Christoph Martin Wieland
Clementina von Porretta
Christoph Martin Wieland

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Erster Aufzug.


Erster Auftritt.

Der Schauplatz ist ein Saal im Palaste von Porretta.

Der Graf von Belvedere. Der Pater Marescotti.

Belvedere. Sagen Sie mir nichts mehr von Geduld und Verleugnung, Pater Marescotti – Ich schwöre Ihnen, Clementine soll die Meinige oder wenigstens nicht diesem englischen Protestanten werden! Der blose Gedanke an das, was die Folge seiner Zurückkunft seyn könnte, bringt mich zur Verzweiflung. – (Etwas gelassener.) Verzeihen Sie mir, ehrwürdiger Vater. – Aber ich kann und will nicht ohne Clementine leben!

P. Marescotti. Sie wissen, Herr Graf, wie sehr ich immer Ihr Freund war, Sie wissen, wie sehr die ganze Familie von Porretta für Sie eingenommen ist! Der Markgraf, die Markgräfin, der Bischof, der General, Alle haben ihr Herz auf die Vermählung ihrer Tochter und Schwester mit einem so würdigen Mann, als der Graf von Belvedere ist, gesetzt. Ganz Italien hat keinen edeln Jüngling, der an Geburt und persönlichen Verdiensten der vortrefflichen Clementina würdiger wäre, als Sie. Aber bedenken Sie den Zustand der unglücklichen jungen Gräfin! Sie kennen diesen außerordentlichen Mann, diesen Grandison. Ich selbst, so große Ursache ich hatte, wider ihn eingenommen zu seyn, ward endlich von seinen Verdiensten überwältigt. Ich mußte ihn bewundern, wie alle Welt ihn bewundert. Er hatte der Familie Dienste geleistet, die eine außerordentliche Dankbarkeit forderten. Dieß schien das Uebermaß zu rechtfertigen, womit alle Glieder eines großmüthigen und wahrhaft edeln Hauses ihre Verbindlichkeit gegen einen Mann bezeigten, dessen Großmuth und Tapferkeit sie das Leben ihres geliebtesten Sohns, ihres Jeronymo, zu danken hatten. Sie vergaßen, daß derjenige, den sie als Freund, Sohn und Bruder in die Familie aufnahmen, ein Ketzer, ein hartnäckiger Ketzer, ein Feind der Kirche, ein Verworfener war, mit dem die strenge Heiligkeit der Religion eine so enge Verbindung verdammt. Die Welt fand sie unvorsichtig, der Himmel strafbar. Ich wenigstens kann mich nicht enthalten die unglückliche Leidenschaft der jungen Gräfin für ein Gericht eines beleidigten Gottes anzusehen – Ach, Herr Graf! sie war eine Heilige, ehe sie diesen zauberischen Mann kannte. – Wahr ist's, sie kämpfte mit der strafbaren Leidenschaft; sie bewaffnete sich mit der ganzen Stärke der Religion; sie stritt mit dem Muth und der Standhaftigkeit eines Engels: aber die Natur erlag unter dem entsetzlichen Kampfe, und ihre Vernunft mußte das Opfer ihrer Tugend werden!

Belvedere. O halten Sie inne! Ich kann den abscheulichen Gedanken nicht ertragen – Clementina! – das glorwürdige Geschöpf! – so tief erniedriget! – Und durch wen? – Sie war die Zierde von Italien, der Stolz ihres Hauses; von Allen, die sie sahen, bewundert; von Allen, die sie kannten, geliebt; von den schönsten und vollkommensten ihres Geschlechts beneidet. Welch ein Wunder der Natur hat dieser Elende zu Grunde gerichtet! Meine Seele empört sich wider ihn! Er soll –

P. Marescotti. Ihre Hitze macht Sie ungerecht, lieber Graf! Grandison verdient weder Ihre Vorwürfe, noch Ihre Rache. Ich gestehe es, anfangs war er mir verdächtig. Es war unglaublich, daß der lange Umgang mit der jungen Gräfin nicht den Wunsch, ein so seltnes Gut zu besitzen, in ihm erweckt haben sollte; und, wofern er diesen Wunsch hegte, noch unglaublicher, daß er keine Kunstgriffe versucht haben sollte, sich nach und nach in ihr Herz einzustehlen. Ich theilte meinen Verdacht dem Markgrafen und dem Bischofe mit. Wir beobachteten ihn aufs genaueste, wir legten ihm sogar Fallstricke; aber die Prüfung zeigte ihn unschuldig und untadelig. Doch wozu sag' ich Ihnen alles dieses? Sie können nicht vergessen haben, daß Grandison Ihnen selbst Dienste geleistet, daß er mit einem Eifer für Ihr Bestes mit der Gräfin Clementina gesprochen hat, die ihm ihren Unwillen zuzog.

