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V.
Der Oberst Ulrich

Der alte Diener ließ Madame Blondeau in den großen Saal eintreten, in welchem zwei Monate zuvor der Oberst Gaston und Alfred empfing.

Das Gesicht Stock's, so hieß der alte Diener, hatte seinen finstern Ausdruck verloren.

– Wie befindet sich der Oberst, Herr Stock?

– Noch immer gleich, Madame Blondeau; der Körper ist von Eisen, aber der Kopf ist schwach; zuweilen bringt der Herr ganze Tage damit hin, zu weinen, wie ein Kind. – Er weinen! – Er! – Er!. – Das hätte man mir vor einem Jahre sagen sollen, und ich hätte es nimmer geglaubt! – Und dann fast alle Nächte – und Stock seufzte.

– Immer auf dem Kirchhof – gerechter Himmel!

– Immer, Madame Blondeau – es ist, das Herz möchte einem zerspringen ...

– Und die übrige Zeit, Herr Stock?

– Er träumt, ist in Verzweiflung und geht in dem kleinen Zimmer, das er bewohnt, umher. Es ist hundertmal kälter, feuchter als die übrigen, denn es diente ehedem zum Badgemache. Man sollte glauben, der gnädige Herr hätte es ausdrücklich gewählt, weil es das schlechteste im ganzen Hause ist. Und dann, Madame Blondeau, es sieht fast wie eine Kinderei aus, und dennoch kommen mir die Thränen in die Augen, wenn ich es sehe.

– Was denn, Herr Stock?

– Seit den sechs Monaten, daß wir dies Haus bewohnen, hat mein Herr dadurch, daß er in dem kleinen Stübchen von der Thür zum Fenster und von dem Fenster zur Thür immer an derselben Stelle auf und nieder gegangen ist, den Fußboden so ausgetreten, daß man die Spur seiner Fußtritte sieht.

– Ach, das ist in der That fürchterlich! Welch ein Leben! Großer Gott!

– Ach, Madame Blondeau, man könnte behaupten, sein Geist sei so stark auf eine einzige Sache gerichtet, daß er gegen alles Andere, die Kälte, den Hunger, gleichgültig ist. Wenn ich ihn nicht an die Stunden seiner Mahlzeiten erinnerte, er würde nicht daran denken, zu essen. – Während der großen Kälte dieses Winters hat er in Folge einer Laune, die ich nicht begreife, niemals Feuer haben wollen. Uebrigens, Madame Blondeau, kann ich Ihnen etwas sagen, was Sie wundern wird. – Seit dreißig Jahren erlaubt mir mein Herr, nach unserm alten ungarischen Gebrauche, jeden Tag, wenn ich ihn verlasse, ihm die Hand zu küssen. Nach unsern Gebräuchen ist dies ein Zeichen der Anhänglichkeit und der Ehrfurcht. – Nun, der großen Kälte ungeachtet, war seine arme Hand immer trocken und brennend, als würde er von einem hitzigen Fieber verzehrt. – Dessen ungeachtet – hat er sich nicht verändert; das ist begreiflich, denn er hat eine so kräftige Constitution. – In unsern Feldzügen gegen die Türken vor zwölf Jahren habe ich ihn zwanzig, dreißig Stunden ohne zu essen zu Pferde bleiben sehen, nur von Zeit zu Zeit streifte er von der Mähne seines Pferdes den Schnee ab, um seinen Durst zu stillen; dabei beklagte er sich niemals. Wurde er verwundet und ich näherte mich ihm, so lächelte er, aber so freundlich, so sanft, daß ich mich, meiner Furcht ungeachtet, ganz beruhigt fühlte. – Ach, seit einem Jahre hat sich dies Lächeln nicht mehr auf seinen Lippen gezeigt. – Er sieht Niemand – geht zu Niemand. – Nur ein einziges Mal ist er auf die russische Gesandtschaft gegangen, um dort einen Orden Sr. Majestät des Kaisers in Empfang zu nehmen. – Ach, Madame Blondeau, es ist beinahe ein Fest für mich gewesen, ihn seine Uniform anziehen zu sehen. Er war darin so schön! Das erinnerte mich an so viele Dinge! – Ich war ganz verwundert, als er seine Uniform von mir verlangte. – Er sagte, es sei, um auf die russische Gesandtschaft zu gehen, um einen Brief des Kaisers zu empfangen, und ich begriff, daß er bei dieser Gelegenheit die Uniform für achtungsvoller hielt. Der Kaiser ist stets so gnädig gegen ihn gewesen! – Der Oberst liebte ihn so sehr! Seit jenem Tage ist der gnädige Herr nicht wieder ausgegangen, ausgenommen zu dem Duell!«

