Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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5.

Das dürftige Theaterhaus, dessen rohe Balken und Bretter Zeit und Rauch gebräunt hatten, war zum Erdrücken voll. Es brannten einige Lichter mehr als sonst und im Orchester hatte sich die Zahl der Geiger vergrößert. Muntre Scherze und harmlose Witzworte flogen von Lippe zu Lippe, und das Volk der Vorstadt, die stets in Paris wegen ihres ungezügelten Geistes verrufen war, legte sich keinen Zwang an. Nur im Hintergrunde, in der Loge, wie man den einzigen Bretterverschlag der Bühne gerade gegenüber nannte, war's düster und ziemlich still; denn dort hatte die Prinzessin von Montpensier mit einigen ihrer Frauen Platz genommen. Die um sie waltende Dämmerung nebst Mantel und Schleier schützten sie vor neugierigen Blicken, und doch konnte sie von hier aus alle übrigen Zuschauer im hellen Vordergrund, so wie die ganze Bühne, übersehen und beobachten. Rechts auf der Gallerie vorn an saß 43 Elisabeth von Tarneau, das holde ihrer Reize sich nicht bewußte Mädchen und sah halb schüchtern, halb verwundert bald auf den Vorhang, bald auf das volle Haus, und wenn die kühnen Blicke der Roué's und Badauds der Vorstadt allzu merklich nach ihr hinstreiften, die gerade an der hellsten Stelle des Hauses die Aufmerksamkeit erregen mußte, dann schlug sie das schöne Auge sittig zu Boden, jedoch nicht ohne durch die langen dunkeln Franzenvorhänge derselben schelmisch neugierig hindurch zu lauschen. Mademoiselle Poupard hatte ihre Milchtochter trotz des den Eltern gegebenen Versprechens auf einige Augenblicke verlassen, um dem Wunsche ihres Herzens eine Genüge zu leisten, nämlich ihren Sohn in seinem prächtigen Königskleide noch vor Beginn des Stücks an ihr stolzes Herz zu drücken.

Benoit war heut Abend auffallend einsylbig; nie hatte ihn seine sonst so heitere Laune mehr verlassen. Er blieb kalt gegen die ausgesuchten Schmeicheleien der Madame Debarques, antwortete auf die Lobeserhebungen des Directors kein Wort, schlug den Wein aus, den ihm der 44 vergnügte Abbé Bertault, der für seinen Vater galt, anbot, und schien sich um Nannon gar nicht zu bekümmern. Erst als Mademoiselle Poupard ihn in eine Ecke zog und mit mutterliebender Zudringlichkeit scharf inquirirte, sagte er kurz: »Mamma, ich muß Ihnen sagen, daß ich das Theater des Herrn Debarques noch diesen Abend verlasse. Es frißt mir das Herz ab, daß mir Nannon untreu geworden ist. Ich habe früher gar nicht gewußt, wie sehr ich sie geliebt; jetzt weiß ich's. Aber ich mag die Brosamen nicht, die von eines Herzogs Tische fallen. Sättige sich daran, wer mag; ich spüre keinen Appetit.«

»Und wohin willst Du dich wenden, mein Sohn?« fragte Margoton bekümmert.

»Das wird sich finden. Ich wollte ich wäre gleich gegangen, aber ich gab Ihren und des Herrn Abbé Bitten nach. Das Stück will ich noch mitspielen; es ist das letzte.«

Mademoiselle Poupard wollte sich schnell entfernen, ihr grollender Sohn hielt sie aber am Aermel zurück und fügte noch rasch hinzu: »Wenn Sie sich einfallen lassen sollten, Herrn 45 und Madame Debarques, oder dem Herrn Abbé etwas von meinem Vorhaben zu plaudern, um im Verein mit ihnen Sturm auf mich zu laufen, so schwör' ich Ihnen zu, daß ich mich sogleich fortmache, ohne heute Abend zu spielen.« Die Haushälterin erschrak heftig und blieb. Dafür wandte sie alle Mittel an, die ihrem Herzen zu Gebote standen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, aber er blieb kalt und fest, und schob sie etwas unsanft bei Seite, als die Klingel zum Anfang schellte.