Belvedere. Ach mein ehrwürdiger Freund! Was sollte ich nicht vergessen, da ich meiner selbst vergessen habe! – Die Liebe zu einer Clementina – eine hoffnungslose Liebe, und doch von allen ihren Verwandten aufgemuntert – der Kaltsinn, der Abscheu derjenigen, die ich anbete, und, was mich noch mehr ängstiget, ihr Unglück, die Zerrüttung ihrer schönen Seele und nun, was mich beinahe wahnsinnig macht, die Ankunft dieses glücklichen Nebenbuhlers, sein Triumph und meine Schmach! – O, wenn Alles dieß nicht genug ist, die heftigste Leidenschaft zu rechtfertigen – Aber ich bitte Sie, Marescotti, war denn kein andres Mittel in der Welt, die englische Clementina wieder herzustellen, als die Zurückberufung dieses Grandisons?

P. Marescotti. Können Sie glauben, daß die Familie von Porretta sich zu einem so demüthigenden Schritt entschlossen hätte, wenn ihr irgend ein anderes Mittel übrig geblieben wäre? Sie kennen den gerechten Stolz eines Hauses, das an Alterthum und Glanz den größten Italiens gleich ist: denken Sie, was es ihnen kosten mußte, einen solchen Schritt gegen einen Mann zu thun, der, so groß er in Absicht seines persönlichen Charakters seyn mag, in allen andern Stücken unter ihnen ist; gegen einen Fremden, einen Engländer, einen Ketzer, der hartnäckig und übermüthig genug gewesen war, ihre Clementina, ihren Liebling, das Kleinod ihrer Familie, auszuschlagen, als sie ihm unter der einzigen Bedingung angeboten wurde, die einen so herablassenden Antrag rechtfertigen konnte. Ich selbst widersetzte mich lange dem anhaltenden Bitten Jeronymo's, der die Zurückberufung seines Freundes als das einzige Mittel, seine Schwester und ihn selbst zu retten, mit ungestümer Zärtlichkeit erflehte. Der Bischof, der General, unterstützten mich; der Markgraf selbst konnte sich nicht zu einer Erniedrigung entschließen, die diesen stolzen Protestanten in der Familie so wichtig machte. Wir hofften, die Zeit würde ein Heilungsmittel für die bedauernswürdige Clementina bringen. Aber wir hofften umsonst. Die Noth, welche die verzweifeltsten Mittel rechtfertigt, gab uns zuletzt ein, die Strenge zu versuchen. Clementina wurde nach Urbino in das Haus der Gräfin Sforza, ihrer Tante, gebracht. Die grausamen Begegnungen, die sie daselbst ohne unser Wissen erduldete, vollendeten ihr Unglück. Der traurige Zustand, worin sie in das Porrettische Haus zurückgebracht wurde; die immer zunehmende Krankheit ihres Bruders; die auf ewig verlorne Ruhe einer Familie, die in allen ihren Zweigen so glücklich gewesen war; ein von Kummer verzehrter Vater, eine trostlose Mutter; der Anblick ihres Jammers, ihre Thränen, ihre Klagen; der stumme Gram, der desto wüthender in ihrem Inwendigen nagte – ich gestehe Ihnen, Herr Graf, mein Herz erlag unter diesem Anblick. Ich vereinigte mich zuletzt mit Jeronymo, und ich hoffe in Demuth, der Himmel, den ich unablässig flehte, habe mir selbst in den Sinn gegeben, zu einem Mittel zu rathen, welches, so widrig es ist, doch das einzige scheint, wovon wir eine heilsame Wirkung hoffen können.

Belvedere. Ach Marescotti! Was soll ich thun? Was soll ich nicht thun? Ich bin ohne Besonnenheit. – Meine Lage ist ohne Beispiel! Ich bete die göttliche Clementina an; ohne sie ist das Leben nichts für mich; und ich selbst muß das Mittel gut heißen, welches mich ihrer auf ewig berauben wird! Ich hasse in diesem Grandison einen Nebenbuhler und muß seine Tugenden bewundern! – Ja, ich liebe Clementinen, liebe sie mehr als mich selbst – Aber, bei allen Heiligen des Himmels, ich kann dem Triumph meines Nebenbuhlers nicht zusehen! Irgend eine verzweifelte That soll meine Ungewißheit enden und meiner Schande zuvorkommen.