– Ach, das Duell, das Duell! – Herr Stock, wenn ich daran denke, daß das unglückliche Kästchen die Ursache dazu war ...

– Was das Duell betrifft, so bin ich nicht eigentlich besorgt deshalb gewesen, Madame Blondeau; ich kannte die Geschicklichkeit und Kraft meines Herrn. Er hatte die berühmtesten französischen Fechtmeister bezwungen, die nach Rußland gekommen waren; dennoch ging ich mehrmals an die Thür. Als ich ihn endlich mit den beiden Soldaten zurückkommen sah, die ich hier nebenan in der Kaserne als Zeugen hatte holen müssen, da hüpfte mein altes Herz vor Freude. – Der junge Mann ist mit einem Stoße davon gekommen, der ihn einen Monat an das Bett gefesselt hat. – Am Abend des Duells sprach mein Herr ein Wort, das mich sehr von ihm gewundert hat; er sprach mit sich selbst, wie ihm dies öfters begegnet, und murmelte mit leiser Stimme: Ich hasse diesen Menschen nicht; außer im Kriege, hat der Anblick des Blutes mich stets empört, aber das seinige sah ich mit wilder Freude fließen. Ich war auf dem Punkte, ihn nicht mehr zu schonen, da gebot mir die Stimme, ihm das Leben zu lassen; ich habe ihr gehorcht.

– Was für eine Stimme, Herr Stock?

– Ich weiß nicht, Madame Blondeau. – Zuweilen unterbricht er plötzlich sein Hin- und Hergehen, bleibt stehen, scheint zu horchen, preßt beide Hände gegen die Stirn, und fängt dann wieder an zu gehen.

– Der arme Oberst!

– Aber sehen Sie, wie egoistisch ich bin, sagte Stock; ich spreche nur von meinem Herrn. – Und die Frau Vicomtesse?

– Die gnädige Frau ist noch immer in Touraine und noch immer sehr leidend.

– Ach, Madame Blondeau, was für Veränderungen seit den sechs Jahren, daß wir mit einander bekannt sind, was für Unglücksfälle!

– Gebe der Himmel, daß sie für meine Herrin ihr Ziel erreicht haben, Herr Stock! Ich wage es nicht, denselben Wunsch für Ihren Gebieter auszusprechen, obgleich man sagt, daß jeder Kummer sein Ende hat.

– Der nicht, Madame Blondeau, der nicht, sagte Stock, indem er trübe den Kopf schüttelte.

– Kann ich den Herrn Obersten noch nicht sehen? Ich wünsche ihm dieses Päckchen zu übergeben und diesen Abend mit dem Wagen nach Tours zurückzukehren. Ich sehne mich darnach, wieder bei meiner gnädigen Frau zu sein.

– Der Herr Oberst hat noch nicht geklingelt. Einige Augenblicke mehr oder weniger sind ja nichts für Sie, sagte Stock mit beinahe flehendem Tone. Und wenn Sie wüßten, was einige Augenblicke ruhigen Schlafes für meinen Herrn sind! Das thut ihm so wohl! Er schläft so wenig! Er ist diesen Morgen wieder sehr spät nach Haus gekommen.

– Was für ein Leben! sagte Madame Blondeau seufzend.

– Ich würde mich nicht beklagen, erwiederte Stock, hätte ich nur an meinen Herrn zu denken; aber Sie können nicht glauben, wie lästig mir ein halbes Dutzend alter Dummköpfe sind, die uns den ganzen Tag nachspioniren. Es giebt keine List, die sie nicht schon versucht hätten, um bei uns einzudringen; sie liegen beständig in dem Kaffeehause hier gegenüber auf der Lauer, um zu erspüren, was bei uns vorgeht.