Die betrübte Margot vergaß über ihrem Kummer die verlassene Elisabeth, und schlich hinter die Coulisse zum Abbé, um ihn zum Vertrauten desselben zu machen; jedoch mit der Bedingung, nicht eher etwas mit dem Starrkopf zu unternehmen, als bis das Stück beendigt sei. Dies ging der Abbé gern ein, weil er lieber Freundin und Sohn verloren hätte, als das Stück, das sein altes Herz mit jungem Stolze erfüllte. Er fütterte seine große Nase mit einer verhältnißmäßigen Priese, beruhigte die Mutter seines Sohnes mit einem zärtlichen Händedruck, der ihr 46 sein freudiges Zittern verrieth und sie an vergangne Zeiten erinnerte, und deutete mit der andern Hand auf die Bühne; denn eben rollte der Vorhang auf. Orestes und Pylades, in prächtigen Wappenröcken mit herausgelegten Spitzenkragen, mit langen Degen und Federhüten, wie sich die ersten Hofherren am Hof Ludwigs XIII. trugen, traten als vornehme Reisende in das Haus des Königs Menelaos von Sparta, und man erfuhr durch ihre Unterredung, daß Orestes gekommen sei, den König, seinen Oheim, Bruder seines ermordeten Vaters Agamemnon, zu besuchen. Der Prinz von Mycenä war ein blutjunger Herr voll Trauer über die Ermordung seines Vaters und über die bösen Ränke seiner Mutter; Benoits verdrießliche Laune paßte trefflich zu seiner Rolle, und der glückliche Abbé gerieth über das meisterhafte Spiel seines Sprößlings schon während der ersten Scene in Entzücken, und schnupfte ungeheuer vielen Taback. Den beiden Freunden tritt die reizende Hermione, die Tochter des Menelaos, entgegen. Man gibt sich gegenseitig zu erkennen, und es findet sich, daß die Väter 47 von Orestes und Hermione Brüder waren. Man kommt auf die unglücklichen Verhältnisse des jungen Orestes zu sprechen, und Hermione schildert mit lebendigen Farben die Abscheulichkeit Klytämnestra's, der Mutter des Orestes, die nicht nur erst ihren heimkehrenden Gatten Agamemnon durch ihren verworfenen Buhlen Aegisthus im Bade ermordet, sondern auch ihrem Sohne das Reich gestohlen habe. Die Königin Klytämnestra wird nun mit den schwärzesten Farben gemalt, ihre Herrschsucht, ihre Buhlerei mit Aegisth, ihre Verschwendung recht hervorgehoben; sie wird eine Ausländerin genannt, eine Fremde, die Agamemnon ins Reich gebracht und zur Königin von Mycenä erhoben. Dafür habe sie sich mit dem Aegisth, der ein Ungeheuer sei, verbunden, um ihren Sohn um die Herrschaft zu betrügen und das Reich unglücklich zu machen. Hermione beschwört ihren Vetter Orestes bei allen obern und untern Göttern, das Scandal nicht länger zu dulden, sondern von heute an der Welt zu zeigen, daß er nicht nur ein Königssohn, sondern nach göttlichen und menschlichen 48 Rechten wirklicher König sei. Er solle die schändliche Klytämnestra und den abscheulichen Aegisth nicht mehr unumschränkt in Mycenä walten und schalten lassen, sondern selbstkräftig auftreten, dem Aegisth den verdienten Tod geben und seine herrschsüchtige Mutter gefangen setzen und unschädlich machen. Vielen Stellen in Hermiones Rede, welche Nannon mit Feuer sprach, wurde stürmischer Applaus zu Theil; denn man erkannte deutlich genug die Beziehungen, welche das Stück auf die Gegenwart hatte, und so oft des schändlichen Frauenregiments der Klytämnestra und ihres Buhlen Aegisthus gedacht wurde, brach das Haus in gewaltigen Jubel aus. Endlich tritt auch Menelaos auf, ganz gekleidet, wie sich der Herzog Gaston von Orleans zu tragen pflegte, heißt seinen Neffen Orestes und dessen Freund herzlich willkommen, gibt dem erstern seine väterlich-freundschaftlichen Gesinnungen zu erkennen und führt die Freunde in den Palast, um sie mit Speise und Trank zu laben. Hermione bleibt allein auf der Bühne und spricht die leidenschaftliche Liebe, die in ihrer Brust für 49 den Vetter Orestes erwacht ist, in feurigen Versen aus. Sie schwört, ihn wie ein Schutzengel zu begleiten, ihn vor allen Gefahren, die seinem Leben drohen könnten, zu behüten, und ihn zum selbstständigen Herrscher zu bilden. Zwar ist er jünger als sie, aber die Liebe fragt nicht nach dem Alter. Eben weil sie älter ist, will sie männlich für den Geliebten handeln; sie ruft den Gott Amor an, ihr beizustehen. Das Fallen des Vorhangs verkündet das Ende des ersten Akts.

