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Viertes Kapitel

»Schlafen so tief, wie die gelbe Todsonne scheint, in Trauer und Tränen.

Menschen auf! Hörst du, wie er oben an der Decke marschiert. Das ist er in Soldatengestalt. Oh, nur bitten und beten, sonst sind wir verloren. Die Erde knarrt unter ihm. Bis hinunter muß man es hören.«

»Jetzt laß mich erzählen.«

»Der meine heißt Karl. Er ist Musikant. Wie er zum letztenmal kommt, ist es ganz finster bei mir. Kein Licht! sag ich. Das schönste siehst du im Dunkeln. Aber er schleicht nur zum Waschtisch. Kein frisches Handtuch? sagt er. Mich hat das sehr gekränkt. Komm her, du Herzschatz, sag ich, mit meinen Händen wollte ich ihm das Gesicht abstriegeln, aber er wehrt sich, sagt so recht kalt, kein Handtuch für den Gast und kratzen auch noch?« »Dein Gast? Hihihihi!«

»Man hat damals schon sobald gesperrt, es war erst zwölf. Da habe ich ihn mit mir genommen. Er ist Musikant, spielt bei den Zigeunern. Bin ich dir nicht rein genug, sag ich, was bist du denn eigentlich gewohnt als Zigeuner? Oh, sagt er, du wärest wohl rein, aber hier, in dem Kabinett, riecht es so eigens, wie ... alte Kinderwäsche, zusammengestopfte unter dem Bett. Ich habe nichts gesagt, nur gelacht, aber mein Herz hat nicht gelacht. Mein großes Kind war da, im Gitterbett schläft es, still wie die Maus. Tief im Schlaf, da hatte niemand sie leicht aufgeweckt und dunkel war es zum fürchten. Er hat schon viel getrunken, denn sie lieben ihn alle, darum geben sie ihm recht starken zum Trinken, damit er besonders feurig spielt. Gesehen hat er nur einen Schimmer, aber gerochen hat er mein Kind. Und das war der ärgste Schmutz, davon erzähle ich später. Er aber, ein prachtvoller Mensch, mit blondem Schnurrbart und langen Haaren. Er ist ja auch von einer Künstlerkapelle, sie haben einen Primär, sie leben wie Fürsten, am Sonntag vormittag spielt er in der Kirche, ein Solo allein, für einen Gulden. Meine Nacht, das war die Samstagnacht. Aber lieben, nein. Kalt wie ein Stück Eis, die Hände wie Eiszapfen, vom Wasser naß. So geh nur, mein Liebling, sag ich, vielleicht kannst du noch fahren, einen Mann zu halten, bin ich zu stolz, und die Omnibusse fahren die ganze Nacht, hin zu den Bahnhöfen. Er geht auch zur Tür, und da schläft mein Kind. Er stößt an das Gitterbett, aber das Kind schläft so tief. Pardon, sagt er mit seiner schönen Stimme, wahrhaftig schöner als Geige, und lacht. Aber wann können wir uns wiedersehen, fragt er, Fräulein? Du weißt ja, wo ich bin, sag ich. Also Ende der Woche? Wird mich immer freuen, sag ich. Und so geht er. Warte noch, sag ich. Er dreht sich um. Nun Marie, nun? Dem Hausmeister mußt du nichts geben, sag ich, er bekommt ohnehin so viel von mir. Gut so, sagt er und geht. In mir wühlt es und wühlt, und kein Tropfen Schlaf die lange Nacht. Er, ein Mann wie ein Schloß, ein gebildeter Mensch, immer blitzblank, kein Staubchen im Haar, das ist mein Mann. Zerrissen hätte ich mich für ihn. Es wird mir schwül, so unheimlich im Bett, und ich kann nicht mehr bleiben, es geht um in mir, wenn nur das böse Kind nicht wäre. Ein boshaftes Kind war es, das hat es vom Vater geerbt, von dem treulosen Hund; wenn jemand das Kind fragt, wie heißt du, Kleiner, sage es schnell, du bekommst dann Süßes zu essen. Peitschi heiß ich, antwortet das Kind und zwinkert mit den kohlschwarzen Augen. Ein vierjähriger Teufel. Ich muß den lieben Gott beten, am Fenster knie ich, es ist nicht Tag, es ist nicht Nacht, mitten im Winter. Du mußt das Kind bessern, nimm doch du das Kind in die Arbeit, uns allen hast du geholfen, das Kind hat keinen Vater auf Erden, aber dich im Himmel, es hat's prächtig als Engelchen dort, dort ist es versorgt, ich bin hier versorgt mit meinem Karl. Immer denke ich, wenn er das Kind nicht gerochen hatte, so wäre er noch da, er hätte mich genommen, er hätte es getan, wir waren beide am Morgen zur Kirche. Aber ich war still, der Zorn brennt mich ganz aus. Aber hätte der Mann nicht das Fenster aufreißen können, frische Luft wäre herein, dem Kind auf die Brust und ein schmerzloser Tod! Aber ich kann es nicht halten, und der Zorn reißt mich in Stücke. Hätte der Mann doch das Bett umgeworfen im Dunkeln, hätte er es zertreten! Hätte er es doch zertreten!