P. Marescotti. Lassen Sie sich erbitten, liebster Graf! Fassen Sie sich! Noch ist nicht alle Hoffnung verloren. Die Familie hat keinen Entschluß gefaßt, der Ihre Verzweiflung entschuldigen könnte. Vertrauen Sie dem Himmel und meiner Freundschaft. Sie wissen, daß meine eifrige Ergebenheit für das Haus von Porretta mir einiges Ansehen in demselben gibt. Verlassen Sie sich darauf, daß ich die Sache der Religion und die Ehre einer Familie, die mir die Sorge für ihre Seelen anvertrauet, nicht so sehr verrathen werde, um zuzugeben, daß die Gräfin Clementina mit einem ketzerischen Manne vermählt werde, bei dem sie in Gefahr wäre, die eitle Glückseligkeit einer befriedigten Leidenschaft mit dem Verlust ihrer Seele zu büßen. Mein Gewissen, Herr Graf, arbeitet noch stärker zu Ihrem Vortheil, als die Freundschaft selbst. Aber ich sehe den Bischof kommen. Er scheint bestürzt, Sie noch hier anzutreffen.


Zweites Auftritt.

Der Bischof. Die Vorigen.

Der Bischof. Um Ihrer eignen Ruhe willen, liebster Belvedere, bitte ich Sie, sich hinweg zu begeben. Wir erwarten alle Augenblicke einen Gast, dessen Anblick Ihnen nicht so angenehm seyn kann, als er uns seyn muß.

Belvedere. Ich bin in einen Zustand gebracht, worin auch der Feigste sich zu fürchten aufhört.

Der Bischof. Eben das ist es, warum ich eine Zusammenkunft zwischen Ihnen und dem Chevalier Grandison verhindern möchte. Wir sind ihm dafür verpflichtet, daß er sich aus Gefälligkeit gegen uns in einer so beschwerlichen Jahrszeit seinem Vaterland und den Armen seiner Freunde entrissen hat. So sehr hat uns unser Unglück gedemüthigt, daß wir die Ankunft dieses Mannes als eine Herablassung ansehen müssen. Sie begreifen selbst, daß es uns unruhig machen würde, wenn Herr Grandison bei seinem Eintritt in unser Haus –

Belvedere. Vergeben Sie mir, gnädiger Herr! – Ich bin unglücklich. Haben Sie Mitleiden mit mir! Eine Clementina zu verlieren! – So wenig ich bisher Hoffnung hatte, so hatte ich doch Hoffnung. Ihre Gütigkeit munterte mich auf! Aber jetzt – ein glücklicher Nebenbuhler kommt, und ich bin verloren.

Der Bischof. Sie sollten von unserer Freundschaft überzeugt seyn, liebster Graf! – Aber – die Hand des Schicksals liegt auf uns. Wir sind nicht Meister über unsere Maßregeln. Wären wir es, so wäre unsere Clementina glücklich, und Sie wären es durch ihren Besitz. Wir wissen nicht, was der Ausgang dieser unglücklichen Geschichte seyn wird. Zwar hat Grandison durch die hartnäckige Verwerfung unsrer Bedingungen alle Ansprüche an Clementinen verloren. Wir sind frei. Aber er hat andere Vorschläge gethan; und vielleicht zwingt uns noch die Noth, sie anzunehmen, so sehr wir sie anfangs verworfen haben. Wenn dieß das einzige Mittel wäre, unsere Clementina wieder herzustellen – Ich muß es Ihnen noch einmal sagen, wir haben keine Freiheit, unsern Neigungen zu folgen. Aber, glauben Sie mir, wir selbst werden nicht anders glücklich seyn, als wenn Sie es werden. Lassen Sie sich dieß beruhigen!

P. Marescotti. Kommen Sie, Herr Graf! Ich will Sie in den Park begleiten. Der Anblick der Natur und die Stille eines einsamen Haines sind oft geschickter, unsere Leidenschaften zu besänftigen, als die bündigsten Vernunftschlüsse.

Belvedere. Führen Sie mich, wohin Sie wollen. Für mich ist jeder Ort gleich.

(Sie gehen ab.)


Dritter Auftritt.

Der Bischof allein.