Elisabeth hatte ihre schönen Augen mit dem Ausdruck höchster Verwundrung und eines noch nie empfundnen Entzückens auf die Bühne geheftet, so daß sie nicht bemerkte, was um und neben ihr vorging. Sie war siebzehn Jahre alt und zum ersten Mal im Theater; die Strenge des Vaters hatte den Versuchungen der Demoiselle Poupard stets die Stange gehalten. Die Neuheit der zauberhaften Welt, die sich ihr aufthat, fesselte ihre Seele in Aug und Ohr dergestalt, daß die übrige Welt der Erscheinungen für sie nicht vorhanden war. Je zuweilen entfuhr ihrem kleinen Mund, den das Erstaunen, wie es zu thun pflegt, etwas 50 geöffnet hatte, ein leiser Laut der Freude oder der Ueberraschung, und gerade diese ungezwungenen, rein natürlichen Züge des blühenden Mädchengesichts entwickelten einen bezaubernden Liebreiz der Unschuld, der seine Wirkung auf ein Paar in ihrer nächsten Nähe stehenden Jünglinge nicht zu verfehlen schien. Wahrscheinlich hatte sie Elisabeths auffallende Schönheit, die man vom Sitze des liebenswürdigen Kindes aus fast im ganzen Hause bemerken konnte, von ihren frühern Plätzen herbeigezogen, aber Elisabeth hatte ihrer nicht Acht gehabt, obgleich sie dicht genug an ihr standen. Der Größere und wahrscheinlich auch Aeltere von ihnen hatte gegen Ende des ersten Akts die Lichter an der Wand umher ausgeputzt, der Kleinere sich aber so gestellt, daß er Elisabeths ganzes Gesicht beobachten und mit einer kleinen Augenwendung auch die Bühne mit seinen Blicken bestreifen konnte. Beide waren schlanke junge Leute mit schönen edelgeformten Gesichtern; um die Lippen des Größern sproßte ein dunkler Bart, während sich an dessen Stelle bei dem Kleinern ein starker Ausdruck von Stolz gelagert hatte. Gekleidet waren sie beide 51 wie die Söhne vornehmer Bürger. Als nun der Vorhang gefallen war, schaute sich Elisabeth tief aufathmend um, und gewahrte nicht ohne Verlegenheit, statt ihrer Amme die beiden Jünglinge. Noch nie war ihr ein junger Mann so nah gekommen. Inzwischen gewährte ihr die große Jugend des zunächst Stehenden einigen Muth, obgleich die Keckheit seines Wesens und der Worte, die er an sie richtete, mit derselben im grellen Widerspruch stand und eher auf einen Roué hätte schließen lassen.

»Fürwahr Mademoiselle,« sagte er mit einem gefälligen Blicke, »die Schauspieler dieses Theaters sind sehr glücklich, in Ihnen die aufmerksamste Bewunderin des ganzen Hauses zu finden. Ich hätte große Lust den Orestes zu beneiden und mich an seine Stelle zu wünschen; denn wer wollte die Blicke der Zärtlichkeit aus Ihren wunderherrlichen Augen nicht vielmehr sich gönnen, als einem Andern.«

»Ach, mein Herr, Sie irren sehr,« versetzte Elisabeth, indem ein scherzhaftes Lächeln ihre Züge überflog, »mein Herz weiß noch nichts von 52 Zärtlichkeit, und obgleich der kleine Schelm von Orestes mein Milchbruder ist, so fühle ich doch nichts weniger als Zärtlichkeit für ihn. Im Gegentheil ist es noch nicht lange her, daß wir uns gar nicht leiden konnten und uns zankten, so oft wir uns sahen.«

»Das wäre eben kein Gegenbeweis,« sagte der Größere. »Was sich zankt, liebt sich oft am meisten.«

»Das sechszehnjährige Herz einer Pariserin wüßte noch nichts von zärtlichen Gefühlen!« rief der Kleinere. »Roger, wärst Du nicht auch versucht, dies für eine Unmöglichkeit zu halten? Sieh' in die Augen dieser reizenden Unschuld und antworte mir dann. Du wirst lachen; ich aber glaube Ihnen aufs Wort, Mademoiselle; denn dieser Mund und diese Augen haben gewiß stets nur Wahrheit gesprochen, und man sagt, erst die Liebe lehre lügen.«

