Hermann Wissmann
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Hermann Wissmann

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Hermann Wissmann

Erster Theil.

Von Loanda nach Zanzibar.

 

An der Küste.

Erstes Kapitel.
Von der Heimath zum freien Innern Afrika's.

Im Jahre 1879 beabsichtigte die Afrikanische Gesellschaft zu Berlin, von zwei Seiten aus gegen das südlich vom Aequator liegende unbekannte Innere Afrika's, das südliche Kongobecken, vorzudringen, und plante zu diesem Zwecke zwei verschiedene Unternehmungen. Die für den Osten bestimmte Expedition, die aus vier Deutschen bestand, verließ noch 1879 Deutschland. Für die vom Westen operiren sollende war der durch seine Reise zum Muata-Jamvo in's Lundareich bekannt gewordene Doctor Pogge ausersehen.

Dr. Paul Pogge war am 27. December 1838 zu Ziersdorf geboren und in Mecklenburg erzogen, hatte Jura studirt, dann ein größeres Gut gepachtet, da ihm das seine, Ziersdorf in Mecklenburg, nicht genügende Beschäftigung bot. Als eifriger Jäger hatte er im Jahre 1871 eine Reise nach Natal unternommen, war von dort jedoch, von seinen Jagderfolgen nicht befriedigt, heimgekehrt.

Einer im Jahre 1874 von der Afrikanischen Gesellschaft in Berlin nach Westafrika ausgesandten Expedition hatte er sich als Freiwilliger angeschlossen, nachdem er die Landwirthschaft 4 aufgegeben hatte, zu Jagd- und Sammelzwecken. Der Führer dieser Expedition erkrankte dicht an der Küste, bald darauf das zweite Mitglied der Expedition, und so ging Pogge mit dem der Expedition als Geographen zugetheilten österreichischen Lieutenant Lux in's Innere. Als auch dieser schon von Kimbundu heimkehrte, führte Pogge allein die Expedition weiter, erreichte die Mussumba des mächtigen Lundakönigs und war der erste Europäer, der Nachricht aus diesem Theile des centralen Afrika's brachte.

In Rostock, meiner Garnisonstadt, lernte ich Pogge kennen und bald seine allgemein Achtung und Liebe erzeugende, bei so großen Verdiensten bewunderungswürdige Anspruchslosigkeit schätzen. Die Beschreibungen der epochemachenden Reisen Schweinfurth's, Stanley's, Livingstone's und Anderer hatten schon früher einen tiefen Eindruck auf mich gemacht; noch mehr ließen Pogge's lebhaft und einfach natürlich geschilderte Reiseerlebnisse den Wunsch in mir wach werden, mit zu arbeiten an dem Werke der Erforschung des noch so wenig bekannten Welttheils.

Da Pogge noch nicht seine Erforscherlaufbahn beendigt zu haben schien, gab ich mich der Hoffnung hin, unter seiner Meisterschaft mich in die neue Thätigkeit hineinzuleben.

Bei dem derzeitigen Präses der Afrikanischen Gesellschaft, dem leider 1884 verstorbenen Dr. Nachtigal, erfuhr ich die Bedingungen, unter denen ich als Geograph für die nächste Expedition in Aussicht genommen werden könnte. Sechsmonatliche astronomische und meteorologische Studien in der Seemannsschule zu Rostock, neben den meinem Stande geläufigen Fertigkeiten in topographischen Aufnahmen, befähigten mich zu geodätischen Arbeiten. Unter der gütigen Leitung des Herrn Dr. Kersten, früheren Begleiters des in Ostafrika auf seiner Reise zum Kilima-Ndscharo ermordeten Barons von der Decken, suchte ich meine Kenntnisse zu vervollkommnen. Auf der Universität zu Rostock konnte ich zoologische und geologische Studien machen, und daneben bemühte ich mich, durch Lectüre bedeutender Reiseschilderungen und naturwissenschaftlicher Werke mich im Allgemeinen zu belehren.

