Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel. Der Schatten des Unglücks.

Es hatte wirklich den Anschein, als werde die zuletzt mitgetheilte Unterredung Fürchtegott's mit seinem Vater und das Zureden Erdmuthe's nicht ohne Folgen bleiben. Die Brüder besuchten den Vater regelmäßig alle Tage, bald jeder allein, bald zusammen, und es kam wiederholt vor, daß sowohl Christlieb wie Fürchtegott Fragen an den Greis richteten, in deren Beantwortung schon eine Entscheidung, mithin auch ein Wink lag, wie zu verfahren sei.

Diese Veränderung zum Bessern, dieser erste Schritt zu einem mehr geschlossenen und friedlichen Zusammenleben Aller erheiterte Ammer und beglückte Erdmuthe. Sie glaubte jetzt den Weg betreten zu haben, auf welchem sie ihrem Gatten nachschleichen, ihn mit liebenden Armen umfassen und endlich für immer sich und den Eltern ganz wieder erobern könne. In diesem sichern Gefühle ihres Glückes setzte sie sich hin und machte Flora von dem Vorgegangenen Anzeige. Der Brief war überhaupt das Auskunftsmittel, dessen die im Herzen so einigen Schwägerinnen sich gewöhnlich bedienen mußten, um ihre Ansichten auszutauschen, denn Flora war ebenso sehr an ihre Häuslichkeit gebunden, wie Erdmuthe. Nur an hohen Festen oder den Geburtstagen der Eltern fanden regelmäßig gegenseitige Besuche Statt, doch wählte man als Sammelplatz, schon aus Rücksicht auf den leidenden Vater, gewöhnlich Weltenburg, so daß die eigentliche Heimath der Ammer mehr und mehr verwaiste, obwohl das Geschäft unter der umsichtigen und reellen Thätigkeit Albrecht Seltner's in gedeihlichster Blüthe stand.

Einige Monate nach Ammer's Uebersiedelung bemerkte Flora, daß Albrecht oft nachdenklich wurde und, wenn es seine Zeit erlaubte, mit finsterm Gesicht die Gänge des seit dem Brande vergrößerten Gartens auf- und abschritt. Sie drang wiederholt mit Fragen in ihn, konnte jedoch keine befriedigende Antwort erhalten. Klug und vorsichtig, wie sie war, beschloß sie nunmehr, den geliebten Mann ganz im Geheimen zu beobachten, ohne ihn je wieder mit neuen Fragen zu bestürmen. Sie achtete auf die täglich einlaufenden Briefe und wie diese bei der Durchsicht auf Albrecht's Stimmung wirkten. Da Seltner nur das Geschäft seines Schwiegervaters, dies aber im weitesten Umfange übernommen hatte, so stand er zwar in fortwährender Verbindung mit seinen Schwägern, eigentlichen Theil an deren Handelsverkehr nahm er jedoch nicht. Das Ammer'sche Geschäft erfreute sich fortwährend des Rufes untadeligster Solidität und Seltner unterließ nicht, seinerseits diesem Rufe Ehre zu machen.

Bei ihren stillen Beobachtungen konnte es nun Flora nicht verborgen bleiben, daß Albrecht gewöhnlich von den Briefen ihrer Brüder in eine eigenthümlich unruhige Stimmung versetzt ward. Sie mußte unwillkürlich der Vergangenheit gedenken und wie Fürchtegott unter dem Schutze Wimmer's, ja gewissermaßen von diesem veranlaßt, gegen den Vater intriguirt oder ihm doch zuwider gehandelt hatte. Auf dieser Fährte angelangt, hielt sie es für Pflicht, mit gerader Frage in Albrecht zu dringen, um zu erfahren, ob dieser gegründeten Anlaß zu seinem unruhigen Wesen haben möge.

Du verbirgst mir etwas, Albrecht, sagte sie eines Tages, als dieser wieder sehr zerstreut von der Lectüre seiner Briefe zurückkam. Wie sehr du mir auch verheimlichen magst, was dich beunruhigt, ich weiß es doch, Liebster, denn ich besitze noch immer die Gabe, in deinen Augen zu lesen, wie damals, als du bereits innerlich entschlossen warst, um mich zu werben, dir aber meines lieben polternden Vaters wegen der Muth dazu fehlte. Fürchtegott schreibt dir unangenehme Dinge, gesteh' es nur.

