Ludwig Thoma
Die Lokalbahn
Ludwig Thoma

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Sechste Szene

Frau Bürgermeister rasch von links. Der Bürgermeister.

Frau Bürgermeister War nicht Adolf da?

Bürgermeister Sgedrückt. Gerade ist er fort.

Frau Bürgermeister Und war nicht bei Suschen? Fritz!

Bürgermeister Was?

Frau Bürgermeister Ihr habt euch gestritten? Wegen gestern?

Bürgermeister Gestritten nicht; er hat nur gefragt...

Frau Bürgermeister fängt zu weinen an. Ich hab' es ja gewußt!

Bürgermeister fährt sich erregt durch die Haare. Nein, so was! Mama, geh! Legt ihr die Hand auf die Schulter.

Von links tritt Frieda Pilgermaier auf. Altmodische Kleidung. Hut mit auffallendem Blumenarrangement. Sie trägt einen kleinen Marktkorb. Lebhafte Gesten. Schreiende Stimme.

Siebente Szene

Frieda Pilgermaier. Der Bürgermeister. Die Frau Bürgermeister.

Frieda Da komm i ja grad recht zum Gratulier'n. Frau Bürgermeister wendet sich schnell ab und trocknet ihre Tränen.

Bürgermeister mürrisch. Guten Tag!

Frieda Ich war schon amal da, heunt. In aller Früh.

Bürgermeister Was willst du denn?

Frieda Gratulier'n halt! Zu der Ehrung. Das is ja großartig g'wesen.

Bürgermeister Mhm. Ja.

Frau Bürgermeister Wir danken dir schön, Frieda.

Frieda Das versteht si do von selber, daß die Familie an so was teilnimmt. No, ihr seid's ja auch recht vergnügt, wie ich seh.

Bürgermeister Es geht.

Frieda Es laßt sich denken. Wenn ma scho bei Lebzeiten an Fackelzug kriegt! Das passiert ja die wenigsten als a toter!

Frau Bürgermeister Warst du da?

Frieda. Freili! Mit mein Mann. Hinter'm Garten sin' mir g'standen.

Frau Bürgermeister Warum bist du nicht zu uns herein?

Frieda Mei Mann hat g'meint, mir passen net in die vornehme G'sellschaft. Und nacha weiß ma ja net, ob ma net stört.

Bürgermeister Immer die Redensarten.

Frau Bürgermeister Du kommst doch sonst auch?

Frieda Das scho, aba mei Mann is halt so. Er sagt, die klein Verwandten sieht ma net gern. De kann ma höchstens brauchen, daß s' ei'm mit da Leich geh'n.

Frau Bürgermeister Geh, hör auf!

Frieda A bissel was is schon dran. Übrigens habt's ihr's scho g'hört vom Schneider Wilberger?

Bürgermeister Ja. Da bist du leider zu spät gekommen.

Frieda Und auch vom Hochwürden an Herrn Pfarrer?

Bürgermeister Auch schon. Du hast Pech heute.

Frieda Der muaß si g'äußert hamm. Jessas, Mariand Josef!

Frau Bürgermeister Mach es nur nicht so arg!

Frieda So? ja, wenn d'as du besser weißt!

Frau Bürgermeister Wir haben nicht die Beziehungen.

Frieda I weiß halt, was mir d' Köchin erzählt hat. Und des g'langt überall hin!

Frau Bürgermeister Dann sag es halt!

Bürgermeister Willst du die Geschichte vielleicht ratenweise absetzen? Damit der Genuß länger dauert?

Frieda I hab euch bloß schonen wollen. Aber wenn's ihr wollt's! Also d' Köchin hat erzählt, so zorni hat si an Herrn Pfarrer überhaupts noch nie g'sehn, und schreiend die ganze Ovation ist ein ewiger Schandfleck, hat er g'sagt, für die Stadt!

Bürgermeister zornig. Wenn nur er keiner ist!

Frau Bürgermeister Pst!

Frieda Es ist überhaupts eine Auflehnung gegen den Staat und genau so schlecht wie jede anderne Revolution.

Bürgermeister laut. Was?

Frieda Ja, und die Dornsteiner, hat er g'sagt, entwickeln sich allaweil schöner unter ihrem lieben Bürgermeister, jetzt werden s' gar noch Sozialdemokraten!

Bürgermeister erregter. Eine solche Unverschämtheit!

Frieda Die nächste Predigt, hat er g'sagt, geht über die Pflichten gegen die gottgesetzte Obrigkeit. Da will er, hat er g'sagt, den Dornsteinern ein Licht aufzünden. Und an Herrn Bürgermeister auch!

Bürgermeister zornig auf und ab gehend. Ich will ihm was predigen! Ich will ihm was geben! Seine Frau geht neben ihm her.