Da Pogge meine Begleitung ebenfalls erwünscht war, wurden wir für die von Westen ausgehende Unternehmung als die ersten Candidaten betrachtet und uns angeboten, noch im Jahre 1880 die Reise anzutreten, wenn wir mit der vom Reich gewährten Summe von 20 000 Mark die gesteckten Ziele erreichen zu können 5 glaubten. Pogge allein konnte über diesen Punkt urtheilen und entschied sich, wohl wissend, daß unter diesen Verhältnissen manche sehr nöthigen Vorbereitungen uns versagt bleiben mußten, zusagend.

Es wurde uns von der Afrikanischen Gesellschaft folgender Auftrag:

Wir sollten von Angola aus zur Mussumba des Lundareiches gehen, eine wissenschaftliche Station daselbst gründen und von da aus Vorstöße in die noch unbekannten Gebiete, hauptsächlich nach Norden, machen; es sollte vornehmlich Pogge obliegen, die Station, die die Afrikanische Gesellschaft stets durch ablösende Expeditionen halten wollte, einzurichten, den ihm schon bekannten Muata-Jamvo für weitere Unternehmen günstig zu stimmen, und botanisch und zoologisch zu sammeln, während ich mit der geodätischen Aufnahme des Weges und der von der Mussumba aus zu erreichenden Gebiete betraut wurde.

Unsere ganze Ausrüstung wurde in Deutschland besorgt nach Pogge's Angaben. Erstaunen wird es, daß wir manche dem Reisenden unentbehrlich erscheinenden Effecten, als Zelte, Reisebetten, Moskitonetze und Anderes, deshalb nicht anschaffen konnten, weil wir den größten Theil der geringen Summe in Reisegeld für das Innere, d. h. für in Afrika nöthige Tauschartikel, anlegen mußten, wenn ein Erfolg möglich sein sollte. Gering war unsere Ausrüstung in Waffen: sie bestand in drei leichten Expreßdoppelbüchsen und zwei Schrotgewehren für uns, sowie sechs Chassepotkarabinern für unsere Leute, zu denen später noch auch als Waaren im Innern brauchbare Steinschloßflinten traten. An Conserven und Getränken nahmen wir nur das Nothwendigste mit für den Fall von Krankheiten; Fleischconserven gar nicht.

Es wurden uns von der Gesellschaft für jedes weitere Jahr 20 000 Mark ausgesetzt, wir aber waren der Hoffnung, daß wir schon vor Ablauf des ersten Jahres so weit im Innern des Continents sein würden, daß wir auf die nächste fällige Summe nicht mehr zu rechnen brauchten.

Nachdem mir Allerhöchsten Orts ein zweijähriger Urlaub allergnädigst bewilligt war, verabschiedeten wir uns von unseren Freunden und Verwandten und bestiegen am 19. November 1880 in Hamburg das Schiff »Buenos-Ayres«, das uns nach Lissabon bringen sollte.

6 Nicht allzu leichten Herzens sah ich als vollkommener Neuling im Reisen die Elbmündung, das letzte Stückchen deutschen Bodens, allmählich den Blicken entschwinden. Der Abschied von all' meinen Lieben hatte mich doch sehr ergriffen.

Die frische Brise auf hoher See verweht aber schnell Grübeleien, und schönes Wetter vermittelt außergewöhnlich schnell ein Freundschaftsverhältniß unter der Reisegesellschaft. Da wir seefest waren, konnten wir die schönen Küsten von Dover und später, nachdem wir im biscayischen Meerbusen von einer stürmischen Brise tüchtig durchgeschüttelt waren, die pittoreske Küste Spaniens bewundern.

Am fünften Tage unserer Reise bekamen wir das von einem wundervoll gezackten Bergkamm stolz auf die See herabblickende Schloß Cintra in Sicht und fuhren einige Stunden später in den mächtigen Tajo ein.