Es ist so etwas der Art, erwiderte Albrecht. Dein Bruder verlangt von mir, was ich nicht kann und nicht will.

Er verlangt Unerlaubtes.

Man kann es so nennen, wenn man deines Vaters Gewissen hat.

Besitzest du ein anderes? Albrecht, fügte das gutherzige, ehrliche Weib mit Lebhaftigkeit hinzu, ich glaube, es wäre der Tod meiner Liebe, wenn du anders dächtest! Was verlangt mein Bruder?

Du weißt genug, versetzte Albrecht, begnüge dich jetzt. Ich mag nichts von seinen Vorschlägen wissen und damit ich versichere dich existiren sie überhaupt nicht mehr. Das werde ich ihm heute ganz kurz melden und somit hat dies sich immer von Neuem wiederholende Drängen ein Ende.

Weitere Forschungen Flora's blieben resultatlos. Sie erfuhr nichts von ihres Bruders Anliegen; selbst ein darauf bezüglicher Brief an Erdmuthe brachte in seiner Beantwortung keine Aufklärung. Die Schwägerin gebrauchte darin die gar mannigfacher Deutung fähigen Worte: »Fürchtegott kämpft einen schweren Kampf mit seinem eigenen guten Herzen und den Forderungen der Welt. Er wird ihn bestehen und als Sieger daraus hervorgehen, allein vorher werden wir noch böse Tage sehen.«

Daraus vermochte Flora nicht klug zu werden, indeß ließ sich auch Erdmuthe, vielleicht weil sie selbst gänzlich im Finstern tappte, auf eine weitere Auseinandersetzung oder Erläuterung ihrer Worte nicht ein.

Seltner zeigte nach diesem erstmaligen Abschütteln einer aus der Ferne gegen ihn geworfenen Schlinge auch wirklich viele Wochen lang sein gewohntes unbefangenes Gesicht. Ohne weder rechts noch links zu blicken, ging er den geraden, ihm vorgezeichneten Weg, und wenn er auch mehr als sein starrer Schwiegervater auf die Erfindungen und Verbesserungen der Neuzeit achtete, so ließ er sich doch nicht leichtsinnig davon bestricken, sondern nahm etwas wirklich Fördersames erst nach wiederholten mit größter Vorsicht angestellten Versuchen an.

Allein Fürchtegott gab seinen Plan nicht auf. Als er vermuthen durfte, man habe vergessen, daß er seinem Schwager nur ihnen bekannte Vorschläge von einigem Risico gemacht habe, trat er abermals, diesmal jedoch in etwas anderer Form, damit hervor. Er bedurfte Albrecht's und darum konnte er ein längeres Zurückhalten dieses Mannes, dessen Namen ein gänzlich unbescholtener war, nicht entbehren.

Seltner antwortete auf diese neuen Anträge keine Sylbe, aber er zog Erkundigungen ein, was ihm bei der Kenntniß der meisten mit seinen Schwägern verbundenen Arbeiter leicht ward. Diese Erkundigungen öffneten ihm die Augen, trieben ihn aber auch zu einem raschen Entschlusse, ohne daß irgend Jemand das, was er zu thun beabsichtigte, ahnen konnte.

Dies muß ein Ende nehmen, sprach er zu sich, oder nicht wir allein sind unwiederbringlich verloren, auch der Handel unserer ganzen Provinz und damit der Wohlstand zahlloser Tausende ist für immer untergraben.

Albrecht's Rechtlichkeit hielt ihn von jedem Schritte zurück, der nur entfernt einen Schein gesetzlosen Verfahrens hätte verbreiten können. Er schrieb an Niemand, denn alle schriftliche Auslassungen mußten, geriethen sie zufällig in die Hände Uneingeweihter oder Feinde, gefährlich, wo nicht verderblich werden. Er entschloß sich, so schwer es ihm fiel, zu einer längeren Reise. Flora war über diesen unerwarteten Entschluß allerdings ganz erstaunt, fand ihn aber, als Albrecht ihr seine Gründe ruhig entwickelte, ohne ihr die wahre Veranlassung zu offenbaren, vollkommen gerechtfertigt.

