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VII

Promemoria Seiner Hochwürden, des Priesters Nepomuk Thurmbichler, Pfarrherrn zu Vogelöd, für den Herrn Rittmeister von Vogelschrey

Würdiger Freund und Gönner! In Kürze sei hier, Ihrem Willen gemäß, des Wenigen und Unbeträchtlichen gedacht, was ich zu den Merkmalen göttlichen Zornes beitragen kann, in denen sich, vor nun einem Jahr, im Laufe des Oktobris Anno Domini 1850, der Besuch des Antichrist in unserem stillen Bergtal abzeichnete.

Ich hatte frühmorgens in der Dorfkirche die heilige Messe gelesen und ging nun über die Straße zum Pfarrhaus. Es war noch nicht ganz heller Tag. Innen in der Kirche war es Halbdunkel gewesen und – Gott sei's geklagt – auch halbleer! Vorhanden waren meist, wie das denn leider hergebracht, alte Weiblein. Die Mannsbilder und das junge Frauenzimmer vermeinen ja immer, sie hätten noch Zeit genug vor sich zur Buße und Einkehr, und laufen unversehens den breiten Weg zur Hölle.

Von Ihren Jagdgästen, mein verehrter Herr Rittmeister, erlassen Sie mir, zu sprechen. Diese hohen Herren sehe ich nur am Sonntag bei mir im Hause Gottes. Unter der Woche trifft man sie, wenn die Sonne aufgeht und über uns Sünder scheint, nicht im Betstuhl unten im Tal, sondern auf dem Jagdschemel oben in den Bergen. Unsere unsterbliche Seele jedoch ist wichtiger denn ein Gamsbock. Von christlichem Herzen gönne ich wohl diesen Herren Kavalieren ihre Jagdlust. Mögen sie aber nur den richtigen Weg zwischen den Freuden dieser Welt und der Vorbereitung zum ewigen Leben finden!

Unter den genannten Dorfweiblein saß an jenem Morgen eine fremde Dame und wies sich mir zu meinem Wohlgefallen während der ganzen heiligen Handlung in eine tiefe, inbrünstige und schmerzliche Andacht versunken. Diese hohe Dame war aus dem Schloß gekommen. Der Meßner, der ja, wie Euer Hochwohlgeboren bekannt, seine Nase in allem hat, meldete mir nach dem Gottesdienst, es sei dies die Frau Baronin von Safferstätt, die mit dem Herrn Gemahl am Abend vorher zu später Stunde in Vogelöd einpassieret sei.

Es gab seit vierzehn Tagen einen anderen Gast auf diesem Schlosse, der mir seinem aristokratischen Namen nach nicht näher bekannt, ja überhaupt völlig unbekannt und mir dennoch dadurch aufgefallen war, daß er mir bei zufälligen Begegnungen geflissentlich aus dem Wege ging. Ich wußte nichts von ihm als sein Äußeres. Soll ich dieses mit der Feder abschildern, so sei denn das offene Wörtlein »abenteuerlich« am Platz. Eine lange und wohlgebildete, leibesgeübte Gestalt. Der Gang und die Haltung eines großen Herrn. Aber in den von einem langwehenden Schnurrbart geteilten Zügen nicht jene Sonne warmer Menschenfreundlichkeit, in der Sie, mein Herr Rittmeister, und wahrlich die Mehrzahl Ihrer hohen Standesgenossen sich nach gutem bayrischen Brauch auch mit der Geringsten einem in Christo eins und durch sein kostbares Blut erlöst dünken, sondern die Unrast eines, der in Unfrieden daherfährt und vom Ahasver sich das unstete Auge und die wechselnde Gestalt abborgt.

Dieser vornehme Herr nun kam, in Jägertracht, doch ohne Büchse, nur ein Fernrohr umgehängt, den Bergstock in der Hand, langsam, als ob er etwas suche, über den Platz zwischen der Kirche, von der die Glocke läutete, und dem Pfarrhaus. Die dritte Front, gegenüber dem Friedhof, nimmt das Anwesen zum Alten Wirt ein. Wie nun der Herr mich sah, machte er flugs auf dem Absatz kehrt und ging hinten um die Kegelbahn herum, um nicht auf mich zu stoßen, gleichwie, nach den Berichten unserer alten Kirchenbücher, früher in sterbenden Läuften und Pestilenz im Lande einer die Nähe des anderen aus Furcht vor einem ihm entströmenden giftigen Contagio mied.