Ich darf dem Grafen nicht die Hälfte meiner wahren Gedanken sehen lassen – Ich bedaure ihn – aber wer ist mehr zu bedauern, als wir? Unglückliche und doch unschuldige Clementina! wie tief hast du uns niedergedrückt! – Indessen hat Grandison ein Recht an unsere stärkste Dankbarkeit. Wollte der Himmel – Aber hier ist er schon! Der königliche Mann! Wie sehr scheint er gleich beim ersten Anblick das zu seyn, was er ist! –


Vierter Auftritt.

Der Bischof. Grandison.

Der Bischof. Willkommen in Italien und in Bologna, theuerster Grandison! Wie großmüthig, wie freundschaftlich ist es von Ihnen, daß Sie unsere Bitte mit einer so verbindlichen Eilfertigkeit erfüllt haben! – Glauben Sie indessen, daß der Chevalier Grandison der Einzige ist, gegen den wir fähig waren, einen solchen Schritt zu thun.

Grandison. Die Freundschaft und das Zutrauen, gnädiger Herr, womit Ihre erlauchte Familie mich beehrt, berechtigt sie, von ihrem Grandison Alles zu erwarten, was ihn derselben würdig zeigen kann.

Der Bischof. Wir sind Ihnen Alle unendlich verbunden, Herr Grandison! Sie sind der Erretter meines Bruders gewesen, und jetzt entrissen Sie sich Ihrem Vaterlande, Ihren Freunden, Ihrer Ruhe und setzen bei dieser Jahrszeit selbst Ihr Leben in Gefahr, um Ihre Wohlthat vollständig zu machen. Wie werden wir jemals im Stande seyn, Ihnen eine Dankbarkeit zu zeigen, die solcher Dienste würdig sey? – Dieser Gedanke, Herr Grandison, macht uns unglücklicher, als Sie glauben können.

Grandison. Sie demüthigen mich, gnädiger Herr, wenn Sie von Verbindlichkeiten reden. Wenn ja das, was ich gethan habe, eine andere Belohnung verdiente, als das Vergnügen, womit das Herz sich selbst belohnt, so ist es blos in der Macht des Himmels, sie zu geben. Wenn unser Jeronymo uns wieder geschenkt wird, wenn die Gräfin Clementina wieder die Freude ihrer Verwandten ist, und ich das Vergnügen habe, sie Alle nach ihrem Herzen und nach meinem Wunsche glücklich zu sehen, so bin ich auf die vollständigste Art belohnt. Aber sagen Sie mir, gnädiger Herr, wie lebt der Baron von Porretta? Wie befindet sich die junge Gräfin?

Der Bischof. Jeronymo – ach, der arme Jeronymo! Ehe Sie zu uns kamen, war Alles, was man sagen konnte, daß er noch athmete, um den langsamen Tod desto länger zu fühlen, der mit dem Ueberrest eines schmachtenden Lebens kämpft. Und Clementina – ach, Grandison! sie ist seit Ihrer Abwesenheit höchst elend gewesen. Sie haben von den unglücklichen Maßregeln gehört, wozu der Rath des Generals und der Gräfin Sforza die Familie getrieben. Man wollte die Strenge gegen ein junges Geschöpf versuchen, das an die zärtlichste Begegnung gewöhnt, das lauter Sanftmuth und Güte ist. Man lieferte sie der Gräfin und ihrer Tochter Laurana aus, die von der ersten Kindheit an ihre Gespielin gewesen war und die schwärzesten Absichten unter der Larve der feurigsten Zärtlichkeit verbarg. Ach! wir wußten nicht, daß sie unser unglückliches Kind die ganze Wuth einer unversöhnlichen Nebenbuhlerin empfinden lassen würde. Laurana liebt den Grafen von Belvedere, von dem sie verabscheuet wird. Sie sah unsere Clementina als das einzige Hinderniß ihrer Leidenschaft an und übte die Strenge, die man ihr erlaubt hatte, mit einer Grausamkeit aus, unter welcher die arme Unglückliche erlag. Der zehnte Theil dessen, was sie unter den Händen dieses unmenschlichen Geschöpfs gelitten hat, wäre genug, eine Märtyrerin zu machen! – O Grandison! ich fürchte – ich fürchte, ihre Vernunft ist unwiederbringlich verloren. Seit vier Wochen spricht sie kein Wort. Sie kennt Niemand. Sie scheint weder zu sehen noch zu hören. Die beweglichsten Bitten, die Thränen, das fußfällige Flehen ihrer trostlosen Mutter hat sie nicht bewegen können, das entsetzliche Stillschweigen zu unterbrechen. Selbst bei Ihrem Namen, Herr Grandison, ist sie unempfindlich geblieben.