Diese Reise Seltner's dauerte mehrere Wochen. Als er endlich zurückkehrte, erschrak Flora über sein Aussehen. Sie hielt ihn anfangs für krank, beruhigte sich indeß mit den wiederholten Versicherungen des geliebten Mannes, der Alles nur den ungewohnten Strapatzen, der gänzlichen Ruhelosigkeit und den vielen Sorgen Schuld gab, die während einer so langen Abwesenheit von Haus und Geschäft auf ihm gelastet. Albrecht kehrte zurück, ohne seinen Zweck erreicht zu haben. Erst jetzt, als er wieder daheim am Rohr saß, sagte er sich, daß er etwas völlig Nutzloses unternommen habe. Der Schwerpunkt der ungeheueren Handelsverbindungen seiner Schwäger lag nicht in Europa, sondern drüben in Amerika. Dort wurzelte der tausendästige Baum des Glückes, in dessen Schatten sie sich bisher gesonnt, von dort allein mußte der Sturm herüberbrausen über das Weltmeer, der sie zerschmettern, von der Erde für immer wegfegen konnte. Die Gewißheit, daß er, sollte das Furchtbare wirklich geschehen, nicht retten, nicht einmal helfen könne, erschütterte seine Gesundheit. Sein ganzes Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, wie im Fall der Noth dem Allerentsetzlichsten vorgebeugt werden möchte, und in dieser Hinsicht traf er seine Vorkehrungen.

Seltner's Reise fiel in die Zeit, wo jener geschilderte Auftritt zwischen Fürchtegott, Erdmuthe und dem Vater sich zutrug. Von all diesen Vorgängen in Weltenburg erfuhr selbst Flora nichts, sie blieben mithin auch deren Manne verborgen. Wenn aber auch Seltner ausführliche Kunde davon erhalten hätte, würde er sich doch schwerlich bewogen gefühlt haben, nur ein Wort darein zu reden.

Unmittelbar nach seiner Heimkehr wollte Albrecht nochmals ernstlich mit seinen Schwägern sprechen und ihnen vorstellen, was sie Alles auf's Spiel setzten und welche traurige Zukunft sie sich, ihrer Familie und zahllosen Andern bereiten könnten, wenn sie ihr seit Jahren eingehaltenes Verfahren nicht alsbald aufgäben. Nach reiflicher Ueberlegung hielt er aber auch dies nicht für klug und zweckdienlich.

Ich fürchte, sie sind dergestalt gebunden, daß nicht einmal ein Einhalten mehr möglich ist, sagte er bekümmert zu sich selbst. Die Schlingen liegen ihnen um ihre Füße, daß ein einziger Ruck sie zum Fallen bringen, sie ihren schlauen Feinden wehrlos in die Hände liefern muß.

Seltner beobachtete nun unverbrüchliches Stillschweigen gegen Jedermann, auch gegen Flora, ganz in der Stille aber forschte er unermüdlich, um nur einigermaßen einen Einblick in die Geschäftslage seiner Schwäger zu erhalten. Allein, wie sehr er sich anstrengte und mühte, er blieb darüber in völliger Ungewißheit.

Inzwischen schöpfte Christlieb, der außer dem Wiener Geschäft nur die eigentliche Fabrik überwachte und den transatlantischen Handel nur oberflächlich kannte, selbst Verdacht. Er wartete von einem Tag zum andern, ohne ein Wort gegen seinen Bruder zu äußern; als aber die Anzeichen immer bedenklicher, zugleich auch immer bedrohlicher wurden, vermochte er nicht mehr zu schweigen.

Liebster Bruder, sagte er, als mit dem ankommenden Postpaquet abermals die ganze transatlantische Correspondenz ausblieb, obwohl die Paquetschiffe als richtig eingelaufen angezeigt waren, was hat dies Schweigen unserer Correspondenten zu bedeuten? Seit anderthalb Monaten kein Brief weder von New-York noch New-Orleans, keine Nachrichten aus Washington, Charlestown und Cincinnati, kein kleinstes Blättchen Papier aus Surinam! Wie erklärst du dir dies räthselhafte Schweigen!

Es beunruhigt mich schon längst, erwiderte Fürchtegott, und doch weiß ich keinen andern Rath, als ruhig zu warten, bis es unsern Correspondenten beliebt, wieder einmal die Federn einzutauchen.

Ich würde ohne Sorgen sein und mich zufrieden geben, hätten in den letzten vier Monaten heftige Stürme auf den Meeren gewüthet, denn alsdann ließe sich annehmen, daß unsere Schiffe süd- oder nordwärts weit verschlagen, vielleicht gar von treibenden Eisbergen eingeschlossen worden waren; aber nicht allein ist das Wetter günstiger denn je in einem früheren Jahre gewesen, wir wissen sogar, daß alle unsere Schiffe glücklich und ohne die geringste Havarie in die verschiedenen Häfen der neuen Welt eingelaufen sind.