Mich verdroß dies und reizte zugleich meine Wißbegier in einem gerechten Unwillen. Denn ich fühlte wohl, daß diese Flucht nicht meiner niederen, jenem Herrn doch unbekannten und gleichgültigen Person, sondern nur meinem heiligen Gewand eines Dieners des Herrn gelten konnte. So schwenkte auch ich auf die andere Seite um die Tafernwirtschaft herum, gewann das zweite Ende der Kegelbahn und stieß hinter ihr, in einem Kraut- und Würzgärtlein, wie ich nicht anders verhofft, jählings auf den langbeinig sich dahinstellenden Kavalier.

Nun konnte er mir nicht gut entrinnen. Ich blieb stehen, lüftete höflich den Hut und sprach: »Vergönnen mir der Herr eine Frage: Es ist just eben das drittemal in zwei Wochen, daß der Herr bei meinem Nahen sich retiriert! Wodurch habe ich ihn beleidigt und gekränkt? Ist's ohne Wissen geschehen, so soll es mir herzlich leid tun! Oder warum fürchtet sich der Herr vor mir, einem armen alten Landpfarrer, dem jedes Kindlein im Dorf zutraulich ein Patschhändchen gibt, wenn er vorbeigeht?«

Ich hatte heimlich gehofft, er würde beginnen: »Gelobt sei Jesus Christus!« und ich dürfte aufatmend erwidern: »In Ewigkeit, Amen!« Statt dessen spielten hundert Lichter und Schatten auf seinem scharfen, spöttischen Gesicht, aus denen niemand klug werden mochte, und er versetzte schnell: »Begegnen Sie gerne dem Gottseibeiuns, Hochwürden?«

»Nein. Wahrlich nicht!« sagte ich und schlug in Gedanken ein Kreuz.

Er zeigte seine weißen Zähne und meinte:

»Dem Teufel geht's umgekehrt gerad' so!«

Dabei schwenkte er boshaft lächelnd seinen verwetterten Filzhut mit dem hohen Adlerflaum und ging in einem vorsichtigen Bogen um mich herum weiter, ehe ich denn etwas erwidern konnte. Mir graute. Ich schaute ihm verblüfft nach. Ich hatte in diesem Augenblick die feste Gewißheit: Besprengt man diesen Kavalier mit der Hahnenfeder am Hut unversehens mit ein paar Tropfen aus dem Weihkessel, so möchte das Wasser auf dem feindlichen Element zischen wie auf einer heißen Herdplatte. Und ich frug mich zerknirscht – als Hirte der Herde in diesem friedvollen Tal: Welches sind unsere Sünden, Herr? Warum kam uns dieser unheimliche Gast? Die hohe Dame nun, von der ich vorhin gesprochen, muß noch in der Kirche in stillem Gebet verweilt haben. Denn sie trat erst jetzt heraus. Nun begriff ich, daß jener Kavalier offenbar auf sie gewartet und darum seine Schritte vorhin anscheinend ziellos verzögert hatte. Er ging auf sie zu. Ich prüfte ihn scharf. Hinken tat er nicht. Er stand vor ihr. Beide starrten sich an. Die Hand gaben sie sich nicht und wechselten auch anfangs kein Wort. Dann fing der Herr, der sich, wie ich ja dann erfuhr, mit dem Namen eines Grafen Oetsch benennt, zu sprechen an. Er redete ganz leise und sehr schnell. Keine Wimper zuckte dabei in seinem Antlitz. Er schaute die Dame unverwandt an, in einer eindringlichen, kaltblütigen Art. Sie erwiderte nichts. Sie hörte nur seiner immer rascheren und immer mehr zugleich sich dämpfenden Suada zu. Beide setzten sich langsam in Bewegung und schritten, er immer sprechend und sie schweigend, den Wiesenpfad entlang, der zu dem Seiteneingang des Schloßparks von Vogelöd führt. Dort verschwanden sie in dem von dem großen, Herbst genannten, Maler schon farbenscheckig gepinselten Laubwald.

Ich frühstückte daheim. Mein Herz klopfte. Ein Unbestimmtes bedrückte mich. Es ließ mir keine Ruhe. Ich ging zum Schloß hinauf. Mein geistliches Kleid gab mir bei den Lakaien Freipaß bis zu den intimen Gemächern, wo eben der Herr Rittmeister und die Frau von Vogelschrey samt ihren artigen Kindern beim Morgenkaffee saßen. Auch das Fräulein Luise, die Erzieherin, bemerkte ich, die Kleinen überwachend, an dem wohlbestellten Tisch.