Grandison (mit der äußersten Gewalt über sich selbst, ohne sie ganz verbergen zu können). Ich bin stärker gerührt, als ich es ausdrücken kann. – Lassen Sie uns hoffen, gnädiger Herr! Ich habe die Gutachten der geschicktesten Aerzte von England über den Zustand unserer theuren Kranken bei mir, und ich setze ein großes Vertrauen in die Erfahrenheit des Herrn Lowthers, der mich zu Ihnen begleitet hat. Es ist Hoffnung da, daß Jeronymo völlig wieder hergestellt werde. Und die Gräfin Clementina –

Der Bischof. Ihre Gegenwart, Herr Grandison – wenn diese nicht die Wirkung thut, die wir hofften, so ist Clementina und mit ihr alle Freude des Lebens für uns verloren. Aber ich sehe Camillen kommen – Sie scheint außer sich zu seyn.


Fünfter Auftritt.

Camilla. Die Vorigen.

Camilla. O Herr Grandison! – Ein Engel ist mit Ihnen in dieses Haus gekommen! Welch eine freudige Zeitung bringe ich Ihnen! Clementina – meine theure junge Gräfin – hat diesen Augenblick wieder geredet.

Der Bischof. Seit einem Monat ist dieß das erste mal! Ich wünsche Ihnen Glück, Herr Grandison! Das ist eine glückliche Vorbedeutung. Erlauben Sie, daß ich, indessen Camilla Sie von ihrer Gräfin unterhält, den guten Jeronymo auf Ihre Ankunft vorbereite. Er ist nicht stark genug, ein so großes Vergnügen ohne Vorbereitung auszuhalten. Ich werde sogleich zurück kommen, Sie dem Markgrafen und ihm vorzustellen. (Geht ab.)


Sechster Auftritt.

Camilla. Grandison.

Camilla. O gnädiger Herr! Möge der Himmel Sie mit der Erfüllung aller Ihrer Wünsche segnen, daß Sie so bereitwillig gewesen sind, durch Ihre Wiederkunft der unglücklichsten Familie Italiens das Leben wieder zu geben! Ich versichere Sie, Sie haben durch diese schleunige Willfahrung unsere Hoffnung übertroffen. Nach dem, was bei Ihrer letzten Anwesenheit vorgefallen – Aber wer darf sich wundern, wenn der Chevalier Grandison großmüthig handelt? Wenn er Alles thut, was schön und groß ist, so handelt er nur sich selbst gleich.

Grandison. Ich danke Ihnen für Ihre gute Meinung, Camilla. Aber befriedigen Sie jetzt meine Ungeduld. Sprechen Sie mir von Ihrer jungen Gräfin. Sie hat geredet, sagen Sie! Und was hat sie geredet?

Camilla. Ach, wenn Sie erst wüßten, in was für einem Zustande sie gewesen ist, ehe sie ihr Bruder, der General, aus den Klauen der teuflischen Laurana errettete. – Es ist nun über einen Monat – Die arme Clementina! Ach! daß sie jemals von der Seite ihrer getreuen Camilla gerissen werden mußte! – Aber ich mißbrauche Ihre Geduld, gnädiger Herr! – Seitdem sie wieder in dem Hause ihrer Aeltern ist, ist es unmöglich gewesen, ein einziges Wort von ihr zu erflehen. Sie kannte weder ihre Mutter, noch ihren Vater, noch ihren Jeronymo; sie kannte Niemand. Ich kann das Gemälde nicht vollenden, Herr Grandison. – Ihr Anblick durchbohrte jedes Herz. Ihre Mutter konnte es nicht aushalten; wir waren etliche Tage ihres Lebens wegen in Sorgen. Nach und nach schien sich die arme junge Gräfin wieder zu erinnern. Sie erkannte mich. Sie er kannte auch zuweilen ihre Mutter, aber nur für Augenblicke; und auch in diesen gab sie es nur durch Geberden zu erkennen. Es war unmöglich, sie zu erbitten. Unsere Thränen, unsere Verzweiflung rührte sie nicht. Sie selbst weinte niemals. Aber Seufzer, die den Seufzern eines in der Marter sterbenden Heiligen glichen, waren Alles, woraus wir schließen mußten, was sie in ihrer Seele leide – Zu große Leiden, um durch Thränen oder Worte ausgedrückt zu werden.