– Das sind ohne Zweifel eben die, welche zu lauschen schienen, als ich an die Thüre klopfte, sagte Madame Blondeau.

– Dieselben. – Zwar habe ich einem von ihnen eine derbe Lehre gegeben, aber das Alles nützt nichts.

In diesem Augenblicke ertönte eine Klingel.

– Der gnädige Herr klingelt. – Erwarten Sie mich, Madame Blondeau, wenn ich bitten darf. – Ich will meinen Herrn von Ihrer Anwesenheit in Kenntniß setzen.

Eine Viertelstunde darauf trat Madame Blondeau in das Zimmer des Obersten. – Er stand aufrecht in dem Zimmer, bekleidet mit einem türkischen Pelz von dunkler Farbe. Das niedrige Fenster, durch welches man eine Allee ächter Kastanienbäume mit ihren schwarzen, glatten Stämmen erblickte, verbreitete ein zweifelhaftes Licht in dem Gemache.

Der Ausdruck krampfhaften Schmerzes, welcher dem Gesichte des Obersten einen Schein von Härte gab und es so zu sagen versteinte, schien sich etwas zu vermindern, als er Madame Blondeau erblickte; seine Züge wurden freundlicher.

– Wie befindet sich Mathilde? sagte er mit einem Tone voll Sanftmuth und Güte.

– Ach, gnädiger Herr – die gnädige Frau ist noch immer sehr leidend.

Und die Stimme der armen alten Frau bebte; ihre Augen füllten sich mit Thränen.

– Verzeihen Sie mir, gnädiger Herr, sagte sie, aber ich kann diesen Namen nicht hören, ohne daß meine ganze Seele aufgeregt wird.

– Ich nenne sie so gegen Sie mit ihrem Mädchennamen, weil Sie sie erzogen haben, weil Sie ihr ergeben waren wie eine Mutter.

– Ach, gnädiger Herr – ich verdiene nicht – ich bin nur eine Dienerin.

– So sprechen, heißt weder ihr, noch sich selbst Gerechtigkeit widerfahren lassen. – Ich kenne Ihr Benehmen; ich weiß auch, daß Mathilde es würdigt, wie sie soll, gute und vortreffliche Frau, die Sie sind. – Doch, was wollen Sie?

– Die gnädige Frau hat mich gebeten, Ihnen diese Papiere zu überbringen, denn sie wollte dieselben nicht den Zufällen der Post anvertrauen. Sie hat mir noch besonders empfohlen, Ihnen zu sagen, daß sie keine Antwort von Ihnen verlangt. Sie sollen das lesen – wann Sie wollen, sagte die gnädige Frau; sie weiß –

– Gut – gut –, sagte der Oberst sanft, als wollte er eine peinliche Erinnerung verbannen, und legte das Päckchen auf den Tisch.

– Und das Kästchen?« fragte er Madame Blondeau.

– Die gnädige Frau läßt Sie bitten, es noch zu behalten.

Ungeachtet der Güte, mit welcher der Oberst Madame Blondeau empfangen hatte, sah man doch, daß er unter dem Gewichte einer tiefen Zerstreutheit litt; kaum hatte er jene letzten Worte gesprochen, so versank er wieder in seine Träumerei.

Beide Arme über die Brust kreuzend, senkte er den Kopf und begann mit langsamen Schritten umherzugehen, die Anwesenheit der Madame Blondeau vergessend. Diese wagte kein Wort zu sprechen und zog sich bald darauf zurück.


Der folgende Brief war einem ziemlich umfangreichen Manuskripte beigefügt, welches Madame Blondeau dem Obersten im Auftrage Mathildens überbracht hatte.

Schloß Maran, den 13. April 1838.

»Ich weiß nicht, mein Freund, ob Sie binnen längerer Zeit den Muth haben werden, diesen Brief zu öffnen.

»Ich habe die, welche Sie beweinen, gekannt, geliebt, o, ich habe sie sehr geliebt; ich kenne ihr Herz, ihren Charakter; ich weiß, was Sie ihr waren, was sie Ihnen war. Wie sollte ich nicht fühlen, daß Ihre Verzweiflung ewig unheilbar ist?