Amphitheatralisch an das rechte Ufer angelehnt liegt Lissabon. Reizend ragen die hellen Häuser aus dem saftigen Grün der Gärten hervor und entzücken den vom nordischen Winter kommenden Reisenden. Ehrwürdige Reste maurischer Architektur mit ihren vielen Thürmchen und Zinnen erweckten Erinnerungen an die Geschichte Portugals. Hoch über dem Häusergewirr thronend erhebt sich das Schloß des Königs und weiter oberhalb die stolz dominirende Felsencitadelle.

Nach lebhafter Verhandlung mit den auf Passagiere wie auf einen guten Fang lauernden Bootsleuten betraten wir die Hauptstadt des einst alle Meere des Erdballs beherrschenden Portugal. Die Stadt verliert bei näherer Besichtigung. Besonders vermißt der Nordländer im Innern Reinlichkeit. Auffallend viele Bettler drängen sich an den Fremden und werden geradezu zur Plage.

Nach 10tägigem Aufenthalt schifften wir uns auf dem Bengo ein, der uns in 40 Tagen nach Loanda bringen sollte. Nach einer vom schönsten Wetter begünstigten Fahrt erreichten wir das reizende Madeira mit seinen wunderbaren Gärten und gewaltigen, die von Vulcanen aufgethürmten Berge trennenden, wildromantischen Schluchten.

Als wir uns wieder einschifften, war die See unruhig, der Himmel bleigrau geworden, so daß wir durch die Brandung gehend ein unfreiwilliges, aber nachdrückliches Bad nahmen. Am Nachmittage entwickelte sich ein schwerer Sturm; wir versuchten noch 7 bis zum Abend unseren Curs zu halten, waren aber, als eine hohe See die Fenster zertrümmernd in den Maschinenraum geschlagen war, gezwungen abzudrehen und nach Nordwesten vor dem Sturme herzulaufen. Da das Schiff stark überladen war und die See von hinten fortwährend weit über's Deck schlug, wurde eine bedeutende Ladung Wein und Petroleum über Bord geworfen, um das Schiff zu heben. Nachdem wir so 48 Stunden unserem Curs entgegen in den Ocean hinausgetrieben waren und endlich die Maschine, die unklar geworden war, wieder functionirte, wurde der Versuch gemacht, in den Wind zu drehen. Der bei der gewaltigen Dünung kritische Moment des Wendens gelang, und wir stampften noch weitere 24 Stunden mit halber Kraft gegen die See an, bis uns das Wetter erlaubte, mit voller Kraft unsere Richtung zu verfolgen. Die Verluste waren außer der über Bord geworfenen Ladung sämmtliches Vieh, das den heftigen Stößen erlegen war.

Mit 3tägiger Verspätung erreichten wir die Gruppe der Cap-Verde-Inseln. Zuerst legten wir in St. Vincente, einem ganz nackten, aber imposanten, schroff felsigen Eiland, dem besten Hafen der Welt, an, dann auf St. Jago, wo wenigstens einige Palmenhaine und Gärten die sterile Eintönigkeit unterbrechen.

3 Tage später liefen wir Bolama, die Hauptstadt der Colonie Neu-Guinea, an, eine portugiesische Besitzung mit französischen Kaufleuten, französischer Sprache und französischem Gelde. Nur einige schwarze Soldaten und, wie überall, ein mächtiges Zollhaus erinnern an das Mutterland.

Nach 9tägiger Reise ankerten wir vor Principe. Hoch und steil, einem spitzen Bouquet vergleichbar, erhebt sich die von üppigster Tropenflora überwucherte Insel aus dem Meere. Schmutz und Verfall in der Stadt contrastiren leider auch hier mit der großartigen, prächtigen Natur.