Grandison. Schonen Sie meiner, Camilla! – Doch fahren Sie nur fort. –

Camilla. O Herr Grandison! wie war es doch möglich, daß ein so großmüthiger Mann so unempfindlich gegen die liebenswürdigste junge Dame seyn konnte, deren Glückseligkeit oder Elend in seine Willkür gestellt war? Sie durften nur ein Wort sprechen. – Aber Ihre Hartnäckigkeit – Verzeihen Sie mir, gnädiger Herr! Wenn Sie, wie ich, ein Zeuge des Leidens dieses holdseligen Kindes gewesen wären –

Grandison. Ich verzeihe Ihnen, Camilla. Sie können Ihre junge Gräfin nicht zu eifrig lieben – Aber ich bitte Sie, keine Umwege! Was veranlaßte denn die glückliche Veränderung, die Sie uns angekündigt haben?

Camilla. Ihr Name, Herr Grandison! Ihr Name machte sie endlich aufmerksam. Wir sagten ihr, daß Sie aus England zurück kämen, daß Sie wirklich in Bologna angelangt wären, daß Alles – Aber Himmel! Wen sehe ich! – Heilige Jungfrau! es ist der Graf von Belvedere! Wie ergrimmt! Wie verzweifelnd! (Für sich.) Ich eile, den Bischof zu rufen.

Grandison. Sagen Sie nichts, Camilla, so lieb Ihnen meine Freundschaft ist.

(Camilla eilt hinweg.)


Siebenter Auftritt.

Belvedere. Grandison.

Belvedere. Ich würde nicht aufrichtig seyn, Herr Grandison, wenn ich Sie in Bologna willkommen hieße. Ich komme in ganz andern Absichten hierher. Ich liebe die Gräfin Clementina. Sie lieben sie auch, sagt man – Sie wissen, daß ich Ansprüche habe – den Beifall, die Aufmunterung der ganzen Familie, die in dem Unglück ihrer Tochter Ursache genug fühlt, den Tag zu verwünschen, da der Ritter Grandison die Schwelle ihres Hauses betrat. Wenn die Neigung der Tochter für Sie ist, Grandison, so haben Sie wenig Ursache, sich eines Vorzugs zu rühmen, der der vortrefflichsten Dame Italiens die Vernunft kostet – doch ich tadle die Flamme nicht, die in der Brust einer Clementina brennt; sie ist rein und unschuldig, was auch der Gegenstand seyn mag, der sie entzündet hat – Und wenn ich Sie nicht als einen Nebenbuhler ansehen müßte, Grandison, so würde ich der Erste seyn, die Neigung der theuren Gräfin zu rechtfertigen! – Aber Sie? – Nein! Sie können keine Ansprüche, keine Hoffnung haben; Sie müssen es wissen, daß eine Vermählung der Gräfin Clementina mit Ihnen das äußerste Unglück für die Porrettische Familie wäre. – Doch ich will Sie nicht beleidigen, Grandison. Ich bin nur hierher gekommen, Ihnen zu sagen, daß Sie mir vorher das Leben nehmen müssen, ehe Sie der Besitzer meiner Geliebten seyn können. Folgen Sie mir in den Garten; etliche Augenblicke werden mein und Ihr Schicksal entscheiden.

Grandison. Ich werde Ihnen nicht folgen, Herr Graf! Es ist nicht meine Schuld, wenn Sie den Mann nicht kennen, mit dem Sie sprechen.

Belvedere. Sie wollen mir nicht folgen? Sie machen Ansprüche an meine Geliebte und weigern sich? – Sie haben nicht Muth genug –

Grandison. Brauchen Sie einen stärkern Beweis meines Muthes, als die Gelassenheit, womit ich die Ausschweifungen Ihrer Leidenschaft dulde?

Belvedere. Sie spotten meiner, Grandison.

Grandison. Ich bedaure Sie.

Belvedere. O, Sie haben diesen verstellten Kaltsinn nicht nöthig, mich zum Muth zu entflammen! – Aber keinen Wortwechsel! – Wenn Sie der Mann sind, für den Sie gehalten seyn wollen, so folgen Sie mir in den Park! – Sie wollen nicht?