»Ulrich, mein Freund, mein Bruder, Sie haben hienieden kein Ihnen ergebneres Herz mehr, als das meinige. – Ich habe nie einen andern Freund gehabt, als Sie. – Sie wissen es – wenn ich öfter auf die strenge, unbeugsame Stimme Ihrer heiligen Freundschaft gehört hatte, wie viele bittere Reue würde ich mir dann erspart haben! Doch in diesem Briefe will ich nicht von mir sprechen – sondern von Ihnen – von Ihnen, edles und großes Herz; von Ihnen, dem Ideal menschlicher Güte.

»Sie leiden, mein Freund, Sie leiden an einem verzweiflungsvollen Kummer! Je mehr Sie in diesem Abgrunde graben, desto tiefer wird er, desto dichter seine Finsterniß!

»Vor einem Jahre, als ich die fürchterliche Katastrophe erfuhr, sank ich auf die Kniee; ich habe für Sie gebetet, für Jene, besonders aber für Sie, mein Freund, – denn Sie waren der Ueberlebende.

»Ich habe damals nicht einen Augenblick daran gedacht, Ihnen zu schreiben. Sie zu sehen. – Es giebt Unglücksfälle, die durch eitlen Trost nur noch bitterer, entsetzlicher werden.

»Sie haben Alles verlassen, um zu den theuren Ueberresten Emma's zurückzukehren, um in deren Nähe ein Leben zu führen, kalt und stumm wie ihr Grab.

»Es ist etwas Sonderbares und Herrliches, mein Freund, zu sehen, wie große Charaktere, groß durch den Muth, groß durch das Herz, mit Sicherheit vorauserkennen, was sie einst fühlen werden.

»Vor drei Jahren sagte Emma lachend zu Ihnen: Ulrich, wenn Sie mich verlören, was würde dann aus Ihnen? – Ich höre Sie noch, mein Freund, wie Sie ihr mit jenem Lächeln, das nur Ihnen angehört, und ohne die Thränen zu verbergen, die Ihnen in die Augen traten, antworteten: Ich würde dahin gehen, wo Sie sind – ich würde in der Einsamkeit leben – ich würde mich nie trösten. – Vielleicht würde ich nicht den Muth haben, Mathilde – unsere Freundin – unsere Schwester – wiederzusehen.

»Diese einfachen Worte würden, von jedem Andern gesprochen, nur traurig oder überspannt erschienen sein; – in Ihrem Munde, Ulrich, hatten sie den Charakter einer verzweiflungsvollen Wahrheit.

»Emma und ich, wir brachen in Thränen aus, so erschrocken, als ob die Hand Gottes uns in diesem Augenblicke die Zukunft enthüllt hätte.

»Dieses fürchterliche Versprechen haben Sie eben so wenig unerfüllt gelassen, Ulrich, als jedes andere, das Sie je gaben.

»Ich schicke Ihnen diese Papiere mit vollem Vertrauen und ohne Furcht, Ihnen dadurch lästig zu werden; wenn Sie diesen Brief lesen, geschieht es, weil Sie den Muth haben, an mich zu denken, an mich, die so oft mit ihr zusammen war.

»Das wird kein Beweis sein, daß Ihre Verzweiflung nachlaßt: ach, nein – Sie werden im Gegentheil mit einer Art grausamer Freude die schon so schmerzhaften Wunden aufzureißen glauben, indem Sie unter diesen Blättern die suchen, welche von Emma sprechen.

»Vielleicht – lesen Sie binnen hier und langer Zeit diese Zeilen nicht – vielleicht lesen Sie sie nie. – Dann, mein Freund, empfehlen Sie diese Papiere der Treue Stock's und ebenso auch das Kästchen, welches Sie vor zwei Monaten empfingen. Ich wünsche, daß Alles vernichtet werde.

»Wenn Sie die Schrift lesen, die ich Ihnen sende, wissen Sie, weshalb ich Ihnen die Kästchen schickte.

»Eine ewige Reue wird mich verfolgen, Ulrich. Dieses Pfand hätte Ihnen verderblich werden können. – Ich habe Alles erfahren. – Das Duell! Ach, Gott ist mein Zeuge, daß ich glaubte, Niemand auf der Welt würde erfahren, daß diese Papiere in Ihren Händen wären.