Aehnlich, wenn auch nicht so malerisch schön, aber vielleicht noch reicher, ist die nächste Station, die Insel St. Thomé. Hier blieben wir 3 Tage im Hause eines Herrn Costa, dessen Gemahlin, eine Deutsche, uns mit der größten Liebenswürdigkeit aufnahm. Wir verlebten nach heimischer Sitte die Sylvesternacht und hörten, gewiß zum letzten Mal für lange Zeit, deutsche Musik.

Mit Loanda, wo wir am 7. Januar eintrafen, war unser erstes Ziel erreicht.

8 In Folge Pogge's Kenntniß der Verhältnisse und des freundlichen Entgegenkommens der portugiesischen Behörden gelang es uns bald, diese bedeutendste europäische Niederlassung an der Westküste Afrika's, deren Glanzperiode in die Zeit der Sklaverei zurückfällt, zu verlassen und uns nach dem Quanzaflusse einzuschiffen. Wir fuhren dicht an der Küste entlang nach Süden, passirten bald die der Schifffahrt sehr gefährliche Barre des Quanza und liefen in den Fluß ein.

Die erste Tagereise ging zwischen dicht bewaldeten Ufern; Mangrowedickichte und dahinter üppiger Urwald begleiteten uns. Am zweiten Tage änderte sich die Scenerie. Schroff in den Fluß vorspringende Kalksteinfelsen, mit Lianen überwuchert, von dem bizarren Affenbrotbaum gekrönt, ließen uns ein anderes Bild afrikanischer Landschaft bewundern. Am dritten Tage erweiterte sich der Fluß. Seeartige Lagunen, mit Palmendickichten umstanden, Papyrussümpfe, viele kleine Inseln und Bänke gaben ein stets wechselndes, reizvolles Bild.

Hier hatten wir die echte Heimath der Krokodile vor uns, deren wir viele sahen und einige erlegten. Großartig ist die Vogelwelt in den von animalischem Leben wimmelnden Sümpfen. Der wunderliche Schlangenhalsvogel, der Schattenvogel, Riesenkraniche und Königsfischer, vielerlei Reiher und Störche, Sumpf- und Wasserhühner bevölkern die Inseln. Bunte Webervögel und kleine grüne Papageien schwingen sich von einem Ufer zum anderen, schön gezeichnete Adler ziehen ihre Kreise, oder hocken stolz und dreist am dichten Ufer. Affenheerden spielen in den Bäumen, und ab und zu zieht eine Schildkröte ihre schnurgerade Linie über den Wasserspiegel.

Es ist bedauerlich, daß am Tage die intensive Hitze und des Nachts zahllose Moskitos den Genuß an der schönen, reichen Natur stören. Wir hörten die ersten, weit schallenden Laute des gewaltigen Hippopotamos durch die stille Nacht ertönen.

Ein anderes mächtiges Thier, das aber äußerst selten sichtbar wird, bewohnt neben dem Flußpferd die Lagunen des Quanza, es ist dies eine Sirenenart, eine Seekuh, von der ich Theile des Gerippes sah. Es war bisher noch nicht gelungen, ein vollständiges Gerippe zu erwerben, um zu bestimmen, welcher Familie das gewaltige Wassersäugethier angehört.

9 In Dondo angekommen, wurden uns sofort Träger zugeführt, so daß wir nur 2 Tage in dem verrufenen Fiebernest zu rasten brauchten. Pogge zahlte im »Inferno do mundo«, wie die Portugiesen Dondo nennen, mit einem 2tägigen Fieber dem afrikanischen Klima seinen ersten Tribut, und auch ich lernte die sich jedem Neuling in den Tropen bietenden Annehmlichkeiten in Form von Schlaflosigkeit, Moskitos, Ratten und dem »rothen Hund«, einer peinigenden Hautkrankheit, kennen.