Mit dem Kind nimmt er mich nicht. Wegen dem Kind sagt er mir ›Fräulein‹, wegen dem Kind läßt er mich sitzen die ganze Nacht, ohne einen Kuß! Und wäre das Kind gewesen wie andre Kinder, aber es war wie aus Schmutz zusammengewachsen, das hat es vom Vater, der Vater hat Geld, Millionen und mehr, aber für mich nicht einen blutigen Heller, das Kind bekommt es zugeschrieben, ihm gehört es, liegt bei Gericht, ihm allein bleibt es, heute noch, im Grab.

Todmüde komme ich von der Arbeit nach Haus, da sitzt das Kind schon wieder im Schmutz, daß nur die Augen heraussehen! Ich will leben, aber immer putzen, immer waschen, immer flicken, das Kind füttern, frisieren, pflegen, kämmen und bürsten; aber ich werde alt, ich werde grau, das Kind wächst auf, es bekommt sein Vermögen, und ich bin doch auch da, ja arm, abgearbeitet, wüst! Ist das gerecht, kann man das ertragen? Da muß es kochen, da kenn ich nichts mehr, da bin ich's nicht mehr. Wäre es mir doch nur ähnlich gewesen. Ich habe es doch geboren, ich habe es empfangen, ich habe es genährt, es ist doch mein Fleisch und mein Blut, aber nein, nicht ein Tropfen Blut ist von mir, nicht ein Gran Fleisch ist von mir, der Vater in allem, im Sprechen, im Gehen, die große Zehe verwachsen nach außen, das ganze Gesicht er, bis in die Haare nur er, dunkel, mit kleinen schwarzen Zotteln am Kopf! Was soll ich tun, mich reißt es, das Kind muß ich packen und reißen. Hätte er es doch zertreten!

Jetzt laß mich erzählen l Kinder sind Freude, aber das war die Strafe, die Hölle auf Erden. Ohne Kinder lieben nur die Huren, das sind keine Menschen...

In der Nacht, da wachsen die Kinder am schönsten. In der Nacht, da kommt die Liebe so leicht! In der Nacht wird es sterben, weiß nichts, sieht nichts, dann kann ich es baden am Morgen, recht reinlich baden, erst den rechten Arm, die rechte Brust, den Hals, den milchweißen, beide Füße mir in die Hand! ...

Ich halte schon den Totenkamm, da kämmt es sich schön, zu beiden Seiten, die Schultern hinunter, bis tief ...

»Schweig still! Der Gendarm macht das Fenster auf. Ah, das Licht aus! Herüber zu mir! Lieben und küssen!« ...

»Das Petroleum ist ausgegangen, die Laterne oben, gleich wird sie verlöschen. Sie zünden sie vielleicht nicht mehr an, das Petroleum ist drüben, im andern Haus, es wird bald Tag.«

Es zerflackerte langsam das Schaukeln der roten Laterne. Olga schlief ein, aber nur einen Augenblick glätteten sich ihre Züge, ruhten in Frieden die weißen Schluchten ihres Gesichtes, vom letzten Schimmer der Laterne umblutet.

Da schrie es, da jammerte es laut. Es krachte im Bett, das Netz des Gitterbettes zerriß mit schrecklichem Rauschen, das Kind weinte, es schrie das gemordete Herz!

Wie es sich warf, wie es sich klammerte an die eiserne Bettstelle, das gemordete Kind!

Dieser Schrei drang Olga in die tiefsten Tiefen, sie erbebte, erwachte.

Sie erkannte sich selbst.

Sie war es, die schrie.

Das Bändchen, mit dem ihr die Wärterin die Haare festgebunden hatte, hing fest an den Eisenstreben des Bettes. Mühsam machte Olga sich los, erschüttert, bebend, von Grausen angehaucht, eisig.

Die Nachbarin fluchte. »Verdammtes Gesindel! Erst den Speck wegfressen, dann noch schreien, mich erwecken im besten Traum! Stopf dir die Faust in die Kehle, ersticke, damit du nicht schreist! Warte du, morgen sage ich es der Profossin. Du kommst an den Galgen.«


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