Es ist völlig unbegreiflich, sagte Fürchtegott so zerstreut, daß Christlieb eine qualvolle Bangigkeit überfiel.

Weißt du wirklich nichts? fragte er dringend. Du hast mich in den letzten drei Monden nie dein Briefpaquet öffnen lassen.

Nichts, gar nichts, erwiderte Fürchtegott wie vorher; aber es ist zum Verzweifeln, zum Rasendwerden, fügte er hinzu.

Was soll mit unsern neuen Waaren geschehen? fuhr Christlieb fort. In drei, höchstens in fünf Wochen ist die Sendung complett und wir haben keine Ordre! Bedenke die enormen Kosten, die Baarsummen, die wir darauf verausgabt haben! Zähle die Wechsel zusammen, die auf uns laufen, von denen beinahe die Hälfte binnen sechs Wochen bezahlt sein muß und ich bitte dich, Bruder sieh in unsere Kasse! Die ganze Valuta für die große transatlantische Sendung fehlt noch, und diese beläuft sich weit über eine Million!

Wir müssen uns mit Papieren aus der Levante helfen oder borgen!

Das Erstere ist unmöglich, das Zweite erregt Verdacht. Die Summe ist zu groß. Hat Wimmer noch immer nicht geschrieben?

Nein, sagte Fürchtegott kurz. An ihn habe ich schon wiederholt gedacht; er allein kann uns auch aus dieser fatalen Verlegenheit helfen, wenn die Rimessen uns wirklich ausbleiben sollen. Er kennt ja unsere Verhältnisse, er hat uns gewissermaßen in Händen, weil die meisten Geschäfte durch seine Hände gegangen sind, aber ich muß gestehen, daß ich mich nur sehr ungern ihm entdecken möchte.

Dennoch muß es geschehen und zwar bald, sagte Christlieb entschlossen. Noch länger zaudern wollen, hieße die Erde zum eigenen Grabe mit geschäftiger Schaufel aufwerfen. Du mußt schon morgen aufbrechen, Bruder, mußt dringende Rücksprache mit Wimmer nehmen, und ich setze mich hin und mache inzwischen die Bilance. Es ist um so nöthiger, daß wir energisch handeln, weil ich bereits unter unsern Arbeitern eine verdächtige Stimmung zu meinem größten Entsetzen seit einigen Tagen bemerkt habe.

Fürchtegott konnte dem Drängen des Bruders nicht widerstehen. Er begriff die Nothwendigkeit schnellen und energischen Handelns und so ward seine Abreise auf den nächsten Morgen unwiderruflich festgesetzt.

Eine schwerere Nacht hatten wohl beide Brüder noch nicht durchlebt. Nachdem sie, unaufschiebbare Geschäfte vorschützend, den Vater früher als sonst verlassen, begab sich Fürchtegott in seine glänzenden, öden Gemächer, während Christlieb, ein Paquet Rechnungen in der Hand, auf sein kleines Thurmzimmer hinaufstieg, um dort noch ungestört zu arbeiten.

Unruhe, Furcht vor der Zukunft, wohl auch Vorwürfe, die er sich machte, und die als erste, leise Mahnungen des Gewissens um seine Seele schwirrten, ließen Fürchtegott nicht ruhen. Er wagte nicht, zu Bette zu gehen, aus Furcht vor quälenden Traumbildern. Schon geraume Zeit war sein Schlaf nicht mehr ein wohlthuendes Ausruhen nach mühevoller Arbeit, eine Erquickung des Körpers und der Seele; ihm ward die Nacht fast immer zur Qual. Kaum schloß er die Augen, so mußte er rastlos thätig sein, mußte kämpfen und ringen mit phantastischen Gebilden, die sich ihm feindselig erwiesen, oder er jagte auf mastlosem Schiffe steuer- und führerlos über das stürmende Weltmeer, und unter sich in unergründlicher Tiefe sah er Weltenburg, wie es bald von Nebeln umhüllt, bald in seltsamem Feuerdunst strahlend immer weiter von ihm sich entfernte, bis er nichts mehr von dem ganzen glänzenden Besitzthume erblickte, als das von grünen Epheublättern umsponnene Bogenfenster des Zimmers, wo sein Vater wohnte. An diesem Bogenfenster bemerkte er das ehrwürdig weiße Haupt des Vaters, wie es sich rastlos bewegte und die ehrlichen blauen Augen zornig und vorwurfsvoll unverwandt zu ihm, dem ruhelos Segelnden, emporblickten.