Grandison. Mäßigen Sie Ihre unanständige Hitze! Ich bin nicht gewohnt, in diesem schnaubenden Tone mit mir reden zu lassen. – Doch der Zustand, worin ich Sie sehe, verdient Nachsicht. Sie sind zu entschuldigen, daß Sie keine Achtung für mich haben, da Sie die Achtung für sich selbst verloren haben. Herr Graf Belvedere, Sie wissen meine Grundsätze! Lassen Sie sich dieses genug seyn.

Belvedere. Und halten Sie mich für einen so feigen Elenden, daß ich mich durch Worte abweisen lassen sollte? Oder erwarten Sie, daß dieser kaltsinnige Stolz Sie vor meiner Wuth sicher stellen werde? Zwar in den Mauern dieses Palastes sind Sie sicher – Aber, beim Himmel! Sie sollen mir nicht entgehen! Ich verlasse Sie nicht, bis Sie mir in den Garten folgen.

Grandison. Ungestümer und unbesonnener Mensch! Hören Sie mich erst an, und wenn Sie alsdann noch darauf bestehen, so will ich Ihnen folgen, wohin Sie wollen – Ich schätze Sie hoch, Graf von Belvedere, wie ungleich Sie auch in diesen Augenblicken der Leidenschaft sich selbst sind. Ich will gegen Sie thun, wessen ich noch keinen zornigen Menschen gewürdigt habe; ich will mit Ihnen wie mit einem Manne reden, der Gründen Gehör geben kann. – Ich mache Ihnen keine Vorwürfe; dieses wird, wenn Sie ruhiger sind, Ihr eignes Herz für mich thun. Nur das muß ich Ihnen sagen, wenn ich Ansprüche an die Gräfin Clementina hätte, so sollten weder Sie noch eine ganze dräuende Welt mich abschrecken können, sie zu behaupten. Ein rechtschaffner Mann fürchtet nichts. – Aber beruhigen Sie sich. Ich habe und mache keine Ansprüche. Die uneigennützigste Freundschaft, nicht die Liebe, hat mich nach Italien zurück geführt. Es ist mit dem Beifall des Markgrafen und der Familie geschehen. Ich selbst habe jetzt keinen andern Wunsch, als die Gesundheit meines Jeronymo und seiner Schwester. Wenn ich an ihrem Zustande den zärtlichsten Antheil nehme, so ist es nichts mehr, als wozu mich der Name eines Bruders berechtiget, womit sie mich auf Befehl ihres Vaters selbst beehret hat.

Belvedere. Ist's möglich? – Grandison? – Reden Sie im Ernst? – Sie haben keine besondere Absichten? O, Sie geben mir das Leben wieder! – Was für ein Mann sind Sie? – Aber wie ist es möglich?

Grandison. Ich habe niemals Ursache gegeben, daß an meinem Worte gezweifelt werde, und demjenigen am aller wenigsten, der nicht vergessen haben sollte, mit welchem Eifer ich ehmals seine Sache zu meiner eigenen gemacht habe. – Doch, verzeihen Sie mir, Herr Graf! ich wollte Ihnen keine Vorwürfe machen.

Belvedere. Ich erröthe vor mir selbst! Ich bin ungerecht gegen Sie gewesen, Grandison! – O, wie sehr hat diese unglückliche Leidenschaft meine Seele erniedriget! Bei ruhigerm Blute verschmähe ich auch den Schatten des Unrechts und der Niederträchtigkeit – Sie sind der edelste und würdigste unter den Männern, Grandison! Verzeihen Sie mir! – Aber – Ach! wie kann ich mir mein Schicksal verbergen? Sie werden zuletzt doch der Gemahl Clementinens werden, und ich – der elendeste unter den Menschen!