In der schon oft beschriebenen Hängematte, Tipoia, reisten wir nach Osten weiter. Viel hatte ich mit meinen Trägern, die sich über mein großes Körpergewicht beklagten, auszustehen. Mehrfach ließ man mich recht unsanft fallen. Als ich einmal bei einer derartigen Gelegenheit die mir beim Sturz entfallenen Sachen aufnahm, worunter auch ein Revolver war, flohen meine Leute mit Angstgeschrei seitwärts in die Büsche, glaubend, ich wolle sie für ihre Ungeschicklichkeit bestrafen. Erst nach langer Zeit waren sie durch mein Gelächter und die Versicherung, daß ich nichts Böses im Schilde führe, aus dem Dickicht hervorzulocken.

Der Charakter der Gegend ist sehr gleichförmige, mehr oder weniger bewaldete Savanne. Der Weg zieht sich durch Höhenzüge, die, mit wild durch einander liegenden Gneistrümmern gekrönt, aussehen, als ob sie Burgruinen trügen.

Eine Nacht rasteten wir in dem Dorfe des Häuptlings Dumbo a Pepo.

6 Tage vorher hatten Bailundaleute, die vom südlichen Ufer des Quanza herüber gekommen waren, eine Karawane hier ausgeplündert und einen Träger ermordet. Die Räuber hatten sich in Sicherheit gebracht, ohne daß die schwachen Patrouillen, die die Straßen sichern sollen, im Stande gewesen wären, etwas auszurichten, und das ist der betretenste Handelsweg in Angola. Ist doch auch das Gebiet zwischen Loanda und Ambriz dicht an der Küste für die portugiesische Regierung unpassirbar, und südlich des Quanza ebenfalls die Macht des Mutterstaates nur nominell.

Am 21. begegneten uns die von Malanʒe gesandten Reitstiere; von nun an wurde die Tipoia kaum mehr benutzt. Morgens und Abends gingen wir zu Fuß, und nur während der heißesten Stunden des Tages wurde geritten. Nachdem mich mein Reitstier bei der ersten Bekanntschaft mit einem Fußtritt begrüßt hatte, 10 dann beim Versuche aufzusteigen mich umrannte, und, als ich glücklich im Sattel, mich mit gewaltiger Kraft auf der anderen Seite herabgeworfen hatte, wurden wir gute Freunde, und ich will bei späterer Gelegenheit die großen Vorzüge dieses besten Reitthieres für afrikanische Verhältnisse preisen.

Am Nachmittag des 21. tauchte die Felseninsel Pungo a Ndongo, aus dem welligen Savannenmeer schroff aufsteigend, vor uns auf. Durch einen 60 m tief eingeschnittenen Engpaß, einen der drei möglichen Zugänge zu der natürlichen gewaltigen Festung, steigt man zur Stadt hinauf, die wie in einem Krater zwischen den ringsum 70 bis 80 m senkrecht aufsteigenden Felsen liegt. Die Schluchten sind üppig bewachsen, die Felsen nackt.

Bei Pungo a Ndongo

Die seit Jahrtausenden spülende Kraft des Wassers, der das Conglomerat von Gneis und hartem Sandstein, aus dem die wunderlichen Felsengebilde zusammengesetzt waren, widerstanden hatte, hatte das Felsennest geschaffen.

Bei Gelegenheit des Abmarsches versuchten unsere Träger eine nochmalige Bezahlung zu erpressen, wie Pogge schon vorausgesehen hatte. Nachdem der Sprecher der Unzufriedenen unsanft zur Thür hinausbefördert war, nahmen die Leute resignirt ihre Lasten auf und folgten Pogge, der voranritt. Ich blieb noch einen Tag länger, da mich die zoologischen Verhältnisse interessirten.

Große Heerden von Pavianen, Cynoscephalus, aus denen ich ein besonders starkes Männchen herausschoß, Klippschliefer, verwilderte Ziegen und Kaninchen bevölkern die unzugänglichen Felsen und veranlassen gleichzeitig die Anwesenheit von Leoparden, die man häufig erlegt. Groß ist die Verschiedenartigkeit der Eidechsen, die in praller Sonne auf den dunklen, heißgebrannten Steinen unbeweglich liegen. Unzählige Schwalben nisten in den Felsenlöchern.

