Torquato Tasso
Das befreite Jerusalem
Torquato Tasso

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Zueignung.

                In der Erinnerung geweihtem Haine
Schwebt, leisen Flugs, vor mir ein göttlich Bild;
Ich seh' es nahn in seiner Himmelsreine,
Und schöner glänzt das liebliche Gefild.
Sie schwebt herab im goldnen Abendscheine,
Die herrliche Gestalt, elysisch mild;
Sie hebet still den zartgewobnen Schleier
Und rührt mit weicher Hand die heil'ge Leier.

Das war mein Wunsch: noch einmal, eh' die Wogen
Des Schicksals mich von dem geliebten Strand
Fern in des Lebens Strudel fortgezogen,
Zu schauen meiner Sehnsucht teures Land.
Ich sah's, und tausend Dämmerbilder flogen
In wechselnder Gestalt, im Dunstgewand,
Vor dem entzückten Auge hin und wieder,
Und lächelnd stieg Vergangenheit hernieder.

Ich sah, wie einst die nebelgleiche Hülle,
Wie auf ein Götterwort, dem Aug' entsank.
Sie reichte mir aus ihrer ew'gen Fülle,
Die Himmlische, den neuen Lebenstrank;
Bis in des Busens tiefgeheimste Stille
Fühlt' ich die Glut, die göttlich mich durchdrang,
Fühlt ich, umschlungen von geliebten Armen,
Zu höherm Schlag mein ganzes Herz erwarmen. –

Ach! Monden, Jahre sind seitdem entschwunden,
Und öder ward's und öder um mich her;
Die einst so fest das engste Band umwunden,
Sie scheidet jetzt Gebirg und Strom und Meer.
Die heil'ge Stätte hab' ich wiederfunden,
Die Tage schwanden ohne Wiederkehr.
Erinnrung spricht zu mir in leisen Tönen;
Ich irr' allein umher mit tiefem Sehnen.

Und trüb' und trüber blick' ich in die Ferne,
Doch keiner Hoffnung Morgenstrahl erwacht.
Ich traut' auch euch, ihr hellen goldnen Sterne,
Und euch verhüllt die feindlich düstre Nacht.
Wie wandelt' ich in eurem Glanz so gerne!
Wie hing mein Aug' an eurer stillen Pracht!
Ihr schwandet – Hier, am ernsten Scheidewege,
Forsch' ich umsonst, ob sich kein Zeichen rege.

Doch aus des Waldes feierlichen Hallen
Tönt's wie ein fernes Rauschen an mein Ohr;
Ich hör' es nah und hör' es näher wallen,
Und lauter tönt's, ein tausendstimmig Chor.
Aus goldnen Wolken seh' ich Strahlen fallen,
Ein seltsam Licht dringt durch die Nacht hervor,
Und ein Gemisch leicht schwebender Gestalten
Scheint sich in buntem Wechsel zu entfalten.

Was tönt mir aus der Felsengrotte Tiefen?
Was rauscht im heil'gen Hain, am stillen Bach?
Wer deutet die bewegten Hieroglyphen
Und spürt dem leisen Sinn der Bilder nach?
O, welche Geister, welche Götter riefen
Der Vorwelt ferne Melodieen wach,
Die mich in holdem Taumel, leis' und leise,
Allmächtig ziehn in die geweihten Kreise?

Vom heil'gen Krieg, wo fromme Helden ringen
Um des Erlösers hochverehrtes Grab;
Vom süßen Trug, von Amors losen Schlingen
Und von der Schönheit mächt'gem Feeenstab;
Von Frauen, Rittern, Zaubrern hör' ich singen,
Bis in den Orkus steigt das Lied hinab,
Um triumphierend aus der Hölle Gründen
Zu Himmelshöhn sich stolz empor zu winden.

Dem muß ein kühnes Herz im Busen schlagen,
Der sich zuerst dem Labyrinth vertraut,
Mit festem Blick und sonder Graun und Zagen
In jene wundervolle Tiefe schaut.
O, nur ein Sohn der Götter mag es wagen!
Ihm tönt geordnet der verworrne Laut,
Und hehre Musen, mit geheimer Feier,
Bereiten ihm die liederreiche Leier.

Wer aber wagt's, nach ihm, mit leisem Beben,
Sich zu vertraun dem wunderbaren Land?
O edler Geist, wirst du dem Mut vergeben,
Der deine Spur im stillen nacherfand?
Der deinen schönen Baum mit kühnem Streben
Verpflanzt an seiner Heimat fernen Strand?
Sieh, diesen Kranz entwind' ich seinen Blättern
Und weih' ihn dankbar dir und deinen Göttern.

Und du, die der Begeisterung ersten Funken
Einst glühend in des Jünglings Seele warf,
Nimm dieses Opfer, das ich, andachtstrunken,
Mit reiner Hand dir, Göttin, weihen darf.
In deinem Hain, in Ahnungslust versunken,
Fühl' ich der Trennung Pfeile minder scharf.
Du lächelst mir? Schon hebt mein Blick sich dreister:
Ja, ewig ist, wie sie, das Band der Geister!

Wohlan, o Freunde, wenn euch im Gewühle
Der lauten Welt kein Labungsort bewußt:
Versammelt euch in dieser Schatten Kühle
Und horcht dem ernsten Lied in stiller Lust.
Und hebt es euch zu innigerm Gefühle,
So kommt und drückt den Freund an eure Brust,
Und sagt ihm herzlich, mit beredtem Schweigen:
Der Freundschaft Macht kann keine Trennung beugen.


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