»Durch welches Verhängniß wurde dieses Geheimniß entdeckt? – Durch welches Verhängniß wurde Ihr Leben – das einer Person, die ich jetzt nicht mehr anklagen kann, in Gefahr gebracht? – Das werde ich ohne Zweifel nie erfahren!

»Jetzt ein Wort von mir, mein Freund.

»Seit langer Zeit, seit einem Jahre besonders, bin ich sehr unglücklich gewesen. Meinen Kummer dem Ihrigen vergleichen, hieße Gott lästern; gleichwohl war das Leben mir sehr drückend und peinlich. – Als ich vor acht Wochen an den Ort der Zurückgezogenheit kam, wo ich wahrscheinlich meine Tage beschließen werde, erweckte die Erinnerung an die Vergangenheit in mir eine schmerzhafte Betäubung.

»Ich fühlte ein solches Bedürfniß der Ruhe, oder vielmehr des Vergessens von Allem und Allen, daß das ferne Brausen der Zeit, die nicht mehr war, mir verhaßt wurde.

»Da entstand in mir der verschrobene Gedanke: Man beruhigt, man verbannt seinen Kummer, wenn man ihn mittheilt. Indem ich die Geschichte meines Lebens niederschreibe, entledige ich mich vielleicht der Erinnerungen, die mich bestürmen; diese stumme Beichte giebt mir vielleicht die Ruhe zurück.

»Ich dachte auch, ich würde eine Art bitterer Freude darin finden, wenn ich noch ein letztes Mal zu der Vergangenheit zurückkehrte, aus ihr einige, noch theure, wenn auch vertrocknete Blumen wählte und die übrigen dem Winde der Vergessenheit hinwürfe; – wenn ich den Gefühlen des Unwillens Luft machen könnte, die mein Stolz bisher immer unterdrückt hatte.

»Ich habe mich in dieser Hoffnung nicht getäuscht, mein Freund; dieses treue Geständniß meines ganzen Lebens, der edlen Handlungen, wie der schmachvollen Irrthümer, hat mich erleichtert; die Phantome, vor denen meine Einbildungskraft erschrak, sind verschwunden.

»Indem ich einen vorurtheilsfreien Blick auf die vergangenen Zeiten warf, indem ich die Rechnung meiner Thränen abschloß, indem ich kalt erwog, was sie hervorgerufen hatte, trat die Geringschätzung an die Stelle des Schmerzes; auf eine grausame Aufregung folgte eine dumpfe, trübe Ruhe. Ich habe das Gute ohne Stolz, das Böse ohne falsche Demuth gesagt; ich habe meine Feinde nicht angeschwärzt, meine Freunde nicht übermäßig gelobt; ich habe ihr Benehmen gegen mich geschildert. – Ich habe auf mein Leben einen Blick geworfen, gerecht und streng, wie der eines Richters.

»In meinen Gedanken waren Sie es, war es unsere Freundin, unsere Schwester, an die ich mich wendete.

»Ich erinnerte mich, daß Sie Beide in jenen glücklichen Zeiten oft zu mir gesagt hatten: Theilen Sie uns doch einige Blätter Ihres Herzens mit; ich erinnerte mich, daß meine Freimüthigkeit Sie wechselsweise entzückte und erschreckte.

»Wenn Sie diese Blätter lesen, mein Freund, werden Sie mich nicht stärker lieben, aber Sie werden mich vielleicht mehr achten.

»Jetzt ist mein Ziel erreicht, mein Herz ist leer, aber ruhig. Die Vergangenheit bürgt mir für die Zukunft. Ihnen verdanke ich die Ruhe, deren ich genieße. – Nie hätte ich Anderen diese vertrauten Mittheilungen gemacht. – Und diese Mittheilungen haben sehr heftige Schmerzen beschwichtigt.

»Leben Sie wohl, mein Freund! Leben Sie wohl, mein Bruder! Erinnern Sie sich an Mathilde, wenn Sie in diesen Blättern zwei Namen lesen, die stets in meinem Herzen heilig vereint leben werden, wie sie es in dieser Welt waren: Ulrich, Emma.

Mathilde



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