In östlicher Richtung setzen sich inselartig gleiche Felsengebilde, die aber nur eine ähnliche Höhe wie in Pungo a Ndongo in den Pedras Ʒingas erreichen, bis zum Quanza fort.

Der Weg bis nach Malanʒe führt durch wellige Savannen, deren Bäume unseren Obstbäumen ähneln, steigt dann steil nach Osten an bis zum Platean von Malanʒe, das auf 1100 bis 1200 m Höhe liegt. Mit diesem Plateau ist gleichzeitig nach dem Innern zu die äußerste Grenze des Affenbrotbaumes erreicht. 11 Vereinzelt soll derselbe im Thale von Kassanʒe noch einmal vorkommen.

In Malanʒe war uns ein geräumiges Haus von Herrn Custodio de Souza Machado, bei dem wir die Waaren für das Innere kaufen wollten, zur Verfügung gestellt. Da genügende Waaren noch für uns von der Küste unterwegs waren, und die Träger nicht vor Ende der Regenzeit, also erst Mitte Mai in's Innere gehen, so richteten wir uns vorläufig häuslich ein.

Am 8. Februar traf ganz überraschend aus dem Innern kommend Herr Dr. Buchner ein. Derselbe war im Auftrage der Afrikanischen Gesellschaft im Lundareich gewesen und trug durch seine Mittheilungen viel dazu bei, daß wir später unseren Auftrag abänderten. Ich kannte Herrn Dr. Buchner schon vom Jahre 1874, da wir gleichzeitig in Magdeburg eine kurze Haft wegen Zweikampfes abgebüßt hatten und Zimmernachbarn gewesen waren. Die Freude des Wiedersehens unter so veränderten Verhältnissen war eine große. Zu lebhaftem Danke verpflichtete er mich dadurch, daß er mir aus dem Schatze seiner Erfahrungen manchen Wink gab und mich durch wirklich praktische Einführung in astronomische und topographische Arbeiten am besten für meine Arbeiten im Innern vorbereitete.

Am 20. desselben Monats kam auch vom Norden der Major von Mechow mit seinen zwei Begleitern, Bugslag und Theus, nach Malanʒe zurück, so daß wir am 22. März den Geburtstag Seiner Majestät unseres Kaisers in dem entfernten Winkel der Civilisation in zahlreicher Gesellschaft Deutscher feiern konnten.

Die Erfolge beider Herren, die viel zur Kenntniß West- und Centralafrika's beigetragen haben, sind längst bekannt.

Unsere Zeit verging mit Einkäufen von Waaren, Anwerben von Trägern, Zureiten von Reitstieren, meteorologischen Beobachtungen und Einarbeiten mit unseren Instrumenten.

Um einen Ueberblick zu geben über die im Westen des Continents gangbaren Handelsartikel, für uns hauptsächlich Waaren zum Einkaufen von Lebensmitteln für unsere Leute, will ich die Liste der mitgenommenen Waaren folgen lassen:

600  Stück  gestreiften Calicos à 32 Ellen;
100 " desgl. schlechtester Sorte;
50 " Baumwollenzeug à 40 Ellen;
400  Pfund  Pulver in Tönnchen zu 3 Pfund;
400 " verschiedene Glasperlen;
120 Ellen rothen Flanell;
24 Steinschloßflinten;
12 bunte Regenschirme;
200 Pfund Salz
und einige Kleinigkeiten.

Als Dolmetscher begleitete uns Germano de Jose Maria, ein Neger aus Mozambique, der als Diener eines portugiesischen Offiziers in Lissabon gewesen war, und dann Händler in Angola wurde. Er hatte schon mehrfach deutsche Forscher und auch Pogge auf seiner Reise in's Lundareich begleitet, war fleißig, stets dienstbereit, und für einen Neger muthig, aber leider nicht allzu zuverlässig.

