbar deutlich, daß auch der Alte sie für Wirklichkeit hielt, obwohl ihn die Fee Morgana schon zu verschiedenen Malen durch ihre Zauberkünste genarrt hatte.

»Ja, wahrlich, Herr!« rief er, auch schon verwirrt von der betäubenden Glut des unermüdlich seine Sandschleier heranwälzenden Samum. »Wahrlich, Herr, wenn nicht die Teufelin Feimorgân ein tückisches Spiel mit uns treibt, ist dort Wasser. Ich will hinüber laufen und die Krüge füllen. Wartet hier, bis ich zurück bin. Es soll nicht lange dauern.«

Der Junker wartete. – Er sah den Alten über die Steine klettern, bis er vor Staub seine Gestalt kaum noch erkennen konnte. Dort war doch das Wasser! Warum schöpfte er denn nicht und brachte die Krüge zurück?

Der Junker wartete. Er sah den Alten längst nicht mehr. Dunkel kam es ihm zum Bewußtsein, daß er eigentlich doch selbst hinüberreiten könne. Aber wenn er es ausführen wollte, wußte er nicht, wie er es anfangen sollte. Saß er nicht auf einem riesigen Drachen, der durch die Lüfte fuhr? Wie sollte er da zur Erde hinunterkommen? – Und es wäre doch so schön gewesen; denn in der Luft waren die Teufel hinter ihm her und bliesen aus vollen Backen ihren feurigen Atem auf ihn ein.

Der Junker wartete – er wartete – bis er vom Pferde sank.

Langsam glitt er vom Rücken des wackeren Rosses auf den steinigen Boden nieder.

Und mit ihm kehrten auch seine Traumgebilde auf die Erde zurück und ließen ihn ein gar seltsames Abenteuer erleben.

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