Frau Bürgermeister Mach es nicht noch ärger! Es ist schlimm genug.

Bürgermeister Das lasse ich mir nicht gefallen!

Frieda Und das vom Schlosser Gruber wißt's vielleicht auch noch net.

Bürgermeister bleibt stehen. Was ist mit dem Gruber?

Frieda Der hat auch net mittan, weil er die Arbeiten fürs Rentamt hat und mit der Regierung gut steh' muß.

Bürgermeister Unsinn!

Frieda Ja, Unsinn! Der Pedell von der Realschul soll bereits entlassen wor'n sei, weil er mitg'sungen hat.

Bürgermeister Wer bringt denn die Dummheiten alle auf?

Frau Bürgermeister Wenn die eigenen Verwandten solche Geschichten herumtragen!

Frieda Tut's nur net so beleidigt! I erzähl' ja bloß, was i hör'.

Bürgermeister Und hilfst noch brav mit!

Frau Bürgermeister Es ist genug, wenn die fremden Leute jede Kleinigkeit aufbauschen.

Frieda No, weißt, Anna, gar so a Kleinigkeit is das net, wenn der Minister gleich krank werd vor lauter Aufregung und sein Abschied nehmen muß.

Bürgermeister Wer ist krank geworden?

Frieda Der Minister. Der Bürgermeister lacht gezwungen. Ja, das is schon wahr! Da brauchst net lachen!

Bürgermeister wütend. Herrgott! Seid ihr alle miteinander verrückt?

Frieda Da müßt i scho bitten. Und überhaupts...

Der Major tritt rasch von links ein; er hält eine Zeitung in die Höhe.

Achte Szene

Die Vorigen. Der Major.

Major ruft. Das Neueste! Das Neueste!

Bürgermeister Steht was im Wochenblatt?

Major Und wie!

Bürgermeister nervös. Gib her!

Major Nur Zeit lassen! Das muß ich vorlesen. Da schau her! Fett gedruckt: ›Ein deutscher Mann!‹ Das bist du!

Bürgermeister Der Kerl hat mir versprochen, daß er nichts schreibt.

Major Sei nicht undankbar! Er streicht dich fein heraus. Also paß auf. Liest vor. ›Seit Brutus, jenem bekannten Tyrannenhasser des weströmischen Reiches ist vielleicht niemand mehr mit so viel Recht gefeiert worden, wie gestern unser allverehrter Bürgermeister.‹

Frau Bürgermeister Man kommt nicht aus der Unruhe.

Major fährt fort. ›Galt es doch, ihm den Dank abzustatten für seinen echten Mannesmut, welchen man heute so selten antrifft. Galt es doch ihn zu ehren, weil er den hochmütigen Stolz des Ministers mit donnernden Worten beugte...‹

Bürgermeister So ein Esel! So ein hirnverbrannter Esel!

Major fortfahrend. ›und die zarten Ohren dieses Herrn rücksichtslos beleidigte.‹

Frau Bürgermeister Um Gottes willen!

Frieda zur Bürgermeisterin. Du hast as ja net glauben wollen!

Bürgermeister zum Major. Gib mir den Wisch her!

Major Gleich. Aber da am Schluß kommt noch ein Satz. Liest. ›Welche Gefühle mögen den Minister beseelt haben, als Friedrich Rehbein vor ihm stand und ihn erbarmungslos vernichtete?‹ Mit erhobener Stimme. ›Wahrlich, wir möchten nicht mit dieser Exzellenz tauschen!‹

Bürgermeister wütend. Das ist zu viel! Das ist zu viel!

Frau Bürgermeister Jetzt versteh ich alles.

Bürgermeister Wie habe ich diesen Menschen gebeten, daß er nichts schreibt!

Frau Bürgermeister Hättest du ihm nichts gesagt!

Bürgermeister Wer denkt an so was? Aber die Zeitung darf nicht herauskommen!

Major Die ist schon heraus.

Bürgermeister Ich gehe in die Druckerei.

Major Nur kalt! Was willst du denn dort?

Bürgermeister Es muß was geschehen. Ich verklage den Kerl.

Major Dich hat er doch nicht beleidigt!

Bürgermeister Der Mensch ruiniert mich ja! Er macht mich unmöglich!

Major Oho! Nur nicht gar so aufgeregt!

Frieda Für euern Amtsrichter muß das aber peinlich sein!

Frau Bürgermeister sehr aufgeregt. Wenn ich nur wüßte... Fritz!... Geh doch schnell!

Frieda Mei Mann hat gleich g'sagt, der Amtsrichter wird schau'n, no dazu mit sein Beamtengiggel!

Bürgermeister grob. Dein Mann soll sich um seine Sachen kümmern!

Frieda So? Is das vielleicht der Dank, wenn ma Mitleid hat?