Germano de Jose Maria.

Die Karawane bestand aus 81 Trägern, Leuten aus Angola, Ʒingas und Massongo, einem Koch und 6 Dienern. Wir hatten alle Leute zunächst nur bis Kimbundu, dem äußersten von einem weißen Händler bewohnten Orte, angenommen für den Preis von 5000 Reis, nach unserem Gelde ca. 22 Mark, welche Summe noch dazu in Waaren zu in Malanʒe gangbaren Preisen ausgezahlt wurde. Wir hatten uns außerdem verpflichtet, den Leuten für je 12 Tage Waaren zur Ration in der Höhe von 4 Ellen Zeug pro Mann zu geben, sie in Krankheitsfällen zu behandeln und ihnen in Kimbundu frei zu stellen, uns weiter zu begleiten.

Die Lasten hatten wir zu schwer gemacht, sie wogen durchschnittlich 42 Kilo, jedoch erreichten einige die Höhe von 50. Der Reisende thut nicht gut, Westküstenleuten mehr als 37 Kilo 13 für längere Reisen zu geben. Im Osten nehmen Träger höchstens 30 Kilo. Die portugiesischen Kaufleute in Angola belasten ihre Träger mit 50 bis 60 Kilo.

Die Ausrüstung eines Trägers in Angola besteht in Messer, Beil, Patronentasche, Tragkorb, Mohamba genannt, Kochtopf und Kürbisflasche. Im Lager halten stets die Träger je nach ihrem Stamm zusammen und vereinigen sich 3 bis 4 zu einer Genossenschaft, die sich zusammen ihre Hütten baut, abkocht und gelegentlich vertritt. Oft nehmen Träger noch im Knabenalter stehende Verwandte zur Aushilfe beim Tragen und zu sonstigen Dienstleistungen mit, Weiber dagegen nur sehr selten.

Für Pogge, mich und den Dolmetscher Germano schafften wir 6 Reitstiere an; der meinige, Malucko, ein wirklich edles Thier, war ein Geschenk von Dr. Buchner. Es ist ein unschätzbarer Vortheil des Reisenden von Westafrika, daß er ein solch' vorzügliches, in der Wildniß durch nichts Anderes ersetzbares Reitthier zur Verfügung hat. Der Reitstier geht alle Gangarten, Schritt, Trab, Galopp und Carrière, die letzteren beiden jedoch nur auf kurze Strecken, da ihm der lange Athem, wie dem Pferde, nicht zur Verfügung steht. Der Stier nimmt bald im Schritt die Schnelligkeit der Karawane an. Durch seine große Ruhe ist er geeignet, schwere Sümpfe zu passiren, durch die Sicherheit des Doppelhufs so steile Böschungen zu erklettern und hinabzusteigen, wie ein Einhufer dieses nicht im Stande wäre. Es ist leicht, einen Stier zum Springen abzurichten; nach kurzer Zeit schon nahm Malucko Hindernisse, die einem Pferde Ehre machen würden. Ich maß einst im Urwald einen mächtigen gestürzten Stamm, der einen Durchmesser von 1,15 m hatte, den er mit einem Angalopp von 3 Sprüngen sicher nahm. Ein einziges Mal bin ich in den 7 Jahren meiner Reisen mit einem Stier gestürzt. Ich sprang über einen Baumstamm, hinter welchem ein tiefes, mit Laub angefülltes Loch war, in das der Stier hineinfiel.

Fallgruben oder Stellen, wo der Boden künstlich umgestaltet ist, scheint der Stier zu wittern und ist an Stellen, die er nicht übersehen kann, sehr vorsichtig.

Am schwersten wird ihm die Passage glatter, von Wasser überspülter Felsen.

Ich überschwamm einst im Sattel einen 60 m breiten Fluß.