»Sie sprechen von Dingen, mein junger Herr, die Sie eigentlich noch weit weniger kennen sollten, als ich.«

»Die Jahre machen nicht das Alter des 53 Menschen aus, Mademoiselle. Mir ist es, seit ich mit Ihnen spreche, als wäre ich um drei bis vier Jahre älter geworden. Sie sehen, wie Sie Minuten zu Jahren zu zaubern vermögen.«

»Ja ich sehe, daß ich mich in Ihrem Gesicht getäuscht habe.«

»Das meinige ist weniger zur Täuschung geschaffen,« wandte sich der Größere an sie, und wirklich lag eine treuherzige Gutmüthigkeit darin, welche auf Elisabeths offnes Gemüth nicht ohne Eindruck blieb.

»Es ist also nicht das Interesse an den spielenden Personen da unten, nicht an ihrem schmucken Milchbruder, das Ihre Aufmerksamkeit so sehr fesselt, sondern vielmehr die Handlung des Stücks selbst; und fürwahr, ich bin mit Ihnen auf den Verlauf und Ausgang desselben gespannt.«

»O ich kenne den Verlauf und Ausgang des ganzen Stücks recht gut,« erwiederte Elisabeth.

»Doch nicht weiter, als ihn die Mythologie lehrt, denn das Stück ist ja, wie ich gehört, ganz neu,« warf der Jüngere ein, »also nur im Allgemeinen sind Sie damit bekannt; Orestes erschlägt 54 den Aegisthus und seine Mutter und heirathet die Hermione. Sie sehen, Mademoiselle, ich bin auch etwas in der Mythologie bewandert. Aber nichts desto weniger bin ich neugierig, wie sich die schöne Königstochter gegen ihren Vetter ferner benehmen wird.«

»Ich kenne nichts von der Wissenschaft, die Sie meinen,« versetzte Elisabeth. »Was ich von dem Stücke weiß, hat mir meine Amme erzählt, und zwar ziemlich ausführlich; denn sie kann es fast auswendig; sie weiß auch, was es für eine Bewandtniß damit hat, warum es gerade heute Abend gegeben wird, was eine vornehme Dame damit bezwecken will. Und wie sollte denn Margoton nicht Alles wissen, ihr Freund, der alte Abbé, hat's ja gedichtet.«

»Und darf man denn etwas Näheres nicht erfahren? Wir sind fremd in Paris; der Zufall führt uns in dieses Theater. Sie werden deshalb unsre Neugierde verzeihlich finden.«

»Ich darf nichts sagen; sonst zürnt Margoton mit mir.«

55 »Das Eine wenigstens, zu welchem Zwecke wird denn das neue Stück gegeben?«

»Als ein ächter Franzose werden Sie den italienischen Schelm Mazarin hassen, wie ich. Die Königin liebt aber den Feind Frankreichs und überredet ihren unerfahrnen Sohn, den Willen des falschen Cardinals zu befolgen, ja wohl gar, ihn zurück zu rufen. Nun sagt man, der junge König habe dies Theater schon einige Male besucht, und als wir vorhin unsre Plätze einnahmen, sagte mir Margoton, der König sei schon gesehen worden; er sitze auf der letzten Bank im Parterre. Man hat es gewußt, daß er diesen Abend kommen würde, und seinetwegen wird das Stück gegeben, damit er klar erkenne, wer seine Feinde und wer seine Freunde sind.«

»So bedeutet wohl Orestes den jungen König, Hermione, seine Muhme, die Herzogin von Montpensier, Menelaos, deren Vater, den Herzog Gaston von Orleans, Klytämnestra die Königin Mutter, Aegisthus den Cardinal?«

»Ich glaube, Sie haben Alles errathen.«

»Die Sache ist gut ausgedacht. Man hat 56 der mythologischen Sage vom Königssohne von Mycenä keine Gewalt anzuthun brauchen, um die Verhältnisse unsres Hofs dahinter zu verstecken.«.