Der Bubi, der Älteste, küßte mir sittsam die Hand. Die Burgel knickste. Der Peperl konnte nur: »Da! da!« sagen. Das Fräulein zog sich mit der herzigen Schar zurück. Ich nahm Platz. Ich war zu erregt, als daß ich hätte der gastfreundlich angebotenen Kollation genießen können, und mein Auge betrog mich nicht, wenn es auch auf den sonst so heiteren Mienen des trefflichen Ehepaars die Linien der Sorge und Unruhe eingezeichnet fand. Sie schauten mich erwartungsvoll und fragend an. Ich räusperte mich und wußte plötzlich nicht, wie beginnen. Durfte ich denn den Schloßherrn vor den Gästen unter seinem eigenen Dach warnen? Und wo waren die Anzeichen, die solchen Verdacht begründeten? Es gab, für leibliche Augen, nur eins: die Flucht dieses Herrn Grafen vor dem Kleid Gottes. Die erzählte ich, und es drehte sich mir, ohne daß ich es beabsichtigte, im Munde mehr so, als wollte ich mich darüber beschweren. So faßte es auch der gute Herr von Vogelschrey auf, seufzte und sprach:

»Schauen's, Hochwürden: der Johann Preisgott Oetsch – der denkt ja dabei nicht gerad' an Sie! Nein: der läuft vor jedem Priester davon!«

»Warum tut er das?«

»Halt weil er narrisch is! Den kennen wir schon in unseren Kreisen. Den darf man nicht ernst nehmen.«

»Ja freilich. Wenn der Herr narrisch ist!« sagte ich etwas beruhigt, und die Frau von Vogelschrey fügte hinzu: »Er ist jetzt ins Gebirge hinaufgestiegen. Da ist er am besten aufgehoben. Da kann er keine Dummheiten machen und sitzt auf einem Felsblock und äugt durch das Perspektiv nach den Gemsen an der jenseitigen Talwand, an die er sich morgen in aller Früh heranpirschen will!«

»Vorläufig ist er noch herunten!« sagte ich.

»Wo denn?«

»Er ist mit der Frau Baronin Safferstätt in den Park gegangen!«

Das harmlose Wort von mir hat eingeschlagen wie vor siebzehn Jahren der Blitz in unsern Kirchturm. Die beiden, Herr und Frau von Vogelschrey, sind gleichzeitig aufgesprungen, und er hat ungläubig gefragt:

»Der Oetsch und Frau von Safferstätt?«

»Ja freilich!« erwiderte ich.

»Haben Sie das selbst gesehen, Hochwürden?«

»Vor einer Viertelstunde!«

Das Ehepaar tauschte einen Blick, in dem ein Erstaunen und eine mir unerklärliche Besorgnis lag. Ich hatte nur das Vorgefühl wie manche Leute vor dem Gewitter: Hier, über diesem ehrenfesten Schloß in Gottes grüner Waldwelt zieht sich eine dunkle Wetterwolke zusammen, so lachend jetzt auch die Sonne am Herbsthimmel steht.

Offenbar wollten sich Herr und Frau von Vogelschrey etwas sagen, was sie in meiner Gegenwart nicht aussprechen mochten. Ich hatte mich auch schon erhoben. Ich war ganz erschrocken über die unerwartete Wirkung meiner Mitteilung. Der Herr Rittmeister wollte noch einmal wissen: »Meinen Sie, Hochwürden, daß die beiden noch im Park sind?«

Ich bejahte.

»Ich hätte sie doch von meinem Fenster aus sehen müssen, wenn sie herausgekommen wären!«

Ein Diener trat ein, um abzuräumen. Der Hausherr wandte sich an den Burschen:

»Weißt du, wo Herr von Safferstätt ist?«

»Noch auf seinem Zimmer, gnä' Herr!«

»Was macht er da?«

»Als ich drinnen war, taten der Herr Baron gar nichts, sondern saßen und schauten gerade vor sich hin. Ich hab' laut gesagt: ›Ich habe die Ehre, guten Morgen zu wünschen!‹ Aber der Herr Baron haben mich nicht gehört!«

Und seine Frau Eheliebste promeniert inzwischen unter vier Augen mit diesem Kavalier, den irgendein böses Gewissen und eine dunkle Schuld keinem Priester frei ins Gesicht schauen läßt! dachte ich mir. Mir begann allerhand zu schwanen. Ich sah die bleichen und erregten Gesichter meiner beiden lieben Gönner auf dem Schloß. Ich wollte nicht weiter stören. Ich verabschiedete mich, stieg hinab und ging in Gottes Namen an meine Amtsgeschäfte des Tages.


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