Diesem nächtlichen Traumspuk zu entgehen, verließ Fürchtegott Ammer nach zehn Uhr den neuerbauten Schloßflügel und trat hinaus in's Freie. Die Nacht war sternenhell und warm. Im Park sang eine späte Nachtigal ihre verlockenden Lieder. Vom Thal herauf scholl das Rauschen des Flusses über das Wehr und das monotone Gestampf der Walken.

Fürchtegott schritt dem Neubau entlang nach den Spinnereien, die jetzt feierten. Das Arbeiten des Nachts hatte er nie eingeführt, weil sein Bruder die damit verbundene große Feuersgefahr fürchtete. Die Spinner der Gebrüder Ammer durften deßhalb auch nicht über harte Behandlung oder angestrengte Arbeit Klage führen. Vor dem größten dieser Gebäude blieb er stehen und betrachtete die im Sternenschein jetzt matt glitzernden Fensterreihen.

Dies ist die Geburtsstätte, die Wiege unseres Unglücks, sprach er dumpf. Gehen wir zu Grunde, so haben wir in diesen Mauern den Beginn des Verderbens zu suchen, das uns verschlingt.

Er ging weiter, stieg hinab in die Thalmulde, betrat die über den Fluß führende Brücke, lehnte sich an das Geländer und sah hinunter in die klaren Wellen, die hier langsam und leise murmelnd in engem Bette weiter zogen.

Das Wasser ist tief, sagte er zu sich selbst, ein kecker Sprung kühlte mir Stirn und Brust. Ich könnte auch das Geländer zerbrechen dann würde Niemand auf verdächtige Gedanken kommen. Aber ich will zuvor doch lieber noch den Herrnhuter sprechen. Er soll beichten oder ich setze ihm Daumschrauben an.

Den Hügel zum Schloß wieder hinaufsteigend, bemerkte Fürchtegott das Licht im obersten Thurmgemache. Auch weiter unten schimmerte hinter zugezogenen weißen Vorhängen noch der Schein einer trüb brennenden Lampe.

Erdmuthe betet und der Bruder rechnet! sprach er nachdenklich weiter schreitend. Ihr mildes Antlitz spiegelt den Frieden wieder, der in ihrem Herzen wohnt, und von der Stirne des Bruders werden dicke Schweißtropfen rinnen. Sie, die Arme an weltlichen Gütern, die sie stets verschmähte, die sie nicht einmal aus meiner Hand annahm, als ich sie ihr schenkte: sie ist reich in ihrer Armuth, während wir darben unter Haufen Goldes! Trübe, böse, unbegreifliche Welt! Wohl dem, der bei Zeiten deinen Täuschungen zu entfliehen vermag! Ihn verfolgen weder Strafe noch Reue!

Mitternacht war längst vorüber, als Fürchtegott wieder seine Zimmer betrat. Er warf sich angekleidet auf die schwellenden Polster des Divans und ließ die Lampe brennen. Nur Ruhe suchte er, nicht Schlaf. Als sich dennoch das Bedürfniß danach bei ihm einstellte, sprang er auf, durchwandelte die Zimmer und zündete sich eine schwere Havanna-Cigarre an, um sich leichter zu ernüchtern.

So erwartete er die Morgendämmerung. Beim Aufgang der Sonne sattelte er eigenhändig seinen Goldfuchs und stieg dann die Thurmtreppe hinan, um den Bruder nochmals zu sprechen. Dieser kam ihm entgegen. Seinem angegriffenen Aussehen nach hatte er entweder die ganze Nacht angestrengt gearbeitet oder vor Sorgen nicht schlafen können. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und glänzten wie im Fieber. Fürchtegott fragte aber nicht nach dem Befinden des Bruders; er drückte ihm nur die Hand und sagte bedeutungsvoll: Wenn ich wieder komme, bringe ich Gewißheit. Bis dahin reinen Mund und laß tüchtig arbeiten!

Christlieb bejahte kopfnickend, begleitete den Bruder in's Thor und sendete dem Davoneilenden noch tausend stille Glückwünsche nach.


 << zurück weiter >>