Das Schellen der Klingel verhinderte ihn am weitern Reden. Der Vorhang flog empor, und man sah Orestes und Pylades wieder auf Reisen, in ihrer Begleitung aber Hermione bis unter die Zähne bewaffnet, wie die Amazonenkönigin. Jetzt drohen dem Königssohne fürchterliche Gefahren, eine Schlange stürzt sich auf ihn und will ihn auffressen, aber sie stirbt von Hermione's Arm getroffen; ein Riese legt sich ihnen in den Weg und will zur Lust ihnen die Bäuche aufschlitzen, schon fällt Orestes schwer verwundet und Pylades Kraft beginnt zu weichen, da durchbohrt Hermione das Ungeheuer von hinten und der Geliebte ist gerettet. Nun aber liegt er an der Wunde hart darnieder; sie wartet und pflegt ihn und weicht nicht von seiner Seite; Tiger und Löwen und andres Ungethüm, das nach Beute brüllend sein Lager umschwärmt, stirbt vom Schwerte der liebenden Königstochter. Wenn man das Alles auch gerade nicht sieht, so erfährt man es doch durch die 57 brillanten Monologe der Heldenjungfrau, in denen sie außer mit Schlangen und Raubthieren des Katzengeschlechts auch noch mit ihrer unbändigen Liebe zu Orestes zu kämpfen hat, so wie durch ihre Zwiegespräche mit Pylades, dem sie ihr Herz eröffnet. An den Geliebten selbst wendet sie sich stets nur mit großartigen Ermahnungen, in welchen sie ihn immer mehr auf seine Mutter und Aegisth aufzuhetzen sucht. Dies war der Inhalt des zweiten Akts.

»Die Hermione fängt an mir unausstehlich zu werden,« sagte der Kleinere der beiden Nachbarn Elisabeths zu dem Größern, als der Vorhang gefallen war, und nahm ihn dabei scharf ins Auge, »und der Pylades ist ein Schuft, der den Orestes an die tolle Närrin verrathen hat.« Jener schlug die Augen erröthend zu Boden. Darauf wandte sich der Sprecher wieder zu Elisabeth und schien sich sehr an ihrer Unterhaltung zu ergötzen. Es schlich sich allmählig ein kindlich vertraulicher Ton hinein, daß Elisabeth sich ihr mit der unschuldigsten Unbefangenheit hingab, und ihre Amme, die sie so treulos verlassen hatte, gar nicht mehr vermißte.

58 Der dritte Akt zeigte das Königshaus zu Mycenä, Klytämnestra und Aegisthus traten auf, freuten sich sehr ihrer vollbrachten Bosheiten und wenn die Königin irgend ja einen mütterlichen Seufzer ausstieß, so gab sich ihr saubrer Gatte alle Mühe, ihr die Gewissensscrupel hinsichtlich ihres Sohnes Orestes auszureden. Beide beschließen einmüthig, denselben niemals zur Regierung des Landes gelangen zu lassen, und wenn er sich's ja einfallen lassen sollte, einmal nach Mycenä zu kommen, die geeigneten Maßregeln zu ergreifen, um ihn unschädlich zu machen. Klytämnestra hatte zum Behufe größerer Aehnlichkeit mit der Königin Anna, derselben das spanische Kostüm abgeborgt und Aegisth sah in seinem schwarzen Kleide dem Cardinal Mazarin frappant ähnlich. Sie gehen ab. Die drei Reisenden treten auf. Hermione erfüllt Orestes Seele mit Feuer und Flammen, und räth ihm, um sich von der Schlechtigkeit seiner Mutter zu überzeugen, sich für einen Fremden auszugeben und die Nachricht von seinem eignen Tode zu überbringen. Hermione und Pylades treten bei Seite und Orestes erklärt sich in einem Monologe, daß 59 er eine heftige Leidenschaft für seine treffliche Muhme, die gewissermaßen sein Schutzgeist sei, in sich erwachen fühle, und gesonnen sei, sie zur Königin von Mycenä zu machen, wenn er seine Mutter und deren Buhlen vom Regiment verdrängt habe. Klytämnestra kommt, er gibt sich als ein Bote zu erkennen, der ihr von Orchomenos die Nachricht vom Tode des Orestes, ihres Sohnes, bringe. Die Königin jubelt und ruft den Aegisth herbei, der den Boten in der Freude seines Herzens mit Geschenken überhäufen will; dafür stößt ihn Orestes den Dolch in die Brust, Klytämnestra schreit, da kehrt sich des Sohnes Dolch gegen die Mutterbrust: »Mörderin meines Vaters!« ruft er. »Rächerin meiner Krone!« setzt er hinzu und sterbend sinkt sie zu seinen Füßen. Jetzt tritt Hermione herein und freut sich, daß Alles so wohl abgegangen, gratulirt dem jungen Könige zum Throne und spielt darauf an, wie vielen Dank er ihr schuldig sei. »Ich will Dir den Dank zahlen!« ruft Orestes, statt ihr aber, laut seiner Rolle, ein wildes Liebesgeständniß zu machen, wirft sich Orestes wüthend über sie her, versetzt ihr einen Dolchstich in die 60 Brust, sie thut einen fürchterlichen Schrei und stürzt zu Boden. Orestes rennt wie rasend davon, nicht anders als verfolgten ihn wirklich die Furien; Pylades eilt Hermionen zu Hülfe, deren Kleid von Blut geröthet wird, deren Mund ein herzzerreißendes Wehklagen ausstößt; der ermordete Aegisth, die ermordete Klytämnestra erheben sich wieder und knieen bestürzt neben der unglücklichen Königstochter, Herr Debarques schlürft in seinen Socken auf die Bühne und putzt sich die Brillengläser; denn der Schrecken hat ihm fast alle Sehkraft genommen. Madame Debarques erhebt herbeifliegend ein Jammergeschrei und in wenigen Augenblicken sind alle Schauspieler auf der Bühne um die ohnmächtige Nannon beschäftigt; der lange hagere Abbé wird sichtbar und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, Mademoiselle Poupard fällt aber der Länge nach auf der Bühne in Ohnmacht, und Niemand bekümmert sich um sie. Unter den Zuschauern entsteht nicht minder ein gewaltiges Geschrei, Alles erhebt sich, man will wissen, was es eigentlich gegeben hat, man tobt und flucht.