Grandison. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß ich ohne eine solche Absicht nach Bologna gekommen bin. Indessen mache ich mir kein Bedenken zu gestehen, daß ich die Gräfin Clementina bewundere, obgleich ihr Besitz in meinen Augen allezeit ein Gut gewesen ist, das der Himmel nicht für mich bestimmt zu haben scheint. Ich würde das unglücklichste unter allen Wesen seyn, wenn ich mir wegen des Unfalls, der diese liebenswürdige junge Dame betroffen hat, den mindesten Vorwurf machen müßte. – Die Sache ist zu zärtlich, davon zu reden. – Sie wissen, unter was für einer Bedingung mir ehemals gestattet wurde, mich in den Besitz eines Glückes zu setzen, nach welchem ich niemals vermessen genug gewesen war zu trachten. Es war eine Bedingung – die ich ausschlagen mußte. Der bloße Gedanke an die Verlegenheit, worin ich damals war, macht mich schauern. Ich that einen andern Vorschlag, der mit Hitze verworfen wurde; Clementina war die Erste, die ihn verwarf. Sie wissen das Uebrige, Herr Graf! Da ich gewissermaßen die Folgen der Maßregeln, die man genommen hatte, voraus sah, so erklärte ich mich, daß ich mich durch meinen Vorschlag so lange für gebunden ansehen würde, als eine Möglichkeit da wäre, daß er künftig angenommen werden möchte. – Sie sehen nun meine Umstände, Belvedere! Sollte dieser verworfene Vorschlag von der Familie selbst erneuert werden, so setzen Sie sich an meine Stelle und entscheiden, was ich thun soll! – Aber warum wollten Sie sich mit entfernten, ungewissen und sogar unwahrscheinlichen Möglichkeiten quälen? Der Zustand der theuren Clementina sollte jetzt Sie und mich unser selbst vergessen machen. – Sehen Sie mich als einen Freund an, Belvedere! Nehmen Sie meine Hand zur Bekräftigung, daß ich mich aufrichtig freuen werde, wenn das Schicksal den Grafen von Belvedere zum Besitzer des Herzens und der geliebten Person seiner Clementina machen wird.

Belvedere. Unwiderstehlicher Mann! Wie groß sind Sie, und wie klein bin ich! – Was kann ich sagen? Was kann ich thun? Ich bin überwunden! Hier ist meine Hand, Grandison! Ich weiche der Uebermacht Ihrer Tugend und verehre sie. – Himmel! Hätte ich's jemals für möglich gehalten, eine solche Erklärung gegen einen Nebenbuhler zu thun? – Doch Sie sind es nicht. Ich verlasse mich auf Ihr Wort, Herr Grandison!

Grandison. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich ohne eigennützige Absichten gekommen bin, ob ich mich gleich in Absicht der Familie von Porretta für gebunden halte. Ich überlasse den Ausgang der Vorsicht; und wenn je Clementina die Meinige werden sollte, so müßte ich von der Familie selbst aufgemuntert und der zufriedensten Genehmhaltung aller Personen in derselben gewiß seyn.

Belvedere. Sie beruhigen mich, Herr Grandison! Ich verlasse Sie als ein aufrichtiger Bewunderer Ihres Charakters. Jetzt, da mein Herz gelassener ist, sind alle meine Wünsche für Clementinen! Was auch mein Schicksal seyn möge, so will ich denjenigen als meinen Wohlthäter ansehen, den der Himmel zum Mittel gebraucht, das schönste seiner Werke wieder herzustellen. (Geht ab.)


Achter Auftritt.

Grandison allein.

Wie wunderbar ist mein Schicksal! – Von dem Tag an, da ich meiner eigenen Führung überlassen wurde, war meine größte Sorge, den geraden Weg der Rechtschaffenheit zu gehen und mich nicht durch eigene Schuld, durch Unvorsichtigkeit oder Leidenschaft in Schwierigkeiten zu verwickeln – Was hat es mir geholfen? – Eine unsichtbare Hand schien mich wider meinen Willen fortzuziehen, und unvermuthet sehe ich mich in einem Labyrinth ohne Ausgang, ohne daß ich mir einen vorsetzlichen Fehltritt vorzuwerfen habe. Ich handle gerecht und großmüthig gegen Andere und kann dennoch weder ihren Vorwürfen, noch ihren Beleidigungen entgehen. Ich bezähme meine eignen Leidenschaften und muß durch fremde geplagt werden. Ich bemühe mich, Andere glücklich zu machen, und bin selbst nicht glücklich! – O Tugend, wie unwiderstehlich ist deine Schönheit, da du uns desto liebenswürdiger wirst, je mehr wir um deinetwillen leiden!


Neunter Auftritt.

Der Bischof. Grandison.

Der Bischof. Verzeihen Sie, Herr Grandison! – Ich war bei einem Auftritte zugegen, mit dessen Schmerzen ich Sie verschonen wollte. Der arme Jeronymo! Diesen Augenblick haben ihn die Wundärzte verlassen. Er schmachtet nach dem tröstenden Anblick seines Grandison.

Grandison. Lassen Sie uns zu ihm eilen, gnädiger Herr, ich bin ungeduldig, ihn zu sehen. (Sie gehen ab.)

 


 


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