14 Der Ortssinn des Thieres ist großartig, auf einem Ausflug mit dem Stiere kann man sich nicht verirren, da das Thier zurückgewandt genau seiner Spur folgt.

Als ich den Stier erhielt, war er so böse, daß er bald in Malanʒe sich den Namen »Malucko«, d. i. der Wahnsinnige, erwarb. Oft nahm er Menschen an, und zweimal verwundete er ernstlich Neger. Das Zureiten des ganz Verwilderten nahm viele Mühe, aber nur kurze Zeit in Anspruch. Am längsten dauerte das Satteln, dann stieg ich mit Sporen, Peitsche und einer Keule in den Sattel, 2 Leute hielten an dem gereifelten Eisen, das er in der Nase hatte, den Kopf in die Höhe, 4 Leute zogen an dem Schweif und einige auf jeder Seite an den Bügeln. Kaum saß ich im Sattel, so flogen auch schon von den gewaltigen Bewegungen des kräftigen Thieres die Leute nach allen Seiten. Fünf Minuten ging es nun im Galopp mit hohen Sprüngen vorwärts, dann, als die Luft ihm kurz ward, begann er mit den Hörnern nach dem Schenkel zu stoßen, wogegen Hiebe mit der Keule auf die Hörner, nur wenige Tage angewandt, völlige Abhilfe schafften. Nach 10 Tagen ging der Stier schon ruhig, und einen Monat später war er so zahm, daß er wie ein Hund mir folgte, auf meinen Ruf herankam, sich von mir satteln ließ und, wenn wir bei Tische saßen, so lange hinter mir stand und mich mit der Nase anstieß, bis er ein wenig Salz erbettelt hatte. Stets blieb er gegen Neger böse. Man legt dem Reitstier den gewöhnlichen englischen Pferdesattel auf; an einem durch das Nasenbein gestoßenen Eisen sind an jeder Seite die Zügel angebracht.

Schon näherte sich die Zeit des Abmarsches in das Innere, als Pogge durch furchtbares Zahnweh gezwungen war, sich 3 Zähne ausziehen zu lassen. Vor Entfernen des letzten derselben wurde er gewarnt, bestand jedoch darauf und legte dadurch den Grund zu furchtbaren Leiden, die er im Innern auszustehen hatte, denn bei der Manipulation wurde die eine Seite des unteren Kinnbackens vollständig zerbrochen.

Die während der 4 Monate unserer Anwesenheit in Malanʒe gemachten meteorologischen Beobachtungen, Höhenmessungen und Ortsbestimmungen finden sich im Anhange dieses Werkes.

Am 1. Juni war die Karawane vollzählig, und am 3. war der Tag des lang ersehnten Abmarsches nach Osten zu gekommen. Buchner geleitete uns eine Tagereise weit. Er war der letzte 15 Landsmann, den ich sah, bis ich in Ostafrika nach 2 Jahren die ostafrikanische Expedition, die vor uns Deutschland verlassen hatte, wiedertraf.

Durch eintönige Baumsavannen ging es bis zum Quiʒe und in dessen Thale entlang nach Sanza, der äußersten portugiesischen Niederlassung in Angola. Der erwähnte Fluß fließt in einem nur wenig eingeschnittenen Sandsteinbett nach Westen dem Quanza zu. Gewaltige, mit schwarzer Verwitterungskruste bedeckte harte Sandsteinblöcke erschienen einem früheren Reisenden als Basalt. Wunderliche Felsenformationen und Riesentöpfe fanden sich am Ufer. Von Sanza abmarschirend, passirten wir die Grenze von Angola und betraten das Gebiet der unabhängigen Massongo, die sich weit nach Süden dehnen, aber schon soviel von der Halbcivilisation ihrer westlichen Nachbarn angenommen haben, daß dem Reisenden nichts charakteristisch Eigenthümliches bemerkbar wird. 16

 


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