61 Elisabeth war entsetzt aufgesprungen, aber der schlanke Jüngling ihr zur Seite sagte mit festem Ton: »Bleiben Sie ruhig, Mademoiselle, es soll Ihnen kein Leid widerfahren, bei meinem Worte! Glauben Sie mir, Ihr Milchbruder ist ein trefflicher Bursche und hat die Sache weit gescheidter gemacht als sein Vater. Ich lobe ihn darum.«

Elisabeth überhörte seine Worte und rief in ihrer Herzensangst nach der Amme.

»Diese wird schwerlich in dem Zustande sein, Ihnen Hülfe leisten zu können, meine Schöne,« sagte ihr Nachbar. »Aber Sie sollen deshalb nicht verlassen sein. Vertrauen Sie sich mir an; ich will Sie sicher Ihren Eltern zuführen.«

»Ach, mein Herr,« jammerte das bestürzte Mädchen, »Sie sind ein Fremder in Paris; ich kenne Sie nicht. Wie kann ich mich Ihnen anvertrauen! Und wenn ich es thäte, und Sie brächten mich sicher nach Hause, so würden meine Eltern sehr unzufrieden mit mir sein, daß ich so wenig Vorsicht angewandt hätte, und ich viel von meinem strengen Vater auszustehen haben.«

»Ich will Sie beruhigen über meine Person, 62 Mademoiselle und auch Ihre Eltern zufrieden stellen. Es bedarf nur weniger Worte. Ich bin der König!« Mit stolzem Lächeln blickte er auf das Mädchen, welches die neue Bestürzung fast zu seinen Füßen geworfen hätte. Aber die holde Verwirrung machte sie nur noch reizender, und Ludwig fing sie in seinen Armen auf.

»Fort, Roger!« rief er seinem Pagen zu, »und bestelle den Wagen vor das Haus. Statt meine liebe Muhme Montpensier nach Hause zu begleiten, wie Du vielleicht gewünscht hättest, mein treuer Pylades, will ich dies holde Kind seinen Eltern zuführen.« Und Roger eilte davon, um den königlichen Wagen, der an der nächsten Straßenecke hielt, herbei zu holen. Die Prinzessin von Montpensier hatte sich im höchsten Unmuthe bereits entfernt, und als der junge König an der Seite der reizenden Jungfrau durch das aufgeregte Volk ging, wich man ehrfurchtsvoll rechts und links aus. Ludwig war erkannt worden. Mit angebornem Stolze schritt er durch die Gasse, hob die schöne Elisabeth in seinen Wagen, und nahm neben ihr Platz. Der junge König war sehr 63 gesprächig, und belobte Benoits That immer von Neuem. Vor Tarneau's Hause sprach er den Wunsch aus, seine neue interessante Bekanntschaft bald wieder sehen zu können, trug ihr Grüße an ihre Eltern auf und entließ sie höchst freundlich.

 


 


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