Bürgermeister Ich pfeif' auf dein Mitleid.

Frau Bürgermeister zieht Frieda beschwichtigend fort. Zu Frieda. Komm mit in die Küche. Und du Fritz, eil dich! Gelt?

Bürgermeister Gleich! Gleich! Wo ist denn mein Hut? Marie!

Frau Bürgermeister Ich schick' sie schnell.

Frieda Reden werd ma na wohl no derfen, wenn's die hohen Verwandten erlauben.

Frau Bürgermeister und Frieda links ab.

Neunte Szene

Der Bürgermeister. Der Major.

Bürgermeister Du mußt mich begleiten, Karl.

Major Schön. Aber ich seh wirklich nicht ein, was du bezwecken willst.

Bürgermeister Ich weiß selber nicht. Aber es muß was geschehen. Den Versuch muß ich machen.

Marie von links mit Hut und Stock.

Bürgermeister Schnell, Marie! So! Setzt den Hut auf, nimmt den Stock.

Marie ab.

Bürgermeister Also, Karl; gehen wir!

Er geht mit dem Major zur Gartentüre. Unter derselben erscheint Amtsrichter Beringer.

Zehnte Szene

Der Bürgermeister. Der Major. Beringer.

Bürgermeister Du, Adolf?

Beringer Ich möchte dich allein sprechen.

Major sehr formell. Ich will nicht stören. Lüftet leicht den Hut und geht an Beringer vorbei in den Garten.

Elfte Szene

Der Bürgermeister. Beringer.
Beringer zieht das Dornsteiner Wochenblatt aus der Tasche.

Beringer Ich bin jetzt über die gestrige Ovation aufgeklärt.

Bürgermeister Der Artikel? Gerade will ich in die Redaktion.

Beringer klopft mit dem Handrücken auf die Zeitung. Ist das alles pure Erfindung?

Bürgermeister Nein, das heißt...

Beringer Der Artikelschreiber weiß jedenfalls, warum er vor deinem Hause gesungen hat.

Bürgermeister Das ist doch alles bodenlos dumm und übertrieben!

Beringer Die Ausschmückung, gewiß. Aber der Kern der Sache bleibt der nämliche.

Bürgermeister Ich versichere dir, daß Heitzinger mir versprochen hat, nichts zu schreiben.

Beringer Das ist doch der deutliche Beweis, daß du etwas zu verheimlichen hattest.

Bürgermeister Nein. Paß mal auf.

Beringer Bitte, wenn du mich hören willst. Ich werde sehr kurz sein. Du weißt, daß ich jeden Tag die Beförderung erwarte? Der Bürgermeister nickt zustimmend. Und daß ich begründete Aussicht habe, als Staatsanwalt in das Justizministerium zu kommen?

Bürgermeister Gewiß weiß ich das.

Beringer Ich habe nie Protektion gehabt; mir ist es nicht leicht gemacht worden. Von Anfang an nicht.

Bürgermeister Du hast dir's sauer verdient.

Beringer Ich habe darum gearbeitet. Viele Jahre, und jetzt stünde ich vor dem Ziel. Endlich!

Bürgermeister jetzt hast du's auch in der Tasche.

Beringer heftig. Nein, es ist alles in Frage gestellt. Im letzten Moment.

Bürgermeister Wieso denn, Adolf?

Beringer Es wird bestimmt nichts draus. Es ist so viel wie sicher, wenn... wenn...

Bürgermeister Aber...

Beringer Du weißt recht gut, daß man alles mögliche in Betracht zieht. Daß wir auch nicht so ohne weiteres heiraten können. Man informiert sich ja sehr genau.

Bürgermeister Ja... was?... Was?...

Beringer Ich verscherze alles. Mit einem Schlage. Und ich kann das nicht. So leid es mir tut, ich kann nicht. Ich darf mich nicht kompromittieren.

Bürgermeister sehr bestürzt. Was willst du damit sagen?

Beringer Daß ich von der Verlobung zurücktreten muß; so schmerzlich mir das ist!

Der Bürgermeister sieht Beringer kurze Zeit schweigend an; dann geht er rasch auf ihn los und ergreift seine rechte Hand.

Bürgermeister Junge! Das war nicht dein Ernst.

Beringer Es liegt mir sehr ferne, jetzt zu scherzen.

Bürgermeister Du willst doch nicht wirklich...?

Beringer Ich muß. Wendet sich zum Gehen.

Bürgermeister Aber das ist ja alles Unsinn! Du! Hör doch! Junge! Das ist ja Unsinn!

Beringer Mache es mir nicht noch schwerer. Ich kann nicht anders. Er geht zur Gartentüre.

Von links stürzt Suschen herein und umarmt ihn stürmisch.


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